Cover

Mühlenfest

Endlich hatten die vier Freundinnen einen Platz an einem der Tische beim Mühlenfest ergattert.
„Super, mit Sonnenschirm, da haben wir ja Glück gehabt.“
„Find ich auch. Jetzt müssen wir nur noch schauen, dass wir eine Brautwurst und was zu Trinken besorgen.
„Isst jeder Bratwurst? Dann geh ich vier Stück holen.“
„Gute Idee. Und ich kümmere mich um die Getränke.“
„Warte, ich helfe dir. Du kannst ja nicht alles auf einmal tragen.“
„Und ich besetz die Plätze.“ Daniela war ganz froh, nach der langen Joggingrunde sitzen bleiben zu können. Sie blickte sich um und staunte, dass um diese Zeit schon so viele Besucher hierher gekommen waren. War aber auch ein gelungenes Fest. Jedes Jahr an Pfingstmontag war Deutscher Mühlentag. Und den feierte man auch hier in der Waldmühle zünftig. Es spielte eine Musikkapelle, fliegende Händler boten ihre Waren feil und der Mühlenwirt verwöhnte seine Gäste mit selbstgemachten Schmankerln. Daniela fing einen Blick aus der Menge auf.
Wow, waren das Augen. Blau wie klare Bergseen, in die man eintauchen und deren Tiefe man ergründen wollte. Und sie gehörten zu einem Mann, diese Augen. Danielas Nackenhärchen stellten sich auf und Schweißperlen sammelten sich am hinteren Haaransatz. Irrte sie sich oder schaute dieser Kerl sie unverschämt grinsend an? Fast bereute Daniela es, dass ihre Freundinnen schon wieder zurück waren und sie mit Bratwurst vom Geschehen ablenkten.
„Na, Daniela, wo feiern wir jetzt deinen Vierzigsten?“ wollte Kerstin wissen, als alle wieder da waren.
„Keine Ahnung, ich habe noch keine passende Location gefunden.“
„Hier in der Mühle wär doch nicht schlecht“, schlug Simone vor.
„Ha, ha, toller Witz. Ich wollte eigentlich meinen Geburtstag feiern, nicht meinen finanziellen Ruin.“
„ Na, dann scheint das ja ein größeres Fest zu werden.“
„ So etwa fünfzig Personen können’s schon werden.“ Und da waren sie schon wieder, diese Augen. Kein Wunder, schließlich hatte Daniela auch die ganze zeitlang Ausschau danach gehalten. Und jetzt sah sie auch den Kerl, der dazu gehörte, in voller Größe. Toll sah er aus. Durchtrainierter Körper, allerdings ohne diese typische Muckibudenverteilung, Diesen Körper hatte die Arbeit geformt. Vielleicht ein Bauarbeiter. Sicherlich jemand, der sich viel an der frischen Luft bewegt. In Freundinnenkreisen würde man dieses männliche Wesen als Sahneschnittchen bezeichnen. Und dennoch. Leider nichts für mich, dachte sich Daniela. Dabei war sie seit einiger Zeit wieder Single und durchaus nicht abgeneigt, sich auf ein Abenteuer einzulassen. Aber dennoch – dieser Mann kam nicht infrage. Sie wollte endlich aufhören ihn anzustarren, aber es ging nicht. Verdammt, der schien grade genau dieselben Überlegungen über sie anzustellen, die sie eben gemacht hatte. Na, dann würde er ja wohl auch zum selben Schluss kommen.
„Hallo, Erde an Daniela“, wurde sie soeben von ihrer besten Freundin Kerstin angefunkt. „Du siehst nicht grade aus, als würdest du dir genauso ernsthaft Gedanken über deine Party machen wie wir. Bisher hast du dich zu keinem unserer Vorschläge geäußert. Was ist los? Läuft hier irgendwo ein Mann frei herum?“
„Nee“, entschuldigte sich Daniela verlegen. „Ich glaube, ich habe mein Bier hier zu hastig getrunken. Mir war grade ein bisschen schwindlig“
„Soll ich dir ein Wasser besorgen?“ .Die Lüge schien ganz gut geraten zu sein; die Freundinnen kauften sie ihr ab.
„Nee, lass’ mal, geht schon wieder.“ Und es gelang den vieren tatsächlich, noch eine ansehnliche Liste potentieller Partylocations aufzustellen, die Daniela in den nächsten Tagen checken wollte. In sechs Wochen sollte die Fete schließlich stattfinden.
Man ging ziemlich nahtlos von Bratwurst und Bier zu Kaffee und Kuchen über; schließlich hatte man sich an diesem Morgen schon früh zum Joggen getroffen, um sich diesen Sündentag zu gönnen. Gerade schob sich Daniela genüsslich ein Stück Erdbeertorte mit Sahne in den Mund, wollte eben die Augen schließen, um sich vollkommen diesem Genuss hinzugeben, da war er schon wieder. Diesmal stand er unmittelbar hinter Simone. Glücklicherweise sagte er nichts, aber sein Blick deutete Daniela unmissverständlich, dass dieser Fremde vorhatte, ihre Bekanntschaft zu machen. Daniela versuchte ihm mit einer Geste klarzumachen, dass er sich das aus dem Kopf schlagen solle und sie nicht in sein Beuteschema passe. Ihre Augen jedoch versagten den strengen Blick, für den sie sonst so berüchtigt war und der, wie Kerstin immer behauptete, selbst einem hungrigen Löwen den Appetit verdarb. Offenbar gelang ihr nur ein stummes Flehen, was der Unbekannte aber wohl völlig falsch deutete.
„Was ist denn das für'n Typ?“ fragte Heike. Kennst du den?“
„Der da? Nö, hab ich noch nie vorher gesehen?“ Das musste er doch kapiert haben. Denkste. Der grinste schon wieder so.
„Na, das sieht aber nicht danach aus.“ Jetzt war er auch Simone aufgefallen.
„Hab ich das was verpasst?“ Als beste Freundin musste sich Kerstin jetzt natürlich umdrehen und die potentielle Neueroberung begutachten. „ Na, der wird ja wohl keine Gefahr für dein einsames Herz sein?“
„Genau.“ Die beste Freundin hat einfach einen Blick für so was.
„Aber vielleicht fürs einsame Bett?“ Heikes Bemerkungen waren manchmal ganz schön bösartig. Sie machte sich dadurch oft unbeliebt.
„Ach Heike, lieber mal ein leeres Bett, das man sich ab und zu frisch bezieht als eines, das schon seit Jahrzehnten dieselbe Bettwäsche trägt.“ Zugegeben, es war bitterböse, was Daniela sich da über Heikes langweilige Ehe erlaubte, aber nur austeilen ist nicht. Nicht bei Daniela. Immerhin war der blonde Mühlengeist, der sie seit geraumer Zeit angenehm schreckte, wieder verschwunden. Zumindest so lange, bis Daniela abkommandiert wurde, eine Runde Apfelschorle zu besorgen. Am Getränkestand hatte sich eine riesige Schlange gebildet; es würde bestimmt eine halbe Sunde dauern, bis sie an die Reihe käme, dachte sich Daniela und wollte schon wieder umdrehen und ihre Freundinnen von der Unmöglichkeit des Vorhaben überzeugen. Plötzlich war da dieser Geruch. Er erzeugte in Daniela genau die gleichen körperlichen Reaktionen wie vor einiger Zeit der Blick in die blauen Augen. Daniela traute sich nicht, sich umzudrehen. Sie hatte auch keine Ahnung, was sie so sicher machte - aber sie wusste ganz genau: Er stand hinter ihr. Sie spürte, wie er näher kam und sein Atem berührte schon ihren Hals, kitzelte sich hoch bis zum Ohr und dann flüsterte eine unerwartet tiefe Stimme:
„Hallo Daniela. Ich bin der Torsten.“ Wow – Frontalangriff auf die Vernunft- Kommandozentrale auf einen Schlag lahmgelegt, Machtübernahme durch die Lust ohne nennenswerte Gegenwehr. Jetzt genau aufpassen – ja nicht Falsches sagen, dieser Mann kommt nicht infrage, sofort kalt abblitzen lassen. Diese Befehle drangen noch durch, aber Daniela hatte unwahrscheinliche Mühe, sie umzusetzen.
„Wer sind Sie? Und was wollen Sie von mir?“
„Ich sagte doch, ich bin der Torsten. Und was ich von dir will, soll ich’s dir wirklich gleich hier zeigen?“
„Unterstehen Sie sich!“ Schnell drehte sie sich um und verließ die Schlange am Getränkestand unverrichteter Dinge.
„Tut mir leid, meine Lieben, aber das kann Stunden dauern, bis wir da was zu Trinken bekommen.“ Daniela hoffte inständig, dass ihre Freundinnen sie nicht beobachtet hatten. Dieser Torsten war ihr immerhin ganz schön nahe gekommen. Viel zu nahe für einen Kerl, der für sie keinesfalls in Frage kam. Obwohl … warum eigentlich nicht? Schließlich bin ich frei und habe nicht vor, fortan das Leben einer Klosterfrau zu führen, vernahm sie Botschaften aus ihrem Inneren. Ihr Verstand hatte wirklich eine Heidenarbeit zu leisten, den Blutdruck wieder zu senken und die Schweißperlen, die sich an ihrem Hals bildeten, zu stoppen.
„Na ja, dann warten wir eben, bis die Schlange ich aufgelöst hat. Wir werden nicht gleich verdursten.“ Glücklicherweise hatte wohl weder Kerstin noch die anderen was gemerkt. Als dann der Fremde allerdings knapp eine halbe Stunde später die Getränke an den Tisch brachte, begann die Diskussion erneut.
„Du willst doch wohl nicht mehr behaupten, dass du dieses Kerlchen nicht kennst?“
„Will ich, allerdings. Ich sehe diesen Mann heute zum ersten Mal. Offenbar hat er einen Narren an mir gefressen. Ich brauche ja wohl nicht zu betonen, dass er für mich nicht infrage kommt.“
„Das sollen wir dir glauben?“ Heike hatte die Bemerkung von vorhin noch nicht verziehen.
„Das kannst du halten, wie du willst, meine Liebe.“
„Na ja, ich dachte ja nur. Immerhin sieht der Typ verdammt gut aus. Das kann eine unbemannte Frau doch unmöglich kalt lassen.“
„Tut es aber!“ Ende der Diskussion. Stattdessen Schlendern über den Bauernmarkt, Einkauf verschiedener Dinge, die keiner brauchte, Plaudern mit Bekannten, die man beim Mühlenfest traf. Kurz gesagt, das Programm, das Frauen mühelos bis zum Einbruch der Dunkelheit und dem Beginn des Feuerwerks durchhalten. Heike hatte sich mittlerweile schon verabschiedet. Die musste nach Hause zu den Kindern; Kerstin hatte ihren Bruder und ihre Schwägerin getroffen und war mit ihnen unterwegs und Simone war zur Toilette gegangen uns seither nicht mehr aufgetaucht. Auch Daniela hatte einige Bekannte getroffen und sich da und dort verplaudert. Ab und an hatte sie noch gespürt, dass Torsten in ihrer Nähe war und sie beobachtete. Verdammt, es kribbelte jedes Mal am ganzen Körper. Bevor das Feuerwerk begann, suchte sich Daniela einen Platz etwas abseits, von dem einen freien Blick auf den Platz hatte, wo die Feuerwerker ihre Arbeit aufgebaut hatte.
Die ersten Böller hatten den Abschluss des Mühlenfestes eingeläutet, Raketen zerbarsten am Himmel zu bunten Lichterperlen und Daniela spürte die Arme des Mannes, der sie schon den ganzen Tag verrückt machte. Ihr Widerstand war gebrochen; lange genug hatte sie versucht, sich gegen ihre Begierde zu wehren. Sie war eine Frau in den besten Jahren und sah keinerlei Grund mehr, warum sie sich ein Abenteuer mit so einem tollen Mann versagen sollte. Deshalb hatte sie auch nichts dagegen, als Torsten vorschlug, nachher mit zu Daniela zu kommen.
Daniela steuerte das Auto auf die Zufahrtsstraße. Sie war etwas beunruhigt, dass ihr bis jetzt noch kein Auto folgte. Sie fuhr rechts ran und wartete einige Minuten. So ein Mist, der Kerl hat mit mir gespielt, dachte sie schon, und entschied sich traurig, jetzt doch alleine nach Hause zu fahren. Fast wäre sie vorbei gefahren; erst im letzten Moment erkannte sie den Anhalter.
„Wo bleibst du denn so lange? Ich dachte schon, du lässt mich hier stehen. Hab leider noch keinen Führerschein. Ich werd erst in einem halben Jahr 18.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /