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Es ist ein sonniger Sonntagmorgen und ich sitze am abgeräumten Frühstückstisch. Vor mir ist die Zeitung ausgebreitet und ich mache das große Wochenendrätsel. So wie jeden Sonntagmorgen. Oder besser gesagt, ich fülle Buchstaben ein, wo ich keine Lösung weiß. So habe ich am Ende ein vollständig gelöstes Rätsel. Mir gegenüber sitzt die beste aller Ehefrauen. Auch sie hat einen Teil der Zeitung vor sich ausgebreitet. Still liest sie die Artikel, die mich kaum interessieren. Es ist so still in unserem Esszimmer, dass man das Ticken der Uhr hört und durch die geschlossenen Fenster das Zwitschern der Vögel. Plötzlich hebt sie den Kopf und schaut mich an. „Dieses Jahr gibt es keine Weihnachtsgeschenke!“ Da ich gerade mit „Lebensende mit drei Buchstaben“ beschäftigt bin, ich weiß nicht, ob ich Ehe oder Tod hinschreiben soll, habe ich nur Geschenke gehört. An meinem Blick erkennt sie, dass ich nicht verstanden habe, was der Sinn ihrer Äußerung ist. „Dieses Jahr schenken wir uns zu Weihnachten gegenseitig nichts. Wir sind erwachsene Menschen und haben so etwas nicht nötig. So ein verordnetes Fest, voller Kitsch und Kommerz. Gestern habe ich im Supermarkt schon die ersten Nikoläuse gesehen. Wo doch hier die Sonne so schön scheint.“ Tatsächlich ist nur heute schönes Wetter und die letzte Woche war total verregnet und auch der Wetterbericht sprach vom sich zu Ende neigenden Herbst. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass ich jetzt nichts sagen darf. Sie ist noch nicht fertig. Und tatsächlich: “Ich finde das wird immer alberner. Hast du letztes Jahr gesehen, wie viele junge Menschen mit einer Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf durch die Straßen gehen. Und dann ewig dieses amerikanische Gedudel von Dschingel Bells. Das ist für mich das schrecklichste Weihnachtslied. Gibt es denn keine einfachen Weihnachtslieder. So von Freddy Quinn oder James Last?“ Ich werfe ein vorsichtiges „Aber was hat das mit uns zu tun“ ein, aber sie holt nur Luft: „Und wenn ich im Fernsehen diese blödsinnige Kaffee-Werbung sehe, platzt mir der Kragen. Als ob wir an Weihnachten nur Kaffee trinken würden……“ Vor Ärger verschlägt es ihr die Sprache. Ich nutze die Chance und frage kleinlaut: „Und deswegen schenken wir uns nichts mehr zu Weihnachten?“ „Ich werde auf keinen Fall diesen Zirkus länger mitmachen. Ich rufe jetzt unsere Kinder an, damit die Bescheid wissen.“ Gott sei Dank hat unser Fräulein Tochter schon immer einen beruhigenden Einfuß auf die Gemütslage meiner Frau gehabt. Schon nach kurzen 25 Minuten legt sie den Höherer mit einem Lächeln auf. Ganze zwei Wochen später, ich hab die Sache längst vergessen, sehe ich beim Heimkommen, dass meine Frau den Katalog zur Seite legt, bevor sie mich begrüßt. Es ist nicht irgendein Katalog. Es ist der vom Elektro-Versand. Den mag ich besonders. Da sind immer die neuesten technischen Errungenschaften drin. Computer, Laptops und mobile Telefone sind auch dabei. Eigentlich alles Dinge, die sie nicht interessieren. Leider hat sie den Katalog zu geklappt und ich kann nicht sehen, was sie betrachtet hat. Aber ich brauche es auch nicht zu wissen. Es ist mein Weihnachtsgeschenk. Da bin ich sicher. Also hat sie die Sache mit dem Verzicht auf den Kommerz doch nicht so Ernst genommen. Aber jetzt bin ich an der Reihe. Mir fällt gerade ein, dass sie neulich beim Stadtbummel vor dem Schaufenster des Kleiderladens so geseufzt hat. Eine der Schaufensterpuppen trug ein weißes Kleid mit roten Mohnblumen drauf. Und auf dem Kopf hatte sie einen Strohhut mit einem roten Band. An einem Arm baumelte eine große rote Handtasche und die Puppe hatte rote Schuhe an. Da ich jetzt nicht mehr genau weiß, wem der Seufzer galt, eile ich in das Geschäft, um zu sehen, was noch da ist. Schon von weitem leuchtet mir das rote Band am Strohhut entgegen. Und die Hand mit der Tasche hat sie leicht angehoben, als würde sie mir zuwinken. Natürlich erkenne ich das Zeichen, das mir die Dame gibt und betrete mutig den Laden. Die Verkäuferin, eine Dame in meinem Alter, schaut mich erwartungsvoll an. Also sage ich, dass ich das Kleid aus dem Schaufenster möchte. Und die Tasche, den Hut und die Schuhe. Gott sei dank fragt die Verkäuferin nicht lange rum und packt mir das gewünschte ein. Sie fragt nicht nach der Größe, weil sie weiß, dass das Kleid bei der nächsten Gelegenheit gegen ein passendes umgetauscht wird. Also mache ich mich mit meiner Beute so schnell wie möglich auf den Heimweg. Zu Haus angekommen, stelle ich fest, dass niemand da ist. Freudig verstecke ich die Tüte in meinem Kleiderschrank. Gerade als ich fertig bin, sehe ich, dass die beste aller Ehefrauen auch nach Hause gekommen ist. Als sie mich sieht, erschrickt sie und hält die Hände so krampfhaft hinter dem Rücken. „Mein Geschenk“ durchfährt es mich. Also mache ich ihr Platz und schaue bewusst zur Seite. Sie gleitet mit einem künstlichen Lächeln an mir vorbei und haucht mir im vorbeigehen noch einen Kuss auf die Wange. Jetzt ist Weihnachten gerettet, denke ich und vergesse die ganze Sache wieder. Und so zieht der heilige Abend unaufhaltsam immer näher und näher. Die Stadt ist erfüllt vom Klang der „Dschingel Bells“ und in der Luft liegt ein Duft von Lebkuchen und Popcorn. Die Kaffeewerbung geht auch mir auf die Nerven und die jungen Leute mit den Weihnachtmannmützen finde ich dieses Jahr noch alberner. Am heiligen Abend ist die Familie komplett vereint. Julia, die Tochter, ist mit ihrer Familie schon vor drei Tagen gekommen und sogar Thomas hat es geschafft, mit seiner Freundin hier zu sein. Die Stimmung könnte nicht schöner sein. Der Weihnachtsbaum, den wir traditionsgemäß am 20.Dezember gekauft haben, sieht dieses Jahr wieder aus, wie aus dem Bilderbuch. Und unter dem Baum steht, wie jedes Jahr, die Krippe, die ich damals gebastelt habe, als wir zum ersten Mal Weihnachten gefeiert haben. Meine Ruth und ich. War das schön, damals. Wir waren jung und hatten noch so viel vor. Die Kinder waren noch nicht da und wir waren frisch verliebt. Das war das schönste Weihnachtsfest. Es kamen noch viel andere, auch schöne, aber an dieses Fest erinnere ich mich besonders gern. Weil es eben unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest war. Seit dem gibt es am heiligen Abend Kartoffelsalat und Würstchen, wenn wir aus der Kirche kommen. Und dann ist Bescherung. Also noch nicht gleich. Zuerst lese ich noch die heilige Geschichte vor und wir singen gemeinsam ein Weihnachtslied, meist „Oh Tannenbaum“, das kann ich am besten brummen. Aber dann gibt’s die Geschenke! Julia hat für jeden von uns ein kleines Päckchen und auch Thomas gibt jedem ein Geschenk. Viktoria, unser Enkelkind, kräht vor Vergnügen, weil sie einen Beißring geschenkt bekommen hat. Jeder gibt jedem ein Päckchen und alle sind damit beschäftigt die Überraschungen auszuwickeln. Genau in dieser Herz erweichenden Stimmung sehe ich, wie meine Frau auf ihrem Sessel sitzt und sich immer wieder die Tränen der Rührung aus den Augen wischt. Sie ist die einzige, die kein Geschenk auswickelt. Aber ich kann es nicht mehr mit ansehen, wie sie leidet. Ich weiß genau, dass jetzt ihr Herz überläuft vor Rührung und sie die kleine Viktoria nur auf ihren Schoß nimmt, um sich abzulenken. Also schleiche ich ins Schlafzimmer an meinen Schrank und hole die Tüte heraus. Ich habe es sogar geschafft, die einzelnen Teile einzupacken. Mit der Tüte hinter dem Rücken baue ich mich vor ihr auf. Sie sieht mich an und ich überreiche ihr mein Geschenk. Sie nimmt es und fällt mir um den Hals. Ich merke wie ihr Körper zittert und halte sie nur fest. Plötzlich macht sie sich los und ich sehe, dass sie nicht weint, sondern lacht. „Wie schön, dass du meine Rede von neulich nicht so ernst genommen hast. Ich hatte mich zwar wirklich über den Weihnachtsrummel aufgeregt, aber Julia hat mich wieder auf den Boden zurück geholt. Und natürlich habe ich auch ein Geschenk für dich.“ Spricht sie und reicht mir ein Päckchen. Es ist kein High-Tech gerät, sondern die tolle Armbanduhr, die ich schon vor Wochen gesehen hatte. Jetzt erinnere ich mich, dass ich bei ihrem Anblick irgendwie seltsam geseufzt habe. Und das ist auch genau das, was Weihnachten ausmacht. Man freut sich über die Geburt Jesu und schenkt sich gegenseitig etwas, das Freude macht. Der Weihnachtsrummel ist zwar ein leidiges Übel aber es gibt auch schöne Seiten daran. Ich denke nur an den letzten Bummel über den Weihnachtsmarkt. Es riecht nach Bratwurst und Pferdekarussell, kleine Kinderbäckchen glühen vor Freude auf dem Weinhnachtsschlitten und über allem klingt ein Posaunenchor. Oh du fröhliche.

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Tag der Veröffentlichung: 19.06.2011

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