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Weihnachten 2009

Weihnachten 2009


Tom schlenderte durch die Kaufhauspassage. Aus jedem Eingang kam ihm eine andere Weihnachtsmelodie entgegen gewabert. Hier war es „Last Christmas….“, dort „Jingle Bells“ und bei dem nächsten Laden „Leise rieselt der Schnee“. Und als ob das nicht schon genug Beschallung wäre, nein, dazu kam noch der Kinderchor, der in der Eingangshalle stand und gegen den ganzen Trubel ansingen musste. Die Kinder taten ihm Leid, denn keiner hörte ihnen zu. Deshalb stellte er sich etwas dazu und machte einen auf interessierten Zuhörer. Ein halbwüchsiges Mädchen im Chor gefiel ihm besonders. Er hing an ihren Lippen und bewunderte ihr glattes, glänzendes rotbraunes Haar. Es müsste schön sein, so eine Freundin zu haben, träumte er. Doch sicher würde sie nichts von ihm wissen wollen. Sie sah so aus, als ob sie aus einem „guten“ Elternhaus käme. Sie war so adrett, unaufdringlich gekleidet, wie es nur Kinder aus richtig reichem Haus sind.

Plötzlich sah sie ihn an und lächelte. Tom wurde rot, und genau da zwinkerte sie ihm auch noch zu.
„Ach, zumindest ist das nun kein ganz schlechter Tag!“ dachte er sich und strahlte das Mädchen an.
Doch schon verließ ihn der Mut, und er ging weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. So konnte er auch nicht sehen, wie das hübsche Mädchen ihm enttäuscht hinterher blickte.

Tom lief ziellos durch die Geschäfte, denn eigentlich war er nur hier, um seine Mutter von der Arbeit abzuholen. Sie arbeitete als Verkäuferin in einem der großen Kaufhäuser und musste natürlich bis zum Ladenschluss, der heute, am Heiligabend, um 13.00 Uhr sein würde, bleiben. Da hatte er noch gut zwei Stunden totzuschlagen. Am besten, er ging nochmal in die Computerabteilung, dort verging ihm die Zeit immer am schnellsten. Also kämpfte er sich durch die Menge.

Tom dachte über sein Leben nach. Er war das einzige Kind seiner Mutter, sicher hatte sie auch die Nase voll von Kindern, denn wegen ihm hatte sie ja auf alles verzichten müssen. Niemals hatte sie sowas zu ihm gesagt, doch Tom konnte es sich denken. Seine Mutter war in einem sehr reichen Elternhaus aufgewachsen. Mit 17 Jahren hatte sie sich in einen Jungen, der beim Circus arbeitete, verliebt. Sie hatten eine heftige Romanze gehabt, doch nach 6 Wochen war er wieder weg gewesen. Zwei Wochen später hatte seine Mutter bemerkt, dass sie schwanger war. Sie war verzweifelt gewesen, denn sie hatte noch nicht mal den Nachnamen des Jungen gekannt. Sie hatte nicht herausbekommen, wo er sich aufgehalten hatte, und wer er gewesen war. Wie sollte sie das bloß ihren Eltern beibringen. Die Eltern waren natürlich entsetzt gewesen, besonders ihr Vater.
Er war völlig außer sich, und nach langem Hin und Her hatte er den Vorschlag gemacht, seine Mutter solle das Baby abtreiben. Er wäre auch für alle Kosten aufgekommen.
Für Toms Mutter war damals die Welt zusammen gebrochen. Niemals hätte sie von ihrem Vater solch einen Rat erwartet. Doch er war hart geblieben. Entweder, das Kind käme weg, oder sie müsse ausziehen und sei nicht mehr seine Tochter. Seine Frau hatte für ihre Tochter und das ungeborene Kind gebettelt, doch er war hart und unnachgiebig geblieben.
Da hatte Toms Mutter ihre sieben Sachen gepackt und war gegangen. Zuerst hatte sie eine Zeit in einem Mutterkind-Heim gelebt, solange, bis Tom ins Krabbelalter gekommen war. In dieser Zeit hatte sie eine Ausbildung zur Verkäuferin gemacht. Sie war darauf sehr stolz, doch Tom fand das eigentlich nicht so großartig. Doch sie hatte ja keine andere Möglichkeit, also musste man damit zufrieden sein. Denn ihr Abitur hatte sie natürlich nicht machen können mit einem Baby am Hals.
Seit sie ihren Job hatte, wohnten die Zwei in einem der großen Wohnblocks ihrer Stadt. Sie hatten eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung mit Balkon. Seine Mutter verdiente zu viel, um Unterstützung zu bekommen, doch sie hatten zu wenig, um ein angenehmes Leben zu führen. Tom hatte sich damit abgefunden. Er wusste, dass er keine großen Wünsche haben durfte, doch manchmal beneidete er die Anderen, die immer alles bekamen, bei denen kein materieller Wunsch unerfüllt blieb.

Tom war nun 14 Jahre, ein schlaksiger, dünner Junge mit offenen, blauen Augen und dunkelblondem Haar. Er wirkte sehr nett und sympathisch auf seine Mitmenschen, doch das wusste er natürlich noch nicht.

Da, er war in der Computer-Abteilung angekommen. Meine Güte, war hier ein Gedränge und Geschiebe! Da würde er wohl keine Chance haben, an einem der Probiergeräte spielen zu können! Besser, er machte sich wieder davon. Also ging er zurück. Er entschloss sich, in die Buchabteilung zu gehen. Da wäre es vielleicht nicht so voll! Doch auch dort war noch Hochbetrieb.
„Mist, wo kann ich denn nun etwas Zeit totschlagen?“ überlegte er. Da kam er auf den Weihnachtsmarkt. Vielleicht waren ja auch noch einige seiner Kumpels dort unterwegs? Dann würde es nicht so langweilig sein.
Er schlenderte raus.

Am Rand des Marktes stolperte er beinahe über einen alten Mann, der zusammengesackt am Boden saß.
Tom erschrak, der Mann sah ja wirklich krank aus. „Kann ich Ihnen helfen?“ fragte er.
„Ja, das wäre nett von dir! Kannst du mir irgendwie ein Glas Wasser besorgen? Ich muss meine Tabletten nehmen!“ Der alte Mann war erleichtert, dass endlich jemand bei ihm anhielt und ihm seine Hilfe anbot.
Tom sauste in den nächsten Laden und bat um ein Glas Wasser. Dann ging er, so schnell es möglich war, zurück. Er gab dem Mann das Wasser, half ihm seine Tabletten aus seiner Tasche zu kramen und reichte sie ihm an.
Nach einigen Minuten kam wieder etwas Farbe in das Gesicht des Mannes, und er begann mit Tom zu reden.
„Das war sehr nett von dir, mein Junge. Wer bist du? Wie ist dein Name?“
„Ach, das war doch selbstverständlich! Und, meine Mutter mag nicht, wenn ich meinen Namen Fremden sage!“ Tom stotterte verlegen seine Antwort.
„Ja, da hat deine Mutter sicher Recht, doch glaub mir! Ich werde nichts damit anstellen, ich will ihn einfach nur wissen, damit ich dir eine Freude machen kann. Hast du vielleicht einen Wunsch, der nicht erfüllt wird zu Weihnachten, dann kann ich vielleicht etwas dazu beitragen, dass er erfüllt wird.“
Dies war nun aber zu viel für Tom, er fing an zu lachen. „Sie klingen, wie der Weihnachtsmann persönlich!“ lachte er.
Jetzt lachte der alte Mann auch. „Ja, vielleicht bin ich der Weihnachtsmann? Also, sage mir ruhig deinen Wunsch und deinen Namen!“
„Meine Wünsche sind leider schon ziemlich teuer! Die Kleinen, die versucht meine Mutter schon alle zu erfüllen, doch für die Großen, da reicht es bei uns leider meist nicht!“ Meine Güte, was erzählte er denn da dem Fremden? Tom wunderte sich über sich selbst.
„Na, groß, klein, das ist ja immer auch Ansichtssache“, sagte der Mann. „ Also, verrate es mir ruhig!“
„Ja, am meisten wünsche ich mir einen vernünftigen, richtig schnellen PC. Ich hab nur so einen alten lahmen Kasten. Obwohl ich schon froh bin, dass wir überhaupt Einen haben!“ Nun war für Tom das Eis gebrochen. Er redete mit dem „Weihnachtsmann“, wie er ihn in Gedanken nannte, als ob er ihn schon ewig kennen würde. Er erzählte von seinen Träumen und am Schluss nannte er auch seine Namen.
„ Wie heißt du?“ Der alte Mann sah ihn seltsam an.
„Ich heiße Tom von Binkheim.“ Tom wunderte sich über die Nachfrage, doch dann dachte er, dass alte Leute ja oft etwas länger bräuchten, bis sie sich was merken könnten.
„Und deine Mutter, wie heißt die?“
„Meine Mutter ist Sabine von Binkheim. Aber das Von, das hat uns nichts gebracht“, Tom lachte wieder und der Mann stimmte ein.
„Weißt du was, Tom? Ich werde dir was schenken, doch wir werden auch deine Mutter überraschen, was hältst du davon?“
„Na, ich weiß nicht? Wie wollen Sie denn die überraschen?“ Tom wurde wieder etwas misstrauisch.
„Na, ich hab mir gedacht, wenn ihr für große Geschenke kein Geld habt, dann wäre es für deine Mutter sicher schön, mal zum Essen auszugehen, was meinst du?“
„Ja, das würde ihr sehr gefallen, dafür schwärmt sie wirklich! Doch das können wir nur sehr selten!“
„Siehst du, und deshalb lade ich euch hiermit ein, am ersten Weihnachtsfeiertag mit mir und meiner Frau Essen zu gehen!“
„Wow! Das könnte ihr schon gefallen! Nur, sie wird mir nicht glauben! Und was, wenn ich sie nicht überzeugen kann?“ Tom war nun aufgeregt. Er würde sich so für seine Mutter freuen, das hätte sie so verdient, mal richtig schick auszugehen.
„Na, hör mal! Du wärst der erste Sohn, der seine Mutter nicht zu was überreden könnte!“ lachte der Mann.
„Na, Sie kennen meine Mutter nicht! Wenn die nicht will, dann geht gar nichts!“ antwortete Tom.
„Du wirst es sicher schaffen“, der „ Weihnachtsmann“ war voller Zuversicht.
„Ich schicke euch meinen Wagen morgen Mittag um 13.00 Uhr, okay?“
Tom lachte laut. „Mann, wie Sie reden! Ich schicke euch meinen Wagen! Fährt der alleine?“
Der Mann lachte mit. „Ja, also, dann bis morgen!“ und mit diesen Worten ging er weg.

Tom lief zum Kaufhaus um seine Mutter abzuholen. Was war das für eine komische Begegnung gewesen? Und wie sollte er das nur seiner Mutter beibringen.

Doch es lief alles besser, als Tom befürchtet hatte. Seine Mutter war stolz, dass er dem alten Mann geholfen hatte und willigte ein, mit ihm Essen zu gehen. Sie fand es sogar sehr nett, dass der Mann sich so bedanken wollte. Tom freute sich.
Heiligabend war gemütlich und heimelig wie immer. Sie schenkten sich kleine Dinge und freuten sich. Anschließend gab es das traditionelle Heiligabend-Essen, Kartoffelsalat mit Würstchen. Davon konnte Tom nie genug bekommen.

Am ersten Feiertag machten sie sich in Ruhe zum Ausgehen fertig. Beide sahen sie nett und festlich aus.
Pünktlich um 13.00 Uhr klingelte es an der Haustür, und sie gingen nach unten. Vor der Haustür stand ein riesiger Mercedes.
Ein Chauffeur stieg aus dem Wagen und hielt ihnen die Autotüren auf.
„Au Backe, jetzt weiß ich, warum er gesagt hatte: Ich schicke meinen Wagen!“ entfuhr es Tom.
Der Chauffeur lächelte.
Die Fahrt ging in das beste Viertel der Stadt. Dann hielt der Wagen auf einmal vor einer Villa. Toms Mutter wurde bleich.

„Tom, ich steige nicht aus!“ Sie sah aus, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte.
„Was ist denn nun los? Sieht doch sehr schön aus!“ Tom verstand seine Mutter nicht.
Doch in diesem Augenblick kam eine ältere Dame aus der Villa gerannt. Sie winkte und schien unglaublich aufgeregt zu sein.
„Sabine! Sabine! Meine Güte! Bitte komm doch rein! Bitte!“ Sie rief schon von weitem.
„Woher kennt die dich denn, Mam?“ Tom staunte nicht schlecht.
Seine Mutter stieg aus dem Wagen und umarmte die fremde Frau. Sie weinten und lachten beide gleichzeitig.
Nach einigen Minuten wandte sich seine Mutter ihm zu: „ Tom, mein Schatz, das ist deine Großmutter, meine Mutter!“ Die alte Dame schloss ihn in ihre Arme und drückte ihn, als ob sie ihn zerquetschen wollte. Tom ließ alles über sich ergehen. Er wunderte sich über gar nichts mehr.

Die Tür öffnete sich nochmals, und der alte Mann kam aus dem Haus. Tom sah von Einem zum Anderen, und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen!
„Ach du liebes Lottchen, der Weihnachtsmann ist mein Großvater!“ sagte er laut. Alle lachten, und das erste Eis war schon mal gebrochen.
Sein Großvater ging zu seiner Tochter. „Liebe Sabine! Ich weiß nicht, wie ich mich jemals bei dir entschuldigen soll! Seit damals gab es keinen Tag, an dem ich meine Worte nicht bedauert habe. Und seit ich meinen Enkel kennengelernt habe tut es mir noch mehr Leid! Was ist er für ein fantastischer Junge! Du kannst sehr stolz auf ihn sein! Bitte verzeihe mir und lass uns wieder eine Familie sein!“
Statt jeder Antwort nahm seine Mutter ihn in die Arme.

Tom blickte froh auf seine neue Familie, doch da kam ihm ein Gedanke: „ Kriege ich nicht noch was zu Weihnachten?“
Alle lachten und gingen ins Haus.

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Texte: (c) GaSchuAlle Rechte an Text und Bildern sind allein bei der Autorin. Jede Veröffentlichung, auch auszugsweise, bedarf der Zustimmung der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 16.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine liebe Mutter, gestorben 2005. Sie liebte Weihnachten, und sie liebte solche Geschichten!

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