Die Rache der Kreatur
"… die Säugetiere sind das Vollkommenste; darauf folgen die Vögel, und die Fische sind das Unvollkommenste."
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Die
Sonne war schon untergegangen, das flackernde Kaminfeuer inzwischen heller als das Dämmerlicht, das noch durch die Fenster drang.
Friedrich Vielmacht und sein Gast, Hauptkommissar Paul Amasis, hatten es sich in den dicken Sofapolstern bequem gemacht.
Der Kommissar wandte sich an seinen Freund:
"Ach, lieber Friedrich, ich bin ja so froh, dass du und dein Sohn euch wieder gefangen und diese dumme Geschichte einigermaßen überwunden habt."
"Ja, Paul. Ich danke dir auch für dein Verständnis in den letzten Monaten. Du bist eben mein ältester Freund. Zum Wohl!" Friedrich Vielmacht hob sein Cognacglas, prostete Paul Amasis zu und sprach dann leise weiter. "Es war schon sehr schwer, vor allem für meinen Sohn Matthias. Mitten in der Pubertät, und dann haut die Mutter einfach ab. So Knall auf Fall, von jetzt auf gleich, ohne uns was zu sagen, ohne Erklärung, ohne sich um unseren Sohn zu scheren. Wir haben sie ja von dir und deinen Kollegen suchen lassen – ohne Erfolg, wie du weißt. Einerseits war ich ja froh, dass Cecilie weg war, nach all den Hörnern, die sie mir aufgesetzt …"
"…und all dem Ärger, den sie dir in der Geschäftsführung gemacht hat", ergänzte Amasis. "Ja, Friedrich, ich verstehe dich nur zu gut."
Friedrich Vielmacht räusperte sich und wischte mit dem Handrücken verstohlen über die Augen. "Aber Matthias war meine eigentliche Sorge. Völlig durch den Wind, der Junge. Der hat alle und jeden verdächtigt, dass seine Mutter mit ihm durchgebrannt ist, sogar dich, Paul."
"Ich weiß, Friedrich, so reagieren Jungs in diesem Alter nun mal. Und es gab ja genügend andere… Entschuldige, ich wollte dich jetzt nicht…"
"Schon gut. Ich wurde ja auch verdächtigt. Sogar des Mordes! Als Alleinerbe und gehörnter Ehemann."
Etwas verunsichert ließ Amasis sein Glas sinken. "Klar, meine Kollegen konnten ja nicht anders. Das war das beste Motiv, aber wir wissen ja, dass Vermisste erst nach zehn Jahren für tot erklärt werden können. Und eine Leiche haben wir nie gefunden. Lassen wir die Geschichte ruhen, deine Frau ist weg, irgendwo in der Karibik, wo sie schon immer hin wollte, und ich hoffe nur, dass Matthias alles soweit verdaut hat."
Vielmacht seufzte tief.
"Ja, das hat er, Gott sei Dank! Aber ich habe ja auch gleich von Anfang an die Zügel in die Hand genommen und ihm reinen Wein über seine Mutter eingeschenkt. Und er hat es sehr schnell akzeptiert."
"Zum Glück, aber du hast ja auch rührend für ihn gesorgt, hast ihn mit dem Motorrad zum Zelten mitgenommen, bist mit ihm in die Berge gegangen, hast Lagerfeuer gemacht, Angelausflüge – alles, was Jungs so begeistert."
"Na ja, was hätte ich schon anderes tun sollen? In die Disco gehen, Komasaufen, World of Warcraft spielen? Nicht mein Ding. Aber seins auch nicht. Angeln, ja das war die beste Idee. Das macht ihm am meisten Spaß, da ist er draußen in der Natur, kann seinen Gedanken nachhängen, kann abschalten und hat Erfolgserlebnisse. Er ist mittlerweile ein begnadeter Angler geworden. Himmel Paul, du hättest den Waller sehen müssen, den Matthias letzte Woche rausgezogen hat. Wahnsinn!"
"Respekt." Paul Amasis goss sich ungefragt noch einen Fingerbreit Cognac nach und hob den Schwenker. "Auf Matthias!"
"Auf meinen Sohn!", antwortete Friedrich Vielmacht. "Ja, Angeln ist seine Leidenschaft geworden und ich bin nur noch sein Helfer. Heute Morgen erst hat er einen Aal aus dem Pullinger Weiher gezerrt, da ist sogar mir angst geworden. Einen Meter und fünfundsechzig! Ein Biest wie eine Anakonda, eine Bestie von Fisch!"
"Whow! Ich hoffe, das Monster ist tot."
"Klar, Matthias hat ihm gleich eins übergebraten, fischwaidgerecht natürlich. Er zerlegt es gerade im Keller. Der Kopf kommt an die Wand und der Rest in den Räucherofen."
Amasis blickte zur Kaminwand, die mit unzähligen präparierten Fischköpfen geziert war. Sein Ding war's ja nicht, aber jeder hat ja einen anderen Geschmack.
Er wollte sich gerade wieder seinem Cognac widmen, als plötzlich ein Schrei aus dem Keller drang.
"Papa, Herr Amasis, kommt mal schnell, das müsst ihr euch…"
Die Stimme brach abrupt ab. Amasis und Vielmacht sahen sich entgeistert an, sprangen gleichzeitig auf und rannten die Treppe hinunter. Vielmacht riss die Tür zum gekachelten Fischraum auf, und sie stürzten hinein.
Matthias kauerte verstört in einer Ecke und deutete nur auf den Edelstahltisch.
Dort lag der ausgenommene Aal, die Eingeweide entfernt, der Magen geöffnet, überall Fischblut und dazwischen…
Vielmacht sackten die Beine weg.
Mitten im Blut lag ein fast skelettierter Finger und daran der glitzernde, einzigartige Diamantring seiner Frau…
Garlin9210(c)Bilder: Dagmar Zechel/Jan von Bröckel/pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2010
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Widmung:
Beitrag zum Wortspiel 15 mit dem Thema "Anglerglück", gestellt von Brigitte Tholen, alias Kimberry