Cover

Claras Weihnachten



Es war der 23. Dezember, und Klara ging in den Stadtpark. Sie hatte eine große Tasche voller Meisenknödel, kleiner Nusssäckchen und getrockneter Apfelscheiben, aufgereiht an langen Bändern, dabei. Der Tag war grau, leicht neblig, und es nieselte. Doch das störte sie überhaupt nicht, im Gegenteil, es brachte sie in die richtige Weihnachtstimmung, denn dieses trübe Wetter war typisch in ihrer Gegend für die Weihnachtszeit.

Die Menschen, die ihr entgegen kamen, sahen eine zierliche, ältere Dame, nicht übertrieben elegant, jedoch sehr ordentlich gekleidet. Ihr weißes Haar war zu einem modischen Kurzhaarbob geschnitten, doch es war bedeckt mit ihrer Regenkapuze. Sie schritt munter lächelnd in den Park hinein.

An Tagen, wie diesem, ließ Klara ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen.
Ihre Erinnerungen an eine glückliche Zeit tauchten dann unweigerlich auf. Nicht, dass sie in der Gegenwart unglücklich gewesen wäre, nein, das nicht, doch Glück - das war für sie eindeutig die Zeit in ihrer Jugend gewesen. Leider hatte es nur sehr kurz bei ihr angehalten, dann machte es sich für immer davon.

Klara wurde jedoch nicht verbittert, sie dachte, den meisten Menschen ginge es doch so ähnlich! Sie war nun 82 Jahre, geboren wurde sie in Ostpreußen. Ihre Heimat vermisste sie noch immer, auch heute noch. Wenn sie an ihre Heimat dachte, dann sah sie endlose Kiefernwälder, riesige Felder, Seen und die Ostseeküste vor ihrem inneren Auge aufsteigen. Die langen Winterabende mit ihrer klirrenden Kälte - für Mitteleuropa kaum vorstellbar, wie eisig es dort war - dann hatten sie immer alle gemeinsam in der Küche um den Ofen gehockt und sich Geschichten erzählt oder gemeinsam gesungen. Die Sommer dagegen waren warm und hell und leuchtend gewesen, im Sommer fand das Leben draußen statt, es war ein arbeitsreiches, anstrengendes Leben gewesen, jedoch angefüllt mit Liebe, Fürsorge und Nähe.

Dort war ihr Glück gewesen, dort hatte sie ihren Mann gefunden, Heinz. Und er fehlte ihr noch immer,obwohl sie nur kurze Zeit verheiratet gewesen war, denn Heinz war einer der Kriegsopfer gewesen. Er ist niemals mehr nach Hause gekommen. Klara war damals tottraurig, doch es blieb keine Zeit zum Trauern, denn sie musste mit tausenden Anderen auf den langen Flüchtlingstreck. Man lebte nur von einem zum nächsten Augenblick. Damals war sie froh, dass ihre kurze Ehe kinderlos geblieben war, denn die Mütter mit den kleinen Kindern taten ihr unendlich Leid. Sie brauchte nur ihre eigene Haut zu retten. Im Westen angekommen versuchte jeder sich eine neue Existenz aufzubauen. Klara hatte Glück, bekam eine gute Arbeit und hatte ihr Auskommen.

Als ihr endgültig offiziell bestätigt wurde,dass Heinz gefallen war, begann für sie die Trauerarbeit. Sie brauchte lange Zeit, doch gute Freunde standen ihr zur Seite. Ihr Familienersatz waren ihre Freundschaften. Einsam war sie nicht, doch einen neuen Mann an ihrer Seite, nein, das wollte sie nicht.

Es gab einige Bewerber, doch Klara sagte: "Wenn man mal das Beste hatte, dann kann man mit dem Zweitbesten nicht zufrieden sein!"

Ihre Freunde gaben es auf, ihr einen Ehemann vermitteln zu wollen. Klara lebte ihr eigenes Leben und war im Großen und Ganzen zufrieden. Klara lächelte in Erinnerungen versunken. Ja, es war okay gewesen, doch nun fand nochmal ein großer Einschnitt in ihrem Leben statt. Im neuen Jahr würde sie in ein Altenheim ziehen. Sie hatte sich diesen Schritt reiflich überlegt, doch es war die beste Lösung, da sie keine Kinder hatte. Eine liebe Freundin wohnte bereits in ihrem ausgewählten Heim, deshalb kannte Klara sich dort schon gut aus, und die Situation machte ihr keine Angst. Das Heim war recht neu und hatte freundliche Pfleger. Das Einzige, was sie störte, war die Tatsache, dass sie dann keinen eigenen Bastelkeller mehr haben würde, sodass sie ihre geliebte Tierbescherung nicht machen können würde. Klara wurde nachdenklich. Naja, vielleicht würde man auch dafür eine Lösung finden können?

Ganz in ihre Gedanken versunken ging sie an dem großen Kinderklettergerüst vorbei. Lärm ließ sie aufblicken, und erstaunt stellte sie fest, dass eine ganze Gruppe von Kleinkindern dort herumtobte.

Nun war es nur noch ein kleines Stückchen, da war auch schon ihr Weihnachtsbaum für ihre Tiere. Kaum stand sie davor und hatte begonnen ihre Mitbringsel an die Zweige zu hängen, kam eine junge Frau auf sie zu.

"Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie störe," begann sie, "Ich bin Erzieherin aus dem Städtischen Kindergarten. Sind Sie diejenige, die hier jedes Jahr den Tierweihnachtsbaum schmückt?" , fragend sah die junge Frau sie an.

"Ja, das mache ich schon jahrelang. Wieso, ist etwas nicht in Ordnung damit?". Klara wusste nicht, was sie von der jungen Frau halten sollte.

"Doch, doch, alles ist okay, keine Sorge! Ich beobachte den Tierweihnachtsbaum nur schon seit Jahren und finde Ihre Idee so wunderschön. Deshalb habe ich schon den zuständigen Förster mal danach gefragt, doch er sagte mir, er wisse auch nur, dass der Baum jedes Jahr von einer charmanten, älteren Dame geschmückt würde, die ihn auch um Erlaubnis gefragt habe. Den Namen und die Adresse der Dame wisse er jedoch auch nicht. Deshalb lauere ich hier mit meinen Kids," sie deutete auf die Kindergruppe am Klettergerüst." Ich wollte nämlich unbedingt mit Ihnen sprechen."

Klara wurde immer unsicherer, was wollte diese Frau von ihr? "Ja? Wie kann ich Ihnen denn helfen?"

"Ach entschuldigen Sie bitte, ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Bettina Bach. Ich arbeite im Kindergarten, wie schon gesagt. Nun haben wir immer zu den Jahreszeiten passende Themen mit unseren Kindern, die ausführlich besprochen und behandelt werden. Im Moment ist unser Thema`Tiere im Winter`. Da dachte ich auf einmal an Ihren Weihnachtsbaum. Seit Jahren frage ich mich schon, wer der Mensch ist, der das macht. Ich finde diese Idee so schön. Also habe ich, wie schon gesagt, den Förster gefragt, doch er konnte auch nicht wirklich helfen!"

Klara fragte sich, worauf Bettina wohl aus war? "Also," Bettina stockte etwas,"Bitte, seien Sie nicht gekränkt und sagen Sie mir ruhig Ihre ehrliche Meinung, denn ich will Ihnen Ihre Freude nicht zerstören!"

"Was wollen Sie denn, sagen Sie es ruhig. Ich bin ein direkter Mensch und kann mich wehren!"
Jetzt fand Klara die Situation langsam komisch.

Bettina sah sie unsicher an. "Ja, also es ist so: Wir würden uns sehr gerne bei Ihnen sozusagen beteiligen. Das heißt, die Kinder könnten auch im Kindergarten Futterknödel basteln und Apfelscheiben trockenen und auf Fäden ziehen. Und dann würden wir alles gerne mit Ihnen zusammen aufhängen. Vielleicht hätten Sie ja auch Lust, mit den Kindern gemeinsam zu basteln und ihnen zu erzählen, warum Sie das machen?"

Klara staunte, " Das hört sich gut an, doch ist es nicht zu spät für dieses Jahr? Ich habe schon alles fertig, und morgen ist doch schon Heiligabend!"

"Ja, ich meinte es auch mehr für das kommende Jahr und später!" antwortete Bettina.

"Oh, das ist schade!" Klara wurde traurig."Denn ab nächstes Jahr werde ich im Altenheim sein, da kann man wohl nichts machen. Ich hätte gerne mit Ihnen gearbeitet!"

"In welches Heim werden Sie gehen?" Die junge Frau bohrte weiter.

"Ich bekomme ein Zimmer im Sankt-Peter-Heim. Es ist ganz in Ordnung dort." Doch Klaras Stimme klang gar nicht mehr froh.

"Ach, das kenne ich," rief Bettina aus. "Das ist unser Patenheim! Unser Kindergarten besucht es regelmäßig. Den Kindern tut der Kontakt zu älteren Menschen gut. Sie lernen viel dadurch. Da können wir Sie ja immer abholen, es sind einige Leute aus dem Heim in unsere Projekte involviert! Sie lesen den Kindern vor, erzählen Geschichten oder basteln mit ihnen."

Klara riss staunend die Augen auf und schluckte."Sie wissen ja gar nicht, was das für mich bedeutet" ,sagte sie."Ich nehme Ihr Angebot mit Freude an! Es ist nämlich ein alter Brauch aus meiner Heimat, Ostpreußen. Dort waren die Winter immer hart, eisig, klirrend kalt und für die Tiere unerbittlich, daraus hat sich dann wohl der Brauch entwickelt, auch Wildtiere zu bescheren. In der Heiligen Nacht bekamen dort auch immer die Tiere eine Bescherung. Um Mitternacht gingen wir immer raus, gaben unserem Vieh eine Extraportion Heu und Hafer. Den Rehen und Hirschen wurden Heubündel und Kastanien und Eicheln in Hofnähe ausgelegt.
Da ich mir nach dem Krieg nie eigene Tiere halten konnte, kam ich auf die Idee mit dem Tierweihnachtsbaum. Ich mache es schon so lange. Es würde mir sehr fehlen. Sie machen mir mit Ihrer Bitte die größte Weihnachtfreude. Nun kann ich mich auf meinen neuen Lebensabschnitt sogar freuen!"

Klara strahlte, und Bettina freute sich mit ihr. Nun war für beide Weihnachten im Herzen.

(c) GaSchu

Impressum

Texte: Alle Rechte am Text und Bild liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /