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Finanzkrise




Neulich

ließ Egon, unser Wirt, die nötige Aufmerksamkeit für unseren Stammtisch vermissen. Christine, unsere Lieblingsbedienung, antwortete auf unsere Frage nur:
"Woas ned, der spinnt wieder amoi", und machte scheibenwischerartige Handbewegungen vor ihrem Gesicht. Mich beunruhigte das, so wie mich jede Art von Veränderung beunruhigt.
Ich ging zum Tresen und schaute dahinter. Egon hatte ein großes Blatt Papier vor sich, auf das er einen Grundriss gekritzelt hatte, einen Taschenrechner in der Hand und den Stift, mit dem er normalerweise nur Bierdeckelstriche malte.
Jetzt kritzelte er damit Zahlen aufs Papier, und die hatten viele Nullen.
Als er meinen Blick bemerkte, sah er auf.
"Ah, du bischs, Servus. Kim glei z'eich!"
Er würde sofort zu uns kommen, sollte das heißen.

Und er kam.
"Servus beinand, hods Essn gschmeckt, bassd ois?"
"Bassd scho…"
So lautete unser auf bayerische Art von jeglicher norddeutschen Redundanz befreiter Kommentar, der etwa mit: "Danke schön für die Nachfrage,es war sehr lecker, und im Moment benötigen wir nichts", zu übersetzen wäre.
Und wir waren etwas erstaunt, als sich Egon, entgegen seiner Gewohnheit, zu uns an den Tisch setzte. Und noch erstaunter waren wir, als er plötzlich aus seinem Ingolstädter/Oberbayern-Slang ins Hochdeutsche verfiel.
"Er" - damit meinte er mich - "hat ja schon gesehen, dass ich einen kleinen Umbau plane. Ich will die Vorratskammer hinten mit zur Wirtschaft dazunehmen. Man muss ja schauen, wo man bleibt, als Unternehmer. Heitsdog." Das war ein dialektischer Rückfall, aber wir waren interessiert.
"Heitsdog, also heutzutage", fragte Dietmar, "willst du die Kneipe erweitern, wo doch die Leute immer weniger Geld in der Tasche haben?"
"Aber nicht mehr lang! Dann kriegt jeder einen Scheck von 500 Euro um die Wirtschaft anzukurbeln, den kann er dann auf den Kopf hauen. Und zwar bei mir. Denn ich bin eine Wirtschaft, oder etwa nicht? Und jetzt kann ich dann die alten Suffköpfe, äh Gäste, wieder bedienen, die schon seit langem bei mir in der Kreide stehen."
Wir waren platt.
"Das mit dem Konsumscheck war doch nur eine Zeitungsente, so was kann doch nur entstehen, wenn die Trinker- und Nervenheilanstalten gemeinsam Freigang haben, oder was!", wunderte sich Edi.

"Nenenee", unterbrach Kurt, "solche Clowns sitzen wirklich in der Regierung. Sie erhöhen unsere Steuern, geben uns ein Bruchteil davon zurück, damit wir zum holländischen RedZeck

-Shop gehen, dort einen koreanischen Flat-TV kaufen, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln. Klasse Plan. Ich bin beeindruckt."
"Wer braucht denn einen Fernseher? Den hat doch jeder schon für Olympia gekauft! Nein, Autos sollen wir kaufen, Autos. Das ist doch jetzt ein Schnäppchen! 250 Euro Steuerbefreiung drauf! Wer da nicht sofort zulangt – ich bin doch nicht blöd, oder? Und das sichert Arbeitsplätze!"

"Genau, meine Rede." Jetzt war der Wirt wieder am Zug. "Ich schaffe auch einen Arbeitsplatz für den Service, das macht der Fredi, den hab' ich schon gfragt…"
"Den Fredi? Aber der ist doch Rollstuhlfahrer?", staunte Klaus.
"Ja und - dann müssen's halt ein bisserl auf ihr Bier warten, unsere Hartz-IV-ler. Und mehr Zuschuss gibt's, wenn man für einen Behinderten einen Arbeitsplatz schafft. Ich bin eben sozial!"
"Mannomann, Egon", widersprach Dietmar, unser Besserwisser. "Die 500 Mäuse soll es doch nur geben, wenn der Empfänger 200 drauflegt. Davon abgesehen, dass das verwaltungstechnisch gesehen nur dem Gehirn eines völlig Bekloppten entsprungen sein kann, bedeutet das doch für deine Zielgruppe und dich, dass da kein Geschäft zu machen ist. Die 200 Euronen haben die doch garnicht."

"Haha, das ist doch der Trick", lachte unser cleverer Wirt. "Es gibt da in der EU so einen Weg, Kleinbanken zu gründen, um irgendwelchen strickenden, schnitzenden oder Arganöl kochenden Frauen in Entwicklungsländern eine Möglichkeit zu geben, eine Ich-AG zu gründen. Das nutze ich aus. Ich gebe meinen Gästen die 200 Euro als Kredit!"
Wir waren baff und bestellten bei Christine erst mal eine neue Runde, um die momentane Wirtschaft am laufen zu halten.
"Äh, ja, gut, schon... Aber deine Zielgruppe, so leid es mir tut, Egon, die kann doch die 200 Euro Kredit nie zurückzahlen. Und dann gehst du pleite."
"Nö, wieso? Ich beantrage dann Staatshilfe, wie es jede andere Bank auch könnte. Nur – ich ziere mich nicht so. Und das wird niemand merken. Denn wenn – WENN! – jemals jemand zu denken anfangen sollte, und das wage ich mit aller Frechheit einmal pauschal in Abrede zu stellen, wer denkt denn noch, denken ist megaout – dann wird mein kleines, feines Kreditinstitut wohl kaum auffallen, bei den Summen, um die es momentan geht.
Schaut euch doch nur einmal die Bayerische Landesbank an. Zehn Milliarden braucht die sofort als Stütze, sagen die Finanzexperten. Ja, sagt jetzt nichts! Genau diese Finanzexperten, die von Tuten und Blasen ganz offensichtlich keine Ahnung haben. Die vor zwei Jahren noch einen Boom ohne Ende, einen Aufschwung ohne gleichen und Vollbeschäftigung prophezeit hatten. Und keinen blassen Schimmer von der aufziehenden Krise. Die labern sich jetzt schon wieder den Wolf. Wirtschaft stützen. Arbeitsplätze sichern. Blahblah. Warum, zum Teufel, haut denen keiner aufs Maul? Zehn Milliarden für die BayernLB fürs erste? Weil sonst die Bank pleite geht? "
Solche Summen ließen natürlich die Wogen hoch her gehen.
"Aber der Seehofer hot doch gsagt, dass man die Bank retten muss zwecks die Arbeitsplätze und so und dann privatisieren!"
"Scheiß drauf, wer zahlt's dann? Mir doch!"
"I zahl nix mehr, bevor i ned di 500 Euro hab!" Und so wogten die Emotionen hin und her.
Ludwig schrie nach Christine und einer neuen Runde und ich nach einem Taschenrechner.
Beides kam erstaunlich schnell.

"Wie viel Beschäftigte hat denn die Landesbank?", fragte ich Egon.
"Was weiß ich? So 5000 in Deutschland, 19000 weltweit."
Okay. Ich versuchte, 10 Milliarden in den Taschenrechner einzugeben. ERROR. Hey! 10 Milliarden haben 11 Ziffern. Der Rechner kann nur acht. 10 Milliarden sind zehntausend Millionen! Zehntausend Millionen!

Kann sich das irgendjemand vorstellen? Ich nicht. Nur allein für die beschissene, kleine BayernLB.
"Christine, dein Rechner ist blöde, sorry, nicht zeitgemäß. Gib mir bitte einen Zettel und deinen Kuli!"
Jetzt teilte ich händisch 10 Milliarden durch 5000 Beschäftigte und errechnete die unvorstellbare Summe von zwei Millionen Euro pro Job in Deutschland.
Und jetzt kam die alles bewegende Frage:
Warum drücken wir nicht jedem Angestellten der BayLB 500.000 Euro cash in die Hand, schicken ihn damit in Ruhestand, entlasten so die Rentenkassen, liquidieren den maroden Betrieb und geben den gewaltigen Rest dem Steuerzahler, also uns zurück. Einschließlich der enormen Immobilienwerte der Bank . Allein von den restlichen siebentausendfünfhundert Millionen könnte man weltweit…
"Und die 10 Milliarden reichen doch angeblich nicht einmal. Warum lässt man so eine verdammte Klitsche nicht einfach Pleite gehen und haut die Chefs und ihre Handlanger zum Teufel? Das wäre doch für uns Steuerzahler milliardenfach billiger? Und wieso laufen die Verantwortlichen überhaupt noch frei rum? Jeder kleine Mittelständler säße doch wegen Insolvenzverschleppung schon längst im Knast! Das ist in Deutschland ein Straftatbestand, oder jetzt etwa nicht mehr?

Dietmar, der Besserwisser, wusste wieder einmal die Antwort:
"Cui bono? Wem nutzt das? Schau hin, und du weißt die Antwort."

"Ach kommt, Leute, ihr übertreibt wieder einmal", sagte Egon, der Wirt. "Ich biete euch von meinem Geschäftsmodell Anteile an. Jetzt, wo die Börse am Boden ist, müsst ihr einsteigen! Sofortige Dividendenzahlung. Christine! Eine Runde Jägermeister aufs Haus!"

Der Jägermeister war gut.
Blöd war nur, dass Peter keinen Jägermeister verträgt.
Er fing sofort an, lautstark das Kommunistische Manifest

zu interpretieren:
"Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst von ATTAC! Alle Mächte der alten Welt haben sich zu einer Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet: Papst Ackermann, die Zaren Piech und Wiedekind, Erwin Huber und die internationalen Investmentbanker etcetera etcetera."


"Okay, okay, Peter. Iss ja gut. Trink noch einen Jägermeister und lass den alten Marx und Engels ruhen."
"Aber sie haben Recht! So oder so, die Erde wird rot. Entweder lebend rot, oder tot rot!"

Er hob eine Faust und begann, die Internationale zu gröhlen:
"Völker hört die Signale…"



Wir bändigten ihn mit Mühe, aber ohne rechte Überzeugung…


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Noch 'ne Glosse (Nr.14)

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