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Jahrestagung

 

 

 

"Meine sehr geehrten Damen und Herren,

hiermit habe ich die Freude, die Jahrestagung unserer Ehrenwerten Loge Glossa Annanéona zu eröffnen und Sie alle herzlich willkommen zu heißen.

Der Form halber muss ich Sie, ehrenwerte Brüder und Schwester, noch darauf hinweisen, dass Sie wie immer ohne Ausnahme zu strengstem Stillschweigen verpflichtet sind. Das betrifft auch jegliche Aufzeichnungen schriftlicher oder elektronischer Art. So.

Lassen Sie mich als Vorsitzenden jetzt einen kurzen historischen Rückblick über die Bemühungen geben, die Sprache so zu verändern, dass sie für gewisse Zwecke gezielt eingesetzt werden kann.

Wenn ich mich nicht irre, war es Aristoteles, der sich zu seiner Zeit beschwerte, dass die Jugend die Schrift missbrauche um sich zu verständigen, anstatt des gesprochenen Worts von Mann zu Mann. Er konnte nicht ahnen, welche Entwicklungen und Wandlungen Schrift und Sprache seit den klassischen Zeiten vollzogen haben. Aber allen Herrschern war klar, welche Macht Sprache über das tumbe Volk hat. Von Demosthenes, der sich Steine auf die Zunge legte, um seine Sprachgewalt zu üben, bis zu Adolf Hitler, der erkannte, dass seine eigentliche Begabung nicht die Malerei war, sondern sein Redetalent. Wir sehen auch, wie schwer es ein Sprachversager wie der stotternde King George VI hatte, oder Heinrich Lübke, der in Afrika eine Rede mit der Begrüßung: Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger begann.

Jahrhunderte lang war man der Meinung, dass ein Volk oder eine Volksschicht umso höher gestellt sei, je elaborierter ihr Sprachcode war. Die englische Sprache hat einen Wortschatz von etwa 600.000 Wörtern, die deutsche von 500.000, wobei zu sagen ist, dass die deutsche Grammatik viel komplexer als die englische ist und deshalb eine deutlich differenziertere Ausdrucksmöglichkeit bietet. Oder bieten könnte, genauer gesagt.

Estnisch dagegen verfügt lediglich über 120.000 Wörter. Und die Japaner? Die hatten ursprünglich eine noch viel geringere Zahl zur Verfügung, die sie nur durch den Import anderer Schriftzeichen etwas erhöhen konnten. Na und? werden viele fragen, die von den Forschungen unserer Ehrenwerten Loge nichts wissen. Wir würden mit einer Gegenfrage antworten: Wie viele englischen Dichter, Denker, Schriftsteller, Philosophen sind bekannt, haben es zu Weltruhm gebracht, wie viele aus dem deutschen Sprachraum? Nun ja, eine gewaltige Menge. Und wie viel bedeutende estnischen Dichter und Denker gibt es? Wie viel japanische Philosophen haben die Welt beeinflusst? Richtig. Null! Die Ursache ist klar: Diese Sprachen sind zu einfach, um komplexere Zusammenhänge schriftlich ausdrücken zu können.

Für unsere Arbeit, für unseren Plan wären das eigentlich ideale Bedingungen, wenn nicht die Bevölkerung dieser Länder das Manko durch direkten Kontakt mit den Mitmenschen und sprachliche Variationen, wie etwa verschiedenste Betonungen der einzelnen Wörter, ausgleichen würde.

Diesen verbalen und nonverbalen Einfluss weltweit bei allen Sprachen zu minimieren, daran arbeiten wir. In den USA sehen wir ja schon die Erfolge in der Verschluderung der Schriftsprache. Xmas für Weihnachten, PedXing für Fußgängerübergang, NoThru, 4you, etc.

Und wo die Briten noch vor kurzer Zeit an öffentlichen Brunnen Schilder angebracht hatten, auf denen stand: This water is not suitable for human consumption, hängt nun das primitive amerikanische don't drink. Genau das brauchen wir. Die Beschränkung auf das unbedingt Notwendige.

Den gewaltigsten Sprung in diese Richtung machten wir vor nicht einmal dreißig Jahren mit der Abschaltung des Arpanets und Einführung des kommerziellen, jedermann zugänglichen Internets. Und damit konnten unsere amerikanischen Freunde im Silicon Valley ihre sozialen Medien etablieren, die wir heute immer besser für unsere Zwecke einsetzen können.

Wenn unser großer Vordenker, George Orwell, das erlebt hätte! Seine 'Neusprache' hatte genau die Elemente, die wir für unsere Zwecke brauchen. Extreme Vereinfachung und Ausmerzung gewisser unerwünschter Bestandteile der 'Altsprache', die dazu dienen könnten, den Herrschaftsanspruch der Regierung in Frage zu stellen. Nur gab es 1949, als sein Roman 'Nineteen Eighty-Four', auf Deutsch '1984', erschien, keinerlei Möglichkeiten, das technisch zu verwirklichen. Auch nicht in Diktaturen wie Stalins Sowjetunion, in China unter Mao Zedong, im Griechenland von General Metaxa und später der Junta, oder in Francos Spanien. Geschweige denn in der sogenannten 'freien Welt', die ein begnadeter Entertainer mit seltsamer Frisur heute immer noch anzuführen glaubt."

Der Vorsitzende wartete einen Moment, hob dann die Hand, um das hämische Gelächter abklingen zu lassen und fuhr fort:

 

"Ehrenwerte Logenmitglieder, lachen Sie bitte nicht. Dazu besteht kein Grund, denn besagter Herr ist der lebende Beweis, dass unsere Bemühungen um unsere Sprache süße Früchte tragen. Ich komme gleich darauf zurück, aber lassen Sie mich noch einmal in die Geschichte eintauchen.

Ausgerechnet das Land, das sich die Freiheit auf seine Fahne geschrieben hat, das Land, das in seiner Unabhängigkeitserklärung niederlegt, dass alle Menschen gleich sind, dass sie nach Freiheit und Glück streben dürfen, dass sie eine Regierung bilden und wieder absetzen dürfen, wenn sie das nicht gewährleistet, ausgerechnet das Land, das kleinen Jungs das Schießen beibringt, sie aber einsperrt, wenn sie ihren Schwestern beim Pinkeln helfen, das Land, das überzeugt ist, God's Own Country zu sein und deshalb berechtigt ist, andere Länder in die Steinzeit zu bomben, ausgerechnet dieses Land hat uns die Werkzeuge verschafft, mit dem wir unsere Ziele verfolgen können. Nämlich die Computer, die PCs und das Internet für alle.

Von da ab verwandelte sich das Sprach- bzw. Schreibverhalten von Grund auf. Ich erinnere nur an die ersten Kürzel wie LOL, ROFL, AAMOF oder ähnliche, die sich zusammen mit der Einführung der Emoticons weltweit verbreiteten. Die Kürzel ersparen Erklärungen, und die Emoticons eine face-to-face Kommunikation; mit einem Klick ist alles erledigt.

Sehen Sie sich nur die Kommunikation in den sogenannten Sozialen Netzwerken heutzutage an. Ich nehme jetzt als Beispiel nicht das Portal unseres Freundes Mark Zuckerberg oder ähnliche Angebote, sondern ein erfolgreiches Forum für Schriftsteller und Lyriker, nämlich BookRix. Suchen Sie sich ein beliebiges junges Mitglied heraus, sagen wir mal xarandranoway123, und verfolgen Sie die Postings bzw. Threads. Ältere unter uns werden kaum mehr als ein unverständliches Sammelsurium von Emoticons, Abkürzungen und kryptischen Zeichenkombinationen erkennen, durchsetzt mit Worthülsen wie cool oder geil, wenn die nicht schon wieder out sind.

Diese Kids haben wir schon im Sack. Ihre Sprache hat sich im Orwellschen Sinne schon so versimplifiziert, dass ihr Denken diesem Muster folgt, wie unser geschätzter Logenbruder Dr. Dr. Meinhardt heute Nachmittag erklären wird. Perfekt.

Die selbstlernenden Worterkennungssoftwares auf Rechnern und Smartphones tragen auch dazu bei, die Sprache zu vereinfachen und bereiten damit den Boden für unsere Sponsoren aus Wirtschaft und Politik. 'Andere Kunden haben auch dieses oder jenes gekauft'. Die Beeinflussung in unserem Sinne greift. In politischer Hinsicht nennt man das Fake-News. Wer erkennt schon die immer besser gemachten Lügen? Wenn der User im Netz surft, wird ihm immer genauer das vorgeschlagen, was er glaubt, zu suchen. Mit jeder 'Recherche' wird das präsentierte Portfolio exakter an ihn angepasst. Er ist in einer filter bubble gefangen, einer Informationsblase, wo er immer wieder und immer gezielter in seinem Weltbild bestärkt wird. Probieren Sie es aus. Lassen Sie zwei Personen auf ihren Rechnern die gleiche Suchanfrage bei Google eingeben – sie werden unterschiedliche Ergebnisse erhalten. Das ist genial! Dank an dich und dein Team, lieber Mark!

Was hindert den Seitenbetreiber, dem User Informationen zu geben, die wir verbreiten wollen? Nichts. Wir bezahlen dafür, der User nicht. Wir sind auf einem guten Weg, ehrenwerte Logenmitglieder.

Lassen Sie mich jetzt, wie versprochen, auf den derzeitigen amerikanischen Präsidenten zurückkommen.

Eine Lachnummer? Nun ja. Aber er hat es geschafft, bei den Saudis, den Erzhalunken, was Terrorfinanzierung betrifft, gutes Wetter zu machen und einen gewaltigen Waffendeal abzuschließen, weil ja eigentlich die Kataris die Terroristenfinanciers seien, und wenige Tage später verkauft er ein riesiges Waffenarsenal nach Katar. Warum explodiert jetzt die Welt, die gerade unter Anschlägen zu leiden hat, nicht vor Wut und ächtet den Schurkenstaat USA, bis der Irre dort verschwindet? Ich werde es Ihnen sagen: weil Trump unser System anwendet!

Unser ehrenwerter Logenbruder Stephen Bannon hat es als sein Berater geschafft, ihn in unserem Sinne zu manipulieren. Vor allem durch sein 'Informations'-Portal Breitbart, das vorwiegend, sagen wir einmal … Phantasienachrichten verbreitet. Breitbart bekommt monatlich 45 Millionen Klicks, Tendenz stark steigend.

Trump hat geäußert, dass Breitbart ein Geschenk sei, und Bannon manipuliert ihn damit so, dass wir bald wieder in die Weltordnung von früher zurückkehren können. Bannon hat für Trump die Wahl gewonnen, und jetzt will er auch nach Deutschland expandieren. Hallelujah! Aber wie schafft er das? Durch die Sprache.

Breitbarts 'Redakteure' kommen authentisch rüber. Sie geben vor, zu sagen, was sie denken und deshalb auf Politcal Correctness zu scheißen. Und das kommt an bei den Leuten. Gleichzeitig werden verstärkt Floskelwolken aufgebaut, auch von uns. Nehmen wir nur zum Beispiel mal das Thema Flüchtlinge. Die Wörter Flüchtlingsansturm, Flüchtlingsflut, Obergrenze, Altparteien oder Überfremdung stammen von uns. Klar, der Begriff Überfremdung kommt aus der Nazizeit und natürlich klingen Flüchtlingsansturm und Flüchtlingsflut bedrohlicher als Hilfesuchende Menschen. Aber die Mainstream-Medien verwenden diese Begriffe auch. Anfangs in Anführungszeichen gesetzt oder z.B. durch ein vorgesetztes sog. wie beim sog. 'Islamischen Staat' als Zitat gekennzeichnet, aber mit der Zeit wird das weggelassen, und das Wort landet im allgemeinen Sprachgebrauch. Auch wenn das von den alten Medien nicht unbedingt gewollt wird, macht man damit Meinung.

Wenn man beispielsweise zur Abgrenzung der AfD alle etablierten Parteien als 'Altparteien' bezeichnet, suggeriert man bewusst oder unbewusst, dass die AfD im Gegensatz dazu jung, neu, frisch sei. So kann man den allgemeinen Sprachgebrauch immer weiter nach rechts verschieben.

… Äh, werte Logenmitglieder, ich verspüre jetzt etwas Unmut von Ihnen. Das waren lediglich Beispiele, wie das funktioniert. Rechts oder links, Fremdenhass oder Willkommenskultur – das interessiert die Ehrenwerte Loge Glossa Annanéona selbstverständlich per se nicht, sondern nur das, was ihr zum Vorteil gereicht."

Er machte eine kurze Pause, trank einen Schluck Wasser und sprach erst weiter, als sich das Gemurmel gelegt hatte.

 

"Wodurch, liebe Logenmitglieder, bildet sich der Bürger eine Meinung? Durch Fakten? Nein, durch Frames. Framing heißt in etwa, die Information in ein Denkraster setzen, in eine Schublade legen.

Die Linguistin Elisabeth Wehling meint, dass gutes politisches Framing bedeutet, seine moralische Sicht auf Fakten transparent zu machen. Und sie meint weiter, dass Donald Trump das perfekt beherrscht. Er macht drei Dinge richtig:

Erstens: Er wiederholt, wiederholt, wiederholt. Wenn er twittert: so sad, so sad, so sad, setzt diese sprachliche Wiederholung im Gehirn einen Lernmechanismus in Gang, aufgrund dessen sich seine Ideen dann im Leser so richtig festsetzen.

Zweitens hat er von Anfang an Frames gesetzt und ist ihnen treu geblieben. Zum Beispiel den Frame von sich als autoritäre Vaterfigur, als Big Daddy.

Und drittens ist er ideologisch extrem authentisch. Er hat schon immer gesagt, dass er von staatlicher Fürsorge nichts hält, ebenso hält er nichts von anderen Nationen. Wenn er immer wieder sein Paradigma America First! verbreitet, ignoriert er bewusst, dass der amerikanische Kontinent nicht nur aus den USA besteht. Er findet manche Bevölkerungsgruppen weniger wert als andere und propagiert Wettbewerb, Wettbewerb, Wettbewerb, während er ihn gleichzeitig behindern und kanalisieren will. America First! Das ist genial. Zum Glück weiß noch niemand, wer ihm das gelehrt hat.

Wir zahlen Millionen an Thinktanks wie die Heritage Foundation, die für uns Frames entwickeln und freisetzen, und wenn uns jemand wie die Berkley-Professorin Elisabeth Wehling auf die Schliche kommen sollte, haben wir geeignete Abwehrmaßnahmen. Sie verstehen, was ich meine…

 

Bevor ich jetzt dem Experten Dr. Eric Arthur Blair das Pult überlasse, der über den gezielten Einsatz von Social Bots und Social Targeting referieren wird, will ich noch einen Satz von Frau Wehling zitieren:

 

'Kein Wort kann außerhalb von Frames gedacht, ausgesprochen und verarbeitet werden. Wann immer Sie ein Wort hören, wird in Ihrem Kopf ein Frame aktiviert.'

 

In diesem Sinne lasst uns mit aller Kraft an unserem Werk arbeiten, liebe Freunde, damit seine Erfüllung nicht bis 2084 dauert. Und achten Sie auf Ihre Sprache!

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

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Impressum

Texte: BRieser.19617
Bildmaterialien: BR unter Verwendung eines Bildes von Carola Langer, pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2017

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