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Der Wasserhahn oder selbst ist der Mann

Auf dem Sofa im Wohnzimmer habe ich es mir gemütlich gemacht.
In meine ausgeleierte Jogginghose gehüllt, der immer noch stramme Oberkörper steckt in einem weißen Unterhemd, liege ich da und halte ein Buch vor mein Gesicht. Ein zufälliger Beobachter könnte meinen, ich würde lesen.
Dabei soll es nur mein Gesicht beschatten, damit ich ein wenig schlafen kann.
Das Buch ist so am Sofa abgestützt, dass es nicht herunter fällt, wenn ich einschlafe. Und da ich nicht schnarche, sondern nur ruhig atme, ist die Täuschung perfekt.
Natürlich nicht für meine Ruth!
Mit geschultem Blick hat sie bemerkt, dass ich mich dem süßen Nichtstun ergeben habe.
Und das ist genau das, was sie nicht leiden kann. Während sie im selben Zimmer steht, das Bügelbrett vor dem Bauch und den Fernseher im Blickfeld und die Wäschestapel um sich herum verteilt, darf ich nicht nichts tun.
„Hörst du den Wasserhahn?“
Natürlich höre ich den Wasserhahn.
Er tropft.
Und das schon einige Tage lang.
„Da muss ich mal den Klempner anrufen“, stichelt meine Gute.
Und trifft genau meinen Nerv.
Wegen eines tropfenden Wasserhahnes ruft man keinen Klempner.
Wozu wünsche und erhalte ich jedes Jahr zum Geburtstag und zu Weihnachten ein hochtechnisches Werkzeug. Die alte Vorratskammer habe ich extra als Werkzeugkammer umgerüstet. Da sind die tollsten Maschinen dabei. Ein Bohrhammer mit 2500 Watt, ein Einhandwinkelscheifer, ein komplettes Ratschen-Set, ein Gewindeschneide-Set und noch vieles mehr. In den Regalen in Griffhöhe liegen die Werkzeuge, die ich öfter brauche: Hammer, Zange, Schraubendreher, Wasserwaage, Maßstock oder Schraubzwinge, um das Nötigste zu nennen.
Natürlich alles schön geordnet nebeneinander.
Und dann meine Kleinteil-Sammlung:
In Einmachgläsern ruhen Schrauben, Nägel, Dichtringe und sonstige Kleinteile, fein säuberlich getrennt, um für einen eventuellen Einsatz bereit zu sein.
Überhaupt wartet der ganze Werkzeugschrank fein geordnet fieberhaft auf den nächsten Notfall.
Und der ist jetzt eingetreten.
Meine Göttergattin hat es geschafft.
Mit ihrer Stichelei hat sie mich vom Sofa hochgetrieben.

Als erstes verschaffe ich mir einen Überblick.
Der Wasserhahn im Bad tropft und er lässt sich auch nicht mit noch so viel Kraft weiter zudrehen.
Also schreite ich zur Tat.
Zunächst ziehe ich mir den Blaumann an.
Den hab ich neu gekauft, aber als erstes mehrmals in die Waschmaschine gesteckt.
Nichts sieht schlimmer aus, als ein Handwerker in einem neuen Blaumann.
So gerüstet nehme ich die Werkzeuge aus dem Regal, von denen ich denke, dass ich sie brauchen werde.
Der Hammer und die Wasserpumpenzange, einen Kreuzschlitz-Schraubendreher und die Wasserwaage nehme ich mit einem Griff mit.
Man weiß ja nie…..

Als erstes versuche ich, den Wasserhahn mit der Wasserpumpenzange zuzudrehen.
Aber mir fällt die alte Handwerkerweisheit ein: “Nach fest kommt ab!“
Also lasse ich das sein und versuche den Hahn etwas tiefer zu packen, um ihn loszudrehen.
Mit dem richtigen Schwung gelingt es mir, den Wasserhahn zu lockern.
Zu spät bemerke ich, dass ich vergessen habe, den Haupthahn zu schließen.
Und so spritzt das Wasser munter ins Bad.
Hastig greife ich die Handtücher in der Nähe und versuche die Bescherung aufzuwischen.
Mit einer Hand drehe ich den Zulauf unterm Waschbecken zu und mit der anderen Hand putze ich den Boden auf. Und so gelingt es mir, die Fluten zu stoppen.
Auch die Wasserlache hinter der Kloschüssel kann ich mit den im Bad befindlichen Handtüchern aufnehmen.
Um weitern Schaden zu vermeiden und freie Bahn am Arbeitsplatz zu haben, werfe ich die vollgesaugten Handtücher in die Badwanne.
Damit die beste aller Ehefrauen nicht ständig nach mir schaut, habe ich das Schränkchen, das sonst unter dem Waschbecken steht und unsere Putzutensilien beherbergt, vor die Tür geschoben.
Nun kenne ich keine Gnade mehr. Ich knie vor dem Waschbecken und schraube den Ablauf ab. Wieder erwarten lösen sich die Überwurfmuttern, die den Ablauf fixieren, ganz leicht.
Nur um das Rohr aus seiner Halterung zu lösen, muss ich all meine Kraft aufwenden.
Mit einem schmatzenden Geräusch gibt der Klügere nach und ich lande mit dem Kinn unsanft auf den Fußbodenplatten. Aber damit nicht genug. Im Rohr war auch noch ein Schluck Schmutzwasser. Schön fettig und seifig. Der Geruch ist schwer zu beschreiben. So eine Mischung aus abgestandenem Wasser, Seife und faulenden Haaren. Zum Glück spritzt das Zeug auf den Blaumann.
Der erste echte Fleck!
Was danebengeht wische ich mit dem letzten trockenen Handtuch weg.
Wenigstens ist jetzt der Abfluss frei.
Aus dem Loch in der Wand kommt ein muffiger Geruch heraus.
Gut dass die Handtücher nass sind. Jetzt lässt sich eins viel ungenierter in das Loch stecken.
Ich erhebe mich wieder und überlege, wie ich dem störrischen Wasserhahn beikommen könnte.
Natürlich!
Mit Schmierseife!
Den Wasserhahn reibe ich mit der Schmierseife, die im Schränkchen mit dem Putzzeug steht, kräftig ein.
Gerade als ich mit der Wasserpumpenzange ansetzen will um dem widerborstigen Teil zu zeigen, wer der Her im Hause ist, klopft es an die Badezimmertür.
Im Glauben, es sei die besorgte Gattin, verriegele ich schnell die Tür.
Doch eine Männerstimme fordert Einlas.
Was ist geschehen?
Die beste aller Ehefrauen hatte weniger Zuversicht in meine handwerklichen Fähigkeiten wie ich. Und aus diesem Grunde und um ihr Badezimmer zu schonen, hat sie den Notdienst angerufen.
Was meine Ruth dem guten Mann erzählt hat, weiß ich nicht, aber die Tatsache, dass der Handwerker schon nach einer Stunde hier ist, spricht nicht gerade für mich.
Aber wie dem auch sei. Natürlich lasse ich den Handwerker ein. Mit Kennerblick überschaut er die Lage und greift in die Tasche. Heraus holt er einen verstellbaren Schraubenschlüssel.
Mit dem lässt sich der störrische Wasserhahn spielend leicht zerlegen.
Aus der Hosentasche zieht der Fachmann sodann einen Dichtungsgummi.
Genau so einen habe ich in meiner Sammlung!
Und innerhalb weniger Augenblicke ist der Wasserhahn geschlossen, das Abflussrohr an seinem Platz, ein weiteres Handtuch voll Schmierseife und das Bad fast so sauber wie zu Beginn.
Mit einem kameradschaftlichen Schlag auf meinen Rücken verlässt uns der Fachmann, nicht ohne eine saftige Rechnung zu hinterlassen.
So endet ein weiteres Abenteuer, das ich so schnell nicht vergessen werde.
Und den Blick meiner Gattin, als sie die Bescherung in der Badewanne sieht, bleibt mir auch noch lange in Erinnerung.

Ob ich mir zum Geburtstag so einen verstellbaren Schraubenschlüssel wünschen soll?

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Tag der Veröffentlichung: 16.06.2011

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