Cover




EINFACH NUR HIER SITZEN...




Okay, okay,

vielleicht hätte ich nicht so heftig werden sollen, mea culpa. Aber irgendwann reichts. Irgendwann ist der Rubikon überschritten.
Ich will Sie nicht volllabern, und ich sitz' normalerweise auch nicht an Bartheken herum, aber Sie sind ja so freundlich, mir zuzuhören. Vielen Dank dafür.

Wissen Sie, ich arbeite hart in meinem Job. Sehr hart. Tag für Tag muss ich von der ersten Minute an voll da sein, hab ständig mit Menschen zu tun, die was von mir wollen, Kunden, die mich vollquatschen, jedes schräge Wörtchen falsch auslegen und sich dann beschweren, Mitarbeiter, die bis zur Weißglut durch ihre Inkompetenz nerven und Kollegen, die nichts besseres zu tun haben, als an meinem Stuhl zu sägen. Und der Chef? Solange es summt und brummt und rund läuft, ist alles easy, aber wehe…!
Also ich kann Ihnen sagen! Manchmal bin ich abends fast zu müde zum Heimgehen. Ich sitze dann an meinem Schreibtisch und denke, ich bleib' jetzt einfach hier. Ich will nicht aufstehen und den Mantel anziehen, vor allem, weil ich weiß, was mich zuhause erwartet. Tag für Tag.
Aber die S-Bahn ist meistens pünktlich, und eine Verspätung kann ich als Ausrede schon lange nicht mehr bringen.
Wenn ich dann endlich aus dem stinkenden Waggon mit den dicht gedrängten, müffelnden, unsägliche Botschaften in ihre gottverdammten Handys plärrenden Menschenmassen platze und daheim ankomme, dann will ich nur noch aus meinem vermaledeiten Business-Outfit raus, in meinem ausgelutschten Jogginganzug zum Kühlschrank schlurfen, eine Flasche Oettinger

köpfen und mich in meinen Sessel fläzen. Nein, nicht TV glotzen oder Radio hören, nein! Ich will einfach nur hier sitzen. Und nichts reden. Nur so vor mich hin gucken. Nicht lange, nur bis ich mir mein Bierchen reingedreht habe. Das ist doch nicht zu viel verlangt, was meinen Sie? Danach wäre ich wieder fit, friedlich und könnte auch wieder was aufnehmen. Akustisch, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Aber ist mir das vergönnt, was glauben Sie? Nein. Natürlich nicht! Ich sehe, Sie verstehen mich.
Was passiert, kaum dass ich die Wohnungstür aufgeschlossen habe? Ganz genau. Der Wasserfall.
"Hallo, da bist du ja, mein Schatz, wieder spät geworden?"

Klar, seit du mich verdächtigt hast, eine Affäre
zu haben, werde ich es riskieren, zu spät zu
kommen - denke ich bei mir.



"Ach schade, du bist doch nicht noch schnell zum Bäcker reingehuscht und hast das Weißbrot mitgebracht, wie ich dich gebeten habe, aber macht nix, macht garnix. Ich mach dir was anderes zurecht. Was möchtest du denn gerne essen, Schatz?"

Sie können sich denken, was ich möchte: Jogginganzug, Kühlschrank, Oettinger.



"Soll ich dir eine Dose aufmachen? Ja? Die guten Ravioli, die du immer so magst?"

Würg.



"Aber sag schon, wie war dein Tag, mein Schatz, ja, ich hatte auch einen schweren Tag, weißt du, das Angebot bei Lidl – du glaubst nicht, wie viele Filialen ich abgeklappert habe wegen dem Rotwein - beim Pasinger gab's dann noch welchen, ist bloß so blöd zum Parken mit dem Cayenne, aber ich nehm dann einfach drei Plätze, dann geht's schon, Aldi geht ja gar nicht, den Rotwein vom Aldi kennen die Müllers doch, die Barbaren kaufen immer bei Aldi. Und dann Kevin. Immer das Gezeter, bis ich ihn in der Kita abgegeben habe. Du weißt ja, wie er ist der süße Fratz, als ich ihn vorhin abgeholt habe, war er vollgemacht bis obenhin, aber jetzt schläft er schon, dass du aber auch immer so spät kommen musst, aber er hat heute ein so wunderbares Bild gemalt wie von Dürer oder Weinbrandt, ich sag dir, der Kevin ist ein ganz begabtes Kind!"

Klar. Kleckse, Striche, Gekrakel, Geschmiere. Hey, Mein Sohn ist eineinhalb! Und der scheißt sich immer voll. Würde ich auch, in dieser Kita. Bin ich froh, dass der immer schon im Bett ist, ich pack das nicht!




Ich steh' immer noch in der Diele, gelähmt. Das ganze Geplapper bricht so oder ähnlich jeden Abend über mich herein. Ohne Vorwarnung, ohne mögliche Gegenwehr. Ich habe noch nicht mal die Schuhe aus, geschweige denn den Jogginganzug an oder das Oettinger auf.
Und dann ging's heute weiter, wie immer. Die Fenster, die geputzt wurden, die Nachbarin, die in ihre Schranken gewiesen werden musste, der Stromableser, der Fernsehtechniker, die Wäsche, der Jahrhunderte alte Riss im Parkett, der Hefeteig aus dem Bioladen, der aufgeht und das Haushaltsgeld, das ausgeht. Und dann muss ich mir noch anhören, dass die Anna diesen tollen Putzstein entdeckt hat – was zum Teufel für eine Anna?


Wissen Sie, ich bin langsam auf die Dielentruhe gesackt und habe die verhängnisvollen Worte ausgesprochen:
"Weißt du was, Karl-Heinz", habe ich gesagt, "Karl-Heinz, ich erlöse dich von deinem stressigen, leidvollen Hausmannsdasein. Ab nächsten Ersten gehst wieder du

zum Arbeiten, auch wenn du viel weniger verdienst. Ich kann nicht mehr, ich habe es zum Erbrechen satt. Und jetzt gehe ich und sauf mir einen gewaltigen Rausch an."


Und so sitze ich hier und belästige Sie mit meiner Hausmannsstory. Nix für ungut.
Herr Ober, bitte noch 'ne Runde!


GARLIN111209







(c)Loriot

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /