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Wie

an jedem Tag geht König Booknix nach einem ausgiebigen Frühstück hinaus auf den Balkon seines Palastes und schaut auf den Marktplatz hinunter, auf das Forum, wie früher einmal gesagt wurde. Er ist etwas besorgt, da sich, wie seine Zuträger berichtet haben, eine gewisse Unzufriedenheit breit machen soll.
Momentan kann er nichts Ungewöhnliches entdecken. Ein paar rechtschaffene Untertanen gehen ihrer Arbeit nach, einige schleifen ihre Werkzeuge, ein paar Hühner gackern und bewerfen sich beim Scharren gegenseitig mit Sand.
Er wendet seinen Blick zur Arena, in der sich die Kämpfer heute wieder beweisen werden. Die ersten Übungsgefechte haben schon begonnen. Es sind noch die unteren Chargen, die sich mit kleinen Geplänkeln aufwärmen, aber nach und nach treffen auch schon die üblichen Hilfstruppen der Hauptkombattanten ein und belegen die Plätze der jeweiligen Lager und Clans auf den Tribünen.
Die ersten sind die Lakaien, dann die Waffenträger, die die jeweilige Kampfart des Tages im Voraus festlegen; die üblichen Claqueure folgen und liefern sich mit den gackernden Prinzessinnen das tägliche Geschubse. Mit den Recken zu schäkern geht halt nur von guten Plätzen aus. Der Hofnarr schlägt schon seine Räder durch die Reihen des quakenden Volkes und verbreitet gequirlten Unsinn, aber immer wieder gespickt mit scharfsinnigsten Betrachtungen, die sogar manchmal den Philosophen den Mund offen stehen lassen.
Ach ja, die Philosophen. Sie treffen, wenn überhaupt, erst dann in der Arena ein, wenn die Kämpfe fast schon beendet sind. Beteiligen tun sie sich kaum, schütteln nur ab und zu missbilligend oder verwundert ihr Haupt, schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und beschwören manchmal die Ritterlichkeit der Spiele. Noch wartet alles auf den Auftritt der Edelrecken, einer bewaffnet mit einer gewaltigen Keule und einem riesigen Schild, der andere, sein Erzfeind, mit Florett und einem Dolch im Gürtel.
Eigentlich ist es auf dem Marktplatz wie immer. Die Bänkelsänger halten zusammen und sich selbst aus den Clanverbänden raus, ab und zu rennen Unbekannte über den Platz, die nicht einmal wahrgenommen werden und manchmal nervt ein Trommler, der lauthals auf seinen Marktstand aufmerksam machen will.

Mehr Sorge macht dem König der Herr der Drachenzähmer, dessen Gefolgschaft immer wieder den Marktplatz überschwemmt. Sie sind so unfassbar, dass sie auch durch die heftigsten Verfolgungen der Schlossbüttel nicht vertrieben werden können. An sich harmlos, schaffen sie es doch auf perfide Weise, langsam aber sicher die Binnenwährung zu untergraben. Andererseits, warum soll er mehr gegen sie unternehmen? Ihre Drachen locken eine Menge fremdes Volk an, das zwar den Kurs des Goldsternchens versaut, aber in ihrem Gefolge kommen auch vermehrt die Händler, die außerhalb der Mauern ihre Waren feilbieten und dafür Abgaben an die Schatzkammer des Schlosses leisten.
Und das fremde Volk kommt nur, wenn etwas geboten ist, wenn die Turniere stattfinden, wenn Blut fließt. So ist das. Natürlich fordern die Kämpfe ihre Opfer. Schwund ist immer. Und das Volk? Trauert es ihnen nach? Ein kurzes Gejammer, und schwubbs, weg sind sie. Friede ihrer Asche und ab dafür.
Eigentlich kann König Booknix zufrieden sein, doch seine Berater bedrängen ihn mit ihren Sorgen: Die Kämpfe zögen immer mehr Produktivität aus dem Volk. Die Rohstoffe kämen zwar immer noch und sogar in vermehrter Zahl, aber sie würden kaum noch verkauft und fast nicht mehr verarbeitet. Stattdessen würden ein paar wenige Produkte beginnen, eine marktbeherrschende Stellung einzunehmen, den Handel zu dominieren. Nicht nur, weil sie besser seien, das manchmal natürlich auch, sondern weil sie plötzlich en vogue seien, weil man nichts anderes mehr probieren will, weil das andere schlechtgeredet würde.
Der König will sich sorgenvoll übers Haar streichen, wobei er fast seine Krone verliert. Dummes Volk! Die sollten bloß zufrieden sein! Nur gut, dass der Außenhandel floriert. Mit dem Binnenmarkt kann man kein Geld verdienen, der hält nur das Volk am Fressen. Aber seine Berater haben ihm berichtet, dass sich die Goldsternchen, die Nationalwährung, immer mehr in den Schatullen der wenigen Clanchefs ansammeln würden. Die Schere zwischen arm und reich würde immer weiter auseinander klaffen und die immer neu geprägten Goldsternchen kämen ganz unten überhaupt nicht mehr an, wenn es nicht ein paar Gutwillige gäbe, die sie auch dort verteilen würden. Aber Vorsicht, Vorsicht! Wehe ein subalternes Mitglied eines Clans bekäme mit, ein anderes, ebenso subalternes Mitglied würde einem aus der Truppe des feindlichen Ritters so unter die Arme greifen! Hoho! Das bekäme ihm aber schlecht!
Um diese Streitereien zu vermeiden, hatte der König schon vor Jahr und Tag ein System ersonnen, das es ermöglicht, unerkannt Almosen zu verteilen. Aber dem tumben Volk ist das auch wieder nicht Recht! Egal wie – der Hauptstreit geht immer ums Geld.
Der König seufzt wieder und rückt seine Krone zurecht.
So richtig versteht er das nicht. Mit der Goldsternchenwährung kann sich keiner seiner Untertanen außerhalb der Mauern auch nur einen Kohlkopf kaufen. Warum streiten sie so erbittert darum? Dass der autistische Binnenmarkt nur dazu da ist, den Außenmarkt anzukurbeln und so die königlichen Schatztruhen mit harter Währung zu füllen, braucht das Volk ja nicht zu wissen.
Lasst sie ihre Gladiatorenkämpfe spielen, sagen die Königsberater, dann kommen sie nicht auf dumme Gedanken. Astra et circenses

.
Und das muss man unbedingt am Laufen halten.

Neulich hatte König Booknix sogar einen fremden Ritter engagiert, der wieder Schwung in die Turniere bringen sollte. Hoch zu Ross kam er mit aufgepflanzter Fahne aus dem Lande des Don Quichotte angeritten, arrogant, herausfordernd, angriffslustig. Aber lange hat er sich in der Arena nicht gehalten. Weichei.
Jetzt, über den Jahreswechsel drohten die Turniere wieder einzuschlafen, zum üblichen Geplänkel herab zu sinken. Also hatten seine Intrigenbeauftragten beschlossen, zu Anheizung der Kampfeslust heimlich die Sterntalerschatullen der Führer eines Clans zu füllen. Wie, wollte der König gar nicht wissen. Und prompt wurden die Kämpfe wieder spannend. Der Hofnarr riss seine Witze, durchsetzt mit klugen Ratschlägen, die aber keiner hören wollte, die Weisen blieben vor Staunen stumm, die Bänkelsänger lyrikten wie immer vor sich hin, die Hühner scharrten und bewarfen sich mit Sand, die Prinzen verstanden wieder einmal nur Bahnhof, die Prinzessinnen plapperten albernes Zeug und die Friedensstifter zerfleischten sich wie immer gegenseitig. Die eine Seite schrie "Schiebung!", die andere "Verschwörung!". Ein Übeltäter verplapperte sich, gestand schon vor dem Zeigen der Instrumente seine Schuld, wurde zum Scheiterhaufen gezerrt, entzog sich aber den Flammen durch Suizid, während die Rechenmeister erst anfingen zu überprüfen, ob er überhaupt allein Schuld sein konnte. Kollateralschaden oder Opferlamm? Den König juckt es nicht.

Doch etwas anderes ist ihm sehr unangenehm. Der König schlägt zornig auf die Balustrade, dass sein güldenes Weinbecherchen hüpft. Er hat erfahren, dass immer mehr Volk sich aus seinem Reich heimlich entfernt und immer mehr seiner Untertanen über diesen Schritt nachdenken, dass immer mehr erkennen, dass sie hier zwar arbeiten dürfen, aber immer weniger dafür bekommen. Mein Gott, was wird erst werden, wenn sie merken, dass die Sternchenwährung Falschgeld ist, dass sie davon gar nicht runterbeißen können, ja dass sie sogar so wertlos geworden ist, dass sie nicht einmal mehr dafür taugt, Anerkennung zu kaufen? Wenn das Volk davonläuft, laufen auch die Händler davon! Mein Gott!

Booknix tritt vom Balkon zurück, rennt zum Thronsaal und brüllt, dass die Wände wackeln. Zitternd versammelt sich sein Hofstaat unter unterwürfigen Verbeugungen.
"Es muss etwas geschehen!", schreit der König.
"Ja, Herr, es muss etwas geschehen, es wird etwas geschehen."

Bloß was?



Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
den Flüchtlingen gewidmet

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