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Reise mit Umwegen

 

 

Reisefieber und Fernweh hatten mich wieder einmal gepackt. Das passiert regelmäßig seit meiner Jugend, als ich mit meinem Freund Bruno mit 110 Mark in der Tasche und einem alten Baumwollzelt auf dem Rücken ohne Wissen meiner Eltern nach Nizza getrampt bin.

Trampen geht heute nicht mehr, aber es gibt ja andere Möglichkeiten, die den Anforderungen von vielen Dichtern und Denkern entsprechen.

Kurt Tucholsky meinte: Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben.

Oskar Wilde hoffte: Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf.

Alexander von Humboldt behauptete: Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.

Und sogar der Heilige Augustinus sagte: Die Welt ist ein Buch. Wer nicht reist, kennt nur eine Seite davon.

Und mir ging es so wie Michael Palin: Wenn dich einmal das Reisefieber packt, gibt es kein bekanntes Heilmittel, und ich bin gerne bis zum Ende meines Lebens daran erkrankt.

 

Also wohin und wie in diesen Zeiten? Das wohin war mir schnell klar, frei nach dem Dalai Lama dorthin, wo ich noch nie war. Madagaskar stellte sich als mein Traumziel heraus. Doch wie? Wir sind eigentlich Individualreisende, mit Wohnmobil, Mietfahrzeug oder zu Fuß. Also wie? Trampen? Siehe oben. Mit dem Zug? Geht nicht. Zu Fuß oder mit dem Bulli? Zu weit. Doch wie gesagt, es gibt heutzutage auch ganz andere Möglichkeiten.

Aber es gab ein gewaltiges Problem: Meine Frau hatte aus aktuellem Anlass überhaupt keine Lust zu verreisen, zumal der Veranstalter TDDTravel your Dream in a Dream, den ich aus der Not heraus ins Auge gefasst hatte, Madagaskar nur als Gruppenreise im Programm hatte.

"Bei Gruppenreisen ist immer ein Klugscheißer dabei, der dauernd das Maul aufreißt und alles besser weiß!", sagte meine Frau. Stimmt. "Und mindestens zwei Quatschtanten, die durch den Urwald stapfen und ohne Punkt und Komma ständig lautstark über Kochrezepte labern." Stimmt auch. "Und dann noch die ewigen Nörgler, die daheim Fensterkitt fressen, sich aber im Urlaub über das Frühstücksei beschweren und darüber, dass es keinen Schweinsbraten gibt."

Jajaja. Stimmt alles, aber ich litt furchtbar an Fernweh. Und deshalb habe ich das Programm alleine gebucht, auch wenn es sozusagen ein gefährliches Experiment war.

Aber was soll ich sagen? Die Reise war im wahrsten Wortsinn fantastisch.

 

Der Flug nach Antananarivo dauerte gefühlte zehn Minuten, da die Vorfreude meine Flugunwilligkeit komplett überdeckte. Die Reisegruppe übernachtete im vier Sterne Hotel Palisandre, und am nächsten Tag gab's erst einmal eine Rundfahrt durch die quirlige City, die von den Mandagassen liebevoll 'Tana' genannt wird und die mit ihrer Kolonialarchitektur, den schönen Backsteinhäusern und den engen Gassen bestimmt zu den schönsten Hauptstädten Afrikas gehört. Danach ging es Richtung Süden über die Hochebene mit Stopp am 'Ort des Felsens', Anbatolampi, wo Handwerker aus den Aluminiumresten der Minen die tollsten Kunstwerke basteln. Weiter zum Kurort Antsirabe auf 1550 Metern Höhe, der von sehenswerten Reisterrassen und beeindruckenden Bergen umgeben ist. Dort haben wir auch anscheinend übernachtet, was mir allerdings völlig entfallen ist. Weiter ging es durch tropische Wälder und spektakuläre Landschaften zum 'Anja Reservat', worauf ich mich schon sehr gefreut habe. Es ist die Heimat der sensationell lustigen Ringelschwanzlemuren (Kattas), die man unbedingt gesehen haben muss.

Die Reise ging weiter durch weite Steppenlandschaften, die leider verbotener Weise durch Hirten Jahr für Jahr zur Hälfte abgebrannt werden, zum Isalo Nationalpark, dann über Sakaraha zum Zombitse Vohibasia Nationalpark. Hier standen sie dann, die bekannten majestätischen, imposanten Baobab-Bäume, der ganze Stolz Madagaskars. Wieder veränderte sich die Landschaft, vorbei an Mangroven, Aloen, Euphorbien und Sukkulenten, und wir erreichten das Fischerdorf Mangily. Phantastisch die Tiere im nahen Regenwald, die lustigen, igel- oder otterähnlichen Tenreks, schmusekatzenähnlichen Frettkatzen, oder die Fanasok, die wie Ginsterkatzen aussehen.

 

Nach einem Schnorchelausflug über dem Korallenriff ging es dann zwei Nächte später weiter, und wir tauchten in eine völlig andere Welt ein.

Für mich war das etwas seltsam, denn der Wald, durch den wir fuhren, hatte sich sehr verändert. Akazien und Riesen-Eukalypten mit fast einhundert Metern Höhe säumten unseren Weg, Riesenfarne, hinter denen jeden Moment Dinosaurier hätten auftauchen können, dann wurde der Dschungel lichter, und eine Schneise führte zu einem offenen Feld. Und dann war mir plötzlich klar, was mich schon beim morgendlichen Aufbruch seltsam vorgekommen war. Ich war noch niemals in Madagaskar, aber hier schon!

Diese Bäume hatte ich schon mal gesehen. Und das Tier, das gerade durch dasUnterholz stromerte, war ein verdammter putziger Wombat! Ich glaubte sogar, einen Platypus zu erkennen, der mit seinem Schnabel durchs seichte Wasser des kleinen Sees ruderte, und das kleine Monster, das gerade neben dem Baum sein gefährliches Gebiss drohend aufriss, das war kein madagassischer, sondern ein Tasmanischer Teufel! Jetzt fehlte nur noch ein Wallaby-Känguru, das über das Gras hoppelt, und ich sollte aufwachen.

 

Als ich abends wieder daheim bei meiner Frau war, erzählte ich ihr alles bis ins Detail, und sie lachte schallend.

"Wombats und Tasmanische Teufel?", rief sie. "Auf Madagaskar? Bist du jetzt völlig verrückt?"

Sie hatte recht. Im Jahr zuvor hatten wir eine Reise durch Westaustralien und Tasmanien gemacht und diese Pflanzen und Tiere dort live gesehen. Nicht auf Madagaskar. Verdammt! Und deshalb bin ich so wütend!

Morgen gehe ich zu TDD und beschwere mich. Die haben wohl irgendwas durcheinander geworfen. Digitales Reisen ist ja vielleicht okay und meinetwegen auch die Zukunft, aber so etwas? Madagaskar und Tasmanien verwechseln oder zusammenmixen, weil das Material nicht reicht? Das geht wohl gar nicht! Und außerdem tun mir die Stellen weh, an denen sie ihre Elektroden an mein Gehirn gepappt haben. Vielleicht eine Allergie? Na denen werde ich mal den Marsch blasen!

Digitales Reisen … pfffff!

 

 

 

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.10.2020

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