Cover

Hoani Der siebte Herbst

 

 

Ihre Finger zeichneten verwobene Kringel in den lauwarmen Sand, sie ähnelten dem harten Schuppenpanzer von den Echsen, die in dieser Gegend zuh Hauf lebten. An einen großen, von der Sonne erwärmten Stein lehnend, genoss sie die letzten sonnigen Tage. Allmählich verabschiedete sich der Sommer, die Bäume über ihr zeigten schon ihr buntes Spiel des Herbstes. In den schönsten Farben zeigten sie sich, von rostbraun über gelb zur weinrot. Es war wunderschön.

Etwas stupste gegen ihren linken Arm. Ihr treuester Freund hatte einen Stock im Maul und sah sie erwartungsvoll an. Leicht schmunzelnd strich sie über seinen Kopf: „Na Iti, hast du wieder einen gefunden?“ Er legte den Stock auf ihren Schoß und bellte auffordernd. Yuzieh lachte und stand auf, um den kleinen Ast weit weg zu werfen. Iti liebte es, mit ihr hier draußen im Wald zu spielen. Leider hatte sie nicht mehr so viel Zeit wie früher, sie musste immer öfter ihrer Mutter helfen.

Gedankenverloren strich sie ihr gelbgepunktetes Kleid glatt und erinnerte sich an den kleinen Vogel. Damals hatte sie ihn hier im Wald gesehen und sein Fiederkleid bewundert, also hatte sie beschlossen, ein Kleid in den Farben dieses Vogels zu nähen. An jenem Tag hatte sie auch ihren geliebten Iti gefunden. Er war in eine Bärenfalle geraten und sie hatte ihn befreit. Dies lag schon über zwei Jahre zurück. Yuzieh und Iti waren seitdem beste Freunde geworden.

Das Gras unter ihren Füßen kitzelte sie ein wenig, als sie in die Richtung schlenderte in die Iti davon gestoben war, um sein Stöckchen zu suchen. Bald würden sie zurück ins Dorf müssen. Doch vorher wollte sie noch ein wenig mit Iti den Tag genießen;, er war so verspielt und immer gut gelaunt. Außerdem war er immer für sie da, wenn ihre Eltern sie wieder einmal tadelten oder die Jungs sie hänselten. Iti verstand sie. Wild mit dem Schwanz wedelnd,t kam er schon auf sie zugelaufen, damit sie sein Stöckchen erneut werfen konnte. Eine Stunde noch dachte sie und strubbelte durch Itis Fell.

Eine Stunde war schnell vergangen, die Zeit verflog wenn sie mit Iti herumtollte. Stets fühlte sie sich leicht und unbeschwert, wenn sie mit dem kleinen Hund in den Wäldern die Natur genoss und auf Entdeckungsreise ging. Nun war sie wieder im Dorf und schrubbte die große Pfanne, in der ihre Mutter immer über der Feuerstelle das Mahl zubereitete. Iti hatte sich schlafen gelegt, er war müde von ihrem Ausflug. Die dunklen Rußflecken lösten sich nur schwerlich vom Blech. Immer wieder rieb sie mit aller Kraft über die dunklen Stellen.

Aufgeregt rannten die anderen Kinder des Dorfes an ihr vorbei. Yuzieh sah auf und strich sich ihre blonden Haare aus dem Gesicht. Nun folgten auch einige andere Dorfbewohner den Kindern. Langsam ließ Yuzieh die Pfanne zurück in das Wasserbecken sinken. „Was war denn los?“ Sie trocknete sich ihre Hände an ihrem Kleid ab und stand auf. Immer mehr Dorfbewohner drängten sich in den Straßen zum südlichen Teil des Dorfes. Auch Yuzieh reihte sich nun ein, begierig darauf zu erfahren, was sie alle von der täglichen Arbeit fernhielt.

Schon bald kamen sie ans Ende des Dorfes und Yuzieh sah, wie sich invon weiter Ferne eine kleine Gruppe mit schweren Karren über den unbefestigten Weg kämpfte. Es waren die fliegenden Händler, die mit Sack und Pack durchs Land zogen, um mit Bewohnern weit entlegener Orte zu handeln. Die Karren schwangen hin und her und man konnte das Klirren von Kochtöpfen, die aneinander schlugen, vernehmen.

Die Händler hatten nur einen Ochsen, der vor den größten Wagen gespannt war. So groß, dass Yuzieh darin hätte stehen können. Die übrigen drei wurden von Frauen und Männern gezogen. Die ersten Dorfbewohner klatschten in die Hände, als sie erkannten, dass auch Spielleute in der kleinen Karawane zogen. Bunte Kleider und ulkige Hüte verrieten Sie. Heute Abend gäbe es bestimmt ein Fest dachte sie sich. Mit schönen Klängen, Gelächter und einem großen Feuer.

 

Als die Dunkelheit hereinbrach, begann das Fest. Iti bestaunte das große Lagerfeuer, dass am Rand des Dorfes vor den Karren der Händler entfacht worden war. Ein paar Spielleute ließen Ihre Instrumente klingen und die Dorfbewohner schenkten sich und den Besuchern Met ein. Sie lachten und sangen zusammen und gelegentlich stimmte Iti in ihren Liedern mit lautem Heulen ein. Ein Feuerkünstler zeigte sein ganzes Können und ein Messerwerfer beschwor immer wieder Schreckensschreie herauf, wenn er haarscharf an den Freiwilligen vorbei warf.

Am Tage hatten die Dorfbewohner mit den Neuankömmlingen allerhand Geschäfte gemacht. Die Dorfbewohner zahlten überwiegend mit Lebensmitteln, die die Händler für Ihre lange Reise benötigten oder sie boten geschlagenes Holz als Tauschware an. Heute jedoch hatte Yuzieh auch wertvollere Dinge wie Schmuck in die Hände der Kaufmannsleute wandern sehen und Johns Vater hatte sogar einen Karren gezimmert, um sich Gewürze aus fernen Ländern leisten zu können.

Die Fremden hatten allerhand hunderterlei Tand aus allern Herren Lländern aber auch wertvollen Schmuck, den Sie in Ihren Kleidern versteckten; aus Angst, dass sie Ihnen so einfach geklaut werden könnte. Vor zwei oder drei Jahren hatte Yuzieh gehört, dass die fahrenden Händler oft ausgeraubt wurden auf ihren langen, harten Reisen. Es war beängstigend, fand sie, dass sie nicht nur so viele fremde Menschen in fremden Ländern kennenlernten, sondern in ihrem schwierigen Dasein ohne feste Unterkunft befürchten mussten, beklaut und bedroht zu werden.

Wenn Yuzieh darüber nachdachte, fühlte sie sich immer unbehaglich, dass sie Tage zuvor gemault hatte, ihr Strohbett in der warmen Hütte sei nicht weich genug. Sie konnte sich glücklich schätzen, hier mit ihren Eltern ein Zuhause zu haben und genug zu essen, um nicht allzu oft hungrig zu sein zu müssen. Obendrein hatte sie noch Iti, der sie beschützte und ihr die Sicherheit gab, dass sie nicht ausgeraubt werden würde.

Ja, diese Leute hatten es schwer, aber sie hatten auch viele Geschichten, die sie auf ihren langen Reisen in den unterschiedlichsten Gebieten aufschnappten und sogar selbst erlebten. So konnte Yuzieh jedes Mal wenn Händler vorbeikamen, was nicht gar so oft geschah, ihren unglaublichen Abenteuern lauschen. Auch nun saß sie im Schein des Feuers und konnte kaum fassen, was der dicke bärtige Mann vor ihr erzählte. Seine knollige Nase warf große Schatten in seinem Gesicht und ließ ihn böse wirken.

„Er drohte mir mit seinem Schwert und ich wich zurück, bis ich mit dem Rücken an eine Wand stieß. In seinen Augen glitzerte der Hass und ich musste schlucken. Doch dann fiel mir auf, dass in dem Wappen auf seiner Brust ein geflügelter Puma gestickt war und ich wusste genau, dass es ein Löwe hätte sein müssen. Ich stieß ihm mein Knie in den Magen, griff nach meinem Dolch und fügte ihm einen Schnitt am Arm zu. Der Kerl ließ sein Schwert fallen und glitt zu Boden.

Langsam bückte ich mich nach seiner Waffe und ließ ihn nicht aus den Augen. Solche Betrüger darf man nicht aus den Augen lassen. Wer vorgab ein Soldat des Königs zu sein, kannte auch sonst keine Ehre. Ich richtete sein eigenes Schwert auf ihn und schrie ihm zu, dass ich mich nicht von ihm täuschen lassen würde. Das Schwein versuchte nach mir zu treten, doch ich war schneller und beförderte ihn erneut zu Boden. Noch dreimal versuchte er es, bis er erkannte, dass er sich geschlagen geben musste und mir all sein Gold gab. Und so habe ich mein Schwert bekommen.“

Ein Raunen ging durch die Gruppe und Yuzieh betrachtete neugierig das Schwert in den Händen des breitschultrigen Mannes mit der Knollnase. Es war ganz schmal und der Griff hatte ganz viele Verzierungen; sie meinte sogar, eine Frau zu erkennen. Sie würde auch gerne mal so ein Schwert besitzen, es war etwas Besonderes und so Eehrfurcht geerbietend.

Ein ohrenbetäubender Knall ließ alle verstummen und kurz darauf schrien die ersten erschrocken auf, als zwei Karren der Händler auf einmal lichterloh in Flammen standen. Schon bald griff das Feuer um sich und leckte an den übrigen Wagen. Es dauerte nicht lange, bis auch der Karren von Johns Vater in Flammen aufging. Langsam lösten sich einige Dorfbewohner aus dem ersten Schock, während die Besitzer der Karren noch ungläubig in die Flammen starrten.

Auch Yuzieh rannte los zum Dorfbrunnen und schnappte sich einen Eimer. Als sie ihren gefüllt hatte und schon auf dem Rückweg war, kamen ihr zunehmend neue Helfer entgegen, die sich von dem schrecklichen Anblick gelöst hatten. In ihrem kleinen Eimer war nicht sehr viel Wasser, da sie nicht mehr tragen konnte und es half auch nicht sehr viel, als sie es auf die Flammen schüttete; aber sie wollte auch unbedingt auch helfen.

Mehr als zehnmal war sie gelaufen, bis sie die Flammen endlich gelöscht hatten. Es hatte wirklich lange gedauert und die Karren waren mehr von selbst erloschen, als dass es ihr Werk gewesen war. Der Besitz der Händler hatte sich in Luft aufgelöst. Kaum etwas hatte dieses verheerende Feuer überlebt. Dennoch stocherten sie mit Stöcken in den schwelenden Überresten und hofften noch, etwas Brauchbares zu finden, dass ihre Existenz sichern würde.

Mit lautem Brüllen kam der knollennasige Mann mit seiner Glatze zu der Menschenmenge, die sich um die Trümmer versammelt hatten. In seinem Arm zappelte John mit hochrotem Kopf und nackte Angst spiegelte sich in seinem Antlitz wieder. „Dieser Bengel hat von Tans Wagen geklaut, dem Feuerkünstler. Hat da vorn rumgezündelt. Mit dem Schwarzpulver hätte er sich fast in die Luft gejagt.“ Jetzt erkannte auch Yuzieh den Ruß in Johns Gesicht und seine angesengten Kleider.

Ein anderer Händler stürzte sich auf John, den der knollennasige freigelassen hatte. Mit lautem Gebrüll und Schimpfwörtern fing er an, auf den Jungen einzudreschen. Johns Vater löste sich aus den Reihen und eilte seinem Sohn zur Hilfe. Leider beeindruckte das den Händler nicht und es brachte auch Johns Vater eine Tracht Prügel ein. Es waren mehrere Männer notwendig, um die Streitenden auseinander zu ziehen.

„Ich werde den Jungen töten!“, schrie der zerzauste Reisende und versuchte, sich loszureißen. Mehrere Dorfbewohner entgegneten etwas und Johns Mutter klagte laut ihr Leid. Die Stimmen wurden immer lauter und es entfachte sich ein hitziger Streit zwischen den Dorfbewohnern und ihren Gästen. Die fahrenden Händler, zumindest die, deren Karren verkohlt neben ihnen lagen, hatten alles verloren, was sie besaßen und forderten den Tod von John. Sie wollten dass er Buße tat, für das, was er ihnen angetan hatte. Sie wünschten wollten ihn auf direktem Weg in die Hölle zu befördern.

Einige der Dorfbewohner stimmten diesem Verlangen schweigend oder murmelnd zu. Die meisten jedoch waren entsetzt und hielten dagegen. Niemand töte einen kleinen Jungen für seinen Unfug. In diesem Alter täte man das eben. Doch der bullige Kerl mit der Knollnase stellte sich vor Johns Vater auf und blickte ihm tief in die Augen. Nicht allzu laut, aber dennoch so, dass alle ihn hören konnten, knurrte er, dass Johns Vater ihn heute früh noch mit einem Wagen für teuren Wein aus Tanteah bezahlt habe. Der Wagen sei zufällig von seinem Sohn verbrannt worden und der Wein bereits geleert.

Yuzieh konnte den blanken Hass des knollnasigen erkennen und verstand die Wut der Männer, die alles verloren hatten und nun darum bangen mussten, zu hungern. Der Tand der Händler war einiges Wert gewesen und sicherte ein hartes aber auch nicht allzu armes Leben. Und diese Sicherheit war ihnen genommen worden. Johns Vater blickte den bulligen Kerl nur verächtlich an und erwiderte: „Was kann ich dafür, wenn sie nicht auf ihren Kram aufpassen können.“

In diesem Moment sah Yuzieh, wie die Gesichtszüge des Händlers entglitten und sich sein ganzer Körper sich anspannte, während seine rechte Hand sich in Richtung des Schwertgriffes schob. Schnell begriff sie, was der Kerl vor sich hatte, rannte los und schrie „NEIN!“

Der Kerl sah zu ihr herüber und hielt verdutzt von der Tatsache inne, dass ein kleines Mädchen auf ihn zu rannte. Fieberhaft überlegte sie, was sie ihm sagen solle. Sie hatte nur diese eine Gelegenheit, das Leben von John oder seinem Vater zu retten. Keuchend blieb sie vor dem riesigen Kerl stehen. Ihren Kopf tief in den Nacken werfend sah sie zu ihm hoch. Zitternd spürte sie ihr laut pochendes Herz.

„Sie dürfen ihn nicht töten. Ich verstehe, wie wütend sie sind. Mich hat John auch schon öfters geärgert. Aber. Ich denke. Mama sagt immer, dass Gott der einzige ist, der über uns richten darf. Ich finde sie hat rRecht. John ist nur ein dummer Junge. Andererseits haben Sie durch ihn alles verloren. Darf ich einen Vorschlag machen?“, keuchte Yuzieh. Schwindelig wie ihr war, nahm sie dennoch das leichte Nicken des Händlers war.

„Johns Vater hat Sie letztendlich nicht bezahlt und sein Sohn hat Ihnen Schaden zugefügt. Wenn Sie ihn töten, sind Sie immer noch ohne Pfand. Wie wäre es, wenn John bei Ihnen, also wenn Sie John als Pfand nähmen. Er würde für Sie arbeiten und helfen, dass Sie mehr Gewinn machen. Seine einzige Bezahlung ist Nahrung, damit er nicht verhungert. Dann könnte er Ihnen in ein paar Jahren alles zurückholen, was er heute verbrannt hat.“ Der Händler nickte behäbig. „Das scheint mir angebracht.“

John weinte. Sein Vater tobte: „Du dumme Göre, wie kannst du es nur wagen. Ich werde dich...“ „Halt!“, gebot eine tiefe, energische Stimme. Es war Atharr, der Dorfälteste. Yuzieh bekam eine Gänsehaut, er hatte sie schon einmal gerettet.

Eine Stunde später saßen sie in der Hütte des Dorfrates. Yuzieh saß mit ihren Eltern gegenüber von Atharr und Johns Familie. Links und rechts saßen die Ratsmitglieder, sowie die Händler. Sie hatten lange darüber beraten. Nun war es geklärt. Atharr stand auf und erhob die Stimme: „In Anbetracht dessen, was John getan hat, benötigt es einer angemessenen Strafe und einer Bezahlung unserer Gäste. Die kleine Yuzieh“, Atharr sah sie mit seinen alten grauen Augen eindringend an, „machte einen bemerkenswerten Vorschlag, wie wir dieses Problem lösen können.

Nach unserer Beratung steht es nun fest. John wird für die nächsten zehn Jahre im Dienste dieser Händler stehen, um seinen Sold zu bezahlen. Er wird außer der Dinge, die er zum Überleben benötigt, keinerlei Bezahlung erwarten. Wenn er dies vollbracht hat, wird er frei sein und seine Schulden sowie die seines Vaters beglichen haben. Außerdem wird jeder Dorfbewohner eine Gabe aus seinen Vorratskammern beisteuern, um den Händlern auf ihrem Wege beizustehen.“

Lautes Gemurmel erklang im Raum. John lag in den Armen seiner verzweifelten Mutter, während sein Vater Yuzieh wutentbrannt anstarrte. Diese fühlte sich unbehaglich, solch ein Urteil heraufbeschworen zu haben. Sie sah zu Atharr herüber, der sie musterte, und ihr mit seinen vielen Falten im Gesicht Angst einflößte. Bevor er sich abwand, warf er ihr ein wissendes Lächeln zu, das Yuzieh erschaudern ließ und verschwand. So besiegelte Yuzieh das Leben von John, der ihr so oft das Leben schwer gemacht hatte.

 

Impressum

Texte: Sebastian F. Klos
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /