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Prost Neujahr

 

 

 

Es war kein schönes, harmonisches Weihnachten gewesen.

Erst hatte Fredi Brandstetter seine Frau angepflaumt, warum denn die Weihnachtsgans so klein sei, worauf sie erwiderte, dass sie ja keine Kinder oder Gäste hätten und zu zweit sowieso wieder drei Tage lang davon essen würden und dass sie froh sei, dass sie die kleine Gans bezahlen konnte, wo er doch so unregelmäßig Geld nach Hause brächte.

Daraufhin hatte Fredi wieder zu viel getrunken und Jenny auch, ein Wort gab das andere, und keines war freundlicher als das vorherige. Als sie schließlich im Bett lagen, bereute Fredi schon wieder alles, wie immer.

Die Tage bis Silvester waren von dumpfem Unmut gezeichnet. Er hatte dann routinemäßig vom Balkon seine Aldi-Raketen abgefeuert, mit seiner Frau die obligatorische Flasche Rotkäppchen geleert, und dann sprang er endlich über seinen Schatten.

"Pass auf, Schatz", begann er seine Rede und schüttete dem Sekt noch schnell einen Klaren hinterher, "pass auf, so geht's nicht weiter, jaja, ich bin schuld, ich weiß, aber lass mich bitte ausreden, Schatz. Hör zu!"

Dieses 'Hör zu' hatte er vom Fernsehen, wo die Schauspieler immer "Hör zu!" sagen, bevor sie etwas vermeintlich Wichtiges von sich geben.

"Hör zu, Schatz, ich werde mich ändern. Ich habe mir fürs neue Jahr vorgenommen, dass sich alles ändert. Ich habe die allerbesten Vorsätze."

"Ach ja?", fragte Jenny spöttisch.

"Wirklich. Du hast dich doch beschwert, dass du immer mit der rumpeligen S-Bahn zum Putzen fahren musst. Ich verspreche, dir ein eigenes Auto zu kaufen. Den Mini, der dir so gefällt. Und du bekommst Klamotten und Schuhe und Zeugs vom Allerfeinsten, ich schwör. Und dann hast du bemängelt, dass wir noch nie im Ausland im Urlaub waren. Klar, stimmt schon. Wir fliegen weg, weit weg. Und wir bleiben, so lange wir wollen. Jetzt lach nicht, ich mein' das ernst!"

"Und wie willst du das bezahlen, du Spinner?"

"Na ja, du wirfst mir auch ständig vor, dass ich nur Geld heim bringe, wenn der Chef mich bezahlt, und sagst immer, dass ich in der Firma nur ein kleiner Fuzzi bin, ein Fahrer, der es zu nichts bringt, der nie befördert wird, obwohl du die Firma doch überhaupt nicht kennst!"

"Na und? Is doch so, oder?"

"Hör zu. Ich muss nicht befördert werden. Ich …" Fredi machte eine theatralische Pause, "… ich mach mich selbstständig!"

"Ja, ja. Und ich geh' jetzt ins Bett. Trink weiter und träum weiter, du Versager."

 

Aber Jenny Brandstetter sollte sich irren. Als sie zwei Wochen später den Umschlag öffnete, den Fredi ihr geheimnistuerisch überreicht hatte und einen Gutschein in Höhe von 5000,- Euro herauszog und er ihr versicherte, dass der wirklich echt sei, kreischte sie minutenlang vor Glück. Sie wollte gleich losziehen zum Shoppen, aber Fredi nötigte sie, ihm eine Minute Vorsprung zu geben. Als sie dann ins Freie trat, stand da direkt in der Auffahrt ein rot-weißer Mini. Fredi saß auf der Motorhaube, grinste frech und schaukelte den Autoschlüssel zwischen den Fingern. Dann warf er ihn der wieder kreischenden Jenny zu und rief: "Es ist deiner, mein Schatz!"

 

Am übernächsten Morgen standen Fredi Brandstetter und seine Frau in der Abflughalle des Terminal 1 im Flughafen FJS und warteten auf die Abfertigung. Rio de Janeiro. Brasilien. Copacabana, Cha-Cha-Cha, olé!

Vier uniformierte Polizisten holten sie aus der Reihe. Sie ließen sich sprach- und widerstandslos abführen, so perplex waren sie.

Im Vernehmungsraum der Polizeiinspektion am Flughafen München saßen sie wenig später einem Mann gegenüber, der sich als Hauptkommissar Reichert vorstellte. "Mordkommission", fügte er hinzu.

"Mo…Mo…Mord?", stotterte Fredi, und seine Frau schlug die Hände vor den Mund.

Rudolf Reichert blickte resigniert zur Decke. Wie oft war er schon in diesem Raum gesessen und hatte erste Vernehmungen durchgeführt? Beziehungsmörder, Berufskiller, Totschläger. Alle waren im Begriff, sich abzusetzen, und Reichert war jedes Mal glücklich, sie auf den letzten Drücker geschnappt zu haben. Aber dieses Pärchen bereitete ihm keine Freude.

"Herr … Brandstetter, wir wissen von den Kollegen vom K 3, organisierte Kriminalität, dass Sie für Guiseppe Pacini und seinen Mafia-Clan arbeiten. Die Kollegen haben sie seit Jahren unter Beobachtung. Aber als kleines Licht in der Firma, als Fahrer, der es nie weiter nach oben in der Hierarchie gebracht hat, dachten die Kollegen, sie lassen Sie vorerst unbehelligt, bis sie den Boss am Haken haben, und …"

"Was – wovon reden Sie da?", unterbrach ihn Jenny. "Mafia? Seine Firma ist die Mafia?"

"Tja, gnädige Frau, Ihr Gatte war in der Firma ganz unten angesiedelt, wie gesagt. Ganz kleines Licht. Aber jetzt?"

"Was, aber jetzt?", fragte Fredi eingeschüchtert.

"Jetzt stehst du auf der Abschussliste, mein Freund, und nicht nur bei uns. Bewaffneter Raubüberfall, Nötigung, Diebstahl, Mitglied einer kriminellen Vereinigung, Mord, das reicht wohl fürs Erste."

"Hä?"

"Sie haben sich aber auch zu dämlich angestellt, Fredi. Hätten Aushilfsfahrer bei Pacini bleiben sollen."

"Wieso dämlich?" Reichert starrte wieder genervt zur Decke, bevor er antwortete:

"Kein Modehaus stellt einen Gutschein über 5000,- Euro aus – bar bezahlt – ohne bei uns nachzufragen. Kein Autohaus bekommt für einen Gebrauchtwagen den Neupreis in bar auf den Tisch geblättert, ohne uns sofort zu informieren. Die Zulassungsstelle hat ihre Daten, ebenso der Pfandleiher, der den Schmuck angenommen hat. Drei Videokameras haben Sie gefilmt. Eine im Geschäft, zwei draußen. Keine Maske auf, das Nummernschild ihres alten Passats deutlich zu sehen. Und die One-Way-Tickets nach Rio, gestern hier am Last-Minute-Schalter gekauft und bar bezahlt haben Sie Ihrer Frau bestimmt als Spontanurlaub verklickert, stimmt's?"

"Frediii?"

"Ja, Frau Brandstetter, da hat es ihm wahrscheinlich trotz seiner Dämlichkeit gedämmert, dass nicht nur wir ihn in Verdacht haben könnten, sondern auch der ganze Pacini-Clan. Was weit schlimmer ist. Wie soll ich es formulieren? Was ihm an Grips fehlt, gleicht er durch Blödheit aus."

"Aber, aber – Schatz, Herr Kommissar, es waren doch alles nur gute Vorsätze, die ich einhalten wollte!"

"Ach Fredi, gute Vorsätze gehen so:

1. Sie müssen wirklich gut für einen sein. Okay, das hast du bestimmt geglaubt.

2. Sie sollten realistisch sein.

3. Durchdacht.

4. Einem insgesamt guten Zweck dienen und schon gar nicht

5. die eigene Lage verschlechtern. Und was den Mord angeht …"

"Mord? Herrgottnochmal, was für ein Mord denn?"

"Nun, der Mord an dem Juwelier, den du überfallen hast."

"Ich hab den doch nicht gekillt, nur bedroht!"

"Das wissen wir, Fredi. Der Mörder war dein Chef, Pacini höchst persönlich. Der Plan mit dem Überfall stand ja schon längst fest, exakt bis auf die Minute getimed. Du hättest fahren sollen. Und dann hast du beschlossen, als selbstständiger Unternehmer aufzutreten, das Ding selbst durchzuziehen – eine Stunde vor dem Zeitplan. Irgendwie hat das aber Pacini mitbekommen und ist derart in Wut geraten, dass er ohne nachzudenken zu dem Laden gerast iund mit gezückter Pistole hineingestürmt ist und auf alles geballert hat, was sich bewegte. Aber das war leider nur der Inhaber. Du warst exakt drei Minuten vorher mit deiner Beute abgedampft, wie die Videoaufzeichnung zeigt. Aber ein Kompliment muss ich machen: Ihr seid beide vorher aus der Wohnung verschwunden. Wohin?"

Während seine Frau kopfschüttelnd vor sich hin starrte, druckste Fredi herum:

"Na ja, die erste Freude, die ich Jenny machen wollte, war eine Woche in dem Hotel auf der Schwanthalerhöhe, wo wir uns kennen gelernt haben. Das habe ich aus eigener Tasche bezahlt. Sie ist dann da im Wellnessbereich und an der Bar rumgehängt, während ich mein Ding gemacht habe. Und dort habe ich ihr auch den Gutschein und den Mini geschenkt. Sie hat sich so gefreut!"

"Aber dort hättet ihr doch nicht ewig bleiben können, ich meine, wir oder Pacini hätten euch über kurz oder lang aufgestöbert."

"Na ja, das ist mir dann auch eingefallen. Deshalb die Urlaubsreise."

"Urlaubsreise. Aha. Ein Gutes hat die schreckliche Geschichte allerdings. Wir haben auch Pacini geschnappt. In eurer Wohnung."

"Ja super, Herr Kommissar! Dann haben meine Vorsätze ja doch funktioniert. Sie waren erst einmal gut für mich, und dann haben sie auch einem guten Zweck gedient. Win-Win-Situation, so sagt man doch. Können wir jetzt gehen, unser Flug …?"

 

Reichert blickte wieder zur Decke hoch und dachte sehnsüchtig an seine Pensionierung. Mord und Totschlag ja, aber so viel Blödheit machte ihn einfach fertig.

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 15.01.2016

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