Die letzten Tage von Ellaidhoo
"Chicken or lamb, Sir?"
Ich schrecke hoch und starre in das freundlich lächelnde Gesicht einer Stewardess der Emirates Airlines.
10.000 Meter über dem Indischen Ozean aus dem Schlaf gerissen und mit dieser weltbewegenden Frage konfrontiert zu werden überfordert mein Reaktionsvermögen.
"Chicken or lamb, Sir?", wiederholt meine Traumfee geduldig lächelnd ihre Frage. Sehr arabisch sieht sie ja nicht aus, eher nordenglisch. Anyway. Ich sollte langsam eine Antwort geben und entscheide mich spontan für Hühnchen. Sowieso egal. Flugzeugverpflegung schmeckt eh immer gleich. Ich befreie das Essen von Plastik und Alu und überlege dabei, wie viel Müll allein dieser Flieger produziert. Immerhin sind Löffel und Gabel aus WMF-Cromargan. Das Messer nicht. Potentielles Mordwerkzeug. Aber was ist das bisschen Plastik schon im Vergleich zum Ausstoß von 10 Tonnen CO2, die für den Flug nach Malé in die Atmosphäre geblasen werden? Dafür könnte ich mit dem Auto 35-mal nach Sylt fahren. Dort soll man auch tauchen können. Brrr. Ich freue mich lieber auf 29 Grad Wassertemperatur und Millionen bunte Fische.
Die Malediven, ein islamisches Land im Indischen Ozean südwestlich von Indien, bestehen aus etwa 1200 Inseln, von denen 300 von Einheimischen bewohnt werden. Fast hundert sind ausschließlich touristischen Zwecken vorbehalten. Bisher waren Einheimische und Fremde strikt voneinander abgeschottet. Das soll sich jetzt ändern.
"Wir haben ein Transportsystem geschaffen, das Hotelinseln mit bewohnten Inseln verbindet. […] Wir müssen unsere Bürger mit anderen Kulturen vertraut machen, so wie andere Kulturen sich mit unserem Schicksal beschäftigen sollen."
Die Inseln sind nicht vulkanischen Ursprungs, sondern durch Absinken des Meeresspiegels aus Korallen entstanden. Ein Traum für Taucher, denn Korallenriffe sind die Kinderstuben der Meere, besiedelt von einer überwältigenden Artenvielfalt.
Einer dieser Trauminseln ist Ellaidhoo
. Sie liegt im Nord-Ari-Atoll,
etwa 1,5 Bootsstunden von der Hauptstadt Malé
entfernt. Malé
ist die am dichtesten besiedelte Stadt der Welt. Auf 2,7 Quadratkilometern leben mit 105.000 Menschen ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Von 7 Grad nördlicher Breite bis über den Äquator hinaus reiht sich Atoll an Atoll, Palmeninsel an Palmeninsel – aus der Luft ein Traum, unter Wasser ein Traum. Aber auch an Land?
Noch bis vor kurzem waren die Malediven ein streng islamischer, abgeschotteter, diktatorischer Staat. Regimekritiker wurden mundtot gemacht, weggesperrt, gefoltert. Auch der jetzige Präsident Mohamed Nasheed
, der sein Leben lang an den Folgen leiden wird. Er ist der erste Staatsführer, der durch demokratische Wahlen an die Macht kam.
"Ich arbeite für eine freie Gesellschaft, und dafür ist es unerlässlich, Demokratie fest zu verankern. Natürlich könnte ich mich an den Menschen rächen, die mir das angetan haben. Aber Rache hat noch nie irgendein Problem gelöst."
Nasheeds Blick ist in die Zukunft gerichtet. Aber haben die Malediven eine Zukunft? Die Inseln ragen im Schnitt einen Meter aus dem Wasser, der höchste 'Berg' ist 2,4 m 'hoch'.
Und deswegen habe ich hier oben auf 10.000 Metern in meiner fliegenden Alu-Zigarre ein verflixt schlechtes Gewissen. Mit jedem Flug, mit jeder Tonne Kohlendioxid steigt der Meeresspiegel etwas an, und dass ich zuhause auch verdammt viel CO2 produziere, beruhigt das Gewissen nicht wirklich.
Ellaidhoo
misst etwa 300 m im Durchmesser und ist bekannt als die Insel mit dem vielleicht schönsten Hausriff der Malediven. Nur wenige Meter vom Strand entfernt fällt eine Steilwand senkrecht auf etwa 30 bis 40 Meter ab – über und über bewachsen mit Hart- und Weichkorallen, Gorgonien, Schwämmen und besiedelt von einer Unzahl bizarrster Lebewesen vom Fangschreckenkrebs bis zu fast handzahmen Stachelrochen. Zum Schutz dieses Riffes ist die Insel rundum von betonierten Wellenbrechern umgeben, was sie nicht gerade schöner macht, aber ohne sie würde beim nächsten Sturm der gesamte Strand über die Korallen gespült und sie ersticken. Aus wär's mit der Pracht und Herrlichkeit – der Lauf der Natur. Inseln entstehen und vergehen, wandern durch die Atolle, werden im Luv ab- und im Lee wieder aufgebaut. Aber erzählen Sie das mal den Investoren! Der Tourismus erwirtschaftet 30% des Bruttoinlandsproduktes – dennoch sind die meisten Malediver bettelarm. Sie leben im Schnitt von kaum mehr als einem Euro pro Tag, und die Inflation ist dramatisch.
Der Tourismus ist die einzige, janusköpfige Chance. Und so werden verstärkt Nichttaucher zum Wellnessurlaub gelockt. Süßwasserpools, Tennisplätze, Muckibuden, Squashcourts, Massagetempel (natürlich klimatisiert), all-inclusive-Angebote, und schon kommen sie, die Deutschen, Engländer und Russen.
Und sie müssen Geld bringen, viel Geld – denn letztendlich wird den Maledivern nichts anderes übrigbleiben, als das 'Land' zu verlassen – nach Sri Lanka oder Australien.
"Wir haben noch kein Land gekauft, sind aber bereit, es zu tun."
Wenn da der Präsident nur nicht die Rechnung ohne den Wirt macht. Welches Volk wird schon bereitwillig eine starke ethnische Minderheit in sein Land lassen? In Sri Lanka schlagen sich schon die Alteingesessenen seit Jahrzehnten die Schädel ein! Die Malediver sind allein mit ihrem Problem, und kaum einen interessiert es.
"Ich saß in Kopenhagen mit 25 Staats- und Regierungschefs am Tisch und habe versucht, eine Vereinbarung über den Ausstoß von Kohlendioxid zu erreichen. Da sitzen 25 Führer und denken ernsthaft, sie könnten einen Handel mit der Natur machen, die physikalischen Gesetze diskutieren."
Die Malediver haben keine Verbündeten, keine Fürsprecher. Doch, eine – man lese und staune:
"Bundeskanzlerin Angela Merkel war die Einzige, die an der Seite der 42 Inselstaaten dieser Erde stand. […] Nur Frau Merkel hat uns verstanden, weil sie Kanzlerin eines umweltbewussten Deutschlands ist."
Ich schäme mich etwas in meinem Klimakiller, weil ich die Hoffnung des Präsidenten mit meiner Reise untergrabe:
"Unser Ziel ist es, die Erderwärmung um nicht mehr als 1,5 Grad ansteigen zu lassen. Das würde einen Anstieg des Meeresspiegels um 70 Zentimeter bedeuten, was uns zwar bedrohen, aber am Leben lassen würde."
Träum' weiter, lieber Mohamed Nasheed.
Bei einer Insel wie Ellaidhoo bei 300 Metern Durchmesser mit der höchsten Erhebung von 1 Meter in der Mitte würde bei einer Pegelerhöhung
von 70 Zentimetern nach einem einfachen mathematischen Gesetz aus
Das soll zum Überleben reichen? Da passt dann aber kein Pool mehr drauf! Und wenn ich mir Malé
vorstelle, die dichtbesiedelste Stadt der Welt? Nein, machen wir uns nichts vor. Die letzten Tage von Ellaidhoo
sind angebrochen.
Die Menschen müssen weg, wenn sie nicht ertrinken wollen. Und der Präsident weiß das. Sein Dilemma, seine Seelenqual kann ich nachvollziehen:
"[…]Es gibt die Malediven seit 8000 Jahren mit einer aufgezeichneten Geschichte seit 2000 Jahren. Ich kann meine Heimat verlassen, aber: Wohin gehen all die Schmetterlinge, die Farben, die Töne? Wohin geht unser Land? Wir werden nicht leise sterben."
Was würde mit der Natur passieren, wenn die Inseln verschwinden würden? Erst einmal nichts, obwohl ein paar Schmetterlinge, Miniwarane und Palmratten sicher anderer Meinung wären. Das Meer würde erst einmal aufatmen. Keine Menschen mehr bedeutet auch kein Abfall mehr, keine Wasserbungalows, kein Shampoo und Sonnenöl, keine Entsalzungsanlagen, keine hirnlos fotografierende Taucher mehr, die sich rücksichtslos auf die Korallen knallen um eine Nacktschnecke abzulichten – ein Paradies für die Lebewesen. Aber nur für kurze Zeit. Die Hochseefischfabriken der Japaner und Chinesen würden der Herrlichkeit schnell ein Ende bereiten und die letzten Riffhaie würden brutal von ihren Flossen befreit qualvoll verendend auf den Meeresgrund sinken und ihre unhörbaren Schreie in den immer leerer werdenden Ozean rufen.
Und wie werden die Malediver in Australien leben? Wie die Aborigines? Abhängig von Alkohol und Sozialschecks?
Eine Minderheit unter Minderheiten?
Die letzten Tage von Ellaidhoo sind unwiderruflich gekommen. Ich will nicht weiter darüber nachdenken. Die Natur wird mit allem fertig, auch mit
den Menschen – soviel ist sicher. So sicher wie die Frage beim Rückflug:
"Chicken or lamb, Sir?"
Beim Landeanflug auf München kommt mir in den Sinn, was der Präsident noch gesagt hat:
"Es herrscht große Ignoranz in der Welt. Es ist das Zeitalter der Dummen. Wir bereiten den kollektiven Selbstmord vor."
Wie Recht er hat.
Garlin3510
Alle Zitate des maledivischen Präsidenten sind dem Interview von Dietrich Alexander vom 24.3.2010 entnommen.
Der gesamte Text ist nachzulesen unter
http://www.welt.de/die-welt/politik/article6904755/
Wir-werden-nicht-leise-sterben.html
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
den Menschen und allen anderen Lebewesen der Malediven