Magie, f. zauberkunst; früher als fremdwort in lat. gewande (magia) erscheinend, seit dem 17.jahrh.
in der angegebenen form […] sich einbürgernd […]
Wörterbuch der Gebr. Grimm
Magie, die: Eine Kunst, durch die Aberglaube in Geld verwandelt wird.
Ambroce Bierce, Aus dem Wörterbuch des Teufels
Magie: der böse, verstoßene Stiefbruder der Religion
Bert Rieser, BookRix
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Wenn man sich mit einem Thema befasst, etwas dazu schreiben will, beginnt man erst einmal mit einer Recherche darüber. Das geht heutzutage über das Internet sehr schnell und bequem. Oder man wählt den altmodischen Weg über gedruckte Dateien, sprich Bücher. Und was wäre wohl ein adäquates Buch, wenn man etwas über Magie erfahren möchte?
Zum Beispiel das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens von 1933, das mir in einer Lizenzausgabe der Verlagsgruppe Weltbild vorliegt. Diese zehn Taschenbücher haben zusammen etwa 15.000 Seiten und nehmen in meinem Regal ca. einen halben Meter Platz ein. 15.000 sehr klein gedruckte Seiten über den deutschen Aberglauben – da müsste doch einiges zum Thema Magie zu finden sein, denke ich mir.
Ich schlage Band 5 (Knoblauch – Matthias) auf, und finde auf Seite 1479:
-Magie s. Kunst, Zauberei
Aha. Kunst. Muss auch im Band 5 zu finden sein, und da ist sie auch. Zwischen Kunkelevangelium und Kupfer.
-Kunst (schwarze, weiße, Magie).
Dort stehen auf zwölf engbedruckten Spalten sehr lehrreiche Erklärungen, gefolgt von 181 Fußnoten. Ich muss gestehen, dass ich mich nicht in der Lage sehe, das wirklich zu lesen, was man mir bei der geballten Ansammlung von solchen Sätzen wohl nicht übelnehmen wird:
"Um 1458 redet der 'Richterliche Klagspiegel' von Leuten, ^ die sprechen das sij künnen […] die schwartzen kunst nigromancia oder magica genannt […] ^"
Und der zweite Verweis Zauberei ist kurioserweise überhaupt nicht zu finden. Aber verständlich, das ganze Handwörterbuch handelt ja davon.
Frustriert räume ich die 10 Kilogramm Papier wieder ins Regal und ärgere mich ein wenig über mich selbst. Ich kann keine Bücher wegwerfen. Also muss ich das Thema von einer anderen Seite aus angehen.
Von der Antike bis in die Neuzeit war Magie die Beschreibung für etwas, das man nicht erklären konnte. Das konnte gute oder böse Ursachen haben. Und man konnte die Magie benutzen, um Gutes oder Böses zu bewirken. Zum Heilen oder zum Verhexen. Schon in der Steinzeit war sie überall präsent, und sie wurde nur zum Problem, wenn Amateure den Profis ins Geschäft pfuschten.
Wenn ich es schaffe, dass 'mein Volk' mich zum Häuptling macht, und wenn ich feststelle, dass dieser Job ganz vorteilhaft für mich und meine Familie ist, dann überlege ich, wie ich es anstellen muss, damit das auch für meine Nachfahren so bleibt. Wie schaffe ich es, dass 'mein Volk' gesund und reproduktionsfreudig wird und sich gegen das Nachbarvolk durchsetzen kann? Ich bediene mich der magischen Fähigkeiten einiger meiner Untertanen, lasse sie eine Religion daraus machen und erlasse Gesetze, die von den dann etablierten Priestern als göttlich bezeichnet werden. Und wenn ich ein Pharao oder so etwas bin, dann werde ich halt selbst zum Gott. Aber das muss schnell gehen, wie man an der biblischen Geschichte vom Tanz ums goldene Kalb sehen kann. Die Gesetze müssen als göttlich angesehen werden, dadurch kann man auch die Folgen der Völlerei durch Fastenzeiten dämpfen, die Trichinellose durch Verbot von Schweinefleisch eindämmen und Krieger voller Zuversicht in den Krieg schicken.
Ich habe von meinem Urgroßvater ein Gebetbuch von 1885 geerbt mit dem Titel:
"Mit Gott für König und Vaterland oder Der Soldat, wie er sein soll im Krieg und im Frieden"
Das ist aber nur für katholische Soldaten gedacht, nicht für die ketzerischen Lutheraner. Und auch nicht für katholische Feinde.
Die Magie wird schon sehr früh durch Religionen ersetzt, ihre Macht wird schon in der Steinzeit durch gewaltige Bauwerke demonstriert, und ab da wird es für Magier gefährlich. Denn sie wildern im Bereich der etablierten Priesterschaften. Besonders Frauen haben es schwer, und schon eine einzige Denunziation kann auf den Scheiterhaufen führen.
In der Bibel steht, dass ägyptische Zauberer Gott geholfen haben, die Plagen über das Land zu schicken, damit der Pharao die Israeliten ziehen lässt. (2. Mose 7-10).
Warum braucht Gott die Hilfe von ägyptischen Zauberern? Und womit hat er sie für ihren Verrat bezahlt? Egal. Aber nur wenig später heißt es: "Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen (2. Mose 22). Undank ist Gottes Lohn. Na ja, da steht Zauberinnen. Das kann man leichter akzeptieren.
In schauerlich vielen Gegenden dieses Planeten gibt es noch Praktiken, gegen die nicht einmal etablierte Religionen ankommen. Karibik, Südamerika, Orte in den USA, von Afrika ganz zu schweigen, wo Frauen aus Dörfern fliehen müssen, um nicht als Hexen ermordet zu werden. Und Asien ist keineswegs besser dran.
Abendländische Magie hat sich mit dem Lauf der Zeiten geändert. Die Hermetik, die Alchemie, die Kaballa, das Tarot bis zur Esoterik. Die Magierclubs anfangs des 20. Jahrhunderts um Madame Blavatzky, Aleister Crowley und andere Okkultisten sind ebenso Geschichte wie die Nazi-Eso-Spinnereien eines Alfred Rosenbergs, Otto Rahns, Heinrich Himmlers oder Mitgliedern der Thule-Gesellschaft.
Aber das sind alte Geschichten. Heutzutage ist davon nichts übrig geblieben außer Illusionen. Abrakadabra - Hokuspokus Fidibus, dreimal schwarzer Kater.
David Copperfield oder die Ehrlich-Brothers arbeiten mit höchstem technischem Aufwand an ihren Tricks, das ist sensationell und unterhaltsam, aber mit Magie hat das nichts mehr zu tun.
Schon als Kind war mir klar, dass alle Zauberei nur Tricks sind, und ich denke heute noch daran, wie der Zauberer in einer kleinen Wanderzirkusmanege einen Löwen schwuppdiwupp von einem nur kurz verhüllten Käfig in einen anderen, vorher leeren Käfig teleportierte. Nachdem der Zirkus weitergereist war, habe ich den Boden untersucht, wo das Zelt stand. Ich fand natürlich keinen versteckten Tunnel. Bis heute kann ich es mir noch nicht erklären, wie das funktioniert hat, und ich will es auch nicht wirklich wissen. Denn dann wäre die Magie vorbei.
Magie? Habe ich nicht gerade geschrieben, dass das nichts mit Magie zu tun hat? Was stimmt nun? Was ist denn heute noch magisch? Es gibt phantastische, unglaubliche Bilder und Filme im Internet, aber ich befürchte, dass die meisten gefaked sind. Markus Söders Kopf auf dem Körper von Godzilla ist zwar extrem realistisch gemacht (und auch passend ;), aber nicht magisch.
Magisch sind ganz andere Dinge:
Der Blick von einem Sandstrand im Süden übers Meer, in dem die Sonne versinkt. Oder das Wabern der Polarlichter. Oder der Nebel über einem Hünengrab im Moor. Oder das erste zarte Grün nach dem Winter. Oder der besondere Blick einer Frau, eines Mannes, eines Kindes beim Vorübergehen. Oder der einsame Gesang einer Nachtigall. Oder … oder ….oder - die Liste ließe sich beliebig verlängern, je nachdem, welche Vorlieben jemand hat, je nachdem, was für ein Typ der Mensch ist, der nach Magie gefragt wird.
Mein Vater hätte mich nur verständnislos angeschaut, meine Mutter dagegen die Liste endlos verlängert.
Wenn jemandem ein schöner Sonnenuntergang oder das Durchwandern einer Schlucht in den Alpen gefällt, muss er das noch lange nicht als magisch empfinden, aber er kann. Jemand besucht sogenannte Orte der Kraft und spürt diese auch, ein anderer hält das für Spinnerei.
Wenn seichter Aberglauben etwas mit Magie zu tun hat, sind wir noch heute magiesüchtig. Ich sage nur schwarze Katzen, Kaminkehrer, Glücksschweine und –käfer, Osterfeuer und Walpurgisnacht, Hexentreffen am Tanzplatz im Schatten des Brockens, über die Schulter spucken und "toi, toi, toi" rufen und so weiter.
Ich selbst, ein vielleicht atheistischer Agnostiker, habe einige Elemente des Feng Shui im Garten verarbeitet, und Gargoyles statt Gartenzwerge wachen darüber. Warum? Vielleicht geht es mir wie Niels Bohr. Der Physiker und Nobelpreisträger hatte ein Hufeisen über seiner Tür hängen, und als ihn sein Kollege Pauli einmal fragte, ob er wirklich daran glaube, dass das Glück bringen würde, antwortete er: " Man hat mir gesagt, dass das auch wirkt, wenn man nicht daran glaubt." Das ist dann vielleicht auch Magie, oder einfach nur ein Witz.
Ich empfinde gewisse Orte als magisch, wie etwa die gewaltige Säulenhalle von Karnac bei Luxor, die Monolithfelder von Carnac in der Bretagne, Stonehenge oder die Engelsburg. Aber auch den kleinen versteckten Weiher, zehn Fahrradminuten von zuhause. Eine tolle Illusionistenshow dagegen finde ich super, aber nicht magisch.
Ein Freund von mir meint, dass die Allianzarena magisch sei, vor allem, wenn die Bayern ein Heimspiel haben, mich dagegen würden weder Geld noch gute Worte dahin bringen. Er meint auch, dass man die alten olympischen Stätten planieren und neu anlegen sollte, die alten Steine wären doch nur im Weg. Und Bauruinen gäbe es auch in Singapur oder Los Angeles. Das brachte mich wiederum auf die Idee, darüber nachzudenken, was denn an L.A. so magisch ist, dass man als Promi unbedingt dort wohnen will. Vielleicht das Hollywood-Schild? Der Walk of Fame? Ich finde nichts daran magisch, nicht einmal sehenswert, eine Stadt, für die ein zweiter Besuch Zeitverschwendung wäre. Das ist halt Geschmackssache.
Die Menschen sind verschieden, und das ist gut so. Denn sonst wäre das Leben unerträglich langweilig. Monotonie tötet jede Phantasie, den Schmierstoff des Denkens. Nicht benutzte Gehirnzellen degenerieren, wofür es gerade heute viele Beispiele gibt. Und Phantasie ist es, was das Denken anregt. Und wenn daraus Magie entsteht? Dann ist es doch nur gut, oder?
In diesem Sinne, lieber Leser: Glaube, was du willst, solange du andere nicht damit nervst oder ihnen sogar schadest, erfreue dich an allem, was dir wichtig ist, und wenn ein paar magische Momente dabei sind, dann umso besser!
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Texte: BRieser.201117
Bildmaterialien: BRieser.201117
Tag der Veröffentlichung: 20.11.2017
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