Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel
Hacon war wütend, sehr wütend sogar und zugleich am Boden zerstört. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Sein Bauernhof machte zwar tagaus, tagein sehr viel Arbeit, aber er ernährte ihn und seine Familie sehr gut. Er war stolz darauf, was er geschaffen hatte, vor allem auch stolz auf seine hervorragenden Rebsorten. Wein war das, was er am liebsten anbaute. Daneben hielt er natürlich Schafe, Ziegen und Rinder; die Kinder und später die Enkelkinder brauchten ja Milch, und Fleisch war eine wichtige Nahrungsquelle und natürlich ein gutes Tauschmittel. Alles läuft doch so gut, verdammt!, dachte er. Warum nur dieses Unglück? Muss das sein?
Sein Hof hatte ein Problem: Der Boden, den er bewirtschaftete, gehörte ihm nicht. Er gehörte dem Grundherrn, so wie auch die ganzen Ländereien all seiner Nachbarn. Den Hof bewirtschaften, ja. Ihn an die Kindern weitergeben, ja. Aber nur solange alles nach dem Wunsch des Grundherrn verlief. Wenn die Abgaben pünktlich abgeführt wurden, er standesgemäß behandelt wurde und auch sonst alles zu seiner Zufriedenheit verlief, gab es keine Probleme. Aber wehe, wenn nicht …
Der Herr liebte zum Beispiel Fleisch jeder Art und den passenden Wein dazu natürlich auch. Aber ein Nachbarhof hatte einmal Getreide statt der nötigen Anzahl an Schlachtvieh abgeliefert, doch das passte dem Grundherrn überhaupt nicht. Der Streit habe sogar zu massiven Problemen innerhalb der Bauernfamilie geführt, so wurde erzählt. Aber getratscht wird ja überall.
Natürlich war der Herr nicht immer einfach. Manchmal konnte er auch sehr – speziell sein. Aber Hacon hatte noch nie wirkliche Probleme mit ihm gehabt; er bildete sich sogar ein, dass er mit ihm sehr zufrieden war.
Genau deshalb verstand Hacon überhaupt nicht, warum er und seine Familie den Hof verlassen sollten. Der Grundherr hatte von Neuanfang geredet, von Diversifikationen, von Erbgutbereinigungen und anderem hochgestochenem Zeug, das Hacon nicht verstand und ihm auch nicht einleuchten wollte. Ziegen, Schafe, Rinder – das war doch wohl genug! Aber weit gefehlt. Man müsse andere Arten aufnehmen, sogar von Würmern und anderem ekligen Viehzeug war die Rede, das den Boden biologisch aufbereiten solle; Pflanzen und Tiere, von denen Hacon noch nie etwas gehört hatte, sollten die strahlende Zukunft sein und noch viel mehr, das einen Neuanfang nötig mache.
"Ja, schön und gut", hatte Hacon gefragt, "aber wie soll ich mit meiner Familie das schaffen?"
"Mach dir keine Sorgen", antwortete der Gutsherr. "Glaub an mich, du machst das schon!"
Kurze Zeit später kam er wieder auf den Hof. Hacon schenkte dem Grundherrn seinen besten Wein ein, der ihm sichtlich schmeckte. Nach einigen Gläsern leckte er sich die Lippen und rollte dann eine Zeichnung aus, die er aus seinem Gewand gezogen hatte. Hacon kippte fast vom Stuhl und mehrere Humpen Wein in sich hinein, als er darauf erkannte, was es war. Es war ein Bauplan. Ganz sicher.
"Nur ruhig!", lachte der Grundherr. "Ich weiß, so etwas hast du noch nie gesehen. Schau dir doch mal deine erbärmliche Hütte dagegen an. Das hier wird dein neues Zuhause. Genug Platz, supermodern, ist das nicht genial?" Hacon blies lautstark Luft ab.
"Drei Stockwerke?"
"Mmm. 300 Ellen lang, 50 Ellen breit und 30 hoch – das nenn ich ein Haus!"
"Herr, untertänigst, habt Ihr den Verstand verloren? Wozu soll das gut sein? Das soll unser neues Heim werden? Bisschen groß, findet Ihr nicht? Wer soll die Burg denn noch bewohnen? Alle unsere Nachbarn vielleicht? Das geht nicht gut! Wer soll das Haus bauen, und wo soll es eigentlich stehen?"
"Viele Fragen auf einmal", lächelte der Grundherr und tätschelte Hacons Arm.
1. Ich will mein Land neu bestellen und ummodeln, also kommt alles mit, was gebraucht wird.
2. Die Nachbarn nicht. Die haben mich schon lange genug geärgert.
3. Wer soll es bauen? Du natürlich, wer sonst?
4. Wo? Das wird sich zeigen. Schau den Plan noch mal genau an!"
Hacon zog den Plan noch mal zu sich rüber und wurde blass.
"Ja, jetzt sehe ich es! Das ist ein gottverdammtes Schiff! Was, zum Teufel, soll das?"
"Vorsicht, mein Freund, nicht fluchen, und den Widersacher lassen wir auch aus dem Spiel. Aber es ist doch klar. Ich flute den ganzen Quatsch, warte, bis das ganze Kroppzeug weg ist, und dann geht es von vorne los mit Besiedeln, Säen, und Pflanzen, alles mit dem guten Genpool, der mit auf der Arche ist, klar? Und du bist dabei, Partner. Wir machen einen Vertrag. Und jetzt sitz nicht hier rum, mach dich an die Arbeit, du hast nicht viel Zeit!"
Als Hacon wieder klarer wurde, schüttelte er nur den Kopf. "Wie verrückt ist das denn?", fragte er sich. Aber was hatte er denn für eine Wahl? Keine. Und so beschloss er, mit dem Bau zu beginnen. Im Westen zogen schon dunkle Wolken auf.
Aber eines nahm er sich vor, und er schrie es mit aller Kraft hoch zum Himmel:
"Wenn dieser ganze verdammte Mist vorbei ist und ich wieder Boden unter den Füßen habe, dann pflanze ich als erstes Wein an. Und von der ersten Ernte besaufe ich mich gnadenlos! Das schwöre ich, so wahr mir du hilfst, Gott!"
Und das tat er auch, wie in der Bibel (1. Mose 9.20.) nachzulesen ist.
Dann stellte Hacon, einer unserer Urväter, seinen Namen um. Wahrscheinlich auch im Suff. Aus Hacon wurde Noach.
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Texte: BRieser.11119
Bildmaterialien: Bert Rieser
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2019
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