"Himmel noch mal, gibt es in München einen besseren Ort, das neue Jahr zu begrüßen, als den Olympiaberg?", fragte ich meine Frau.
"Ja", antwortete sie, "unseren Keller."
Mmmmph.
Meine Frau hasst Feuerwerke jeglicher Art, weil sie mehrfach dabei unangenehme Erfahrungen gesammelt hat. Ein Knallfrosch im Stiefelschaft, ein Chinakracher, der in ihre Esprit-Jacke ein faustgroßes Loch gebrannt hatte, traumatische Kindheitserlebnisse bei einem Flugtag etc.
Wir gingen trotzdem hin. Weil wir uns mit Freunden verabredet hatten. Mit mir alleine hätte sie das Haus niemals verlassen. Never. Aber Gruppenzwang ist Gruppenzwang.
Wir treffen uns am Olympiaberg. Haha. Manchmal bin ich sehr blauäugig.
Hat irgendjemand eine Ahnung, wie groß die verdammte ehemalige Schutthalde Münchens eigentlich ist? Und wie viel Menschen darauf passen? Und wie hoch die Schwarzpulverdichte pro Quadratzentimeter dort an Silvester ist?
Aber dennoch: Es geschehen Zeichen und Wunder. Wir fanden irgendwie unsere Bekannten. Zwar nur zwei, aber immerhin.
Und wir feuerten unsere Raketen ab, und wir tranken unseren Sekt. Und den Prosecco unserer Bekannten. Und den Schampus derer, die reihum standen.
Meine Frau zuckte zwar bei jedem Kanonenschlag zusammen wie Graf Dracula bei Weihwassertropfen, aber ihre Haare wurden von umher schwirrenden Schwärmern nur unwesentlich angesengt, ein Knallfrosch tangierte ihren Knöchel nur unwesentlich und die Rakete, die vagabundierend durch die Gegend raste, beschädigte ihre Jacke nur unwesentlich.
Ich sage mal: Es war eine gelungene Begrüßung des Neuen Jahres.
Die Flaschen gingen reihum; scheinbar kannten unsere Freunde die Umherstehenden gut, und mit jedem Schluck wurde es lustiger.
Irgendwann war das Feuerwerk vorbei, meine Frau, angesichts des überlebten Friendly Fire überglücklich, doch die Frage tauchte auf: Was nun?
Ja, der und die, die wohnen doch gleich hier um die Ecke, da feiern wir weiter. Keine Fragen mehr, runter vom Berg, zwei Ecken weit mitgeschwankt, und wir waren da.
Schickes Wohnzimmer, etwas altbacken, mit Deckchen und Kisschen und pipapo, aber egal. Ab einem gewissen Pegel...
Was macht man an Silvester? Bleigießen. Was sonst?
Der erste Spritzer traf das Dekolletee meiner Frau. Was sonst?
Alle saßen um einen riesigen Tisch und alle sahen irgendwie fragend in die Runde. Es war reichlich fad. Dröger Smalltalk. Auch war ich etwas irritiert: Wo waren unsere Bekannten abgeblieben? Und wer kannte hier eigentlich wen? Waren etwa lauter Fremde hintereinander her gedackelt und wunderten sich plötzlich, wo sie eigentlich gelandet waren?
Während einer Bleigießpause fragte ich leise meinen Nachbarn:
"Entschuldigen Sie, wo bin ich eigentlich hier? Ich kenne hier keinen."
"Um Himmels Willen, das habe ich mich auch schon gefragt. Ich kenne auch niemanden!"
Ich erstarrte und rammte meiner Frau den Ellbogen in die Rippen.
"Wo sind deine verflixten Freunde?"
"Wieso meine, es sind doch deine Freunde, oder?"
Ich wandte mich wieder meinem Nachbarn zu.
"Wer ist denn eigentlich hier der Gastgeber?"
"Keine Ahnung, ich dachte, ihr Freund!"
"Welcher Freund?"
Ganz, ganz langsam erhob ich mich, packte meine Frau und grinste albern in die Runde:
"Kurz Luft schnappen…"
Als ich die Panik in vielen Gesichtern der Gäste bemerkte, floh ich mit meiner Frau im Schlepptau aus dem Zimmer, aus der Wohnung, aus dem Haus.
"Ich dachte, du kennst die?"
"Ich dachte, du kennst die!"
"Nö…"
"Ach."
Auf dem Heimweg durch die eisige Neujahrsnacht lachten wir uns halbtot, aber Silvester auf dem Olympiaberg? Never again!
Obwohl...
Texte: Titelbild: pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 01.01.2009
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