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Neulich

besuchte unser Freund Wolfgang Scheible mal wieder den Stammtisch. Er kam gerade von einer Studienreise aus Sibirien zurück. Na ja, Wolfgang ist bei der Auswahl seiner Reiseziele etwas… speziell. Andererseits – wenn man, wie er, Abgeordneter ist und alles finanziert bekommt – warum nicht?
Jedenfalls das Übliche: Petersburg, Moskau, TransSib bis was weiß ich wohin; wäre nicht weiter interessant gewesen, wenn er nicht noch einen Abstecher gemacht hätte: Mit seinen MdL-Kollegen ging es von Novosibirsk nach Lymbel'karamo. Wo das liegt? Keine Ahnung.
Und dann erzählte er uns unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass sie dort ein im Moment noch geheim gehaltenes Joint Venture Projekt mit der russischen Regierung besichtigt hätten. Siegel der Verschwiegenheit bei einem Politiker? Das heißt im Klartext: Posaunt es ruhig hinaus, ich hab' nichts gesagt. Also:
In Lymbel'karamo befindet sich die erste outgesourceste Justizvollzugsanstalt Deutschlands (der Welt? Nein, da wäre noch Guantánamo etc.).
Zuerst waren wir entsetzt. Wir schicken unseren Sondermüll nach Slowenien, die Abdrücke unserer maroden Zähne nach China, verklappen Dünnsäure in der Nordsee – okay, aber Knastbrüder nach Sibirien? Wir protestierten.
Doch dann erklärte uns Wolfgang das Prinzip.
"Schaut her", sagte er. "Bei uns kostet ein Knastplatz im Schnitt mindestens 75 Euro. Pro Tag! Ohne die Baukosten. Das neue Gefängnis in Cottbus-Dissenchen zum Beispiel hat 80 Millionen Steuergelder verschlungen. Die Russen machen das für 25,99 Euro und haben den Knast auf eigene Kosten gebaut. Ist da ja nicht so teuer, denn wohin wollen die Knackis schon fliehen? Wir sind von den Kosten runter, setzen das noch als Wirtschaftshilfe ab und müssen uns nicht ständig anhören, dass die Gangster auf Steuerzahlerkosten im Luxusknast mit Einzelzimmer ihre viel zu milden Strafen abfeiern. Oder, von der anderen Seite aus betrachtet: Wir entschärfen die durch Überbelegung explosive Lage in unseren Strafanstalten und sparen noch Geld dabei. Man sollte die weiteren Projekte aber international ausschreiben. China ist sicherlich noch billiger."
"Äh, ja, aber die Menschenrechte…"
"Die werden von uns vertraglich vorgegeben, von der Sektion Rosenheim des BRK überwacht, und outgesourced werden ja nur schwere Brüder. Für unsere Partner sind das Ausländer, keine Dissidenten oder Oppositionelle, die sie aufwendig foltern müssen."
"Ja aber die Arbeitsplätze bei uns…", wollte ich einwenden.
"Hör doch auf", knurrte Wolfgang. "Mit diesem Totschlagargument könntest du heute doch nicht mal mehr ein KZ schließen!"
Dazu fiel mir nichts mehr ein.
Happy Global Prisoning!

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Tag der Veröffentlichung: 27.09.2008

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Widmung:
Glosse 1

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