Der Himmel erinnerte an ein besonders hübsches Ölgemälde, in welchem die Sonne blutrot unterging, nur um von einem leichten Rosa zu kräftigem Violett hinüber zu schreiten, dass, so wusste die junge engagierte Frau, sehr bald in tiefes Schwarz einer Neumondnacht übergehen würde. Wäre dies ein Gemälde, das in einem sauberen Museum hing, müsste man anmerken, welch wundervolle Pinselführung der Erschaffer gehabt haben musste, wie wunderschön die Farben ineinander übergingen. Gerade aus diesem Grund machten sie ihren Betrachter wohl auch so schläfrig, denn Alenas Lider wurden schwerer und die langen Wimpern warfen bereits lange halbmondförmige Schatten auf die, sowieso schon dunklen, Ringe unter ihren hübschen grünen Augen. Vielleicht war es aber auch nur das gleichmäßige Rütteln und Tuckern des eher altmodischen Zuges. Dieses kleine Städtchen war nämlich darauf ausgelegt einen in ‚die alten Zeiten’ zurück zu versetzen. Grace beschloss, falls ihr Hotelzimmer kein heißes Wasser besitzen sollte, mit einem empörten Schrei sofort wieder abzureisen.
Plötzlich blinzelte sie.
„Was-…?“
Gute Frage. Was ist das?
Was sich da von rechts her ins Fenster des Zuges und somit in Grace’ Blickfeld schob, war definitiv ein Zeugnis eines Graf Draculas oder auf jeden Fall etwas Ähnlichem. Zwar war dies nicht Transsilvanien (sondern vielmehr einfach ein Dörfchen mit hübscher Landschaft eine Stunde Zugfahrt von der nächsten Großstadt entfernt), wo er der Sage nach gelebt haben soll. Doch die dunklen Wälder, durch die sie eben hatte tuckern dürfen, hätten ebenso gut aus einem schlechten Horrorfilm stammen können. Denn vor ihr ragte eine, unter Umständen als wunderschön zu bezeichnende, Burg auf, auf welcher man früher vielleicht tatsächlich Köpfe der gefallenen Feinde auf Palisaden gesteckt hatte, auf dass das Blut das Holz tränkte. Alena verdrehte bei ihren eigenen Gedanken die Augen. Sie war zu müde; nun kreisten diese Klischees auch in ihrem hübschen Köpfchen umher. Sie hörte aber abrupt auf ihren Schwachsinn zu belächeln, als sie begriff, dass dies wohl die restaurierte Burg sein musste, in welchem sie nächtigen würde.
Grace stellte sich enttäuscht schon einmal darauf ein, einen empörten Schrei auszulassen und sofort wieder abzureisen.
„…Oh ja, viele Leute unterliegen diesem Klischee. Aber, wissen sie, ich persönlich vermute, dass es eine Art Legende ist. So wie Legenden nun einmal entstehen, gab es wohl tatsächlich einmal einen Graf, dessen Name wohl ähnlich wie ‚Dracula’ klang, aber nicht einmal das muss sein, und für unsere Maßstäbe, vielleicht sogar für die damaligen, brutal war. Es sind Überlieferungen gefunden worden, die besagen, dass es in bestimmten Teilen Europas ‚üblich’ war den abgeschlagenen Kopf seines, nun natürlich ehemaligen, Feindes auf die angespitzten Pfale eines Palisadenzauns, der zur Verteidigung diente, zu stecken und somit zukünftigen Feinden als Abschrecke voran zu gehen, Es gibt natürlich auch diejenigen, die sagen…“, fuhr die Hotelinhaberin, Madam Rosmert, fort, während blonde Ringellöckchen wie verrückt um ihren Kopf tanzten, als sie Alena, die aufgehört hatte ihr zuzuhören, ihr Zimmer zeigte. Grace war zwar Journalistin, plante aber nicht einen Artikel über ‚Die Entstehung des Mythos ‚Dracula’, sondern ‚Frische Landluft – Die besten Hotels in noch naturgetreuer Umgebung’, zu schreiben.
„Dankeschön“, murmelte sie deshalb nur, als sie den Schlüssel mit einem müden Lächeln aus der fleischigen Hand ihrer mütterlich grinsenden Gastgeberin nahm und sich auf das breite, altmodische Bett fallen ließ, nachdem das knirschende Leder ihrer Koffer auf dem Fußboden gelandet war, weil ihre wunden Finger es einfach nicht mehr tragen konnten.
Wenig später näherte sie sich dann mit vorsichtigen Schritten dem sauberen, wirklich sehr hübschen Badezimmer und drehte an einem Wasserhahn, ließ die schlanken Finger unter den Strahl gleiten…
„Heißes Wasser...“, stöhnte sie unter Freudentränen…
Und schon wieder durfte sie einen Hacken machen. Schließlich war das Hotel auch teuer genug, da sollte man eigentlich viele Hacken bei ‚Positive Aspekte des Hotels’ machen dürfen. Sie grinste schelmisch, als sie daran dachte, dass nicht sie, sondern der Verlag, das schöne Sümmchen bezahlen durfte, das ein Zimmer hier kostete. Sie sah hinab auf ihre dahin gekritzelten Notizen.
Was solls’s…
Sie hatte einen wundervollen Laptop, auf dem sie sowieso alles abtippen würde. Denn, obwohl das Fräulein Wayde eine engagierte Arbeiterin war, musste ja nicht überall spießige Ordnung walten, oder?
Sie stopfte das Notizbuch wieder in ihre große Tasche und dachte, dass sie sich heute Abend wieder in die weichen Daunen ihres Bettes schmeißen können würde. In das Bett, das sicherlich auch ein ganz hübsches Sümmchen (was den Gesamtpreis erklärte) gekostet haben musste. Mit den gedrechselten Beinen, den netten Verzierungen von hübschen Vögeln auf den Eichenholzlatten und, das soviel wog, dass Grace es keinen Zentimeter weit verrücken konnte, war es tatsächlich die Summe wert. Ja, darauf freute sie sich jetzt schon, aber erst einmal würde sie den Mann dort vorn fragen, wie er das Hotel bewertete.
„Entschuldigen Sie, Mister…?“, begann Grace vorsichtig, tippte dem Angesprochenen auf eine breite Schulter. Mürrisch wurde ihr ein bleiches, unrasiertes Gesicht zugewandt aus welchem ihr zwei dichtbewimperte schwarze Abgründe entgegen starrten. Sie zuckte zurück, sah ihn an, als wäre vor ihrem geistigen Auge gerade das Antlitz einer schrecklichen Kreatur aufgeblitzt. In Wahrheit erinnerte der Mann sie nur an ein Tier, weil er nicht rasiert war und am Abend zuvor wohl zu lang in einer Kneipe gesessen haben musste. Die Augen waren dunkel, dennoch blutunterlaufen, und schwarze Balken malten sich auf den Tränensäcken ab.
„Was?“, schnauzte er im nächsten Augenblick, brach den unheimlichen Bann, der Grace mit spitzen Zähnen gefangen gehalten hatte. Sie ließ ihre Miene ihren Abscheu vor seinen offenkundigen nächtlichen Ausschweifungen nicht widerspiegeln und fragte stattdessen kurzangebunden:
„Ehm… gefällt ihnen das Management?“
„Ich arbeite hier…“, zischte er aus zusammengepressten Zähnen hervor (Offensichtlich nahm er das als Grund, das Management nicht zu mögen), durchbohrte sie geradezu mit seinem Blick. Grace versuchte ein Lächeln, stammelte etwas wie ein ‚Dankeschön’, welches er ob seiner Unfreundlichkeit ihrer Meinung nach gar nicht verdiente, und entfernte sich dann schleunigst aus seinem Gesichtsfeld.
Sie sah kurz über ihre schmale Schulter zurück und musste sich eingestehen, dass sie noch nie einen widerlicheren Mann gesehen hatte. Ohne Verständnis für ihn dachte sie, wäre sie näher an ihn heran getreten, hätte sie wahrscheinlich seine Fahne riechen können. Nicht, dass sie das Bedürfnis verspürte, näher an seinen wahrscheinlich ungewaschenen Leib heran zu treten, stellte sie sich selbst gegenüber klar, bevor sie sich abwandte und die Anlage und den Hof durchmaß, um schließlich die knarrenden Holztreppen hinauf zu verschwinden.
Farben zogen an ihr vorbei, Bewegungen brachten Kleidungsstoff ins Schwingen, Kinder lachten…
Sie saß allein auf einer grün gestrichenen Bank mit der Tüte auf ihrem kalten Schoß. Etwas an dem kleinen Dörfchen nahe dem Burghotel machte sie melancholisch. Das zeigte ihr kleines Lächeln auf den eher schmalen Lippen ganz deutlich, als sie auf die alte Dorfkirche sah. Sie war noch nie besonders fromm gewesen, aber etwas in ihr drängte ihre Füße dorthin zu gehen. Also stand Grace auf und… fiel sofort auf den schneebedeckten Boden, als jemand von der Seite her gegen sie prallte.
„Wa-…?“, stieß sie überrascht aus und schüttelte geschmolzenen Schnee aus dem Haar, bevor sie aufsah. Entschuldigend lächelnd bot ihr ein zerzauster Blondschopf, dem mehr Jungenhaftes anhaftete, ihr die Hand dar.
„Tut mir Leid…“, meinte er ehrlich zerknirscht, zog sie mit einem Ruck hoch, als er ihre zarten kalten Finger zu fassen bekam.
„Schon okay…“, meinte Grace verwirrt, als der Mann sie mit seinem einnehmenden breiten Jungengrinsen ansah.
„Du bist neu hier, richtig?“, erkundigte er sich, steckte die behandschuhten Hände in die Jackentasche, stellte sich offenbar auf ein längeres Gespräch ein. Grace, aufgewachsen in einer Großstadt, erkannte in ihm sofort den lieben Hinterwäldler und musste erkennen, dass es gar nicht einmal so unvorteilhaft sein könnte in einem ‚Kaff’ zu leben, wie es umgangssprachlich so schön genannt wurde, wenn es so sympathische Menschen hervorbrachte.
„Eh, ja… Bin ich. Gerade angereist für einen Artikel über euer schönes Burghotel… I-ich hatte eigentlich nicht vor lange zu bleiben…“, deutete sie an. Er war mittlerweile weitergegangen und sie war ihm einfach gefolgt, bevor ihr auffiel, dass sie falsch daran herangetreten war, wenn sie ihn heute noch einmal loswerden wollte.
„Aha…“, machte er nachdenklich, kümmerte sich entweder nicht um ihre versteckten Andeutungen oder hatte diese gar nicht erst als solche erkannt.
„Interessant. Was für ’n Artikel denn? …Ich bin übrigens Kyle, Kyle Graham …“, grinste er breit, hielt wieder einmal eine Hand aus. Grace gab lachend auf und nahm seine Hand. Vielleicht wäre dies ja ein nettes Plätzchen, um Ferien zu verbringen, ging ihr auf, sollte sie hier tatsächlich Freunde finden…
Grace ließ sich auf ihr Bett sinken. Es war der verrückteste Tag überhaupt für sie gewesen. Als sie die Augen schloss, ließ sie den Tag Revue passieren. Erst schnauzte der dunkelhaarige Mann mit blassen schmalen Wangen vor ihrem inneren Auge umher, dann saß sie auf der Bank, starrte die Kirche an, lernte Kyle auf ungewöhnliche Weise kennen, unterhielt sich sogar mit ihm, obwohl sie in der Regel nicht so gut mit anderen Menschen umgehen konnte. Doch der extrovertierte Kyle hatte sie einfach in einem wahren Sturm von ländlicher Hilfsbereitschaft ihr erst seinen halben Familienstammbaum und dann die Geschichte des kleinen Dorfes erklärt, sie obendrein auch noch mit der halben Bevölkerung bekannt gemacht. Ihr schwirrte jetzt noch der Kopf von all den Namen: Caitlin Pierce, eine gepflegte modische Frau mit einer weißblonden Haarpracht und einem äußerst ausgefallenem Mundwerk, Anthony Hall, ein eher stiller Knabe, der wohl nicht genug Schlaf bekam, da er andauernd gähnte, Neill O’Brian mit seinem braunen Wuschelkopf und einem kleinen Hund, der den Saum von Grace’ dunklen Wollmantel gejagt hatte und noch viele andere.
Sie lächelte still vor sich hin, als sie daran zurückdachte, wie er sie für morgen Abend eingeladen hatte. Er wollte sie zu all diesen Freunden mit einladen…
Abrupt richtete sie sich auf.
Was war das?, fuhr es ihr blitzend durch den Kopf.
In ihrem Zimmer war es dunkel, nun auch still. Eben noch waren aber Schritte auf knarrendem Holz zu hören gewesen; da war sich Grace sicher. Geschickt wie leise kam sie auf die Füße, wickelte sich wieder in ihren recht dünnen Mantel, trat Barfuss hinaus in den Flur. Eine große Gestalt bog gerade um die Ecke und Grace’ Unterbewusstsein fragte sich gerade, weshalb sie sich überhaupt darum kümmerte, dass jemand nachts durch das Hotel wanderte. Doch bevor diese Frage wirklich an sie dringen konnte, schritten bereits blasse kleine Füße über den Holzboden. Ihre kleinen blassen Füße. Ihr feines Gehör folgte dem Knarren großer schwerer Schritte. Offenbar hatte sie entweder das berühmt berüchtigte Journalisten-Fieber gepackt oder sie war schlicht und einfach verrückt geworden. Der Ort hier hatte etwas an sich, drängte sich zwischen ihre Herzklappen und nistete sich als Gefühl in ihrer Brust ein. Vielleicht war es gar kein Gefühl, sondern halsbrecherische Verrücktheit. Sie kam nicht dazu weiter darüber nachzugrübeln, denn sie sah den großen Mann mit dem dunklen Schopf und dem breiten Kreuz sein Ziel erreichen. Die Hintertür, die zu einem kleinen Balkon führte, stand auf und Grace schob den Spalt auseinander, kauerte sich nieder, als sie bemerkte wer es denn war, dem sie gefolgt war. Kein Wunder, dass ihr die Gestalt bekannt vorgekommen war… Sie starrte auf das breite Kreuz, das in einen dunklen langen Wollmantel eingepackt war, und das vielleicht etwas zu lange, dunkle Haar, welches den kräftigen, aber merkwürdigerweise ungewöhnlich schmalen, Nacken zierte, denn es waren die einzigen Merkmale der Person gewesen, die sie in der Dunkelheit an ihm hatte erkennen können. Aber nun wandte er für einen Augenblick das Gesicht, sodass der dünne Mondfaden es erhellen konnte. Es war ein blasses Gesicht mit Drei-Tage-Bart und dunklen Schatten unter den Augen; der Mann vom Vormittag. Aber an diesem Abend kam er Grace nicht ganz so widerlich vor. Er ging mit gebeugtem Rücken, als trage er eine Last, wie schon heute Vormittag, und wiegte die Schultern bei jedem Schritt, bis er sich hinhockte, den Kragen hochstellte. Der Haushälter des Hotels hielt diesmal etwas in der Hand, es war keine Schneeschippe, viel kleiner.
Schüsseln!
Fasziniert konnte Grace beobachten, wie sich bewegliche Schatten aus dem Dunkel der Nacht schälten. Die Katzen bewegten sich auf samtenen Pfoten, leckten dem Mann die Finger und machten sich selbstverständlich auch über die mit Milch gefüllten Schüsseln her. Ob des friedvollen Bildes konnte sie sich nicht einer keimenden Sympathie für den Mann erwehren. Er war noch recht jung, ging ihr auf, und plötzlich übte sie Nachsicht mit ihm. Er war nur wenige Jahre älter als sie selbst. Außerdem strahlten seine, im Grunde genommen, recht asketischen Züge friedvolle Stille aus und wirkten sogar zufrieden mit sich und der Welt. Wenn auch eine recht melancholische Zufriedenheit, stellte sie verwundert fest. Er sah gar nicht einmal so schlecht aus, wie sie anfänglich ob seines sauertöpfischen Ausdrucks angenommen hatte… Diese neuerliche Erkenntnis machte Grace unvorsichtig. Die Tür quietschte, er stand erschrocken auf, seine dunklen Augen waren groß, als er alarmiert hinter sich sah und eine junge Frau kauernd am Rahmen lehnend sah, starr und unbeweglich. Seine Lippen teilten sich, als wolle er etwas sagen, doch dann schloss er diese, runzelte nur die Stirn und bewog sich doch zu einem Lächeln.
„Ist dir nicht kalt…?“, fragte er unförmlich in einer Stimme, die zwar noch genauso tief wie am Morgen war, doch in Grace’ Ohren sanfter ausklang und sie sah ihn einfach nur weiterhin an, eine große Silhouette vor dem schwarzen Firmament. Der Mond war nicht voll, spendete nur wenig Licht, musste sich mit zahllosen Wolken umher schlagen. Schritte näherten sich, die Silhouette wurde größer, und dann ragte er vor ihr auf. Erstaunt sah Grace hoch, blickte wieder in ein dunkles Augenpaar. Es war als zeigten diese ihr eine fremde ferne und unmöglich zu erreichende Welt, in der ewig stille Nacht herrschte, sich kaum etwas regte, vielleicht einmal ein Schatten der hindurch huschte, als wären Gefühle, die sich für gewöhnlich in Augen spiegelten, bei ihm nur noch Schatten ihrer selbst, beinah emotionslos. Dann blinzelte sie, hob automatisch die Hände, um den dunklen Stoff entgegen zu nehmen, der ihr mittels einer großen, ungeschickt wirkenden Hand herabgereicht wurde. Erst dann realisierte sie, dass er ihr seinen Mantel gab.
„Eh, nein, ich brauch ihn nicht… Danke…“ Das letzte Wort war geflüstert, voller Erfurcht. So in den Bann der Verwandlung gezogen, die zwischen heute Vormittag und gerade jetzt mit ihm von Statten gegangen sein musste, war sie. Schwer ließ er sich neben sie fallen, verzog einen Mundwinkel zu einem gezwungenen Lächeln, hinter dem jedoch eine gute Absicht verborgen steckte. Unsicher erwiderte Grace das Lächeln, etwas intensiver. Ihr kam der Gedanke, dass er wirkte, als habe er das Lächeln etwas verlernt, als müsse sein Mund sich erst wieder daran gewöhnen. Grace warf ihm einen ermutigenden Blick unter dichten Wimpern hervor.
„Nehmen Sie ihn als Wiedergutmachung für unser missglücktes Zusammentreffen heute Morgen… Wie wär’s? Sollen wir noch einmal von vorn anfangen?“
Grace ließ ihrer neu entdeckten Sympathie freien Lauf und bemühte sich um ihr strahlendstes Lächeln.
„Gern. Ich bin Grace Wayde.“ Sie reichte ihm die Hand.
„Luke… Unglücklicher Haushälter einer renovierten Burg.“ Er lächelte spitzbübisch, was seinen Bart gleich weitaus weniger unwirsch wirken ließ. Grace hob eine wohl gezupfte rotblonde Braue.
„Und ein Mann ohne Nachnamen?“
Er hob unbehaglich die Schultern.
„Nun, ich bin es gewohnt, dass jeder meinen Nachnamen kennt.“ Er zwinkerte ihr zu, nahm die Tatsache, die ihn offensichtlich bedrückte, auf eine leichte Schulter.
„Du musst wissen, ich bin nämlich geisteskrank, total verrückt… Der perfekte Dorftrottel eben… “, vertraute er ihr in einem übertrieben verschwörerischen Ton an. Er lachte wenig gekränkt auf, als amüsiere ihn das Getratsche der Dorfbewohner. Plötzlich wirkte sein Blick lebhafter. Die dunkle Unförmigkeit der Landschaft hinter seinem Blick war zum Leben erwacht und die Augen funkelten vergnügt, wenn er ihr ins Gesicht sah.
„Weshalb denn das?“
„Hm… Tja, ich brauche lange, ehe ich richtig wach bin… “ Er grinste und die erstaunlich makellosen Zähne, die in dem kurzen Bartflaum aufblitzen, ließen ihn noch etwas jünger wirken, weniger melancholisch. Grace zog ein verwundertes Gesicht.
„Wie?“
„Ich vertraue darauf, dass du dich an unser Treffen heute Morgen erinnern kannst? Ich brauche recht lang, um meine Schlaftrunkenheit abzuschütteln und so kommt es, dass ich den halben Tag lang mürrisch bin und den Rest des Tages sprechen die Leute nicht mit mir, weil sie dazu gelernt haben. Außerdem finden sie, dass mein Lebenswandel nicht nachahmenswert ist… Hier, als Hauswärter in einem, wenngleich teuren, Hotel… “ Eine Katze stahl sich auf seinen Schoß und abwesend begann seine große Pranke durch ihr dichtes Fell zu streichen.
„Aber es gefällt mir hier, weißt du… “
„Ja, kann ich mir vorstellen.“
Der Mond lugte hinter den Wolken hervor…
„Er ist übrigens Maddox, Luke Maddox … “
Grace eilte durch den verschneiten Hof. Luke würdigte sie keines Blickes, seine ganze Aufmerksamkeit schien der Schneeschippe zu gehören. Nun, da sie wusste, dass er den Tag lang eher schlecht auf alle zu sprechen war, ließ sie ihn lieber in Ruhe. Aber sie dachte schon mit Vorfreude daran, wie sie am Abend zu ihm kommen würde unter dem Vorwand, sie wolle ihm seinen Mantel zurückbringen, den sie aus Versehen in ihr Zimmer mitgenommen hatte. Aus irgendeinem Grund war ihr der Finsterling sympathisch mit seiner nachdenklichen Miene… Aber erst galt es der blonden Ringellocke ein paar Fragen zu stellen. Außerdem hatte sie ihre Kamera in der Hand. Sie packte sie aus und begab sich in die halsbrecherischsten Positionen, um ein schöne Fotografie zu erhaschen. Sie kletterte auf Simse, lehnte sich über Brustwehre und musste feststellen, dass einem auch auf einem Bergfried schwindeln konnte. Freilich gab es genug hübsche Orte und Grace fragte sich schon, wo sie noch welche Bilder in dem Artikel unterbringen würde…
„Hallo, alle miteinander! Das hier ist Grace“, stellte er seine Begleiterin der Meute vor, die um den großen Tisch in der Kneipe saß. Die Frau mit den modischen Kleidungsstücken und den weißblonden Haaren hob eine Hand.
„Hey, setz dich zu uns.“
Grace folgte der Einladung gern und rückte mit einem Stuhl zwischen sie und den Typ, der zu wenig Schlaf bekam, Tony Hall. Schüchtern lächelte sie in die Runde. Irgendein gutmütiger Mensch drückte ihr auch ein Glas in die Hand (vermutlich der Ire) und, um über ihre Verlegenheit zu spielen, nahm sie einen tiefen Zug. Kräftiges Bier, musste sie feststellen.
Nachdem die erste Schüchternheit verflogen war, traute auch Grace sich mit den anderen zu lachen und musste nach einer Weile feststellen, dass sie vergnügt gluckste. Aber sie kehrte noch nicht zu ihrem unpersönlichen Hotelzimmer zurück. Noch nicht. Denn die Gemeinschaft nahm sie freundlich und mit weit geöffneten Armen auf. Mit Caitlin, der hübschen Dame zu ihrer Linken, tauschte sie sogar einen belustigten Blick jedes Mal, dass Neill O’Brian, der Ire, einen dreckigen Witz riss und die ganze Männerschar anfing laut heraus zu prusten. Aber als diese Grace auf ihre Arbeit ansprach, entschied sie still, dass sie sich bald verabschieden würde müssen. Sie konnte sich jedoch nicht zu dem Entschluss durchringen, bis ein großer Mann durch die Türe in den stickigen Raum eintrat. Zu ihrem Erstaunen erkannte sie, dass es Luke war. Zu ihrem weiteren Erstaunen erkannte sie auch, dass ihr Herz plötzlich schneller schlug, doch sie schob es auf das würzige Bier.
Caitlin verzog den kirschroten Mund.
„Schaut mal an, wer da kommt… “, machte sie spöttisch. Natürlich wandte die Tischgesellschaft ihre Köpfe mit den vom Alkohol geröteten Wangen und höhnten den Ankömmling an, machte lasterhafte Bemerkungen und lachten den Armen aus, obgleich er nichts Tölpelhaftes angestellt hatte. Neill riss wieder einen anstößigen Witz, was ihm einen genervten Blick seines Freundes Tony einheimste, aber alle grölten munter weiter. Grace konnte nicht mitlachen, sondern bewunderte wie stoisch Lukes Gesichtsausdruck blieb, als er sich an die Bar stellte, den Kopf gesenkt, und etwas bestellte, wie duldsam er all das über sich ergehen ließ. Die Betrunkenen am Tisch hielten ihn tatsächlich für ihren persönlichen Dorftrottel. Wenig später verließ er die Kneipe auch wieder mit einem kleinen Packet in der Hand. Unter einem scheinheiligen Vorwand stand Grace auf und hastete aus dem überhitzten Raum. Kyle folgte, packte sie ob seiner Trunkenheit vielleicht etwas grob und drehte sie herum.
„Nanu, wohin so schnell?“ fragte er grinsend.
„Ich... ich muss zurück“, verkündete sie etwas atemlos. Jedes Mal, dass sie sprach entwich eine kleine Dampfwolke ihren Lippen, nur um sich dann vor ihren Augen wieder aufzulösen. Kyle schürzte die Lippen.
„Wirklich schon?“
Grace nickte bedauernd.
„Naja, dann bringe ich dich noch Heim… “
„Nein!“, wandte sie schnell, beinah zu hastig, ein. „Ich… ehm, muss erstmal all dieses freundschaftliche Entgegenkommen hier verkraften – Noch mehr vertrag’ ich an einem Tag nicht“, beteuerte sie lachend. Kyle hob die Schultern, gab sich schließlich doch mit ihrem Entschluss zufrieden und umarmte sie zum Abschied, bevor er wieder zu seinen inzwischen laut singenden Kameraden zurückkehrte.
Grace hastete auf ihren Winterstiefeln die Straße entlang.
Hat Luke ein Auto?
Aber schließlich entdeckte sie ihn doch. Erleichtert ging sie auf ihn zu. Er saß auf der grün gestrichenen Bank, auf der auch Grace vor nicht allzu langer Zeit sich einmal niedergelassen hatte, und aß.
„Darf ich mich zu dir setzten?“, fragte sie, als sie vor ihm stand. Er hob den Kopf, lächelte und wies einladend neben sich. Die Bank war kalt, doch es machte ihr nichts. Er brach einen Kanten dunkles Brot, welches er in Händen hielt, ab und bat es ihr an. Grace nahm dankend an. Alkohol auf nüchternen Magen war ihr noch nie gut bekommen (Alkohol überhaupt war ihr noch nie gut bekommen, muss man an dieser Stelle einlenken) und, obwohl sie bezweifelte, dass es jetzt noch etwas bringen würde, machte sie sich daran ihn zu füllen. Während sie genüsslich kaute, fragte er:
„Glaubst du an die Kirche?“
Grace dachte darüber nach, ehe sie antwortete.
„Keine Ahnung. Meine Eltern haben mich zwar getauft, aber da war ich gerade einmal drei Wochen alt und, selbst wenn man mich gefragt hätte, hätte man wohl kaum mehr als quengliges Schreien geerntet.“
Er sah sie an.
„Woran glaubst du dann?“
Grace hatte sich noch nie wirklich die Mühe gemacht, darüber nachzudenken. Die Nachtluft kühlte ihre geröteten Wangen und halfen ihr einen klareren Kopf zu bekommen.
„Hmm… ich glaube, dass ich nicht beweisen kann, dass es einen Gott gibt. Ich schätze, ich bin agnostisch… oder ein verdammter Heide. Und du?“ Sie stieß ihm sachte wie keck mit dem Ellbogen in die Seite. Er hob gleichmütig die Schultern.
„Wenn es einen gibt, kann er manchmal ziemlich grausam sein, aber irgendwie… “ Seine Worte verklangen. Dann sprang er plötzlich auf und zog sie mit sich.
„Komm.“
Überrascht stolperte Grace hinter ihm her. Er zog sie zur gegenüberliegenden Kirche, zu welcher er immer wieder versonnen hingesehen hatte. Es war ein recht kleines steinernes Gotteshaus und die Kate daneben bewohnte wahrscheinlich der Priester. Trotzdem standen die hohen Holztüren auf und Luke schlüpfte mit seiner Begleiterin hindurch. Er hielt einen großen Abstand vom Weihwasser, als Grace ihre Fingerkuppen hineintauchte und kurz ihre Stirn besprenkelte. Sie sah ihn abwartend an, doch er machte keine Anstalten ihrem Beispiel Folge zu leisten, sondern wartete bis sie an seine Seite getreten war. Dann schlenderten sie gemeinsam den von Bänken gesäumten Gang entlang und ließen sich dort nieder. Grace faltete automatisch die Hände, als wolle sie beten. Luke hingegen ließ seine Pranken lose auf den Oberschenkeln ruhen, schaute zum Altar hinauf.
„Du sagtest, du wärst vielleicht sogar ein Heide“, rief er ihr flüsternd ins Gedächtnis und Grace wollte ihn schon zurecht weisen, dass man in einer Kirche nicht sprach. Doch anbetracht der Tatsache, dass sowieso kein frömmelnder Greis von einem Priester in der Nähe war, um sich darüber zu beschweren, kam sie sich prompt recht blöd vor und ließ es bleiben.
„Meintest du da, dass du an Odin oder Wotan glaubst oder lieber doch an Vampire und Werwölfe? Oder würdest du vielleicht lieber Muslime sein?“
Sie sah ihn ob der merkwürdigen Frage verwundert an.
„Eh… Keine Ahnung. Wer ist Odin?“ Grace, die sich nie für Geschichte interessiert hatte und absolut nichts mit uralten Religionen am Hut hatte, konnte sich nur wage daran erinnern von dem Namen gehört zu haben.
„Ein Göttervater … “, erklärte er leise lachend. Es war ein wohltönender, tiefer Laut.
„Die germanische Fassung lautet Wotan. Er ist der Hauptgott in der nordischen Mythologie. Er ist der Anführer der Asen, dem Kriegsgeschlecht der Götter. Bei Ragnarök, der letzten großen Schlacht, bevor die Welt untergeht, soll er mit dem Wolfsherzog Fenrir ringen und der soll den großen Odin dann erschlagen oder so ähnlich. Obwohl der Gottkönig oft mit Speer als großer Krieger dargestellt wird, sieht man ihn manchmal auch als greisen Wanderer. Odin, der Wanderer – Klingt das nicht schön? Mit seinen Raben, Huggin und Muggin, die für ihn die Welt auskundschaften, stolziert er über das Land. Er hat nur noch ein Auge, denn eines hat er geopfert, um die Weisheit zu erlangen, die er aus einer Schale trank, in der das Blut des reinsten aller Götter aufgefangen worden war, der nur durch eine List Lokis gestorben war. Loki ist der Gott der Hinterlist und Tücke, musst du wissen… “, erzählte Luke freizügig. Grace konnte nur staunen wie viel er darüber wusste und hang fasziniert an seinen blassen Lippen. In all diesen Erzählungen tauchte sie unter und so war auch schnell das Gefasel von Vampiren und dergleichen vergessen.
Seine Stimme hallte in einem eigentümlichen Rhythmus nach, der Grace nicht im Mindesten störte, als sie ihren Gedanken nachhing. Wikinger hatte sie sich oft, als grölende hünenhafte Gestalten am Bug eines Drachens, Drakkars, vorgestellt. In einer Hand das Schwert, an dessen Blutrinne noch die rote Flüssigkeit hinab rann, und in der anderen eine Streitaxt an der noch etwas fleischiges Gewebe mit ein paar Haaren klebte. In ihrer Vorstellung stank er fürchterlich und war eine abstoßende dumme widerliche und gedrungene Kreatur …
Aber nachdem sie Lukes Vortrag gelauscht hatte, der nachdem er das religiöse wesen der Nordmänner beschrieben hatte auch noch zu anderen Themen übergesprungen war,
Aber, wenn man Lukes Erzählungen Glauben schenken durfte, hatten sie einen übertriebenen Reinlichkeitssinn bewiesen. Einige Angelsachsen hatten das bei dänischen Sklaven festgestellt. Grace lachte.
„Tatsächlich?“
Luke nickte zur Antwort wissend.
Nach einer Weile jedoch fragte Grace:
„Und Vampire?“
Luke hob eine Braue.
„Was soll mit denen sein?“
„Vorhin sprachst du auch von ihnen.“
Er sah zweifelnd zu ihr hinab, aber entschied sich dann plötzlich doch eine vernünftige Antwort zu geben.
„Was soll ich da denn gesagt haben? - Es gibt sie nicht!“
Er sprach es, als sage er das Selbstverständlichste auf der Welt, aber Grace hatte ein bestimmtes Gefühl, dass ihr sagte, sie solle noch an der Sache bleiben. Ungefähr so, als wenn sie eine gute Story witterte, nur persönlicher.
„Okay, so weit bin ich… Odin gibt es aber auch nicht... “
Luke sah sie angespannt an, dann musste er wider Willen lächeln und gab nach.
„Du hast Recht. Mir lag beinah auf der Zunge zu sagen, dass Odin in den Gedanken der vielen Menschen existierte, aber ich schätze, es gibt auch genug mit Kayal beschmierte Jünglinge, die tatsächlich glauben nachts auf Friedhöfen Leute mit abgehackten Bewegungen und blutverschmierten spitzen Zähnen zu begegnen.“
Grace schaute ihn abwartend an, als er nicht fort fuhr. Als sie schon glaubte, er habe sich auf den verschlungenen Pfaden seiner Gedanken verloren, kehrte er zu ihr zurück und räusperte sich.
„Nun, man stellt sie sich vor… als…“ Er wusste offensichtlich nicht, was er ihr darüber erzählen wollte. Dann atmete er nochmals durch und begann von neuem:
„Das Wort stammt aus dem Serbischen und im Volksglauben stellen die meist wieder belebte, menschliche Korpus dar, die tierisches oder menschliches Blut saufen. In der Regel sind sie auch mit irgendwelchen abstrusen Fähigkeiten ausgestattet. Je nach Kultur tauchen sie auch in Gestalt von Dämonen oder Tiere auf. Die Fledermaus muss bei uns öfters unter dieser zweifelhaften Ehre leiden.“ Er lächelte auf sie herab.
„Du magst Vampire nicht?“, fragte Grace. Ihre Vermutung basierte auf der Zögerlichkeit, die er bei diesem Thema an den Tag (beziehungsweise in diesem Fall an die Nacht, denn es ging auf Mitternacht zu) legte.
„Naja, ich schätze, ich bevorzuge einfach die armen Seelen, für die eine Vollmondnacht Auswirkungen wie ein besonders starkes Haarwuchsmittel hat, und auch noch blutrünstig über Menschen herfallen. Es gibt so viele traurige Gedichte über sie. – Wie der arme Bisclavret zum Beispiel“
Irgendetwas an seinem Tonfall verriet ihr, dass es nicht ganz stimmte, dass er sich zu Werwölfen geneigt fühlte.
„Aha“, machte sie daher nur skeptisch, verzog den Mund und bohrte weiter.
„Aber ein Werwolf wehrt sich doch, du hingegen nimmst alles, was man dir an den Kopf wirft einfach hin, auch wenn der Beleidigung jegliche Grundlage fehlt.“ Sie hatte das Gefühl, dass es ihr nun wirklich nicht zustand, ihm das jetzt vorzuwerfen, aber sie konnte nicht anders. Er hatte eine solche Behandlung nicht verdient, wusste sie. Er schien auch verblüfft, konnte sich nicht ganz zu einem Lächeln durchringen, schien aber dennoch erfreut, dass ihn endlich jemand in Schutz nahm. Über dem schien er auch noch verlegen und wandte den Kopf grinsend ab, während er sich auf die Lippe biss.
„Hmm... Nun Werwolf wird mit W-E-R geschrieben, ohne H. Es ist nahe liegender, dass es von dem altdeutschen Wort für Mann kommt „wer“, welches sich wiederum von „vir“ aus dem Lateinischen abwandelt.“
Er schaute sie wieder an und wieder durfte Grace in dieses dunkle Augenpaar blicken, das sie so faszinierte, wenn sie dem sonst so stumpfen Schwarz eine Gefühlsregung abringen konnte.
„Na komm, mein Auto steht etwas Abseits. Ich fahr uns nach Haus… Entschuldige, ich meinte natürlich, ich bringe die Dame zu ihrem Hotel.“ Er streckte übertrieben galant die Hand aus, um ihr aufzuhelfen und Grace’ helles Lachen wurde von dem hohen Gewölbe echogleich zurück geworfen.
Im Burghof, wo auch der Parkplatz für Angestellte untergebracht war, sprang Grace aus dem schwarzen Wagen mit den dunkel getünchten Fenstern und in den verschneiten Innenhof heraus. Luke schloss ab und bestand darauf, die Dame bis zu ihrer Zimmertür geleiten zu dürfen. Als sie so nacheinander eine knarrende Treppe – Grace fand es eigentümlich, dass Luke immer die Stufen zu vermeiden wusste, die dieses lästerliche Geräusch von sich gaben - hinauf kletterten und Grace auf den breiten gebeugten Rücken starren durfte, fand sie es recht schwer die Frage niederzuringen, die sich ihre Kehle hinaufwälzte. Sie wollte sie als lästig abtun, aber es war nun einmal keine heiße Galle, sondern ein warmer Gedanke, der da ihren Lippen entspringen wollte und dem hatte Grace reichlich wenig entgegen zu setzen. Als sie wieder nebeneinander gingen, schien ihm das aufzufallen und er zog verblüfft die Brauen in die Höhe.
„Nur heraus damit. Alles, was du sagst, kann nicht schlimmer sein, als was immer die Dorfbewohner mir entgegen grölen.“
Grace musste wider Willen lächeln, biss sich dann aber auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Sie kam sich reichlich peinlich vor und die Tatsache, welche sie sich immer wieder ins Gedächtnis rief, dass sie nun eine vierundzwanzigjährige, erfolgreiche Journalistin mit einer festen Anstellung war, half nicht besonders ihr Selbstvertrauen groß aufzubauen. Aber er wandte seinen Blick einfach nicht ab und so befiel Grace der wachsende Drang etwas sagen zu müssen.
„Ehm… es ist Blödsinn…“, eröffnete sie ihm wenig geistreich.
„Ich kenne mich gut mit Blödsinn aus, habe ich doch selbst oft genug welchen verbrochen – Also?“
„Nein, nein, du verstehst nicht. Ich habe automatisch daran gedacht, dich zu Frühstück einzuladen, aber ich freue mich auch über Abendessen irgendwann einmal“, versicherte sie ihm willig. Luke lachte.
„Mhh, vielleicht macht meine schlechte Laune ja Morgen früh eine Pause.“
Sie waren vor ihrer Tür angekommen und Grace lehnte sich leicht dagegen, sah ihn skeptisch an.
„Ich zweifle nicht an deiner Gabe, dich zu beherrschen, aber tu’ dir doch keinen unnötigen Zwang an.“
Er schüttelte entschieden den Kopf, stützte auch eine seiner Pranken neben ihrem Kopf an die verschlossene Zimmertür und versicherte ihr ein wenig belustigt:
„Ich werde mich schon nicht zu sehr verausgaben. Beruhigt?“
Sie konnte es sich nicht verkneifen, das süffisante Lächeln zu erwidern. Er nahm das einfach als Zustimmung, verabschiedete sich mit einem Wink.
„Wenn du Morgen auf bist, komm ’runter.“
Heute war der Mond schon etwas voller, als am gestrigen Tag und Neumond war ja schon lange nicht mehr…
Grace wandelte nicht ohne Grund in der hübschen Bluse am nächsten Morgen die Treppe herab. Sie war weiß und betonte auf nette Weise ihren nicht so sonderlich ausgeprägten Busen vorteilhaft. Irgendwie war ihr danach gewesen auch etwas Make-Up aufzulegen. Ihre Lippen waren rot geschminkt. Es kam ihr so vollkommen hilflos aufgedonnert und offensichtlich vor, dass die Röte ihr sofort in die Wangen schoss jedes Mal, dass sie daran dachte. Die enge Jeans trug sie auch nicht jeden Tag und im Geheimen, schätzte sie, glaubte sie wohl auch, dass es seine Stimmung etwas aufhellen könnte. Denn ganz sicher, dass er seine Beteuerungen einhalten können würde, war sie nicht.
An diesem Morgen gab die Sonne sich besondere Mühe, es nicht nach Spätherbst, sondern schon nach Frühling aussehen zu lassen, aber das trügerische Bild entlarvte jeder sofort, sobald er hinaus in den Hof trat. Es war bitterkalt. Außerdem trug der schon leicht verdreckte und durchgematschte Schnee in dem Hof nicht unbedingt zur Glaubhaftigkeit des Bildes vom nahenden Frühling bei, der in Wirklichkeit doch noch so weit entfernt war. Grace nahm die Abkürzung zu dem Ort, zu dem sie wollte. Sie hatte entschieden, da sie ja nicht wusste, wo Luke sein Zimmer beherbergte, einfach erstmal zu dem Ort zu gehen, an dem sie ihn das erste Mal wirklich kennen gelernt hatte. Sie hoffte wider besseren Wissens, er würde dort vielleicht schon auf sie warten, denn sie wusste nicht mehr woher er gekommen war, als sie ihm an besagtem Abend gefolgt war. Glücklicherweise musste sie gar nicht bis dorthin, denn er stand im Hof schon an einem Pfeiler und wartete auf sie. Als sie sah, wie schlicht er gekleidet war – schwarzes Hemd, schwarze Jeans – spürte sie schon wie ihr die Hitze den Hals, über die Wangen bis zu den Ohren kroch und hoffte, er schob die Röte auf die Kälte. Er lächelte und ihr kam es vor als sei es wissend.
„Na, so früh schon auf?“
Sie sah verdutzt auf, als sie die letzten Schritte zu ihm herüber eilte.
„Ja. Hätte ich etwa warten sollen? Aber du stehst doch schon hier!“
Er nickte.
„Ich gebe zu, ich habe unserem Treffen entgegen gefiebert.“
Dann grinste er unvermittelt, stieß sich von dem Pfeiler ab und führte sie den Schnee gesäumten Weg entlang und eine steinerne Treppe hinauf.
„Vorsichtig. Sie ist recht alt und ausgetreten. Daher auch glatt. Da ihr Frauen ja so gern diese unpraktischen, aber modischen, Seidenschühchen tragt, lebe ich in ständiger Angst, dass jemand ausrutscht“, bekannte er und seine Sorge rührte sie. Aber sobald er sich zu ihr umwandte und die kniehohen, gut eingefetteten Lederstiefel sah, verzog er die Lippen zu einem beruhigten Lächeln. Ihn beschlich der Gedanke, dass er in letzter Zeit mehr Lächeln verschenkt hatte, als in den letzten paar Jahren, die er beinah allein hier verbracht hatte.
Luke besaß ein recht geräumiges Zimmer. An einer Stelle war es mit Holz oben angebaut worden und so kam es, dass Luke sich sogar an einem Balkon erfreuen konnte. Alles war zwar an einem Platz und es gab auch einen Platz für alles, aber das erschien Grace nicht besonders schwer zu bewerkstelligen, da sie sowieso kaum persönliche Einrichtungsgegenstände entdecken konnte. Sie war ein wenig verwundert. In ihm hatte sie einen Hobby-Historiker vermutet und somit auch sein Zimmer als Museum in klein vorgestellt.
„Enttäuscht?“, fragte er amüsiert. Sie schüttelte den Kopf.
„Ehm, nein, nicht wirklich… “
Er runzelte die Stirn, während er ihr den Stuhl zurecht schob.
„Aber unwirklich? Macht das einen Sinn?“
„Was du da redest bestimmt nicht. Aber was ich meinte war, dass ich nicht enttäuscht, sondern verwundert bin.“
Er nahm ihr gegenüber Platz.
„Ah ja? Und wie kommt das?“
Sie erklärte ihm ihren Gedankengang, während sie sich an wunderbar heißem Kaffee erfreute, welchen sie im Winter gern schwarz trank. Er auch. Er aß sowieso wenig. Während Grace sich eine Scheibe Schwarzbrot mit einer besonders dick abgeschnittenen Scheibe des würzigen Höhlenkäses genehmigte, knabberte er an dem dänischen Graubrot und hörte zu, während die weibliche Redseligkeit plötzlich von ihr Besitz ergriff. Im Nachhinein wusste sie gar nicht mehr so recht, was sie da eigentlich von sich gegeben hatte, aber irgendetwas wird es wohl gewesen sein, denn damit hatten sie die erste Stunde ihres Frühstücks zugetragen. Am Anfang hatte sie wohl noch über das Wetter gesprochen, dann über seine spartanische Einrichtung und dann irgendwann fand Grace nichts mehr zu sagen. Er bemerkte natürlich ihre Not und zeigte sein charmantestes Lächeln. Natürlich war sein ganzes Gesicht so eingerostet, dass ihm nicht einmal bewusst war, dass es sein charmantestes war. Er handelte impulsiv, aber nicht unbedacht.
„Die Burg ist recht alt, wusstest du“, begann er gemächlich, klopfte mit der flachen Hand ein paar Mal an das alte Gemäuer.
„Es wird allgemein angenommen, sie wurde um das Jahr 1000 erbaut, obwohl sie urkundlich erst 1083 erwähnt wird.“ Er zuckte die Schulter, lächelte dann unbeschwert. Grace sah in den Hof hinab, versuchte sich eine Gesandtschaft vorzustellen, die in den Burghof ritt. Ein großer Earl tauchte vor ihrem Auge auf, auf einem mächtigen Rappen mit einem mit Silber verschwenderisch verzierten Holzsattel und bis an die Zähne bewaffneten Housecarls , die die zweifelhafte Ehre hatten Helme mit langem Nasenschutz tragen zu dürfen.
„Woran denkst du?“, erkundigte er sich, stütze das Kinn auf die vor sich verschränkten Hände.
Grace seufzte, wandte den Blick ab.
„An dich“, eröffnete sie ihm, obwohl das nicht ganz der Fall gewesen war. Sie deutete auf seinen Teller, wo das halb verspeiste Brot noch immer lag.
„Wenn du nichts isst, dann komm ich mir so verfressen vor – Ich bin eine Frau, ich lebe in ständiger Sorge um meine Figur. Zeig etwas Mitleid mit mir, armem Wesen, und frühstücke groß.“
Luke lachte, riss ein weiteres Stück seiner Scheibe ab und steckte es in den Mund.
„Gut so?“, fragte er nachdem er gekaut und geschluckt hatte.
Grace tat so, als müsse sie überlegen, dann grinste sie schelmisch und schüttelte entschieden den Kopf, fütterte ihn mit einem weiteren Stückchen. Er machte eine komisch übertrieben ergebene Miene und ergab sich in sein Schicksal. Nachdem er geschluckt hatte, seufzte er in absurder Theatralik und komischer Verzweiflung.
„Nun ist es schon so weit gekommen, dass ich mich füttern lassen muss.“ Grace lachte hell auf und Luke grinste, riss ihr zuliebe sogar ein weiteres Stück von seiner Scheibe Brot ab. Sie stütze den Ellbogen auf die Tischplatte und legte die Wange in ihre Handfläche, schloss glücklich die Augen. Er betrachtete sie versonnen. Ihre Lippen erschienen ihm röter als sonst. Ihm fiel auch auf, dass die Bluse sich positiv auf ihre Oberweite auswirkte, aber es kümmerte ihn nicht sonderlich. Frauen glaubten wohl, sie wüssten genau, wie Männer dachten. Doch mit Luke hatte sie sich vertan. Nicht das es ihn störte (Wen störte es schon, dass eine Frau sich für ihn hübsch machte?); es amüsierte ihn eher. Denn was seine Blicke wirklich auf sie zog, waren der lange Schwanenhals, in welchem er ihren Puls pochen sehen konnte und die Art und Weise wie sie immer sein Lächeln erwiderte. Es brachte ein kleines Grübchen in ihrer Wange zum Vorschein. Außerdem war sie einfach nur da, leistete ihm Gesellschaft und es schien ihr sogar nichts auszumachen, schien ihr sogar zu gefallen. Es verursachte ein kleines Gefühl der Genugtuung in ihm. Er hatte sehr wohl bemerkt, wie Kyle sich um sie kümmerte und er hatte die unzähligen Male, dass dieser in angeschrieen hatte, bestimmt nicht vergessen. Geistesabwesend streckte er eine Hand nach ihr aus und bevor ihm gewahr wurde, was er tat, rieb er mit seinem Daumen über ihre Lippen. Grace öffnete über alle Maßen verdutzt die Augen, machte aber keine Anstalten die Hand fort zu schlagen. Stattdessen sah sie ihm unverwandt in die Augen, hatte den Kopf von ihrer Hand gehoben. Er nahm seine Pranke inzwischen langsam wieder zurück, musste feststellen, dass er den roten Lippenstift verwischt hatte. Verlegen hob er die Schultern.
„Entschuldige“, machte er unbeholfen. Grace winkte unsicher ab, nahm eine Serviette und wischte sich den Rest der Farbe auch noch ab.
„Viel hübscher so“, merkte er an und sie lächelte ihm dankend zu. Dann fanden sie nichts mehr zu sagen und sahen stattdessen eine Weile jeder auf seinen Krumen übersäten Teller.
„Du bist müde?“, erkundigte sich Luke dann schließlich. Grace schüttelte entschieden den Kopf. Dann versiegte das ‚Gespräch’ wieder.
„Du etwa?“, fragte Grace wenig einfallsreich später.
Er schüttelte den Kopf, sah dann aus der gläsernen Tür, die zum Balkon führte. Sein Stuhl scharrte, als er ihn zurückschob und aufstand. Er schob die Tür auf und trat in die frische Morgenluft heraus. Er winkte ihr und sie stand hastig auf, um ihm zu folgen. Draußen bauschte ein böiger Wind ihre Haare auf und sie schlang ihre dünnen Arme um den Oberkörper. Luke hatte die Unterarme auf das Gelände gestemmt und der Blick starrte in die Ferne. Es war ein raues Land, fiel ihr auf, mit struppigem Gras auf sanften Hügeln. Weiter hinten war das dunkle Wäldchen, durch welches Grace am Tage ihrer Ankunft gefahren war. Vereinzelt taute noch immer der Schnee auf der Wiese, auf welche sie blickten, und weiter westlich von ihnen konnte man das Dorf erkennen und einen breiten (und reichlich matschigen) Pfad, der zum Hotel führte. Vorsichtig stellte sie sich neben Luke, betrachtete sein Profil. Die Augen waren verengt und auch sein Haar, das ihm immerhin bis in den Nacken reichte, blieb nicht vollkommen vom unbarmherzigen Wind verschont. Plötzlich wandte er sich dann zu ihr um und sie musste feststellen, dass es ihr ein wenig peinlich war, ihn so beobachtet zu haben.
„Was immer war, jetzt, da der Wind dich so schön zerzaust hat, kannst du gar nicht mehr müde sein“, versicherte er und Grace schob eine Hand in ihr Haar, um es zu bändigen, und lächelte bestätigend.
„Nein, wirklich nicht. Du siehst aber auch toll aus“, bemerkte sie spöttisch, zwirbelte eine etwas längere Strähne seines pechschwarzen Haares zwischen Mittelfinger und Daumen. Er konnte ihr nur zustimmen. Wahrscheinlich sah er schlimmer aus, als gewöhnlich. Er grinste, konnte der Versuchung nicht widerstehen.
„Wenn du meine nicht vorhandene Frisur schlimmer machen darfst, als sie schon ist, dann, finde ich, habe ich dasselbe Recht.“ Und mit diesen Worten drehte er sich zu ihr um, vergrub genüsslich die schwieligen Finger in ihrem weichen Haar, wuschelte ein wenig herum, bis sie quiekend seine Handgelenke ergriff. Er beschloss sich ihrer zu erbarmen und befühlte nur noch verstohlen ihren Haaransatz im Nacken, die Unterarme lose auf ihren Schultern. Sie lachte, musste zu ihm aufsehen, da er einen ganzen Kopf größer war als sie.
„Süßer Jesus, mir ist noch nie aufgefallen, was für ein Hüne du bist!“, stieß sie aus, legte demonstrativ übertrieben den Kopf in den Nacken und schirmte mit der Hand ihre Augen ab.
„Kannst du mich da oben überhaupt noch hören?“, fragte sie lauter, als nötig gewesen wäre.
„Aber natürlich doch… “, antwortete er ruhig, nahm anstandshalber die Hände von ihr und geleitete die Dame wieder ins Haus.
„Nun, da die Dame wieder schön durchgefroren ist, möchte sie vielleicht noch einen Kaffee?“
„O ja, bitte … “, seufzte Grace und trat wieder in die warme und tröstliche Umarmung seiner Wohnung.
An dem Nachmittag kam Kyle einmal auf die Burg hinauf. Sie saßen beisammen und redeten. Grace gab ihr neu erlerntes Wissen vom Vorabend und Morgen zum Besten und musste feststellen, dass Kyle nur ihretwegen Interesse heuchelte und er all die verblüffenden Tatsachen vergessen würde, sobald er aus ihrer Tür trat. Aber sie gab sich damit zufrieden. Schließlich gab es genug andere Dinge über die sie reden konnten. So trug es sich zu, dass er sie fragte, wie lange sie hier noch bleiben würde. Grace gab sich unentschlossen. In Wahrheit hatte sie Morgen abreisen wollen. Aber irgendwie fiel ihr die Entscheidung plötzlich schwer. Als sie Kyle zum Abschied in die Arme schloss, hatte sie sich noch immer nicht entschieden. Er versprach Morgen noch einmal vorbei zu kommen und Grace beteuerte, sie freue sich schon darauf. Dann war er fort und Grace saß allein in ihrem dunklen Zimmer, denn das Licht schwand schnell.
Sie wachte auf mit einem flauen Gefühl im Magen. Es war, als wüsste sie schon, dass sie den Tag am Abend nicht mehr mögen würde. Trotzdem schwang sie ächzend die Beine unter dem Laken hervor und stand auf. Erst war sie ein wenig wackelig auf den Beinen, als sie ins Badezimmer tapste, wo sie sich ein Bad gönnte. Doch nachdem die Wärme in ihre Glieder gekrochen war, ging es schon besser. Sie ließ den Kopf ins Wasser gleiten und starrte an die Decke. Der Artikel lag in ihrer Tasche; Sie musste ihn nur noch abtippen und die Fotografien einfügen, die sie (unter Einsatz ihres eigenen Lebens) genommen hatte. Trotzdem seufzte Grace schwermütig. Sie dachte an all die Dinge, die sie hier in so kurzer Zeit hatte erleben dürfen. Sie erinnerte sich an den Tag der Ankunft und den Abend in der Kneipe. Wie der trinkfreudige Ire, Neill, ihr immer wieder einen neuen Becher in die Hand gedrückt hatte, wie Caitlin ihr verschwörerisch den neusten Klatsch anvertraut hatte und Tony sein missbilligendes Stirnrunzeln (über welches alle mittlerweile nur noch lachten) bei jeder Gelegenheit zeigte; an Kyle, der ihr mit so viel Freundlichkeit entgegengekommen war. Und natürlich an Luke…
Aber sie sagte sich, es wäre nur eine Berufsreise und sie würde sich noch einmal hierher einladen lassen können. Dann würde sie all die freundlichen Menschen wieder sehen und so war es ja okay jetzt zu gehen. Entschlossen kletterte sie aus der Wanne heraus und schüttelte den Kopf aus (der Spiegel freute sich über die Dusche), während sie nach ihren Kleidungsstücken Ausschau hielt. Dann packte sie in aller Eile ihren Koffer, nahm ihn auf und rannte aus der Tür. Es würde anstrengender mit Koffer in die Stadt zu marschieren, als das erste Mal, das sie gegangen war. Im Innenhof hielt sie kurz inne. Natürlich könnte sie Luke fragen, ob er sie fahren könnte. Aber Grace graute irgendwie davor in die dunklen Augen blicken zu müssen und ihm erklären zu müssen, dass sie abreiste. Also ließ sie es bleiben, eilte an seinem Auto vorbei zu den Toren. Unglücklicherweise teilte Schicksal offensichtlich nicht ihre Ansichten. Denn von Draußen kam ihr eine große gebeugte Gestalt entgegen. Sobald diese den Kopf hob und Grace sah, blieb sie verwundert stehen.
„Nanu, wohin so eilig?“, erkundete er sich. Grace fiel gar nicht auf, dass es früh am Morgen war und er trotzdem freundlich mit ihr umging, wie am Tag zuvor.
“Ehm... “ Luke blieb vor ihm stehen, fuhr sich durch die noch nassen Locken.
“Ich... wollte in die Stadt… mich verabschieden… “, gestand sie abgehackt, ihr Atem floss schnell von den Lippen. Er presste die Lippen aufeinander, leckte sich dann darüber und versuchte sich an einem Lächeln. Es war vollkommen offensichtlich, dass er enttäuscht und verletzt war. Grace fühlte sich schäbig, denn das war einfach nicht ihre Absicht gewesen. Sie fühlte sich hilflos, denn sie wusste nicht, was sie machen sollte, um Linderung zu bebreiten. Also machte sie das erstbeste, was ihr einfiel, trat einen Schritt auf ihn zu und ließ den Koffer in den Schnee fallen, der in der Nacht gefallen war.
„Ich bin so froh, dass ich dich noch gefunden hab’, bevor ich gegangen wär’“, offenbarte sie ihm, legte die Arme um seinen Hals. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen und recken, aber es ging. Er war angenehm warm und nicht so drahtig, wie sie angenommen hatte. Sie hörte ihn schlucken und sich räuspern, bevor er vorsichtig wie ungeschickt ihr sanft den Rücken klopfte. Sie musste wider Willen lächeln. Sie lösten sich.
„Also... Ich komm’ bald irgendwann wieder. Aber -“ Sie hielt die Tasche mit dem Artikel hoch „- Ich habe noch einen Artikel abzugeben.“
Er lächelte gezwungen.
„Eh… Soll ich dich in die Stadt fahren?“, bot er an, stellte die Schneeschippe fort. Grace fand es nicht fair, dass sie seine Hilfe annahm, wusste aber, dass sie es schlimmer machen würde, würde sie sie ablehnen.
“Wenn du das für mich machen würdest.“
„Natürlich“, versicherte er und holte die Schlüssel aus einer Gesäßtasche, ehe er zum Wagen hinüber schritt. Es war noch kalt im Wagen, aber es wurde schnell warm. Grace starrte auf ihre blassen Finger und fand nichts zu sagen. Er konnte ihr diesmal nicht aushelfen; er fand selbst keine Worte. So kam es, dass sie am Ende schweigend im Auto nebeneinander saßen und er an die Windschutzscheibe starrte, sie in ihren Schoß.
„Bye .. Ich seh’ dich dann bald“, machte sie.
„Mhm.“
Sie winkte ihm, stieg dann aus und sah nicht hin, als der schwarze Wagen wendete und fort fuhr. Stattdessen ging sie zu der Straße, die Kyle ihr genannt hatte. Falls sie jemals Hilfe brauchen sollte, sollte sie ihn bei sich aufsuchen. Schließlich fand sie die Straße und auch die Hausnummer. Es war ein hübsches kleines Fachwerkhaus. Grace läutete und der Gute machte auch auf. Er sah etwas verschlafen aus und die Haare waren nicht gekämmt – Aber der blonde Schopf wirkte nie so, als hätte er überhaupt jemals einen Kamm gesehen. Des Weiteren brauchte Kyle eine Sekunde, bevor er Grace erkannte. Dann lächelte er breit und lud sie zu sich herein ein. Im Wohnzimmer saßen zwei ebenso zerwuschelte Gestalten. Eine versuchte sich mit einem Kamm, der bestimmt nicht Kyle gehörte, die Haare zu ordnen. Caitlin Pierce sprang aber sofort auf, als sie den Neuankömmling sah.
„Grace! Was machst du denn hier?“
Grace umarmte sie und verabschiedete sich von allen. Selbst Tony, der Mann, der immerzu gähnte und missbilligende Stirnrunzeln liebte, schenkte ihr ein Lächeln zum Abschied und eine Umarmung. Grace musste versprechen bald wiederzukommen, da ein Dorffest bevorstand und Grace tat es gerührt. Mit Tränen in den Augen lachte sie zum Abschied winkend und stolzierte zu dem kleinen Bahnhof. Sie war glücklich, dass jemand in so kurzer Zeit, sie so schätzen gelernt hatte, aber sie musste an Luke denken. Sie hatte es in seinem Blick gesehen. Er glaubte nicht daran, dass sie wiederkommen würde. Erschrocken fuhr Grace aus ihren Gedanken hoch, als der Zug kam und sie einsteigen musste...
An ihr rauschte der Wald vorbei – Er war dunkel und wäre ein hervorragender Drehort für Filme wie „The Blair Witch Project“ gewesen. Grace fühlte sich leicht schäbig und sie vermisste alle jetzt schon schmerzlichst – Dass sie vorher alle Mobiltelefonnummern und dergleichen ausgetauscht hatten, war kein großer Trost. Außerdem schien Luke keines zu besitzen… Dann jedoch lenkte ein lebhafter Klingelton sie von sich selbst ab und Grace bemühte sich möglichst schnell das Mobiltelefon aufzuklappen.
„Grace Wayde. Ja?“
Sie starrte fassungslos an die gegenüber liegende Wand ihrer Abteilung.
„Und das hätte mir niemand früher sagen können?“
„Eh, nein … “, antwortete die kleinlaute Stimme am anderen Ende. „Madison ist es gerade erst wieder eingefallen und sie will unbedingt einen Bericht darüber.“
„Verdammt, Harold, ich sitze schon im Zug!“
„Tja, dann schlag’ ich vor, dass du wieder zurück fährst, sobald du hier angekommen bist. Ist doch nur eine Stunde. Sieht so aus, als müsstest du es noch was länger in dem Kaff aushalten. Tut mir echt Leid. Aber das war echt nicht meine Idee; das musst du mir glauben. Das ist alles nur Maddy!“
Grace seufzte. Anstatt erleichtert zu sein zurück zu können, fühlte sie sich als überstrapaziere sie Gastfreundschaft.
„Ja, ich glaub’ dir schon. Unsere tolle Chefredakteurin kann ja auch manchmal ganz schön… unorganisiert sein.“
Am anderen Ende erscholl leises Lachen.
„Kannst du laut sagen.“
„Ihre Arbeitgeberin hat uns schon informiert, dass sie wohl etwas länger bleiben würden, als geplant. Wir freuen uns immer über Besuch einer so berühmten Zeitschrift.“
Ringellocke lächelte sie warm an und führte sie die Treppe herauf, schon wieder. Grace hätte Maddy wirklich die Kehle zerfetzen können… oder die Nase.
„Sie können ihr altes Zimmer gleich wieder belegen.“
„Dankeschön“, murmelte Grace. Sie war müde. Man hetzte sie von Pontius zu Pilatus. Jetzt sollte sie auch noch einen Bericht über das kleine, aber berühmte Dorffest schreiben! Es hieß, es sei etwas ganz besonderes. Grace fragte sich schon, was sie sich darunter vorzustellen hatte…
„Nein. Sie wollen, dass ich bis zum Fest bleibe …“
„Das ist doch super! Du musst unbedingt mal herunterkommen dann, ja?“
„Natürlich, Kyle.“ Grace musste lächeln. Sie verabschiedeten sich und Grace legte auf, um zum Wiederholten Male ihre Kleidungsstücke auszupacken. Die ganze Situation hatte etwas merkwürdig Komisches, dachte Grace ironisch. Als sie jedoch die weiße Bluse auspackte, presste sie die Lippen fest aufeinander. Um sich abzulenken, sah sie kurz aus dem Fenster, schmiss ihren Koffer entleert in eine Ecke. Sie schreckte zurück und verbarg sich hinter ihrer weinroten Gardine. Luke stand im Hof. Sie war so gemein zu ihm gewesen bei ihrem Abschied, sodass sie nun nicht wusste, wie sie das wiedergutmachen würde. Aber dass sie es würde, wusste sie. Sie vermisste ihre langen Gespräche, sehnte sich nach seiner stillen Art. In der Großstadt gab es kaum Menschen wie ihn und so waren sie somit für Grace ein besonders hohes Gut.
Der Mantel wehte um ihre Knie und der Schal half nicht sonderlich gegen die Kälte. Auf ihrer Brust spannte sich eine Gänsehaut.
„Luke!“
In einem Anflug von Übereifer hatte sie sich kurzerhand für den direktesten Weg entschieden. Er sah missmutig auf, aber sein Gesichtsausdruck wandelte sich sofort, als er sie sah. Sie konnte den Ausdruck nicht ganz deuten. Verblüffung lag darin, aber ob auch Wiedersehensfreude dort war, konnte sie nicht sagen, so sehr sie auch in seinen dunklen Augen nach Antworten wühlte. Er war einfach nur über alle Maßen überrascht.
„Ich muss mich entschuldigen“, gestand sie. Es war ein hastig hervorgestoßener Wortschwall, der bewies, wie ernst es ihr war, und Grace schämte sich, dass sie ihre Stimme nicht besser unter Kontrolle hatte. Er sah stirnrunzelnd auf ihre zierliche zitternde Hand hinab. Dann umfasste er sie mit beiden Händen und sah ihr warm entgegen.
„Und erfahre ich auch den Anlass? Möchtest du dich etwa dafür entschuldigen, mich noch ein Weilchen länger hier zu behelligen?“ Er lächelte und das nahm den Worten die Spitze. Grace lachte befreit, nachdem sie ihn erstmal verwundert angestarrt hatte. „Oh, glaub mir, so schlimm bist du nicht, als dass du dergleichen müsstest.“
Grace biss sich auf die Unterlippe ob des Kompliments.
„Danke.“
Er hob die Schultern.
„Was bleibt einem anderes über angesichts solch überwältigender Schönheit. Zitternder Schönheit, wohlgemerkt. Wollen wir hineingehen?“
An diesem Morgen hatte er sich redlich bemüht und war früh angefangen, sodass seine alltäglichen Pflichte erledigt waren. Er hatte darauf gehofft, den Tag mit ihr verbringen zu dürfen. Dass sie hatte abreisen wollen, hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, was ihn missmutig gestimmt hatte, aber nun war sie ja wieder da.
Nun war sie wieder da …
Er lächelte auf sie herab, während sie zu seinem Zimmer hinauf schritten. Dort hielt er ihr galant die Tür auf. Seine Art hörte nie auf sie zu amüsieren. Er hatte etwas altmodisches, etwas rührendes. Wie ein alter, ehrwürdiger Ritter in einer verblassten Rüstung, der aber immer noch an all den guten Vorsätzen und ritterlichen Idolen festhielt und vor welchem man einfach nichts anderes als Respekt empfinden konnte.
„Ich bin froh, dass du mir nicht böse bist“, versicherte sie ihm nochmals offen. Seine unbefangene Art ließ sie mutiger werden, schloss die klaffende Wunde, die sie glaubte ihm zugefügt zu haben. Irgendwie glaubte sie, dass ihre Freundschaft ihm viel bedeutete. Wenn sie an Kyle und Caitlin dachte, überkam sie Verwunderung, dass sie ihn nicht ausstehen mochten. Diesen Mann musste man einfach mögen. Als er sich setzte, fiel ihr aber auch wieder ein, wie ihre erste Begegnung ausgefallen war und sie musste wider Willen lächeln.
„Was ist so witzig?“
„Nichts“, beteuerte Grace. Sie saß ihm am Tisch gegenüber. Erst wusste sie nicht, worüber sie reden sollten, dann kam ihr ein Gedanke.
„Erzähl mir von eurem Dorffest, ja? Bitte.“
„Aber gern doch. Es ist wirklich nichts Berauschendes. Einige Jünglinge verkleiden sich und tanzen durch die Straßen wie die Gaukler. Es gibt Met und Bier, Wein und Stände halten alle möglichen Zwischenmahlzeiten wie Naschereien feil.“
Sein Tonfall verriet ihr, dass er nicht große Stücke auf die Feierlichkeiten hielt.
„Warum so missmutig? Ich habe gehört, es sind große Festivitäten hier und man erlässt euch die Arbeit für die Dauer, nicht wahr?“
Er grinste ein Wolfsgrinsen.
„Da hast du wohlweißlich Recht.“
Der Tag kam rasend schnell auf sie alle zu. Wenn Grace durch die Straßen schlenderte, konnte sie beobachten wie die Menschen Leitern aufstellten und Girlanden aufhangen. Alle Häuser waren prachtvoll geschmückt. Sie bot Kyle an, ihm bei seinem Haus zu helfen und er drückte ihr dankbar eine Kiste in die Hand – Sie kam sich vor, wie Zuhause bei ihren Eltern, wenn sie für Weihnachten schmücken half, nur, dass hier etwas anders geschmückt wurde. In der Kiste nämlich fand sie, silberbeschlagene Kreuze, wie sie sie schon oft gesehen hatte an den Türen der Häuser.
„Die sind erst vor nicht allzu langer Zeit dazu gekommen. Anlässlich der modernen Vorstellung, dass Werwölfe mit Silber abgewehrt werden können, ließ man die Kreuze in Silber einschlagen.“ Er grinste. „Cool, was?“
Grace nickte, fragte aber:
„Wieso Werwölfe?“
Er hielt in seinem Tun inne und kam von der Leiter zu ihr herunter.
„Das weißt du noch nicht?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Na, die Kostüme, die sie durch die Stadt tragen werden, stellen Wesen wie Werwölfe und Vampire, wilde Wölfe auch und so dar. Was immer sich findet – Die Zombies sind die coolsten, nicht so altmodisch, weißt du. Es ist ein alter Brauch. Früher hat man gefeiert, dass man von den Wesen verschont geblieben war.“
„Aha“, machte Grace dümmlich und fragte sich, ob es etwas mit Luke Abneigung gegen das Fest zu tun hatte, dass er ihr davon nichts erzählt hatte, wo er doch sonst so redselig war.
Am nächsten Morgen verließ Grace die Burg früh und marschierte über den vereisten Boden und durch die beständige Kälte zum Dorf hinunter. Sie eilte durch die geschmückten, noch stillen Straßen. Sie ahnte, dass sich das bald ändern würde. Bei Kyle wurde sie herzlichst mit Glühwein in Empfang genommen(Natürlich war es Neill, der ihr den Becher überreichte); Caitlin fiel ihr erfreut um den Hals. Grace fragte sich flüchtig, wie es kam, dass Kyles Haus immer voll war. Alle bekundeten, wie froh sie waren, dass Grace nun doch wieder so schnell zurück war. Sie drehten Musik auf, bis Grace glaubte die Nachbarn müssten sich beschweren. Doch offensichtlich hatten die armen Seelen sich bereits an dergleichen gewöhnt und sich damit auch noch abgefunden. Bewundernswert, fand Grace. Das Haus wurde voller und voller. Es kamen neue Gesichter hinzu, die offensichtlich auch gut mit Kyle befreundet waren, aber sie hielt sich an seinen engsten Vertrautenkreis. Dort kamen nur wenige Neue hinzu. Eine Familie mit walisischem Nachnamen, zum Beispiel. Schnell freundete Grace sich mit einem jungen Mädchen an, deren Vetter wohl ‚Familienoberhaupt’ oder so etwas Ähnliches war. Evelyn Meredydd hieß sie. Ein wirklich nettes Mädchen war sie mit schwarz schimmerndem Haar und hellen Augen, die das Licht zurückwarfen. Ihr Vetter, Blake Meredydd, der wohl schon etwas älter war und recht schweigsam, hielt sich größtenteils aus den Gesprächen heraus und keiner war sich so wirklich sicher, ob er ihnen vielleicht allen lauschte oder ob nichts von alldem ihn interessierte; er erinnerte sie ein wenig an Luke. Wenngleich er die gleichen ebenmäßigen asketischen Züge hatte wie seine Cousine und auch dieselben imponierenden Augen, so war er doch ein kleiner Finsterling, fiel ihr auf und Evelyn und sie lachten über die Tatsache, dass niemand begriff, wie er an eine so bezaubernde Gattin, hatte kommen können, die aufrecht und anmutig neben ihm auf der Couch saß. Caitlin weihte sie noch in den Klatsch und Tratsch ein und bekannte, dass die beiden zusammen aufgewachsen waren und schon immer so verschieden gewesen waren. Grace musste unweigerlich an sich selbst und Luke denken, als sie die junge Frau mit Namen Amber ansah, die sich lachend unterhielt nur um dann den Kopf an die breite Schulter ihres Gatten mit dem immer stoischen Gesichtsausdruck zu lehnen. Der Name passte zu ihr. Ihre Augen waren zwar braun und warm, aber trotzdem hatte man das Gefühl das ein sanftes bernsteinfarbenes Glühen darin mitschwang.
„Jaja, Blake ist schon ein verrückter Hund. Wie der an Amber gekommen ist, weiß Gott allein – Okay, und vielleicht die beiden. Sie hat aber meiner Meinung nach, etwas ganz anderes verdient als diesen Finsterling. Etwas viel Besseres.“
„Ist er wirklich so schlimm?“, erkundigte sich Grace. Evelyn schüttelte nachsichtig den Kopf, Caitlin nickte und meinte überzeugt:
„Er ist der einzige, der sich mit diesem Herrn Maddox abgibt. Das sagt ja wohl auch schon alles.“
Grace wurde bleich, aber um darüber hinweg zu täuschen, verdrehte sie die Augen.
„So schlimm kann dein Herr Maddox nicht sein.“
Evelyn sah zu ihr und sagte:
„Das ist er auch nicht. Er ist nur... anders. Und still. Bei unserer lieben Caitlin ist das natürlich sofort ein Grund ihn zu lynchen.“
Caitlin verdrehte beleidigt die Augen.
Später gingen sie allesamt auf die Straße hinaus, sahen den vielen kostümierten Leuten zu, die auf kleine Kinder zusprangen und sie kitzelten. Ihre Masken waren bewundernswert. Kyle fand zwar die modernen Zombies am besten, aber die traditionellen Kostüme übten eine merkwürdige Faszination auf Grace aus – Wahrscheinlich wegen Luke. Eine strotze so vor aufgeklebtem Fell, dass er nur einen Werwolf repräsentieren konnte. Er hielt Grace die Hand hin und drehte sie.
„Enchanté Madame“, lachte eine helle Stimme unter der Maske.
„Monseigneur Bisclavret“, erwiderte Sakura aus einer Laune heraus, bevor ihr Werwolf wieder fort sprang, um Kyles arme Nachbarn zu erschrecken. Grace machte ein Foto von ihm und bat mehrere der Maskierten sich aufzustellen, damit sie sie fotografieren konnte – in den verschiedensten Posen. (So kam es auch, dass einer der Vampire so tat, als beiße er Neill in den Hals, worauf dessen Köter den Kostümierten böse ansprang). Einmal sogar sandte sie sich kurz von ihrer Gruppe ab, um andere Leute nach ihrer Meinung zum Fest zu fragen. Sie kam zu dem Schluss, dass überall Hochstimmung herrschte. Und das bekam Grace selbst am Abend noch zu spüren, denn sie musste feststellen, dass sie rech betrunken war.
– Gott verfluche den süßen Glühwein!
Das Fest hatte sie berauscht und eigentlich wollte sie nur ins Bett schwanken und sich auf den Kater am nächsten Morgen vorbereiten. Aber es sollte eben doch etwas anders kommen. Sie saß neben Blakes junger Frau, Amber, auf der Couch und unterhielt sich. Sie war wirklich ein bezauberndes Wesen mit weichem braunem Haar und den wärmsten Augen. Er lauschte stillschweigend ihrem Gespräch. Grace wunderte sich, dass er mit jedem Glas Sekt, dass er trank, nicht betrunkener wurde.
„Hat dieses Fest hier eigentlich noch einen Grund, außer das wir feiern von den fürchterlichen Wesen verschont geblieben zu sein?“
Amber dachte besonnen nach, bevor sie antwortete.
„Nun, ich glaubte immer, man solle sich mit den Leuten umgeben, die man gern hat, die einem etwas bedeuten – Schließlich will man von denen am wenigsten, dass sie einem der Wesen zum Opfer fallen. Niemand soll alleingelassen werden, denn in der Gemeinschaft ist es einfach den ‚wilden Bestien’ zu widerstehen“, lächelte sie schelmisch mit einem schweren fremdländischen Akzent. „Blake und ich haben heute Morgen schon unseren Freund auf der Burg besucht. Er ist leider nicht sonderlich beliebt. Vielleicht kennst du ihn? Er heißt Luke“, fragte sie, wurde aber gleich darauf besorgt:
„Alles in Ordnung, Grace?“
Grace war ziemlich blass geworden ob ihrer Schuldgefühle, die auf sie einstürzten. Sie hatte Luke heute noch nicht zu Gesicht bekommen.
„Ehm, ja, ich kenne ihn und … “ Sie sah Amber an, entschied sich ihr zu öffnen. „Ich glaube, ich sollte auch einmal bei ihm vorbeischauen. Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen.“ Amber lächelte beinah wissend und versicherte, dass dieser sich sehr darüber freuen würde. Zu Grace’ Verwunderung schenkte sogar Blake ihr ein winziges Lächeln.
„Außerdem“, fügte Grace hinzu, als sie zu plötzlich aufstand. „Wird es Zeit für mich.“
Sie alle lachten (Neill am lautesten) und Grace machte sich mit schweren Gliedern und Kopf daran, sich zu verabschieden. Blake reichte ihr wohlwollend die Hand, Amber umarmte sie. Genau wie Evelyn und Caitlin. Anthony schlug ihr auf die Schulter und Kyle wie Neill wollten es sich einfach nicht nehmen lassen, auch einmal die Arme um ihren hübschen Körper zu legen. Der Rest sagte ihr auch noch auf Wiedersehen und so kam es, dass es eine halbe Stunde dauerte, ehe sie endlich zur Burg zurück stapfen konnte. Verblüfft musste sie feststellen, dass sie kein Auto hätte fahren können und gab gut Acht, als sie die Treppe aufstieg, vor welche Luke sie so eindringlich gewarnt hatte. Dann klopfte sie vorsichtig an seine Tür, hoffte, dass er noch nicht eingeschlafen war. Erst war es still, dann hörte sie erleichtert seine Schritte. Wenig später öffnete er ihr die Tür.
„Grace“, machte er erstaunt. Sie sah zu ihm hoch, hob entschuldigend lächelnd die Schultern.
„Entschuldige, früher ging’s irgendwie nicht… “
Er starrte sie verwundert an. Das kam in letzter Zeit recht oft vor, stellte er fest. Sie steckte voller Überraschungen, ging ihm auf.
„Wir waren nicht verabredet“, erwiderte er.
„Trotzdem“, entschied sie und trat ein, als er zur Seite glitt. Sie hatte sich zu plötzlich vorwärts bewegt und strauchelte zur Seite. Hastig packte Luke sie hart am Oberarm und zog sie zu sich.
„Huch“, machte Grace nur, erstaunlicherweise ohne zu lallen. „Entschuldige bitte.“ Dankbar lehnte sie einen Augenblick an seiner Brust. Er wandte nichts dagegen ein, schloss nicht mal die Tür. Dann drückte Grace sich von ihm fort und stand deplaziert im Raum umher. Jetzt erst schloss Luke die Tür.
„Zu sehr gefeiert?“, fragte er amüsiert. Seine Augen hatten einen eigentümlichen Glanz und ihr eigenes Lachen verhallte in ihren eigenen Ohren viel zu schrill.
„Scheint so“, erwiderte sie dann, plötzlich müde. Jetzt, dass sie nicht mehr dem eisigen Wind ausgesetzt war, der sie wach hielt, spürte sie wie die Müdigkeit in ihre vom vielen Alkohol schweren Knochen schlich. Luke begriff schnell, nahm sie behutsam am Arm und führte sie zu seinem Bett. Sie wehrte ab.
„Ich kann jetzt nicht schlafen. Ich muss dir doch an diesem Tag Gesellschaft leisten! Das macht man doch so… “, protestierte sie und sah ihm ins Gesicht. Luke musste lächeln.
„Das hast du von Amber gehört. Sie war mit Blake bestimmt auch dort, nicht wahr? Nun, sie hat zwar Recht, aber ich fühle mich schon geehrt, dass du einen Gedanken an mich verschwendet hast.“ Er wollte sie aufheben und ins Bett legen, aber sie wollte nicht.
„Nicht verschwendet… “, murrte sie. Sie setzte sich an die Bettkante und winkte ihm sich, bitte, neben sie zu setzen. Er leistete ihrem Wunsch Folge und betrachtete sie erwartungsvoll. Grace sammelte ihre verschleierten Gedanken und sprach mit schwerer Zunge.
„Erst müssen wir reden und uns unsere Glückwünsche aussprechen, dass wir froh sind einander zu haben. So ein Zeug. Aber auf jeden Fall müssen wir etwas Zeit miteinander verbringen. Das muss so sein, sonst reißt mir die Tradition den Kopf ab, weil ich ihr nicht genügend Wert zuzolle.“ Sie grinste und Luke gab ob ihres hübschen Gesichtes nach.
„Okay. Ich bin froh, sehr froh, dass ich dich kennen lernen durfte, Grace Wayde.“ Er hatte nach altmodischer Sitte ihre Hand ergriffen und lächelte ihr schelmisch zu.
„Ich auch, sehr sogar, Luke Maddox“, gestand sie ihm glücklich. Dann entzog sie ihm ihre Hand und begann ohne Grund von dem Fest zu erzählen. Mitten drin hielt sie dann plötzlich inne und fragte.
„Sag’ bloß, ich bin gedankenlos und rede von einem Fest, dem du nicht beigewohnt hast. Es muss dich doch stören, nicht?“
„Weshalb?“
Grace hob die Schultern.
„Muss es eben.“
Luke schüttelte mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen den Kopf.
„Keineswegs. Deine wunderschöne Stimme nimmt der Geschichte alle Bitterkeit“, übertrieb er schamlos. Sie saßen noch lange beisammen und lachten. Ehe Luke sich es versah, saß er auf seinem Bett, lehnte am Bettpfosten und hielt eine angetrunkene Grace im Arm, die ihn ausfragte.
„Nun… ich weiß es nicht so genau … “, log er.
„Blake und Amber mögen dich. Warum der Rest nicht? Das ist nicht fair.“
„Nein, ich schätze, das ist es nicht“, lenkte er ein. Er verzog bitter einen Mundwinkel und war dankbar, dass sie es nicht sehen konnte.
„Ich mag dich“, versicherte sie ihm treuherzig, wie ein kleines Kind ihrem Teddybären.
„Danke. Das ist sehr tröstlich.“
Sie nickte zustimmend.
„Du, Blake?“
„Hm?“
„Warum magst du das Fest nicht?“
„Tja… “
„Luke?“
Er schwieg. Und überlegte. Dann begann er zögerlich, „Nun… “, aber dann fiel ihm nicht ein, wie es weiter gehen sollte.
Grace kam in ihrem Zustand nicht darauf, dass es taktlos war ihn danach zu fragen und dass es sie eigentlich auch nichts anging.
„Ja?“, drängte sie daher.
„Ich hatte früher kaum Spaß an dem Fest“, gestand er. Er war verwundert, wie leicht es ihm über die Lippen kam. Es nahm der ganzen Geschichte die Unmenschlichkeit.
„Weiter?“, wollte Grace wissen. Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Nun, sie haben mich immer… ich war ihr höchst eigener Vampir.“
„Wie?“, fragte Grace verwirrt, als hätte sie seine Worte nicht verstanden. Luke war doch keine Blut saugende Gestalt!
„Sie banden mich an einen Pfahl und spielten aufgebrachte Menschenmasse. Mit mir als Opfer.“ Er sagte es ganz unbeschwert, ohne jede Bitterkeit und er war stolz, dass er so ruhig klang, seine Stimme nicht bebte.
„Oh.“ Dann begriff Grace erst und sah mit ungläubig geweiteten Augen zu ihm auf.
„Aber… “
„Was?“, erkundigte er sich sanft.
„Das muss Folter gewesen sein. An einen Pfahl?“
„An einen Pfahl“, bestätigte er ohne Genugtuung.
„Wer?“
„Kinder.“
„Wer, Luke? Wer?“
„Shush“, machte er, legte eine Hand an ihre heiße Stirn. Die Trunkenheit machte sie gefühlsbetonter, als sie sonst ohnehin gewesen wäre. Sie wandte sich zu ihm um und nahm ihn in den Arm.
„Armer Luke“, bekundete sie.
„Armer Luke“, machte er halb belustigt, um die trübselige Stimmung so spät am Abend wegzublasen. Es war beinah 23 Uhr, stellte er mit einem schnellen Blick auf die vom Mondschein belichtete Uhr fest.
Sie wollte ihn gar nicht mehr loslassen.
„Grace?“
„Hm?“
„So sehr bin ich nun auch nicht zu bemitleiden.“
„Oh.“ Sie ließ von ihm ab, lächelte darüber, dass er nicht mehr so niedergeschlagen war und lehnte sich impulsiv, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, vor, um ihn auf den Mund zu küssen.
„Du hast Recht, wie immer. Bist gar nicht bemitleidenswert.“ Sie grinste, verstand gar nicht, was sein Gesichtsausdruck zu bedeuten hatte.
Sie steckt voller Überraschungen, sagte er sich wieder.
Er war schon wieder verblüfft. Das hatte er irgendwie nicht so kommen gesehen. Die Tatsache, dass er sich nun nach ihren schmalen Lippen sehnte, machte es nicht besser.
Die Wirkung des Alkohols hat noch nicht nachgelassen, redete er sich ein, aber es half alles nichts. Als sie sich aus gar keinem für ihn erkennbaren Grund auf den Rücken warf und lachte, erkannte er wie sehr er ihr tatsächlich verfallen war. Das helle rotblond, gewellte Haar verteilte sich um ihren Kopf und zierte ihren Hals und Schultern. Ihr bleiches Gesicht schimmerte im Dunkeln des Raumes, denn Luke hatte kein Licht gemacht; nur der Mond schien ins Zimmer. Ihre Brust hob und senkte sich mit jedem ausfallendem Atemzug und, als sie wieder die Augen aufschlug, aufhörte zu lachen, konnte er sich nicht wieder von dem Anblick der herrlichen, erfrischend grünen Augen reißen.
„Was ist?“, fragte sie verwundert. Da bemerkte er, dass er sie anstarrte. Aber er konnte nun einmal nicht anders.
„Nichts“, antwortete er, merkte aber selbst, wie rau und heiser seine Stimme klang. Er wusste, seine Handflächen waren verschwitzt und er war nervös, ob der Tatsache, dass er sie wollte, wie ihm soeben klar geworden war.
„Luke?“
„Hm?“
„Das glaub’ ich dir nicht.“ Sie richtete sich wieder auf und beugte sich zu ihm, sah ihm ernst in die Augen.
„Also gut… Du willst, dass ich ehrlich bin?“
Sie nickte. Und er umfasste ihre Handgelenke zog sie zu sich, sodass sie an seine Brust fiel. Dann hob er ihr Gesicht ein wenig an und küsste sie sanft. Er hatte sie hart auf den Mund küssen wollen, damit sie Angst bekam, und von da an zu ihrem eigenen Besten etwas mehr Abstand zu ihm hielt, aber irgendwie konnte er nicht. Genauso wenig wie er jetzt von ihr ablassen konnte. Seine Hände fuhren an ihr herab, fahrig beinah fiebrig. Er strich zittrig ob Ungeduld über ihre Brüste, spürte sie in den Kuss stöhnen, und umfasste fest ihre Taille, aber nicht roh. Sie küsste ihn erstaunend eifrig zurück. Ihre Zunge war viel flinker als seine und schob sich schamlos zwischen seine Zähne hindurch. Er zog sie eng an sich, spürte ihren weichen biegsamen Körper und fragte sich, wie sich das hier eigentlich entwickelt hatte. Aber er vergaß die Frage sofort, als sie ihre Hand in sein Haar schob. Er konnte nicht anders, als in den Kuss zu lächeln, aber dann merkte er mit einer eigentümlichen Entrücktheit, wie es solch Liebende manchmal erfasste, dass er sie auf ihren Rücken legte, sich über sie beugte. Er schluckte und schüttelte entschlossen den Kopf, was ihm allerdings nur einen fragenden Blick seines Gegenübers einbrachte.
„Das geht nicht.“
„Was?“, fragte sie unschuldig, aber mit einem dunklen Blick von dem nicht schwer zu erraten war, was sie mit ihm bezweckte.
„Das hier“, herrschte er aufgebracht. Er hatte die Stimme eine Winzigkeit erhoben, was nur von seiner Enttäuschung über seinen eigenen Anstand herrührte, aber es reichte doch aus, um sie erschrocken zusammenzucken zu lassen. Er ließ sich zur Seite fallen legte sich stumm neben sie und drückte entschuldigend ihre Schulter.
„Entschuldige, bitte. Das wollte ich nicht.“
Sie betrachtete ihn eine Weile von der Seite, fragte sich wohl, für was genau er sich entschuldigte und kam zu dem Schluss, dass er dieses Mal sein Aufbrausen gemeint hatte.
„Das ist nur verständlich und nun wirklich nicht deine Schuld.“
Er sah sie erstaunt an. Er hatte sie geküsst, aber irgendwie schien sie zu verstehen, dass sie ihn geradezu dazu verführt hatte.
„Und der Rest sollte dir nicht Leid tun. Mir tut’s auch nicht Leid.“
„Du bist betrunken“, konterte er. Entrüstet sah sie ihn an. Sie war herrlich niedlich mit ihrem kleinen Stirnrunzeln und die von seinen Bartstoppeln gerötete Mundpartie.
„So sehr nun auch wieder nicht!“
„Nur nicht… “ Er lächelte trotzdem. Sie richtete sich auf einen Ellbogen auf und lehnte sich zu ihm.
„Das ist mir aber egal“, erklärte sie trotzig.
„Mir aber nicht. Ich wüsste es mehr zu schätzen, wärst du nüchtern.“ Grace verdrehte die Augen, ließ sich aber willig zu ihm herunterziehen, kuschelte sich an ihn und schloss die Augen.
„Du lügst… wie gedruckt!“, klagte sie. Er drückte seine Nase in ihr Haar, sog ihren Duft tief in sich ein.
„O ja, vollkommen … “, gestand er offen, legte einen Arm um sie und zog sie noch ein wenig weiter zu sich. Ihre Nähe erregte ihn, aber er konnte sich sehr wohl unter Kontrolle halten. Hoffte er jedenfalls.
Sie zuckte noch etwas beleidigt neben ihm, aber bald wurde ihr Atem ruhig und er wusste sie schlief. Er wusste auch, dass er seine Chance nun vertan hatte.
Tölpel, dachte er erzürnt. Morgen wird sie sicher wieder bei Verstand sein und einen Teufel tun, ehe sie dich nochmal nimmt.
Und so brachte der anständige unglückliche Tropf die Nacht damit zu, trübsinnig an seine kahle unebene Decke zu starren und sich ein klein wenig selbst Leid zu tun.
Er hatte nicht allzu früh Gelegenheit mit ihr weiter darüber zu disputieren, denn Grace schlief lange und, als Luke vom Hof zurückkam, lag sie immer noch eingerollt und zugedeckt in seinem Bett. Also schob er einen Stuhl ans Fenster, setzte sich und las. Auf dem Buch prangte in großen Lettern ‚Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst. Das Altertum, die Germanen’ und war recht interessant, fand Luke, sehr ausführlich. Es war ein deutsches Buch und er hatte lange gebraucht, bis er die Sprache so gut beherrschte, dass er den dicken Einband hatte lesen können. Des Weiteren war es sehr ungewöhnlich, dass der Text überhaupt zu etwas zu gebrauchen war, denn damals, als es geschrieben wurde, verfielen alle Geschichtsbücher meistens der Idealisierung der Deutschen. Nichtsdestotrotz, damit brachte er seine Zeit zu bis er unwilliges Murren hinter sich hörte. Im schwindenden Licht, denn es war recht spät geworden, trat er an sein Bett, sah liebevoll auf sie herab. Sie krallte die schlanken Finger in die Laken und sah ins Licht zu ihm herauf. Sie musste blinzeln.
„Morgen… “, nuschelte sie schläfrig.
„Das ist es schon lange nicht mehr. Eher Nachmittag. Wir haben vier Uhr“, klärte er sie auf und Grace stöhnte unwillig. „Ehrlich?“ Verzweifelt versuchte sie sich aufzusetzen, musste aber feststellen, dass scharfer Kopfschmerz durch ihren Schädel fuhr und ließ sich automatisch wieder auf die Bettstatt sinken. Luke reichte ihr ein vorbereitetes Glas Wasser und die dazugehörige Asperin-Tablette. Grace nuschelte ihr Dankeschön, nahm die Tablette hastig ein.
„Gott… Was war gestern los, dass mir so der Schädel brummt? Und wo wir schon mal dabei sind, was machst du in meinem Zimmer?“ Dann riss sie die Augen auf, sah ihn an. „Etwa…?“ Als er nicht antwortete, sie nur halbwegs amüsiert anlächelte, nahm sie sich die Zeit und blickte sich trotz pochendem Schädel um.
„Okay, falsche Frage“, musste sie einlenken. „Was mache ich in deinem Zimmer?“
„Du bist hier eingeschlafen. Direkt nachdem du gestern bei Kyle wohl etwas zu lang gefeiert hast. Du trinkst nicht so oft, was?“
Sie stöhnte wieder vernehmbar, was offensichtlich zu bedeuten hatte, dass sie sich an den gestrigen Tag erinnerte.
„Na, kommen die Erinnerungen zurück?“, lachte Luke, vielleicht eine Spur zu nervös. Natürlich bemerkte sie es nicht, wo sie doch damit beschäftigt war mit ihrem Schädel fertig zu werden.
„Ja… O Luke, es war ein einmaliges Ereignis!“, schwärmte sie.
„Ich weiß.“
„Aber du warst doch gar nicht da… “
„Nein.“ Das war der kritische Augenblick. „Aber mir wurde ausreichend darüber berichtet.“
„Von wem denn? Etwa… “ Sie hielt mitten im Satz inne, als sei ihr etwas eingefallen. Die nächste Welle aus Erinnerungen schien sie erfasst zu haben.
„Oh“, machte sie dann nur. Ihr Gesicht zeigte verwirrtes Begreifen.
„Oh“, machte sie deshalb noch einmal etwas dramatischer, als sie des ganzen Ausmaßes gewahr wurde, bevor sie ihren Satz letztendlich doch beendete.
„Amber… die mir von dir erzähl hat und mich daran erinnert hat, dass ich dir noch einen Besuch abstatten musste.“
„Ja, das ist Amber. Nur ist sie nicht diejenige, die mir so ausführlich Bericht erstattet hat.“
„Nein“, musste sie einräumen. „Das war ich.“
„Wenn ich mich richtig entsinne, dann ja.“
„Aha“, machte sie zerknirscht, sah ihn nicht an, starrte auf das zerknüllte Laken vor sich. Hinter ihrer Stirn pochte es noch immer, aber ob der neusten Erkenntnisse waren sie plötzlich erträglich. Sie erinnerte sich an den ganzen Abend, den ganzen und sie stellte nicht sonderlich verwundert fest (Sie hatte es schon im Stillen gewusst), dass sie jedes Wort so gemeint hatte, wie sie es gesagt hatte, jede Geste genau das ausdrückte, was sie empfand. Was sie allerdings verwunderte, war, dass er ähnlich zu denken schien. Warum machte er denn dann keinen Schritt auf sie zu? Küsste sie? Schloss sie einfach nur in den Arm? Stattdessen lehnte er mit verschränkten Armen an der Wand, betrachtete sie eindringlich.
„Du, Luke?“
„Hm?“
„Ich hab’ Kopfweh“, jammerte sie ihm vor und er bewegte sich lächelnd zu ihr herüber, setzte sich auf die Bettkante.
„Ich weiß. Kannst du noch schlafen?“
„O ja, am liebsten noch einen ganzen Tag“, gestand sie, sah ihn verzweifelt an.
„Dann bleibst du heute noch hier.“ Als er bemerkte, wie sie aufbegehrte, erstickte er ihren Protest im Keim. „Keine Widerrede. Du bleibt… Ja? Bitte.“
Dem hatte sie wenig entgegenzusetzen. Also nickte sie ergeben.
„Schön, dass das geklärt ist... So, wie wär’s mit Frühstück für dich, bevor du mir gleich wieder einschläfst?“
Grace hatte sich getäuscht, als sie behauptet hatte, einen ganzen Tag noch durchschlafen zu können, da sie nicht einmal die Nacht schaffte. Die abebbenden Kopfschmerzen trugen zur Schlaflosigkeit bei und so lag sie wach im Bett, starrte an die Wand, wie Luke es vor ihr getan hatte. Dieser saß übrigens zusammengesunken auf einem Stuhl; das Buch zu seinen Füßen. Sein Kopf war nach vorn gefallen und Grace fühlte sich ziemlich schuldig, sein Bett besetzt zu haben. Seufzend blickte sie zur Uhr. Der große, altmodische Zeiger überschritt gerade die verschlungen aufgemalte zwölf und im Dorf hörte sie die Kirche läuten. Abgesehen davon war es totenstill um sie. Leider lag sie zu weit entfernt, um Lukes ruhigen Atem zu hören. Kurzerhand beschloss sie, das zu ändern. Sie klaubte das Laken um sich herum und tapste auf rastlosen Beinen zu ihm herüber. In der unheimlichen Stille erschienen ihre eigenen Schritte viel zu laut. Also beeilte sie sich und kauerte sich dann neben dem Stuhl an Lukes Bein nieder. Seine Nähe hatte etwas Beruhigendes. Ob es sich so anfühlte, einen Bruder zu haben? Oder einen Ehemann? Sie sah zu seinem ebenmäßigen Gesicht hoch, das erstaunlicherweise einmal rasiert war (Sie fragte sich schon, was der Anlass gewesen war). Sie entschied, dass er ihr in der Rolle des Ehemannes weitaus besser gefallen würde als ein Bruder – Inzucht war schließlich nicht erlaubt. Aber genau daran, dachte sie im Augenblick; nur, dass er in ihrer Einbildung bei weitem nicht ihr Bruder war. Noch während sie ihm ins Gesicht sah, rutschte ihr Fuß ab und traf seinen Knöchel. Erschrocken fuhr er hoch, sah sich jedoch erst im Raum um, bevor er auf die Idee kam nach unten zu sehen.
„Grace“, hauchte er. „Was machst du denn da unten?“
Er glitt von seinem Stuhl und ließ sich mit ausgestreckten Beinen neben ihr nieder. Es waren lange muskulöse Beine, was sie selbst durch den rauen Stoff seiner dunklen Hose hindurch erkennen konnte.
„Schlafen“, meinte sie, was Luke nur dazu veranlasste skeptisch eine Braue zu heben.
„Auf dem Boden? Außerdem siehst du nicht so aus, als würdest du schlafen.“
„Schlafwandeln vielleicht?“, schlug sie grinsend vor. Aber das Grinsen verlosch sofort wieder. Ihr war nicht nach Grinsen zumute. Ihr stand der Sinn nach etwas völlig anderem, dachte sie zum wiederholten Male bestürzt.
„Du, Luke?“
„Hm?“
„Gestern… “
„Ja?“ Er versuchte den hoffnungsvollen Ton aus seiner Stimme zu verbannen, aber er konnte sich einfach nicht von dem Gedanken lösen, sie im Arm zu halten.
„Ich war nur ein bisschen angetrunken, musst du wissen, aber es tut mir trotzdem Leid, wenn ich dich belästigt haben sollte. Aber wenn nicht… wenn-“, stammelte sie, bevor sie aufsah und in die dunklen Augen blickte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie wünschte, sie wäre noch immer ein wenig betrunken, denn dann würde ihr sicher alles leichter fallen. Wie gestern, nur, dass sie diesmal ganz sicher nicht nachgeben würde. Sie klaubte ihren Mut zusammen, beugte sie sich entschlossen vor und presste ihm etwas ungeschickt die Lippen auf den Mund. Trotzdem war sie verdutzt, wie hastig er ihre Schultern packte und sie auf den Rücken legte, während er sie emsig zurückküsste, wie ein Verdurstender. Sie musste aufpassen, dass sie die Beine schnell genug zurückzog, bevor er mit einem Knie diese spreizte und sich an sie presste ohne sie zu erdrücken. Es war ihr schleierhaft wie er das bewerkstelligte. Denn sie hatte das Gefühl seine Hände würden nur ihren Körper erforschen und ihn nicht am Boden abstützen. Erst jetzt nahm sie bewusst wahr, wie zittrig, gar fahrig, seine Hände über ihr Gesicht fuhren, ihren Haaransatz bei den Schläfen liebkoste und sie erleichtert in die dichte Fülle ihrer Locken schob. Mit seinen Küssen beschränkte er sich auch nicht gerade nur auf den kirschroten Mund, sondern arbeitete sich über das Kinn hinab zu ihrem Schlüsselbein, sodass Grace glaubte, er müsse ihren wilden Herzschlag spüren. Stockend schob sie ihre Schenkelinnenseiten etwas höher, stellte den ganzen Fuß auf den Boden, da sie sonst nichts mit sich anzufangen wusste und trotzdem irgendwie das Gefühl hatte auch etwas machen zu müssen. Sie erinnerte sich flüchtig daran, einmal Hände besessen zu haben und hob diese an sein Gesicht, um es zu liebkosen. Doch anstatt, dass er sich von der Berührung näher zu ihr ziehen ließ, hob er den Kopf, sah ihr abwartend ins Gesicht. Seine Wange war heiß und seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz; das pechschwarze Haar hing ihm ins Gesicht und ließ ihn ungewöhnt wild, verrucht wirken.
„Luke… “ Sie hörte selbst, wie heiser und unstetig es klang. „Der Boden ist hart.“
„Natürlich“, krächzte er vor Ungeduld, hob sie eiligst auf und legte sie auf’s breite Bett. Wo er sich schon einmal ein Stück weit von ihr gelöst hatte, beschloss er, auch gleich sie zu entkleiden. So ungeduldig er auch war, wollte er es sich einfach nicht nehmen lassen, regelrecht behutsam die Knöpfe ihrer schlichten cremefarbenen Bluse zu lösen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell und er verfolgte die Bewegung durch den seidigen Stoff. Er hörte ihren Atem rasseln, bevor sie schluckte und sich wieder unter Kontrolle hatte.
Er legte nicht etwa einen BH besetzt mit Spitze oder dergleichen frei, erkannte er nicht bös’ überrascht, sondern einen schlichten beigen Underwire mit breiten Strapsen, was ihm allerdings völlig egal war, da seine Hand sich schon langsam weiter nach unten schob. Er ergötzte sich am flachen Bauch, der im Dunkeln sanft schimmerte, wie er feststellte, als er an ihr herabsah. Er fand ihren Hosenbund und öffnete den Reißverschluss genüsslich, bevor er ihre Jeans ganz abstreifte. Aber Grace lag nicht einfach tatenlos dort. Sie ergriff plötzlich seinen Hemdkragen und zog ihn zu sich, um auch ihn zu entkleiden. Freudig erregt, ob ihrer offenkundigen Ungeduld, half er ihr und streifte das Hemd hastig ab. Sie entließ ihn nur für einen Augenblick aus ihrer Umarmung, damit er Hose wie Boxershorts abstreifen konnte. Grace wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber schwarze Boxershorts schienen zu ihm zu passen, dachte sie mit Genugtuung. Boxershorts waren nicht das einzige, was sie gierig in sich aufsog. Luke war kein Muskelprotz und je nach dem, wie er den Oberkörper drehte, bemerkte man die Rippen, die hervorstachen, aber er war auch nicht unangenehm anzusehen. Wie sie schon bei ihrer Umarmung vermutet hatte, war sein Oberkörper nicht drahtig, wie sie ob seiner Größe und den breiten Schultern, angenommen hatte, sondern gut bestückt. Den Blick weiter herab wandern zu lassen, traute sie sich noch nicht.
Dann fiel ihr plötzlich auf, dass sie sich gegenseitig schon eine Weile anstarrten und sie streckte beinah flehentlich die Hände nach ihm aus, um ihn in sich willkommen zu heißen und er ließ sich auch nicht lange bitten, denn auch er hatte sich an ihrem Anblick nicht satt sehen können. Aber er ließ ihnen beiden trotzdem noch etwas Zeit, wenngleich es eine direkte Auswirkung auf seine Männlichkeit hatte, sie zu beobachten. Wie ein Verdurstender sog er alles gierig in sich auf. Der beige Slip verschmolz beinah mit ihrer Haut und es störte ihn auch nicht, dass ihre Arme dünn waren und die Oberschenkel eine Spur fülliger hätten sein können, genauso wie die Oberweite. Als er sich auf sie legte, meinte er spüren zu können, wie sich ihr Bauch über dem Slip zusammenzog, während sie den Blick starr auf seine Brust gerichtet hielt, wo sie das spärliche drahtige Brusthaar vorsichtig kämmte. Die Scheu davor ihm ins Gesicht zu blicken, machte ihn vorsichtig wie behutsam. Er fasste sich in Geduld, sagte sich, sie hätten alle Zeit der Welt. Er glitt an ihr herab, streifte das Höschen geschickt ab und strich erst durch das dunkle Dreieck ihrer Schamhaare, bevor er das obere und untere Schamlippenpaar auseinander schob und erleichtert feststellte, wie glitschig es war. Seine Kehle zog sich zusammen und er ließ sich zu einem Wolfsgrinsen hinreißen, als er zu ihr in ihre glasigen Augen hochblickte. Ihm fiel auf, wie wenig sie gestöhnt hatte und bemerkte, dass sie die Luft anhielt.
„Hey… Shhht“, machte er beruhigend und legte eine Hand auf ihre Brust, als er wieder über ihr war. Die Luft entwich ihren Lippen betörend. Daraufhin lächelte sie ihm zu und schob, als Zeichen ihres guten Willens, die Träger des BHs von ihren mageren Schultern. Gebannt sah er ihr dabei zu, wie immer mehr milchiges Fleisch zum Vorschein kam, und, als er der zartrosa Höfe gewahr wurde, kam er zum spontanen Schluss, dass er sehr wohl noch etwas auf sie warten konnte. Er beugte sich zu ihr herunter und sie erschrak leicht, als sie sein hartes pralles Glied plötzlich zwischen den Beinen spürte.
Sie nahm seine Bemühungen erst richtig wahr, als er eine Brustwarze mit den Zähnen umschloss. Es war ein süßer Schmerz, den er ihr behutsam zufügte und sie stöhnte innbrüstig. Er sog sie noch ein bisschen weiter in sich hinein, bevor sie es nicht mehr aushielt und seinen Kopf hob. Er ließ sofort von ihr ab, um ihr ins verschwitzte Antlitz sehen zu können. Als Antwort auf seinen inquisitorischen Blick wackelte sie ungeduldig mit den Hüften unter ihm und rieb sich an seinem schweren Schritt. Er musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht laut aufzustöhnen, stimmte ihr aber bereitwillig zu und griff in die Schublade des Nachttischchens neben seinem Bett. Das Kondom war schlicht, aber das interessierte Grace nicht. Sie griff nach unten, um ihm beim Überstreifen behilflich zu sein. Dann hob er die Hüfte und stieß hart, aber nicht roh, in sie hinein. Voller Liebe und Hingabe. Sie spreizte die Beine noch ein Stück weiter und legte sie ihm um die Hüfte, damit er sich näher an und tiefer in sie schieben konnte. Sie spürte seine große Hand, neben ihrem rechten Ohr und wären ihre Augen nicht so glasig gewesen, hätte sie nur den Kopf drehen zu brauchen, um das Spiel seines Bizepses zu verfolgen. Während sie seinen anderen Arm an ihrer Taille spürte, wie seine Hand sich immer wieder zwischen ihre Leiber stahl, um ihre seidige Haut zu streicheln, fragte sie sich, was sie wohl mit ihren Händen anfangen sollte. Bis jetzt hatten sie auf seiner Brust geruht und, bevor sie sich zu etwas entscheiden konnte, holte er die rechte Hand zwischen sich hervor, um sich enger an sie zu pressen, denn nun stützte er sich auf seinen linken Ellbogen und konnte somit noch tiefer in sie eindringen, bis das Pumpen den richtigen Rhythmus gefunden hatte. Grace Hüfte bewegte sich nicht etwa im gleichen Takt mir, wie es viele Frauen irrtümlich taten. Stattdessen verstärkte sie die Umarmung ihre Beine und legte die Hände erst auf seine runden Schultern, dann auf den muskulösen Rücken. Sie umfasste ihn fest und reckte sich ihm auch freudig entgegen. Es schien, als hielte ihn nichts mehr. Er stieß keuchend in sie hinein und gab sich ihrem gemeinsamen Höhepunkt hin. Grace zitterte, als er einen Arm um ihre Taille legte und sie mit sich zog, als er sich auf die Seite fallen ließ. Genussreich vergrub er die Nase in ihrem Haar und sie legte das rechte obere Bein nochmals um ihn. Hin und wieder durchfuhr sie noch ein unkontrolliertes Zucken, doch das Zittern hatte nachgelassen und eine zufriedene Trägheit breitete sich wohlig warm, wie Alkohol, in ihr aus. Sie war davon überzeugt, dass er das gleiche empfand. Ihr Herz raste zwar noch ein wenig weiter, wie ein durchgehendes Pferd, doch schon bald beruhigte es sich und Grace fand, trotz ihrer Müdigkeit, noch genug Esprit, um Lukes Rücken zu betasten. Sie erfühlte die Einstiche ihrer eigenen Nägel und schämte sich, dass sie sich nicht besser beherrscht hatte, doch traute sie sich auch nicht sich gerade jetzt bei ihm dafür zu entschuldigen. Das verschob sie lieber auf später, vorausgesetzt sie vergaß es nicht völlig, und ihre Fingerkuppen wanderten höher in den schlanken Nacken, der einen starken Kontrast zu den breiten Schultern bildete. Sie wunderte sich, ob er eingeschlafen war, denn er hielt sie einfach nur im Arm, atmete tief und gleichmäßig. Probehalber rüttelte sie mit ihrer Wade ein wenig an seinem Oberschenkel und sie spürte, wie er seinen Kopf so weit von ihr fort schob, dass sie ihn hören konnte.
„Hm? Was ist denn?“, erkundigte er sich schläfrig. Da Grace nicht wusste, was sie zu sagen hatte, entgegnete sie das nächstliegende.
„Nichts.“
Die in der Tat nichts sagende Antwort schien ihn misstrauisch gemacht zu haben und, anstatt der Bleischwere in seinen Gliedern nachzugeben, schob er sie ein Stück von sich, glitt aus ihr und sah ihr nicht im Mindesten verlegen ins Gesicht.
„Bist du sicher?“
„Ja.“
Echte Besorgnis spiegelte sich in seinen faszinierenden Augen wider und sie konnte einfach nicht anders, als den Blick ein weiteres Mal über sein erstaunend glatt rasiertes Kinn gleiten zu lassen. Er fragte sich, ob er zu stürmisch gewesen war.
„Und ich habe dir nicht wehgetan?“
Sie schüttelte entschieden den Kopf.
„Dann ist’s gut“, verkündete er, legte eine Pranke in ihren zierlichen Frauennacken und zog sie zu sich herauf, um sie hart zu küssen. Er konnte es einfach noch nicht fassen. Er spürte die weichen, nachgiebigen Brüste an seiner Brust und ihr drahtiges Schamhaar kitzelte ihn am Bauch, was aber nur daran lag, dass er sie so fest an sich gepresst hielt. Grace verspürte wieder einen kleinen seligen Rausch. Sie wollte ihn schon wieder. Aber er schien ganz gelassen, hatte alle Zeit der Welt, um ihren Hals zu küssen. Er legte sie nicht auf den Rücken, denn dann hätte er sich einfacher dazu verleiten lassen können, gierig an ihrem schlanken Hals zu saugen und das wollte er vermeiden – Knutschflecken genossen seit der Teenagerzeit schließlich kein hohes Ansehen mehr. Seine Linke hob er, um sie sanft federnd an ihren Brustansatz zu legen. Er hob sie von unten leicht an und sog die Spitze in sich auf. Unerwartet heftig fiel ihre Reaktion aus. Sie ließ sich auf den Rücken fallen zog ihn mit sich und presste sein Antlitz an ihre Brust, während sie laut aufkeuchte. Der Laut machte ihn sofort schwach. Hastig streifte er das Alte ab, knotete es an der Öffnung zusammen und warf es fort, während er schon das neue Kondom überzog. Behutsam trotz der Gier spreizte er mit einem Knie ihre Schenkel, die ihm willig öffneten, und ließ sich in sie hinein sinken. Der Akt war viel sanfter, als der letzte, beinah beschaulich. Er liebte sie, als müsse er auf eine gebrochene Rippe Acht nehmen, stieß mit großer Zärtlichkeit in sie. Behutsam bewegte er sich auf ihr; sein Regen in ihr war beinah nur ein unschuldiges Schaukeln, doch es erregte Grace nichtsdestotrotz, brachte sie dazu, sich aufzubäumen und das Verlangen zu verspüren, viel härter mit ihm durchzugreifen. Sie stöhnte ungeduldig.
„Luke… “, machte sie wimmernd. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und zupfte ihn auffordernd an der Schulter, um ihm zu bedeuten, sie beide herumzudrehen, aber er lachte nur leise auf, erfreute sich daran, wie sehr sie ihn wollte.
„Bitte… “, stieß sie schließlich, unter Fortwerfen ihrer Zurückhaltung, nochmals wimmernd aus und warf ihm dabei einen solch flehenden Blick unter schwerelidriegen dichtbewimperten Augen hervor, dass ihm einfach nichts anderes übrig blieb, als zu gehorchen. Geschickt stützte er sich auf einen Ellbogen und drehte sie beide um. Nun saß sie rittlings auf ihm und spreizte die Finger genüsslich über seine von Haut überzogenen Bauchmuskeln. Sie zitterten kurz ob ihrer kühlen Berührung und Grace lachte freudig auf, ließ sich mit einem unterdrückten Laut des Triumphes tiefer auf ihn hinabsinken und begann die Hüfte aufreizend vor und zurück zu bewegen. Er hörte seinen eigenen heiseren Atem in seinen Ohren nachhallen und bald schon sanken seine Hände von ihrer Hüfte zu ihren Oberschenkeln herab, die er fest packte, weil er glaubte, Halt suchen zu müssen. Grace beschleunigte das Tempo und ergötzte sich an seiner Stimme, als er ihren Namen stammelte. Grace warf mit einem triumphalen Keuchen den Kopf in den Nacken. Luke bäumte sich ihr entgegen, indem er sich auf die Ellbogen hoch stützte. Bald aber kniff er die Augen zusammen und krallte die Finger hastig in die Laken, um seine Partnerin nicht zu verletzten. Sie ritt ihn, dass ihm Hören und Sehen verging. Als sie sich kurz leicht nach vorn lehnte, weil ihr von ihrer eigenen Verwegenheit schwindelte, und sich automatisch auf seinem Bauch abstützte, krampften seine Bauchmuskeln sich zusammen und er kam aus dem Stöhnen gar nicht mehr heraus. Grace richtete sich natürlich sofort wieder auf, hob und senkte sich auf seinem Glied herab, bis sie die Handballen auf seine Hüftknochen stützte und kam.
Erschöpft beugte sie sich über ihn, um sein Haar zurück zu streichen und ihm einen Kuss zu geben, bevor sie sich an seine breite verschwitze Brust, die sich hastig hob und senkte, bettete und die Beine ausstreckte. Er rang um Atem, genau wie sie.
„O Luke… “, murmelte sie atemlos.
„Hm?“ Mehr brachte er nicht hervor, bevor er schwer schluckte. Sie spürte seinen Adamsapfel, der ausnahmsweise einmal nicht mit dunklen Stoppeln übersät war, an ihrem Scheitel.
„Immerzu heißt es nur ‚hm’ bei dir. Wie wär’s mit ‚was denn?’ zur Abwechslung?“, neckte sie ihn, sobald sie den Atem dafür gefunden hatte.
„Was denn?“, fragte er heiser. Sie hörte das Lächeln darin.
„Gar nichts… “, seufzte sie zufrieden, legte die Hände um den schlanken Nacken, der ihn so verwundbar wirken ließ, fand sie. Er verschränkte zufrieden die Hände in ihrem schlanken Rücken und lauschte dem unregelmäßigen Rhythmus ihres Atems. Grace schätzte sich selig. Sie wollte ihn wieder etwas fragen, etwas von größerer Bedeutung.
„Luke?“
Doch er war eingeschlafen.
Grace wachte aus einem leichten Schlaf auf und vernahm gedämpftes Rauschen. Sie blinzelte und stellte fest, dass es eine Dusche war. Sie richtete sich auf den zerwühlten Laken Lukes Bettes auf und fühlte sich plötzlich ziemlich nackt, was nicht nur daran lag, dass sie tatsächlich splitternackt war, sondern vielmehr an der Tatsache, dass ein Fenster weit geöffnet war und die eisige Morgenluft hindurchströmte. Fröstelnd schlang sie sich eines der cremefarbenen Laken um die Schultern. Da sie sonst nichts mit sich anzufangen wusste, tapste sie Richtung einer Tür, die einen Spalt breit geöffnet war und durch welche sie das Rauschen vernahm. Offensichtlich sein Badezimmer. Vorsichtig schob sie die Tür auf. Sie erkannte Schemenhaft seine Umrisse und blieb wie angewurzelt stehen, da sie nicht wusste, was jetzt zu tun war. Er stand mit dem Rücken zu ihr und sie bedauerte, dass das Glas nicht klar durchsichtig war.
„Luke?“, machte sie vorsichtig, aber natürlich hörte er sie nicht. Sie schluckte und hatte plötzlich das Gefühl, sich einfach auf den Boden setzen zu wollen und auszuharren. Aber dazu kam sie nicht. Denn als sie ungefähr eine Minute dort stand, wandte er sich durch einen Zufall um und entdeckte den hellen Fleck jenseits der Trennwand und stellte das Wasser aus. Er wischte sich das tropfnasse schwarze Haar aus der Stirn und sah ihr einen Augenblick blinzelnd entgegen.
„Grace“, stellte er fest. Dann lächelte er ihr zu und winkte sie zu sich. Unsicher stand sie auf – mitsamt dem sittlichen Tuch – und trat einen Schritt auf ihn zu. Er griff in ihren Nacken und küsste sie herzhaft, was sie natürlich mit Wassertropfen besprenkelte. Dann streifte er das ach-so-sittsame Laken hastig von ihrem schlanken Körper und umfasste diesen mit starken Armen. Um sich vor seinen gierigen, manchmal auch neckenden, Küssen zu erretten, drückte sie ihm ihre schmalen Hände auf die Brust, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen.
„Luke“, brachte sie atemlos lachend zustande, während sie den Kopf zurück bog.
„Was ist? Plötzlich so voller Hemmungen?“ Er strich mit einer Pranke über ihr rundes, wohlgeformtes Gesäß und sie schüttelte den Kopf.
„Nein, keineswegs, aber wenn du so weitermachst, bleibt mir der Atem weg“, klärte sie ihn auf.
„O, ich bitte Madame um Verzeihung“, murmelte er, zog sie unter den kalten Strahl der Dusche, den er gerade wieder eingeschaltet hatte
„Gewährt“, keuchte sie noch, doch dann erfasste sie der Strahl und sie schrie entsetzt auf, griff nach dem Wasserhahn und drehte ihn ab. Erst jetzt spürte sie, dass das Wasser, das an seinem Körper abperlte eiskalt war.
„Du duschst kalt?“
„Ja, wieso nicht?“ Er verstand offensichtlich nicht, was sie so in helle Aufregung versetzte, ließ den lockeren Griff um ihre Hüfte aber wo er war.
„Aber-… “ Sie wusste nichts darauf zu antworten. Dann lächelte sie abrupt, was ihn nur noch mehr verwirrte. Ihre Hand fuhr wieder zu dem Wasserhahn und stellte ihn auf warm, bevor sie ihn wieder aufdrehte. Erst war es auch tatsächlich warm, zwischendurch wurde es nochmals kurz kalt, was sie beide erschauern ließ und sie hielten still. Dann kehrte der Strahl wieder zur geregelten Temperatur zurück und Grace zog Luke zu sich herab, um liebevoll an seinem Ohrläppchen zu knabbern. Das Wasser prasselte auf seinen Rücken und ihr Gesicht nieder. Heftiges Verlangen durchflutete sie, als sie die Arme unter seinen Armen hindurch auf seinen Rücken schob. Sie kam sich vor, wie in einem schlecht geschriebenen Liebesroman. – Sie bekam einfach nicht genug von ihm, auch wenn sie sich reichlich albern vorkam. Er zog ihren Unterleib eng an sich und fragte rau in ihr Ohr:
“Und? Woran denkst du?“
„An gar nichts … “
Unerwartet heftig stieß sie mit den Schultern an die kalte Fliesenwand in seiner Dusche. Sie keuchte laut auf, denn die Haut auf ihrem Rücken war warm gewesen. Außerdem trieb es ihr die Luft für einen Augenblick aus den Lungen.
„Die Antwort nehm’ ich nicht mehr so einfach hin“, bekannte er, übte sanft Druck mit seinen Handinnenflächen auf ihre flache Taille aus, dellte ihren Bauch sogar ein wenig ein. Es löste einen herrlichen Rausch in ihrem Unterleib aus und es dauerte einen Moment, bis Grace wieder sprechen konnte.
„An dich.“
„Und ausführlicher ging’s nicht?“ erkundigte er sich und seine Stimme klang nicht mehr so tief und bedrohlich wie zuvor noch. Sie schüttelte einfach den Kopf. Dann erst öffnete sie die Augen. Sein Körper schirmte die größtenteils vor dem Wasser ab und er betrachtete sie lange; dann drehte er sie um. Schamlos stützte Grace die Hände an die Wand und beugte sich vornüber. Sein fester Griff legte sich um ihre Hüften und sie fühlte sein prallen Glied, doch wider ihrer Erwartungen schob er seine Rute einfach zwischen ihren Schenkeln hin und her. Sie war erstmal so überrascht, dass sie beinahe den Halt an der Wand verlor. Luke beugte den Kopf und dann spürte sie warmes Wasser in ihren Nacken fallen. Manchmal schob er sich direkt an ihrer Klitoris vorbei und Grace stöhnte wimmernd auf. Es war zermürbend, was er tat und machte sie so fürchterlich heiß, dass sie das gleiche Gefühl wie gestern überkam. Er verstand es, sie zu reizen, bis sie ihm anstandslos verfallen war und geradezu anstößige Dinge, wie sie selbst fand, trieb. Sie stieß beinah unwilliges Murren aus ihrer Kehle und drängte sich ihm rückwärts entgegen, aber es schien ihn nicht zu kümmern. Sie versuchte es wie gestern.
„Luke, bitte… “, hauchte sie herzerweichend, aber das Rauschen der Dusche nahm ihren Worten wohl einiges an Dramatik und so hielt er ihrem Flehen noch etwas länger stand. Sie wackelte aufreizend mit ihrem niedlichen Hinterteil und Luke stöhnte lauter als zuvor, ließ sich sonst aber nicht beeindrucken, wurde nur allmählich schneller.
„Nhhh… Luke ich kann nicht mehr“, stellte sie atemlos fest, fasste nach hinten, um ihn fort zu schieben und sich dann zu ihm umzudrehen. Ihre Bauchmuskeln zogen sich vor Erregung so unkontrollierbar zusammen, dass sie um ein Haar einen Krampf fürchtete.
„Verhütung?“, fragte er rau, aber belustigt. Sie trat einen Schritt aus der Dusche, streckte sich und griff nach der schwarzen Packung Kondome auf seinem Nachtschränkchen und beförderte den glitschigen Gummi zu Tage. Er griff danach, doch Grace ließ es sich nicht nehmen, es über sein pralles Glied zu stülpen. Seine Hände lagen schon wieder um ihr Gesäß, doch diesmal glitten sie hinab zu ihren Oberschenkeln und er hob sie hoch, drückte sie schon wieder gegen die kalte Wand, bevor er hart in sie hinein stieß. Grace keuchte erschrocken auf, legte ihren Kopf an die Wand und reckte ihm ihre entblößte Brust entgegen, während sie die Arme um seinen Kopf schloss. Er zog sich wieder ein Stück aus ihr heraus, nur um genauso hart in sie hineinzustoßen. Grace griff nach dem Wasserhahn und drehte ihn noch etwas zur Seite. Das Wasser, welches dem Duschkopf entkam, wurde heißer und Luke, dem das meiste davon ja ins breite Kreuz prasselte, stöhnte laut auf, ließ sich willig von ihr herab ziehen. Er konnte sich nicht mehr ganz tadellos beherrschen und saugte fast hemmungslos an ihrem Schlüsselbein. Glücklicherweise besann er sich noch und konzentrierte sich darauf, sie beide etwas schneller zum Höhepunkt zu reizen, was ihm schließlich auch hervorragend gelang.
Er stellte Grace auf die Füße, aber ihre Beine konnten das Gewicht nicht tragen und so brach sie abrupt zusammen. Er ging mit ihr und fing den Sturz ab, hielt sie dann wie eine Mutter vielleicht ihr Kind im Arm halten würde und strich über ihr nasses Haar, das dunkler wirkte, als es eigentlich war.
„Shhht… “, machte er und fuhr mit den Lippen über ihre Schläfe. Ihr schwindelte zu sehr, als dass ihr das Malheur hätte peinlich sein können. Sie drehte den Kopf ein bisschen, damit das Wasser ihr nicht allzu hart ins Gesicht fiel.
„Frühstück?“, erkundigte er sich bei ihr und sie lächelte ihm dankbar zu.
„Wär’ wundervoll.“
So verbrachten sie einen wunderbar beschaulichen Morgen zusammen beim Frühstückstisch. Luke erwies ihr sogar die Ehre zwei Scheiben vom dunklen Brot zu essen. Als Grace eine Bemerkung bezüglich ihres Artikels machte, betrachtete er sie eingehend, bis sie ihn schließlich fragte, was denn los sei.
„Ich weiß es nicht genau… “, gestand er, streckte die Hand nach ihr aus und berührte sie an der Wange. „Aber ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass, sobald ich dich durch meiner Tür davon laufen lasse, ich dich nie wieder sehe… “
Sie lachte laut auf und er zog verblüfft und ein wenig verletzt seine Hand zurück.
„Aber Luke… “, begann sie und fasste nach seiner Hand. „Zweifelst du so sehr an deinen Fähigkeiten als Liebhaber?“
Die Frage brachte ihn in Verlegenheit und er war versucht, ihr seine Hand zu entziehen. Da ging der erstaunten Grace auf, dass er das tatsächlich tat, obgleich es einem recht absurd vorkommen musste nach letzter Nacht und diesem Morgen. Nichts an der Weise wie er sich benahm, ließ darauf schließen, aber es war so. Sie schämte sich ihrer Taktlosigkeit. Sie hatte ihm wirklich nicht wehtun wollen. Aber nun blickte er sich eindeutig verstört um.
„Glaub mir, ich verspüre nicht das Verlangen, hier je wieder fort zu gehen… “
Er starrte auf den Krug mit Wasser und ein Muskel zuckte in seiner Wange. Plötzlich blinzelte er häufig, entwand seine Hand mit einem Dreh ihrer und umfasste ihr Handgelenk hart, sodass es beinah wehtat. Er kämpfte offensichtlich um Beherrschung.
„Hey… “, machte sie erstickt, aber sanft, und streichelte mit ihren Fingern seinen Handrücken. „Alles okay… “
Er nickte abgehackt, wie um sie zu bestätigen, doch sie hatte den Verdacht, dass er sie gar nicht hörte.
„Luke?“
Nichts. Sie rüttelte an seinem Handgelenk.
„Luke? Schau mich an… Genau.“
Sie suchte seinen Blick. Schließlich sah er widerwillig auf. Grace’ Kehle wurde eng.
„Entschuldige, Luke, ich wollte dir nicht wehtun…“
Er lächelte ihr schwermütig zu. „Hast du nicht, keine Sorge… Ich stelle mich nur wieder einmal an“, bekannte er, denn der Vorfall war ihm offensichtlich peinlich. Aber sein Griff entspannte sich.
„Musst du nicht arbeiten?“, fragte sie ihn abrupt und er stieß vernehmlich die Luft aus. „Leider ja… “
„Dann schlage ich etwas vor, okay? Ich gehe und hole meinen Artikel, während du deinem Job nachgehst und, wenn du zurück bist, findest du mich hier in deinem Zimmer wieder vor.“ Sie sah ihn fragend an, ihre Augen strahlten und er willigte sofort ein. Es wurden ruhige Stunden, nachdem er gegangen war. Grace organisierte sich Kleider und arbeitete Fingernägel kauend an ihrem Artikel. Sie vermied es, auf die Uhr zu blicken und tippte in Lukes Zimmer auf ihrem Laptop herum. Die Fotos würde sie nachher einfügen. Am Ende blickte sie stolz auf ihr Werk herab.
Gar nicht mal so übel, dachte sie, als es vollbracht war. Gerade rechtzeitig, wie sie feststellen konnte, als sie den Schlüssel vor der Tür rasseln hörte. Hastig sprang sie auf und machte ihm auf. Müde schloss er sie kurz in die Arme und küsste ihre Schläfe. Sie fühlte sich beinah wie eine Ehefrau, deren Gatte nach getaner Arbeit zu ihr nach Haus heimkehrt. Sie bemühte sich um Worte ob ihrer Gerührtheit.
„Wie war’s?“
Er zuckte die Achseln und grinste sie an.
„Wie soll’s schon gewesen sein? Und bei dir?“
„Gut“, gestand sie, wollte ihn aber nicht mit Details nerven. Er wusste offensichtlich noch viel weniger als sie, wie er sch zu verhalten hatte. Er legte den Mantel ab und stand dann etwas deplatziert herum, obgleich es sein Heim war. Also wagte Grace es, einen Vorschlag zu unterbreiten.
„Wie wär’s… wie wär’s, wenn wir ’runter in die Stadt gingen und... etwas aßen?“
Er sah ihr ins Gesicht, dann schüttelte er scheinbar entschlossen seinen mit Schnee besprenkelten Kopf.
„Das würdest du mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bereuen.“
„Woher willst du das wissen?“
„Du würdest angestarrt werden, als hielte man dich für eine Geisteskranke. Das gefällt den meisten nun mal nicht.“
„Oh, glaub mir, wüssten sie, was ich weiß, würden sie das nicht mehr denken.“
„Aber sie wissen es nicht!“ Er warf die Hände hoch in komischer Verzweiflung und Grace lächelte ihm beruhigend zu. Sie nahm ihn bei der Hand.
„Komm, Darling.“
Tatsächlich wunderte sich die Bedienung in dem Kneipenrestaurant ob des Paares und Grace war heilfroh, dass Kyle nicht wieder einer seiner Trinkorgien hier veranstaltete, wenngleich sie das Luke niemals gesagt hätte. Sie ließen sich ganz hinten im Schankraum nieder und wie durch ein Wunder schien Grace’ Anwesenheit abfällige Bemerkungen zu verhindern, obgleich viele Einheimischen an der Theke saßen und Korn in sich hinein kippten. Luke und Grace taten beide so, als bemerkten sie die verwunderten, manchmal sogar argwöhnischen, Blicke nicht (Grace kam ich vor, wie in einem alten kriminal Roman oder Sendung und hätte freilich nie gedacht, dass Vorurteile über einen Menschen so drastisch zum Ausdruck kommen konnten) und machten sich eine angenehme Zeit. Sie aßen und redeten dabei über alles Mögliche – und unmögliche -, wie sie es sonst auch taten. Einmal nur kam ein Trunkenbold mit einem weinroten Adlerzinken zu ihnen herüber und äußerte Lautstark seine Missbilligung darüber, dass Grace mit diesem Mann ausging und sie war etwas schockiert, dass er sie unter anderem auch eine „großstädtische Schlampen-Hure ohne Anstand“ nannte, die er sich nicht einmal “in den Arsch schieben“ würde. Bevor Luke wie ein Berserker auf den Mann losgehen konnte, erschien der stämmige Wirt und schmiss den Aufrührer – im wahrsten Sinne des Wortes - kurzerhand hinaus und entschuldigte sich sogar aufrichtig für das Vorkommnis. Luke war etwas verdutzt und, als er sich wieder hingesetzt hatte, ergriff er Grace’ Hand unter dem Tisch.
Zuhause entkleidete er sie schnell und schob sich dann hart und heiß in sie hinein. Es war ein kurzer, heftiger Akt, voller Leidenschaft, nach welchem sie ausgepumpt neben einander liegen blieben und sich liebkosten.
„Luke?“
„Hm?“
„Irgendwann werde ich zurück in die Stadt müssen.“
Sie spürte sein Nicken über ihrem Kopf. Die Bartstoppeln waren mittlerweile wieder da und verfingen sich in ihrem Haar.
„Ich weiß.“
„Was machen wir dann?“
„Die Stadt ist doch nur eine Stunde entfernt. Du könntest des Öfteren vorbeischauen“, murmelte er schläfrig. Es beruhigte Grace, das er so zuversichtlich in die Zukunft blickte.
Wir schaffen das schon irgendwie, wusste sie bei sich. Sie war sich ganz sicher. Dann hörte sie ihn ruhig atmen. Sie wartete noch etwas länger, bevor sie das Laken, das sie beide bedeckte, anhob. Bis jetzt war sie irgendwie nicht dazu gekommen, hatte sich nicht getraut. Sie biss sich verlegen auf die Lippe und rutschte ein Stück an ihm herab, ließ den Blick über sein bestes Stück gleiten. Die Eichel sonderte keinen beißenden Geruch ab und das drahtige Haar war weich. Das Glied lag lang und dunkel darin eingebettet. Grace wusste, dass es nicht diesen vergleichsweise harmlosen Zustand beibehielt, wenn er mit ihr schlief und sie kicherte mit hochrotem Kopf. Nachdem sie ihm sicherheitshalber einen Blick ins Gesicht geworfen hatte, fuhr sie mit einem Finger von der Eichel herunter bis zur Wurzel. Er war noch etwas klebrig, aber die Haut war samtweich, nur der Kern war immer eisenhart. Luke wachte glücklicherweise noch nicht einmal ob ihres Kicheranfalls auf. Wie die meisten Frauen – was eigentlich recht schade ist – maß sie dem Hoden keine große Aufmerksamkeit zu und schob sich wieder an ihm hoch, um seufzend den Kopf an seine runde Schulter zu betten. Sie legte die Hand auf seinen Bauch und spürte die beruhigenden Atemzüge.
Der nächste Morgen verlief schweigsam. Grace verzichtete nicht darauf, ihren Freunden zu sagen, wann sie wiederkommen würde und nicht wenige betrachteten verwundert das schwarze Auto, dass plötzlich vor Kyles Haus parkte, welches natürlich einmal wieder recht belebt war (was Grace wieder einmal zu der Frage brachte, was diese Leute, und vor allem Kyle, eigentlich arbeiteten). Der Hausinhaber sprach sie sogar darauf an. Aber was sollte Grace schon antworten? Sie hob geheimnisvoll die Schultern und sagte: „Tja, sieht so aus, als sei ich frisch verliebt, was?“
Er schaute skeptisch – Offensichtlich war das recht viel zu verdauen -, aber gab sich bereitwillig dann damit zufrieden, wünschte ihnen alles Gute und versprach, dass er Luke, sollte er ihn das nächste Mal sehen, freundlich grüßen würde, statt ihm Beschimpfungen an den Kopf zu schmettern. Denn, wenn er ehrlich mit sich selbst war, war er sich nicht einmal sicher, weshalb er Luke eigentlich noch gleich mit solchem Unmut gegenübertrat.
Evelyn warf Caitlin einen überlegenen Blick zu und die Frau musste mit einem Zurückwerfen ihrer silbrigen Haarpracht zugestehen, dass ihr ‚Herr Maddox’ vielleicht doch kein so übler Kerl war, bevor sie beide ihre Freundin umarmten und dann Platz für Amber und ihren Gatten machten, die sich bis eben noch durch das heruntergekurbelte Fenster mit Luke unterhalten hatten, der im Automobil geblieben war. Blake schlug ihr so hart, aber erfreut, auf die Schulter, dass sie regelrecht in Ambers ausgebreitete Arme fiel. Tony sparte sich sogar sein missbilligendes Stirnrunzeln sowie ein gelangweiltes Gähnen und Neill flüsterte ihr ins Ohr, während er sie im Arm hielt. „Warst wohl betrunken, was? Tja, Sorry, muss wohl alles meine Schuld sein – Sieht so aus, als wäre ich Pflichtgast auf euer Hochzeit, wo ich euch doch praktisch zusammen gebracht hab’.“
Sie lächelte ihn spitzbübisch an. Jetzt, wo Luke von ihr in die Gesellschaft integriert worden war, schien niemand ihn mehr als Sündenbock oder Dorftrottel gebrauchen zu wollen.
Grace verließ das Haus mit federndem Schritt. Blake und Ambers Augen hatten geleuchtet und sie hatte ein gutes Gefühl bei der Sache, wenngleich sie wusste, dass sobald sie ins Auto gestiegen war, Caitlin die Klatschpresse ankurbeln würde.
„Und?“, war alles, was er fragte, als sie wieder neben ihm saß.
„Nun, ich würde sagen, sie haben es ganz gut aufgenommen – Amber und Blake waren doch auch kurz hier. Du wirst sehen, dass nächste Mal, dass ich hierher komme, werden sie uns auf unsere angebliche, geheime Hochzeit ansprechen und Neill wird sich lautstark beschweren, weil wir ihn angeblich auch nicht eingeladen haben.“ Sie lachten. Er wirkte etwas nervös. Beim Bahnhof stellte sich auch heraus, weshalb.
„Ich bin bald wieder da.“
„Hm.“
„Ganz ehrlich! Ich vermiss’ dich doch jetzt schon“, gestand sie offen, legte ihm nochmals einen Arm um den Hals und küsste ihn. Sie dachte daran, was sie alles an ihm mochte, gar liebte. Erstaunt erkannte sie, dass es seine negativen Eigenschaften auch einschloss.
„Tatsächlich?“
„Ja. Wenn ich wieder da bin, können wir gemeinsam eine Lösung finden, hm?“, schlug sie vor mit ihrem gewinnenden Lächeln. Er sah sie skeptisch an, trat aber schon einen Schritt zurück, damit sie gehen konnte. Diesmal glaubte er ihr.
„Ich komm wieder! Vertrau’ mir!“
Ich muss mich bei meinen Mitbewohnern bedanken, dass sie es geduldet hat, wie ich den PC mehrmals in Beschlag genommen habe und möchte hier zum Schluss noch anmerken, dass meine eigene Meinung größtenteils nicht einfließen lassen habe und möchte Vorurteile oder ‚Korrekturen’, wie „Es gibt aber wahrhaftig Vampire“ oder „Die Theorie bezüglich der Legende des grausamen nicht übernatürlichen Grafen Draculas kann nicht wahr sein“ umfahren.
Ich möchte nochmals darauf hindeuten, dass dies meinen persönlichen Schreibstil beinhaltet und, dass ich es nicht zu schätzen weiß, sollte jemand Schlüsse daraus ziehen meinen zu können. Des Weiteren muss ich gestehen, dass ich nicht viel Ahnung von Grammatik oder Rechtschreibung habe und so entbiete ich meinen Pardon für die Fehler, die zwangsläufig auftauchen werden.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Lara (Gaomee)
Beileidsbekundungen:
An dieser Stelle möchte ich, dass wir eine Schweigeminute für all die armen Mitwirkenden dieser Novelle einlegen. Denn sie hat auch Opfer gefordert. Zum Beispiel den Kanten in Schokolade getauchten Marzipan oder die zwei Gläser Dunkelbier und unzählige Schokoladen- sowie Karamel-Toffies. Außerdem kosteten diese 19.315 Wörter mich eine schlaflose Nacht und brachte mir mehrmaligen Tadel meiner Mitbewohner ein.
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Hier würde ich wiederum gern meine Helferlein Sara, Patric, Nathi und Vani erwähnen, ohne welche dieses schlichte Werk in der kurzen Zeit, die ich ürsprünglich dafür bereitstehen hatte, nicht zu bewältigen gewesen. Außerdem möchte ich hier meiner Freundin Mela für ihre Hektik und den unausstehlichen Kaffee danken. Dankeschön euch allen.