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... und wegen der Katzen

 

 

 

 

à cause du sommeil et à cause des chats

Algernon Blackwood

 

 

Mit Ausnahme der Wochenenden, Feiertage, Urlaube und Krankheitsfälle ging Eduard Benton denselben Weg zu seiner Arbeit in der Druckerei. Jahrein, jahraus. Und an jedem dieser Tage passierte er das Haus der alten Frau Hildegard von Schrader, die scheinbar schon immer Witwe war.

Das gewaltige Gebäude stammte aus dem Mittelalter, war vier Stockwerke hoch, die sich unter ein gewaltiges Dach duckten, welches auch noch mindestens drei Trockenböden überspannte.

Wie Frau von Schrader war auch das Gemäuer in die Jahre gekommen, aber doch um einiges mehr als die Witwe. 600 Jahre, in denen nur das Notwendigste repariert worden war, rüttelten an den Grundfesten.

Eduard Benton wusste, dass sein Chef, dessen Druckerei gleich an den Hinterhof grenzte, darauf hoffte, dass der Zahn der Zeit so lange an der alten Bruchbude nagen würde, bis bei einem Herbststurm nur noch ein staubiger Haufen alter Steine an die einst stolze Vergangenheit erinnern würde. Denn die Druckerei platzte aus allen Nähten und benötigte dringend Platz. Schon lange produzierte sie keine Bücher mehr, aber die zahllosen Werbeblättchen, Prospekte und Flyer, die die Briefkästen verstopften, sorgten für ein prosperierendes Geschäft. Aber der Druckereibesitzer hatte vergebens versucht, die Witwe zu einem Verkauf zu überreden. Doch dann erfuhr er, dass das Haus unter Denkmalschutz stand und war froh, sich nicht die Finger daran verbrannt zu haben.

Eduard Benton konnte sich auch gar nicht vorstellen, dass das uralte Haus irgendeinmal durch einen scheußlichen Betonbau ersetzt werden würde. Besonders schade wäre es auch um das reichverzierte eichene Eingangsportal gewesen, das mit einem kunstvollen Löwenkopf als Türklopfer geschmückt war.

Außerdem gehörte Benton zu den wenigen Mitbürgern, die Frau von Schrader irgendwie mochten. Vor Jahren noch hatte er sie ab und zu auf seinem Arbeitsweg vor ihrem Haus angetroffen, wenn sie etwa mit einem riesigen Reisstrohbesen den Bürgersteig fegte, begleitet von einer dicken, schwarzen Katze, die sie wie ein Hund umschwänzelte.

 

Grüß Gott, Frau von Schrader", hatte er immer gesagt, aber jedes Mal nur ein gereiztes Knurren geerntet. Alte Hexe!, dachte er dann immer, was aber nicht böse gemeint war, sondern eher amüsiert, denn mit Besen und schwarzer Katze entsprach sie so sehr dem Klischeebild, als hätten die Gebrüder Grimm es gezeichnet. Aber von Jahr zu Jahr hatte Eduard Benton die alte Frau seltener gesehen und schließlich überhaupt nicht mehr. Manchmal war er versucht, den Ring im Löwenmaul zu betätigen, um nach ihr zu schauen, aber da bei Dunkelheit immer Licht durch die kleinen Scheiben drang, war sie wohl am Leben, und er traute sich nicht, sie zu stören.

 

Doch als er eines Tages wieder einmal am Haus der Witwe vorbei kam, sah er, dass das Portal weit offen stand. Er zögerte kurz, ging dann zurück und rief in den dunklen Flur hinein:

"Hallo? Frau von Schrader? Sind sie da?" Noch mal und noch mal. Nichts. Zum ersten Mal betätigte er den Ring im Löwenmaul, und das Knallen des Türklopfers drang schaurig durchs Haus. Wieder keine Reaktion.

Endlich fasste er sich ein Herz und betrat den langen, düsteren Gang. Mehrere Türen gingen rechts und links ab; nur eine stand offen. Sie führte zu einem großen, rittersaalähnlichem Gewölbe mit einem gewaltigen Tisch in der Mitte, verrußten Bildern an den Wänden und seltsamen Figuren darunter, die er von der Türe aus in der Düsternis gar nicht richtig erkennen konnte. Wieder rief er nach Frau von Schrader und trat schließlich ganz in die Halle. Dort sah er sie sofort liegen. Auf dem Rücken. Ihr Kopftuch war verrutscht, weiße Haare umspielten den Schädel, aus dem die aufgerissenen Augen fast herauszuquellen schienen. Die Hände hatte sie auf der Brust liegen und die knochigen Finger zu Krallen gespreizt, als wollten sie jetzt noch den Teufel abwehren. Eduard Benton sah sofort, dass Frau von Schrader tot war. So tot, wie man nur sein konnte …

 

"Ja und dann?"

"Dann habe ich mich umgedreht, Herr Kommissar, und wollte raus, nur raus, Hilfe holen. Aber da war dieses Geräusch, dieses Gemurmel, es klang wie ein monotones Gebet. Das kam aus einem Nebenraum, ich bin vorsichtig da hin, die Zähne haben mir geklappert, das können Sie mir glauben. Da ist so eine Art Kapelle, gruslig, ich sag's Ihnen, und da ist dieser Kerl auf dem Boden gelegen. In einer weißen Kutte wie die Pfaffen bei der Primiz, oder wie das heißt. Nicht platt wie eine Flunder, eher gekrümmt, Kopf nach unten und mit den Armen abgestützt. Und ständig hat er irgendwelche Gebete oder so etwas gemurmelt. Also, in meiner Panik habe ich den irgendwie angeschrien, dann ist der Kerl, so ein ganz junger Typ, wie ein Schachtelteufel auf die Beine gesprungen und auf mich zu. Mit einem großen, blutigen Messer in der Hand! Aber das war nur so ein halbes Hemd, ich hab instinktiv die Faust hochgerissen und ihm eins in die Fresse gehauen, und da ist der umgefallen wie ein Sack. Das war Notwehr, Herr Kommissar, ich schwör!"

 

"Ja, ja, schon gut. Aber das Blut in ihrem Gesicht, woher kommt das?"

"Das war das scheiß Katzenvieh! Hab ich mich erschrocken! Das Teil war fett wie ein Wombat! Kam fauchend von irgendwo her gesprungen, auf mein Gesicht zu, und dann ist das Biest irgendwo hinter mir zu Boden gegangen und dort verreckt. Also, sie hat mir nichts getan, nicht gekratzt, oder so. Das Blut ist von ihr, wahrscheinlich hat der Kerl sie ebenso wie das Frauchen aufgeschlitzt. Ich meine, ich bin ihr ja nicht böse, die war tödlich verletzt und wahrscheinlich genau so erschrocken, wie ich. Keiner hat sich mehr gerührt, Katze nicht, Frau von Schrader nicht, der Freak im Nachthemd nicht. Ich bin dann raus wie der Blitz und hab die Bullen, äh, ich meine die Polizei gerufen. Aber sagen Sie, Herr Kommissar, bitte, ich hab' den Kerl doch nicht umgebracht, oder?"

"Nein, nein, Herr Benton, er ist schon wieder bei sich und wohlauf. Danke, erst einmal!"

 

Von wegen 'wohlauf'. Adrian Zacher, dessen Identität für die Polizei sehr schnell klar war, irrlichterte in seiner Zelle herum, wie ein hospitalismuskrankes Tier im Zoo. Der diensthabende Polizeibeamte beobachtete ihn ununterbrochen über den Monitor, bis seine Kollegen vom Tatort eintrafen.

"Na endlich", sagte er, "wir müssen den in die Psychiatrie bringen; ich kann den Burschen keine Sekunde aus den Augen lassen. Der rennt rum wie ein Wahnsinniger, schreit dauernd nach seinem 'Meister' wie der irre Renfield in 'Dracula'. Ich habe Angst, dass der sich plötzlich an der Zellenwand den Schädel einschlägt!"

"Ja, danke, Kollege", sagte Hauptkommissar Beckstein. "Wir haben bereits die Leute von der forensischen Psychiatrie verständigt; die holen ihn gleich ab. Aber eins ist klar, Leute …" Jetzt wandte er sich an alle Mitarbeiter im Raum, " …wir lösen das selbst, bevor uns das LKA reinfunkt. Und eines ist wohl offensichtlich: Die Hände von Adrian Zacher sind blutig, und am Hals des Opfers ist ebenfalls Blut. Ich verwette meinen Hintern, dass der Punk in der Zelle der Mörder ist. Sollen ihn jetzt die Psychiater holen und ruhig stellen, aber der Fall ist klar. Trotzdem will ich, dass die Sache hieb- und stichfest ist. Also Leute: Hintergründe, Umfeld, Motive – das ganze Programm bitte, aber subito!"

 

Erste Ergebnisse lieferte Polizeikommissarin Doreen Savitzky. Sie hatte alle Nachbarn im Siedlungsblock befragt, in dem Adrian Zacher ein kleines, ziemlich heruntergekommenes Appartement gemietet hatte. Ein Eigenbrödler sei er, nicht mehr ganz richtig im Kopf, seit er wieder einmal seinen Job verloren hat, und seine Junkie-Freundin gleich mit. Die Kollegen von der KTU, die Doreen Savitzky gleich vom Tatort her beordert hatte, fanden in der Wohnung zwar nichts was mit der Tat zu tun hatte, aber der Kommissarin war aufgefallen, dass die einzigen Bücher in dem schmuddeligen Loch sich mit ägyptischer Mythologie beschäftigten. Und dann gab es noch ein mehrbändiges 'Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens' aus dem Jahre 1927.

 

"Na ja, jeder Mensch hat sein Hobby, dachte ich mir noch", berichtete Kriminalkommissarin Savitzky, "aber dann ist mir aufgefallen, dass in eben diesem Wörterbuch ein ganz bestimmtes Thema offenbar für seinen Besitzer von besonderem Interesse war. Anstreichungen, Post-Its, unleserliche Bemerkungen am Rande, das alles aber nur bei einem Thema." Sie machte eine bedeutungsvolle Pause, bis Hauptkommissar Beckstein mit den Fingern zu trommeln begann.

"Katzen", fuhr sie fort. "Über dreißig kleingedruckte Seiten in diesem Buch beschäftigen sich nur mit deutschem Katzenaberglauben!"

"Geschenkt!", stöhnte Beckstein. "Im Mittelalter haben sie Katzen an die Scheunentore genagelt, aber auch Fledermäuse. Religiösen Irrsinn hat es schon immer gegeben und gibt es heute noch - man braucht doch nur die Nachrichten anschauen!"

 

"Vielleicht dürfte ich erst mal weitersprechen? Danke. Also: Die Nachbarn haben erzählt, dass der Adrian Zacher seit einiger Zeit zu einer komischen Sekte gegangen und seitdem ruhiger geworden sei. Zu einer Sekte, anstatt zum Stammtisch, wie anständige Bürger! Ich bin dann auch dahin, nein, nicht zum Stammtisch, beruhigt euch wieder, Kollegen, sondern zu der sogenannten Sekte. Von außen ein unscheinbares Bürohaus im Industriegebiet, was mich verwundert hat, weil ich aufgrund meiner Recherchen im Netz eine Art von Tierheim erwartet hatte, das sich um Katzen kümmert. Aber erst als ich Kollegen von der Streife gerufen hatte, machte mir ein älterer Herr, Typ Geschichtsprofessor, die Tür auf. Er stellte sich als der Vorsitzende der Organisation 'Commune des Chats.' – Verein der Katzenfreunde vor und bat mich ganz höflich in sein Büro. Dann erklärte er mir, was der Verein macht. Nichts mit Katzen, sondern mit Kultur. Er meinte noch, dass der Lions-Club ja auch nichts mit Löwen zu tun habe und dass sein Verein sich mit ägyptischer Mythologie beschäftige, insbesondere mit der katzenköpfigen Göttin Bastet, der Mutter des Löwengottes Mahes, oder wie auch immer der heißt und mit anderem langweiligem Zeug. Und dann habe ich ihn natürlich nach dem Adrian Zacher befragt. Er hat dann angestrengt nachgedacht, dann habe ich ihm das Handy-Foto gezeigt, das ich von ihm beim Abtransport in die Psychiatrie gemacht habe, und da hat er sich dann erinnert. Ja, der junge Mann sei manchmal bei Vorträgen hier gewesen, wahrscheinlich aus Langeweile, aber er sei nie Vereinsmitglied geworden, leider, leider. Und dann ist der Vorsitzende gleich wieder zu den alten Ägyptern abgeschweift. Also ich denke, das sind harmlose Spinner."

 

In diesem Moment kam ihr Kollege Laubinger herein und hob die Hand.

"Moment, Moment, Doreen, ich hab jetzt nur den Schluss mitbekommen, wie heißt der Verein?"

"Katzenfreunde, genauer Commune des Chats."

"Bingo! Ich glaube nicht, dass das nur harmlose Spinner sind, es könnte sein, dass die am Tod von Frau von Schrader interessiert sein könnten. Ich hab nämlich erst das Umfeld der Toten abgecheckt. Ergebnis: kaum Kontakte mit Nachbarn, keine Freunde, keinerlei Verwandtschaft. Dann bin ich vor dem Haus auf einen Bestatter gestoßen, der irgendwie mitbekommen hat, dass Frau von Schrader gestorben ist, und jetzt wollte er die Tote abholen. Er hat mir dann erklärt, dass die Witwe schon vor Jahren eine sogenannte anonyme Bestattung bei ihm bestellt habe, es sei alles genau besprochen worden und ein Notar sei beauftragt, im Todesfall das vereinbarte Honorar auszubezahlen. Der Bestatter war dann richtig enttäuscht, dass seine Kundin jetzt erst einmal in der Gerichtsmedizin bleibt. Hat wohl gerade nichts zu tun. Also, wie gesagt, über ihn erfuhr ich von dem Notar, den ich natürlich sofort aufgesucht habe."

Laubinger holte sich einen Kaffee aus der Maschine und setzte sich endlich zu den Kollegen an den Besprechungstisch. Schlürfend trank er erst ein paar Schlückchen, bis Hauptkommissar Beckstein das erwartungsvolle Schweigen brach:

"Brav, brav, gut gemacht, Kollege! Und?" Laubinger schluckte erst noch einmal, bevor er antwortete:

"Es existiert ein Testament. Das Haus, mit allem, was drin und darunter ist, erbt der Verein Commune des Chats!"

"Boah! Das ist ja der Hammer! Aber … aber was soll das heißen – 'alles, was darunter ist?"

"Das konnte mir der Notar auch nicht sagen, er hat nur ins Testament geschrieben, was die alte Dame ihm aufgetragen hat." Alle schauten jetzt etwas ratlos drein, und ein Beamter der Inspektion meinte schließlich:

"Ich kenne die Gegend und bin mir ziemlich sicher, dass die ganz alten Gebäude keine Keller haben, weil das Grundwasser dort sehr hoch liegt."

"…alles, was darunter liegt", sinnierte Hauptkommissar Beckstein laut. "Tja, sehr seltsam. Also, der junge Verrückte zieht eine weiße Kutte an, geht zu dem Haus, klopft, die Besitzerin lässt ihn ein und er bringt sie um, und die Katze auch. Dann legt er sich auf den Boden im Nebenraum und murmelt Gebete, wie der Zeuge ausgesagt hat, anstatt abzuhauen, oder wenigstens die Haustür zu schließen. Warum? Weil er verrückt ist? Was hat er für ein Motiv? Aber ich glaube, wir machen für heute erst einmal Schluss. Morgen geht einer gleich mit dem Zeugen Eduard Benton zu dem Haus, lässt sich noch einmal zeigen, wo der Verdächtige gelegen ist und schaut sich den Boden darunter ganz genau an. Vielleicht gibt's da doch einen Keller oder so was. Und dann fragen wir bei der KTU und der Gerichtmedizin nach, ob die schon was für uns haben. Gute Nacht, Leute!"

"Moment, Chef", rief Polizeimeister Laubinger, "noch was: Der Notar hat mir auch gesagt, dass vorgestern Frau von Schrader angerufen und für nächste Woche einen Termin vereinbart hat. Sie wollte das Testament zugunsten der katholischen Kirche ändern."

"Herrgottnochmal Laubinger, das sagst du erst jetzt? Mann! Trotzdem, Leute, schönen Feierabend."

 

Als Hauptkommissar Beckstein am nächsten Morgen in der Dienststelle eintraf, saß die Polizeikommissaranwärterin Corinna Demel bereits vor dem Computer.

"Morgen, Chef!", rief sie scheinbar ausgeschlafen und gut gelaunt, aber die dunklen Augenringe sprachen etwas anderes. Bevor Beckstein eine bissige Bemerkung machen konnte, sagte Corinna: "Ich habe fast die ganze Nacht recherchiert, über Katzen, Ägypten und so, wollen Sie's hören?"

"Na klar!", antwortete Beckstein beeindruckt, goss sich einen Kaffe ein und nahm vor ihrem Schreibtisch Platz.

 

"Okay. Die Katzengöttin Bastet war Tochter des Obergottes Atum. Dargestellt wurde sie als Frau mit Katzenkopf, die wiederum Mutter des Löwengottes Mahes war. Ihr zu Ehren haben die Priester Katzen geopfert, die die Gläubigen aber erst von ihnen abkaufen mussten. Die Priester hatten das Monopol, was natürlich Betrügereien Tür und Tor öffnete, so wie heute ja auch, aber das nur so nebenbei. Eine Katze selbst zu töten, war bei Todesstrafe verboten."

"Quod licet Iovi, non licet bovi!", murmelte der Kommissar.

"Wie bitte?"

"Ach nichts, fahren Sie fort."

"Jedes Jahr gab es ein Fest zu Ehren der Göttin Bastet, bei dem sich alle fürchterlich betrunken haben, es ging da drunter und drüber, jede mit jedem, wenn Sie wissen, was ich meine, und die Kinder von unbekannten Vätern heißen deshalb noch heute Bastarde."

"Vorsicht, Frau Demel, politisch korrekt ist das nicht!"

"Ja gut, aber ich komme gleich noch mal drauf zurück. Die Bastet war nicht nur Göttin der Freude, des Tanzes und des Trinkens, sondern hatte auch eine böse, zerstörerische Seite. Als Sachmet war sie Göttin des Krieges, des Zitterns, der Rache, eine Göttin, die im Blutrausch wahllos immer mehr Menschen killte. Ja, und die Kulte um die Katzengöttin haben sich weiterverbreitet, es haben sich später Geheimgesellschaften gebildet, Logen, die ihre ominösen Ziele verfolgten, Orden, die noch heute existieren."

 

"Katzenorden? Wirklich?"

"Klingt lächerlich, aber es gab ja sogar einmal einen Mopsorden."

"Was? Mit Loriot als Obermops?"

"Kein Witz, im 18. Jahrhundert gab es einen Mopsorden. Aber zurück zur Sache, Chef."

"Jawoll, zu Befehl, Frau Polizeikommissaranwärterin!"

"Okay. Also, dieser komische Verein der Katzenfreunde, Commune des Chats, ist in Wirklichkeit so ein Geheimorden. Das Mutterhaus ist irgendwo in Frankreich, wo genau habe ich nicht rausbekommen, aber er scheint weltweit Ableger zu haben. Und denen geht’s nicht nur um Geld wie gewissen Freimaurerlogen, sondern sie bilden eine richtige Religion, an die ihre Anhänger inbrünstig glauben. Genaueres habe ich so schnell nicht gefunden, das ist alles sehr mysteriös und geheim. Ich war sogar gestern Abend noch in der Staatsbibliothek und hab in den ganzen Schmökern über Geheimgesellschaften gesucht, von Dr. Schuster bis Peuckert – nichts Handfestes, wie gesagt."

"Aber liebe Frau Kollegin, so ein hanebüchener Quatsch ist doch keine Religion!"

"Nichts für ungut, Chef, aber zeigen Sie mir ein einziges sogenanntes heiliges Buch, das nicht von hanebüchenem Quatsch strotzt. Das Buch Mormon zum Beispiel, die Bhagavad Gita, die Bibel, der …"

"Schon gut, hören Sie auf, bevor man Sie auf den Scheiterhaufen zerrt oder eine Fatwa wegen Gotteslästerung über sie verhängt. Konzentrieren wir uns auf den Fall.

Die alte Frau von Schrader ist Mitglied dieser Sekte, sonst hätte sie ihr das Haus wohl nicht vermacht. Dann überlegt sie es sich anders. Sie ist alt, sehr alt. Mein Großvater hat immer gesagt: 'Kurz vor dem Tod wird jeder wieder katholisch'. Aber der junge Kerl, der Adrian Zacher, warum sollte der die Frau umbringen und danach nicht einmal weglaufen?"

Corinna Demel unterbrach ihren Chef kurz:

"Darf ich noch einmal auf Bastet zurückkommen? Zu der Göttin, nach der die Bastarde benannt werden? Der Adrian ist so ein Kind. Kein Vater, schlechte Schulbildung, prekäre Verhältnisse, miese Jobs, drogensüchtige Freundin, die ihn auch noch verlässt, die Mutter seit Jahren in einer Anstalt. Und dieser Loser trifft dann auf eine Gruppe, die ihn aufnimmt, die ihn bestärkt, ihn unterstützt, ihm Halt gibt. Ich bin ja keine Profilerin, aber an was erinnert Sie das, Chef?"

 

"Wow. Das passt ja haarscharf auf die Jungs, die zum IS gehen, zu den Salafisten oder zu den braunen Extremisten Der Dritten Weg. Respekt, Frau Kollegin! Sie meinen, dass die Commune des Chats den Adrian indoktriniert hat, ihn dazu gebracht hat, Frau von Schrader zu töten, bevor sie zum Notar gehen kann?"

"Na ja, glauben. Ich bin davon überzeugt. Geben Sie den Leuten nur einseitige Informationen lange und eindrücklich genug, und sie werden Ihnen alles glauben. Absolut alles. Sie werden sich ihre Ideologie zu Eigen machen. Gerade heute haben wir täglich den Beweis für diese These im Fernsehen."

"Stimmt. In dem ersten politischen Buch, das ich gelesen habe, stand ein Satz, den ich noch heute weiß: Das Werkzeug, mit dem Menschen gemacht werden, ist die Information. Das war Anfang der siebziger Jahre. Und ist heute aktueller, denn je."

 

Das Telefon läutete, Hauptkommissar Beckstein nahm ab, lauschte lange und legte wieder auf.

"Das war die Gerichtsmedizin", sagte er leise. "Es ist eindeutig. Würgemale, Fingerprints im Blut – eindeutig von Adrian Zacher. Aber die Witwe wurde nur erwürgt, nicht erstochen. Das Blut an ihrem Hals, an den Händen des Mörders und an dem Messer war das Blut der Katze. Verdammt! Jetzt kann ein Rechtsverdreher sagen, die Katze hätte ihn angefallen, er hat sich mit seinem Messer, das er nur zufällig zum Brotzeitmachen dabei hatte, gewehrt, die Frau sei ihrer Katze zu Hilfe gekommen, Gerangel, Kampf, Unfall. Dabei war es sicher anders. Die treue Katze wollte ihrem Frauchen zu Hilfe kommen! Und dann hat der Forensiker noch einen seltsamen Fund gemacht. Auf dem weißen Kittel des Täters, den die KTU sichergestellt hat, war ein kleinerer Blutfleck in Herzhöhe. Klar, bei dem Gemetzel mit der Katze. Aber es war Blut des Täters, nicht der Katze. Und genau dort weist der Stoff einen kleinen Einschnitt auf. Dann hat er sich das Messer noch einmal vorgenommen, und siehe da: genau an der Spitze des Messers war das Katzenblut von Adrian Zachers Blut überlagert. Dann hat der Forensiker sofort in der Psychiatrie angerufen, die Ärzte dort haben den mittlerweile sedierten Patienten untersucht und bestätigt, dass er in der Herzgegend eine frische kleine Stichwunde hat."

"Ach Chef, jetzt schwirrt mir der Kopf. Was soll das alles bedeuten?"

"Ziehen Sie sich an, Corinna, ich erklär's Ihnen im Auto. Wir müssen in die Psychiatrie und mit dem Adrian endlich vernehmen, egal, was die Ärzte sagen, bevor jemand anderes es tut, oder bevor … Los jetzt!"

Corinna Demel fuhr, und Hauptkommissar Beckstein starrte aus dem Fenster. Schließlich sagte er:

"Sie haben angedeutet, dass mit indoktrinierten Leuten alles zu machen ist. Auch, sie in den Selbstmord zu treiben?" Die Anwärterin sah ihn von der Seite an und antwortete dann.

"Wenn man junge Frauen dazu bringen kann, sich selbst mit einem Sprengstoffgürtel …" Sie brach ab.

"Mmh", sagte Beckstein. "Erinnern Sie sich, was gestern der Zeuge Benton ausgesagt hat? Wie er den Adrian Zacher vorfand? Irgendwie auf dem Boden liegend, nicht platt, wie eine Flunder, eher gekrümmt, mit den Armen abgestützt – das waren in etwa seine Worte. Mensch Corinna, der hatte sein Messer zwischen Herz und Boden geklemmt und war gerade dabei, sich hineinzustürzen, wenn er seine Gebete vollendet hatte. Er wollte das machen, was ihm seine Gurus eingeimpft hatten. Los, geben Sie Gas!"

 

Adrian Zacher hatte keinen Sprengstoff gebraucht. Auch kein Messer. Eine vergessene Plastiktüte in seiner Krankenzelle hatte gereicht.

 

Niedergeschlagen gingen die Polizeikommissaranwärterin und ihr Chef zum Wagen zurück. Wieder läutete das Telefon. Wieder lauschte Beckstein schweigend und unterbrach dann die Verbindung. Und wieder starrte er aus dem Fenster, während Corinna Demel zum Präsidium zurückfuhr.

Schließlich sagte er:

" Katzen. Die Geschichte ufert aus. Wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns, wenn wir alle Rätsel lösen wollen. Unter dem Raum, in dem Adrian Zacher gekniet und seine Totengebete verrichtet hatte, war tatsächlich ein Hohlraum. Und der war voll mit mumifizierten Katzenkadavern. Und ein menschliches Skelett lag auch darin. Vermutlich der Ehemann der Witwe."

Corinna hielt mit quietschenden Bremsen an, sprang aus dem Wagen und übergab sich.

 

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Zum Machen von Dingen verwendet man Werkzeuge. Das Werkzeug, mit dem Menschen gemacht werden, ist die Information. […]

Wenn man einen Menschen machen will, der freiwillig sein Leben in der Bundeswehr verbringt, muss man ihn mit anderen Informationen behandeln, als wenn man erwartet, dass er Kühe anbetet.

 

E.A.Rauter: Wie eine Meinung in einem Kopf entsteht. Über das Herstellen von Untertanen. (1971)

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 04.04.2016

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