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Halali

 

Die Forensikerin Doktor Miranda Bellini war wütend. Stinkwütend. Wie konnte dieser Kerl ihre Expertise in Frage stellen? Der Gutachter der Verteidigung, Prof. Dr. Dr. Heinrich Flaubert, tat sogar noch mehr; er verstieg sich dazu, ihre Stellungnahme in Bausch und Bogen als falsch und zum Reich der Phantasie gehörend zu bezeichnen. Seiner Meinung nach hatte sich das junge Mädchen eindeutig selbst in die Tiefe gestürzt. Allenfalls sei noch an einen Unfall zu denken, etwa beim Fensterputzen. Was für ein blödsinniger Gedanke! Die Praktikantin Leiza Böttner macht dem Hausmeisterservice des Bürohochhauses Konkurrenz und reinigt das Fenster eines Zimmers – noch dazu ohne Leiter und Putzzeug? Eine wahrlich bizarre Vorstellung, die sogar den Vorsitzenden Richter zu einem Stirnrunzeln veranlasste. Und Suizid? In Leiza Böttners Blut fand Dr. Bellini Spuren von Dimazol-3.4-dibarcoin, einem Betäubungsmittel, das ähnliche, wenn auch stärkere Wirkung hervorruft, wie K.-o.-Tropfen. Problem bei Ermittlungen ist nur, dass das Zeug sehr schwer zu bekommen ist und daher Fahndungen im Dealermilieu fast aussichtslos sind. Außerdem wird diese Droge auch nach dem Tod durch den noch 24 Stunden weiterlaufenden Stoffwechsel vollständig abgebaut und ist nicht mehr nachweisbar. Die nachrangige Leichenschau durch den Gutachter der Verteidigung ergab daher nichts in dieser Richtung und erlaubte Prof. Flaubert, Miranda Bellini eine Fehldiagnose zu unterstellen. Zudem konnte er angeblich keine der von Dr. Bellini festgestellten Blutergüsse und Würgemale entdecken. Der Körper sei durch den Sturz aus dem 18. Stock so entstellt worden, dass alles nur Spekulation sei.

 

Während sich das Gericht zur Beratung zurückzog, setzte sich Hauptkommissar Rudolf Reichert zu Dr. Bellini und versuchte, sie zu beruhigen.

"Hast ja recht, Doc", sagte er und legte die Hand auf ihren Arm, "der ganze Fall stinkt zum Himmel. Der Druck von Unterstaatssekretär Taube – du weißt schon, die taube Nuss – auf meinen Chef, weitere Nachforschungen zu unterlassen, dann dieser Prozess, der Gegengutachter, der seltsame Staatsanwalt, der gelangweilte Richter – das macht mich auch richtig wütend. Ich meine, Hendrik Schaffke wurde in Berlin wegen Vergewaltigung schon einmal verurteilt. Und seit er in München ist, hatte er schon einige Verfahren am Hals, die alle schnell eingestellt worden sind. Immer die gleiche Geschichte. Keine Beweise. Immer dieselbe Strafkammer, derselbe Verteidiger, derselbe Staatsanwalt. Und dann hat sich Schaffke die Praktikantin Leiza Böttner vorgenommen. Aber diese kannte seinen Ruf und hat sich gewappnet. Sie hat alles mit ihrem versteckten Smartphone aufgenommen. Und das wollte sie ihm an ihrem Todestag vorspielen und ihn erpressen. Dumm, dumm. Ihr Freund hat ja ausgesagt, dass er sie davon abhalten wollte, obwohl er die Aufzeichnung gesehen und vor Wut gekocht habe. Er hat das sogar unter Eid gesagt. Aber sie lässt sich nicht aufhalten und meint, dass sie es dem Kerl richtig zeigen müsse. Entweder er würde verdammt viel zahlen, oder endgültig aus dem Verkehr gezogen werden. Und dann geht sie abends mit dem Beweismaterial zu ihm ins Büro. Allein. Tragisch dumm. Aber wem erzähle ich das, du kennst ja den Fall, Doc."

"Ja, und das Schwein zaubert jetzt auch noch zwei 'honorige' Kronzeugen aus dem Hut, mit denen er angeblich zur fraglichen Zeit im Herrenclub Monazensus war. Und Leizas Freund bekommt jetzt wahrscheinlich noch ein Verfahren wegen Falschaussage und übler Nachrede an den Hals, weil das Smartphone nirgends zu finden war. Porco dio! Ich werde immer wütender! Aber wir müssen wieder in den Saal, Reichert."

 

Stehend und schweigend nahmen die Zuhörer die Urteilsverkündung zur Kenntnis:

"Blabla, blabla … der Angeklagte wird freigesprochen."

Noch bevor die Anwesenden aufgefordert wurden, sich zur Verlesung der Begründung zu setzen, schrie jemand laut in den Saal:

"Du Mörder, du Drecksau, ich krieg' dich, du wirst deines Lebens nicht mehr froh, ich schwör's!" Das Knallen der Saaltür überdeckte fast das laute meckernde Lachen des eben Freigesprochenen.

 

*

"Ich weiß nicht, Doc", sagte Reichert zwei Tage später zu Miranda Bellini. Sie hatten sich in der Cafeteria des Präsidiums getroffen und rührten nahezu synchron in ihren Kaffeetassen herum. "Ich weiß nicht. Die Akte ist geschlossen, der Fall beendet, und ich wurde angehalten, den Fall zu vergessen. Der Herr Hendrik Schaffke sei genug belästigt und vorverurteilt worden, und es könnte gehörigen Ärger geben, wenn …"

"Ach Reichert", lachte die Forensikerin, "mach mir nichts vor. Du bist ein Bluthund, du kannst mit dem Ergebnis nicht ruhig schlafen."

"Stimmt, Doc. Ich habe noch weiter recherchiert. Pass auf, kennst du die Zwanglose Gesellschaft München?"

"Scusi?"

"Die Zwanglose Gesellschaft ist einer der ältesten Münchener Herrenclubs, gegründet 1837. Und fast ebenso lang gibt es den Club Monazensus. Der Unterschied der beiden ist, dass die Zwanglosen eine Vereinigung honorabler Herren ist, die den Künsten, Wissenschaften, der Literatur und anderen ehrenhaften Dingen zugewandt sind. Mitglied kann nur werden, wer vorgeschlagen und absolut einstimmig von allen Mitgliedern in geheimer Wahl aufgenommen wird. Sonst haben sie keine Vorschriften, weshalb sie sich Zwanglose Gesellschaft München nennen. Die Monazensianer dagegen waren schon immer die Adabeis, diejenigen, die mitmachen wollten um jeden Preis, aber abgelehnt wurden. Die gründeten dann den Club Monazensus mit allerlei streng geheimen Vorschriften mit dem Hauptziel: Speziwirtschaft. Wie's in dem Lied heißt: du muast oan kenna der wos oan kennt …"

"Cosa?"

"Also ungefähr so: Du musst einen kennen, der wiederum einen kennt, sonst kannst du nichts erreichen im Amigo-Land. Vetternwirtschaft halt. Heute sagt man verharmlosend Netzwerk dazu. Und wie gesagt, die Statuten sind streng geheim. Aber ich hab auch meine Netzwerke spielen lassen und mir so die Mitgliederliste beschafft. Schau dir mal an, welche Namen ich markiert habe." Miranda Bellini überflog die Blätter und blies langsam Luft durch ihre gespitzten Lippen.

"Sto impazzendo! Was du angestrichen hast … das … das sind die beiden Zeugen, der Anwalt, der Gutachter, na klar, der Richter, der Staatsanwalt und unser Unschuldslamm. Ich fass' es nicht! Rudi Reichert – das ist ja ein verdammt heißes Eisen!"

"Stimmt. Und ich halt mich ja auch zurück, forsche sozusagen nur privat nach. Aber ich weiß nicht so recht, wo ich anfangen … Moment, entschuldige bitte!" Der Kommissar nahm sein Handy, meldete sich, hörte schweigend zu, sprang dann hoch und stammelte:

"Bitte machen Sie nichts … Unüberlegtes! Ich … Ich komme zu Ihnen, sofort! Warten Sie auf …" Reichert nahm das Handy vom Ohr und sagte fast tonlos zu Miranda Bellini: "Doc, ich brauch dich!"

 

*

Mit aufgelegtem Blaulicht raste Reicherts ziviler Dienstwagen wenig später durch die Stadt Richtung Westen.

"Das war Maria Böttner, die Mutter von Leiza. Du hast ja gehört, was sie nach der Urteilsverkündigung geschrien hat, Doc. Sie war auch am Telefon außer sich. Sie hat gesagt, dass gerade der Mörder ihrer Tochter vor ihrem Haus herumfährt, obszöne Gesten macht und sie beschimpft. Dann sei er gerade ausgestiegen, habe die Hosen runtergelassen und habe ihr den nackten Arsch gezeigt. Und dann ist sie anscheinend ausgerastet und hat die Verbindung unterbrochen."

"Und die Nachbarn?"

"Das ist ein Forsthaus mitten im Wald. Ganz allein ist sie da jetzt. Ich kenn das Haus ja von den Ermittlungen. Da führt nur eine schmale, ewig lange Strasse vorbei. Der Kerl will sie provozieren, will, dass sie da wegzieht, denn er hat ganz in der Nähe eine Wochenendhütte. Als ihr Mann starb, hat Frau Böttner das Forstamt übernommen. Ist schon ein paar Jahre her. Ihre Tochter wollte eigentlich auch Forstwirtschaft studieren, um später vielleicht das Forstamt übernehmen zu können, aber dann ist sie doch auf BWL umgeschwenkt. Ihr war's da draußen wohl zu einsam. Und das war ihr Todesurteil. Das BWL-Praktikum in Hendrik Schaffkes Firma."

"Mama mia, jetzt ras' doch nicht so, Reichert! Was soll schon passieren? Solange der da draußen den Kasper macht, ist sie doch nicht in Gefahr!"

"Sie nicht, aber er! Die Frau ist Forstmeisterin, Jägerin! Das Haus ist voller Jagdwaffen verstehst du?"

 

*

Als sie das Forsthaus erreichten war klar, dass nichts zu machen war. Kein Auto parkte auf dem Hof, die Tür stand offen, niemand war im Haus. Sofort fuhren Reichert und Bellini weiter. Es gab nur diese einzige, enge, lange Straße, und kein Fahrzeug war ihnen entgegen gekommen. Der G-Klasse Mercedes der Försterei stand nicht in der Scheune, Schaffkes Wagen war auch nirgends zu sehen, also waren die beiden Fahrzeuge wahrscheinlich nach Westen unterwegs.

"Sie ist auf der Jagd, Doc!", sagte Reichert.

"Merda, ja, kann schon sein, aber fahr' langsamer, du bringst uns noch um!"

 

*

"Halt, vorsicht, da sind sie!" Miranda Bellini deutete aufgeregt nach vorn. Reichert trat heftig auf die Bremse. Als der Wagen schlingernd hinter dem quer auf der Strasse stehenden Geländewagen des Forstamtes zu stehen kam, sprangen Reichert und Bellini heraus. Der Kommissar zog die Dienstwaffe und näherte sich vorsichtig dem Mercedes. Er war leer. Ebenso ein Alfa Romeo, der mit offener Fahrertür schräg im Strassengraben lag. Reichert und Bellini sahen sich kurz um.

"Viel zu schnell unterwegs! Ein Wunder, dass der hochbockige Benz nicht gleich auf dem Alfa gelandet ist!"

Reichert rannte zum Dienstwagen zurück, schaltete wieder das Blaulicht ein, betätigte die Zentralverriegelung und folgte Bellini, die schon, ohne auf sein Stopp-Geschrei zu hören, durch den Graben geklettert und im Wald verschwunden war.

"Mann, Doc, spinnst du? Du bist nicht einmal bewaffnet", ereiferte er sich, als er Bellini erreichte. Sie stand ratlos da und sah sich um.

"Mist! Vorhin habe ich noch die Spuren gesehen – abgeknickte Ästchen, aufgewühlte Fichtennadeln am Boden – aber jetzt?"

"Ja, Mist", bestätigte Reichert. "Wir müssen Maria Böttner finden, bevor sie Schaffke erwischt!" Er drehte sich auch um seine Achse und fragte dann: "Was würdest du tun, wenn du ein Wildschwein wärst und ein Jäger hinter dir her wäre?"

"Na umdrehen und auf ihn losgehen!" Reichert schnaufte kurz genervt und versuchte es erneut:

"Okay, Wildsau wäre in diesem Fall zwar treffend, aber wohin würdest du rennen, wenn du eine fette Schlachtsau wärst?"

"Da lang!" Bellini deutete links in den Wald hinein.

"Super, das dachte ich mir auch. Hier ist kaum Unterholz, nur Stangenwald. Los, aber du bleibst hinter mir, klar?"

Immer wieder hielten sie an und versuchten sich zu orientieren. Mirandas Smartphone hatte vollen Empfang, aber was nutzt schon Google Earth, wenn man mitten in einem dichten Wald ist? Sie hasteten weiter, bis Reichert plötzlich mitten in der Bewegung verharrte und die Hand hob.

"Psst, ganz ruhig", flüsterte er, und Miranda lauschte angestrengt in den Wald hinein. Dann hörte sie es auch.

"Eine Trompete oder so etwas", sagte sie leise, als die Töne verklangen.

"Ein Jagdhorn", antwortete Reichert und schlug mit der Faust wütend an einen Baumstamm. "Wir sind zu spät! Das war ein Jagdsignal. Ich kenne das, weil ich mal aus dienstlichen Gründen einen Jagdschein machen sollte. Es bedeutet: Die Sau ist tot!"

"Puh! Du meinst, sie hat ihn erwischt und einfach abgeknallt? Verdenken könnte ich es ihr nicht!"

"Ich auch nicht, aber sie hat ja so etwas angedroht. Doch irgendwie passt das nicht zu ihr, auch wenn der ihre Tochter ermordet hat. Im Affekt vielleicht, aber Selbstjustiz?"

Sie liefen weiter, bis sie wieder etwas hörten. Ein Gebrüll in Todesangst, ein Heulen zum Steinerweichen, ein Jammern, Schluchzen, ein Flehen zum Erbarmen. Dann ein Gewehrschuss - und es wurde totenstill.

"Frau Böttner, ich bin's, Reichert, ich hab gesagt, dass ich zu Ihnen komme, dass ich Ihnen helfe", schrie der Kommissar in den Wald hinein. "Kommen Sie raus, lassen Sie mich mit Ihnen reden!"

"Bleiben Sie stehen, Herr Kommissar", schallte es schauderhaft zurück. "Ich habe Sie und die Gerichtmedizinerin genau im Visier. Sie kennen die Waffe, eine Hannibal, damit kann man Elefanten töten. Also bleiben Sie stehen!"

"Ja, Frau Böttner, in Ordnung, aber was wollen Sie?"

"Geben Sie mir eine Minute, nur eine einzige Minute, Herr Kommissar. Dann komme ich raus und ergebe mich, okay?"

"Ja, ist gut, einverstanden!" Reichert steckte seine Pistole ein und hob leicht die Hände.

"Rudi", flüsterte Miranda Bellini. "Nichts wie weg hier! Die sucht sich nur eine bessere Schussposition und knallt uns ab!"

"Bleib ruhig, beweg dich nicht, vertrau mir, Doc!"

 

Die Sekunden zogen sich lähmend, dann war plötzlich ein Piepston zu hören, und Miranda zuckte erschrocken zusammen.

"Herr Kommissar", erklang wieder die Stimme aus dem Wald. "Ich komme jetzt raus und ergebe mich. Nicht schießen bitte!"

Hinter einem dicken Fichtenstamm erschien ein Arm mit einem Gewehr, das Reichert sofort als alte Jagdflinte erkannte. Kein Hannibal. Das Gewehr fiel zu Boden, dann trat die Frau ins Licht und erhob die Hände. Reichert griff zu seiner Waffe, ließ sie aber dann doch stecken und ging auf Maria Böttner zu. Dann sah er auch einige Meter entfernt am Rande einer kleinen Lichtung Hendrik Schaffke auf dem Boden knien. Seine Hose war heruntergerutscht, die Beine fast komplett mit Kot bedeckt und der Oberkörper mit Erbrochenem. Schaffke schniefte leise vor sich hin und schwenkte den Kopf hin und her wie ein Betrunkener. Dr. Bellini ging vorsichtig zu ihm hinüber und versuchte zu erkennen, ob er verletzt war. Doch kein Blut war zu sehen, nur ein paar Holzsplitter steckten in seinem schweißgetränkten Haar, die offenbar von dem Baumstamm hinter ihm stammten, in den eine Gewehrkugel eingeschlagen hatte.

"Ich habe ihm nichts getan, Herr Kommissar", sagte Frau Böttner mit zitternder Stimme. "Ich habe ihn nur bedroht, und er hat alles gestanden. Er hat meine Tochter betäubt und aus dem Fenster gestoßen. Auch seine Verbindungen hat er gestanden, alle Namen, seine Alibigeber, seine Spezis vom Gericht und was die alles für Sauereien in dem Herrenclub getrieben haben, die Honoratioren. Anwälte, Unternehmer, Ärzte, Richter – zum Kotzen. Und dabei hat er um sein jämmerliches Leben gewinselt und sich zugeschissen und vollgepisst, dass es eine Schande und Freude zugleich war. Bei meinem Schreckschuss hat er auch noch fast seine Hose verloren, das Schwein. Ja, ich hätte ihn gerne erschossen, aber ich konnte es nicht."

"Aber warum haben Sie dann das Hornsignal gegeben die Sau ist tot?"

"Weil er tot ist. Ich habe alles mit meinem Smartphone aufgenommen. Hier." Sie reichte dem Kommissar ihr Handy. "Hier ist alles drauf, seine ganze jämmerliche Vorstellung und sein Geständnis."

"Das wird nichts nützen. Kein Gericht dieser Welt wird das als Beweis anerkennen. Das Geständnis ist unter Druck entstanden."

Plötzlich richtete sich Hendrik Schaffke auf und brüllte:

"Verhaften Sie die Hexe endlich! Sie wollte mich umbringen! Und Sie labern da mit der blöden Ziege dumm rum! Mach deine scheiß Arbeit, Bulle!"

Reichert bückte sich, hob das Gewehr auf und richtete es auf die wütende Gestalt.

"Halten Sie den Mund und sofort wieder auf die Knie, sonst knallts!" Zitternd kippte die jämmerliche Gestalt nach vorn und schwieg."

Ohne darauf zu achten führte Frau Böttner das Gespräch weiter:

"Ich weiß das, Herr Kommissar. Er wird nicht vor Gericht kommen, aber das Hornsignal war richtig. Die Sau ist tot. Gesellschaftlich, geschäftlich. Keiner seiner Freunde wird je wieder etwas mit ihm zu tun haben wollen, zumal sie selber so viel Dreck am Stecken haben."

"Warum glauben Sie das? Ihre Aufnahme wird im Nirwana verschwinden, und sie kommen vor Gericht wegen Entführung und Bedrohung."

"Herr Kommissar, ich hatte Sie vorhin um eine Minute gebeten. Vielen Dank dafür! Ich habe nämlich in dieser Minute die Aufnahme an einen Freund gesendet. Und der stellt sie gerade in alle soziale und asoziale Netzwerke, die es gibt. Die Sau ist tot."

Jetzt lachte Reichert herzhaft.

"Ich verstehe. Aber jetzt ist die Jagd zu Ende. Darf ich um das Horn bitten?" Maria Böttner nahm das Fürst-Pless-Horn vom Gürtel und reichte es Reichert. Der setzte es an die Lippen und blies - mehr schlecht als recht -  das Halali. Dann gab er es zurück, neigte sich zu Leiza Böttners Mutter, deren verweintes Gesicht vom Kummer gezeichnet war, hinüber und fragte leise:

"Sind Sie selbst auf dieser Aufnahme zu sehen oder zu hören?"

"Nein, sicher nicht. Ich habe ihn bedroht und beschimpft und befragt, ja, aber ich habe erst gefilmt, als er wie ein kotzender, scheißender Wasserfall anfing, zu singen. Ich musste gar nichts mehr tun, warum?"

"Na ja, sie können ja auch nicht drauf sein. Sie sind ja gar nicht hier, ebenso wenig wie wir. Und ein Smartphone existiert auch nicht, wenn ich mich nicht irre. Gehen Sie bitte, bevor noch zufällig jemand hier auftaucht."

Maria Böttner drehte sich nach ein paar Metern noch einmal um, bewegte lautlos die Lippen, lächelte dann und verschwand Richtung Strasse.

Hendrik Schaffke hatte das Ganze mit offenem Mund nur blöde glotzend verfolgt. Der Kommissar blickte ihn scharf an und sagte:

"Jetzt ziehen sie ihre Hose hoch, latschen zu ihrem Auto, rufen den Abschleppdienst und kommen mir oder Frau Böttner nie wieder in die Quere. Komm, Doc." Er schulterte das Gewehr steckte das Smartphone ein und marschierte los. Miranda Bellini folgte ihm kopfschüttelnd.

Als sie Richtung München zurückfuhren fragte sie:

"Reichert, glaubst du wirklich, dass das gut geht?"

"Keine Ahnung, Doc. Aber entweder sie distanzieren sich alle von Schaffke oder sie bringen ihn für ewig hinter Gittern, um ihre eigene Haut zu retten, auch wenn das Video schon längst aus dem Netz gelöscht wurde. Und sie werden einen Teufel tun, eine arme Witwe, die gerade ihre Tochter verloren hat, vor Gericht zu zerren. Hast du noch Lust auf einen Absacker beim Italiener?"

"Immer, du Verrückter. Immer!"

 

 

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Impressum

Texte: Bert Rieser
Bildmaterialien: Andreas Rauch, pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 21.01.2017

Alle Rechte vorbehalten

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