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Prolog



Als er auf dem Hügel ankam und über das weite Tal blickte, stiegen ihm Tränen in die Augen. Er sah die sanft geschwungenen Hügel auf der anderen Seite des Tales, dahinter erhoben sich die Berge wie Nadelspitzen bis in eisige Höhen. All das tauchte die untergehende Sonne in orangefarbenes Licht. Es war eine beruhigende Farbe, die gar nicht zu dem Bild im Tal passen wollte. Dieses sah aus wie von Riesen zerstampft , vielleicht war ja auch gerade das passiert?. Häuser qualmten, verendete Schafe, Rinder und sogar die zähen Wollucs, dicke, braune Wolle tragende Riesenschafe, die man so leicht nicht umbringen konnte, lagen da, als wäre ein Wirbelsturm über sie hinweggefegt. Kein Stein lag mehr auf dem andern, ein Bild heilloser Verwüstung lag vor ihm. Alle das verschwamm zu grässlichen Streifen, als seine Augen die Tränen nicht mehr zurückhalten konnten. Er hatte noch nicht mehr geweint, seit er drei Jahre alt war, doch hier, auf dem Hügel seiner Kindheit, konnte er nicht mehr. Tränen, die schon seit Jahren, sogar Jahrzehnten in seinem Innersten vorhanden waren strömten ihm in einer nicht unterdrückbaren Trauer über seine Wangen. Bilder aus längst vergangenen Zeiten stiegen in ihm auf, Bilder, die er jahrelang mit den Tränen unterdrückt hatte, alles stieg in ihm auf, wehrte sich gegen die Wahrheit, dass er trotz aller Bemühungen zu spät gekommen war. Die Reise, die er auf sich genommen hatte, hatte seine letzten Kraftreserven fast aufgebraucht, und im Angesicht der Katastrophe, die vor ihm lag, brach er zusammen. Seine Tränen versickerten im Gras, als er auf der trockenen Erde liegen blieb. Mit einer letzten Kraftanstrengung schaffte er es, sich noch einmal zu erheben, um den letzten Weg zu gehen, den Weg, den all seine Vorfahren auch entlanggeschritten waren, als sie merkten, dass ihre Zeit gekommen war.


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Ein paar hundert Kilometer von dem Ort des Grauens entfernt, saß ein Junge auf einem Stein und schnitzte an seiner Holzfigur. Der Junge war höchstens 13 Jahre alt, doch aus dem langweiligen Stück Holz formte sich langsam eine Gestalt mit langem Haar und einem ziemlich verwahrlosten Umhang, der der Figur nur noch halb um den Hals hing. Obwohl die Züge dieses Menschen noch sehr grob und kantig wirkten, sahen sie doch schon eindeutig männlich aus. Tief versunken in Gedanken saß er da und schnitzte, während die Sonne seinen Rücken wärmte. Er wusste nichts von dem niederträchtigen Überfall, der das Dorf im Lande jenseits der Wälder zerstört hatte, wusste nichts über die Ungerechtigkeiten, die dem Volk dort widerfahren war. Er war in Gedanken bei seiner Mutter, die dahinsiechend im Haus lag, der Grund, warum er das Haus schon seit Wochen nicht mehr betreten hatte. Aus Angst, er könnte sich anstecken, hatte sein Vater dem Jungen verboten sich auch nur in die Nähe seiner Mutter zu wagen. Er war traurig darüber, aber die Notwendigkeit darin hatte er längst erkannt. Seine Mutter hatte nicht mehr lange zu leben, das wusste er, aber er wusste auch, dass sie ihn vor ihrem Tod noch einmal in die arme schließen wollte. Sein Vater allerdings wollte damit warten, bis sie kurz davor war, in das Land zu den sieben Göttern zu gehen. Er allerdings vermutete, dass seine Mutter nicht so weit gehen würde, bevor sie ihn nicht wenigstens einmal noch umarmen konnte, denn sie wollte diese Berührung natürlich genießen. Er schrak aus seinen Gedanken, als er das Knacken von Ästen hörte. Er hörte auch nicht auf zu schnitzen, und man sah, dass sich sämtlich Muskeln anspannten, aber ansonsten wirkte er noch immer mit den Gedanken ganz woanders. Seine Bewegungen waren gleichmäßig, und das Sitzen wirkte weder verkrampft noch übermäßig alarmiert. Man sah ihm nicht an, das er hochkonzentriert auf dem Stein saß und seine unsichtbaren Fühler ausstreckte. Es waren nicht seinen Gedanken, es war mehr sein Bewusstsein, was er nach draußen verlagerte. Er fühlte und empfand nun ganz anders. Seine Traurigkeit war weg, dafür spürte er nun die Ängste und Sorgen der vielen Tiere und Pflanzen um ihn herum. Empfand ihre angst vor em vertrocknen oder Verhungern wie seine eigene. Er versuchte, dies auszublenden und weiter zu tasten. Er stellte sich sein Bewusstsein vor, wie ein kleines Männchen, das sich immer weiter ins Ungewisse vorantastete. Um den Stein, um den Baum, immer weiter in die gähnende Leere des Urwalds vor ihm. Er spüre die Auren von Vögeln, Käfern, Affen und anderem Getier, merkte aber auch die sanften Urwaldriesen, wie sie sich in den makellos blauen Himmel reckten und versuchten, möglichst viel Sonnenlicht zu erhaschen. Überall erstrahlte die Aura in einem sanften goldgelb, das Zufriedenheit, aber vor allem Sicherheit und eine einzigartige Gutartigkeit. Während sein Bewusstsein sich immer mehr vorantastete, wurde der Junge entspannter. Er spürte nichts bedrohliches und so ließ er es immer rascher und offensiver voranschreiten. Plötzlich war ihm, als wäre er mit seinem Schädel gegen eine Wand gerannt. Sein Bewusstsein schrie praktisch auf vor Schmerz, und um ein Haar, wäre es ihm entglitten, doch schnell hatte er sich wieder gefasst und ging langsamer vorwärts, so dass er nur noch ganz leicht vorwärts kam, und als er die Mauer erreichte, nur ganz sachte anklopfte. Doch dann zog er sich blitzschnell wieder in sich selbst zurück, als er spürte, wie sich die Wand schnell vorwärts bewegte. Keuchend saß er auf dem Stein und überlegte, was er zu tun hatte. Er hatte nicht solche Angst, weil er ein tiefrote, also sehr böse, Aura erspürt hatte. Nein, er war so entsetzt darüber, dass da gar keine Aura war! Da war nichts, kein goldgelb, kein grün kein rot, kein gar nichts. Es gab, so weit er wusste, auf dem Planteten nur wenige, die Auras erspüren konnten, noch weniger waren es die ihre eigene oder die anderer bewusst beeinflussen konnten, und nur höchst wenige Kreaturen kannte er, die ihre Aura vor den Suchenden verbergen konnten. Entweder waren es unglaublich böse, oder unglaublich gute Kreaturen, die ihre Auras verbargen. Er persönlich wusste von keinem Menschen, der dies konnte, und das machte ihm Angst. Schockiert überlegte er, was zu tun war, denn ein Vorahnung sagte ihm plötzlich, dass sie ungewollten Besuch bekamen, besser gesagt, tödlichen Besuch. Als ihn diese Erkenntnis wie ein Donnerschlag traf, sprang er auf und stürzte den Berg hinab ins Tal, zum Dorfältesten, doch er bezweifelte, dass er rechtzeitig ankommen würde. Als er in Todesangst den berg herunterrannte, war die Kreatur am Waldrand angekommen. Sie schaute auf das Tal und verspürte einen Hunger auf diese winselnden Menschlein im Dorf. Mit zusammengezogen brauen bemerkte sie den Jungen, der den Berg hinabstürzte. „Egal.“, dachte die Bestie. Ihm würde auch das schnellste rennen nicht nützen. Sie war immer schneller, ihr würde keiner entkommen, und mit einem schaurigen Lächeln auf den wulstigen Lippen, setzte sich die Bestie in Bewegung, bereit, alles leben im Tal auszulöschen.

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Tag der Veröffentlichung: 26.05.2010

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