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Wortspiel(e)

 

 

Es war nicht kalt, aber doch ziemlich kühl. Und außerdem roch es modrig, vermischt mit einem chemischen Hauch von Lack. Aber das Nervtötendste war das ständige plopp – plopp – plopp der Wassertropfen von der feuchten Decke auf den Betonboden.

Julya war sehr genervt. Sie saß auf einer ziemlich weichen Matratze, eingehüllt in eine ziemlich saubere Decke und nuckelte an einer heißen Schokolade, die auch ziemlich gut schmeckte. Genervt war sie vor allem durch die Tatsache, dass ihr linker Arm mit einer Kette an ein Rohr gefesselt war, das sie daran hinderte, einfach aufzustehen und zu gehen.

Wütend starrte sie ihren Entführer an, der auf einem Campinghocker vor ihr saß und ihr einen Teller mit belegten Broten, aufgeschnittenen Tomaten und Essiggürkchen hinschob. Auch ohne Maske hätte er in dem Dämmerlicht, das von einer funzligen Deckenlampe in acht Metern Höhe seine Gesichtszüge an Graf Dracula erinnern ließ, furchterregend gewirkt.

"Bitte, Julya, iss", sagte er mit leiser, alles andere als furchterregend klingender Stimme. "Du musst bei Kräften bleiben. Ich habe dich nicht entführt, damit du verhungerst, sondern weil ich Geld brauche. Und dein Papa hat wahrlich genug davon. Du bist sofort frei, sobald er bezahlt hat. Ist nicht viel. Nicht viel für ihn, für mich schon. Du brauchst nur mit ihm zu reden, wenn ich ihn anrufe, okay? Ich gebe dir mein Versprechen, dass ich dich sofort gehen lasse, sobald er bezahlt hat, okay?"

Wütend rüttelte Julya an der Kette.

"Was heißt schon Versprechen?", schrie sie. "Wenn ich Ihnen verspreche, dass ich mir Ihr Gesicht nicht merke, dann nehmen Sie ihre blöde Maske doch nicht ab, oder? Was ist ein Versprechen denn schon wert?" Der Entführer ließ sich auf die Lehne des Campingstuhls zurücksinken und schloss die Augen.

"Nein, nicht schon wieder!", stöhnte er.

"Wieso nicht? Stimmt doch, oder etwa nicht? König Eduard der Bekenner, König von England, hat dem Herzog der Normandie, Wilhelm der Bastard, versprochen, dass er sein Nachfolger wird. Was war sein Versprechen wert? Null, niente, nada. Der Bastard musste 1066 in England einfallen, um sein Recht zu bekommen. Ich kenne tausend Geschichten und Märchen, in denen Versprechen gebrochen werden. Ich kann aber nirgendwo einfallen. Ich bin ein kleines Mädchen, mit Verlaub!"

"Ja, ja, meine Kleine", antwortete der Entführer gereizt. "Das musst du auch nicht. Du musst nur deinen Paps überzeugen, mit der Kohle herauszurücken. Dann löse ich mein Versprechen ein. Versprochen! Äh … ja."

 

"Versprechen, versprochen. Hm", antwortete Julya. "Ich verspreche Ihnen, das zu tun, aber vielleicht verspreche ich mich. Ihnen etwas versprechen oder mich zu versprechen, das ist doch etwas ganz anderes, nicht wahr? Alles liegt so verdammt nahe beieinander." Sie nahm einen Schluck Schokolade, und bevor der Entführer antworten konnte, plapperte sie weiter: Versprechen, Verbrechen, Erbrechen – lassen wir doch einmal die ganzen blöden Vorsilben weg. Brechen reicht doch!"

"Mädchen…"

"Moment, Herr Entführer. Wenn wir Ent- bei Entführer weglassen, landen wir bei Führer. Heil, mein Führer!"

"Was hat das jetzt…"

"Ich meine, statt Verbrechen reicht doch Brechen. Ich breche dir den Hals, wenn du nicht dieses oder jenes tust, könnten Sie zu mir sagen. Ich verspreche dir den Hals? Na ja, gut. B und P sind doch etwas anderes, einverstanden. Apropos einverstanden. Gibt's auch zwei-verstanden? Nein. Wozu dann das umständliche einverstanden? Das ist doch überflüssig. Gut, es ist extrem unterschiedlich. Ich habe verstanden, dass Sie mich entführt haben, aber einverstanden bin ich damit überhaupt nicht!"

"Verdammt, du machst mich ganz kirre mit deinem Geschwafel! Jetzt iss deine Brote und gib Ruhe!"

Julya richtete sich auf und schimpfte:

"Ruhe geben? Geben ist etwas Aktives, Ruhe etwas Passives. Wie soll das gehen?"

"Halt einfach deinen Rand, du blöde Kuh! Obwohl, du steckst mich schon an. Blöde Kuh ist wie ein weißer Schimmel. Wie heißt das nochmal?"

"Pleonasmus. Oder übergeordnet Tautologie, wie still und leise…"

"Egal. Du blöde Kuh. Kühe sind alle blöd, also ein Prelo…was schnell wieder? Blöd eben. Keiner kann so blöd glotzen wie eine Kuh. Herrgottnochmal! Blöd glotzen geht doch auch nicht. Glotzen ist immer blöd, oder kann man klug glotzen?"

"Nee, das geht nicht. Klug kotzen aber auch nicht, auch wenn mir gerade danach ist."

"Na, das möchte ich sehen, Mädchen", grinste der Entführer. Du hast doch nichts im Magen!"

"Doch. Schokolade und Magensäure."

"Jetzt iss endlich was, bitte! Dein Papa ist ein gewiefter Geschäftsmann. Wenn er dich halb verhungert zurück bekommt, will er die Hälfte des Lösegeldes wieder haben."

"Haha", kicherte Julya. "Obwohl – das wäre für ihn eine Win-win-Situation. Er ist auch ein Fan von Denglish-Geschwafel."

"Du nicht?"

"Nö. Bei Backshop oder take-away krieg ich die Krise. Ich will kein Wegtragfutter, sondern was zum Essen und nicht vom Hinterladen, sondern vom Bäcker. Fack ju Göthe, das ist leider nicht nur ein Filmtitel, sondern Programm!"

 

Der Entführer stand auf und ging nach hinten.

"Ich brauch' jetzt ein Bier, du Nervensäge", rief er über die Schulter zurück. Willst du auch eins?"

"Brauchen im Sinne von benötigen? Sind Sie Alkoholiker? Aber dann brauchen Sie mehr als eins. Ich verzichte zu Ihren Gunsten!"

Aus dem Dunkel der Halle kam nur ein Stöhnen zurück. Als er wieder in seinem Campingstuhl saß und an seiner Flasche nuckelte fragte der Entführer nach einer bedrückenden Weile des Schweigens:

"Was guckst du? Bin ich Kino oder was?"

"Das ist wenigstens nicht denglish, Herr Entführer", antwortete Julya.

"Und? Doch ein Bier?"

"Ich hab doch vorhin gesagt, dass ich verzichte. Verzichten ist das Gegenteil von – was? Zichten? Gibt's das? Zichten? Sie sind ein Ver-Brecher, und andere Brecher gibt's auch. Hals- und Knochenbrecher zum Beispiel. Gesetzesbrecher, Eisbrecher, Einbrecher, Ausbrecher, Abbrecher, Zungenbrecher. Aber Zichten?"

Der Entführer sprang auf, weinte und brüllte gleichzeitig und warf seine Bierflasche wütend in die Dunkelheit. Dann riss er sein Handy aus der Tasche, tippte hektisch eine Nummer ein, lauschte kurz und schrie dann:

"Passen Sie auf, Herr … Vater! Ich verzichte! Sie bekommen Ihre Tochter zurück! Nein! Sie müssen sie zurücknehmen! Ich halte das nicht mehr länger aus, das ist Ihr Job! Sie befindet sich im Keller der alten Lackfabrik, vielleicht Win-win? Nur für Sie? Sie zahlen nichts und haben Ihre Tochter wieder zurück! Wie auch immer, ich bin jetzt weg!"

Er schaltete das Handy aus und sagte zu Julya: "Mädel, du bist eine Plage. Eine wirkliche Plage, aber eine sau-clevere. Jetzt iss endlich deine Brote, die Bullen werden gleich hier sein, dann kann's dauern mit dem Essen. Es tut mir leid, aber eines ist sicher: Du wirst deinen Weg machen. Doch pass auf, sonst erschlägt dich mal jemand."

"Aber, Herr Entführer, was sage ich denn jetzt der Polizei und meinem Vater?"

"Na ja, wortwörtlich alles, was du mir gesagt hast. Das wird ein Mords-Spaß werden, Mädel!"

Er winkte noch kurz und rannte aus der Halle.

 

*****

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: BRieser.17320
Bildmaterialien: BRieser.17320
Tag der Veröffentlichung: 17.03.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dem 1. Moderator des Wortspiels, Jacob Nomus und seinem congenialen Nachfolger Phil Humor

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