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Friedhofsruhe

 

Friedhofsruhe

 

 

Inspektor Sattlers erster Fall

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Vorwort 3

Ein Raubmord 4

Anne 11

Josefs erste Zeit 17

Im Kloster 23

Pfarrgemeinde St. Alban 31

Auf die Spur gekommen 39

Auf der Flucht 45

 

Vorwort

Das Erdenken eines Romans, und hier speziell eines Kriminalromans ist mir weitaus leichter gefallen, als das Niederschreiben. Die Idee, einen Krimi zu veröffentlichen, kam mir irgendwann während der Schulzeit. Aber für mehr als eine Kurzgeschichte reichte es nie.

Auch die Idee, einen Serienmörder zum Protagonisten zu machen, war schnell geboren und mit einer groben Rahmenhandlung versehen.

Aber erst während des Formulierens der einzelnen Sätze zeigt sich die wahre Kunst des Schreibens, denn einerseits soll die Geschichte nicht zu kurz geraten, andererseits will man ja nicht abschweifen und darüber hinaus soll ja auch noch eine gewisse Spannung aufgebaut werden, die Neugierig auf das Geschehene macht.

In der Hoffnung, dass mir dieses gelungen ist, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre.

 

Dieser Roman ist frei erfunden. Sämtliche Personen sind nicht existent. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Ein Raubmord

Montagmorgen, halb sieben.

Der Wecker hat gerade geklingelt und Inspektor Werner Sattler schält sich leise aus dem Bett. Ohne Licht anzumachen, verlässt er das Schlafzimmer.

Doch als er mit der Morgentoilette fertig ist, hört er seine Frau Elvira in der Küche hantieren. Sie ist auch wach geworden und bereitet nun das Frühstück vor. Eigentlich hätte sie ja noch schlafen können, aber jetzt freut sich Werner, dass seine Frau für ihn das Frühstück macht.

Mittlerweile ist es sieben Uhr geworden und Martina, die Tochter des Hauses kommt gut gelaunt im Schlafanzug zum Frühstückstisch.

Martina ist morgens meistens gut gelaunt. Mit ihren zehn Jahren ist sie ja auch noch Lichtjahre vom ersten Liebeskummer entfernt. Obwohl Elvira schon gesehen hat, dass sich die Tochter ihren BH umgebunden und mit Socken ausgepolstert und vor dem Spiegel posiert hat. Aber das war eher harmlos.

Nach dem Frühstück hat Werner noch Zeit, kurz die Zeitung zu lesen. Oder besser gesagt, die Schlagzeilen zu überfliegen. Denn schon kurz darauf kommt sein Kollege und Vorgesetzter Manfred Kunze mit dem Wagen vorbei und nimmt ihn mit zur Arbeit.

Seit Werner auf der neuen Dienststelle ist, also seit einem halben Jahr, holt ihn sein Chef morgens ab und bringt ihn abends wieder zurück. So kann er das Auto seiner Frau überlassen und muss nicht morgens zur Arbeit, das Auto acht Stunden in den Hof stellen und dann abends wieder heimfahren.

Und sein Chef freut sich, dass er jemanden hat, mit dem er schon gleich die Arbeit besprechen kann.

So kommen beide in ihrem gemeinsamen Büro an.

Der Verwaltungsbau steht mitten in der Stadt, gegenüber ist ein Supermarkt und um die Ecke die öffentliche Bücherei. Das Büro liegt im 5. Stockwerk, so dass man einen schönen Blick über die Dächer der Stadt haben könnte, wenn das nicht ein Büro wäre und man hier nicht arbeiten müsste. Aber so sitzen die beiden sich gegenüber und haben jeder eine Schreibmaschine vor sich.

So wie seit fünfzig Jahren. Manfred ist seit fünfzig Jahren Polizist. Er hat direkt nach dem Studium bei der Polizei angefangen. Damals musste noch jeder zur Bereitschaftspolizei.

Drei Jahre hat die Ausbildung gedauert. Er hat in dieser Zeit alles gelernt. Von Fingerabdruck nehmen bis zum Verkehr regeln. Und nach der Ausbildung ging es direkt zur Polizeidirektion. Da kamen nur die Jahrgangsbesten hin.

Werner hat zwar auch studiert, aber ihm ist der Weg über die Bereitschaftsdienste erspart geblieben. Dafür hat er sich bei der Bundeswehr lange genug im Dreck gewälzt. Werner ist ein so genannter Quereinsteiger. Das heißt, er hat seine Ausbildung in einem anderen öffentlichen Dienst oder bei einer anderen Bundesinstitution gemacht.

Er hat den Dienst bei der Bundeswehr quittiert, weil er in der kurzen Zeit, in der er dort war, schon mehrfach versetzt wurde. Und jedes Mal war das Umgewöhnen schwerer.

Erst war er alleine. Da war es kein Problem. Und auch mit Elvira ist er von einem Standort zum nächsten gewechselt. Das ging zwar auch, aber Elvira musste die Familie und alle Freunde zurück lassen, um mit Werner zusammen zu ziehen. Eine Wochenendehe, wie sie viele seiner Kollegen praktizierten, wollten beide nicht führen.

Als dann Martina kam, wollten beide nicht mehr umziehen. Nach einem längeren Gespräch mit dem Standortältesten war dann die Möglichkeit gegeben, bei der Polizei unter zu kommen.

Das war für alle eine gute Lösung, denn nun hatte die ewige Umzieherei ein Ende und die Familie konnte sich an einem Ort nieder lassen und Wurzeln fassen. Sogar ein kleines Häuschen konnte gebaut werden. Zum einen waren die Grundstückspreise nicht so hoch wie im Landesdurchschnitt und zum anderen hat Elviras Tante durch ihr Ableben eine kleine Barschaft für die junge Familie hinterlassen.

Eigentlich müssen beide Kollegen schon längst einen Computer vor sich stehen haben. Aber bei der Dienststelle herrscht strenge Hierarchie. Einen PC bekommt nur, wer genügend Dienstjahre auf dem Buckel hat und dann auch noch den entsprechenden Dienstgrad.

Manfred sollte eigentlich so ein Gerät auf seinem Schreibtisch haben, aber da er in zwei Monaten in Rente geht, ein Computerkurs aber erst in einem halben Jahr anberaumt möglich ist, hat er noch keinen PC und wird auch keinen bekommen.

Und ob Werner einen PC bekommt? Wer weiß!

Gerade als Manfred einen Bericht über den Einsatz von gestern schreiben will, kommt ein anderer Kollege ins Zimmer und schickt die beiden zu einem Tatort. Schließlich sind sie bei der Mordkommission.

Ein Mord kommt zwar nicht so häufig vor, aber auch in einer Kleinstadt stirbt manchmal jemand nicht eines natürlichen Todes.

Als Manfred und Werner ankommen, ist die Leiche schon auf dem Weg zur Gerichtsmedizin. Das Team der Spurensicherung hat auch schon seine Arbeit beendet. Und so sieht der Tatort, eine kleine Villa am Stadtwald zwar unordentlich aus, aber wenigstens ist der Leichnam weg und man kann sich frei bewegen.

Auf die beiden kommt ein Streifenpolizist zugelaufen und meldet das bisher Geschehene: Bei der Leiche handelt es sich um eine etwa fünfzigjährige Frau, die alleine in der Villa lebte. Sie muss den Einbrecher wohl gehört haben und als sie nach dem Rechten schauen will, erwürgt der Einbrecher sie mit bloßen Händen.

Aufgefunden wurde sie von der Haushälterin, die wie immer um sieben Uhr kommt, um der Frau bei der Hausarbeit zu helfen. Der Mord muss in den frühen Morgenstunden passiert sein.

So jedenfalls stellt sich die Sache anhand der Spurenlage dar. An der Rückseite des Gebäudes ist eine große Terrassentür. Und die zeigt eindeutige Einbruchsspuren. Der Eindringling hat sicher geglaubt, die Villa sei zurzeit unbewohnt. Denn so wie die Tür beschädigt ist, muss ein lautes Krachen im Haus zu hören gewesen sein.

Werner geht durch die jetzt ganz geöffnete Terrassentür ins Haus. Er bleibt stehen und sieht nach draußen.

Er blickt in einen Garten, den man schon als Park bezeichnen könnte. Von der ihn umgebenden Mauer ist von hier aus nichts zu sehen. Direkt vor der Terrasse beginnt eine große Rasenfläche, die zur linken mit einem Rosenbeet und zur rechten mit einem Goldfischteich begrenzt ist.

In der Mitte des Teiches ist ein großer Felsbrocken, aus dessen Mitte das Wasser als kleine Fontäne sprudelt. Auf der Wasseroberfläche schwimmen einige Seerosenblätter und eine einzige Seerose blüht.

Sicher ist der Einbrecher am hinteren Ende des Gartens über die Mauer geklettert und dann auf dem geschwungenen Weg zum Haus gelaufen. Seltsamerweise hat er dabei keinen Alarm ausgelöst. Die Alarmanlage war nämlich eingeschaltet und hätte auch die Sicherheitsfirma, die hier alles installiert hat, auf den Plan gerufen.

Werner schaut sich jetzt in dem Zimmer um. Es ist nicht der Ort, an dem die Frau ums Leben kam, aber der Einbrecher hat hier an verschiedenen Schränken die Türen aufgemacht und den Inhalt zum Teil auf den Boden geworfen. Auch die Bilder hat er von der Wand abgehängt. Sicher hat er einen Wandtresor gesucht.

Das Zimmer ist mit dunklen Möbeln eingerichtet. An einer Wand steht ein schweres Sofa mit einem kleinen Tischen davor. Links und rechts stehen ebenso schwere Sessel. Sie sehen aber recht gemütlich aus.

Die gegenüberliegende Wand wird von einer großen Schrankwand beherrscht, die zum Teil mit Büchern bestückt ist, zum anderen von einer Vitrine dominiert wird, in der sich mehrere Jagdwaffen befinden.

Auf den ersten Blick sieht man, dass die Waffe, die in der Mitte stand, fehlt. Der Dieb muss sie an sich genommen haben. Dass er sie nicht benutzt hat, zeigt, dass sie ungeladen war. Das recht große Zimmer ist mit vielen Jagdtrophäen ausgestattet.

Nicht nur an den freien Plätzen an den Wänden hängen Geweihe. Auch in fast jeder Ecke steht ein ausgestopftes Wildtier. Und auch im Schrank sind ein Fuchs, sowie eine Stockente aufgestellt.

Im Raum zwischen diesem Wohnzimmer und dem anschließenden Schlafzimmer ist der eigentliche Tatort. Hier muss der Mörder auf sein Opfer getroffen sein.

Die Frau hat den Lärm des Einruchs gehört und sich einen Morgenmantel übergezogen. Dann ist sie in den Flur und dem Täter direkt in die Arme gelaufen. Er muss sie sofort am Hals ergriffen haben und sie schnell erwürgt haben, denn es sind kaum Kampfspuren zu finden.

Werner und Manfred sehen sich noch in den übrigen Räumen um. Das Schlafzimmer ist recht klein, denn es steht nur ein Ehebett darin. Auf jeder Seiet des Bettes ist ein Nachttisch und am Fußende des Bettes ist eine Frisierkommode.

Ja wirklich, so ein kleines Schränkchen mit einem dreiteiligen Spiegel darauf. Auf dem Schränkchen stehen mehrere Puderdosen und ein Parfumzerstäuber. Eine Haarbürste und ein Handspiegel liegen auch noch da.

Im Spiegel sieht Werner, dass hinter dem Bett zwei Türen sind. Er geht durch eine und befindet sich in einem kleinen Badezimmer.

Ein Waschbecken, darüber ein Spiegel mit Zahnputzglas und Mundwasserflasche. In der Ecke steht ein WC.

Und durch eine weitere Tür gelangt man ins Ankleidezimmer. Die zweite Tür führt ebenfalls in ein Bad und dann in ein Ankleidezimmer. Jeweils getrennt für sie und ihn.

Bei der Herrenseite sieht man aber deutlich, dass es lange nicht benutzt wurde und auch im Ankleidezimmer sind keine Kleidungsstücke.

Zwischenzeitlich hat Manfred sich in der Küche umgesehen. Es ist eine moderne Küche, mit Mikrowellenherd und Dampfgarofen. Man sieht, dass hier oft gekocht wird. Der Kühlschrank ist gut gefüllt und auch auf der Arbeitsplatte stehen frisches Obst und Gemüse zur Verarbeitung bereit. Sicher essen die Hausherrin und hie Hilfe in der Küche. Der Essplatz hat jedenfalls zwei Stühle.

Bei den beiden übrigen Zimmern handelt es sich um ein Gästezimmer und um einen Hobbyraum. Dort hat sich die Frau ihr Reich eingerichtet.

In der Mitte steht ein großer Tisch, auf dem Stoff herumliegt. In der Ecke steht eine Schneiderpuppe und in den Regalen befinden sich viele Nähuntensilien. Eine große Nähmaschine steht am anderen Ende des Tisches. Es ist sogar noch ein Stoffteil eingespannt.

Auch im Keller sehen sich die beiden um. Hier sind ein Whirlpool, eine Sauna und ein Solarium. In einem Raum stehen Fitnessgeräte. Aber alles macht den Eindruck, als sei es schon länger nicht benutzt worden.

Endlich hat der Arzt, der sich um die Haushälterin gekümmert hat, ein Zeichen gegeben, sodass Manfred jetzt mit ihr sprechen kann.

Aber er erfährt auch von ihr nichts Neues. Sie ist kurz vor sieben Uhr heute früh zur Villa gekommen und hat sofort nach dem Aufschließen der Tür die Tote gefunden. Sie hat die Polizei gerufen und ist dann in Ohnmacht gefallen. Ihre Erinnerung setzt erst wieder ein, als der Notarzt ihr ein Mittel spritzt, welches sie wieder auf die Beine bringt.

Manfred und Werner fahren wieder zurück zur Dienststelle. Über drei Stunden waren sie am Tatort. Aber als sie das Geschehene niederschreiben, kommen nur wenige Zeilen dabei raus. Der vorgesehene Fragebogen ist schnell abgearbeitet und schon hat der Fall eine Nummer.

Aber es ist nicht nur ein neuer Fall, sondern auch Werner Sattlers erster Fall, den er alleine bearbeiten muss. Manfred Kunze geht ja bald in Rente. Und bis dahin ist der Fall noch nicht aufgeklärt.

Also übernimmt Werner die Leitung. Eine Fahndung kann jetzt noch nicht erfolgen, der Täter wurde nicht gesehen und obwohl einige Fingerabdrücke gefunden wurden, konnten sie bisher noch nicht zugeordnet werden. Nur anhand der Würgemale an der Leiche kann man erkennen, dass es ein Mann war, denn die Abdrücke sind recht groß. Nachdem auch das Ergebnis der Leichenschau und die Untersuchungen der am Tatort aufgefundenen Spuren keinen Fortschritt bringen, muss der Fall ungelöst bleiben.

Das heißt jedoch nicht, dass in diesem Fall nichts mehr unternommen wird. Ein junger Kommisaranwärter hat die Daten des Falles in den PC eingegeben. Und obwohl ein Serienmörder frei herumläuft, sieht man im Moment noch keinen Zusammenhang.

Der Serienmörder hat bisher überwiegend junge Frauen ermordet, die auf dem Friedhof unterwegs waren Dieser Fall deutet auf einen Raubmord hin, obwohl noch nicht feststeht, wie hoch die Beute ist. Auf den ersten Blick hat nichts gefehlt. Nur das Verschwinden einer Perücke und verschiedener Kleider und Schuhen macht stutzig.

Inspektor Sattler hat ein komisches Gefühl, als er die Akte mit allen Bildern, Befunden und sonstigen Auswertungen mit einem Schlussbericht versehen in die Registratur bringen lässt.

Er fühlt, dass er sich diese Akte bald noch einmal vornehmen muss.

Anne

Vor 35 Jahren.

Anne kommt zu spät von der Schule heim. Die Mutter wartet schon. Aber nicht mit dem Essen. Anne soll auf ihre kleine Schwester aufpassen. Anne ist zwölf Jahre alt und ihre Schwester neun. Die Mutter will in die Kneipe an der Ecke. Sie hat schon zu Hause getrunken, aber in der Kneipe gefällt es ihr besser. Dort sind immer ein paar Kerle, die ihr Geld geben, wenn sie nett zu ihnen ist.

Arbeit hat sie keine und will sie auch keine. Sie lebt von Sozialhilfe und von dem, was die Männer ihr geben. Sie selbst würde sich nicht als Prostituierte bezeichnen. Aber sie ist eine.

Nachdem Anne einige Backpfeifen bekommen hat, sitz, sie mit der kleinen Schwester vor dem Fernseher. Beide essen eine Scheibe Brot mit Marmelade. Mehr gibt es nicht, weil das Geld wie immer nicht langt.

Gegen sechs kommt der Vater nach Hause. Er ist sehr betrunken. Er war den ganzen Tag mit einem Kumpel zusammen. Eigentlich wollten sie ein Auto reparieren und verkaufen, aber nach dem zweiten Bier hatten sie keine Lust mehr und haben einfach so getrunken.

Als der Vater seine Töchter vor dem Fernseher sieht, wir er wütend.

Er zieht Annes Schwester am Arm hoch und schlägt ihr auf den Hintern und auf den Rücken. Als Anne dazwischen geht, bekommt sie einen Kinnhaken und fällt auf den Boden.

Der Vater lässt jetzt von beiden ab und will sich entschuldigen. Er streicht Anne übers Haar und übers Gesicht. Und plötzlich zieht er ihr das T-Shirt aus. Sie will das nicht und wehrt sich.

Doch der Vater ist stärker und reißt ihr alle Kleider vom Leib. Dann trägt er sie ins Schlafzimmer und vergewaltigt sie. Als er fertig ist, nimmt er sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzt sich vor den Fernseher. Von da an muss Anne ihren Vater immer wieder befriedigen, wenn die Mutter nicht im Haus ist.

So geht das ein ganzes Jahr lang. Anne gewöhnt sich daran, wie sie sich daran gewöhnt hat, dass ihre Eltern sie schlagen oder sie tagelang alleine lassen. Wenn sie Anne alleine lassen, geht sie nicht zur Schule.

Da kümmert sie sich um ihre kleine Schwester Ulrike. Die war noch nie in der Schule. Und das hat auch keiner gemerkt. Denn als Ulrike zur Welt kommt, ist die Mutter gerade betrunken. Anne ist in der Schule. Als sie nach Hause kommt, findet sie ihre Mutter im Schlafzimmer.

Alles ist voll Blut. Und inmitten dieses besudelten Bettes liegt ein kleines Mädchen und schläft.

Als die Mutter nüchtern ist, versucht sie eine Weile, eine heile Familie darzustellen.

Sie nennt das Neugeborene Ulrike und eine Zeit lang herrscht so was wie Familienidylle.

Der Vater hat Arbeit gefunden auf einer Baustelle und das bisschen Geld, das er von seiner Kneipentour mitbringt, langt, um sie alle notdürftig über Wasser zu halten. Man will die Geburt des zweiten Kindes anzeigen, aber die Mutter weiß nicht, wo und wie man das macht und so weiß eigentlich niemand, dass Ulrike überhaupt geboren ist.

Ulrike wächst in dieser Familie auf, ohne richtig sprechen zu lernen. Sie sagt meist nur Zweiwortsätze und gestikuliert mit den Händen. Jeder versteht sie und so lernt sie nicht sprechen. Sie kann zwar gehen, aber richtig gelenkig ist sie nicht. Die meiste Zeit hockt sie auf dem Boden vor dem Fernseher.

Dort wird sie meist nicht wahrgenommen und so baut sie sich ihre eigene Welt zusammen.

Keiner kümmert sich richtig um sie, außer Anne. Die spielt mit ihrer Schwester, wenn sie aus der Schule kommt und gibt ihr auch was zu essen. Manchmal hat Ulrike ein oder zwei Tage nichts gegessen. Dann liegt sie zusammengekauert in einer Ecke der Wohnung und weint ohne Ton vor sich hin.

Sie weiß genau, dass sie keinen Ton von sich geben darf, wenn sie weint. Das ärgert die Erwachsenen und dann gibt’s Prügel. Also weint Ulrike still in ihrer Ecke oder schläft vor Erschöpfung ein.

Anne hingegen hat Glück. Sie ist mindestens ein Jahr im Kindergarten gewesen und auch relativ regelmäßig zur Schule gegangen. Bei den anderen Kindern ist sie nicht so sehr beliebt, weil sie lieber alleine ist.

Außerdem mögen die anderen Kinder sie nicht, weil sie ungepflegt ist und manchmal streng riecht. An solchen Kleinigkeiten stört sich Anne jedoch nicht. Seit sie lesen kann, hat sie sich Bücher ausgeliehen und liest sie in ihrem Bett oder in der Küche. So kann sie wenigstens in Gedanken der Situation entfliehen.

Seit einiger Zeit hat Anne morgens so ein komisches Gefühl. Wenn sie aufsteht, wird ihr schwindelig und sie muss sich übergeben. Und zugenommen hat sie auch. Dass sie schwanger ist begreift sie erst, als der Bauch immer dicker wird.

Aber es bemerkt keiner in ihrer Familie. Ihre Mutter ist immer öfter und länger fort und der Vater liegt ständig betrunken im Bett. Und wenn er wach wird, muss Anne erst ihn befriedigen und ihm dann neues Bier holen. Dass er seine Tochter geschwängert hat, merkt er nicht.

An einem Tag im April hat Anne besonders starke Bauchschmerzen. Alles krampft sich ihn ihr zusammen. Sie weiß, dass sie jetzt bald ihr Kind bekommt.

Aber sie weiß nicht wohin sie gehen soll. Sie will in ein Krankenhaus, aber sie schafft es gerade noch, in den Keller zu rennen. Im hintersten Winkel, zwischen Pappkartons und alten Lumpen bringt sie ihr Kind, einen Jungen, zur Welt.

Mit den Zähnen beißt sie die Nabelschnur durch und zieht die Nachgeburt an der Nabelschnur heraus. Dann wird sie ohnmächtig.

Das Schreien ihres Kindes bringt sie wieder zu Bewusstsein. Sie nimmt das Baby hoch und sofort will es sich an ihrer Brust festsaugen. Also versucht sie ihren Sohn zu stillen. Aber er saugt so fest, dass sie die Schmerzen kaum aushält.

Um nicht zu schreien und die Nachbarn aufmerksam zu machen, steckt sie sich einen Lappen in den Mund und stillt ihr Baby.

Jetzt kann sie die Schmerzen aushalten und das Kind trinkt gierig zum ersten Mal. Als es fertig ist, legt sie das Kind in eine Pappkiste und deckt es mit einigen Lumpen zu.

Sie versteckt es im Keller und geht zurück in die Wohnung. Der Vater liegt auf dem Sofa und schläft seinen Rausch aus.

So hat Anne Zeit sich zu duschen. Als das warme Wasser auf sie herabrieselt, merkt sie wie anstrengend alles war. Und jetzt kann sie auch wieder klarer denken. Sie muss das Kind loswerden.

Wenn ihr Vater davon etwas merkt wird er sie wieder schlagen. Und von ihrer Mutter erwartet sie schon lange keine Hilfe mehr.

Anne schleicht sich wieder in den Keller. Der Junge schläft, als sie den Kasten anhebt. Sie setzt sich auf den Boden und schaut dem Kind ins Gesicht.

Sie sieht, wie sich die Augen unter den Liedern bewegen und der Mund zuckt. Obwohl das Kind schläft, macht es kleine Bewegungen mit der zur Faust geballten Hand.

Eine ganze Weile sieht sie ihrem Baby zu, dann entschließt sie sich, das Kind wegzubringen. Sie verlässt ungesehen den Keller und läuft die Straße entlang. Das Baby hat sie in Decken gewickelt. Es schläft immer noch.

Anne weiß nicht, wohin sie gehen soll. Als sie an einem Altkleidercontainer vorbeikommt, überlegt sie, ob sie ihren Sohn einfach da hinein werfen soll. Aber die Vorstellung gefällt ihr nicht. Wahrscheinlich würde es ziemlich lange dauern, bis jemand Hilfe holen kann, wenn das Baby schreit. In dieser Zeit kann das Kind sterben.

Das will Anne aber nicht. Sie läuft weiter die Straße entlang und kommt an einer Kirche vorbei.

Jetzt ist der Entschluss gefasst. Sie wird das Bündel einfach in die Kirche legen. Dort wird man sich um das Kind kümmern. Vielleicht kann sie es ja wieder abholen, wenn sie älter geworden ist.

Anne betritt die Kirche. Es ist still drinnen und auch etwas kalt. Das Baby hat in der Zwischenzeit Stuhlgang gehabt. Anne nimmt das Kind aus der Pappschachtel und macht mit den Lumpen den Hintern des Jungen sauber.

Dann nimmt sie vom Altar eine Decke und wickelt das nun saubere Kind ein. Durch die ganze Aktion ist das Kind wach geworden und fängt an zu schreien.

Anne zieht schnell ihren Pullover hoch und gibt dem Jungen die Brust. Inzwischen tut es nicht mehr so weh.

Ungefähr fünfzehn Minuten ist Anne jetzt in der Kirche, aber bis jetzt war sie ganz alleine. Sie befürchtet jetzt, dass niemand kommt und das Kind findet.

Aber das will sie nicht. Das Kind soll gefunden werden. Damit sich jemand um ihn kümmert. Also nimmt sie ihr Bündel und verlässt die Kirche.

Draußen sieht sie das Haus des Pfarrers. Drinnen brennt Licht und als sie durch das Fenster sieht, sieht sie den Pfarrer, der sich gerade mit seiner Haushälterin unterhält. Und schon hat Anne einen Plan: Sie wird das Bündel an der Haustüre ablegen, auf die Klingel drücken und dann wegrennen.

Wenn dann die Tür geöffnet wir, wird man das Kind finden und sich drum kümmern.

Sie schreibt noch schnell eine Nachricht für den Finder und setzt ihren Plan in die Tat um.

Gerade als der Pfarrer mit seiner Haushälterin den Speiseplan für die nächste Woche durchgehen will, klingelt es an der Tür. Verwundert öffnet er die Tür. Aber niemand steht davor. Als er die Türe schlissen will, fällt sein Blick auf ein Stoffbündel, das vor der Tür liegt.

Er nimmt es auf und weiß sofort, dass jemand ein Baby vor seine Tür gelegt hat. Sofort denkt er an die Geschichte von Moses, doch die Haushälterin ist praktischer veranlagt. Resolut nimmt sie den Kleinen aus seinen Lumpen und untersucht ihn gekonnt.

Da sie keine äußerlichen Verletzungen feststellen kann, hält sie ihn auf dem Arm, um ihn sich näher anzusehen. Da das Baby wach ist, aber nicht schreit, trägt sie es sanft mit sich herum und sucht Babykleidung aus dem für Waisenkinder gespendeten Kleiderberg.

Ein paar Windeln sind auch im Haus, weil dies nicht das erste Baby ist, das vor der Pfarrei ausgesetzt wird. Bis auf Säuglingsnahrung ist eine komplette Erstausstattung für Säuglinge vorhanden.

Als das Baby frisch gewickelt im neuen Strampler steckt, sieht alles viel besser aus. In der Zwischenzeit hat der Pfarrer mit einem Kinderarzt telefoniert, das Jugendamt, die Polizei informiert.

Der Kinderarzt will sich den Säugling gleich ansehen und die Polizei wird versuchen, die Mutter ausfindig zu machen. Große Hoffnung, die Mutter zu finden, macht man sich allerdings nicht.

Vom Jugendamt ist nur eine Notfallnummer besetzt. Dort vertröstet man den Pfarrer auf den nächsten Tag. Vorläufig ist das Kind ja gut aufgehoben.

Der eben eingetroffene Kinderarzt untersucht das Kind und kann nur feststellen, dass keine schweren Schäden vorliegen und die Gesundheit des Kleinen unversehrt ist. Somit kann er eine Geburtsurkunde ausstellen.

Als er den Namen eintragen will, herrscht zunächst Ratlosigkeit. Der Pfarrer schlägt Moses vor, doch die Haushälterin und der Kinderarzt sind für Josef. So wird das Kind genannt. Und weil man schon mal in der Kirche ist, erhält der Junge gleich die Taufe.

Zum Glück hat der Lebensmittelmarkt in der Nähe noch geöffnet und man kann einen Vorrat an Säuglingsnahrung und Windeln einkaufen. Somit ist für die erste Zeit vorgesorgt.

Nach einer Woche meldet sich das Jugendamt beim Pfarrer. Man habe eine Pflegefamilie für das Findelkind gefunden. Dort ist man bereit, das Kind aufzunehmen.

Es sei eine nette Familie, die auch schon ein Pflegekind zu den beiden eigenen aufgenommen hat und jetzt ein zweites Kind adoptieren möchte. Die Bearbeiterin ist voll des Lobes über die Familie und der Pfarrer gibt Josef gerne weg. Zumal ein Säugling viel Arbeit macht und der Pfarrer wenig Ahnung von Saüglingspflege und dem Umgang mit Babys hat

Und so kommt Josef zu seiner ersten Pflegefamilie.

Josefs erste Zeit

In seiner neuen Familie hat es Josef von Anfang an nicht leicht.

Die Stiefmutter hat das Kind nur des Geldes wegen angenommen. Der Stiefvater lässt sich in der Familie nur blicken, wenn das Jugendamt zur Kontrolle erscheint oder er Geld braucht. Meist ist er irgendwo unterwegs und kümmert sich nicht um seine Familie.

Zur Familie gehören noch zwei Mädchen und ein Junge. Die Mädchen heißen Simone und Paula, der Junge heißt Clemens. Simone ist zwölf Jahre alt, Paula ist zehn. Und Clemens ist dreizehn.

Und weil er der älteste ist, ist er auch der Herr im Haus. Das lässt er nicht nur die Mädchen spüren, sondern auch gleich Josef. Der kann sich nicht wehren und wird daher auch gerne von den Mädchen gequält.

Immer dann, wenn die Mutter schlecht Laune hat. Und das ist eigentlich immer, weil sie ihren Frust mit Alkohol herunterspült.

Darüber, dass der Mann sie immer verlässt und nur Geld von ihr will und sie sich immer mit den Kindern abgeben muss. Darüber, dass die Kinder so viel Arbeit machen und darüber, dass das Geld nie reicht wird sie allmählich zur Alkoholikerin.

Solange Josef noch die Flasche bekommt und gewickelt werden muss, kümmert sich Simone noch um ihn. Das Baby in ihrem Arm wirkt dann wie eine große Puppe. Doch Josef wird größer und schwerer und lässt sich nicht mehr so einfach mit der Flasche füttern.

So verliert Simone die Lust an dem Spiel und Josef ist immer mehr auf sich selbst gestellt.

Da weder Simone noch die anderen in der Familie mit Josef sprechen, lernt er auch sehr spät sprechen. Mehr als ein paar knurrige Laute kommen nicht aus seiner Kehle. Die anderen verstehen ihn und Josef gewöhnt sich eine Gebärdensprache an.

Für Clemens ist Josef zuerst eine große Konkurrenz. Er buhlt um die Zuneigung seiner Mutter. Doch die beachtet ihre Kinder nicht und reagiert nur, wenn sich die Kinder prügeln.

Dann schreit sie die Kinder an, aber nicht lange. Sie weiß nicht, wie sie die Kinder erziehen soll.

Deshalb greift sie immer öfter zur Flasche. Inzwischen ist sie schon morgens betrunken. Auch Josef ist nun keine Konkurrenz mehr.

Clemens ist das Familienoberhaupt, denn die Kinder haben sich soweit selbst organisiert, dass die Mutter eigentlich überflüssig ist.

Morgens um sechs klingelt bei Clemens der Wecker. Sofort steht er auf und geht ins Badezimmer. Direkt nach der Dusche weckt er die Schwestern und macht Milch warm für Kakao. Er deckt den Tisch und legt jedem eine Scheibe Brot auf den Teller.

Meist gibt es nur Brot, weil nicht mehr Geld da ist. Clemens verdient sich etwas Geld mit kleineren Botengängen für ein Büro in der Nähe. Er hat beschlossen, dass er lange genug in der Schule war und hat sich diese Arbeit gesucht um etwas Geld zu bekommen.

Die Schwestern gehen noch in die Schule. Aber auch nur, weil sie sonst zu Hause Langeweile hätten und nicht wüssten, was zu tun sei.

Clemens kann, nachdem die Mädchen zur Schule sind, ein wenig mit Josef spielen, aber so richtig Spaß kommt nicht auf. Josef ist einfach zu klein. Deshalb bleibt Josef auch alleine bei der Mutter, die auf dem Sofa liegt und entweder ihren Rausch ausschläft oder TV sieht.

Inzwischen hat Josef gelernt, dass es nicht gut für ihn ist, zu weinen oder zu schreien. Denn dann hat er zwar die Aufmerksamkeit seiner Mutter, aber dafür gibt’s immer Prügel.

Mit Simone kann Josef mittlerweile gut umgehen. Er weiß genau, wie er ihre unterschwellig vorhandenen Muttergefühle weckt und für sich nutzt.

Oft nimmt Simone Josef zu sich auf den Schoß und gibt ihm so etwas Geborgenheit.

Simone ist die einzige, die für Josef etwas empfindet. So hat sie oft von dem Brot, das sie bekommt, etwas für Josef aufgehoben.

Solange er noch keine Zähne hatte, hat sie ihm das Brot vorgekaut und dann gefüttert.

Das hat sie einmal in einer Tierdokumentation über Vögel gesehen.

Auch vor Clemens hat sie Josef oft beschützen müssen. Wenn mal wieder kein Geld und kein Essen im Haus waren, wurde Clemens wütend.

Seine Wut ließ er dann bei Josef ab, weil der sich gar nicht wehrte. Simone hat sich dann immer auf Josefs Seite geschlagen und auch manchmal die Schläge eingesteckt, die eigentlich für Josef gedacht waren.

In einem Puppenwagen wurde Josef manchmal mit nach draußen genommen. Wenn die Kinder spielten, legten sie Josef in den Puppenwagen und schoben ihn immer mit sich herum.

Paula hingegen war Anfangs nicht von Josef begeistert. Als Pflegekind wusste sie, dass man in dieser Familie um alles kämpfen musste.

Sei es um einen Bissen Brot oder um sonst eine Kleinigkeit. Sie war bisher die Kleinste. In der Hierarchie kam sie als Letzte und hatte sich damit abgefunden.

Nun kam ein Anderer und macht ihr den Platz streitig. Denn als Kleinkind kam Josef noch vor ihr.

Zunächst beobachtete sie ihn nur. Doch die Eifersucht war stärker und sie drängte sich immer wieder vor Josef. Vor allem beim Essen wollte sie mehr haben.

Clemens hatte alle Mühe, sie wieder zur Vernunft zu bringen. Das gelang ihm nur, als er ihr immer ein Extraglas Milch einschenkte.

Milch war das einzige, das immer da war. Clemens kaufte immer genug davon. Brot und Milch konnte man sogar als Mittagessen auftischen.

Dazu bekam jeder einen Teller Milch, in dem eine Scheibe Brot eingeweicht war. Das gab es eigentlich jeden Tag zu essen.

Ein Festessen war es, wenn Clemens Geld bekam. An diesen Tagen war er immer freizügig. Er ging dann in den Einkaufsladen und kaufte Schokolade, Kakao, Bonbons und manchmal auch Kartoffeln.

Die Süßigkeiten teilten sich die Kinder streng ein und hüteten die Schätze unter der Matratze.

Paula hatte fast immer einen kleinen Bonbonvorrat unter der Matratze. Um diesen Schatz fürchtete sie jetzt.

Denn ab sofort mussten die wenigen Dinge, die sie hatten in vier Teile geteilt werden.

Aber Paula konnte auch Josef verstehen. Sie hatte dasselbe erlebt wie er.

Auch sie war in diese Familie als Fremde gekommen. Sie war nur etwas älter.

Und sie hatte ein etwas anderes Schicksal. Sie war als erste Tochter einer reichen Familie geboren.

Ihre ersten drei Lebensjahre waren voller Luxus und Leichtlebigkeit.

Doch ihre Eltern stürzten bei einem Flugunfall mit dem eigenen Flugzeug ab und starben noch an der Unfallstelle. So kam es, dass sie jäh aus der gewohnten Umgebung gerissen wurde und in diese Familie gesteckt wurde.

Die erste Zeit hat sie fast nur geweint. Die anderen Kinder wollten auch erst nichts mit ihr zu tun haben. Schließlich bedeutete es, dass jetzt jeder nicht mehr die Hälfte bekam, sondern nur ein Drittel.

Das wurde ihnen schnell bewusst. Und deshalb hatte Paula für Josef mehr empfunden, ohne es zeigen zu können.

Eines Tages, als die Kinder wieder im nahe gelegenen Stadtwald spielten, passierte ein Unfall. Sie hatten Josef, der mittlerweile drei Jahre alt war, aber immer noch nicht richtig laufen konnte in den alten Puppenwagen gesetzt und mitgenommen.

Die Kinder spielten gerne in der alten Hütte, die eigentlich eine Grillhütte war, aber schon lange verwüstet und nicht mehr aufgebaut war. Die Bretterruine diente als Kulisse für ihre Spiele, in denen sie immer in einem Schloss lebten und genug Geld hatten und sich auch sonst um nichts Sorgen machen mussten.

Simone hatte Josef noch im Wagen gelassen und war mit den anderen unterwegs, Feuerholz zu sammeln. Es war zwar verboten, im Wald Feuer zu machen, aber das hat die Kinder noch nie gestört.

Und ein richtiges Lagerfeuer gehörte eigentlich immer dazu.

So bemerkte niemand, dass sich Josefs Puppenwagen selbständig gemacht hatte. Der Wagen stand an dem Hügel, auf dessen Spitze die Ruine der Grillhütte lag.

Zuerst langsam, aber dann immer schneller rollte der Wagen den Berg hinab. Obwohl die Fahrt über zahlreiche Wurzeln und andere Unebenheiten ging, kippte er nicht um.

Josef schrie nicht, weil er die Gefahr nicht bemerkte. Einzig Paula sah das Unglück kommen.

Sie wollte gerade einen Ast aufheben, als sie im Augenwinkel sah, wie der Puppenwagen losrollte. Sie rief die anderen herbei, aber keiner konnte den Wagen einholen. Die Entfernung war zu groß.

Und so sahen alle drei zu, wie Josef immer schneller den Berg herunterrollte. Am Ende des Berges war ein Ententeich.

Auf diesen rollte Josef genau zu. Ein großer Stein, der zur Hälfte in der Erde war, stoppte die rasende Fahrt direkt am Teichufer. Doch Josef wurde durch die Fliehkraft der Fahrt aus seinem Sitz geschleudert und landete nach zwei Metern Flug im Wasser.

Josef ging unter wie ein Stein. Seine Kleidung sog sich voll Wasser und zog ihn auf den Grund.

Zwar war es an dieser Stelle nicht tief, aber der kleine Körper war vollkommen unter Wasser.

Die Kinder sahen, dass Josef in höchster Not war. Alle drei rannten sofort zum Teich. Clemens war der erste an der Unfallstelle. Er sprang direkt ins Wasser und fischte Josef aus dem See.

Obwohl nicht viel Zeit vergangen war, war Josefs Gesicht blau angelaufen und er atmete nicht. Clemens legte Josef am Ufer ab, aber er wusste nicht, wie er jetzt helfen sollte. Vor Zorn und Verzweiflung, weil Josef nicht weiteratmete, schlug er dem Jungen mit der Faust heftig auf den Brustkasten.

Daraufhin schnappte Josef wieder nach Luft und begann zu atmen. Inzwischen waren auch die Geschwister an der Unglücksstelle angekommen.

Sie waren froh, dass Josef noch lebte. Aber auch andere Leute hatten den Unfall beobachtet und einen Rettungswagen gerufen. Gerade als die Kinder mit dem nassen Josef nach Hause wollten, kam der Krankenwagen mit Blaulicht und Martinshorn angebraust

Sofort sprangen die Männer aus dem Wagen und begannen, den Schon wieder im Puppenwagen liegenden Josef zu untersuchen. Aber der war in der Zwischenzeit schon nicht mehr blau im Gesicht und atmete ruhig.

Doch die Sanitäter wollten nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen. Also luden sie Josef auf eine Trage und schoben ihn in den Krankenwagen. Die Kinder wollten mitfahren, aber nur Clemens durfte mit.

Die Mädchen mussten zu Fuß nach Hause gehen. Glücklicherweise schlief die Mutter, als beide ankamen. Und auch später bemerkte sie das Fehlen der beiden Jungs nicht wirklich.

Im Krankenhaus wurde Josef gründlich untersucht. Es wurde festgestellt, dass er in seiner Entwicklung stark verzögert ist. Zudem hat der Unfall doch einen Schaden angerichtet.

Die Zeit, in der Josef ohne Sauerstoff unter Wasser war, hat eine Menge Gehirnzellen absterben lassen. Natürlich konnte jetzt noch keiner wissen, wie weit das Gehirn geschädigt war, aber zusammen mit dem Entwicklungsrückstand ergab sich schon ein anderes Bild.

Clemens musste mehrmals den Unfallhergang schildern und wurde auch sonst von den Ärzten ausgefragt. Instinktiv vermied er genauere Schilderungen von zu Hause, aber die Ärzte merkten auch so, dass in der Familie einiges nicht stimmte.

So wurde das Jugendamt informiert und ein Mitarbeiter des Amtes stattete einen unangemeldeten Besuch ab. Er fand die Mutter betrunken vor dem TV-Gerät und die vier Kinder in der vollkommen verwahrlosten Küche.

Sie hatten sich gerade um den Tisch versammelt und wollten Brot essen.

Auf so eine Situation war der Mitarbeiter vom Jugendamt eigentlich nicht vorbereitet. Er hatte zuvor die Akten gelesen.

Dort war immer nur verzeichnet, dass es der Familie gut geht. Laut Aktenlage war der Vater immer da und die Mutter nicht berufstätig, um sich um die Kinder zu kümmern. Zumal ja zwei eigene und zwei Pflegekinder da waren. In der Akte stand nichts vom Alkoholproblem der Mutter und auch nichts davon, dass sich das Paar getrennt hatte.

Der Mitarbeiter reagierte sofort. Er rief einen Streifenwagen, um die Kinder aus der Wohnung holen zu lassen.

Natürlich wollte die Mutter, die inzwischen zu sich gekommen war, nicht zulassen, dass man ihr die Kinder abnimmt.

Doch mit Hilfe von zwei Polizeibeamten gelang es schließlich, die total verstörten Kinder in das Kinderheim einzuliefern. Nach dieser Aufregung schliefen die Kinder zum ersten Mal in ihrer neuen Umgebung.

Im Kloster

Zunächst blieben die Kinder zusammen im Heim. So konnten sie sich gegenüber den anderen Heimkindern behaupten und der Einstieg fiel ihnen leichter.

Aber schon nach einer Woche wurden die Mädchen von den Jungen getrennt.

Das Heim betrieb mehrere Bauernhöfe in der Umgebung. Dorthin wurden die Kinder geschickt, um bei der Feldarbeit oder im Stall zu helfen. Simone und Paula kamen auf einen Bauernhof, auf dem nur Mädchen im Alter von sechs bis sechzehn Jahren waren.

Sie mussten alle auf dem Hof anfallenden Arbeiten verrichten und wurden so auf ein Leben auf dem Bauernhof vorbereitet. Mädchen, die sechzehn Jahre alt wurden, kamen dann in so genannte Hochzeitshöfe, wo sie zwei Jahre lang dazu angelernt wurden, einen Bauernhof zu führen und dem Mann eine gute Ehefrau zu sein.

Nach dieser Ausbildung wurde ein Fest gefeiert, auf dem dann die jungen Frauen an heiratswillige Bauern vermittelt wurden.

Die Jungens bekamen eine ähnliche Ausbildung. Nur mit dem Ziel, dass sie als Knechte auf einem Bauernhof weiterarbeiten konnten. Clemens und Josef blieben zunächst zusammen, doch Clemens wurde bald in die Gruppe der großen eingeteilt und war die meiste Zeit auf den Feldern bei der Arbeit.

Josef kam in die Gruppe der Kleinen und lernte die Stallarbeiten kennen. Zusammen mit fünf weiteren Jungen, die auch so alt waren wie er, musste er die Hühner und die Schweine versorgen. Doch Josef konnte aufgrund seiner Behinderung nicht mit den anderen mithalten.

Immer öfter fiel es auf, dass er die schweren Eimer mit dem Schweinefutter nicht richtig tragen konnte. Sogar für die Fütterung der Hühner war er nicht geeignet.

Man versuchte, ihm die Arbeit mit Prügel anzugewöhnen. Aber Josef erduldete die Prügel und konnte trotzdem keine Eimer heben. Also stellte man fest, dass er für die Arbeit ungeeignet sei und suchte nach einem anderen Platz für ihn.

Da das Heim von der Kirche geleitet wurde, lag es auf der Hand, ihn in ein Kloster zu schicken. Das Kloster war in einer waldreichen Gegend gelegen und wurde von einem strengen Abt geführt.

Für Josef begann nun eine Zeit in der er viel leiden musste. Als er im Kloster ankam, war gerade Abendgebet.

So konnte sich niemand direkt um ihn kümmern. Die Begleitperson, die Josef auf seinem Weg zum Kloster begleitete, stellte Josef in der Empfangshalle in eine Ecke und ging dann ins Büro des Abtes.

In der Empfangshalle roch es nach Weihrauch. Ein Geruch, der bei Josef immer wieder Erinnerungen an diese Zeit wachrufen wird.

Josef stand zunächst in der Mitte des Raumes und sah sich um. Es war ein viereckiger Raum, an jeder Wand war eine Tür, die in einen anderen Raum führte.

Neben den Türen war jeweils eine lebensgroße Figur eines Heiligen. Die erste Tür führte in den Garten und zu den anderen Gebäuden.

Neben der Tür war der heilige Georg zu sehen. Die Figur war aus dunklem Holz geschnitzt. Georg sitzt auf dem Pferd, das sich aufbäumt und zu seinen Füßen befindet sich ein Drachen, der aber schon die todbringende Lanze in seiner Seite hat.

Die zweite Tür führt in die Klosterkapelle. Daneben ist die heilige Mutter Gottes. Sie ist auch aus Holz geschnitzt, aber bunt lackiert. Sie trägt ein blaues Gewand mit einem Goldsaum und hat eine rote Kapuze auf.

Auf ihrem rechten Arm sitzt das Jesuskind. Die Linke hat sie etwas erhoben und die Finger so geformt, dass sie ein Segenzeichen macht.

Die dritte Tür führt zu den Zellenräumen. Das sind die Unterkünfte der Mönche. Auch für Josef ist eine Zelle vorbereitet. An der Wand hängt Christopherus, wie er Jesus durch den Fluss trägt. Auch diese Figur ist aus dunklem Holz geschnitzt. Besonders der lange Rauschebart dieser Figur beeindruckt Josef sehr.

Die vierte und letzte Tür führt aus dem Klostergebäude heraus zum großen Eingangstor, das immer fest verschlossen ist. Die letzte Tür wird vom Erzengel Michael bewacht. Die Figur ist auch wie die anderen aus dunklem Holz geschnitzt.

Einzig das Flammenschwert, mit dem er bewaffnet ist, ist leuchtend rot lackiert. Die Figur ist die beängstigendste der vier, weil sie Michael in voller Rüstung zeigt, wie er das Flammenschwert über dem Kopf schwingt, bereit, die Welt von allem Bösen zu befreien.

Gerade als Josef diese Figur am längsten betrachtet hat, kommt ein Mönch in die Halle und führt in durch die Georgstür in den Garten und von da aus weiter zu dem kleinen Haus des Abtes.

Dort angekommen, muss er vor dem Bürotisch des Abtes stehen bleiben. Der Mönch verschwindet wieder und Josef hat Gelegenheit, sich in dem Büro des Abtes umzusehen. Das Büro ist mit hellem Holz getäfelt.

An den beiden Wänden, die kein Fenster oder eine Tür haben sind Bilder aufgehängt. An der einen Wand sind zwei Landschaftsbilder und ein Bild einer großen Kirche.

Die andere Wand ziert ein großes Portrait des Papstes. Die Wand mit dem Fenster ist leer. Und die Wand mit der Tür ist komplett mit Bücherregalen bestückt. Sogar eine Leiter führt in die bis unter die Decke reichenden Bücherreihen. Der große Schreibtisch steht in der Mitte des Raumes auf einem dicken Teppich.

Der Abt liest in einer Akte und beobachtet Josef aus den Augenwinkeln. Ihm gefällt, dass Josef da steht, ohne einen Ton zu sagen.

Er hält Josefs Sprachlosigkeit für Anstand und beschließt, ihn freundlich zu empfangen.

Nach dem ersten Gespräch, das eher ein Monolog des Abtes ist, klingelt der Abt nach einem Mönch. Sofort ist dieser da und bringt Josef in die für ihn vorgesehene Kammer. Diese Zelle ist spärlich eingerichtet.

Ein Bett, ein Schrank und ein kleiner Tisch mit einem Stuhl davor sind die ganze Ausstattung. Die Wände sind weiß gestrichen und das Fenster, welches recht klein und auch ziemlich hoch angebracht ist, hat keine Vorhänge.

An einer Wand ist ein einfaches Holzkreuz befestigt. Das Bett hat eine Matratze aus Schaumstoff, aber keinen Sprungrahmen.

Lediglich eine dickere Schnur ist im Zickzack in den Bettrahmen gespannt. Auf der Matratze ist ein weißes Laken gespannt und darauf liegen eine Wolldecke und ein Schaumstoffkissen.

Der Mönch zeigt auf den Stuhl, auf dem ein brauner Kittel liegt. Davor stehen Holzpantinen, die mit einem einfachen Lederriemen versehen sind. Er macht Josef klar, sich auszuziehen und die Kutte anzuziehen. Dabei spricht er kein Wort, denn er hat, wie die übrigen Mönche auch, ein Schweigegelübte abgelegt.

In den nächsten Wochen lernt Josef den Tagesablauf der Mönche kennen. Morgens um fünf werden alle durch die Glocke der Kapelle geweckt.

Die Mönche richten ihr Bett und gehen dann in den Waschraum. Alle 30 Mönche duschen kalt.

Auch Josef lernt das ganz schnell. Danach geht es in die Kapelle zum Morgengebet.

Eine Stunde dauert die Messe und während dieser Zeit dürfen die Mönche sprechen. Aber nicht miteinander, sondern nur zum Lobgesang dürfen sie die Stimmen gebrauchen. Danach geht es in den Speisesaal.

Für jeden gibt es eine Tasse Tee und eine Scheibe Brot. Das Brot wird in kleine Stücke gebrochen und in dem Tee eingeweicht. Mit einem kleinen Löffel wird dann die Masse gegessen.

Natürlich gilt auch hier wieder das Schweigegelübte. Nach dem Frühstück arbeitet jeder an seinem Tagwerk. Entweder im Garten oder in der Druckerei oder im Weinkeller.

Nach dem Mittagsgottesdienst in der Kapelle wird eine warme Mahlzeit eingenommen. Meist Kartoffeln, Fleisch und Gemüse in einem Topf gegart. Alle sitzen an dem großen Tisch. Der Küchenmönch und sein Diener schleppen den vollen Essenstrog herein und jeder bekommt mit der Schöpfkelle einen Schwung von dem Eintopf auf den Teller gekippt.

An einem Extratisch, von dem sie den ganzen Speissaal überblicken können, sitzen der Abt und sein Vertreter. Beide sind die einzigen, die Wein zu ihrem Essen bekommen. Sie essen zwar dasselbe wie die Mönche, haben sich aber zum Essen jeweils eine Flasche Wein genehmigt.

Nach dem Mittagessen geht es wieder an die Arbeit bis um siebzehn Uhr. Dann ist Abendgottesdienst und Abendessen. Da bekommt jeder zwei Scheiben Brot, die mit Käse belegt werden.

Danach begeben sich die Mönche in ihre Zellen und meditieren. Um Mitternacht wird wieder eine Messe gelesen und um Fünf geht’s wieder von vorne los.

Bei den Mönchen sind noch fünf weitere Kinder untergebracht. Alle sind jetzt zwischen acht und zwölf Jahre alt. Sie stehen zwar auch um fünf Uhr auf, aber haben kein Schweigegelübte und bekommen mehr und besseres Essen. Auch müssen sie nicht arbeiten, werden aber von einem Mönch unterrichtet.

Dieser Mönch bringt den Kindern zuerst die Bibel nahe, dann lernen sie lesen schreiben und rechnen.

In der ersten Zeit lernt Josef noch gut mit, aber lange kann er sich nicht konzentrieren. Auch den Stift kann er nicht richtig halten und seine Schrift ist kaum leserlich.

Der Mönch, der die Kinder unterrichtet, ist sehr streng mit Josef.

Als Josef auf die Fragen des Lehrers nicht antworten kann, weil ihm die Worte fehlen und er sowieso nicht gut sprechen kann, muss er zur Strafe vor der Wand auf einer Latte knien und den Rosenkranz beten.

Schon nach den ersten Minuten hat Josef starke Schmerzen in den Kniegelenken. Aber er wagt es nicht, einen Laut von sich zu geben. Mit der Zeit werden die Schmerzen immer stärker. Er sieht zuerst rote Kreise vor seinen Augen tanzen. Dann regnet es rote Funken und als die Funken explodieren, ist er ohnmächtig zur Seite gekippt.

Das stört aber den Mönch nicht. Er geht zu Josef und tätschelt ihm so lange die Wangen, bis er wieder zu sich kommt.

Dann befiehlt er Josef sich wieder hinzuknien und weiter zu beten. So lernt Josef schnell Schmerzen auszuhalten und den Rosenkranz zu beten.

In Gedanken kann er das vollständige Vaterunser aufsagen und auch das Ave Maria kennt er. Nur sprechen kann er kaum.

An einem andern Tag muss Josef in ein Fass mit kaltem Wasser steigen und drei stunden drin stehen bleiben. Er hat im Speisesaal gesprochen

Eigentlich wollte er nichts sagen, aber er hat sich an einem heißen Klumpen Fleisch die Zunge verbrannt und vor Schmerz einen Fluch ausgestoßen.

Sonst hat ihn keiner verstanden, wenn er gesprochen hatte, aber der Fluch kam laut und deutlich über seine Lippen. Zur Strafe stellte der Abt mit den Winzern ein großes Fass in den Garten und ließ es voll Wasser laufen. J

Josef musste hineinklettern und versank bis zu den Schultern im kalten Wasser. Er fror erbärmlich und klapperte mit den Zähnen, aber er musste die drei Stunden ausharren. Als man ihn rausholte, konnte er sich kaum bewegen.

Man trug ihn in seine Zelle und warf ihn auf sein Bett. Mit der Decke konnte er sich abtrocknen und dann wieder wärmen.

Da Josef nicht in dem Maße, wie es erwartet wurde, lernen konnte, musste für ihn eine andere Arbeit gefunden werden.

In den Garten zog es ihn immer schon und als er neun Jahre alt war, wurde er Bruder Ignaz zugeteilt. Dort lernte er alle anfallenden Arbeiten auszuführen.

Es stellte sich auch heraus, dass er vom Körperbau recht muskulös wurde und auch die schweren Arbeiten wie umgraben oder andere Erdarbeiten leichter bewältigen konnte. Dafür gelang es ihm nicht, schreiben zu lernen. Er konnte seinen Namen und einfache Sätze schreiben und lesen, aber mehr ging nicht. Die notwendigen Gebete lernte er auswendig.

Josef verbrachte viele Jahre im Kloster. Die Tage verliefen recht gleichförmig und richteten sich nach dem Kirchenkalender oder nach der Jahreszeit.

Besondere Tage waren neben Weihnachten und Ostern die Geburtstage. Zum Geburtstag bekam das Geburtstagskind ein Stück Kuchen.

Da keiner wusste, an welchem Tag Josef Geburtstag hatte, legte der Abt seinen Geburtstag auf den 19. März, den Namenstag des heiligen Josef. An Josefs zwölftem Geburtstag jedoch geschah etwas Unerwartetes. Schon der Morgen verlief nicht so wie gewohnt. Josef rutschte in der Dusche aus und stieß sich heftig am Kopf.

Eine Platzwunde war das Ergebnis. Er ließ sie jedoch nicht verarzten, denn mehr als einen feuchten Lumpen hätte es eh nicht gegeben. Also drückte er sich ein Handtuch gegen die Schläfe und stoppte so die Blutung.

Natürlich kam er zu spät zur Morgenandacht. Aber es bemerkte niemand. Er konnte sich unbemerkt hereinschleichen.

Als dann beim Frühstück sein Kuchen auf dem Teller lag, konnte er seine Freude nicht unterdrücken.

Ein ganzes Jahr hatte er keinen Kuchen gegessen. Immer nur Bot. So entfuhr es ihm ein Freudenschrei, ohne dass er sich dessen bewusst wurde.

Natürlich wurde er vom Abt auf der Stelle bestraft. Er musste in die Kapelle und dort zehnmal den Rosenkranz beten.

Als er fertig war, war natürlich die Frühstückstafel abgeräumt und der Kuchen war weg. Der Küchenmönch hatte seinen Kuchen nicht gegessen und auch nicht abgeräumt. Es waren nur leere Teller zurückgekommen. Auch die anderen Mönche hatten nichts bemerkt.

Erst als er bei den andern Kindern ankam, lachte einer der Jungen ihn aus, weil er sich den Kuchen geangelt hatte. Da bückte sich Josef und hob einen Stein auf. Mit aller Wucht schlug er den Stein auf den Kopf des Jungen. Dieser brach sofort zusammen. Doch Josef ließ nicht von ihm ab. Er saß jetzt rittlings auf dessen Bauch und schlug noch mehrfach mit dem Stein gegen die Schläfe des Jungen. Erst als zwei andere Mönche ihn von dem Knaben herunter hoben, konnte er sich beruhigen.

Der Junge wurde auf die Krankenstation gebracht, aber er war schon tot. Mit einem Stein erschlagen wegen eines Stückchen Kuchens.

Da der Junge, wie alle anderen auch, keine Eltern und sonstigen Verwandten hatte, wurde er auf dem kleinen Friedhof des Klosters beerdigt.

Für Josef hatte dieser Totschlag Konsequenzen. Zuerst musste er dem Jungen das Grab ausheben. Und dann wurde er aus dem Kloster ausgeschlossen. Man wollte ihn nicht im Kloster lassen. Und so kam er mit einem Brief in der Tasche nach einem tagelangen Marsch in einem Dorf an. Dort ging er zum Pfarrer und zeigte den Brief des Abtes vor.

In dem Brief wurde Josef nur als einfältiger aber kräftiger junger Mann beschrieben, der dem Pfarrer als Küster oder Messdiener nützlich sein könnte.

So wurde Josef in die Gemeinde aufgenommen und diente fortan als Küster und Friedhofsgärtner der Pfarrgemeinde.

Pfarrgemeinde St. Alban

Von nun an war Josef ein Mitglied der Pfarrgemeinde St. Alban. In der Pfarrei waren immer der Pfarrer und die Haushälterin des Pfarrers anwesend.

Sie wohnten beide im Pfarrhaus hinter der Kirche. Dort zog auch Josef ein. Er bekam eineigenes Zimmer unter dem Dach eingerichtet.

Zum ersten Mal in seinem Leben schlief Josef in einem sauberen Bett, dessen Bettdecke mit Daunenfedern gefüllt war. Sein Bett hatte ein Daunenkopfkissen und eine Federkernmatratze.

Sachen, die er nicht kannte und die er als besonderen Luxus empfand. Die Bettwäsche duftete so frisch und war so angenehm weich, dass er sich sofort ins Bett fallen ließ und genüsslich den Duft des Bettes einsog.

Doch dies war nicht der einzige Luxus, den er kennen lernte. In der Dusche gab es heißes Wasser. Und die Toilette hatte keinen Eimer mit Wasser zum Hinterherspülen, sondern einen Drücker, aus dem genügend Wasser floss.

Auch von den Speisen war er überrascht. Die Haushälterin war eine vorzügliche Köchin. Schon am frühen Morgen gab es frische Brötchen.

Und Konfitüre, die sie aus den Früchten des Gartens selbst gemacht hatte.

Und Kaffee lernte er auch kennen. Er kam sich vor, wie im siebten Himmel.

Doch die ersten Tage waren nicht so segensreich. Sein Magen musste sich erst an das ausreichende und vor allem abwechslungsreiche Essen gewöhnen.

Er kannte ja bisher nur Brot, Wasser und Eintopf. Da musste er die fremde Nahrung erstmal wieder nach draußen befördern!

Die Haushälterin mochte Josef von Anfang an leiden. Er konnte immer viel essen und nahm nicht zu. Auch ein weniger gelungenes Mahl konnte er mit Bewunderung essen.

Auch der Pfarrer freute sich über die Hilfe, die ihm durch den jungen Mann zu teil wurde. Josef machte sich vor allem als Friedhofsgärtner zu Nutze. Der Friedhof des Ortes, an dem St. Alban war, war recht groß, denn auch der Nachbarort wurde hier mitversorgt. So kam es, dass Josef fast jeden Monat ein Grab ausheben musste. Dies war für Josef immer eine leichte Übung, denn er war stark und die Arbeit im Freien machte ihm Spaß.

Ein Grab ist achtzig Zentimeter breit und zwei Meter dreißig lang. Im normalen Grab beträgt die Tiefe zwei Meter dreißig. Bei solchen Tiefen muss ab einem Meter eine Schalung gesetzt werden. Dies dient der Sicherheit des Grabenden, falls der Graben einstürzt.

Aber Josef fand auch Gefallen an der Arbeit als Küster. Er liebte es, die vielen Kerzen anzuzünden. Und auch das Vorbereiten der heiligen Messe erfüllte ihn mit Stolz.

Josef war auch gleichzeitig als Messdiener eingesetzt. Mit ihm dienten noch drei weitere Jungs aus der Nachbarschaft.

Das war für Josef eine tolle Sache. Er kannte jeden Handgriff im Schlaf, denn er war ja jahrelang im Kloster und dort oft als Messdiener herangezogen worden.

Eines Tages sollte sich für Josef wieder einmal alles ändern.

Wie alle Unglücke, begann auch dieses harmlos.

In der Pfarrei wurden Mädchen zum Messdiener zugelassen. Das war schon lange der Fall, aber man machte keinen Gebrauch davon, weil man ja genug Messdiener hatte.

Aber als einer der Jungen wegzog, wurde sein Amt frei. Der Pfarrer selbst setzte sich dafür ein, dass nun auch ein Mädchen sich darum bewarb. Christina war genau die Richtige. Sie war zwölf Jahre alt und ging oft in die Kirche. Ihre Eltern waren im Gemeindevorstand und so war es nicht schwer, sie als Messdienerin zu werben.

Zuerst dachte sich Josef nichts dabei. Doch als die beiden alleine nach der Messe in der Sakristei standen und Christina ihr Messdienergewand über den Kopf auszog, rutschte ihr Pullover mit in die Höhe. Genau in diesem Augenblick sah Josef hin.

Und der Anblick der kleinen Brüste, die weiß und unbedeckt vor ihm waren, ließ ihn nicht mehr los.

Es war für Josef das erste Mal, dass sein Glied steif wurde.

Der Augenblick war schnell vorbei, denn mit einem Ruck befreite sich Christina vom Messgewand und zog den Pulli wieder nach unten. Ihr war gar nicht bewusst, was diese Situation in Josef auslöste.

In Josefs Gedächtnis hatte sich das Bild tief eingegraben und er konnte das Bild immer wieder heraufbeschwören. Und jedes Mal wurde sein Glied steif dabei, wenn er an die Brüste von Christina dachte.

Aber schon bald wollte er mehr. Er wollte, dass sie sich nochmals zeigt. Er wollte die kleinen Brüste anfassen.

Und er wollte, dass Christina sein Glied anfasste. Bald konnte er Christina nicht mehr ansehen, ohne daran zu denken.

Der Wunsch wurde so stark, dass er es kaum noch aushielt. Am nächsten Sonntag, nach der Messe, zogen sie sich wieder in der Sakristei um. Die anderen Jungs waren auch da. Aber Christinas Pullover ging diesmal nicht in die Höhe und gab den Blick nicht frei.

Josef war tief enttäuscht. Als die anderen heim gingen schlich er hinter Christina her. Die Jungs gingen direkt auf die Straße und dann in verschiedene Richtungen. Christina aber lief auf den Friedhof.

Sie wollte das Grab ihrer Oma besuchen, die vor kurzem erst verstorben war. Für Josef war dies ein Glücksfall. Er schlich sich hinter Christiane und sprang sie dann von hinten an.

Sie erschrak heftig und wehrte sich. Sie schlug wild um sich, aber Josef war stärker. Er griff ihr an die Brüste und sofort war sein Glied steif. Er wollte, dass sie sich nicht so wehrte. Aber Christine trat ihm gegen das Schienbein und kratzte in sein Gesicht.

Als es ihm nicht gelang, sie zu beruhigen, drückte er mit beiden Händen ihren Hals zu. Es dauerte nicht mehr lange und sie wehrte sich nicht mehr.

Voller Gier riss er ihr den Pullover hoch und streichelte ihre Brüste. Und dann zog er ihre Jeans aus. Er roch an ihrem Körper, was ihn noch mehr erregte.

Dann zerriss er ihre Unterhose und legte auch sein Glied frei. Er drang in sie ein und vergewaltigte sie. Als er seinen Orgasmus hatte, kam er langsam wieder zur Besinnung. Er starrte die geschändete Leiche an und wusste, dass er sie loswerden musste.

Also zog er sie wieder an und trug sie in den Holzschuppen hinter der Sakristei. Dort legte er sie hinter einen Holzstapel und deckte die Leiche mit ein paar Holzscheiten zu.

Dann ging er in das Pfarrhaus und setzte sich an den Mittagstisch, als wäre nichts gewesen. Nach dem Mittagessen hatte er frei.

Er nutzte diese Möglichkeit und schlich sich in den Holzschuppen. Er holte Christinas Leiche aus dem Versteck und betrachtete sie. Er hob ihren Pulli hoch und betrachtete wieder die Brüste. Als er wieder erregt war, wollte er wieder an ihrem Körper riechen. Aber der Körper war tot und kalt und verströmte keinen Duft mehr. Also wandte er sich ab von ihr.

Als es dunkel wurde, ging er auf den Friedhof. Aus dem Geräteschuppen nahm er einen Spaten mit. Er ging zu einem Grab, das er für die Beerdigung am nächsten Tag ausgehoben hatte. Mit geübtem Griff legte er die Bretter zur Seite und sprang dann ins Grab. Dort grub er eine flache Mulde aus. Gerade groß genug, um Christinas Leichnam aufzunehmen. Schnell war er damit fertig und er holte die Leiche aus dem Holzschuppen. Er warf sie sich über die Schulter wie einen Sack Kartoffeln und rannte geduckt zu dem Grab. Dort warf er Christina runter und sprang hinterher. Er bedeckte die Leiche mit Erde und trampelte den Boden wieder glatt.

Als am nächsten Tag die Beerdigung stattfand, stellten die Sargträger den Sarg auf die darunter vergrabene Leiche von Christina. Josef persönlich schaufelte das Grab zu. Er wusste jetzt, dass seine Leiche für immer weg war, denn auf dem Friedhof würde niemand eine Leiche suchen.

Christina wurde vermisst und lange gesucht. Aber niemand verdächtigte Josef. Er wurde zwar von der Polizei vernommen, aber da er nicht viel sprechen konnte und somit nur bezeugen konnte, dass Christina nach der Messe nach Hause gegangen war, wurde er nicht weiter befragt. Und schon zwei Wochen später war die Sache fast vergessen. Die Zeitungen berichteten nicht mehr über das Drama und auch das Interesse der Dorfbewohner ließ langsam nach. Man ging zur Tagesordnung über.

Für Josef war die Sache noch nicht zu Ende. Die Bilder der schönen Christina verfolgten ihn immer wieder .Jetzt stellte er sich alle Mädchen in seiner Umgebung nackt vor und verglich sie mit Christina. Es war natürlich in seinen Augen keine schöner, aber er musste dann fast immer onanieren um die Bilder loszuwerden. Außerdem hatte er sich aus ihrem Spind in der Sakristei ein T-Shirt geholt. Es roch noch herrlich nach ihr und verstärkte die Bilder in seinem Kopf. Aber auch das reichte nicht lange. Im Holzschuppen hatte er, dort wo er Christina abgelegt hatte, einen kleinen Altar gebaut. Darauf legte er das T-Shirt und stellte zwei Kerzen dazu. Wenn er die Kerzen anzündete und am T-Shirt roch, war es, als sei sie noch bei ihm.

Ungefähr einen Monat nach Christinas Tod wollte er sich wieder in den Holzschuppen schleichen, als er eine junge Frau vor einem Grab stehen sah. Sie hatte langes braunes Haar und eine zierliche Figur. So wie sie da stand, sah sie für Josef aus wie Christina. Er konnte nicht anders, er musste sich an sie anschleichen. Hinter den Grabsteinen geduckt, kam er bis auf wenige Meter an sie heran. Der Wind trug ihr Parfum direkt in seine Nase. Sie war zum Greifen nah. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen und nicht über sie herfallen. Als sie weg war, blieb er noch lange an der Stelle, von der aus er sie beobachtet hatte. Die Gedanken in seinem Kopf drehten sich wie wild und er brauchte über eine Stunde, um sich soweit zu beruhigen, dass er wieder ins Pfarrhaus gehen konnte.

Zum Glück fiel niemand auf, dass er immer noch erregt war. Auch die nächsten Tage und vor allem Nächte waren schrecklich für Josef. Immer verfolgten ihn die Bilder der Tat. Und vor allem sah er diese Frau vor dem Grab stehen

In seinen Träumen gab sie sich ihm leidenschaftlich hin. Sein Geist spielte ihm immer öfter einen Streich. So sah er sie manchmal vor dem Altar knien oder im Beichtstuhl sitzen. Doch wenn er sie greifen wollte, merkte er, dass es Trugbilder waren.

Dann plötzlich sah er sie wirklich. Sie stand wieder vor dem Grab und war offensichtlich ins Gebet versunken. Josef beobachtete sie wieder von seinem Versteck aus. Und diesmal schlich er sich an sie heran. Direkt neben ihr war ein großes Grabmal aus längst vergangener Zeit. Ein eiserner weiblicher Engel stand da mit gesenktem Haupt. Mit einer Hand hielt sie ihr wallendes Gewand zusammen und mit der anderen machte sie ein Segenszeichen in Richtung Boden. Hinter diesem Engel stand Josef und schnupperte die Luft ein, wie ein Tier, das Witterung aufnimmt. Das starke Parfüm war wieder zu riechen. Josef machte einen Schritt inter dem Denkmal hervor. Die Frau erschrak heftig und wollte schreien. Josef hielt er mit einer Hand den Mud zu. Mit der anderen ergriff er ihre Brüste und drehte sie halb zu sich herum. Die Frau wollte sich wehren, aber die Riesenkräfte von Josef ließen ihr keine Chance. Josef hatte sie schon am Hals gepackt und würgte sie. Er war so erregt, dass er sie nicht erwürgte, sondern ihr das Genick brach.

Als er sie in den Schuppen schleppte pendelte ihr Kopf lose hin und her. Josef legte seine Beute auf den Altar und begann sie ganz langsam auszukleiden. Ihre Brüste waren größer als die von Christina. Das erregte ihn mehr. Als sie nackt vor ihm lag schnupperte er wieder an ihr. Aber er konnte sich nicht lange beherrschen. Er zog sich aus und verging sich an ihr.

Zwei Tage später musste er wieder ein Grab anlegen. Diesmal auf dem neuen Teil des Friedhofs. Dort waren so genannte Pflichtgräber. Das heißt, man musste das Grab für 20 Jahre kaufen, konnte die Nutzungsdauer aber dann nicht mehr verlängern. Diese Gräber erfreuten sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit. Man wollte nicht mehr Familiengräber, in der ganze Generationen einer Familie beerdigt wurden. Das Streben nach Individualität machte auch vor dem Tod nicht Halt.

Josef grub gleich etwas tiefer und legte in der Nacht die Leiche der Frau darin ab und verscharrte sie wieder.

Natürlich wurde die Frau vermisst und es kamen auch wieder Erinnerungen an Christina auf. Abermals waren Polizisten im Hause des Pfarrers und befragten auch Josef. Doch seine Sprachschwierigkeiten und die Hilfsbereitschaft der Haushälterin ersparten ihm eigene Antworten. Als nach einigen Tagen immer noch keine Spur von der Frau vorlag, beruhigte sich die Lage wieder und man ging zur Tagesordnung über.

Auch für Josef war es jetzt ein wenig leichter, die Bilder in seinem Kopf zu sortieren. Er verbrachte weiterhin viel Zeit im Holzschuppen. Aber niemand störte sich daran, denn Josef schnitzte kleine Holzfiguren, wenn er versuchte sich abzuregen. Die Holzfiguren waren dann die offizielle Begründung für seine lange Zeit im Schuppen.

Jetzt hatte er schon zwei Gegenstände, die ihm große Lust bereiteten. Er konnte an Christinas T-Shirt riechen oder an dem Halstuch der Frau. So saß er lange im Schuppen, schnitze Figuren, oder hielt sich die Tücher unter die Nase und sah im Geiste seinen eigenen Pornofilm.

Doch bald schon reichte es nicht mehr, sich das alles vorzustellen. Es musste eine neue Frau her. Er wählte diesmal nicht lange aus. Ganz in der Nähe des Engels stand wieder eine Frau. Sie war gerade damit fertig, neue Pflanzen auf das Grab zu setzen. Sie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Als sie sich dehnte, weil der rücken schmerzte, sprang ihre Jacke auf und Josef konnte ihren Busen durch die helle Bluse schimmern sehen. Das reichte Josef schon, um sie anzuspringen. Er hatte noch einen Holzklotz in der Hand, den er gerade schnitzen wollte. Den schlug er ihr von hinten über den Schädel. Lautlos brach sie zusammen. Wenn er sie nicht aufgefangen hätte, wäre sie hingefallen.

Da er glaubte, sie sei tot, trug er sie auf den Armen in den Holzschuppen. Als er sie auf den Altar legte, überkam ihn sofort die Gier. Er riss ihr den Rock hoch und schob ihr Höschen beiseite. Sofort drang er in sie ein. Da sie aber nur bewusstlos war, wurde sie jetzt wach. Er konnte das Entsetzen ihn ihren Augen sehen. Das regte ihn stark an. Da er jetzt wusste, dass sie lebt, griff er ihr an den Hals und würgte sie. Aber er tötete sie genau in dem Moment, als er zum Höhepunkt kam. Das brachte ihm die höchste Befriedigung die er je erlebt hatte.

Auch diese Bilder fügte er zu seinen anderen Erinnerungen hinzu. Auf seinem Altar lagen nun drei Sachen. Es war ein Nylonstrumpf dazu gekommen. Er verbrachte wieder die ganze Nacht im Schuppen und am nächsten Morgen wollte er die Leiche wieder in ein Grab ablegen. Aber es war keines vorbereitet. Also musste die Leiche woanders verschwinden. Da er wusste, dass der alte Brunnen, direkt an der Kirche sehr tief war und niemand ihn benutzte, versenkte er die Leiche dort. Dazu füllte er ihre Jackentasche mit Steinen und band drei große Felsbrocken um ihren Körper. Zusätzlich band er noch je einen Felsbrocken an die Beine.

Als es dunkel war, legte er die Frau in eine Schubkarre und fuhr sie zum Brunnen. Mit einem lauten klatschen kam sie auf der Wasseroberfläche an. Josef sah über den Brunnenrand, aber man konnte nichts sehen.

Er lief zum Holzschuppen zurück und blieb dort etwa eine Stunde. Dann hatte er sich wieder soweit unter Kontrolle, dass er in Pfarrhaus gehen konnte. Er kam fast gleichzeitig mit der Polizei an. Diesmal waren nicht nur Streifenpolizisten anwesend. Auch Inspektor Sattler stand in der Stube und sah sich um. Es sah aus, als gehöre er nicht zu den Polizisten. Er stand abseits der anderen und beobachtete die Gruppe.

Auf die Spur gekommen

In dem Raum stehen zwei Polizisten in Uniform, der Pfarrer, die Haushälterin und ein junger Mann, der offensichtlich geistig schwach ist.

Der Pfarrer scheint ein gutgläubiger Mensch zu sein, der gern das Gute im Menschen sieht. Die Haushälterin hingegen macht einen resoluten Eindruck. Sie kennt sich sicher aus im täglichen Leben und lässt sich nicht von Äußerlichkeiten blenden.

Inspektor Sattler hat sich nun ein Bild gemacht von den anwesenden Personen. Er spürt, dass der junge Mann angespannt ist.

Um sich zu vergewissern, stellt er ihm einige Fragen. Aber Josef kann sich kaum ausdrücken. Er antwortet wie immer mit Händen und Gesten und einigen kurzen Sätzen. Er spricht von sich in der dritten Person, als sei jemand anderes gemeint.

Instinktiv fühlt der erfahrene Ermittler, dass er einen Teil der Aussage vorenthalten bekommt. Er weiß nur noch nicht, ob es an Josefs sprachlichem Unvermögen liegt, oder ob Josef bewusst etwas verschweigt.

Als die anderen gehen, bleibt Werner nichts anderes übrig, als auch zu gehen. Aber er sieht Josef tief in die Augen, als ob er ihn telepatisch erreichen könnte.

Leider kann er das nicht und so lässt Werner einen zutiefst beunruhigten Josef zurück.

Josef ahnt, dass er durchschaut wurde. In der nächsten Nacht verlässt Josef den Pfarrer, ohne sich zu verabschieden. Er geht einfach aus dem Haus, als alle schlafen.

Am nächsten Morgen wird Josef vermisst.

Weil der Pfarrer weiß, dass Josef keine Freunde hat und auch keinen in der Stadt kennt, informiert er die Polizei. Gleich darauf ist ein Streifenwagen vor Ort. Und im Schlepptau wieder Inspektor Sattler.

Diesmal hat er sogar die Erlaubnis, sich mit Josef näher zu beschäftigen. Er lässt sich zuerst Josefs Zimmer zeigen.

Aber das ist nicht besonders ergiebig. In Josefs Zimmer steht ein großer Kleiderschrank, der allerdings recht leer ist. Auch der Rest des Zimmers gibt nicht viel her. Ein Bett, ein Tisch und zwei Stühle sind darin. Mehr nicht.

Werner stellt sich in die Mitte des Zimmers. Wenn man aus dem Fenster sieht, hat man einen direkten Blick auf den Friedhof.

An den Wänden hängen keine Bilder und auch auf dem Tisch sind keine Briefe oder sonstige Papiere. Nichts Persönliches. Es könnte genauso gut ein Zimmer in einer kleinen Pension sein.

Als Werner die Matratze anhebt, erwartet er auch darunter nichts. Aber er entdeckt ein Pornoheft. Nichts Besonderes für einen jungen Mann. Aber wenigstens etwas Privates.

Werner geht wieder zurück zum Pfarrer. Er lässt sich von Josef berichten und erfährt so einiges über Josefs Kindheit und Jugend. Das Schicksal des jungen Mannes berührt ihn doch sehr.

Aber das erklärt nicht, warum Josef verschwunden ist.

Keiner der Anwesenden kann sich das Verschwinden erklären. Josef wird als einfältig, aber hilfsbereit beschrieben.

Der Pfarrer berichtet von einem Vorfall, bei dem sich Josefs Tierliebe gezeigt hat.

Eines Tages kehrt Josef die Blätter im Birkenhain auf dem Friedhof zusammen. Der Birkenhain ist ein etwa fünfzigmal fünfzig Meter großer Platz, auf dem Zweihundertfünfzig Birken gepflanzt wurden. Jede Birke steht für einen im 2. Weltkrieg in Russland gefallenen Soldaten aus der Stadt.

Mitten zwischen den Blättern findet Josef ein Vogeljunges, das aus dem Nest gefallen sein muss.

Voller Hingabe kümmert sich Josef um das Junge und versucht, es aufzuziehen. Da er aber keine Ahnung hat, wie und womit man einen Jungvogel ernährt, stirbt der Vogel etwa zwei Tage später. Tränenüberströmt muss Josef ihn dort beisetzen, wo er ihn gefunden hat.

Der Pfarrer erzählt diese Geschichte nur, um Josefs einfaches Gemüt zu beschreiben.

Auch die Haushälterin ist vol des Lobes über Josef. Er hat ihr oft beim Einkauf geholfen und die schweren Taschen getragen.

Doch so oft man sich bemühte, Josef konnte nicht alleine in ein Geschäft gehen und etwas einkaufen. Dazu hatte er erstens zu viel Angst vor den fremden Menschen und dann konnte er auch nicht einfach die Leute ansprechen.

Es hätte ihn sicher auch kaum jemand verstanden. Er konnte ja weder richtig sprechen noch schreiben. Im Alltag war er darauf angewiesen, dass immer die gleichen Dinge passierten.

Einmal war er mit der Haushälterin einkaufen gewesen. Da er nicht gerne in Geschäfte ging, weil man ihn da immer so anstarrte, blieb er draußen stehen.

Die Haushälterin hatte beim Metzger Fleisch bestellt. Und weil der Metzger ihr noch einige dosen frisch gemachter Leberwurst anbieten wollte, ging sie mit dem Metzger ins Kühlhaus.

Das hatte Josef nicht gesehen, weil er einem kleinen Hund nachsah, der an der leine vorüberging. Als Josef wieder in den Ladenblickte, war die Haushälterin nicht zu sehen.

Josef erschrak und schrie so laut er konnte. Für die Passanten, die das hörten, klang das sehr schrecklich. Durch den Lärm angelockt, kam die Haushälterin wieder in den Laden und Josef beruhigte sich wieder.

Jetzt ergab sich für Werner ein genaueres Bild. Er war sich jetzt nicht mehr sicher, ob der Junge Mann der gesuchte Mörder war, für den er ihn gehalten hatte.

Als die Polizisten schon gegangen sind, geht Werner noch etwas auf dem Friedhof spazieren. Er will die Gedanken ordnen und auch die Gelegenheit nutzen, etwas Ruhe zu genießen.

Er setzt sich auf eine Parkbank, die am Wegesrand steht. In unmittelbarer Nähe befindet sich der Engel, an dem Josef seine Opfer beobachtet hat.

Werner sieht wie zufällig in diese Richtung und stellt fest, dass das Gras rund um das Denkmal stark zertrampelt ist.

Neugierig kommt er näher. Er sucht den Boden nach Spuren ab, kann aber nichts finden. Auch die Gräber in der unmittelbaren Nähe geben keinen Aufschluss über das Geschehene.

Erst als er die Namen der Grabinschriften überfliegt, fällt ihm ein Name auf, den er schon einmal gelesen hat.

Da fällt es ihm auch ein: Das letzte Opfer war eine geborene Brettschneider.

Jetzt tauchten alle Einzelheiten des Falles vor ihm auf. Die Frau war nach dem Friedhofsbesuch nicht nach Hause gekommen. Ihr Mann erstattete Vermisstenanzeige.

Niemand hatte die Frau gesehen. Sie war einfach spurlos verschwunden.

So ganz ohne Spur aber denn doch nicht.

Inspektor Sattler sucht jetzt im Gras neben dem Grab. Und findet tatsächlich etwas. Ein Ohrring liegt im Gras.

Wie elektrisiert fährt Werner hoch. Doch ob es der Ohrring der Toten ist, weiß er natürlich nicht.

Aber er hat jetzt Anhaltspunkte. Das zertrampelte Gras um den Engel und der Ohrring neben dem Grab, das das Opfer besucht hat.

Wie ein Tier, das die Witterung aufgenommen hat, blickt er in alle Himmelsrichtungen. Aber es sind nur andere Gräber rings um ihn her.

So macht er sich auf den Weg in sein Büro, um den Ohrring untersuchen zu lassen. Dass er den Schmuck der getöteten Frau in der Hand hält, weiß er aber noch nicht.

Gerade als Werner auf die Kirche zuläuft, sieht er den Holzschuppen. Der Eingang ist vom Friedhof aus zu erreichen, aber durch eine Mauer vom Pfarrhaus getrennt.

Will man vom Pfarrhaus zum Holzschuppen, muss man über den Friedhof laufen.

Werner versucht in den Schuppen zu schauen, aber das Fenster ist so schmutzig, dass er nichts sehen kann.

Als er an der Tür rüttelt, merkt er, dass sie verschlossen ist.

Aber da die Tür nicht stabil ist, kann er sie mit viel Gewalt aufdrücken, ohne sie zu beschädigen.

Im Innern ist es zunächst stockdunkel. Aber durch die trübe Scheibe fällt doch ein wenig Licht. Es dauert einige Zeit, bis Werner sich an dieses Lichtverhältnis gewöhnt hat.

Aber dann sieht er, dass der Schuppen eigentlich viel größer ist, als von außen zu erkennen. ist.

Und er findet den Altar von Josef. Als er sich mit ausgestreckten Armen langsam vortastet, stolpert er über einen am Boden liegenden Holzscheit. Er kann sich gerade noch abfangen, bevor r auf dem Boden ankommt.

Als er wieder steht, sieht er, dass hier ein Tisch steht, auf dem einige Kerzen sind.

Er greift in seine Manteltasche und nimmt ein Feuerzeug heraus. Auch als Nichtraucher hat er immer Feuer dabei.

Er zündet die Kerzen an und sieht sich bei dem zunehmenden Licht genauer um.

Auf dem Tisch liegen alle Zeitungsmeldungen über die drei verschwundenen Frauen. Fein säuberlich geordnet sind die Berichte aus verschiedenen Zeitungen ausgeschnitten.

Daneben liegen ein T-Shirt, ein Halstuch und ein Nylonstrumpf. Von Allen Frauen waren Bilder in den Zeitungen.

Diese Bilder hingen über dem Tisch an der Wand. Die Bilder von Christina sind die größten.

Werner weiß sofort, dass er das Versteck des Täters gefunden hat. Aber was soll er jetzt machen? Einfach warten, ob der Mörder hierher kommt, um wieder bei seinen Trophäen zu sein? Das kommt nicht in Frage.

Werner muss etwas Aktives machen. Daher veranlasst er über Funk, dass ein Streifenwagen vor dem Friedhof parkt. Und dass ein Kollege in Zivil in der Nähe des Schuppens wartet, ob der Täter dorthin kommt.

Für Werner kommt als Täter nur der junge Mann aus dem Pfarrhaus in Frage. Aber beweisen kann man es nicht. Und der Mann ist obendrein auch verschwunden.

Es könnte ja auch sein, dass der Junge etwas gesehen hat und jetzt von dem Mörder genauso wie die Frauen entsorgt wird.

Also lässt Werner noch eine Fahndung nach dem Jungen Mann laufen.

Leider kann jetzt keine Spurensuche in dem Schuppen vorgenommen werden, weil Werner ja hofft, der Mörder käme zu seinem Altar zurück.

Er verschließt die Tür des Schuppens sorgfältig und geht wieder ins Pfarrhaus.

Dort befragt er die Haushälterin nochmals genau über den Jungen.

Er weiß instinktiv, dass die Haushälterin ein gutes Verhältnis zu Josef hatte. Deshalb stellt er seine Fragen so, dass sich Besorgnis um Josef daraus ableiten ließ. Aber die Haushälterin weiß nichts vom Holzschuppen. Sie lässt Josef im besten Lichte da stehen und ist bemüht, ein anständiges Bild von Josef wiederzugeben.

Hier kann Werner nichts mehr erfahren. Also verlässt er das Pfarrhaus und geht zu Fuß zurück ins Büro.

Inzwischen ist es dunkel geworden und Werner muss sich beeilen, will er noch vor Feierabend in seinem Büro erscheinen.

Dort wartet sein Freund und Kollege schon mit neuen Nachrichten auf ihn. Eine Funkstreife hat gemeldet, dass in der Gartenkolonie am Ostrand der Stadt eingebrochen sei.

Die Nachbarn haben einen Landstreicher bemerkt und die Polizei verständigt. Doch die Beschreibung des Landstreichers passt genau auf Josef.

Da die Person alleine ist, weiß Werner nun, dass Josef der gesuchte Täter ist.

Es passt auch alles so gut zusammen. Die Gegenstände auf dem Altar, aber nichts im eigenen Zimmer.

Auch der Ohrring passt nun ins Bild. Die Untersuchung des Ringes steht noch aus, aber Werner ist sich jetzt sicher, dass er den Ohrring der toten Frau in seiner Manteltasche hat.

Er veranlasst sofort die Untersuchung, doch mit einem Ergebnis ist so schnell nicht zu rechnen.

Auch die Funkstreife meldet, dass von dem Landstreicher keine Spur mehr zu finden ist. Ergebnislos wird die Suche abgebrochen.

Werner weiß, dass heute nichts mehr zu tun ist. Alles, was er jetzt unternimmt, dauert lange und wird so schnell kein Ergebnis bringen. Er hat die Fährte aufgenommen, aber er muss sich jetzt ausruhen, um keinen Fehler zu machen.

Auf der Flucht

Josef ist sich sicher, dass der Polizist, der ihn so lange angesehen hat, weiß, dass er etwas Schlimmes gemacht hat.

Er weiß auch, dass das, was er mit den Frauen gemacht hat, nicht gut ist. Dafür wird man ihn bestimmt bestrafen.

Aber jetzt ist es das erste Mal, dass Josef vor einer Strafe weglaufen kann.

Sonst kam die Strafe immer unerwartet. Meist wusste er gar nicht, ob er etwas verkehrt gemacht hatte.

Schon als Kind wusste er nicht, wie er sich verhalten musste, um keinen Ärger zu bekommen. Erst eine Ohrfeige oder andere Schmerzen zeigten ihm den richtigen Weg.

Er hatte dadurch gelernt, sich für die anderen unsichtbar zu machen.

Und genau dieses Verhalten hilft ihm jetzt. Es ist noch dunkel draußen und auch kalt Aber Josef friert nicht. Er ist Kälte gewöhnt. Nur Hitze mag er nicht. Hitze ist für ihn Feuer. Und Feuer hat ihm oft Schmerzen zugefügt. Er muss nur daran denken, wie die Stiefmutter ihn mit einer brennenden Zigarette gequält hat. Unwillkürlich juckt die Narbe auf dem Handrücken wieder.

Josef ist jetzt in der Stadt. Er kennt sich nicht aus, läuft aber direkt in das Neubaugebiet. Da es jetzt immer heller wird, beschließt er, in eins der fast fertigen Häuser zu gehen.

Vor einem Eckhaus ist keine Betonmaschine mehr und auch der Kran ist abgebaut. Als Josef durch die Fenster blickt, sieht er, dass das Haus fast fertig ist. Er weiß nicht, dass nachher noch Handwerker kommen könnten. Aber er hat Glück. An diesem Tag kommt niemand in dieses Haus. Er geht in den Keller und legt sich in einem Heizungsraum auf eine Packung Styropor-platten.

Kaum hat er sich hingelegt, ist er auch schon eingeschlafen. Bis zum Abend schläft er auf dem provisorischen Bett. Durch ein Geräusch wird er geweckt. Sofort ist er hellwach und versucht im halbdunkel zu erkennen, was ihn geweckt hat. Plötzlich sieht er, dass eine Ratte wegläuft. Sie hat einen leeren Eimer umgeworfen. Da Josef schon wach ist, macht er sich auch gleich wieder auf den Weg. Aber wohin soll er gehen? Er kennt niemanden in der Stadt und er mag es auch nicht, mit so vielen Menschen zusammen zu sein. Als er aus dem Haus gehen will, sieht er im Flur eine Tasche. Vermutlich hat einer der Arbeiter sie hier vergessen. Neugierig sieht er hinein. Neben einer alten Hose findet er eine Thermoskanne und eine Butterbrotdose. Sofort meldet sich sein Magen. Er hat schon längere zeit nichts gegessen. Der Tee in der Thermosflasche ist kalt und die Brote sind auch nicht mehr frisch. Aber das stört Josef nicht.

Nachdem er die Brote verschlungen hat geht er weiter auf der Hauptstrasse bis an den Ortsrand. Er verlässt das Dorf und läuft über Feldwege. Mittlerweile ist es dunkel, aber hier im freien Gelände leuchten die Sterne hell.

Was Josef jedoch nicht bemerkt, ist dass die Wirtschaftswege, auf denen er läuft, wieder zum Ort zurückführen.

Nach einigen Stunden der Wanderschaft kommt Josef also wieder im Ort an. Er steht nun vor einer großen Mauer, die ein Grundstück umfasst. Josef läuft einige Meter an der Mauer entlang, kann aber keine Tür finden. Kurz entschlossen klettert er an der Mauer hoch, um hinüber zu sehen. Er blickt in einen weitläufigen Park, an dessen Ende eine Villa steht.

Ohne dass er groß nachdenkt, springt er von der Mauer herunter und läuft durch den Garten, vorbei an dem kleinen Teich direkt auf das Haus zu. Er sieht durch das Fenster in einen Raum. Da er gefallen an dem Haus findet, möchte er ins Haus gelangen. Er läuft an der Außenwand entlang und um die Ecke. Die Terrassentür sieht für ihn verlockend aus. Auf der Terrasse steht ein Grillwagen mit einem großen Drehspieß. Diesen nimmt Josef zu Hilfe, um die Tür aufzubrechen.

Dass der Krach den Besitzer aufwecken könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.

Als er es endlich schafft, die Tür aufzuhebeln, ist er Schweiß überströmt. Allerdings wird er auch langsam zornig, obwohl er nicht weiß warum. Er sieht sich in dem Raum um. Er hat plötzlich einen riesigen Hunger. Auf seiner Suche durchwühlt er alle Schränke und Schubladen. Weil er nichts findet, wird er immer zorniger. Er fegt sogar die Bilder von den Wänden, weil seine Wut immer größer wird.

Jetzt kann ihn nichts mehr halten. Er stürmt die Treppe hinauf als er plötzlich einer Frau gegenübersteht. Beide sind gleichermaßen geschockt, doch Josef hat sich schneller wieder gefangen.

Immer noch außer sich vor Zorn packt er die Frau am Hals und will sie auf den Boden werfen. Wie leicht sie ist, denkt er noch, als er sie mit Schwung zu Boden wirft. Er hat ihren Hals so fest zugedrückt, dass sie keinen Atemzug mehr machen kann. Als er sie loslässt, ist sie ohnmächtig. Doch der Kehlkopf ist eingedrückt und so kann sie nicht mehr atmen. Sie stirbt recht schnell.

Josef indessen springt nun wie ein Kobold durch die Villa. Er weiß nicht, was er machen soll. Er hat wieder etwas unrechtes getan. Das weiß er. Aber er weiß nicht, dass die Frau tot ist. Es interessiert ihn aber auch nicht. Plötzlich sieht er im Gewehrschank die vielen Gewehre. Er nimmt eines heraus und hängt es sich über die Schulter. Aus einer Schublade nimmt er 2 Schachteln Patronen heraus. Es sind Schrotpatronen, die in das Gewehr passen, das er sich gegriffen hat. Er steckt sich die Patronen in die Jackentasche und schließt die Schublade wieder. Auf seinem Weg nach draußen findet er noch eine Schale mit trockenem Brot. Er steckt es in seine Jackentasche und geht durch die Terrassentür wieder hinaus in den Garten. Jetzt findet er das Ausgangstor. Es ist nicht verschlossen. Also geht er hindurch und zieht es hinter sich zu.

Die kalte klare Nachtluft hat ihn wieder beruhigt. Er läuft jetzt gemütlich die Straße hinunter, genüsslich an seinem Brot knabbernd. So kommt er in die Dorfmitte auf den Marktplatz. eine plötzliche Müdigkeit überkommt ihn, und so setzt er sich auf eine Bank am Marktplatz und schläft ein. Durch laute Stimmen wird er wach. Passanten haben ihn entdeckt. Das Gewehr, das er umgehängt hat, macht ihn nicht sympathisch. Also haben die Leute die Polizei gerufen, die jetzt mit lautem Sirenengeheul auf den Marktplatz einbiegt.

Instinktiv duckt sich Josef hinter die Bank auf der er gelegen hat und nimmt das Gewehr von der Schulter.

Die Polizisten sehen das und treten den Rückzug an. Sie fordern über Funk Verstärkung an. Und über Lautsprecher fordern sie Josef auf, die Waffe abzulegen und sich zu ergeben. Josef ist total verstört. Er zielt mit dem Gewehr auf das Polizeifahrzeug.

Als er den Finger am Abzug krümmt, löst sich krachend ein Schuss aus der Waffe. Der Rückstoß haut ihn fast um. Doch er hat auch getroffen. Jedenfalls haben einige Schrotkörner das Blaulicht vom Wagendach gefegt. Woraufhin die Polizisten zu Fuß in gebückter Haltung weggerannt sind.

Das gibt Josef Zeit, sich umzusehen. Der Marktplatz ist ungefähr zweihundert Meter breit und dreihundert Meter lang. In der Mitte steht der Marktbrunnen mit den Bänken davor. Auf einer Seite sind das Rathaus und der Ratskeller, danach sind einige Geschäfte und Gaststätten angesiedelt. Gegenüber dem Rathaus ist eine Kirche.

Josef rennt quer über den Platz auf ein Geschäft zu. Der Besitzer hat gerade angefangen, Postkartenständer herauszuräumen. Josef springt vor den Mann und packt ihn am Kragen. Mit der Faust schlägt er ihm gegen die Schläfe. Der Mann fällt ohnmächtig in sich zusammen. Josef fängt ihn auf, bevor er ganz zu Boden sinkt. Er wirft ihn sich über die Schulter und geht mit ihm in das Geschäft.

Es ist ein kleiner Andenkenladen, der Postkarten, Schreibwaren und kleine Geschenke verkauft.

Hinter dem Tresen ist ein Durchgang zu einem Hinterzimmer.

Josef geht hinter den Tresen und legt den Mann an den Eingang zum Hinterzimmer auf den Boden.

Während dessen sind mehrere Streifenwagen auf dem Marktplatz eingetroffen.

Hilflos mussten die Beaamten mit ansehen, wie der Täter den Geschäftsmann als Geisel nimmt und sich im Geschäft verschanzt.

Alle warten auf das Eintreffen der Kommissare und auch des Spezial-Kommandos, das für Geiselnahmen vorgesehen ist. Doch die Spezialkräfte müssen erst aus über 50 Kilometern anfahren. Inspektor Werner Sattler jedoch ist zufällig in der Nähe und recht schnell am Einsatzort.

Vom ranghöchsten Polizisten lässt er sich die Lage erklären. Als der Täter beschrieben wird, ahnt Werner, wen er vor sich hat. Er lässt sich ein Megaphon geben und versucht mit Josef zu sprechen.

Josef hat sich hinter den Tresen gekauert und versucht, den Platz zu überblicken. Allerdings hat er keine gute Aussicht von seinem Platz aus. Er kann nur durch das Fenster in der Tür blicken und sieht so nur den Eingang zum Ratskeller. Vorsichtig kriecht Josef hinter ein Schaufenster und blickt nach draußen. Zunächst kann er nichts erkennen. Doch dann hört er die Stimme des Polizisten, der ihn schon bei seinem Pfarrer ausgefragt hat. Er kann ihn nicht leiden und will nicht mit ihm sprechen. Auch nicht, als der Inspektor mit dem Megaphon zu ihm spricht.

Inzwischen sind die Spezialkräfte eingetroffen. Scharfschützen verteilen sich auf den umliegenden Gebäuden, Krankenwagen und Feuerwehr stehen bereit. Der Leiter der Spezialeinheit bespricht mit Inspektor Sattler das geplante Vorgehen. Oberstes Gebot ist die Sicherheit der Geisel. Während die beiden verhandeln, kommt auch das Verhandlungsteam hinzu. Das sind geschulte Fachkräfte, die mit dem Geiselnehmer Kontakt aufnehmen sollen und ihn zum Aufgeben überreden sollen. Die Techniker haben mittlerweile eine Standleitung zum Telefon in dem Geschäft eingerichtet. Über diese versuchen nun die Verhandlungsführer Kontakt zu dem Geiselnehmer aufzunehmen.

Josef sieht sich gespannt das Treiben auf dem Marktplatz an. Er weiß nicht, was alles geschieht, aber er spürt, dass man ihn fangen und bestrafen will. Das will er unbedingt verhindern. Wieder steigt langsam Wut in ihm hoch. Er sieht die schwarz gekleideten Scharfschützen, die er allerdings für böse Menschen hält.

Instinktiv bleibt er von dem Schaufenster weg.

Das Klingeln des Telefons erregt ihn noch mehr. Zuerst hält er sich die Ohren zu. Aber das Telefon klingelt weiter. Als er es nicht mehr aushält, greift er sich den Hörer und schreit hinein. Dann wirft er ihn wieder auf die Gabel. Aber so schnell geben die Unterhändler nicht auf. Das Telefon klingelt wieder. Es hört einfach nicht auf. Da Klingeln bereitet Josef körperliche Schmerzen. Seine Wut steigert sich immer mehr. Vor Zorn springt er im Laden herum und wirft Postkartenständer um und fegt mit einem Schwung die Verkaufstheke leer.

Der Ladenbesitzer ist in der Zwischenzeit wieder aus seiner Ohnmacht erwacht.

Er hat gesehen, wie Josef wie ein Tier durch seinen Laden springt und sich ganz leise in die hinter ihm liegende Wohnung geflüchtet. Das Zimmer, das an den Laden angrenzt, ist das Büro des Laden, in dem viele Regale stehen und an einem kleinen Schreibtisch ein Computer. Der Mann schleicht sich vorsichtig durch das Büro zu einer Tür. Diese Führt in den Flur und weiter nach draußen. So leise er kann geht der Ladeninhaber vor die Tür. Draußen geben die Polizeibeamten ihm ein Zeichen, dass er sich ruhig verhalten soll, denn von oben seilt sich ein Spezialist vom Dach zu ihm hinunter. Er legt dem Mann einen Gurt um und zusammen klettern sie an der Fassade hoch aufs Dach in Sicherheit.

Jetzt wo die Geisel befreit und in Sicherheit ist, können die Einsatzkräfte einfacher vorgehen.

Die Verhandlungsspezialisten versuchen immer noch, einen Kontakt zu Josef herzustellen. Doch der Einsatzleiter der Spezialkräfte würde den Laden gerne stürmen. Inspektor Sattler vertraut dem Verhandlungsteam und möchte erreichen, dass der Täter unverletzt und unspektakulär gefasst wird.

Während die Polizisten untereinander nicht einig sind, steigert sich bei Josef immer mehr die Wut und Aggressivität. Er kann sich nicht konzentrieren und gerät immer mehr in Panik. Er nimmt das Gewehr und schießt wahllos aus dem Fenster. Durch den Schuss erschreckt, gehen alle Polizisten in Deckung. In diese Stille hinein hört man Josef toben. Er stößt schreckliche Laute aus. Vor Zorn und Wut hat sich sein Speichel aufgeschäumt und tropft aus dem Mund. Mit lautem Gebrüll stürzt er plötzlich aus dem Laden. Das Gewehr hat er in der rechten Hand. Es ist nicht nachgeladen, was allerdings keiner der Polizisten weiß.

Auch Josef weiß nicht, dass die Jagdflinte nur zwei Schuss hat. Er kennt sich mit Waffen nicht aus.

Er rennt quer über den Platz, genau auf die Kirche zu. Allerdings haben sich auch dort einige Menschen, die vorher noch auf dem Marktplatz waren, hinein geflüchtet. Die sind jetzt bedroht.

Deshalb gibt der Einsatzleiter der Spezialeinheit, das Zeichen zum Finalen Rettungsschuss. Von der Kugel mitten im Lauf getroffen überschlägt sich Josef einmal und landet auf dem Rücken. Seine Augen blicken starr nach oben.

45

Epilog

 

Bei den Nachermittlungen zu Werner Sattlers erstem Fall klärt sich auf, wer die Frauen ermordet hat. Die Akte, die zuerst nur sehr dünn war, hat sich schnell gefüllt.

Nach und nach ist der Tatablauf der drei Morde aufgeklärt. Die Leichen wurden gefunden. Die Leiche von Christina wurde exhumiert und in einem eigenen Grab bestattet. Die Leichen der beiden anderen Frauen wurden auch gefunden und beigesetzt. Das Puzzle setzte sich immer mehr zusammen und ergab dann ein Bild.

Obwohl der Fall nun abgeschlossen war, ermittelte Inspektor Sattler den Lebensweg von Josef. Er sprach mit dem Pfarrer und erfuhr so von dem Kloster. Dort lernte er den Abt kennen und erfuhr die Einzelheiten von Josefs erster Zeit. Und er fand Josefs Mutter.

 

Sie hat sich von ihrem Elternhaus losreißen können. Nach dem sie Josef ausgesetzt wollte sie zunächst wieder in die Wohnung zurück.

Doch eigentlich hat niemand sie wirklich vermisst. Zunächst lief sie ohne Ziel durch die Gegend, bis sie zum Bahnhof kam

Dort traf sie eine Gruppe Jugendliche, die hier hausten. Sie schloss sich zunächst der Gruppe an, bis sie merkte, dass die meisten nur Alkohol tranken und dann Rauschgift nahmen. Das wollte sie nicht. Zufällig kam ein Sozialarbeiter zu der Gruppe. Anne vertraute sich ihm an und er besorgte ihr eine Wohnung. Er half ihr, die Wohnung einzurichten und besorgte ihr einen Arbeitsplatz als Kassiererin in einem Supermarkt. Nach und nach baute sie sich ein eigenes Leben auf. Sogar einen netten Mann fand sie und gründete mit ihm eine kleine Familie. Sie dachte oft an ihr erstes Kind. Doch als sie von Inspektor Sattler erfuhr, was sich zugetragen hatte, war sie zutiefst erschüttert. Sie hatte gehofft, er habe ein glückliches Leben. Dass es so endete, stimmte sie traurig.

 

Simone, Paula und Clemens kamen zu einer Pflegefamilie. Dort konnten sie zunächst ein geregeltes Leben führen. Doch Clemens hatte es schwer. Er konnte es nicht verkraften, dass er nicht mehr für seine Geschwister sorgen konnte und lief weg. In seiner Verzweiflung stürzte er sich von einer Brücke vor einen gerade unten durch fahrenden Zug. Er war auf der Stelle tot.

Simone konnte sich auch nicht richtig an ein geregeltes Leben gewöhnen.

Zunächst wurde sie ihrem Alter entsprechend in die fünfte Klasse eingeschult. Doch sie konnte dem Unterricht nicht folgen und musste im 3. Schuljahr weitermachen. Es fiel ihr schwer und sie war nicht nur älter sondern auch größer als die anderen Kinder in ihrer Klasse. Sie schwänzte oft den Unterricht und ging zwei Jahre später überhaupt nicht mehr zur Schule. Sie freundete sich mit einer Gruppe an, die mit Rauschgift handelte. Über das Rauschgift kam sie zur Prostitution. Als Josef starb, war sie allerdings nicht mehr auf der Strasse unterwegs, sondern hatte mit einer Freundin einen kleinen Nachtclub übernommen. So hatte sie am Ende doch noch so etwas wie ein geregeltes Leben.

 

Paula, die kleinste, konnte sich am Besten in ihre neue Familie integrieren. Sie ging regelmäßig zur Schule und schaffte den Sprung zum Gymnasium. Zwar erzielte sie keinen glänzenden Abschluss, aber ein Studium der Architektur konnte sie erfolgreich zu Ende bringen. Mit ihrem Freund, der ebenfalls studiert hat lebt sie in einer 2-Zimmer-wohnung in einer anderen Stadt. Die erste Zeit in ihrem Leben hat sie stark verdrängt. Nur manchmal träumt sie noch von dem Kinderwagen, der mit Josef in den See rollt.

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Tag der Veröffentlichung: 18.10.2013

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