Cover

Impressum

I M P R E S S U M

Planet der Isolanten von Gabi Mast

© 2012 Gabi Mast Alle Rechte vorbehalten.

  1. Auflage 2016

Autorin : Gabi Mast

Meine virtuellen „Wohnzimmer“:

http://www.vongabi.de/

https://www.facebook.com/gabi.mast

https://plus.google.com/103818388481046979718/posts

http://heilendurchfingerdruck.blogspot.de/

http://derschalterzurgesunheit.blogspot.de/

Buchcover: Illustration: Name auf Anfrage bei der Autorin Lektorat, Gabi Mast

Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung der Autorin nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden.

Hat Ihnen das E-Book gefallen, so empfehlen Sie Ihren Freunden den Download eines persönlichen Exemplars auf XinXii.com. Ein großes Dankeschön, dass Sie die Arbeit des Autors respektieren!

Der kleine graue Kasten findet ein neues Zuhause

 

ME12078 schaufelte lustvoll seinen Butter-Marmeladenbrei mit dem Brötchenviertel in den Mund; aus dessen Winkeln noch das Gelbe vom eben verschlungenen Frühstücksei herauslugte. Macht nichts, er würde sein gesamtes Frühstück gleich mit zwei Tassen Kaffee in sein Körperinneres spülen. Es hatte dem Isolanten, wie immer, geschmeckt.

            ME12078 stellte das schmutzige Geschirr und den Abfall auf das Tablett und öffnete den Schacht mit einem Knopf an der in seiner Bauchdecke implantierten Tastatur.

            „Zähne putzen!“ erschien in bunten Schriftzügen an allen vier Zellenwänden. Einige blinkten, langsamer oder schneller, die nächsten tauchten klitzeklein auf der Wand auf, wurden immer größer und zerbarsten endlich zu einem Stern. Wieder andere verliefen in Wellenlängen in Richtung Badeecke. War einer dieser Schriftzüge über dem Waschbecken verschwunden, erschien sofort ein neuer und zeigte den Weg. Der Duft von Kamille, Minze, Myrrhe und Salbei stieg in ME12078s Nase. Und während all dem sang eine liebliche Frauenstimme unentwegt die Botschaft:       „Zähne putzen! Ab ans Waschbecken!“ Sie ließ dabei keine Tonart aus. Ihr Gesang klang wie eine Liebeserklärung.

   „Wir beginnen oben links und kreisen...,“ säuselte die Stimme jetzt und ein überdimensionales Gebiss an der Wand wurde sofort oben links mit einer Megazahnbürste kreisförmig malträtiert.

ME12078 kam der Bitte, seine Zähne zu putzen, gerne nach. Wie nach jeder Mahlzeit. Die Wand zeigte ihm derweil, wie die Zähne richtig zu behandeln sind. Die letzten zwanzig Jahre zeigte die Wand nach jeder Mahlzeit, wie und wie lange die Zahnbürste in seinen weißen Strahlezähnen verweilen musste. ME12078 sollte zwar blöde, aber dennoch gesund leben. Die Werbeeinlagen versicherten ihm, dass er sich natürlich für die beste aller besten Zahncremes entschieden hatte.

   „Achtung! Zahnbürste fehlerhaft...! Neue besorgen...! Borsten mit Wellenschnitt...“ Und jetzt zeigte die Wand die richtige Zahnbürste. ME12078 würde sie unbedingt bestellen müssen.

    Der Film wechselte; seine Freundin Wand zeigte ihm, dass die Dummjagdzeit begonnen hatte. Gleichzeitig öffnete sich der Schacht und auf Gleisen kam ein Wagen mit verschiedenen Teilen in den Raum gefahren. Es waren halbrund geformte, schweinchenrosa Kunststoffrechen, Federn und Metallstifte. Sofort meldete sich die Wand wieder. Sie zeigte einen der Rechen:

   „Teil A in linke Hand nehmen!“ verriet die freundliche, aber verbindliche Stimme. Gleichzeitig erschien eine überdimensionale Hand und zeigte, wie man das Teil in der Hand zu platzieren hatte. Und am unteren Teil der Wand lief ein Schriftband, das den ganzen Dummjagdablauf noch einmal wiedergab.

   „Teil B einspannen!“ Wieder wurde der Vorgang multimedial kommentiert.

   „Teil C einhaken!“ ME12078 hielt sich auch hierbei genau die Anweisungen. Und als er dann noch

   „Teil D durchstecken!“ befolgt hatte, hielt er eine rosa Kralle in der Hand. Die Wand verriet nicht, wozu diese Klammern dienen sollten.  Eifrig baute ME12078 alle vorhandenen Teile zusammen.

   Aber was war das? Nirgends auf der Wand war zu sehen, wofür man dieses graue Kästchen brauchte. Es hatte grade mal die Größe einer Seifenschachtel. Der Isolant versicherte sich noch mal, schaute genauestens jede der vier Wände einzeln an und tatsächlich; nirgends war dieses verdammte Ding drauf. Es beunruhigte ihn. Wenn er irgendetwas falsch machte bei seiner Dummjagd, bekam er keine Dumms auf sein Konto. Und wenn er keine Dumms hatte, bekam er keine Frischluft, keine Raumtemperatur, kein Wasser, kein Essen, kein Trinken, keine Reinigung, keine Wäsche, keine Entsorgung oder gar keinen Strom.

   Kein Strom aber bedeutete keine Bilder, keine Dummjagd, kein Sport, kein Spiel – kurz gesagt, kein Leben.

   ME12078 wurde heiß, sein Herz schlug so schnell wie sonst nur beim Sport, Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn. Noch einmal studierte er genau die Dummjagdanweisungen auf der Wand. Er konnte diesen blöden grauen Kasten nirgends entdecken. ME12078 schickte die fertige Dummjagd zurück in den Schacht. Unruhig lief der Isolant in seiner Zelle auf und ab. Das dauerte heute - aber irgendwas stimmte nicht.  Es war sicher der vermaledeite Kasten. Aber wo, verdammt noch mal, hätte er ihn denn einbauen sollen? Er passte doch überhaupt nirgends in diese blöden rosa Krallen. Und wenn doch, woher hätte er wissen sollen, in welche?

   Wenige Minuten später pingte es an einer Wand. Sein Konto war um satte 1500 Dumms reicher. Welche Erleichterung! Volle Punktzahl – nur selten erklang diese Melodie und auch das Feuerwerk auf allen vier Wänden einschließlich der Decke fand nur statt, wenn man seine Dummjagd mit Bravour erledigt hatte.

   Die Szene wechselte; der Schacht öffnete sich, ein Heimtrainer fuhr herein. Die Wände zeigten ME12078, was er ohnehin schon wusste: Er würde jetzt radeln. Solange er radelte, würde er gezeigt bekommen, was er alles für seine übrigen Dumms bestellen konnte. Unterbrach er das Radeln oder stellte es vorzeitig ein, würde es dunkel werden. Man musste bei allem, was man tat, aufpassen, dass es nie dunkel wurde.

   Einmal, als ME12078 sich beim Sport verletzt hatte und unterbrechen musste, da war es ganz dunkel geworden. Schrecklich! Glücklicherweise leuchtete in so einem Fall die rote Help-Taste auf seinem Bauch. Er hatte sie damals gedrückt. Was immer dann passiert war; er wusste es nicht. Aber als er sich erinnerte, war er wieder gesund und die Wände lebten wieder.

   Selbst nachts, während man schlief, liefen Bilder über die Wände, und sanfte Musik versüßte einem den Schlaf. Und sie brachte einem die Träume, die man sich dann mit Hilfe von vielen gesammelten Dumms erfüllen konnte.

   Jetzt aber radelte ME12078 und da sah er ihn wieder, den Wunsch, der für ihn unbedingt wahr werden sollte. Er wollte den Flugsimulator haben.

  

   So träumte ME1278 beim Radeln - die Bilder an der Wand zeigten ihm den ersehnten Flugsimulator von Zeit zu Zeit. Dazwischen erhielt er Ratschläge zur Gesunderhaltung des Körpers. Seltsamerweise ging es in der letzten Zeit immer um gesunde Ernährung. Das war doch sonst nicht so gewesen? Fast plagte ihn das schlechte Gewissen, weil er sich wieder einmal Currywurst, Pommes rot-weiß und anschließend Eisbombe bestellt hatte. Trotzdem ließ er sich ein wohlverdientes Essen nach der langen Strampelei schmecken. Das bisschen schlechtes Gewissen schluckte er einfach mit einer kalten Colanusslimo hinunter.

   Das schmutzige Geschirr war im Schacht verschwunden; es kam wieder Dummjagd. Längliche Teile aus Metall mussten an kürzere anmontiert werden. Die Wand erklärte, zeigte und sagte wieder ganz genau, wo eine Schraube, eine Feder und eine Mutter anzubringen waren und wie die richtig montierten Teile nachher zu bewegen sein mussten.

   Komisch sahen diese Gebilde aus; ME12078 hatte keine Ahnung, wozu sie zu gebrauchen sein sollten. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Er nahm jeweils eines der Einzelteile in die Hand, begutachtete es von allen Seiten, roch daran, biss sogar darauf und fühlte mit der Zunge die Kälte und die Härte des Materials. Mit viel Fantasie hätte man denken können, diese Teile seien Arme, an die er Finger montiert hatte. Aber was sollte man mit solchen blöden Armen anfangen? Es nutzte nichts, ME12078 war wieder einmal angewiesen auf die bunten Bilder und Schriften; er versuchte, genau das zu tun, was ihm gezeigt, beschrieben und erklärt wurde.

   Zwar hatte ME12078 die Dummjagd genauso erledigt, wie die Wand es geboten hatte, aber er war nicht sicher, ob er nicht doch irgendeinen Fehler gemacht hatte.

   Deshalb starrte er gespannt auf die Anzeige, nachdem er die erledigte Dummjagd zurückgegeben hatte und er war sehr erleichtert, dass ihm postwendend 1800 Dumms gut geschrieben wurden. Das bedeutete, dass alles gestimmt hatte und er wieder mal mit Musik und Feuerwerk belohnt wurde. ME12078 freute sich, dass im momentan alles so gut gelingen wollte. Normalerweise fiel es ihm schwerer, die lange Zeit vom Aufstehen bis zum abendlichen Spiel herumzubringen. Wieso musste man sich jeden Tag mit Dummjagd versauen? Wieso konnte man sich seine Dumms nicht gleich durch Spielen, Sport und Spermaspenden verdienen? Wäre das ein herrliches Leben! Stattdessen musste man jeden Tag irgendwelche Tätigkeiten verrichten, deren Sinn man überhaupt nicht verstand.

 

 Auch nach dieser Dummjagd gab es wieder Sport; ein Gerät zum Training seiner Muskulatur kam durch den Schacht. Die Wand zeigte ihm nun verschiedene Übungen, damit jeder Muskel auch gleich geübt wurde. ME12078 wusste, wie wichtig der Sport für die Gesundheit war. Schließlich erzählte es die Wand unentwegt. Um die langweiligen unzähligen Wiederholungen der einzelnen Übungen ein bisschen erträglicher zu machen, kam auch hier wieder Werbung.

   ME12078 lernte, dass er sich neben einer neuen Zahnbürste auch dringend eine Pilotenuniform zulegen musste. Schließlich konnte er sich wohl schlecht in seinem Schlafanzug in den Flugsimulator setzen. Zur Not konnte er ja vielleicht seinen Rennanzug...?

Unmöglich! Er musste die Uniform haben. Wurde aber nicht billig, die ganze Geschichte. Allein die Hose sollte 50 000 Dumms kosten, das Sakko auch noch mal so viel, dazu die Schuhe, die Mütze, die Spezialunterwäsche, die Pilotenbrille, die Pilotenarmbanduhr, das Duschgel, Pilotenschampoo und -rasierwasser, versteht sich.

  Verdammt,  dieser Traum würde ganz schön teuer werden - alles in allem überschlagen  an die dreiviertel  Million Dumms.

            Und er musste sich die Haare wachsen lassen. Als Pilot trug man die Haare 5 cm lang und blaugrau gefärbt. Ton in Ton mit der Mütze, erklärte die Wand.

            Als Rennfahrer trug man Glatze, die in den Farben des Rennanzugs bemalt war. Im Falle ME12078s also schwarz, rot und grün. Der ganze Hinterkopf wurde mir schwarzen Strichen in Rauten eingeteilt; die mussten dann abwechselnd grün und rot ausgemalt werden. Keine leichte Aufgabe, denn schließlich mussten die Striche absolut gerade sein. Und das Ganze seitenverkehrt im Spiegel. Aber das war noch nicht alles; war die Bemalung erst fertig, wurde sie mit Folie abgedeckt und mit einem Heizgerät in die Haut eingebrannt. Ganz schön schmerzhaft. Allein bei dem Gedanken daran verzog ME12078 das Gesicht.

            Wie oft hatte er sich diese Prozedur schon angetan? Aber es half ja nichts; man konnte eben kein Rennwagenfahrer sein ohne dieses Äußere.

Da schien ihm das Pilotendasein einfacher zu sein. Wenigstens, was die Frisur betrifft.

            Er würde also aufhören, sich zu rasieren. Und die Kopfhaut zu bemalen. Okay! Gleich morgen wollte er damit beginnen; von der Farbe was sowieso kaum noch was da.

  

             Um wie viel aufregender wird erst der Flugsimulator sein. So ein Flugzeugabsturz, darauf freute sich ME12078 schon besonders. Nur, mit normaler Dummjagd war so etwas nicht erschwinglich. Dazu musste man Extraaufgaben erfüllen. Und der Isolant wusste schon genau, was er dafür zu tun  hatte.

            Aber ob er mit Haaren überhaupt noch Rennen fahren konnte? Vielleicht, wenn sie noch ganz kurz waren? Immerhin dauerte es doch einige Zeit, bis die Haare die vorgeschriebenen fünf Zentimeter Länge hatten.

             Es half nichts. Der Isolant musste es ausprobieren, ob man mit Haaren noch Rennen fahren konnte. Oder, ob man vielleicht schon Fliegen konnte mit Haaren, die noch zu kurz waren? Schlimmstenfalls konnte er ganz lange weder Rennen fahren noch fliegen. ME12078 wurde ganz nervös ob der Unsicherheit. Aber es half nichts. Ab und an musste man doch seine Abendbeschäftigung wechseln. Schließlich musste man die sauer verdiente Währung auch wieder loswerden.

            Die Muskeln waren gestählt und in ME12078s Magen blubberte und brummelte es. Ein imaginäres Loch in seinem Bauch verlangte nach etwas Essbarem. Er hatte sich Hähnchen mit Brot und Salaten bestellt. Das war die besonders gesunde Ernährung aufgrund der Zusatzaufgaben, die er sich auferlegt hat. Aber irgendwie war er nach seiner Mahlzeit noch immer nicht satt. Dieses Muskeltraining forderte offenbar sehr viel Energie. Morgen würde er auf die Gesundheit pfeifen und sich etwas bestellen, wovon er wirklich auch satt würde. Komisch, in letzter Zeit erschien ihm das Tagesprogramm extrem kräftezehrend zu sein.

   Trotz des noch latenten Hungergefühls ging ME12078 für heute daran, die freiwilligen Leistungen zu erbringen. Schließlich brauchte er viele Dumms, um seine Träume zu erfüllen.

 Er wählte sich ein in das Programm mit den zauberhaften Figuren, die so putzig hergerichtet waren und deren laszives Tun seinem Körper lustvoll Sperma entlockte. Dieses zu spenden, brachte 30 000 Dumms. Für nur zwanzig derartige Abgaben konnte er seinen Flugsimulator bestellen.

   Der Tag verging außerordentlich schnell. Jetzt war es Zeit, seine Bestellungen zu erledigen. Zunächst ein Blick auf den Kontostand:

200 000 Dumms.  Für morgen wählte er Frischluft mit Minzduft. War grade im Angebot für nur 198 Dumms. Raumtemperatur war teuer heute: 29 Dumms das Grad. ME12078 entschied sich, dass ihm morgen 18 Grad reichen mussten. Brauchwasser musste er keines bestellen, er hatte letztens ein Pauschalangebot gekauft; 500 Liter für 49 000 Dumms.  Damit kam er an die zwanzig Tage aus. Dafür musste er morgen wieder den Dampfstrahler kommen lassen und, wie jeden Tag, Geschirrreinigung, 224 Dumms gingen dafür drauf. Dann wollte ME12078 unbedingt genügend Strom bestellen. Gestern musste er früh mit dem Autorennen aufhören, damit die Energie durch die Nacht noch reichte. Dabei hatte er für 900 Dumms bestellt. Heute würde er wohl für 1200 Dumms Strom anfordern müssen.

   Es war wie verhext; momentan gab es aber auch nicht ein Angebot, keinerlei Rabatt für die so begehrte Energie. Und wenn er erst fliegen würde...

   Es half nichts, ME12078 musste die 1200 berappen. Er würde versuchen, beim Essen ein bisschen was einzusparen. Zum Frühstück klickte er fast immer dasselbe Bild an; zwei Brötchen, Butter, Marmelade, ein Ei, Kaffee und Saft. Es kostete so  zwischen 70 und 80 Dumms, heute waren es 76. Für mittags wählte er Roulade mit Klößen und Rotkohl. Mit diesen 149 Dumms, hat die Wand gesagt, ernähre man sich außerordentlich gesund. Für abends bestellte er sich trotzdem vier Tafeln Schokolade, die so herrlich schmeckte, aber so furchtbar ungesund waren. Egal, Schokolade war billig. Nur 19 Dumms das Stück. Für alle Fälle nahm er noch eine Tüte von den Salznüssen dazu. 15 Dumms waren die allemal wert, und wenn er nicht alles aß, konnte er sich ja den Rest für übermorgen aufheben. Zu trinken gab’s eine Angebotskiste mit einer Dose Mineralwasser, einer Dose Kirschsaft, einer Dose Eistee und einer Kanne heißen Tee oder einer Kanne Kaffee. Er entschied sich für den Tee, die Wand hatte gesagt, man soll nicht zu viel Kaffee trinken, solange man Sperma spendet.

   Wozu man dieses Zeug wohl braucht? ME12078 hatte keine Ahnung. Jedenfalls kosteten die Getränke auch noch mal 299 Dumms. Für 2760 Dumms war er also morgen versorgt. Oder musste er sonst noch etwas haben?

    Ach ja, diese Zahnbürste! Klick, ab in den Warenkorb damit und zweihundert Dumms zusätzlich runter vom Konto.

   Ob er sich wohl auch gleich...? Warum denn nicht? Her mit dem Pilotenrasierwasser. Konnte nicht schaden, wenn er sich schon einmal ein bisschen einstimmte auf seine Zeit als Flugkapitän. Das waren die 500 Dumms wohl wert, die dieses Wasser ihn kostete. ME12078 schaute auf seine Stromanzeige und stellte mit Vergnügen fest, dass er noch für 1000 Dumms Strom zur Verfügung hat. 50 musste er für die Nacht übrig behalten, aber den Rest würde er jetzt beim Autorennen verballern.

   Flugs zog er seinen Rennanzug an. Erst die feuerfeste Unterwäsche, dann den Overall, schwarz-rot-grün-gerautet, bestickt mir seiner Rennwagen-Nummer, die Socken, die Schuhe, einmal den ganzen Kerl mit Rennfahrerduft eingenebelt und dann ab unter den durchsichtigen Helm. Jetzt die Handschuhe nicht vergessen, hinsetzen und anschnallen. Mit einem Klick auf den grünen Go-Now-Knopf auf seinem Bauch begannen die Wände, sich in eine gefährliche Rennstrecke zu verwandeln und der Rennfahrersitz legte sich mal links, mal rechts in die Kurven. Glücklicherweise war der Magen des ME12078 unerschrocken und ließ sich durch derartige Schüttelangriffe nicht einschüchtern. Da war dieser unbeschreibliche Kitzel im Bauch, wenn der Fuß das Gaspedal nahezu durchzudrücken schien, die Geschwindigkeitsanzeige sich in Richtung 300 bewegte und die Fahrbahn auf der Wand eine  unberechenbare Kurve machte. Jetzt galt es, den Fuß eisern auf dem Pedal zu halten und der Versuchung, das Tempo zu drosseln nicht nachzugeben. Gleichzeitig beide behandschuhten Hände ans Lenkrad krallen und  links einschlagen. Wie gut, dass ME12078  festgeschnallt war. Die Zentrifugalkraft versuchte, den Fahrer aus  dem Sitz zu katapultieren, aber die Gurte fesselten ihn  in Sicherheit. Kaum war die Kurve gemeistert, erschien eine Mauer. Unmöglich, noch auszuweichen. Die 300 waren längst erreicht. Also voll draufhalten und gegen die Mauer knallen. Gigantisch, was für einen Schlag es einem da versetzte, bevor man wieder in seinen Sitz zurückgeschmissen wird. So ein Aufprall ging einem ganz schön in die Knochen. Glücklicherweise war man jedoch fest in den Sitz geschnallt; es konnte nichts passieren.

   Voll konzentriert fuhr ME12078 seine Strecke. Acht schwere Unfälle, zwei davon letal, brachte er hinter sich, bis eine Sirene meldete, dass der Stromvorrat aufgebraucht war. Also raus aus der Montur und noch kurz unter die Dusche. Ganz, wie es die Wand gebot und jeden einzelnen Handgriff vormachte.

   Die Wand zeigte schließlich immer, was zu tun war.  Noch einmal Zähneputzen mit der alten Bürste und dann ab ins Bett.  Au, was war denn das? ME12078 spürte etwas Hartes unter seinem Rücken. Er erschrak. Das graue Kästchen! Er hatte völlig vergessen, es zurückzugeben.

   Aber warum war denn keinerlei Fehlermeldung gekommen, dachte er? Man hätte doch merken müssen, dass ich nicht alles zurückgegeben habe.

    Einmal war ihm so eine winzige Metallfeder auf den Boden gefallen und er hatte nichts gemerkt. Bevor er auch nur einen einzigen Dumm gutgeschrieben bekommen hatte, musste er den Boden seiner gesamten Zelle absuchen, um dieses blöde winzige Teilchen zurückzugeben.

   Und nun war da dieses seltsame Kästchen und keiner merkte etwas?  Wo gibt’s denn so was? Gedankenversunken drehte er es in seiner Hand umher, schaute es an, entdeckte einen Kopf zum Anschalten und drückte darauf. Sofort ertönte das Stromwarnsignal.  Strom brauchte es also, dieses graue Etwas. Also musste man damit auch was anfangen können.

   Vielleicht war es ein neues Spiel? Aber er hatte keines bestellt und es wurden ihm auch keine Dumms dafür abgezogen. ME12078 traute der ganzen Sache nicht.

    Trotzdem, er  war neugierig genug, um weiter über seine neueste Errungenschaft nachzudenken. Ob er für morgen vielleicht noch mehr Strom...? Quatsch, konnte er ja nicht. Er konnte jetzt nichts mehr machen, außer zu schlafen. Aber morgen, nahm er sich vor, morgen würde er sich noch mehr Strom bestellen. Viel mehr.

Die Probleme der Menschheit sind gelöst

   Sie trafen sich im Dachgarten über dem neunundneunzigsten Stockwerk des siebenstrahligen Käfigs. Die Sieben, die den Rest der Menschheit beherrschten, ohne, dass dieser davon gewusst hätte.

   Als letzter betrat eine orangehaarige blasse Gestalt den Raum. Sein Aussehen war ebenso lächerlich wie das der Isolanten.  Er war der Einzige der Sieben, der die dummen Moden, mit denen seine Kollegen die kasernierte Menschheit beschäftigte, selbst mitmachte.

   Dennoch; FinanzoFritz führte den Vorsitz bei ihren Treffen. Nicht, weil er der Klügste und Wertvollste unter ihnen gewesen wäre, sondern, weil ihm die Welt gehörte. Sie gehörte ihm bis auf die wenigen Fleckchen, die die anderen sechs ihm bislang abgeluchst hatten. Dieser Verlust tat FinanzoFritz aber nicht weh, er hatte jene gewisse Großzügigkeit beim Erkaufen von Freunden von Kindesbeinen an gelernt. In seiner Familie waren weder Schönheit noch Liebe zuhause, umso mehr schätzte man den Einfluss des Geldes. Und so lernte man den professionellen Umgang mit jenem Medium. FinanzoFritz’s  Vater hatte damals seine Gelder geschickt arbeiten lassen. Während die anderen damit beschäftigt waren, die neue Welt  zu gestalten, kaufte er sie kurzerhand.   Und so waren die sechs anderen gezwungen, FinanzoFritz als einen der ihren zu dulden. Man brauchte einander.

   Neben FinanzoFritz saß TechnoTheo. Ein sympathisch aussehender Naturbursche, kurzer brauner Bürstenschnitt, die Haarspitzen verwegen in alle Richtungen stehend. Eine natürlich entstandene Frisur; gestylt während des ständigen Grübelns über neuen EDV-Fragen. TechnoTheos Vater war Lehrer; er selbst hasste die Schule wie die Pest. Vor allem, weil er wegen jeder verpatzten Klassenarbeit und jedes sonstigen Vergehens Zimmerarrest bekam. Wie oft saß er so alleine in seinem Zimmer, las irgendwelche Bücher, die sein Vater für pädagogisch wertvoll hielt und wurde nur zu den Mahlzeiten hinunter ins Esszimmer geholt.

   Glücklicherweise merkte sein Vater nicht, was er anrichtete, in dem er TechnoTheo zum zehnten Geburtstag einen Computer schenkte. Schon bald war der clevere Junge mit all seinen Freunden vernetzt und konnte seine gesamte Zimmerarrestzeit mit ihnen verbringen. Da TechnoTheo sehr oft eingesperrt war, übte er später fleißig das Hacken. Bereits nach kurzer Zeit hatte die örtliche Bank keine Geheimnisse mehr vor TechnoTheo und seiner Clique. Die blauen Augen waren klar; der fast kalte Blick wurde dementiert von einem warmen Lächeln. Den leichten Bauchansatz, den seine sitzende Tätigkeit an den Rechnern immer mal wieder verursachte, ließ er sich bei Bedarf von MediziMoni wieder absaugen.

   Er war es, der diese problemfreie Menschheit datentechnisch erfasste und mit Hilfe von einigen Rechnern kontrollierte. Noch. Denn in den letzten Wochen hatte das Datengenie hart gearbeitet. Seine Kollegen würden Augen machen...

   Jedes Treffen der Sieben begann rituell mit dem Anstimmen des Hohelieds ihrer Heldentaten. FinanzoFritz läutete es ein.

    „Wenn ich noch an die Überbevölkerung denke, an die Armut, den Hunger, die Kriege, die Geschlechterkämpfe, die Umweltverschmutzung und die Arbeitslosigkeit. Zum Glück gibt es all das nicht mehr.“

   „War aber auch ein ganz schönes Stück Arbeit.“ Die hagere MediziMoni saß zur Rechten von FinanzoFritz.

Sie stammte aus einer Ärztedynastie. Während andere Mädchen ihre Puppen frisierten und sie dreimal täglich umzogen, suchte MediziMoni verzweifelt, deren Hämoglobinwerte festzustellen. Leider wollte ihr dies nie gelingen. Und das, obwohl sie keinerlei Operationen an diesen unschuldigen Geschöpfen ausließ. Zum Ende der Phase, wo man mit Puppen spielte, lagen MediziMonis beklagenswerte Spielzeuge allesamt seziert in einer hölzernen Kiste.

   Nun dachte auch sie zurück an die unendliche Forschung, die sie in den letzten Jahren geleistet hatte. Tag und Nacht hatte sie gearbeitet; und dabei fast das Augenlicht eingebüßt. MediziMoni hatte diese mayonnaiseblond gefärbte Nachrichtensprecherinnenfrisur und aus ihren Glubschaugen funkelten türkisfarbene Kontaktlinsen; ein bisschen intellektuelles Kuscheltier.  Ihre intensive Forschung hatte auch sonst noch Spuren hinterlassen; MediziMoni sah mindestens zwanzig Jahre älter aus als dreiunddreißig.

   Dennoch; die harte Arbeit war ihr gelungen. Man hatte die Menschen auch biologisch voll im Griff. Ein Meisterwerk der Apparatemedizin. Dagegen waren die plastischen Operationen, mit denen sie ihre Kollegen zu bleibenden Schönheiten geformt hatte, ein Kinderspiel. Welch ungeheuere Leistung, alle menschlichen Normalwerte zentral zu kontrollieren und aus der Ferne zu behandeln. Ganz zu schweigen von den Roboteroperationen. Es hatte wirklich ihr gesamtes Können erfordert, die Menschheit auf diesen Stand zu bringen. Außer ihr hätte das kein Mediziner geschafft. Deshalb gehörte sie zu den Sieben. 

   PropagiPaula und ManipuliMia  waren Zwillingsschwestern. Man sah es nicht sofort, denn während PropagiPaula langes glattes Blondhaar hatte, umspielte eine schwarze Lockenpracht ManipuliMias zartes Gesichtchen.  Ansonsten sahen die beiden Damen nahezu identisch aus. Man könnte davon ausgehen, dass die gemeinsamen Erbanlagen dies verursacht hatten. Dies allerdings wäre eine Fehleinschätzung. Das identische Operationsprogramm, das MediziMoni den

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 21.12.2010
ISBN: 978-3-7438-1166-9

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /