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Zutiefst menschlich

 

 

 

"Cheers, mein Freund", rief William Sharp und prostete Henry Greed zu. "Das ist meine letzte Flasche Bulleit Bourbon, die ich noch im Keller hatte. Die hab ich damals gekauft, als alle glaubten, dass die Welt untergehen würde. 2020 war das, glaube ich, erinnern Sie sich noch daran?"

"Ja klar, dieser Mückenschiss der Geschichte, als alle Klopapier hamsterten wie die Weltmeister. Unglaublich, nicht wahr?"

"Klopapier, stimmt", antwortete William. "Als ob das das Wichtigste wäre, wo doch die Hälfte der Welt so etwas gar nicht benutzt. Ich will mir überhaupt nicht vorstellen, womit die sich den …! Egal. Jedenfalls hatte ich mich damals von der Hamsterei anstecken lassen."

"Echt jetzt?"

"Na ja, ich habe Bulleit Bourbon gekauft!"

"Okay", lachte Henry, "das ist verständlich. Give me fife!" Sie klatschten ihre dicken Managerhände aneinander und kippten den Whiskey hinunter.

 

"Ja, das war schon eine schlimme Sache, damals. Lauter Nieten und Egoisten an der Macht, mit null Ahnung, wie Präsident … äh, wie hieß der nochmal? Der mit dem gelben Hamsterfell auf dem Kopf … Anyway. Aber es ärgert mich trotzdem, dass mir der Name nicht mehr einfällt, damned, liegt wohl am Bourbon. Wir beide haben schließlich gute Deals unter seiner Oberhoheit gemacht, oder?" Henry lachte wieder und sagte:

"Na und ob! Doch mit den Hamsterkäufen von damals hatten wir ja nichts zu tun. Die Hamsterei ist was für Kleingeister. Einer kauft hundert Tüten Spaghetti, und alle anderen fallen über den Rest her. Ich, ich, ich. Egal, ob das sinnvoll ist oder nicht. Vermutlich haben clevere Spekulanten die Ängste angekurbelt, in Klopapier und Nudeln investiert und sich damit einen goldenen Arsch verdient."

"… mit dem sie aber auch nur scheißen können! Doch das ist ja kein Argument. Schauen Sie sich die Finanzkrisen vorher an. Da haben Leute um ihr Geld gezittert, gegen die Dagobert Duck ein Hungerleider gewesen wäre. Und sobald es wieder aufwärts ging, hieß die Devise: kaufen, kaufen, kaufen, hamstern, hamstern, hamstern!"

"Stimmt. Aber ich will die Hamster mal in Schutz nehmen. Die legen Vorräte für schlechte Zeiten an. Was aber die Menschen damals gemacht haben, vor allem die Spekulanten, das hat damit nichts zu tun. Das ist einfach Gier. Eine der sieben Todsünden."

 

"Na ich weiß nicht so recht", widersprach Henry Greed. "Schon unsere Vorfahren in der Steinzeit haben nicht nur ein Mammut über die Klippe gejagt, was für die ganze Sippe gereicht hätte, sondern ganze Herden. Je mehr Felle, je mehr Stoßzähne, desto besser, desto angesehener war der Besitzer. Als alle Wale weg waren, haben sie statt Waltran Erdöl gebunkert. Damit lassen sich auch heute noch gute Deals machen, bessere als mit Klopapier. Das ist einfach menschlich, zutiefst menschlich sogar! Man will gewappnet sein, nicht auf andere angewiesen, auf Notfälle vorbereitet sein – das ist menschliche Strategie seit Urzeiten. Klopapier war mal ein lächerlicher Fehlgriff, aber sonst? Eine rein menschliche Reaktion auf eine Bedrohung. Dabei ist doch egal, ob es ein Steinzeitmensch ist oder ein Wallstreet-Banker."

"Dann sind die, die Waffen hamstern, auch menschlich, oder?"

"Na logisch, aber hallo!"

Jetzt lachten beide und ließen die Whiskey-Tumbler klingen. Als die Gläser leer waren und sich ihre Heiterkeit etwas beruhigt hatte, sagte William Sharp:

"Also, Henry, mein Freund, lassen Sie uns zum Geschäft kommen!"

 

"Okay, zur Sache. MCIA, CIA und NSA sind alle zum selben Ergebnis gekommen: Die Russen besitzen zum Status quo 6903 Atomwaffen, 403 mehr als 2019. Und wir immer noch nur 6504."

"Shit! Ist das verifiziert?"

"Absolutely!"

"Aber dann können die Russen die Welt neunundsechzig Mal vernichten, und wir nur fünfundsechzig Mal! Fuck!"

"Dann sind wir im Geschäft?"

"Klar! Wir brauchen mehr auf Lager, viel mehr, zum Teufel! Können Sie liefern?"

"Absolutely. Sofort."

"Aber …" William schluckte kurz. "Aber ist das nicht auch Hamsterei, so wie damals beim Klopapier?"

"Natürlich nicht!", rief Henry. "Das ist nicht Hamsterei, sondern Krisenprävention. Zutiefst menschlich!"

Jetzt lachten sie wieder schallend und schenkten ihre Gläser nach.

 

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Impressum

Texte: BRieser.12420
Bildmaterialien: Günther Gumhold / pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 12.04.2020

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