Evolution vs. Kreationismus
Neulich
kündigte Rudi beim Stammtisch an, er werde nicht mehr soviel trinken, weil er sonst am nächsten Morgen immer so einen dicken Kopf habe.
"Die Engländer haben's da leichter, die bekommen nur big feet
, große Füße", klugscheißerte wie immer Dietmar.
"Ich finde es jedenfalls schwach, dass die Evolution es nach Jahrtausenden des Trinkens noch nicht geschafft hat, uns den Kater zu ersparen. Wenigstens uns Männern."
"Sie arbeitet doch offensichtlich dran", meinte Claus. "Männer haben mehr Alkoholdehydrogenase als Frauen."
"Wir brauchen auch nicht so viel, weil wir uns nicht so die Kante geben wie ihr. Zum Wohl!"
Unsere Lieblingsbedienung Christine knallte Claus das Bierglas vor die Nase, dass es nur so spritzte.
"He, du lebst schließlich davon!", rief er ihr erfolglos hinterher. "Es ist aber schon ungerecht, dass Gott uns immer gleich so straft, wenn wir mal einen über den Durst trinken, oder?"
"Na wat denn nu?", fragte Edi. "Ist jetzt Gott schuld, oder die Evolution?" Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas und blickte zur Decke hoch, was immer auf einen längeren Monolog schließen ließ. Und keinem Stammtischbruder fiel schnell etwas ein, um ihn zu stoppen.
"Das ist doch jetzt wieder mal so ein Beweis, dass das mit der Evolution nicht stimmen kann. Rudi hat schon Recht – warum werden wir nach Alkoholgenuss noch immer besoffen? Okay, das ist ja irgendwo der Sinn beim Saufen, aber die Evolution hätte da schon längst gegensteuern können. Worin besteht der Adaptionsvorteil?"
"Wir werden offener, kreativer, das siehst du doch an uns, und alle großen Schriftsteller waren begnadete Trinker, Hemingway…"
"Quatsch! Schaut euch doch die Fauna an: Da gibt es so selten dämliche Viecher, dass man sich vor Lachen nur kugeln kann. Zum Beispiel das Faultier. Hockt den ganzen Tag auf seinem Baum und kommt nur einmal in der Woche zum Kacken herunter, wo es ganz schnell Opfer seiner Feinde werden kann. Wo ist denn da der Selektionsvorteil? Und dann sagen die Evolutionstheoretiker, dass es damit seinen Baum düngt, und somit sein Überleben sichert. So ein Blödsinn! Da könnte es auch von oben runterscheißen. Oder der Koalabär! Ist so gschleckert, dass er nur drei Sorten von Eukalyptus frisst. Ist des g'scheit, evolutionsmassig betrachtet? Christine, no a Hoibe, bittschön! Oder habt ihr schon mal einen Ameisenbär genau angeschaut? Der hat einen riesigen, haarigen Schwanz und ein Gehirn wie eine Erbse!"
"Ja, solche Typen kenn ich auch", sagte Christine, stellte das Bier vor Edi und verschwand. Dieser blickte ihr irritiert hinterher und fuhr dann fort:
"Egal, wo man hinschaut. Überall findet man extrem an Nischen angepasste Lebewesen. Wir machen zum Beispiel im Urlaub ab und zu mal Quadratmetertauchen."
"Was ist das denn?"
"Na ja, wir tauchen an einem Korallenriff ab, suchen uns einen schönen Platz und beobachten nur, was sich auf einem Quadratmeter so alles abspielt. Das ist einfach unglaublich! Diese Vielfalt, diese symbiotischen Gemeinschaften, diese extremen Spezialisten… Das Problem ist nur: Wenn sich nur ein ganz winziger Parameter ändert, die Temperatur etwa, die Wasserqualität, was weiß ich – dann ist alles vorbei, dann sterben Lebewesen aus, von denen wir vielleicht noch nie gehört haben. Wo ist der Evolutionsvorteil? Wo ist der bei den Paradiesvögeln, die vor Angeberei kaum noch fliegen können? Da kommt dann die Handicap-Theorie aufs Tapet: Schaut her, ihr Weibchen, ich habe einen so großen Schwanz, dass ich kaum noch fliegen kann
– Christine, sag jetzt bloß nichts! – aber ich kann mir das leisten!
Ist das nicht ein granatenmäßiger Schwachsinn? Von wegen: Survival of the fittest – eher passt da: Survival of the luckiest. Überleben der Glücklichsten. Diejenige Spezies überlebt, die das Glück hat, dass ihr der Meteorit gerade nicht auf den Kopf fällt!"
"Jetzt halt aber mal die Luft an, Edi!" Peter richtete sich auf. "Was ist denn deine Erklärung? Dass der liebe Gott alles erschaffen hat? Vor sechstausend Jahren? In sechs Tagen? Und dass die Sauriere deshalb ausgestorben sind, weil sie nicht mehr in Noahs Arche gepasst haben? Bist du etwa zum Anhänger dieser verrückten amerikanischen Kreationisten geworden?"
"Das heißt jetzt Intelligent Design
…"
"Ist mir wurscht, wie das heißt. Glaubst du etwa, dieser, seine Geschöpfe über alles liebende Gott, erschafft einen Wurm, der sich in eine Schnecke hineinfrisst und sie so manipuliert, dass sie tut was er will? Und der dann in einen ihrer Fühler kriecht, sie dazu bewegt, dass sie einen Grashalm hoch kriecht und mit ihrem ausgefressenen Fühler solange winkt, bis ein Vogel angelockt wird und sie frisst? Und im Darm des Vogels entwickelt sich der mitgefressene Wurm dann wieder zum Parasiten, der ausgeschissen wird und sich wieder eine neue Schnecke sucht. Wenn unser lieber
Gott so was kreiert, na dann gut Nacht! Ist das Intelligent Design
?"
Ich fand jetzt, dass die Diskussion Gefahr lief, in eine ungute Streiterei auszuufern und beschloss, mich einzumischen.
"Leute, Leute, Leute! Bevor ihr euch in die Haare kriegt, biete ich euch meine Variante an. Und die ist genauso gut, wie jede andere Hypothese."
"Und was soll das für eine Hypothese sein?"
"Die Däniken-Variante
."
"Hä? Was? Der Außerirdischenfuzzi? So ein Schmarrn, kenn mer scho."
"Kennt ihr nicht, denn die Däniken-Variante
ist von mir.
Also für mich ist der Knackpunkt bei der Evolution das Fliegen. Ich kann mir noch vorstellen, dass Kiemenatmer immer öfter an Land kriechen und so von Generation zu Generation Lungen entwickeln. Aber Flügel? Da rennt so eine arme Saurierspezies mit irgendwelchen Hautlappen unter den Armen durch die Gegend, die immer größer werden und sie immer mehr behindern. Wo ist da der evolutionstechnische Vorteil? Bis aus diesen Hautlappen funktionsfähige Flügel werden, ist doch die gesamte Art von irgendwelchen Raptoren aufgefressen. Und plötzlich haben sie statt Hautlappen Federn? Sehr gewagte Theorie."
"Also doch Kreationisten?"
"Bingo. Aber die Däniken-Variante
. Also hört zu: Es gibt da draußen eine extrem entwickelte Zivilisation. Die haben alles drauf – Energieerzeugung im Überfluss, Genmanipulationen nach Bedarf, Überlichtgeschwindigkeitsreisen durch Wurmlöcher, schier endlose Lebenserwartung und so weiter. Aber sie haben ein Problem: Ihnen ist fad. Saumäßig fad. Also erfinden sie Gesellschaftsspiele wie einst die Römer. Panem et circenses. Und eines ging so:
Sie nahmen einen von niederen Lebewesen besiedelten Planeten und ließen diese von den Spielteilnehmern gentechnisch manipulieren. Wer das witzigste, kurioseste, gefährlichste - was auch immer - Wesen kreierte, war Sieger. Neue Runde, neues Spiel. Ich bin sicher, der Erschaffer des Ameisenbären hat einen guten Platz gemacht. Oder schaut euch das Schnabeltier an! Das wäre mein Favorit. Gibt es ein kurioseres Vieh?"
"Ja", antwortete Kurt, "den Menschen."
Ich konnte ihm nur zustimmen. " Ja, Leute, das war der Punkt, an dem der Spielleiter eingegriffen hat. Jetzt isses genug
, hat er wohl gesagt, jetzt artet das Spiel aus. Lasst es uns abbrechen
.
Und jetzt hocken wir hier auf unserer Erde, warten auf die Wiederkehr der Götter und versuchen, ihre Hinterlassenschaften zu verstehen."
Als ich merkte, dass die Stimmung etwas gedrückt wurde, bestellte ich schnell bei Christine eine Runde Obstler und brachte einen Trinkspruch aus:
"Auf uns, die Erben der Götter. Lasst es uns besser machen!"
Komisch. Keiner lachte.
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2008
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Widmung:
Noch 'ne Glosse (Nr. 13)