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Nachlassgericht




"Ja, Herr Kommissar, jetzt haben Sie mich so weit.
Ich gestehe. Ich gestehe, was Sie wollen.
Sie haben mir Punkt für Punkt nachgewiesen, dass niemand ein besseres Motiv hat, als ich.
Ja, ich war am Tatort. Ich habe kein Alibi, ich habe alles durchwühlt, überall meine Spuren hinterlassen. Ich habe die CD gefunden und die Links aufgerufen, und ich bin den Spuren gefolgt, wie ein hirnloses Trüffelschwein. Von blasierten Schweizer Bankern habe ich mir die Schlüssel zu Schließfächern aushändigen lassen, deren Geheimnummern auf der CD waren – nicht ohne vorher die zu exorbitanten Höhen aufgelaufenen Gebühren bezahlt zu haben. Ich bin wie ein Depp von Spur zu Spur gehetzt und habe mich wieder einmal zum Trottel gemacht. Wie schon als Kind.

Sie wollen wissen, ob ich meinen Vater gehasst habe? Ach Herr Kommissar, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr.
Ich fühlte mich abgelehnt, seit ich denken kann. Abgeschoben, negiert, beobachtet und behandelt wie ein ekliges Insekt. Und dabei war er so fromm, dieser Heuchler. Immer auf den Knien, zum Schluss fast täglich bei dieser obskuren Sekte, die ihn irgendwie eingefangen hat.


Was mit meiner Mutter ist? Oh Gott. Meine Mutter! Wenn eine Frau und Mutter zehn Jahre mit so einem Mann verheiratet ist, mit ihm zusammen lebt – was sagt das über diese Frau aus? Sehen Sie! Als ich neun war, ist sie abgehauen, hat mich mit dem Ekel sitzen lassen, hat sich keine Sekunde mehr um mich gekümmert. Und dann musste ich mir von ihm auch noch immer vorwerfen lassen, ich sei daran schuld. Jesus, wie habe ich beide gehasst!
Was sagen Sie? Ich liefere Ihnen gerade jede Menge Motive?
Na und? Mir ist jetzt alles egal.

Ob Habgier auch ein Motiv war?
Na klar, das kommt noch dazu. Ja, ich wollte an sein verdammtes Vermögen kommen. Das Vermögen, das er immer, seit ich mich erinnern kann, vor mir hergetragen hat, wie das Heubündel an der Angel vor dem faulen Esel.
Alles habe ich akzeptiert, alles erduldet – seine Bosheiten, seinen Geiz, seine Perversitäten, seine Bigotterien – weil ich mir sagte: Irgendwann ist der alte Bastard tot und ich beerbe ihn, auch wenn's nur der Pflichtteil ist. Und das hat er mir auch immer wieder vor die Nase gehalten.
'Mein lieber Sohn, irgendwann wird alles dir gehören…'

Dieses böse, böse, alte, bigotte Arschloch.
Ja, ja, ich bin ein schwacher Charakter. Ich hätte mich lossagen, freischwimmen müssen, auf das Geld pfeifen, ich weiß. Aber, Herr Kommissar, Sie kleiner, unterbezahlter Beamter, wissen Sie, wie sich drei-hundert-achtzig-Millionen

anfühlen? Haben Sie überhaupt nur eine vage Vorstellung davon?

Ja und dann, dann ist er endlich tot, und ich muss feststellen, dass kein Testament im Schreibtisch liegt, und die Millionen sind verschollen. Nur der Fetzen Papier an mich, auf dem er schreibt, dass ich den Spuren auf der CD folgen soll, die er beigelegt hat.
Von wegen CD. Wieder eine seiner Bosheiten. Es war eine alte Bernoulli

-Platte. Wissen Sie, wie viel Zeit und Geld es mich gekostet hat, bis ich ein Laufwerk gefunden habe, das dieses fossile Ding lesen konnte? Und was war drauf? Nummern und Passwörter für Schließfächer und Links zu verschiedenen Banken.
Okay, dachte ich, er hat alles außer Landes geschafft, zu diesen geldgierigen, skrupellosen, schmierigen Raffzähnen. Ich habe keine Kavallerie, also habe ich mich selbst auf den Weg gemacht, ich, der blöde Bub auf der blöden Schnitzeljagd von Schließfach zu Schließfach.
Und dann war da das letzte, in dieser Privatbank in Zürich.
Ein Umschlag lag darin, geschmückt mit einem widerlich grinsenden Smiley.
Was er enthielt? Nun, die Kopie seines Testamentes, in dem er alles dieser obskuren Sekte vermachte und einen Brief.
Darin schüttete er sich aus vor Lachen über mich, erklärte, dass ich nicht sein leiblicher Sohn sei, dass auch alle Adoptionsurkunden gefälscht seien und dass sein Anwalt dies nach seinem Tode veröffentlichen werde. Ich würde deshalb keinen Cent erben. Dann schrieb er noch, dass er mich vom Tag meiner Geburt an verabscheut hätte, mehr noch als meine fremdgegangene Mutter, diese Hure und dass er im Tode noch lachen werde, wie er mir, dem ekelhaften Bankert, eins überbraten könne.
Verstehen Sie jetzt, Herr Kommissar, warum ich dieses Scheusal umgebracht habe? Aber – freuen Sie sich nicht zu früh – leider nur in Gedanken. Ich hätte ihn gerne eigenhändig erwürgt, und wenn Sie ihn aufschneiden, werden Ihre Pathologen sehen, dass er erstickt ist. Aber an seinem eigenen Gift, an seiner eigenen bösartigen Galle."

"Das haben wir längst getan, Herr Brenner, ich meine, wir haben Ihren Vater längst obduziert. Und es stimmt, Sie

haben ihn nicht umgebracht. Er ist an einem seltenen Gift gestorben, dessen Spur eindeutig nicht zu Ihnen führt, sondern in eine andere Richtung. Allerdings haben wir keinerlei Beweise und wir werden auch, so wie es aussieht, keine mehr bekommen."

"Welche Spur, welche Richtung? Ich bitte Sie, Herr Kommissar…!"


"Wissen Sie, wer hinter dieser obskuren Sekte steckt, die alles erbt?"


"Nein, reden Sie schon, zum Teufel!"


"Die Frau, die Sie fast so hassen, wie Ihren vermeintlichen Vater: Ihre Mutter. Sie hat sich, nachdem sie ihren Sohn, also Sie, im Stich gelassen hat, eine kleine Organisation aufgebaut, deren einziges Ziel es war, den religiösen Wahn Ihres Vaters auszunutzen, um letztlich an sein Vermögen zu kommen. An sein gesamtes Vermögen. Das ist ihr auch gelungen. Das Schicksal ihres Sohnes war ihr dabei völlig egal, wie Sie gemerkt haben.
Aber das ist meine persönliche Interpretation, Herr Brenner. Wir können nichts beweisen und der Untersuchungsrichter hat die Akten bereits geschlossen.
Der Verdacht gegen Sie ist aufgehoben, Sie können jetzt gehen.


Ach, Herr Brenner, eins noch:
Für Gerechtigkeit kann ich jetzt nicht mehr sorgen. Das können nur noch Sie. Vielleicht interessiert Sie die Adresse Ihrer Mutter?
Sie steht auf dem Zettel in Ihrer Jacke…"


Garlin 11709

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinen Eltern, die mit dieser Story nichts, aber auch gar nichts zu tun haben...

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