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Por Dios y por el Rey



Am Morgen des 14. August des Jahres 1630 verließ die dreimastige Kriegsgaleone Santa Juliana den Hafen von Malaita und steuerte unter Admiral Pedro de Quirós' Befehl südostwärts auf die Santa-Cruz-Inseln zu. Ihr Zielgebiet war terra incognita. Die Besatzung wusste nur, dass die Isola del Espirituo Santo irgendwo vor ihnen liegen musste. Am 30. August gerieten sie in ein gewaltiges Sturmtief. Erst am 2. September klarte es auf, und sie konnten ihre Position neu bestimmen. Die Santa-Cruz-Inseln mussten jetzt backbord achteraus liegen, also änderten sie ihren Kurs auf südsüdwest, einzig vertrauend der Seeroutenbeschreibung Fernández de Córdobas, der zehn Jahre zuvor mit seiner Karavelle die Insel entdeckt hatte. Sie mussten das Eiland finden, weil es ihr Auftrag war und mehr noch, weil sie dringend Wasser und Proviant brauchten.

"Tierra, tierra!", ertönte plötzlich der Ruf des Ausgucks, und richtig: Steuerbord voraus waren eine dunkle Küstenlinie  und weiße Brandungskronen zu erkennen. Der Admiral ließ die Segel reffen, und die Besatzung fiel auf dem Vordeck auf die Knie, während Pater Zapatero das Te Deum anstimmte. Der Dominikaner war als Vertreter des Heiligen Stuhls an Bord und hatte darauf zu achten, dass die Interessen der heiligen Kirche gewahrt wurden.
Fernández de Córdobas Beschreibung war richtig: Die Insel befand sich exakt auf dieser Position. Und ihre strategische Bedeutung war offensichtlich: Hinter ihr musste Terra Australis Incognita liegen, ein unermessliches Land, von dem Holländer berichtet hatten, die mit der Batavia da gestrandet waren. Und jeder der dort hin wollte, musste Espirituo Santo passieren. Ein Fort, ein Kriegshafen an dieser Stelle, und man würde die Passage beherrschen und blockieren können. Vor allem den verhassten Engländern und Franzosen gegenüber.

Nach einiger Zeit entdeckte der Ausguck einen Kanal durch das Riff. Die Santa Juliana drehte bei und tastete sich unter dem ständigen Tiefengesang des Lotsen in eine herrliche Bucht hinein. Sie warfen Anker und konnten es kaum erwarten, nach frischem Wasser und Lebensmitteln zu suchen, doch der Inquisitor ließ erst alle niederknien, Gott danken, das Kreuz am Strand errichten, und dann nahm er zusammen mit dem Admiral offiziell die Insel in Besitz. Für Gott und für Philipp IV. von Spanien. Por Dios y por el Rey. Anno domini MDCXXX.

Das Paradies. Ein klarer Bach mündete in die Bucht, Kokospalmen säumten den Strand, unbekannte Früchte fielen den Matrosen fast in die Münder und allerlei Getier war zu sehen. Und das Wasser der Bucht wimmelte von Meeresbewohnern.
Zwei Tage schwelgten sie, schlugen sich die Bäuche voll und feierten sich und Gott und König Philipp und alles andere. Hier war der ideale Platz für eine Festung – Wasser, Lebensmittel, Korallenblöcke, Holz und ein geschützter Hafen.
Doch plötzlich kam der Warnruf der Wachen, die sie vorsichtshalber am Waldrand postiert hatten. Die Soldaten rannten entsetzt zu ihren Waffen und formierten sich. Wilde waren aufgetaucht! Es waren etwa 25  Männer, mit Lendenschurzen bekleidet, tätowierten Oberkörpern und Federn auf den Köpfen. Und sie waren bewaffnet. Mit Speeren, Bögen und Nal-Nal-Keulen. Doch sie erschienen friedlich, starrten nur herüber.

Pater Zapatero war ein tapferer Mann, und er vertraute Gott. Er bedeutete den Soldaten ruhig zu bleiben, schickte einen zurück zum Schiff, um den Admiral zu informieren und ging dann langsam mit ausgebreiteten Armen auf die Indianer zu. Er hatte keine Ahnung, was passieren würde. Er wusste nicht, ob sie ihn verstehen würden, obwohl er viele Sprachen der Südsee kannte. Auch deshalb hatte man ihn auf diese Expedition geschickt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ständig Stoßgebete zum Himmel zu schicken und auf die übliche Gastfreundschaft und Vertrauensseligkeit zu hoffen, die schon zahllosen Völkern in dieser Weltgegend Leben und Freiheit gekostet hatten. Por Dios …

Die Wilden standen noch immer unbewegt und starrten auf ihn. Zehn Schritte vor ihnen blieb der Pater stehen und sprach sie an. Er versuchte es in allen ihm bekannten Sprachen, er redete mit Händen und Füssen und wollte schon verzweifeln, als einer der Eingeborenen, offenbar der Anführer, knapp und bestimmt auf maháei sagte: "Komm morgen wieder." Dann drehte er sich um und verschwand mit seinen Männern lautlos im Dschungel.

Die nächsten Kontakte gestalteten sich tastend, vorsichtig, aber friedlich, und Pater Zapatero konnte sich mit den Heiden immer besser verständigen.
Eines Tages wurden sie von ihnen aufgefordert, mitzukommen. Quiró winkte ein paar Soldaten herbei, und sie folgten den Wilden in den Dschungel. Es ging über schmale Pfade kreuz und quer, bis sie schließlich auf eine gewaltige Lichtung in einer Talsenke stießen. Es verschlug ihnen den Atem. Mais- und Kartoffelfelder, Maniok- und Bananenplantagen reihten sich an Schweine- und Ziegenpferche, und breite Wege liefen auf eine Stadt zu, die eine kaum zu schätzende Zahl von Bewohnern beherbergen mochte Darüber, auf einem offensichtlich aufgeschütteten Hügel, thronte ein gewaltiges Gebäude, wie sie es in der Südsee noch nie angetroffen hatten. Trutzige Palisaden, Wehrtürme, fast wie eine Burg in Aragón.

Die Spanier hatten kaum Zeit zum Nachdenken, denn ihre Führer eilten weiter auf die Ansiedlung zu.
Neugierig aber offensichtlich friedlich wurden die Fremden von den Stadtbewohnern beäugt, bis sie schließlich vor der Festung standen. Auf ein Pfeifsignal öffnete sich ein Tor in der Palisadenwand.
Dahinter stand hochgewachsen und majestätisch der Häuptling. Admiral Queró erkannte Macht sofort. Und der Pater identifizierte den zweiten Mann im Staate: den Schamanen, den Götzendiener. Die seltsame Kleidung, die Fetische, das arrogante Gehabe – der Kollege sprang ihm sofort in die Augen. Um beide gruppierte sich eine Reihe von Kriegern, über und über tätowiert, mit Keulen und Speeren bewaffnet.

Dann erhob der Häuptling das Wort, der Mönch übersetzte. Er hieß die Ankömmlinge willkommen und er hätte er nichts dagegen, wenn sie Früchte ernteten, wenn sie Tiere jagten, wenn sie Wasser schöpften, denn das wären die Gaben der Natur, die allen Lebewesen gehören würden. Aber sie dürften niemals feste Häuser errichten, die Götter missachten oder die Frauen berühren.
Sprach's, drehte sich um und ging, gefolgt von seinen Männern, während sich das Tor schloss.

"Caprón!", schimpfte der Admiral, als sie zurück durch den Dschungel gingen. " Keine Häuser bauen! Mierda! Aber wenn er schon so viele Krieger als Leibwache hat, dann ist seine Streitmacht sicher größer als unsere. Wir haben wenige Chancen, Pater!"
"Das sehe ich auch so, Príncipe. Wir müssen schlau vorgehen. Gewalt erscheint mir momentan auch nicht das Mittel der Wahl zu sein. Aber wir haben Zeit. Lasst uns doch ihre Achillesferse erkunden!"

Tage und Wochen zogen sich. Sie zählten die Bewohner und die Krieger. Zuviel für einen Frontalangriff.
Der Pater verlegte sich inzwischen auf das Beobachten der Bevölkerung. Er ging täglich ins Dorf und versuchte mit den Menschen zu sprechen. Er wollte die Machtstrukturen erforschen, herausbekommen, wie diese Gesellschaft funktionierte. Und der Admiral versuchte den erprobten Weg der Bestechung, aber stumpfe Messer oder bunte Bänder interessierten die Bevölkerung überhaupt nicht. Die Matrosen durchstreiften die Insel auf der Suche nach Gold oder Silber – ohne Erfolg.
Die ganze Mission drohte zu scheitern, als der Admiral einen Matrosen bestrafen ließ, weil er eine Eingeborene vergewaltigt hatte. Die Stimmung schlug um. Unmut machte sich breit. Der Rum ging aus, und die Langeweile nahm zu.

Schließlich berief der Admiral den Kriegsrat auf der Santa Juliana ein.
"Es muss etwas geschehen", rief er, "sonst geschieht ein Unglück!" Und damit meinte er nicht die Eingeborenen. "Unser heiliger Auftrag lautet, diese Insel unter die Herrschaft Königs Philipps zu stellen und eine Festung zu errichten. Für Spanien!"
"Und für Gott", vollendete Pater Zapatero.
"Jaja, Pater, y por Dios. Hat jemand einen Plan?" Die Offiziere blickten zu Boden.
"Exzellenz", begann der Pater nach einer Weile, "darf ich sprechen?"
"Nur zu!"
"Wie Ihr wisst habe ich die Dorfgemeinschaft lange beobachtet. Ich habe versucht herauszufinden, wie sie funktioniert, wie die Machtverhältnisse sind. Und ich habe versucht zu verstehen, wie sie ihren Götzen dienen. Ihre Hauptgottheit ist die Meeresgöttin Mata'ahurghaaba, und sie ..."
"Pater!" Der Admiral verdrehte die Augen. "Ich bin ein Christenmensch und unserem Allerhöchsten untertan. Aber diese …"
"Lasst mich doch bitte ausreden, Principe. Wir können diese Heiden militärisch nicht unterwerfen, dazu sind wir zu schwach, oder?" Die Offiziere nickten widerwillig. "Wir könnten versuchen, den Häuptling zu eliminieren, aber wir kommen ohne Hilfe nicht in seinen Palast, oder?" Wieder nickten die Militärs unwillig. "Also brauchen wir eine List."
"Aber …"
"Exzellenz, die Lage ist zu ernst, um zu disputieren", fuhr Pater Zapatero dem Admiral über den Mund. "Hört mich erst zu Ende an und dann entscheidet!" Der Admiral schwieg verdutzt, und der Pater begann, seinen Plan zu erläutern.
"Ich habe die Dorfgemeinschaft lange beobachtet, und plötzlich fiel mir etwas Sonderbares auf. Zu regelmäßigen Zeiten verschwinden einige Männer aus dem Dorf. Aber nicht alle kehren zurück. Es ist ein rotierendes System, das irgendwann jeden heiratsfähigen oder verheirateten Mann betrifft. Und die Frauen der Männer, die nicht wiederkehren, werden von den anderen als Nebenfrauen aufgenommen. Eine zutiefst widerwärtige Sache im Sinne unserer Kirche, ich weiß. Gott wird ihrer Seele gnädig sein, wenn wir mit Feuer und …"
"Padre! In medias res, por favor!"
"Si, así. Ich habe auch festgestellt, dass jedes Mal, wenn die Männer verschwinden, auch der Götzendiener Tuta Fanva'ariki unauffindbar ist, und deshalb habe ich mich vorgestern an seine Fersen geheftet."

"Ihr seid wirklich ein tapferer Mann Gottes, Padre!"
"Danke, Eure Eminenz. Es ging durch den verfluchten Dschungel, einen halben Tag lang, und der Weg endete in einer Bucht, die wir bisher nicht entdeckt haben. Nur Gott kann mein Erstaunen beschreiben, als ich sah,welches Heiligtum teuflische sich dort befindet. Ein Platz, groß wie der vor der Kathedrale von Sevilla, sorgfältig geglättet, und im Zentrum davon steht ein Altar. Und um den Platz herum drängen sich Berge von Muschelschalen. Ein seltsamer Anblick! Ich halte mich also hinter dem Randgestrüpp der Bucht verborgen und kann beobachten, wie sich nach und nach Männer aus den Dörfern um den Altar versammeln. Schließlich tritt der Götzendiener dazu und murmelt irgendwelche teuflischen Gebete, worauf sich die Männer zum Strand begeben. Und dann schwimmen sie – man stelle sich vor, sie schwimmen, diese Wilden – hinaus in die Bucht und verschwinden unter der Wasseroberfläche. Ich dachte erst, sie ertränken sich. Heidnische Rituale sind manchmal sehr seltsam. Aber dann kommen sie wieder hoch. Und wieder hinunter in das Grauen, immer und immer wieder. Das Wasser färbt sich rot, Haie! Die scheinen schon gewartet zu haben. Und doch tauchen die Männer immer und immer wieder in die grausige Bucht. Endlich hatte das seltsame Spiel ein Ende, und die Überlebenden schwammen zurück ans Ufer. Zwei von ihnen haben es nicht geschafft."
Die Berater des Admirals schauten sich an. Was für einen Irrsinn berichtete der Pater da! Welcher Mensch konnte schon schwimmen? Keiner auf der Galeone konnte schwimmen. Keiner wollte es lernen. Jeder wusste, dass bei einem Schiffbruch das Schwimmenkönnen das Leiden nur unnütz verlängern würde. Schnell ertrinken war allemal besser als stundenlange Quälerei!
"Dann", fuhr der Pater fort, "gingen die Überlebenden zum Altar und leerten dort ihre Beutel aus, die sie um die Hüften gebunden hatten. Und dann sah ich, was sie da draußen gesucht hatten: Perlmuscheln."
Jetzt bekamen alle spitze Ohren. Perlen? Kein Gold, kein Silber, aber Perlen! Vor Gier lief ihnen das Wasser im Munde zusammen. Perlen! Por Dios y por el Rey, aber auch für sie!

Doch der Pater zerstörte gnadenlos ihren Traum.
"Ja", sagte er, "sie brachten die Muscheln zum Altar, der Götzendiener öffnete sie, und wenn eine Perle darin war, legte er sie zur Seite. Und, ich kann euch sagen, es waren nicht wenige Perlen!" Die Gier tropfte wieder aus den Lefzen seiner Zuhörer.
"Und dann …" Der Pater hob die Hand, um das aufbrausende Gemurmel zu unterbinden, "… und dann nahm der Schamane die Perlen, watete bis zur Brust ins Wasser der Bucht hinaus und warf sie alle zurück ins Meer. Danach sprach er wieder ein teuflisches Gebiet, wischte den Altar sauber und verschwand mit den Tauchern im Wald."

"Was für ein Irrsinn!", sagte der Admiral nach einer Weile des Schweigens. "Aber vielleicht können wir daraus ein gutes Geschäft machen."
"Schwachsinn", knurrte ein Offizier, dem im Laufe der Wochen jeder Respekt abhanden gekommen war. "Wie sollen wir die Roten dazu bringen, für uns zu tauchen?"
"Wir könnten sie nach dem Tauchen abfangen."
"Wir sollten sie foltern und dazu zwingen."
"Wir könnten selbst tauchen, äh, es lernen, äh, irgendwie."
"Ruhe!", schrie der Admiral. "Ich gehe zu Gunsten des Paters davon aus, dass das nicht das Ende seiner Geschichte ist, sonst …"
"Nein, Eminenz", beeilte sich der Pater zu versichern. "Ich habe ja nicht umsonst darum gebeten, meine Geschichte ungestört berichten zu dürfen."
"Asi…"
"Also. Ich habe mir folgendes zusammengereimt: Ist euch noch nicht aufgefallen, dass die Wilden hier wenig fischen, und wenn doch, dann winzige Einbäume benutzen, dass sie sich vor dem Meer fürchten, aber trotzdem schwimmen können? Die Meeresgöttin Mata'ahurghaaba ist schrecklich. Sie schickt Stürme, wenn sie wütend ist, sie tötet Fische und Menschen gleichermaßen, sie verschlingt das Land. Aber sie ist putzsüchtig wie alle Weiber, schmückt sich am liebsten mit Perlen, die sie aber trotz aller Kraft selbst nicht aus den Muscheln lösen kann! Was liegt näher um sie zu beruhigen, um ihr zu huldigen, als ihr die geliebten Perlen zu beschaffen? Und je schöner, je farbiger, je runder die Perlen sind, desto erfreuter ist sie. Jeder Mann, der es schafft, der Göttin Mata'ahurghaaba Perlen zu bringen, kommt dem Himmelreich ein Stück näher. Und wer bei der Suche nach ihnen umkommt wird zum Märtyrer! Welche Blasphemie! In der Hölle sollen sie schmoren, die verfluchten …"
"Beruhigt Euch, Padre, ein Jegliches hat seine Zeit, sagt die Bibel. Habt Ihr einen Plan?"
Der Dominikaner atmete tief durch und sagte dann: "Ja. Ich habe einen Plan."
Alle warteten gespannt, dass der Pater zu sprechen anfing.

"Ja, ich habe einen Plan", wiederholte er schließlich. "Was ist das Heiligste dieser heidnischen Wilden? Genau! Perlen! Mit Perlen können sie sich das Wohlwollen Mata'ahurgaabas kaufen, so glauben sie. Je schöner die Perle, desto besser. Diese Heiden glauben an die Macht der Perlen, aber sie sind …" Jetzt schwieg der Pater theatralisch um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, "… aber sie sind untereinander zerstritten. Sie neiden einander die Zahl und die Schönheit der Perlen, die sie geopfert haben, sie hassen sich, weil sie glauben, dass die schönere Perle des Nachbarn diesem einen Pluspunkt bei Mata'ahurgaaba bringt! Diese Narren! Und genau das müssen wir ausnützen. Eminenz, lasst den 'Moses' rufen!"
"Soll der uns jetzt zum Sieg führen, Padre?"

Dem Admiral war jetzt schon alles egal, und er ließ trotz des Gelächters seiner Offiziere den Schiffsjungen holen. Zitternd stand er endlich vor dem Inquisitor.
"Du hast etwas, was wir nicht haben!", donnerte der Dominikaner und blickte ihn scharf an. Der Schiffsjunge glotzte verständnislos und verstört herum.
"Du hast Murmeln, nicht wahr?. Wunderschöne Glasmurmeln, stimmts? Ich habe sie gesehen! Kinderkram, nichts für Seemänner!"
Der Junge wusste nicht, ob er nicken, davonlaufen oder im Boden versinken sollte. Nicken war am leichtesten.
"Also hol sie, rápido!"


"Diese Murmeln", erklärte der Pater später, "werden die schönsten, perfektesten Perlen sein, die diese Heiden je gesehen haben. Sie funkeln in der Sonne, sie leuchten von innen heraus, und sie sind absolut rund. Diese 'Perlen' wird jeder Mann auf dieser Insel haben wollen um sie der Meeresgöttin zu opfern. Und sie werden uns den Weg in den Palast ebnen. Ich weiß auch schon, wen ich damit bestechen werde."

Und so kam es. Mit einer Handvoll Glasperlen ließ sich der Verräter kaufen. Er zeigte den Soldaten den Weg durch das Labyrinth des Palastes; sie töteten den Herrscher und richteten ein furchtbares Blutbad unter den ahnungslosen Wachen an, dann schlugen sie gnadenlos jeden Widerstand nieder, metzelten auch hemmungslos Frauen und Kinder, por Dios y el Rey. Und als die Waffen endlich schwiegen und der Admiral neben dem Dominikaner von der Burg auf die rauchende Stadt hinab blickte, schlug der Pfaffe ein Kreuz und murmelte ein Gebet.
"Es wird zwar nichts nützen, sie sind als Heiden gestorben und werden in der Hölle schmoren, aber trotzdem. Gott sei ihrer Seele gnädig, so sie denn überhaupt eine haben."
Der Admiral nickte. "Aber jetzt sagt mir, Padre, wer war Euer Informant, wen habt Ihr bestochen?"
Der Pater sah sich um, befragte jeden Soldaten, der vorbei kam und schüttelte schließlich den Kopf. "Hier ist er nicht, Eminenz, keiner hat ihn gesehen oder erschlagen. Aber ich glaube, ich weiß, wo er ist. Folgt mir!"
Sie verließen mit sechs Soldaten den Burghügel, schlugen sich durch den Dschungel und erreichten schließlich die Bucht der Muscheln. Und dann sahen sie ihn. Der Admiral brauchte nicht zu fragen. Der Mann, der da mit einem Strick um den Hals an einer Kokospalme hing war der Verräter. Es war Tuta Fanva'ariki, der Schamane. Als sie näher traten sahen sie, dass zu seinen Füßen die Glasperlen des Schiffsjungen lagen.

"Darf ich raten, Padre, wie viel Murmeln Ihr ihm gegeben habt? Es waren genau dreißig, stimmts?"
Lange Zeit antwortete Zapatero nicht. Doch schließlich flüsterte er: "Ja. Genau dreißig Perlen waren sein Lohn."
"Aber – aber warum hat er sie nicht der Göttin gegeben, wie er es sonst immer gemacht hat? Das gibt doch keinen Sinn!"
"Tja, wer weiß", antwortete der Pater. "Gottes Wege sind seltsam. Vielleicht haben auch diese Wilden so etwas wie ein Gewissen, und er hat sich selbst bestraft, als er sah, was er angerichtet hat, wie es der Verräter Judas getan hat, der unseren HERRN verriet."
Sie wandten sich um und verließen stumm den heidnischen Opferplatz. Die Glasperlen nahmen sie mit.

Als sie wieder die Bucht erreichten, in der die Santa Juliana ankerte, hatten dort die Männer bereits ein großes Feuer entfacht, Schweine brutzelten an Spießen, und die vergorene Kokosmilch, die sie als Rumersatz in sich hineinschütteten, zeigte bereits gewaltige Wirkung. Sie hatten schließlich einen großen Sieg zu feiern! Sie grölten und brüllten, ließen sich gegenseitig hochleben und piesackten den 'Moses' wegen seiner Kindermurmeln, bis der schließlich die Tränen nicht länger zurückhalten konnte und in den Wald rannte, weit weg von der betrunkenen Bande.

Wütend wollte Admiral Quiró die Truppe zur Disziplin rufen, zumal sich auch die Wachmannschaft in ihrem Erbrochen wälzte, doch dann glitt sein Blick zum Horizont, und er erblasste. Er sank langsam auf die Knie, deutete aufs Wasser hinaus und stammelte: "Madre mio, der HERR stehe uns bei!"
Und jetzt sah es auch der Pater: Eine bis zum Himmel reichende Wasserwand hatte sich am Saumriff aufgebaut, grau wie Stahl, und dann hörten auch die Betrunkenen das dumpfe, unheimliche, grauenhafte Grollen. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sahen sie, wie die Monsterwelle sich am Riff brach, ihre Galeone wie ein Spielzeug zerschmetterte und unaufhaltsam auf sie zu raste.
"Mata'ahurghaaba! Die Göttin des Meeres! Sie kommt, um sich ihre Perlen zu holen, Gott steh' uns bei!", flüsterte Pater Zapatero noch. Dann verschlang ihn die Welle.

Als Einziger der Santa Juliana überlebte der Schiffsjunge im Dschungel.
Aber das ist eine andere Geschichte.


                                                           -ENDE-

 

 

 

Impressum

Texte: Bert Rieser
Bildmaterialien: Bert Rieser
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

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