ICH
weiß, dass Sie mich für größenwahnsinnig halten werden. Klar.
Man fängt Texte nicht mit einen groß und fett gedrucktem ICH an. Auch klar.
Ich tu's trotzdem, und später werden Sie erkennen, warum.
Ich, ich, ich, ich, ich …
Klingt arrogant, egozentrisch, abstoßend? Na und? Wen juckt das? Sie vielleicht? Na wenn schon. Wer sind Sie denn schon gegen mich?
Wenn Sie weiterlesen, werden Sie erfahren, warum ich es mir leisten kann, so ekelhaft überheblich zu sein – und Sie werden weiterlesen! Woher ich das weiß? Lesen Sie weiter!
Als Jugendlicher habe ich mich zeitweilig intensiv mit dem beschäftigt, was ich für Philosophie hielt. Allen möglichen unausgegorenen Blödsinn gelesen und allen möglichen unausgegorenen Blödsinn von mir gegeben. Das macht man halt so als Jugendlicher.
Und ich schrieb Gedichte. Erinnern Sie mich bloß nicht daran. Grausliges Zeug.
Dann habe ich jedem, der es nicht wissen wollte, die Welt erklärt und anschließend verbessert. Oder umgekehrt, so genau weiß ich das nicht mehr.
So machte man das wenigstens damals als Jugendlicher.
Es kamen die üblichen Fragen: Wo komme ich her, wo gehe ich hin, was kommt danach? Fragen, denen Gerhard Polt durch den Zusatz: "Wo kriag i mei nächste Hoibe her?" viel an Ernsthaftigkeit nahm.
Und ich schlug mich so durchs Leben und die Jahre.
Aber, zum Teufel, was fasel ich denn eigentlich hier herum? Wie hieß noch mal das Thema? Ach ja:
'JENES MAL, ALS ICH MEINE
GRÖßTE LEBENSWEISHEIT ERLERNTE'
Saudummes Thema, Herr Nomus, aber grämen Sie sich nicht, denn die Idee ist ja eigentlich von mir.
Und Sie alle, die Sie diesen Text lesen, und Sie, die mit Intelligenz, Witz und Meisterschaft dieses Thema bearbeiten: Ob daraus was Gutes entsteht oder nur gequirlter Hüttenkäse, das liegt nicht in Ihrer, sondern in meiner Hand!
Ich sehe Sie gequält die Augen verdrehen. Ich sehe, wie Sie schon den Coursor-Pfeil auf die Zurück-zu-den-bookRix-Seiten-Schaltfläche bewegen. Aber Sie werden nicht darauf klicken. Woher ich das weiß?
Weil ich Sie alle erfunden habe. Sie und alles drum herum.
Ich bin nämlich ein BOLTZMANN-GEHIRN
'Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt.
- Es gibt eine weitere Theorie, nach der das schon passiert ist'
(Douglas Adams)
Als ich vor langer Zeit dieses Zitat in "Per Anhalter durch die Galaxis" gelesen hatte, war mir schon eine große Lebensweisheit zuteil geworden. Aber noch nicht die größte.
Diese erfuhr mir erst an den Iden des März dieses Jahres, als ich in der Zeitschrift bdw blätterte und auf den Artikel stieß: 'Das wahnsinnige Universum.'
Die Erkenntnis durchfuhr mich wie ein eisiger Schock: Hier wird meine Existenz beschrieben!
Die dargelegte Theorie hatte ich schon als Jugendlicher entwickelt (Sie erinnern sich, in meiner Philosophenphase).
ES EXISTIERT NICHTS AUßER MIR.
ALLES, WAS ANGEBLICH NOCH EXISTIERT,
BILDE ICH MIR NUR EIN.
Damals hatte ich einen kleinen Text darüber geschrieben und umgehend wieder vernichtet.
Und jetzt musste ich in dieser Zeitschrift lesen, dass sich die seriösesten Wissenschaftler ernsthaft mit dieser spleenigen Idee beschäftigen.
ZITAT: 'Die ganze Realität könnte nichts als die Phantasie
eines verrückten Gehirns sein, das zufällig dem
Vakuum entsprang'
Yeah! Dieses Gehirn bin ich!
Der Physiker Ludwig Boltzmann hat sich allerdings schon vor mir – im 19. Jahrhundert - mit dieser Überlegung beschäftigt. Deswegen der Begriff Boltzmann-Gehirn und nicht Garlin- oder Rieser-Gehirn
19. Jahrhundert sagen Sie, da wurden ja noch Hexen verbrannt, oder?
Fast richtig, aber führende heutige Wissenschaftler wie Leonard Susskind von der Stanford University, Stephen Hawking und Gary Gibbons von Cambridge oder Roger Penrose von Oxford – was labere ich denn schon wieder, die kennen Sie ja doch nicht – haben diese Idee aufgegriffen und nachgerechnet, mit dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Boltzmann-Gehirn zu sein unendlich viel höher ist, als die Wahrscheinlichkeit, ein Mensch zu sein.
Sag ich doch!
Sie werden nun vielleicht einwenden wollen, dass ich, wenn ich denn ein Boltzmanngehirn sei, mir doch die Existenz dieses Artikels selbst ausgedacht haben müsse und folglich nicht überrascht hätte sein dürfen, aber da denken Sie zu kurz.
Ich lasse Sie das nämlich nur einwenden, weil Sie in meinem Gehirn entstanden sind, und es mir gerade so passt. Basta.
Also, lieber Leser – und das höfliche 'Sie' spare ich mir jetzt: Du bist nur eine Einbildung von mir und das lächerliche BookRix auch und dein Ärger über mich sowieso.
Deine ganze beschissene kleine Existenz verdankst du mir. Ich könnte mir euch alle wegdenken oder so ummodeln, dass ihr mich das Wortspiel haushoch gewinnen lasst – aber warum sollte ich das tun?
Das 'Leben' wäre dann so was von fad, dass ich mich einfach selbst wegdenken müsste. Aber ich werde mir jetzt lieber einfach wegdenken, dass ich ein Boltzmann-Gehirn bin. Ich denke mir, ich bin ein einfacher, kleiner Mensch mit den Sorgen, Nöten und Glücksmomenten eines einfachen, kleinen Menschen.
Und, wie fühle ich mich dabei? Gar nicht mal so schlecht!
Ich bin zwar ein Boltzmann-Gehirn, aber ich kann das gut wegdrücken.
Und: Hey, Leute, ich lass euch momentan eure
Freiheit
Macht was daraus!
ANMERKUNG:
Dieser Text ist keine reine Ausgeburt eines wirren Gehirns, sondern basiert auf Überlegungen der anerkanntesten Wissenschaftler unserer Zeit. Die Berechnungen sind so umwerfend und die Folgerungen so bizarr und unverständlich, dass man eigentlich die gesamte Kosmologie auf den Misthaufen der Geschichte werfen und die Astrologie wieder einführen sollte. Die ist berechenbarer.
Literaturnachweis beim Verfasser
Garlin 10509
Tag der Veröffentlichung: 10.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Beitrag zum BookRix-Wortspiel Nr.6