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Annäherungsversuche an Bayern




Es hat irgendwie mit Seelenstriptease zu tun, wenn man sich zu 'seinem' Bundesland bekennen soll – es sei denn, man ist Bayer. Dort gilt die Devise:
"Mia san mia."


Es könnte viel schlimmer sein. Man könnte ja aus Sachsen stammen oder aus einem dieser Doppel-Länder wie Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder gar Baden-Württemberg. Allein sind die anscheinend nicht lebensfähig.
Ich oute mich jedenfalls gleich als Bayer. Da weiß man, wo man hingehört.
Obwohl – ein bisserl unwohl ist mir bei meinem Standpunkt schon. Wenn ich genau überlege…
Bin ich ein echter Bayer? Einer aus Altbayern würde das mit einem geringschätzigen: "Na, scho wirkli ned!"

kommentieren.
Aber ich bin

Bayer. Allerdings, und da muss ich mich jetzt ein zweites Mal outen, ein Schwabe. Wenigstens kein Franke oder gar Oberpfälzer, obwohl die auch Bayern sein sollen. Ich bin ein bayerischer

Schwabe. Und von daher will ich mich meinem Bundesland nähern.
Aber was heißt schon bayerischer Schwabe? Der Allgäuer ist auch ein bayerischer Schwabe, aber, liab's Herrgottle,

mit dem will ich doch auf keinen Fall in einen Spätzlestopf geworfen werden. Oder gar mit einem Augsburger, einem 'Datschiburger

'. Vielleicht gar mit einem Günzburger? Um Himmels willen, nein!

Also, drittes Outing:

Ich stamme aus dem Ries. Nördlich der Donau. Das ist für die Fundamentalisten unter den Bayern schon Preußen.
Ries? Kennen Sie nicht? Was glauben Sie, wo mein Pseudonym herkommt? Sie kennen wirklich das Ries nicht? Die kleine Kornkammer Bayerns, einen der am besten erhaltenen großen Meteoritenkrater der Welt?
Geo-Park Ries

– fahren Sie mal hin!
Aber aufpassen! Geraten Sie nicht über den Kraterrand nach Norden hinaus, denn da lauern schon die Franken. Im Westen ist Gelbfüßlerland. Württemberg. Südlich die Günzburger und Augsburger – Sie wissen schon – und im Osten kommt gleich Ingolstadt, wo unser stromlinienförmiger MP Seehofer herkommt. Das sagt schon alles.
Also bleiben Sie lieber im Krater.

Obwohl, auch da ist Vorsicht angebracht, je nachdem, ob Sie rechtgläubig oder luth'risch sind. Heute erkennen Sie die Glaubenszugehörigkeit nicht mehr so leicht, wie noch zu Jugendzeiten meines Vaters. Da konnte man die Frauen der katholischen und protestantischen Dörfer noch an der Farbe der Kopftücher unterscheiden. Heute gäbe es da eher Verwechslungen mit anderen Religionsgruppen.

Aber ich schweife ab. Ich wollte mich meinem Bundesland Bayern nähern. Doch von welcher Seite? Die landsmannschaftliche

ist wohl eher in die Hose gegangen, zumal meine Mutter in Ludwigshafen geboren wurde. In der Pfalz. Und was war die Pfalz 1921? Richtig. Bayrisch. Meine Mutter ist geborene Bayerin wie Helmut Kohl, und ebenso wie dieser hat sie bis heute nicht gelernt, dass 'Worschtebrod'

in Bayern keiner versteht.
Ihr Vater, mein Großvater, stammt aus auch dem Ries, Bayer durch und durch.
Schließlich war er auch Soldat in der 9. Comp. des kgl. bayr. 10. Inft.Regt. "Prinz Ludwig",

wie die Aufschrift auf seinem Reservistenkrug beweist, bis er zur Reichsbahn kam und in die Pfalz versetzt wurde. In die bayrische Pfalz.
Wie auch immer.
Ich jedenfalls bin in einer Gegend Bayerns aufgewachsen, wo man in der Wirtschaft ein "Weizen" bestellt und musste als junger Mensch, gerade in München angekommen, feststellen, dass mich die Bedienungen ob dieser Bestellung nur blöde anglotzten. Weißbier heißt das in Bayern. In Rumpf-Bayern. Ich hab' das schnell gelernt. Die Bedienungen nicht. Bei "Weizen" glotzen die noch immer blöde.

Womit wir bei dem Versuch der sprachlichen

Annäherung an Bayern wären.

Eine meiner ersten Erfahrungen war, 'richtige' Bayern nicht das Falsche zu fragen.
Ich wollte von einem Münchner Busfahrer wissen, wie viele Streifen ich zum Tierpark abstempeln müsse.
"Wia ma hoit fohrt!", war die vielsagende Antwort. Wie man halt fährt. Aha.

Langsam lernte ich die alt-, kern-, ur- oder was weiß ich -bayerische Linguistik kennen. (Es gibt Lokalpatrioten, die Bayern auf Giesing, Schwabing, Maxvorstadt und Schwanthaler Höhe beschränken wollen, wobei ein Obergiesinger mit einem Untergiesinger etwa soviel zu tun hat, wie ein Südtiroler mit einem Neapolitaner.
Ich lernte auch, gewisse Aspekte der Sprache zu schätzen, wie z.B. die Ausmerzung der preußischen Redundanz.
Bayern bringen bekanntermaßen ihre Gedanken auf den Punkt, während die norddeutschen Brüder und Schwestern den Denkprozess immer mitliefern, wie folgende Szene zeigen soll:


Typisches Gespräch in einer Metzgerei:


Norddeutsche Bayern



"Guten Tag, Frau Braun." "Servas."
"Schönen guten Tag, Herr "Grios God. Zwoa
Lübchen, was darf es denn Pfund?"
heute sein?"
"Na, weil heute wieder mal
Samstag ist, mal zur Ab-
wechslung ein Kilo Schweine-
braten, hahaha."
"Wie immer, hahaha."
"Sie sagen es, Frau Braun." "Wia oiwei."
"Darf es vielleicht noch "Ois?"
etwas sein?"
"Nein, danke, das ist für "Ois."
heute alles, Frau Braun."


Beim Hinausgehen rempelt der Kunde versehentlich eine hinter ihm stehende alte Dame an:


Norddeutscher Bayer



"Ach entschuldigen Sie bitte "Öha!"
vielmals, ich habe Sie leider
gar nicht gesehen, wie
ungeschickt
von mir!"

Das ist die bayerische Gemütlichkeit in der Weltstadt mit Herz. Dazu gehören auch die Bedienungen des Augustiner Biergartens. Ich vertrete seit ewigen Zeiten die Meinung, dass die irgendwo gezüchtet oder zumindest speziell geschult werden. So unverschämt können normale Menschen nicht sein. Trotzdem kehren Promis aller Art und die Adabeis

(die Auchdazugehörenwollenden) ständig dort ein. Bayern sind leidensfähig.

Doch zurück zur Redundanz der Sprache. Manchmal können wir von den Norddeutschen diesbezüglich noch was lernen. Gestern war ich auf einem 'Open-air-event' und fragte nach Schluss der Veranstaltung, ob ich noch ein Bier bekommen könne. Nein, leider sei schon abgezapft, war die Antwort. Abgezapft als Gegenpol zu "Ozapft is!"
Das hat was.

"Zenzi, bringscht ma no a Hoibe?"
"Naa, obzapft is!"




Versuchen wir mal eine Annäherung von der Mode

her.
Enge Mieder, Dirndl, Haferlschuhe, Wadenstrümpf, Krachlederne und Gamsbarthut. So kennt und liebt man die Bayern. Jeder Preuße, auch der japanische, der etwas auf sich hält, kommt im entsprechenden Outfit aufs Oktoberfest. Keiner hat eine Ahnung davon, dass diese 'Tracht' erst von König Max II. nach der 1848er Revolution eingeführt worden ist. Er hat die Trachtenvereine gesponsert und sie mit leicht modifizierten österreichischen Trachten ausgerüstet, um eine bayerische Identität zu stiften. So wollte er Bayern vor der preußisch/gesamtdeutschen Einvernahme schützen.
Und darum laufen die Leute noch heute als Tiroler kostümiert über die Wiesn und fühlen sich saumäßig authentisch dabei.

Und wenn wir schon gerade dabei sind: Versuchen wir doch, uns Bayern von der Geschichte

her zu nähern.
Wo kommt denn der Bayer her?
Bruno Jonas hat es auf den Punkt gebracht. Die Bayern sind ein Mischvolk aus

- Rübergemachten

(Kelten, die über die Donau kamen)
- Runtergekommenen

(aus Böhmen über die
Further Senke)
- Zurückgebliebenen

(Römer, die nicht abziehen
wollten - wegen dem Stau am Brenner) und
- Fußkranken

(aus der Völkerwanderung, die nicht
weiter konnten).


Und deswegen ist Bayern der Prototyp eines Multi-Kulti-Staates.
Liberalitas Bavariae.
Bayern erträgt Sachsen, Franken und sogar Schwaben. Und im Bierzelt sind ihnen die Italiener sowieso lieber, als die… na, Sie wissen schon.

Nix für unguad!



Garlin 10809


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.08.2009

Alle Rechte vorbehalten

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