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Lückentextgedanken




Hallo. Ich heiße Max Kleinschmidt und bin 8 Jahre alt - oder jung, wie meine Oma immer sagt. Meine Oma ist jetzt achtmal so alt wie ich, aber davon erzähle ich Dir später.

Jetzt sitze ich vor meinen Hausaufgaben und soll diesen doofen Lückentext ausfüllen. Am liebsten würde ich überall das Wort reinschreiben, das mein Papa immer sagt. Meine Mutter meint dann immer, mein Vater sei für mich kein gutes Vorbild und ich solle besser nicht zuhören und dieses Wort nicht in meinen Sprachgebrauch integrieren. Meine Mutter spricht immer etwas vornehm und sagt Worte, die ich nicht verstehe. Meinen Vater verstehe ich besser. Das Wort, das er immer benutzt, wenn er sich ärgert, schreibt man mit zwei „s“ in der Mitte, wenn man in Druckbuchstaben schreibt. Wenn man das Wort in Schreibschrift schreibt, schreibt man es mit „ß“. Mehr verrate ich nicht. Aber ich bin sicher, dass Du das Wort auch kennst und es nicht sagen darfst.

Diese Lückentexte ärgern mich. Wenn ich endlich weiß, was ich dort hinschreiben muss, reicht der Platz nicht aus. Ich kann mir beim Ausfüllen noch so viel Mühe geben, es sieht immer unsauber aus. Mein Papa meint auch, dass man so nicht das Schreiben lernen kann und früher war alles anders und besser. Früher hat man ganze Seiten aus dem Lesebuch abgeschrieben und so hat man dann das Schreiben gelernt. Heutzutage, meint mein Papa, sei das alles nur noch halber Kram. Meine Mutter will an derartigen Diskussionen nicht teilhaben – sagt sie dann immer. Und ich weiß schon wieder nicht wovon sie redet. Ich glaube, sie meint: „Ich will nicht darüber sprechen.“

Heute kann ich gar nicht mehr verstehen, dass ich mich damals auf die Schule gefreut habe und es gar nicht abwarten konnte endlich eingeschult zu werden. Meinen Schulranzen durfte ich mir selbst aussuchen, das war gar nicht so einfach. Meine Mutter meinte, ich solle eine weise Entscheidung treffen. Ich wollte aber gar keinen weißen Ranzen. Meine Mutter rollte mit den Augen und sagte, dass sie nichts von einem weißen Ranzen gesagt hätte, sondern lediglich der Ansicht wäre, ich müsse diesen Ranzen mindestens vier Jahre leiden mögen. Da rollte dann mein Papa mit den Augen. Die Verkäuferin guckte uns an, als kämen wir von einem fremden Stern: Aliens auf der Suche nach einem Schulranzen. Schließlich meinte die Verkäuferin, es sei völlig egal für welchen Schulranzen ich mich entscheiden würde, sie seien alle rückenschonend. Diesmal rollte ich mit den Augen, ich konnte das damals auch schon ganz gut.

Der erste Schultag war toll. Blöd war nur, dass ich mich ordentlich anziehen musste. Meine Mutter hat mich, wie sie meinte, zur Feier des Tages, mit einer neuen blauen Cordhose überrascht. So eine Hose habe ich vorher noch nie gesehen. Keiner von meinen Freunden hatte so eine komische Hose. Auch nicht die großen Jungs aus der Nachbarschaft. Ich fing an zu heulen, weil ich die Hose nicht anziehen wollte. Mein Papa meinte, ich könne doch anziehen, was ich wolle, Hauptsache es sei sauber und ausnahmsweise ohne „Piraten“-Flicken auf den Knien. Meine Mutter wühlte genervt im Schrank und fand eine fast neue Jeans. Aber die war viel zu kurz. Dann musste ich doch die komische Hose anziehen.

Auf dem Schulweg trafen wir viele Eltern mit ihren Kindern. Oft waren auch die Großeltern dabei. Mal hatten die Kinder verheulte Augen und mal die Omas. Vielleicht mussten die Omas auch etwas Komisches anziehen.
Manche Jungs hatten richtige Anzüge an und eine Krawatte um. Da fand ich meine Cordhose gar nicht mehr so schlimm. Mein Papa grinste mich an und meinte: „Na, dann bist du ja doch nicht overstyled“. Dieses Mal verstand ich meinen Papa nicht, aber ich wusste was er meinte.

Erst mussten alle in die große Aula. Die Kinder sollten vorn sitzen und die Eltern, Geschwister und Großeltern hinten. Alle redeten durcheinander. Einige mussten stehen, da manche Kinder nicht nur die nahestehende Verwandtschaft mitbrachten, sondern die gesamte Sippschaft, wie mein Papa meinte. Meine Mutter sagte leise zu meinem Papa, er solle nicht so laut reden, denn jeder könnte ihn hören. Dabei hätte meine Mutter meinen Vater ja gar nicht gehört, wenn er nicht so laut gesprochen hätte. Meine Mutter finde ich manchmal komisch. Genauso komisch wie die neue Cordhose.

Zuerst sagte die Schulleiterin ein langes Gedicht auf. Meine Mutter erklärte mir später, es hätte sich um einen Vortrag gehandelt, mit dem die Schulleiterin die Kinder und Eltern begrüßt hätte. Für mich war es ein langes Gedicht. Es hörte sich so an, als hätte sie es auswendig gelernt. Bloß gereimt hat es sich nicht, deshalb war es auch kein schönes Gedicht und langweilig war es auch, denn ich habe wieder nichts verstanden.
Dann sangen einige Kinder etwas vor. Ein Lied kannte ich schon, die anderen nicht. Danach kamen ein paar verkleidete Kinder auf die Bühne und führten etwas vor. Das war wie im Theater beim Weihnachtsmärchen, nur mit kleinen Leuten. Ein Kind heulte. Und die anderen Kinder hörten auf zu reden und guckten nur das weinende Kind an. Ich glaube, das Heulen gehörte gar nicht zu dem Theaterstück.

Danach kamen drei Lehrerinnen auf die Bühne. Jede hatte einen Stapel Karten in der Hand. Mein Papa hat auch so ähnliche Karten auf seinem Schreibtisch in einer Kiste. Da stehen überall Namen drauf von Papas Kunden. Auf den Karten von den Lehrerinnen standen nicht die Namen von Papas Kunden sondern die Namen von uns Kindern. Die ganze Zeit musste ich genau aufpassen, ob mein Name aufgerufen wird. Mittlerweile waren schon fast alle Kinder auf der Bühne, außer einem Jungen, der am Ende meiner Reihe saß. Dann sagte die dritte Lehrerin: „Und dann haben wir noch Max“. Ich sprang auf und wollte auf die Bühne klettern, aber die Lehrerin sagte noch etwas und das hatte nichts mit meinem Namen zu tun: „Sonnenschein“. Der Junge am Ende der Reihe sprang auf, rannte auf mich zu und drängelte mich vom Bühnenrand weg. Die Lehrerin guckte auf ihren Zettel und sagte schnell: „und natürlich Max Kleinschmidt“. Max Sonnenschein drehte sich beim Hochklettern noch einmal um und trat gegen meine neue blaue Cordhose. Mit Absicht. Meine Mutter sagt immer, man müsse sich nicht prügeln, man könne alles verbal regeln. Mein Vater meint, es gibt Momente, da kommt man ums Prügeln nicht herum. Ich entschied, es ist gerade nicht der richtige Moment.

Endlich konnten wir mit unserer Lehrerin und unseren Namenskarten in unseren Klassenraum gehen. Die Eltern und alle anderen mussten draußen warten. Unsere Lehrerin erklärte, dass auf jeder Karte neben unserem Namen ein Bild sei und wir sollten nun den richtigen Platz dazu suchen. An jedem Tisch waren zwei Plätze und es waren immer drei Tische zusammengestellt. Mir gegenüber saß Max Sonnenschein. Er streckte mir die Zunge raus und zog eine Fratze. Julia, das Mädchen neben mir, fing an zu lachen und fragte ihn: „Bist Du immer so doof oder nur heute?“. Julia war ganz toll. Außerdem hatte sie eine Jeans an, mit „Piraten“-Flicken auf den Knien.

„Mäxchen, machst du gerade deine Hausaufgaben oder schaust du aus dem Fenster?“ Meine Mutter steht immer ganz plötzlich in meiner Zimmertür. Mein Schreibtisch steht direkt vor dem Fenster, damit ich bei Tageslicht meine Hausaufgaben machen kann und mir nicht bei Lampenlicht die Augen ruiniere, wie meine Mutter meint. Und hinter mir ist die Zimmertür und wir haben in der ganzen Wohnung Teppichboden. Nur in der Küche nicht und im Badezimmer auch nicht, da sind kalte Fliesen. Im Badezimmer sind ganz kleine Fliesen auf dem Fußboden mit unregelmäßigen Strichen und Klecksen. Wenn man genau hinsieht, kann man ganz viele Gesichter und Tiere und Monster sehen. Ich sitze gerne auf dem Klo, da darf ich die Tür zu machen. Meine Mutter meint, es müssen immer drei Türen in unserer Wohnung geschlossen sein und das sind die Wohnungstür, die Klotür und die Schlafzimmertür. Alle anderen Türen sind offen oder es sind gar keine da. Meine Zimmertür ist immer offen. Die Küchentür und die Wohnzimmertür stehen im Keller. Deshalb musste Papa die auch nicht neu streichen. Das war ganz praktisch, meinte Papa. Als Papa die Türen streichen musste, meinte er, wir könnten doch drei von den vier Türen auch in den Keller stellen, denn das würde Farbe und Zeit sparen. Mama rollte da wieder mit den Augen und meinte, wenn er mit dem Viertürenstreichen überfordert wäre, würde sie das eben machen. Mein Papa meinte, er würde in seiner Wohnung nicht tausenden von Nasen begegnen wollen. Dann knallte Mama mit der Schlafzimmertür. Papa hat dann die Türen gestrichen und gesagt, dass er das nur machen würde, weil es Geschirr spart. Ich finde Türen ganz praktisch: man kann sie zumachen und knallen.

„Max Kleinschmidt, du hast ja noch gar nicht angefangen.“ Meine Mutter nennt mich immer beim vollen Namen, wenn sie sauer ist. „Ich verstehe das nicht. Das ist schon wieder so ein komischer Lückentext. Ich glaube, da hat meine Lehrerin etwas falsch gemacht.“ Mama guckt sich den Lückentext an.

1.) Fritz .......... heute wieder in die Schule.
2.) Gestern .......... Fritz nicht in die Schule, da er krank war.
3.) Morgen wird Fritz nicht in die Schule .......... , weil .......... ist.

„Mäxchen, was findest du denn daran nun komisch?“ Ich habe das Gefühl, meine Mutter versteht die Sätze auch nicht und erkläre ihr:

1.) „Fritz ist heute wieder in die Schule“ – hört sich doch doof an.
2.) „Gestern war Fritz nicht in die Schule, da er krank war.“ – hört sich auch doof an und
3.) „Morgen wird Fritz nicht in die Schule sein“ hört sich noch doofer an und das mit dem „Weil“ verstehe ich nicht.

Dann meint Mama, dass es nicht an meiner Lehrerin liegt und gibt mir einen kleinen Tipp. Ich finde, Lückentexte sind manchmal gar nicht so schwer.




(Fortsetzung folgt - an dieser Stelle)

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Tag der Veröffentlichung: 18.11.2011

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