Der Beobachter
Und Gott sah, dass es gut war
Genesis
Willkommen, mein Freund, und sei mir gegrüßt!
Ich schätze deine Neugier und deinen Mut, meine Welt kennen lernen zu wollen, also komm mit mir auf die Reise, und ich zeige dir, wie sie ist.
Schau hinauf in den azurblauen Himmel, die weißen Wattetupfer der Wolken, die warmen Sonnenstrahlen – ist das nicht herrlich? Und jetzt lass mich etwas zaubern, hui, das All, die unendliche Weite des Universums, die diamantglitzernden Sterne voll erhabener Schönheit, das geheimnisvolle Dunkel aus endloser Zeit, gefüllt mit Galaxien von unbegreiflichen Ausmaßen. Ein Anblick zum Niederknien, nicht wahr?
Nimm meine Hand, fürchte dich nicht, du wirst nicht fallen. Ich beschütze dich, hab Vertrauen zu mir, ja?
Jetzt geht's hinauf, wow! Die wilde, verwegene Jagd, und jetzt schau hinunter.
Das ist meine Welt, dieser unendlich zarte, schöne, blaue Planet – einzigartig im Universum. Komm, wir sehen ihn uns näher an, wir fliegen wieder hinunter. Dort siehst du den Grand Canyon, da drüben die Rocky Mountains, hier die Mojave-Wüste; weiter, weiter, über die Great Lakes hinaus aufs Meer. Diese bizarre Vulkaninsel da unten, das ist Island; gehen wir tiefer, hast du so etwas Schönes schon mal gesehen? Etwas lebensfeindlich, stimmt, doch nicht so wie das ewige Eis da im Norden und dennoch voller Leben, wenn man genau hinsieht. Ja, schau genau hin, aber dann weiter, weiter. Europa mit seinen Burgen und Schlössern, Wäldern, Seen und Weinbergen; ist das nicht herzerwärmend? Runter zum Regenwald, zum Kilimandscharo, in die Savanne mit ihren Milliarden von Lebewesen – kaum zu glauben, dass das aus einer einzigen Zelle entstanden sein soll, nicht wahr?
Lass uns weiterfliegen, mein Freund; du hast doch noch etwas Zeit, oder?
Da unten liegt der Indische Ozean, strahlen die Perlenketten der Malediven und Lakkadiven, siehst du, wie die phantastischen Korallenriffe durchs Wasser leuchten? Und da: Indien, das Land der Elefanten, Tiger und Maharadschas, und dort im Norden der majestätische Himalaja – alles meine Welt, so schön, so erhaben, so zauberhaft. Links Taiwan, rechts das wahrhaftige Paradies der mikronesischen Inseln; komm, lass uns noch schnell nach Australien fliegen, über den Ayers Rock, über Tasmanien nach Neuseeland, runter in die unendliche Antarktis.
Ah, hier ist es gut, hier lass uns rasten.
Frierst du? Nein? Das wusste ich, ich wärme dich ja mit meinem Feuer!
Hier ist ein magischer Ort. Egal, wohin du in dieser eisigen Wüste blickst, du schaust immer nach Norden. Mit einer Drehung kannst du meine ganze Welt überblicken.
Nun, hat dir unsere kurze Reise gefallen? Ja?
Sicher, man bräuchte unfassbar viele Menschenleben, um all diese Schönheiten näher zu erleben, um wirklich zu sehen, um real dort zu sein.
Aber willst du das wirklich? Willst du tatsächlich genau hinschauen, mein Freund? Ja? Na dann schau genau hin. Lass mich wieder etwas zaubern, hokuspokus!
Und jetzt, verflucht noch mal, schau sehr genau hin, du Mensch!
Da, siehst du die alten Frauen in Ruanda, die gerade aus ihren Hütten eilen, siehst du, wie sie gerade mit ihren Macheten den Hutujungen zerhacken? Und dort, das Massengrab in Afghanistan, oder ist es Äthiopien oder der Balkan – egal, das könnte überall sein. Siehst du die Maden in den Augen der Kinder? Schau genau hin! Die Bälger sind nicht vollgestopft mit BigMacs, das sind Hungerbäuche. Es graust dir? Tja.
Apropos Hamburger: Siehst du die Grassteppe, wo einmal Regenwald war? Die Rinder, die da fressen, werden bald von dicken Kindern ohne Hungerbauch aufgefuttert werden. Erinnerst du dich an die schönen Ozeane, über die wir geflogen sind? Tauch durchs Wasser und du siehst die toten Riffe, siehst die Kadaver der gefinnten Haie, die verrecken mussten, weil reiche Chinesen gerne schleimige Flossensuppe schlürfen, nachdem sie ihre Potenz mit Nashornmehl gestärkt haben.
Und schau weiter nach Norden, blick auf die erbarmungswürdige Qual in den Augen der Schweine neben den Schlachtfabriken und horch auf das Geschrei der Hühner in ihren KZ-Gehegen. Und der Regenwald auf Borneo oder sonstwo – schön grün, nicht war? Aber sieh genau hin! Endlose Palmölplantagen für das bessere Gewissen im Tank SUV-fahrender Europäer, nun ja.
Erinnere dich an unseren Flug, aber jetzt spitz deine Ohren! Hörst du es? Es sind die Explosionen der Granaten, der Panzerfäuste, der Tretminen, es ist das Knattern der Maschinengewehre, das Schreien der Gefolterten, der verwundeten Kinder und der stumme Schrei der Verhungernden – oder ist es das Gebrüll der Dealer auf dem Parkett der Börsen, die mit Hunger, Not und Tod ihre dreckigen Geschäfte machen? Ich kann es nicht unterscheiden, es ist zu laut.
Was flüsterst du da? Oh mein Gott? Hahahaha, guter Witz!
Nein, Gott hat damit nichts zu tun. Garnichts. Das ist meine Welt! Eine Welt der Not, des Elends, des Krieges, des erbarmungslosen Kampfes des Menschen gegen die Natur und all ihre Kreaturen. Ja, ihr Menschen werdet erst einmal gewinnen, und das gefällt mir. Ich bin auf eurer Seite.
Ich bin auf der Seite der kühlen Waffenproduzenten, die Splitterbomben und Sturmgewehre für die Kindersoldaten produzieren. Du bist Deutscher? Ja, ihr habt Erfahrung, seid schon wieder drittgrößter Waffenexporteur, habt zum Glück nichts gelernt aus eurer Geschichte. Sie sind ja so smart, eure gelackten Politiker, die schon wieder Exporte genehmigen, an die vor wenigen Jahren nicht einmal zu denken erlaubt gewesen wäre. Sie wollen ihre Freiheit überall auf der Welt verteidigen, sie wollen ihre Werte hinaustragen, wollen Geschäfte machen, auch mit Massenmördern - wenn wir's nicht machen, tun's andere, blah, blah.
Tja, wenn ich nicht der wäre, der ich bin, müsste ich den ganzen Tag kotzen. Aber mir gefällt das, es amüsiert mich. Deshalb bin ich auch auf der Seite der schmierigen, gewissenlosen Spekulanten, der korrupten Medienmacher, skrupellosen Waffenproduzenten und Giftgaschemiker, die privat sicher nette Menschen sind, einen Hund haben und Töchter auf Waldorfschulen. Das ist schön, das ist eine wunderbare Welt.
Und wieder flüsterst du: Oh mein Gott!
Aber schau dir mal seine Vertreter an. Ich will jetzt nicht über den alten Tatterich im Vatikan lästern und die anderen religiösen Heuchler und Fanatiker, auch nicht über die tobenden Islamistenmassen mit ihrer prosperierenden Flaggenindustrie.
The roof is on fire, let the motherfuckers burn.
Aber eure Führungsnation will einen Mormonen zum Chef wählen. Einen Mormonen! Wirf nur einen Blick in ihr heiliges Buch, und du wirst an deinem Verstand zweifeln. Oder auch nicht.
Wie blöd seid ihr Menschen eigentlich? Ihr glaubt, das Universum verstehen zu können und glaubt gleichzeitig an schwachsinnige heilige Bücher. Ihr wollt meine Welt verstehen und bringt sie systematisch um. Ich finde das faszinierend.
Was glotzt du so dämlich? Hast du erkannt, wer ich bin? Ja, ich bin Ahriman, Scheitan, Beliar und Luzifer, ich bin Mephisto, das stimmt.
Und das ist meine Welt, die so schön ist, wie ich sie dir gezeigt habe und so schlecht. Aber, mein Freund, lass dir etwas erklären:
ER, GOTT, hat sie erschaffen, weil IHM nach einer Ewigkeit einfach langweilig wurde. Es gibt keinen Beweis, dass ER es nicht war. Aber sie war eine Fehlkonstruktion. Im Gegensatz zum Glauben eurer Eiferer ist ER nicht unfehlbar. Vor allem wart ihr Menschen seine krasseste Fehlkonstruktion. ER hat mehrfach versucht, das zu ändern, hat Verträge mit euch geschlossen und sie gleich wieder gebrochen - so ist GOTT nun mal -, ER hat euch mit Feuer und allen Plagen gepeinigt, ER hat euch sogar alle ersäufen wollen, aber es hat nicht funktioniert. Da hat ER das Interesse verloren und murkst jetzt in einer anderen Ecke des Universums rum.
Ich hab mal was gegen seinen Willen getan, da hat ER mich rausgeworfen. Das war seine beste Entscheidung, denn jetzt ist das meine Welt.
Und ihr Menschen macht mir große Freude, vor allem, seit ich gemerkt habe, wie blöd ihr tatsächlich seid. Das war damals, als ich Adam den Apfel vom Baum der Erkenntnis gab, erinnerst du dich? Damals war ich noch GOTTES Angestellter, und ich hab erkannt, dass ER mit euch völligen Murks konstruiert hat.
Ich hab mir gedacht, wenn ihr die Erkenntnis gewinnt, dass eure Lebenszeit im Verhältnis zur Ewigkeit nicht messbar ist, dass ihr euch dann dem kurzen, aber heftigen Lebenskampf nicht aussetzen werdet und euch folgerichtig selbst zerstören würdet. Aber nein, Kain hat zwar den Anfang gemacht, aber er war so blöd, Abel zu erschlagen, anstatt seine Mutter. Das war GOTTES heuchlerische Hinterfotzigkeit oder Dummheit. Er hat euch nämlich ein Selbsterhaltungsgen eingebaut.
Jetzt seid ihr sieben Milliarden, und ein Teil von euch beutet die Natur aus, lässt foltern, verhungern und morden in gigantischem Ausmaß, häuft Reichtümer über Reichtümer an, obwohl er weiß, dass er in kürzester Zeit faulend in einer Grube liegt, und der andere Teil von euch lässt das über sich ergehen. Ich weiß wirklich nicht, welcher dieser beiden Gruppen die blödere ist.
So ist meine Welt: Grausam, selbstsüchtig, maßlos, zum Untergang verurteilt und unglaublich dumm. Wunderbar! Ich liebe das, ich schau gerne zu.
Ich will nur etwas richtig stellen: Ich bin SATAN, mich kann man nicht nach eurer fragwürdigen Moral beurteilen, aber das, was mir nachgesagt wird - damit habe ich nichts zu tun. Rein gar nichts, ebenso wenig wie GOTT.
Das letzte Mal, dass ich eingegriffen habe, war die Sache mit dem Apfel. Da wollte ich IHM Ärger ersparen, aber er hat mich gefeuert. Seitdem bin ich nur stiller Zuschauer und Genießer.
Ja, das ist meine Welt, aber dafür, dass sie so verkommen ist, kann ich nichts. Das habt ihr allein zu verantworten, und deshalb ist diese Welt, so wie sie ist, auch eure Welt.
Na, mein Freund, noch ein Rundflug gefällig? Vielleicht zu Shells Erdölsümpfen in Nigeria, zu den Mädchenbeschneiderinnen in Somalia, zu den Müllkippenkindern von Ecuador, zu den Fabriktrawlern vor der Küste Grönlands, zu den Hasspredigern im Sudan oder in Utah oder zu den ...? Nein? Vielleicht willst du dich lieber selbst umbringen? Auch nicht? Ah! Das Gottesgen! Geniale Konstruktion, ohne Neid. Ich liebe es, es ist Grundlage meines täglichen Amüsements, hahahahaha ...
Nichts für ungut, mein Freund!
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BRieser91012
Texte: Bert Rieser
Bildmaterialien: Bernd Kasper/pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2012
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