Ganz zart strich Markus mit seinen Fingerspitzen über das frisch lackierte Spielbrett. Es fühlte sich schon trocken genug an und glänzte seidenmatt. 49 bunte Felder bildeten eine Spirale um den roten Mittelpunkt. Das Spiel hatte er am Computer entwickelt, aber er wollte es gerne in einem natürlichen Umfeld ausprobieren. Zufrieden legte er 7 schwarze und 7 weiße Steine dazu. Das Spiel konnte endlich beginnen.
Daniela bewunderte das gelungene Werk und ließ sich die Spielregeln genau erklären. Sie waren ein bisschen kompliziert, aber das war sie von Markus schon gewohnt. Mit einfachen Sachen, die keine Herausforderung für ihn bedeuteten, gab er sich nie zufrieden. Das gefiel ihr besonders an ihm, denn sie dachte in dieser Hinsicht ähnlich wie er.
„Welche Farbe möchtest du?“, fragte Markus betont höflich, obwohl er genau wusste, dass sie immer nur die schwarzen Steine wählte. Sie war da eigenartig und wollte trotzdem jedes Mal wieder gefragt werden.
„Schwarz natürlich“, antwortete sie. Er schob die Steine zu ihr und sie baute daraus ein Türmchen. Das hatte er nicht gerne, deshalb gehörte es zu ihrer Strategie. Man musste den Gegner ein wenig verunsichern, und zwar vor und während des Spiels.
„Du darfst den ersten Stein setzen, Damen gewährt man ja immer den Vortritt“, meinte er gönnerhaft, seinen ersten Stein schon griffbereit in der Hand haltend.
„Wie nett von dir“, erwiderte Daniela, während sie den ersten Stein auf ein violettes Feld setzte. Das war ihre Lieblingsfarbe und sie überlegte, ob Markus das einkalkuliert hatte, sie vielleicht doch lieber bei einer anderen Farbe hätte beginnen sollen. Bei jedem Spiel war der Anfang wichtig, das galt wohl auch bei diesem.
Sie spielten hoch konzentriert und in aller Ruhe. Daniela kannte das Spiel ja noch nicht und musste sich erst zurechtfinden. Ziel war es, dass jeder mit seinen Steinen in die rote Mitte zog und sich durch die Steine des Mitspielers, nicht zu lange dabei aufhalten ließ. Wer das zuerst schaffte, war der verdiente Sieger.
Markus hatte natürlich ein paar Hindernisse eingebaut und es konnte passieren, dass man kurz vor dem roten Feld noch einmal umkehren und eine weitere Runde spielen musste. Als beide nur mehr zwei Steine im Rennen hatten, stieg die Spannung spürbar. Sie waren beide keine guten Verlierer und spielten immer mit der Gewissheit, dass sie die Chance auf den ersten Platz hatten.
„Mir ist so unheimlich heiß“, seufzte Daniela und öffnete zwei Knöpfe ihrer Bluse.
„Willst Du mich ablenken, wo ich so kurz vor dem Sieg stehe?“ Er spielte den leicht Empörten und sah demonstrativ zur Seite.
„Du wirst dich doch nicht von Blusenknöpfen ablenken lassen“, schmunzelte sie und hüpfte mit ihrem schwarzen Stein über seinen weißen.
„Das war jetzt ein schwerer Fehler“, meinte Markus und zog mit seinem Stein um ein Feld weiter.
„Du hast meine neue Nagellackfarbe noch gar nicht bewundert“, nörgelte sie nun mit scheinbar enttäuschter Miene.
„Du willst mich wirklich ablenken?“, fragte er und sah dabei nur ganz kurz hoch.
„‘Hot Fire‘, der neueste Modeschrei. Außerdem wolltest du doch, dass ich heute etwas Rotes trage“, säuselte Daniela und hielt ihm ihre Finger vor die Augen.
„Da dachte ich aber nicht an Nagellack. Hast du nicht erst gestern gesagt, dass du mir alle Wünsche von den Augen ablesen möchtest?“
„Natürlich habe ich abgelesen und der Nagellack war nur ein Scherz“, lächelte sie und ignorierte seinen plötzlich interessierteren Blick.
„Deine Ablenkungsmanöver waren auch schon einmal besser, ich hole mir jetzt den Sieg“, sagte Markus betont gelangweilt und schob seinen Stein auf das gegenüberliegende Feld. Beide widmeten sich wieder eifrig dem Spiel, brachten Stein um Stein in das rote Feld, bis jeder nur mehr zwei Steine außerhalb des Zieles hatte. Das Spiel schien sich dem Ende zuzuneigen.
„Wie sieht es überhaupt mit dem Preis für den Sieger aus?“, fragte nun Daniela neugierig.
„Der Verlierer muss dem Sieger einen Wunsch erfüllen“, antwortete Markus, sah dabei sehr zufrieden und siegessicher aus.
„Jeden Wunsch?“, fragte sie mit gekonntem Augenaufschlag.
„Natürlich jeden Wunsch, was dachtest du denn?“, erwiderte er und bemühte sich um ein unschuldig wirkendes Gesicht. Er war natürlich im Vorteil, weil er das Spiel entwickelt hatte. Deshalb rechnete er fest mit seinem Sieg und hatte sich auch schon überlegt, was er sich von ihr wünschen würde.
„Warum lächelst du so vorfreudig?“, wollte sie nun wissen.
„Lenk nicht ab, ich werde gewinnen, weil ich intelligent bin“, sagte Markus und setzte seinen Stein neben ihren.
„Und ich besitze mehr Intuition“, erwiderte Daniela trotzig.
„Beweise es“, forderte er, zeigte dabei sein überlegenes Lächeln, das sie zu gut bei ihm kannte.
„In genau einer Minute wirst du gewonnen haben“, sagte sie, ohne die Miene zu verziehen.
Markus sah erstaunt auf das Spielbrett. Seine Steine lagen extrem ungünstig und Daniela konnte mit den nächsten beiden Zügen siegen. Mit voller Konzentration spielte er weiter und hatte nach genau einer Minute gewonnen. Er war überrascht und sah Daniela forschend an. Diese versuchte, ihn möglichst unbefangen anzublicken, was ihr aber nicht perfekt gelang.
„Das war der höchst gelungene Beweis meiner Intuition und jetzt möchte ich deinen Wunsch hören, der dir als Sieger zusteht“, antwortete Daniela und strich ihm mit ihren Fingerspitzen ganz zart über den Mund.
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2015
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