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Neulich

kam einer vom Stammtisch, ich glaube es war der Besserwisser Dietmar, auf Kultur zu sprechen. Er hatte das Gespräch von Thomas Gottschalk mit Marcel Reich-Ranicki gesehen, der den ihm für sein Lebenswerk oder für das Literarische Quartett

(so genau wusste nicht einmal er selbst es) verliehenen Fernsehpreis abgelehnt hatte.
"Das ist doch der, der so lustig spricht", sagte unser Stammtischclown und setzt sofort zu einer schlechten Imitation an, wobei er einfach die s-Laute durch das englische th ersetzte und die r's besonders rollen ließ: "Ich glaube, Frrau Kollegin, Thie haben ein gannz annderres Buch gelethen, alth ich, wie Thie überrhaupt immerr gannz annderre Bücher lethen, als ich!"
"Ja, ja, schon gut", unterbrach ihn Dietmar, bevor Manni zu weiteren kabarettistischen Höhenflügen ansetzte konnte. "Der Gottschalk hat ihm ganz schön Paroli geboten. Also die gesamte Branche als Dreck zu bezeichnen, alles als Unsinn, Blödsinn, scheußlich und abscheulich, das geht doch zu weit."
"Wieso? Ist doch so. Schau doch die Schmuddelsendungen an, wo sich fette, hässliche, grottendumme Menschen anplärren. Oder die unsägliche Inflation der Kochshows, Einrichtungsshows, Gerichtshows, Castingshows, wo sich grottendumme…"
"Hast ja Recht, Manni", warf Claus ein, "die Soaps, der Musikantenstadel, das Dschungelcamp, das ist alles unterirdisch, und deutsche Komödien gehören schon fast auf den Index. Aber im Gegensatz zu Amerika haben wir doch noch ein tolles Fernsehen. Oder schau Italien an. Gnade uns Gott, wenn Berlusconi hier bei uns seine Sender etablieren kann!"
"Aber was hat denn, bittschön, Fernsehen mit Kultur zu tun?" fragte Edi rhetorisch. "Soviel wie ein Kulturbeutel! Da zählt nur Quote. Und wie man sieht: Die Leute wollen das. Oder sitzen die gefesselt und geknebelt vorm Musikhotel am Wolfgangsee

?"
"Na mich müsstest du schon fesseln, bei dem Quatsch. Und die Jugend glotzt sowieso nur Trash. Aber die Meinung von Ranicki, mehr Schiller und Shakespeare zu bringen, ist doch keine Lösung. Ich bekenne mich hier als Banause. Das ganze Shakespearezeugs, mit dem kannst du doch heute keinen mehr hinterm Ofen vorlocken. Gestelzte Dialoge, grauenhaft triviale Plots, und wenn man sie modernisiert, kommen deutsche Komödien raus. Nee, Nee. Unter Kultur versteht halt jeder was anderes."
"Jo genau", trompetete Manni, "I brauch koa Kultur ned, höchstens a Wirtshauskultur. Christine, no a Hoibe!"


Jetzt war es für mich an der Zeit, auch einen Kommentar abzugeben. Ich tat es, indem ich einen Zettel hervor zog und zitierte:

"Der Schwätzer hat keine Ahnung von dem eigentlichen Sinn der Worte, die er benutzt, von ihrer Funktion als Symbol, als Bild, als Index usw. Zur Bedeutungsfülle, zum Ausdrucksgehalt der Sprache hat er nur mehr einen beschränkten Zugang, dies zeigt sich in seiner Vorliebe für flache und derbe Witze und Kalauer."

Und zu den verdutzten Gesichtern und offenen Mündern sagte ich noch: "Das hat Conrad Cortin

geschrieben, und wenn ihr wissen wollt, was Kultur ist, dann lest sein Buch auf Bookrix!"

Dann klopfte ich dreimal auf den Tisch und ging. Ich hatte es eilig. Gleich würde nämlich die neue Castingshow beginnen. DSDSD. Sie wissen schon – Deutschland sucht den Superdeppen.


191008

Impressum

Texte:
Tag der Veröffentlichung: 19.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Noch 'ne Glosse (Nr. 7)

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