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Die Sonne scheint durch das Fenster im Schlafzimmer. Kleine Staubkörnchen tanzen im Licht.
Doch ich kann jetzt nichts sehen. Mir brummt der Schädel. Und nicht, weil ich etwa gestern dem feurigen Roten so zugesprochen hätte. Nein, ich habe Kopfweh. Und Halsweh. Und husten muss ich. Und die Nase läuft.
Mit anderen Worten, ich habe eine Erkältung. Ach was! Erkältung! Ich habe eine ausgewachsene Grippe. Eine Echte Influenza. Mir ist hundeelend und ich fühle mich wie gerädert. Alle Knochen tun mir weh.
Und wenn ich niesen muss, hab ich das Gefühl, mir zerspringt der Schädel.
Die beste alle Ehefrauen hat da wenig Mitleid mit mir. Gerade eben hat sie die Gardinen in unserem Schlafzimmer aufgerissen. Und natürlich das Fenster sperrangelweit geöffnet. Wenn ich mich nicht schon erkältet hätte, dann jetzt.
Sie sagt, Frischluft hat noch nie geschadet.
Aber ich kann ja ruhig erfrieren.
Dabei ist draußen ein echter Herbst. Es ist meist regnerisch oder neblig draußen und der Winter hat seine Vorboten schon geschickt. Gestern hatten wir den ersten Raureif. Dass heute die Sonne ihre Strahlen zur Erde schickt, ist zwar ein schöner Zug, aber wenig hilfreich. Die wärmenden Strahlen gelangen nicht zur Erde.
Inzwischen hat Ruth doch mitbekommen, dass es mir nicht gut geht.
Besorgt legt sie mir ihre kühle Hand auf die Stirn und wiegt bedächtig den Kopf. Sie schließt das Fenster wieder und wirft mir die Decke über. Dann ist sie fort.
Doch gleich darauf erscheint sie wieder. Sie hat das digitale Fieberthermometer geholt. 38,5 zeigt es an! Also bin ich Tod-krank.
Leider macht unser Hausarzt keine Krankenbesuche.
So muss ich denn zu ihm hin.
Gott Lob hat die beste aller Ehefrauen schon einen Termin ausgemacht.
Und weil sie einsieht, wie schwer krank ihr Gatte ist, hat sie mir auch einen Pott heiße Milch mit Honig gemacht. Und das Frühstücksbrötchen darf ich auch im Bett einnehmen. So gefällt mir das Kranksein schon besser.
Wenn nur nicht diese elende Husten wäre. Und die Kopfschmerzen. Das fühlt sich an, als hätte jemand meinen Kopf in einen Schraubstock gepackt und würde immer mehr zudrehen. Aber ich will ja nicht jammern.
Schließlich mache ich mich auf den langen und beschwerlichen weg zum Hausarzt.
Dort angekommen, sehe ich die Sprechstundenhilfen wieder. Zwei der drei Damen sind mir unbekannt. Aber sie sind beide eine Augenweide. Mein herz macht einen Hüpfer, als mich die Dunkelhaarige anlächelt und mein Kärtchen verlangt. Ich lausche noch ihrer Stimme nach, als ich merke, dass ich sie mit offenem Mund anstarre. Um nicht albern zu wirken reiße ich mich von meinen wilden Gedanken los und gebe ihr das Gewünschte.
Mit einer schwungvollen Geste geleitet sie mich sodann ins Wartezimmer.
Das Wartezimmer ist ein kleiner Raum, in dem nur ein Fenster ist, ein Tisch mit zerwühlten Frauenzeitschriften und an allen Wänden stehen Stühle. Ich überlege, warum um alles in der Welt in jedem Wartezimmer immer nur diese unsäglichen Frauenzeitschriften ausliegen. Ich glaube, das sind keine Frauenzeitschriften, sondern Wartezimmer-Zeitschriften. Wahrscheinlich müssen Reporter, die noch keine große Story geschrieben haben, erst einmal solche Klatschgeschichten schreiben. Immer über die Könige und Prinzen und die Schlagersänger und alternde Schauspieler.
Das Beste an solchen Heftchen sind die Kreuzworträtsel. Aber die in diesen zerfledderten Blattsammlungen sind alle schon gelöst.
Was gibt es im Wartezimmer besseres zu tun, als sich die Leute anzusehen, die mit einem hier auf unbequemen Plastikstühlen sitzen und sich ein Heft vors Gesicht halten.
Kann es sein, dass Wartezimmerstühle von Designern gemacht werden, die noch keinen großen Namen haben? Haben sie schon einmal in einem normalen Möbelgeschäft solch einen unbequemen, hässlichen Plastikstuhl gesehen?
Da ist sicher ein ganzer Industriezweig dahinter verborgen. Autoren für die schrecklichen Zeitschriften, speziell geschultes Personal, das die frisch gedruckten Magazine durchblättert und mit Eselsohren versieht, erfolglose Möbeldesigner und unkreative Innenausstatter, denen die Ideen ausgegangen sind.
Während ich also so in meinen Gedanken versunken bin und nur ab und zu huste, weil mir sonst der Bauch weh tut, räuspert sich mein Nachbar.
Und dann erzählt er auch schon munter drauflos.
„Na, Kamerad, haste auch so Schmerzen? Ich hab ja solche Schmerzen im Knie“, jammert er los.
Eine Arthrose habe er, die sich gewaschen hat. Der Arzt, der ihn überwiesen hat wollte gar das Röntgenbild für seine Sammlung kurioser Beschwerden.
Noch ehe ich antworten kann, meldet sich der Nachbar zu meiner linken.
„Ich hab Gischt in den Fingern“ sagt er und hält die rechte Hand waagrecht vor den Brustkorb. Sie sieht aus wie eine normale Hand. „Ich kann die Finger gar nicht krumm machen.“ Höllenschmerzen sind das.
Mein gegenüber mischt sich jetzt ein. “Von wegen Höllenschmerzen. Hier, ich hab mir mit dem Messer in die Hand geschnitten. Hat geblutet wie ein Schwein. Aber kein einziger Laut ist über meine Lippen gekommen“ Drohend hebt er seine verbundene Hand hoch. Der Verband ist schmutzig-grau und durchgeblutet.
Jetzt mischt sich eine ältere Frau ein: „Ihr Waschlappen!“ schimpft sie. “Ihr wollt Helden sein? Memmen sein ihr! Mir haben sie die Krampfadern gezogen. Die waren groß wie blaue Spaghetti. Und ohne Narkose.“
Gerade als ich auch was sagen will zu meinen Schmerzen, die angesichts dieser extremen Leiden wie Kinderkram anmuten, da rettet mich die hübsche Dunkelhaarige, indem sie mich ins Arztzimmer rief.
Dort angekommen, untersuchte mich der Arzt gründlich und stellte auch prompt eine ausgewachsene Grippe fest. Er gab mir ein Privatrezept für schleimlösende Hustenkapseln und den Ratschlag, bei Fieber wieder zu kommen und entließ mich dann.
Zu Hause angekommen, ging es mir zwar wieder besser, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Meine Frau bereitete mir dann eine kräftige Hühnerbrühe zu und packte mich in warme Decken auf mein Sofa. Sie schaltete mir sogar den Fernseher ein. So ließ sich die Erkältung ertragen.
Und jetzt weiß auch jeder, warum Männer so wehleidig sind.
Wenn sie sich als Kind weh getan haben, kam die Mama und hat getröstet. Auf den Finger gepustet oder irgendwie sonst abgelenkt.
Da jetzt keine Mama da ist, muss das halt die Beste aller Ehefrauen machen.

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Tag der Veröffentlichung: 21.06.2011

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