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Roter Regen

 

 

 

 

 

 

 

Es ist vorbei. Wir haben es buchstäblich in den roten Sand gesetzt. Unsere letzten Tage sind angebrochen, die letzten Tage des gesamten Planeten. Was wird übrigbleiben? Eine unbewohnbare Wüste. Ein Nichts im Weltall. Eine öde, leblose Kugel, die sinnlos um eine glühende Sonne kreist.

Nein, niemand hat es kommen sehen wollen. Nein, haben sie gesagt, Kriege hat es schon immer gegeben. Egomanische Machthaber, skrupellose Geschäftemacher und bestechliche Politiker auch. Und dumme, gedankenlose Völker. Seit wir existieren. Aber jetzt sind wir so viele geworden, dass diese Beschwichtigungsformel nicht mehr wirkt. Doch für diese Erkenntnis ist es zu spät. Aus und vorbei.

Meine Mitarbeiter haben es vorgezogen, ihr Leben selbst zu beenden, als das unübersehbar wurde. Für mich macht das keinen Sinn. Die wenigen Tage kann ich noch abwarten, bis die Strahlung so hoch wird, dass sie auch dieses Grab erreicht. Oder bis die Luftfilteranlage den letzten Batteriestrom verbraucht hat. Oder bis das letzte Wasser zu verdampfen beginnt. Es macht allerdings auch keinen Sinn, meine Gedanken hier zu hinterlassen. Niemand wird mehr da sein, der sie entziffern könnte. Vermutlich werde ich der letzte meiner Art sein, der seine sinnlosen Überlegungen schließlich in einen sinnlosen Panzerkasten stecken wird, bevor er in die Ewigkeit eingeht.

Es ist Tage her, dass ich von irgendwoher noch Nachrichten empfangen habe. Nur einzelne Schlagworte und Horrormeldungen.

- Kernschmelze Reaktor X - Explosion Reaktor Y - Hauptstadt A in Trümmern - Atomraketen starten völlig ungesteuert, keine Abwehr möglich - Der Regenwald brennt von Ost bis West -

 

Die Meldungen kamen in immer längeren Abständen, wurden unverständlicher. Schließlich war es nur noch ein Sender irgendwo auf diesem Planeten, batteriegestützt vermutlich, wie mein Empfänger. Nur noch eine einzige Frauenstimme, fast fröhlich, Galgenhumor. Und sie ließ zwischen ihren Meldungen flotte Unterhaltungsmusik laufen. Schauriger Galgenhumor.

- Hauptstadt B völlig zerstört, alles verkohlt – Marodierende Truppen ermorden Tausende – Rebellenverbände verdampfen in Blitzstrahlung –Dunkle Wolkenbank von Westen, Regen droht. Roter Regen –

 

Zum Glück konnte ich keine Bilder empfangen, keiner kann mehr Bilder sehen, es gibt vermutlich niemanden mehr, außer mich.

- Tektonische Verschiebungen werden ausgelöst, die Kruste des Planeten scheint aufzubrechen –

 

Ich bin Wissenschaftler und schäme mich für meine Zunft. Wissenschaftler? Idioten waren wir. Nichts haben wir verstanden, am allerwenigsten uns selbst. Wenn die anderen den Planeten zwanzig Mal vernichten können, müssen wir mindestens in der Lage sein, ihn einundzwanzig Mal in die Luft zu jagen! Die Vernichtungsspirale. Tektonische Schwachstellen? Daran wurde kein Gedanke verschwendet, als man die Bomben baute. Und dann haben wir noch all unsere Kraftwerke, alle Fortbewegungsmittel, alle Waffensysteme, all unser ganzes, verfluchtes Dasein auf diesem Planeten durch ein krakenhaftes, undurchschaubares Spinnennetz verbunden, an dessen Fäden jeder ziehen konnte, der wollte. Es ist sicher, haben sie gesagt. Wir tun alles, um es noch sicherer zu machen. Jetzt weiß ich, dass es unglaublich dumm war, so dumm, dass mir die Worte fehlen. Ich kann nicht mehr.

Ich verabschiede mich von der fröhlichen Frauenstimme, die schon vor Stunden mitten im Satz versagte, ich verabschiede mich von einer Gesellschaft, die nie hinter den Horizont denken konnte, von einer Bevölkerung, die liebliche Geschichtchen der Wahrheit vorzog, die ungeprüft jede Hetzpropaganda glaubte und die Sportveranstaltungen unendlich mehr Aufmerksamkeit zollte, als der Zukunft des Planeten. Haben wir es anders verdient? Diese Welt war so angehäuft von Ungerechtigkeiten, Bosheit, Neid und maßloser Gier, dass ich froh bin, wenn unsere Spezies verschwindet. Für immer und ewig. Aber sie nimmt all die anderen Lebewesen mit in den Untergang, die hier ihre wirkliche Heimat haben.

Meine Spezies kann nicht von diesem Planeten stammen. Unmöglich. Keine einzige der Myriaden von Arten, die hier zuhause waren, hat sich so verhalten, wie wir.

Ich habe mich schuldig gemacht. Erst jetzt, wo das Leben auf diesem Planeten vergeht, erkenne ich meine Schuld. Ich bin Teil meiner Art. Ich bin, wie ich bin, wie jeder auf diesem todgeweihten Planeten. Egozentrisch, überlebenshungrig, gnadenlos, wenn es um die Art geht. Es liegt in unseren Genen. Auch ich trage dieses Mördergen in mir. Aber ich bin noch schuldiger, als all die machtbesessenen, blutrünstigen, gierigen, hirnlosen Herdenführer und ihre willigen Mitläufer und Helfershelfer. Denn …

…ICH BIN GOTT. Nur einer unter vielen, aber ein maßgeblicher Gott. Und gleichzeitig sein Widersacher. These und Antithese. Denn ich habe das Projekt geleitet, das schon lange geplant war, aber in den letzten Wochen der eskalierenden Ereignisse eine ungeahnte Dynamik entwickelt hat. Das Projekt Blauer Planet. Was für ein Zynismus! War unsere Heimat nicht auch einmal ein blaues Gestirn? Voll von Leben, zu Wasser, zu Lande und in der Luft? Einige reiche, mächtige Bewohner unseres Planeten haben erkannt, dass unsere Art die Welt überfordert, dass sie durch ihre bloße Existenz unaufhaltsam ihren Untergang herbeiführen wird. Und als klar wurde, dass dies unmittelbar bevorsteht, haben sie uns Wissenschaftler gekauft und das Projekt Blauer Planet gestartet. Und ich, der Leiter der Unternehmung, habe es letztendlich rechtzeitig zum Erfolg gebracht. Darin besteht meine Schuld.

Wenn wir schon alle untergehen werden, so der Plan, sollen wenigsten unsere unersetzlichen Gene überleben. Und mit ihnen wir selbst. Also haben wir unseren Genvorrat so manipuliert und spezielle Schleuserviren entwickelt, die in der Lage sind, passende Wirtsempfänger mit unseren Genen zu infizieren. Wesen, die uns biologisch ähnlich sind und die durch unsere dominanten Erbanlagen nach und nach zu uns selbst werden. In ihnen werden wir wieder auferstehen, auch wenn es viele, viele Generationen dauern wird. Und deshalb bin ich ein Gott. Ich habe entdeckt, wie wir uns selbst wieder erschaffen können.

 

Wir haben die Sonde mit unserer Zukunft an Bord gestartet, bevor unsere Welt zu Asche wird. Sie ist auf der Reise zum dritten Planeten unseres Systems, zu dem Planeten, der unserer Welt am ähnlichsten ist. Zum Blauen Planeten.

Das ist meine Schuld: Ich habe nicht nachgedacht. Habe nicht überlegt, was unsere Gene und die daraus entstehende Spezies auf diesem schönen, unschuldigen Planeten anrichten werden. Dasselbe, was wir hier gemacht haben. Sie wird ihn zerstören. Ich hoffe inständig, dass die Sonde den Blauen Planeten nie erreicht, ihr Ziel verfehlt oder mit ihrer tödlichen Fracht verglüht. Und ich hoffe, dass nie ein Wesen den Panzerkasten öffnet, in den ich jetzt meine Notizen legen werde. Denn dieses Geschöpf wird mit ziemlicher Sicherheit vom Blauen Planeten stammen. Und das bedeutet, dass unsere Sondenmission ein 'Erfolg' war. Wie werden unsere genetischen Klone wohl unsere Welt bezeichnen, wenn sie endlich in der Lage sind, sie mit optischen Hilfsmitteln sehen zu können? Toter Planet? Roter Planet? Denn beides wird meine Heimat sein: ein lebloses Gestirn, bedeckt von rotem Staub.

Du Wesen, das du meine Aufzeichnungen entziffert hast, nimm sie als Warnung. Doch ich befürchte auch, dass du das nicht tun wirst. Denn du trägst unser Erbe in dir. Aber ich flehe dich an: versuche es wenigstens!

Gnade euch und vergebe uns der wirkliche Gott. Wenn es ihn gibt.

 

*

 

 

Zwei Millionen Erdjahre später. Jahr 2043, terrestrische Zeitrechnung.

 

Raumschiff MIRATIO im Landeanflug auf den Mars.

"Kontrollzentrum Casaburro, Miratio ruft Casaburro. Haben die seltsame Formation direkt unter uns. Anflugquadrant frei, gehen im Plansegment 16 nieder. Leute! Das ist eindeutig ein Artefakt einer intelligenten Rasse, ein Gebäude, sieht fast aus wie ein Bunker! Gleich haben wir den Beweis, dass der Mars einmal besiedelt war. Bis die Nachricht euch erreicht, werden wir schon was zu feiern haben, Casaburro! Over und bis bald …"

 

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.11.2016

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