Jan Sidanou:
Flucht von der Voodoo Insel
von
Van Maddox
Text Copyright (C) 2014, 2015 Van Maddox
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Sigrid Limbach
Cover: Volker Emm
09.07.2015: Veröffentlichung auf Bookrix
05.10.2015: Korrektur einiger ortographischer Fehleistungen und Beseitigung der nicht korrekt übernommenen Fußnoten
Banda, La – Tanzritual im Voodoo
Baron Samedi – Einer der Erschaffer der Loa Ghede und Ehemann von Maman Brigitte. Baron ist immer gut gekleidet und wird meist mit Anzug, Zylinder und Spazierstock dargestellt
Bokor – Männlicher Voodoo-Priester, der zur Makaya Sekte gehört
Djab – Unter einem Djab (abgeleitet von frz. Diable – Teufel) versteht man im Voodoo einen Geist, der in besonderen Fällen auch von einem Menschen 'Besitz' ergreifen kann. Unter normalen Umständen ist 'Besessenheit' durchaus positiv zu werten, verschafft es dem Besessenen doch eine besondere und zeitlebens anhaltende Bindung zu einem Wesen aus der Götterwelt.
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Houngan – Männlicher Voodoo-Priester
Lisa Bonnet – Spielte neben der Bill Cosby Show auch eine der Hauptrollen in dem Mystery-Thriller 'Angel Heart'. Die Vögelszene zwischen ihr und Mickey Rourke ist legendär.
Loa – Mächtige Geisterwesen des Voodoo, die mitunter Besitz von Menschen nehmen können und sie dann kontrollieren
Loa Ghede – Eine der drei Gruppen der Loa des Voodoo. Die Loa Ghede sind die Fruchtbarkeits- und Totengeister.
Makaya – Sekte des Voodoo, in der Magie und Zaubern eine große Rolle spielen
Mambo – Weibliche Voodoo-Priesterin
Maman Brigitte – Frau von Baron Samedi und Herrin über Friedhöfe und Grabsteine. Mit Baron zusammen ist sie die Schöpferin der Loa Gehede
Papa Legba – Einer der Loa Ghede und Mittler zwischen Totenreich und Diesseits
Saut D'eau Fest – Saut d'eau oder Sodo ist ein Wallfahrtsort des Voodoo auf Haiti. Das dazugehörige Fest findet jährlich im Juli statt.
SomaFM – Eines der ältesten unabhängigen Internetradios mit diversen Kanälen.
Voodoo – Synkretistische und sehr tolerante Religion mit westafrikanischen Ursprüngen und Einflüssen aus vielen anderen Religionen. Weit verbreitet in Afrika und der Karibik.
Meine erste Wahrnehmung, nachdem ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte, war Frösteln. Ich schien am ganzen Körper zu zittern. Während meines Blackouts hatte ich deshalb wahrscheinlich meine Arme um mich gewickelt.
Dann setzten schlagartig Teile meiner Erinnerung wieder ein. Die Empfindungen und Sinneseindrücke, die dann auf mich eindrangen, überforderten mich erst völlig, so dass ich keinerlei klaren Gedanken fassen konnte.
Intuitiv bemühte ich mich meinen Atem ruhig zu halten, mich einfach nur auf einen einfachen Vorgang wie das Ein- und Ausatmen zu konzentrieren. Einfach, bewältigbar, bekannt. Atmen. Es gab mir Halt. Ich atmete ein, aus, ein, aus. Und dann wagte ich einen erneuten Anlauf und ließ die Eindrücke zu. Die Erinnerungen.
Als ersten Schritt zurück in die Realität ließ ich meinen Blick über die nähere Umgebung schweifen. Nicht ohne ein gewisses Unwohlsein, was für ein Szenario mich erwarten würde.
Es war mittlerweile hell geworden. Noch nicht taghell, aber der Morgen dämmerte und es würde nicht lange dauern, bis die ersten Sonnenstrahlen sichtbar werden würden. Den Helligkeitsverhältnissen nach zu urteilen, mochte es so gegen sechs Uhr sein.
Ich fand mich an der Stelle wieder, an der ich am Abend das Bewusstsein verloren hatte und entgegen meiner Hoffnung war ich nicht allein.
Neben mir lag ein lebloser, schwarzer, rußbedeckter, nackter Frauenkörper.
Der Boden unter uns war dunkel und verkohlt und klebte leicht und als ich an meinem Körper hinabsah registrierte ich, dass auch ich mit Ruß bedeckt war.
Der Geruch nach Verbranntem hing noch stark in der Luft. Außer uns war niemand zu sehen oder zu hören und der Gedanke schoss mir durch den Kopf, dass ich mich hier womöglich alleine neben einer unbekleideten Frauenleiche fand, die in dieser Nacht entjungfert worden war. Selbst hier auf Haiti wäre man vermutlich kriminaltechnisch in der Lage Spuren an ihr zu finden, die eindeutig auf mich als Täter hinwiesen. Ich fragte mich, wie ich jemandem glaubhaft vermitteln konnte, was wirklich passiert war. Wenn ich es überhaupt selber wusste. Was von alldem, an das ich mich im Moment erinnerte, war Realität und was war Produkt meiner Fantasie?
Ich erhob mich, um das schwarze Mädchen näher zu untersuchen. Dabei durchzog ein böser Schmerz meinen Körper. Jeder Muskel schien mir wehzutun.
Ich hatte erst Hemmungen sie zu berühren. Sie war meine erste Leiche. Dann registrierte ich erleichtert, dass sich ihr Brustkorb regelmäßig hob und senkte. Sie war zumindest noch am Leben. Also nur eine Vergewaltigung. Auch grandios. Wegen einer Vergewaltigung, mit der ich rein gar nichts zu tun hatte, war ich erst nach Haiti gekommen. Und jetzt das. Duplizität der Ereignisse. Diesmal war ich zumindest am sexuellen Akt beteiligt. Immerhin.
Ich wandte mich wieder der Realität zu. Ich brauchte jetzt erst einmal Kleidung. In der Asche am Boden sah ich die Überreste meiner Gürtelschnalle blinken, aber ansonsten lag hier nichts herum, das entfernte Ähnlichkeit mit Kleidung hatte. So konnte ich mich hier nicht wirklich fortbewegen.
Noch während ich am Überlegen war, wie ich das Problem mit der Kleidung lösen sollte, hörte ich Geräusche. Ich zuckte zusammen. Es waren eindeutig Schritte, die sich näherten. Hektisch blickte ich umher, ob ich mich irgendwo verstecken konnte, aber es gab nichts. Flüchten? Wohin? Ich wandte mich suchend um, in der Hoffnung irgendwo einen Fluchtweg zu finden. Die Schritte wurden lauter. So sehr ich auch schaute und überlegte, mir fiel keine Lösung ein und so brachte ich mich resignierend in eine halbsitzende Position, bedeckte damit zumindest einen Teil meiner Nacktheit, und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Viel schlimmer konnte es nicht werden.
Die Person, die sich näherte, war klein. Sehr klein. Sie maß vielleicht gerade 1,50m in der Länge und trug ein weites rotes Kleid. Sie hatte wilde, krause schwarze Haare, die von einzelnen weißen Strähnen durchsetzt waren und durch ein buntes Haarband gebändigt wurden und blickte suchend umher, ehe sie meiner gewahr wurde. Es war Mambo Evienne.
Erleichterung durchflutete mich, ehe ich mich an die letzte Begegnung zwischen uns erinnerte und ich mir nicht mehr ganz so sicher war, ob Erleichterung jetzt eine angebrachte Emotion war.
Auch die Erinnerung an die widersprüchlichen Gefühle ihr gegenüber, angefangen von Wut über Hass, bis sogar sexuellem Begehren, war nach wie vor präsent. Allerdings stellte ich fest, dass es nicht mehr als eine Erinnerung an vergangene Emotionen war und die Gefühle als solche längst verblasst waren.
Jetzt fühlte ich nur Erleichterung, aber da war auch noch etwas Weiteres. Ich konnte plötzlich fühlen, dass Evienne nicht ohne Grund hier war, sondern, weil sie mich gesucht hatte. Und ich fühlte, dass sie mir nichts Böses wollte, fühlte, wie sie so etwas wie eine positive Aura umgab. Eine Art weißes Licht, dass sie leuchten ließ. Es traf mich sehr plötzlich und unvorbereitet. Was ich da an ihr wahrnahm, war mit den gewohnten Sinneseindrücken nicht zu erklären. Sie konnte mich anscheinend durch ihre Voodoo-Magie auf einer metasinnlichen Ebene erreichen.
Die einfachere Erklärung war, dass ich noch schlief und das alles einfach nur träumte. Blöderweise wirkte es deutlich zu real für einen Traum. Wäre ich nicht so erschöpft und hätte meine natürliche Skepsis gegenüber allem Übersinnlichen in den letzten Tagen nicht schon den einen oder anderen Rückschlag hinnehmen müssen – alleine diese Erfahrung hätte ausreichen müssen, um mich völlig aus der Bahn zu werfen. So nahm ich es einfach nur zur Kenntnis. Ja, okay, ich konnte plötzlich Auren sehen. Und nun? Was kam als nächstes? Tote rührt euch! Ich muss mit euch reden. Und so'n bisschen in die Zukunft kucken wäre auch schick. Wenn schon Wahnsinn, dann bitte richtig.
Dann sah mich Evienne mit einem äußerst merkwürdigen Blick an. An ihrem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass der Anblick, den ich ihr bot nicht exakt das war, womit sie hier gerechnet hatte.
„Jean!“, rief sie mit Besorgnis in der Stimme und trippelte mit kurzen, aber schnellen Schritten zu mir herüber. Ihr Blick fiel auf den nackten Frauenkörper.
„Sie ist am Leben, aber ich weiß nicht, ob sie verletzt ist. Sie war noch nicht wach.“
Überraschend kehrte ein weiteres Fragment meiner Erinnerung zurück.
„Ihr Name ist Elodie.“
„Ich weiß!“, antwortete Mambo Evienne und schaute mich dann nachdenklich an. Sie überlegte einige Sekunden, ehe ihr Blick entschlossener wurde.
„Wir müssen hier schnellstmöglich weg. Es ist hier keinesfalls sicher für dich.“
Ich unterdrückte den Impuls nachzufragen, was sie damit genau meinte. Nach den Ereignissen der letzten Nacht wäre alles andere als der Impuls, diesen Ort schnellstmöglich zu verlassen, äußerst unvernünftig gewesen.
Evienne hatte sich mittlerweile zu Elodie heruntergebeugt und rüttelte sie leicht, um sie zum Aufwachen zu bewegen. Auch sie hatte im Moment des Aufwachens offenbar mit einer gewaltigen mentalen Reizüberflutung zu kämpfen, denn ihr Oberkörper sprang förmlich empor, und wenn ihr Mambo Evienne nicht mit unerwarteter Resolutheit die Hand auf den Mund gepresst hätte, wäre ein lauter Schrei ihren Lippen entwichen. So saß sie da, zitternd und angespannt und starrte aus weit aufgerissenen Augen ins Nirgendwo, ehe sich ihre Verkrampfung etwas löste. Sie schaute in meine Richtung und erschrak, nicht aber so stark, dass sie wieder loszuschreien versuchte.
Mambo Evienne war anscheinend der Ansicht, Elodie hätte sich soweit gefangen und nahm ihr die Hand von den Lippen. Sie schrie tatsächlich nicht, ließ aber trotzdem schwere Atemgeräusche hören. Überrascht stellte ich fest, dass ich so wie bei Evienne auch ihre Präsenz fühlen konnte. Anders als Mambo Evienne war sie eindeutig keine Lichtgestalt. Ich spürte Dunkelheit, Wildheit und Feindseligkeit. Gleichzeitig waren da aber auch auch Angst und Unsicherheit. Es war schwer etwas Konkretes auszumachen. Und dann fühlte ich etwas Weiteres. Ebenso wie bei Evienne handelte es sich bei Elodie um eine Mambo. Eine geweihte Voodoo-Priesterin. Großartig. Auf der Liste der Dinge, die ich in meinem Leben unbedingt gemacht haben wollte, konnte ich jetzt einen fetten Haken hinter den Punkt 'Sex mit einer Mambo' setzen. Vielleicht sollte ich das umgehend auf Facebook posten. Damit hatte ich bei meinen Kumpels echt die Nase vorn.
Die Erkenntnis, dass es sich bei Elodie um eine Mambo handelte, trug allerdings nicht wirklich dazu bei die aktuelle Situation besser einschätzen zu können.
Ich stutzte ein wenig, als ich sah, wie Evienne dann anfing ihr Oberkleid auszuziehen, begriff aber sogleich, welchem Zweck das diente. Allein im Wald mit zwei Nackten. Keine idealen Voraussetzungen, um sich schnell und unauffällig davonzumachen. Selbst in Haiti nicht. Vermutlich sogar gerade hier nicht. Zu Hause in Deutschland wären zwei Nackte im Wald nicht auffällig. Konnten immer noch zu einem Porno-Dreh gehören, gerade eine erotische Fotosession hinter sich gebracht haben oder einfach nur ein Pärchen sein, dass nach einem kleinen Fick im Dickicht auf der Suche nach den ausgezogenen Klamotten war. Alles Dinge, die in Haiti vermutlich eher selten vorkamen.
Evienne hatte sich mittlerweile erfolgreich ihrer obersten Kleidungsschicht entledigt und hielt dann Elodie das Stoffbündel hin, die es zuerst teilnahmslos musterte, sich dann aber doch erhob, um sich anzuziehen.
Unter dem roten Kleid trug Evienne noch ein grauweißes Unterkleid, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Sie musterte mich nachdenklich und als ich die beiden Frauen so vor mir stehen sah, wurde ich mir plötzlich dessen bewusst, dass ich hier als einziger noch völlig unbekleidet herumstand. Ich kam mir seltsam hilflos vor. Bei näherer Betrachtung kam ich mir auch wie ein ziemlich unnötiger Fremdkörper vor. Ausgeschlossen und nutzlos. Ich stand hier zwei Priesterinnen gegenüber. Menschen, die in ihrer Welt ihren festen Platz und ihre feste Bedeutung hatten. Dies verband sie beide und machte mich zu einem Außenseiter. Einem nackten Außenseiter.
Elodie seufzte, beugte sich herunter und begann, von dem Kleid, das sie übergezogen hatte, oberhalb ihres Knies den Stoff abzureißen.
Als sie fertig war, reichte sie ihn Evienne und Evienne kam zu mir und reichte ihn mir.
Ich erhob mich und drehte mich schamhaft um, während ich mir das Stück um die Hüfte wickelte. Okay. Ein roter Lendenschurz. So sollte es also sein. Evienne signalisierte, dass wir uns besser auf den Rückweg machen sollten und wir setzten uns in Bewegung.
Wir waren zwar nicht direkt gelaufen, dafür aber gerade so zügig gegangen, wie es unsere nackten Füße auf dem Schotterboden zuließen. Genaugenommen waren wir erheblich schneller geeilt, als es meine Füße zuließen und ich hatte das Gefühl, mir diverse scharfe Gegenstände in die Sohlen hineingetreten zu haben. Ich bemühte mich allerdings, mir von den Schmerzen nichts anmerken zu lassen.
Evienne hatte sich mehrfach umgeschaut, so als argwöhnte sie, dass wir verfolgt würden. Ein wenig beruhigter wurde sie erst, als der Kern des Dorfes in Sicht kam und erleichtert durchatmen hörte ich sie, nachdem sich die Tür ihres Ladens hinter uns geschlossen hatte. Sie nahm ein Stück Kreide vom Altar und malte ein paar merkwürdige Symbole auf den Boden hinter der Türschwelle. Vermutlich dienten sie dazu, unerwünschte Eindringlinge davon abzuhalten, sie zu übertreten. Zumindest bei mir hatte es hervorragend funktioniert. Auch ich fühlte Erleichterung, ohne dass ich mir so recht erklären konnte, weshalb. Es war das Gefühl, einem sehr unangenehmen Unheil vorerst entkommen zu sein.
Einige Zeit später saßen wir uns wieder einander gegenüber. So, wie bei unserem ersten Gespräch vor ein paar Tagen. Evienne hatte Elodie irgendetwas zu Trinken verabreicht und sie in einen Nebenraum verfrachtet. Ich war kurz bei Madame gewesen und hatte mich notdürftig gereinigt und mir frische Kleidung angezogen.
Als ich zu Evienne zurückkehrte, erwartete mich eine Schale mit einem dampfenden Getränk, welches ich auf Wink von ihr widerspruchslos konsumierte. Ich fühlte in einer erschreckenden Deutlichkeit, dass mir von Seiten Eviennes keinerlei Gefahr drohte, ja sogar im Gegenteil, dass sie alles für mich tun würde, um mir zu helfen. Es war beruhigend und erschreckend zugleich.
Ich war nicht gewohnt, dass Menschen für mich da waren, geschweige denn, dass ich mich jemals freiwillig auf andere hätte verlassen müssen. Es widersprach absolut meiner Lebenseinstellung.
Sicher, ich hatte Kumpels in Hamburg, die mir Drogen besorgten, mit mir auf Partys gingen, aber da sein für jemanden? Warum?
Ich musste unwillkürlich an Dave Elborg denken. Richtig. Dave war für mich dagewesen, wann immer ich ihn gebraucht hatte. Ich hatte es ihm nie gedankt und es war mir nie so klar gewesen wie jetzt in diesem Moment.
„Erzähle mir, was genau passiert ist!“, riss mich Evienne aus meinen Gedanken.
Ich fing an zu erzählen. Von den widersprüchlichen Empfindungen, nachdem sie mich ausgesperrt hatte. Von den wechselnden Emotionen, die mich dann heimsuchten, der nächtlichen Wanderung, der Euphorie, den tanzenden Menschen, Elodie, dem Lied, dass ich mitgesungen hatte und der sexuellen Vereinigung. Wenn ich mittlerweile etwas gelernt hatte, dann war es, dass jedes noch so kleine Detail enorm wichtig sein konnte. So sparte ich nichts aus.
„Bin ich besessen von einem Djab?“, fragte ich sie schlussendlich.
Evienne schüttelte den Kopf:
„Du warst besessen. Und nicht von irgendeinem Djab, sondern von einem besonderen, einem, den wir erwartet hatten, aber nicht annähernd zu dieser Zeit. Wenn ich geahnt hätte, was gerade mit dir passiert, hätte ich anders handeln müssen.“
Sie schaute mich mit einer Mischung aus Besorgnis und fast so etwas wie Stolz an, ehe sie fortfuhr:
„Aber du hast gezeigt, dass mehr in dir steckt als der verwöhnte Spross einer großen Familie zu sein. Und du hast meine Fehleinschätzung wieder gutgemacht.“
Das Gespräch verringerte meine Verwirrung nicht wirklich.
„Was geht hier vor?“, fragte ich.
Mambo Evienne lächelte mich halb abwesend an, als sie antwortete:
„Das müssen wir selber noch herausfinden. Aber ich denke, Rob kann dir dazu mehr sagen als ich. Und letztlich wirst du die Antworten, nach denen du jetzt suchst, von jemand ganz anders bekommen müssen.“
Rob. Wenn ich innerlich dachte, dass sich jetzt ein Kreis schließen würde, so war das durchaus berechtigt. Irgendwie hatte ich bereits die ganze Zeit geargwöhnt, dass etwas mit Rob nicht stimmte. Ob es nun seine Verbindung zum System Elborg war oder etwas anderes. Das Problem war: ich hatte nach wie vor keine Ahnung, welcher Kreis sich gerade schloss.
„Rob?“, fragte ich.
„Rob. Er wird gleich hier sein, um dich nach Port-au-Prince zurückzubringen.“
Sie fügte mit etwas besorgtem Gesichtsausdruck hinzu:
„Du bist hier zwar momentan sicher, aber ich weiß nicht, wie lange noch. In der vergangenen Nacht hast du Leute gegen dich aufgebracht, mit denen nicht zu spaßen ist. Der Name Sidanou ist alleine schon gefährlich genug, aber mit dem, was du ihnen angetan hast, stehst du ganz weit oben auf der Liste derer, mit denen die Anhänger des Dengueh-Kultes noch eine Abrechnung offen haben.“
Ich fröstelte. Alles, was Evienne mir erzählte, warf neue Fragen auf und gab keinerlei Antworten auf die bereits vorher aufgeworfenen.
„Kannst du mir irgendwie erklären, was hier los ist? Was ist der Dengueh-Kult? Was hat meine Familie damit zu tun?“, fragte ich sie.
„Rob!“, war ihre einzige Antwort.
Ich nahm ein leichtes Summen wahr, was aus der Richtung von Evienne kam. Sie griff in eine der Taschen ihres Kleides, holte ein Mobiltelefon hervor und schaute aufs Display. Dann wandte sie sich wieder an mich:
„Er ist in wenigen Minuten da. Komm, hilf mir.“
Sie bedeutete mir ihr in einen rückwärtigen Raum zu folgen. Es war anscheinend eine Art Wohnzimmer, denn er war deutlich weniger spartanisch eingerichtet als der Ladenraum. Der Boden war mit einem einfachen Teppich belegt, es gab eine schlichte Recamiere, einen tiefen Holztisch und einige Regale mit Büchern, deren Titel ich allerdings bei dem schummrigen Licht, das durch die heruntergelassenen Jalousien hereindrang, nicht sehen konnte. Etwas größeres Erstaunen rief bei mir das Notebook hervor, das auf dem Couchtisch stand. Evienne offenbarte schlagartig einige recht unerwartete Züge. Ich kam allerdings nicht dazu meinem Erstaunen Ausdruck zu verleihen, da sie mich in eine Ecke des Raumes dirigierte, in der wohl ihr Schlafplatz war und wo momentan Elodie sehr tief zu schlafen schien. Evienne bedeutete mir, sie am Rumpf anzuheben und nahm selber die Beine. Sie gab keinen Laut von sich, als wir sie aus dem Bett hoben und in den Ladenraum trugen. Anscheinend hatte Evienne ihr etwas zu trinken gegeben, was sie außer Gefecht setzte. Wozu auch immer.
Als wir in den vorderen Raum zurückkehrten, stand dort bereits Rob und wir setzten Elodie ab und lehnten sie gegen den Tresen.
Ohne Begrüßung fing Rob sofort an hektisch gestikulierend auf Evienne einzureden. Er tat dies in einer Geschwindigkeit, die es mir unmöglich machte, mehr als einzelne Worte zu verstehen. Irgendetwas missfiel ihm an Elodie, aber Evienne redete sehr eindringlich auf ihn ein und so schien er seinen anfänglichen Widerstand aufzugeben und schließlich einzulenken. Und sie redeten über mich und wieder war es eine sehr hitzige Diskussion.
Danach wandte sich die Mambo wieder an mich:
„Rob ist ein wenig misstrauisch und möchte, dass ich dir ein Schlafmittel verabreiche, damit du nicht mitbekommst, wohin er euch bringt.“
Ich schaute erst sie fragend an, dann ihn. Was sollte ich davon halten. Es widerstrebte mir. Auf der anderen Seite war ich vom Wohlwollen der beiden abhängig.Wenn sie mir Böses wollten, hätten sie da bereits genügend Gelegenheiten zu gehabt und würden auch noch genügend Gelegenheiten dazu erhalten.
Ich nickte und bemerkte mit schiefem Grinsen: „Ich sollte es vielleicht im Auto zu mir nehmen, damit ihr mich nicht auch noch rein tragen müsst. Ich bin etwas schwerer als Elodie.“
Rob lachte und auch Evienne musste schmunzeln.
Dann bewegte sie
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Van Maddox
Bildmaterialien: Volker Emm
Lektorat: Sigrid Limbach
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2015
ISBN: 978-3-7396-0491-6
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