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1. Bandenjubiläum

„Gleich muss er fertig sein“, sah Kiki auf die Backofenuhr.

„Mhhhm und es duftet so lecker“, nickte Lotta.

„Vielleicht schaffen wir es endlich mal Micky in Sachen Backkünsten zu übertreffen“, meinte ihre Freundin.

„Dabei habe ich schon so ein tolles Backbuch mit lauter coolen und neuen Rezepten“, murmelte Lotta. „Bestimmt wird unser Chocolat-Apple-Pie der Oberhammer sein.“

„Oh ja, ganz bestimmt“, lachte Kiki. „Und eine Kalorienbombe obendrein, wenn man bedenkt, dass wir gefühlt ein Kilo Schokolade verbraten haben.“

„Vergesse nicht die Äpfel, die sind wiederum gesund“, zwinkerte Lotta und kicherte ebenfalls. Im nächsten Moment klingelte die Küchenuhr und Lotta nahm den Kuchen aus dem Ofen.

„Oh mein Gott, sieht der lecker aus, ich will ihn sofort im Alleingang essen“, bekam sie vor Begeisterung ganz große Augen.

 

„Nanana, das ist ganz schön egoistisch von dir“, wurde sie halbernst von Kiki getadelt. „Und außerdem wirst du dir dabei den Mund verbrennen.“

Im nächsten Augenblick klingelte Lottas Handy.

„Hi, hier ist Lotta“, meldete sich ihre Freundin.

„Ich bin’s, Fianna, wo bleibt ihr eigentlich?“, fragte ihre Freundin leicht vorwurfsvoll. „Wir wollen uns gleich auf dem Weg zur Rodelpiste machen.“

„Könntet ihr noch eine halbe Stunde warten?“, bat Lotta.

„Wollen wir uns nicht an der Bäckerei treffen? Dann würden wir uns entgegenkommen“, schlug Fianna vor.

„Schlechte Idee! Ich trage ungern unseren Kuchen die ganze Zeit mit uns herum“, lehnte sie ab.

„Okay, wir gehen dann schon mal ohne euch los“, wollte Fianna schon auflegen.

„Hey, warte!“, hatte Lotta eine Blitzidee. „Ich frage Papa, ob er uns eben zum Schrebergarten bringen kann.“

„Super, dann warten wir doch noch auf euch“, verabschiedete sich Fianna.

 

Lottas Vater erklärte sich großzügig bereit die beiden Mädchen zum Wohnwagen zu bringen.

„Danke Papa, wir lassen dir auf jeden Fall ein Stück vom Küchen übrig“, bedankte sich Lotta überschwänglich.

„Gott sei dank, sind wir schnell da“, meinte Kiki. „Es ist schon zehn nach drei.“

„Was können wir dafür, dass der Kuchen so lange gedauert hat“, nuschelte Lotta und warf einen Blick auf ihr IPhone und checkte, ob sie wieder eine Nachricht bekommen hatte.

„Da habt ihr euch echt einen schönen Tag zum Schlittenfahren ausgesucht“, meldete sich ihr Vater zu Wort. „Heute ist es schön sonnig und bis heute Abend ist laut Wetter-App kein Neuschnee angekündigt.“

„Aber zum Rodeln reicht es alle mal“, sagte Lotta, während sie eine Nachricht an Emily verfasste.

„Okay, meine Damen, da wären wir!“, hielt Lottas Vater auf dem Parkplatz vor der Schrebergartenschenke an.

„Vielen Dank, dass Sie uns mitgenommen haben und Ihnen noch einen schönen Tag!“, wünschte ihm Kiki, die ihren Schlitten aus dem Kofferraum holte.

 

„Heute wird bestimmt ein supertoller Nachmittag“, hakte sich Lotta auf dem Weg zum Schrebergarten bei ihrer Freundin ein.

„Nicht nur das, wir feiern auch unseren ersten Bandengeburtstag“, strahlte Kiki über beide Wangen, die vor Kälte ganz rot waren. Lotta nickte nur und bestaunte das Winterwunderland. Der Schnee auf den Wegen und auf den Hecken glitzerte im Sonnenlicht und irgendwo stieg weißer Rauch aus dem Schornstein einer Datscha.

„Wie im Märchen!“, hörte sie Kiki leise sagen.

„Hey, da sind ja unsere beiden Nachzüglerinnen!“, vernahmen sie Mathildas durchdringende Stimme, als sie das Gartentor erreicht hatten.

„Nun mal hopp, wir wollen das Tageslicht noch ausnutzen!“, machte Fianna Dampf.

„Aber den Kuchen und die Süßigkeiten bringen wir eben noch in den Wohnwagen“, beharrte Lotta.

„Das mach ich eben“, nahm Aylin ihr die schwere Tasche ab. „Ich habe vorhin mit Emily den Wohnwagen geschmückt und ihr sollt es nur später zu sehen bekommen“

 

Auf dem Abhang hinter dem Stadtpark war bereits viel los. Die Roten Tulpen mussten unheimlich aufpassen, dass sie nicht umgefahren wurden.

„Sieh mal einer an, wer natürlich auch hier sein muss!“, zog Mathilda die Augenbrauen hoch.

„Fischkopp-Alarm! Bah, hier fängt es wirklich an zu stinken“, hielt sich ihre Zwillingsschwester die Nase zu.

„Die Piranhas haben mir echt noch gefehlt!“, stöhnte Aylin. „Warum müssen die ausgerechnet jetzt auch hier sein?“

„Ooohhh, das gibt noch eine schöne Schneeballschlacht“, flötete Mathilda.

„Aber ohne mich!“, verschränkte Aylin die Arme vor ihrer Brust und drehte Mathilda den Rücken zu.

„Komm setz dich mit auf meinen Schlitten!“, drehte sich Fianna zu Aylin um.

„Und Abflug!“, stieß Emily die beiden Freundinnen an, als sie auf dem Schlitten saßen. Aylin und Fianna kreischten vergnügt, als sie immer schneller wurden.

 

„Und wir machen erstmal die Meisterschaft im Wettrodeln untereinander aus“, stiegen die Zwillinge ebenfalls auf ihre Rodel und startete zeitgleich. Lotta, Kiki und Emily ließen es gemütlicher angehen und ließen einen Moment ihre Blicke schweifen. Die Aussicht über ihre kleine Stadt bei dem klaren Wetter echt grandios. Erst als ihre Freundinnen mit ihren Schlitten den Berg hinauf kamen, begaben sie sich auf ihre erste Abfahrt.

„Halt deine Augen gefälligst offen!“, blaffte Lotta Michael an, der ihrem Schlitten mit seinem Bob bedrohlich nahe kam. Nur indem sie einen großen Bogen fuhr konnte sie einen Zusammenstoß vermeiden.

„Und wie war’s?“, fragte Emily, als sie sich wieder den Berg hoch kämpften.

„Natürlich fahren die Piranhas wie die besengten Säue“, beklagte Lotta sich. „Ich wäre um ein Haar mit Michael zusammengeprallt.“

„Vielleicht legen sie es tatsächlich drauf an“, meinte ihre Freundin. Lotta konnte es währenddessen nicht unterlassen, ihre Feinde aus dem Auge zu lassen. 

 

„Mädels, wollen wir einen Rekordversuch starten?“, schlug Mathilda vor.

„Wie meinst du das?“, sah Aylin sie verwundert an.

„Lass uns so viele von uns auf einen Schlitten zu bekommen, wie möglich“, fuhr sie fort.

„Ist das dein Ernst, Matti, willst du die ganze Bande auf einen einzigen Schlitten setzen?“, prustete Fianna los.

„Sieben Mädchen auf einen Schlitten geht nicht“, schüttelte ihre Freundin den Kopf. „Vielleicht können wir uns auf zwei Schlitten verteilen.“

„Dann nehmen wir aber meinen Schlitten“, bestimmte Lotta. „Der ist der Größte von allen.“

„Prima, ich habe schon eine Idee!“, schnellte Emilys Zeigefinger in die Höhe und erklärte ihren Freundinnen die Idee: „Ich lege mich bäuchlings auf den Schlitten und drei von euch setzen sich auf mich drauf. Das wären dann Aylin, Fianna und Kiki, weil ihr die Leichtesten seid.“

 

Die Mädchen schafften es diese Idee in die Tat umzusetzen und Annemieke gab ihnen einen vorsichtigen Stups, sodass sich der Schlitten langsam in Bewegung setzte. Die vier Freundinnen johlten lauthals, als sie immer mehr an Fahrt aufnahmen. Auf halber Strecke kippte der Schlitten plötzlich um, sodass die Mädchen lachend in den Schnee kullerten.

„Das machen wir besser!“, raunte Mathilda Lotta und ihrer Schwester zu.

„Wollen wir wirklich die gleiche Nummer versuchen?“, war Annemieke noch ein bisschen unschlüssig.

„Ne, wir kuscheln uns ganz eng zusammen und dann passt das schon“, meinte Lotta.

„Hier, da habt ihr das Gefährt für den zweiten Versuch“, drückte ihr Kiki die Schnur von ihrem Schlitten in die Hand.

 

„Und der nächste Versuch! Ich bitte um ganz viel Trommelwirbel“, trommelte Fianna auf ihre Oberschenkel. „Am Start sind Micky, Matti und Lotta!“

Lotta und die Zwillinge mussten ganz eng zusammen rücken, damit es passte. Lotta, die ganz hinten saß, hatte fest ihre Arme um Annemieke geschlungen, damit sie ja nicht herunter fiel.

„Bereit?“, fragte Emily.

„Ja Madame, die Reise kann beginnen“, nickte Mathilda und nahm die Kordel in ihre Hand. Im nächsten Moment setzte sich ihr Gefährt langsam in Bewegung und die drei Mädchen rauschten den Berg hinunter.

„Aaahh, das ist viel zu schnell!“, quiekte Lotta.

„Stopp, da stehen Jannis und Sven! Abbremsen!“, schrie Annemieke im nächsten Augenblick. Sofort drückten die Mädchen ihre Hacken in den Schnee und kamen nur wenige Zentimeter vor den Jungs zu stehen, die sich ein freches Grinsen zuwarfen.

 

„Was seid ihr nur für dumme Trottel?“, fuhr Lotta die beiden Piranhas an.

„Wir wollten nur sehen, wie drei Tulpen den Abflug machen“, högte sich Jannis.

„Haha, sehr witzig, wir hätten euch auch über den Haufen fahren können“, zischte Mathilda aufgebracht.

„Ohhh, dann hätten wir leider zwei Piranhas weniger und das wäre sooo traurig!“, erwiderte Annemieke ironisch und wischte sich eine virtuelle Träne weg, worauf die drei Freundinnen los kicherten.

„Meine Güte, wie die Gackertussen einen nerven! können“, schnaubte Sven verächtlich und ließ die Mädchen stehen.

„Beim nächsten Mal fahren wir die Vollpfosten einfach um!“, raunte Mathilda.

„Definitiv, ich musste bereits zweimal ausweichen und jetzt auch noch die Vollbremsung“, pflichtete ihr Lotta bei.

 

„Die Piranhas denken, sie müssten keine Rücksicht auf andere Personen nehmen müssten, schließlich sind hier auch jüngere Kinder“, regte sich Annemieke auf. „Man sollte echt einführen, dass jeder Piranha einen Rodelführerschein machen muss, bevor er sich hier den Hang runter stürzt.“

„Und was ist mit uns?“, gickerte Mathilda los. „Müssen wir den auch noch machen? Dann such mal schön eine Schlittenfahrschule raus.“

„Ach was, den Schlittenführerschein haben wir doch schon längst, wenigstens haben wir unsere Gefährte sicher unter Kontrolle“, warf Lotta ein.

„Das sehe ich auch so“, nickte Annemieke.

„Auf jeden Fall müssen wir die Fischköppe schön mit der weißen Pracht bewerfen“, rieb sich Mathilda die Hände.

„Ich mach mit!“, meldete sich Annemieke begeistert. „Eine kleine Rache muss sein, dafür dass mir Ömer letzte Woche in Sport den Basketball an den Kopf geworfen hat.“

„Kommt, dann trommeln wir mal eben unsere Bande zusammen!“, trieb Lotta die Freundinnen vorwärts.

 

„Krass, das war gerade eben echt knapp“, kam ihnen Emily entgegen. „Ihr hättet die beiden Fischköppe fast auf dem Gewissen gehabt.“

„Nicht unsere Schuld, wenn die sich in unseren Weg stellen“, zuckte Mathilda mit der Schulter.

„Mädels, kommt mal alle zusammen!“, raunte Lotta leise. Emily, die Zwillinge, Fianna und sie steckten sofort die Köpfe zusammen.

„Chicas, so hält man echt keinen Geheimrat“, räusperte sich Kiki. „So kann uns doch jeder Depp sehen und denkt sich, dass wir etwas im Schilde führen. Pläne können wir nur unbeobachtet im Gebüsch schmieden.“

„Aber was ist mit unseren Schlitten?“, wurde sie von Fianna unterbrochen. „Die möchte ich nicht unbeobachtet stehen lassen.“

„Ich auch nicht, nicht dass jemand kommt und sie stiehlt“, wandte Emily ein.

„Ok, ich pass schon darauf auf. Ich möchte nicht an der Schneeballschlacht teilnehmen, falls ihr eine plant“, meldete sich Aylin freiwillig.

„Danke Aylin!“, warf Lotta ihrer Freundin einen dankbaren Blick zu.

 

Sechs Rote Tulpen verschwanden leise und unauffällig im Dickicht des angrenzenden Waldstücks.

„Lotta, schieß los!“, schaute Mathilda ihre Freundin voller Erwartung an.

„Lass uns einen Überraschungsangriff planen, indem wir ihnen ganz unten am Hang auflauern. Wir machen erst ein paar Schneebälle fertig und dann nehmen wir die Fischköppe so richtig unter Beschuss und verziehen uns anschließend wieder“, äußerte Lotta ihren Plan.

„Guckt mal, ich habe meinen zusammenfaltbaren Shoppingbag dabei und da können wir ne Menge Schneebälle darin verstauen“, hielt Annemieke ein kleines unscheinbares Säckchen in der Hand und entfaltete es, sodass daraus eine große Tasche wurde.

 „Prima, da passen bestimmt fünfzig von den Dingern rein. Lass uns anfangen und ihnen die verdiente Schneeballdusche verpassen!“, frohlockte Kiki. Fianna hatte auch eine kleine Plastiktüte in ihrer Tasche, allerdings passten dort nicht so viele Schneebälle hinein, wie in Annemiekes großen Shoppingbag. Wie sechs Indianerinnen schlichen die Mädchen durch das Gebüsch und passten sehr auf, dass kein Hölzchen unter ihren Füßen knackte. Die Piranhas standen ein ganzes Stück weit von ihnen weg. Am Rande der Wiese wechselten sie gerade ein paar Worte mit älteren Jugendlichen, die Snowboards dabei hatten. Die Mädchen verharrten kurz, weil Kiki einmal glaubte, dass sich Sven zu ihnen umdrehen würde. Fianna, die am besten schleichen konnte, schaffte es bis auf anderthalb Meter an Lennart und Max heran zu kommen. Kiki gab ihr ein Handzeichen, dass es losgehen konnte. Zuerst feuerte Fianna in Sekundenschnelle fast den gesamten Inhalt in ihrer Tüte auf die Jungs, die sich blitzschnell zu ihr umdrehten.

 

 „What the fuck!", entfuhr es Micheal erschrocken, der fast sein Gleichgewicht verlor, als er einem Geschoss von Annemieke auswich und der nächste Schneeball von Mathilda ihn am rechten Ohr traf.

„Die Schnitten mal wieder!", rief Jannis laut.

„Heute bin ich mal besonders treffsicher!“, freute sich Lotta, die einen ihrer Schneebälle direkt in Jannis Gesicht platziert hatte und einen weiteren Lennart zwischen die Zähne geschossen hatten.

„Ihr kriegt das alles wieder zurück und zwar die doppelte Portion!“, kündigte Max lauthals an, der bereits ein paar Schneebälle auf die Schnelle geformt hatte und die Bandenmädchen unter Beschuss nahm.

„Und wir haben noch sooo viel Vorrat!“, grinste Annemieke über beide Backen, die ein weiteres Geschoss aus ihrer Tasche holte.

 

„Her mit der Tasche!“, rief Max, der ihr den Shoppingbag aus der Tasche reißen wollte.

„Nein, der gehört mir!“, fauchte Annemieke ihn an. „Lass sofort los, du Riesen-Rollmops!"

Max zog noch stärker am Henkel, bis er abriss und alle Schneebälle zu Boden kullerten.

„Danke, dass du meine Tasche kaputt gemacht hast!“, rief sie erbost.

„Dafür kriegst noch eine Extraportion Schnee“, stopfte Kiki ihm einen Schneeball in seinen Jackenkragen. Nun war eine wilde Schneeballschlacht zugange, bis Aylin kam und fragte, ob sie sich auf den Rückweg machen konnte, weil sie in der Zwischenzeit kalte Füße bekommen hatte.

„Wir bleiben aber noch mindestens bis zum Sonnenuntergang, den ich mir bei diesem klaren Wetter nicht entgehen lassen will“, beschloss Kiki.

 

Als die Freundinnen im Wohnwagen saßen und die Kaninchen gefüttert hatten, war es draußen bereits dunkel und die Sterne glitzerten am klaren Winterhimmel.

„Ist das toll endlich wieder im Warmen zu sein!“, wärmte Fianna ihre klammen Finger am Heizkörper auf.

„Oh ja, es ist hier drinnen wunderschön gemütlich!“, schwärmte Annemieke, die zahlreiche Kerzen anzündete, die zusammen mit einer bunten Lichterkette und Aylins Lavalampe eine besinnliche Atmosphäre verbreiteten. Generell hatten sich Emily und Aylin viel Mühe mit der Dekoration gegeben. Überall hingen rote Einsen aus Pappe und Emily hatte mit Fingerfarbe eine rote Eins auf das Fenster gemalt. Zudem wurden zwei kleine Girlanden und Luftballons aufgehängt.

„Richtig feierlich hier drinnen!“, drehte Fianna sich elegant um ihre eigene Achse und begann zu der Musik aus Lottas Laptop mitzuwippen.

 

„Komm, Micky, lass uns tanzen!“, nahm Mathilda die Hände ihrer Zwillingsschwester.

„Ja kommt, wir müssen alle mal das Tanzbein schwingen!“, rief Annemieke übermütig und zog Emily und Aylin vom Sofa hoch.

„Vorsicht! Reißt nichts von den Regalen!“, gab Emily zu Bedenken und reihte sich schließlich doch noch in den kleinen Tanzkreis ein.

„Mädels, unser Wohnwagen ist echt kein Tanzschuppen. Ich setze mich hin und esse eine Kleinigkeit“, setzte sich Kiki nach einer Weile auf ihren Platz. Lotta und Emily gesellten sich schnell zu ihr.

„Ich habe so einen derben Hunger, nachdem wir über zwei Stunden draußen waren“, schenkte sich Lotta heißen Orangen-Zimt-Tee ein. Nach und nach setzten sich die anderen Freundinnen dazu.

 

Zuerst wurden die ganzen Leckereien bestaunt, die auf dem Tisch standen.

„Viel zu schade, um gegessen zu werden“, fand Emily.

„Auch wenn das in deinen Augen Kunst ist, ich bin so hungrig, dass ich das alles in einer Sekunde vertilgen könnte“, leckte sich Mathilda die Lippen.

„Jaja, unsere Raupe Nimmersatt denkt nur wieder an sich“, stichelte Fianna los, worauf sie einen leichten Rippenstoß zurückbekam.

„Das sieht so wunderbar aus, dass ich erstmal ein Foto machen muss“, zückte Lotta ihr Handy.

„Am schönsten ist natürlich unsere Himbeer-Mascarpone-Torte“, lobte sich Mathilda selbst.

„Mensch Matti, Eigenlob stinkt!“, zischte ihre Schwester. Die Torte sah wirklich umwerfend aus und die Schwestern hatten mit Himbeeren eine dunkelrote Eins obendrauf gelegt. Lotta war sich sicher, dass ihr Kuchen mit dem flüssigen Schokokern und den Zimtapfelstücken nicht durch die Torte der Zwillinge zu schlagen war.

„Jetzt will ich endlich was essen“, griff Emily nach dem großen Kuchenmesser.

 

„Stopp!“, rief Kiki und stand auf. „Jetzt kommt eine kurze Rede als offizieller Part des einjährigen Bandenjubiläums. Schon ein ganzes Jahr gibt es die Rote Tulpen und wir halten als Bande, sowie als beste Freundinnen wie Pech und Schwefel zusammen. Wir haben viel durchgemacht, schon einiges erlebt, uns gestritten und wieder vertragen. Zur Feier des Tages trage ich Emilys Freundschaftsgedicht vor, welches sie auf dem Schulfest zum Besten gegeben hat und ich finde es repräsentiert unsere Freundschaft richtig gut.

Kiki machte eine kurze Pause, holte einen Zettel aus der Tasche und begann Emilys Gedicht vorzulesen:

 

Freundschaft

Schon als ich Dich das erste Mal sah

Fühlte ich mich Dir sehr nah

Schnell fing ich an dir zu vertrauen

Denn ich kann immer auf dich bauen

 

Zusammen können wir wunderbar lachen

Und ein Freudenfeuer entfachen

Manches Mal haben wir leider Eiszeit

Sehr oft nach einem bösen Streit

 

Trotzdem will ich dich nicht lange vermissen

Der Streit macht uns beiden ein schlechtes Gewissen

Deswegen wollen wir uns schnell vertragen

Das ist viel besser, als eine Last auf den Schultern zu tragen

 

Gemeinsam gehen wir Hand in Hand

Und somit knüpfen wir unser Freundschaftsband

Auch wenn du nicht bei mir bist, seh ich in die Ferne

Beste Freunde sind wie Sterne

 

Hätt ich dich nicht, wär ich nicht ganz

Da fehlte mir mein wichtigster Glanz

Du bist mir immer wichtig

Zusammen liegen wir immer richtig

 

„Amen!“, kommentierte Mathilda trocken. „Ist die Predigt nun vorbei?“

Kiki schaute sie düster an und erwiderte nichts.

„Kiki, so schnulzig redest du sonst nie“, meldete sich Lotta zu Wort.

„Ja, ein wenig merkwürdig hörte sich deine Rede schon an, als wärst du eine Politikerin“, kicherte Aylin.

„Danke auch!“, setzte sich Kiki wieder hin und verschränkte beleidigt die Arme vor ihrer Brust.

„Hey, jetzt seid doch nicht so gemein!“, ging Annemieke dazwischen. „Es war doch echt cool, dass sie Lilys fantastisches Gedicht nochmal vorgetragen hat.“

 

„So jetzt bin ich dran!“, sprang Fianna auf und legte los: „Sieben Rote Tulpen rocken nun schon ein ganzes Jahr! Sieben Freundinnen durch dick und dünn. Sie trotzen jeder Widrigkeit, amüsieren sich prächtig und gehen gerne auf Piranhajagd. Danke, dass wir so viel Spaß zusammen haben und wir immer füreinander da! Nun volle Kraft voraus, meine Girlcrew! Auf viele weitere Jahre!

„Wow Carrot, das hat gefetzt!“, applaudierte Mathilda begeistert. Nun wurden endlich die beiden Kuchen angeschnitten. Die Freundinnen langten kräftig zu und bedienten sich zudem noch fleißig bei den Süßigkeiten.

„Auf viele weitere Jahre Rote Tulpen!“, stießen sie mit Zitronenlimonade an.

 

„Sagt mal, wie findet ihr es eigentlich, dass wir uns als Klasse für das Schulduell beworben haben?“, fragte Annemieke in die Runde, kurz bevor eine Gesprächsflaute aufkommen zu drohte.

„Naja, ich glaube aber sowieso nicht, dass wir zu den auserwählten Klassen gehören, die ins Fernsehen kommen“, meinte Aylin.

„Warte nur ab, das Video über unsere Klasse wird in den nächsten Wochen gedreht und dann entscheidet es sich, ob wir in die Endrunde kommen“, sagte Emily.

„Ich würde es ganz cool finden im Fernsehen aufzutreten“, wurde Lotta vor Freude ganz hibbelig, als sie daran dachte, wie alle Kameras auf sie gerichtet waren und sie eine Frage nach der anderen richtig beantwortete.

„Zumindest hat unsere Klasse den Wissenstest für den Vorentscheid sehr gut gemeistert, sodass wir unter die Top Ten gekommen sind“, klinkte sich Kiki in das Gespräch ein.

 

„Wenn wir wirklich beim Schulduell teilnehmen, dann mach ich mich dünne“, verzog Aylin das Gesicht.

„Wieso? So schlimm ist das doch nicht“, stupste Fianna ihre beste Freundin an.

„Ich hasse es, wenn ich vor tausend Kameras irgendwelche blöden Aufgaben lösen muss“, murrte Aylin.

„Aber du musst zu keiner Aufgabe antreten, wenn du nicht willst“, meinte Mathilda. „Du sitzt beim Klassenquiz lediglich mit auf der Bühne und musst über eine Frage abstimmen, ob sie wahr oder falsch ist und dann ist noch das Finalspiel, aber das spielen wir sowieso alle zusammen.“

„Tulpis, es ist noch gar nicht entschieden, ob wir überhaupt an dieser Show teilnehmen“, erstickte Kiki die aufkeimende Euphorie im Keim.

2. Die Lesenacht

„Ich werde Frau Schellhardt anrufen und ihr sagen, dass du doch nicht zur Lesenacht kommen wirst“, sagte Lottas Mutter beim Abendessen.

„Seit Wochen freue ich mich auf die Lesenacht und du versuchst es mir natürlich wieder kaputt zu machen!“, tobte Lotta und ließ ihre Teetasse härter als gewollt auf dem Tisch aufditschen.

„Es ist nun mal so, dass wir bei deinem Großonkel Ludwig zum 85. Geburtstag eingeladen sind und wir fahren bereits Freitagabend los“, hielt ihre Mutter dagegen.

„Ich gehe zur Lesenacht, egal was du sagst“, blieb Lotta stur und legte ihr Brötchen beiseite.

„Es gehört sich nun einmal, dass man bei Familienfesten dabei ist! Das ist Gebot der Höflichkeit. Punkt aus basta!“, ließ ihre Mutter keinen Deut nach. Lotta war den Tränen nah. Sie hatte sich so auf dieses Ereignis gefreut und nun wollte ihre Mutter es zunichte machen.

 

„Lass doch Lotta zur Lesenacht gehen“, mischte sich ihr Vater ein. „Sie kennt Onkel Ludwig doch eh kaum. Auf seiner Feier werden hauptsächlich alte Leute sein und keine Kinder in ihrem Alter. Sie wird sich garantiert schrecklich langweilen. Bestimmt hat sie mit ihren Schulfreundinnen mehr Spaß als mit einer Herrschaft fremder Leute, die sie nicht kennt.“

„Okay, dann kann Lotta in der zweiten Nacht, wo wir nicht da sind, bei einer von ihren Freundinnen übernachten“, gab sich ihre Mutter geschlagen.

„Danke Papa!“, warf Lotta ihrem Vater ein dankbares Lächeln zu und fuhr fort: „Bestimmt darf ich bei Fianna oder den Zwillingen von Samstag auf Sonntag übernachten."

Die Lesenacht war gerettet!

„Wenn Lotta nicht mitkommt, will ich auch hier bleiben“, begann ihr kleiner Bruder Leon an zu quengeln.

„Nein Schatz, du bist mit deinen acht Jahren zu jung, um alleine zu bleiben“, schob ihm Lottas Mutter einen Riegel vor. Lotta freute sich diebisch, dass sie nun doch kommen konnte und teilte dies nach dem Essen ihren Freundinnen im Roten-Tulpen-Chat mit.

 

Am Freitagnachmittag holte Fiannas Vater seine Tochter sowie Aylin und Lotta von der Reitstunde ab und brachte sie mit all ihrem Gepäck zur Schule.

„Hallo, ihr drei! Ihr seid ein bisschen zu früh, aber ihr könnt gerne beim Aufbauen helfen“, begrüßte Frau Schellhardt die drei Mädchen. Herr Loh zeigte ihnen, wo die Tische und Bänke standen.

„Jetzt auch noch schwer schleppen, nachdem ich über eine Stunde auf dem Pferd gesessen habe“, ächzte Aylin.

„Willst du dich nicht kurz hinsetzten?“, deutete Fianna auf einen Stuhl neben dem Lehrerpult.

„Wir schaffen das auch zu zweit“, meinte Lotta.

„Na, hat man euch versklavt?“, standen plötzlich die Zwillinge breit grinsend vor ihnen.

„Ja, man hat uns eingespannt die Tische zu schleppen und ihr könnt uns wunderbar helfen“, nickte Fianna mit einem zuckersüßen Lächeln.

 

„Klar, helfen wir gerne mit“, packte Annemieke sofort an und schnappte sich zusammen mit Fianna einen Tisch.

„Aber was ist mit unseren Sachen?“, stand Mathilda etwas unschlüssig im Klassenraum herum.

„Schmeiß sie erstmal in die Ecke“, zeigte Lotta auf einen Haufen ungeordneter Taschen und Jacken.

„Hi, ich habe es auch noch pünktlich geschafft, obwohl ich einmal den Bus verpasst habe“, betrat Kiki den Raum. Sie war leicht außer Atem und ließ ihre große Reisetasche langsam von ihrem Arm auf den Boden gleiten.

„Du bist sogar noch zu früh“, schaute Annemieke auf ihre Armbanduhr. „Wir bauen eh noch auf und erst in einer Stunde soll gegessen werden.“

Es trudelten immer mehr Klassenkameraden ein.

„Alle Mädchen bitte mitkommen! Ich zeige euch euren Schlafraum“, rief Frau Schellhardt gegen die Lautstärke an. Die Mädchen schnappten sich ihre Sachen und folgten der Klassenlehrerin Richtung Treppenhaus.

„Ich will bloß nicht neben Jolanda pennen“, wisperte Aylin leise.

„Wer will das schon?“, drehte sich Mathilda mit einem spöttischen Gesichtsausdruck zu ihr um. „Auf der letzten Klassenfahrt hat sie geschnarcht wie eine Säge.“

 

„Hier werdet ihr schlafen“, blieb Frau Schellhardt vor dem Musikraum stehen. Da der Musikraum mit Teppichfußboden ausgelegt war, fanden es die Roten Tulpen hier viel gemütlicher als in ihrem Klassenraum und außerdem hatten sie viel mehr Platz.

„Werden Sie mit uns in einem Raum schlafen, Frau Schellhardt?“, fragte Pauline.

„Nein, aber dafür übernachte ich im Vorbereitungsraum nebenan und wenn etwas sein sollte, könnt ihr mich immer wecken“, antwortete die Klassenlehrerin.

„Zum Glück schlafen die Jungs ein ganzes Stockwerk unter uns“, murmelte Kiki.

„Stimmt, ich brauche die Piranhas wirklich nicht in meiner Nachbarschaft“, nickte Annemieke.

„Sagt mal, wo bleibt Emily?“, fiel Fianna auf, dass eine von ihnen noch fehlte.

„Vorhin beim Reiten meinte sie, dass sie es noch rechtzeitig schaffen wird. Aber ich habe seit über einer Stunde nichts mehr von ihr gehört“, zuckte Mathilda mit der Schulter.

 

Annemieke versuchte währenddessen Emily anzurufen.

„Mist, es geht nur ihre Mailbox dran“, gab sie beim zweiten Mal seufzend auf.

„In der Zwischenzeit können wir aber schon mal unser Lager aufschlagen“, schlug Kiki vor. Die Bandenmädchen verkrümelten sich in die hinterste Ecke des Raumes und stellten zwei Stellwände vor ihre auserkorene Schlafnische. Aus Isomatten, Luftmatratzen, Kissen, Decken und Schlafsäcken hatten sie im Nu ihre Bettenburg aufgebaut.

„Seht mal, wie sich die Bandenbabys von all den anderen von uns abgrenzen“, lästerte Saskia im nächsten Augenblick laut drauf los.

„Ja echt, die veranstalten bestimmt ein Gruppenkuscheln heute Nacht“, nickte Jolanda.

„Die wollen eh mit niemanden etwas zu tun haben, der nicht zu ihrer "tollen" Bande gehört“, schaute Tanja verächtlich drein.

 „Was geht euch das an?“, drehte sich Mathilda abrupt zu ihnen um. „Als ob wir Bock hätten uns stundenlang hohles Tussengeschwätz über Schminke, Shoppen und sexy Jungs anhören zu müssen.“

„Trotzdem wird es langsam albern, wie ihr euch von allen abkapselt“, meinte Neele.

„Lasst uns doch einfach, ist nicht eure Sache!“, fauchte Kiki genervt zurück.

„Mit euch Kleinkindern wollen wir uns auch nicht freiwillig abgeben“, gab Jolanda schnippisch zurück. „Wir sind immerhin schon in der siebten Klasse und ihr seid noch gefühlt in der ersten Klasse.“

„Euer Maßstab muss nicht unserer sein“, holte Lotta tief Luft und fuhr nach einer kurzen Kunstpause fort: „Nicht jedes Mädchen mit zwölf oder dreizehn läuft im Nutten-Style rum und klatscht sich kiloweise Schminke ins Gesicht.“

„Willst du damit sagen, dass wir etwa Nutten sind?“, wurde Jolandas Stimme bedrohlich leise.

„Nein, das habe ich doch behauptet“, verteidigte sich Lotta.

 

„Emily ist da!“, rief Fianna freudig.

„Lily!“, rief Annemieke überschwänglich und fiel ihrer besten Freundin um den Hals.

„Ich dachte schon, du schaffst das nicht mehr“, umarmte Kiki sie ebenfalls.

„Tut mir leid, Mama hat es total verpeilt, dass heute die Lesenacht stattfindet. Sie war erst noch einkaufen, bevor sie mich hier hingebracht hat“, wickelte sich Emilys außer Atem aus ihrem langen Schal.

„Hier ist noch ein Plätzchen frei für dich“, hakte Annemieke sie bei sich unter und zeigte Emily ihr Schlafquartier.

„Wow, wie gemütlich!“, schwärmte ihre Freundin. „Bestimmt wird das eine schöne Nacht.“

„Das auf alle Fälle und dann können wir Kikis Geburtstag gebührend feiern“, stimmte Lotta ihr nickend zu.

 

„Ich habe aber gar keine Fete geplant“, sah Kiki ihre Freundinnen verlegen an. „Für mich ist es schön genug, dass wir einfach zusammen sein können.“

„Hallo?! Du bist heute 13 geworden und das wird man im Leben nur einmal“, gab ihr Emily einen sanften Stoß. „Willkommen im Teenie-Club!"

„Na und? Das fühlt sich nicht anders an als zwölf zu sein“, zuckte Kiki unbeindruckt mit den Achseln.

„Jedenfalls haben Micky und ich wieder fleißig gebacken. Aber die Muffins gibt es erst nach dem Abendessen“, holte Mathilda eine große Tupperbox aus ihrer Reisetasche und stellte diese auf die Fensterbank. Spielerisch streckte Fianna ihre Hand aus und versuchte so unauffällig wie möglich an die Muffins zu gelangen.

„Finger weg!“, hielt Lotta sie am Handgelenk fest. „Die sind für später.“

„Menno, aber ich habe mega Kohldampf!", zog Fianna einen halbernsten Flunsch.

 

Gegen sieben Uhr kam der Pizzaservice und lieferte mehrere Bleche Pizza in den Klassenraum.

„Nach dem Essen fangen wir an mit den Vorträgen. Jeder von euch hat eine Kurzpräsentation über ein Buch vorbereitet. Gibt es Freiwillige, die anfangen wollen?“, machte Frau Schellhardt die nächste Ankündigung.

„Ich kann wohl beginnen“, zeigte Jule auf.

„Prima, hier liegt eine Liste, wo ihr euch eintragen könnt“, erwiderte sie und setzte sich wieder zu ihrem Kollegen Herr Loh. Während des Essens wurde leise miteinander geredet.

„Vielleicht haben wir auch mal eine halbe Stunde nur für uns alleine“, flüsterte Lotta.

„Wenn wir unter sein wollen, müssen wir nach draußen gehen“, wisperte Mathilda. „Hier drinnen werden wir immer jemanden begegnen.“

„Aber wir müssen so lange abwarten, bis die Buchvorträge vorbei sind“, meinte Annemieke.

„Oh je, das kann Stunden dauern“, seufzte Lotta.

 

An einem Tisch hinten an der Fensterseite steckten die Piranhas verdächtig ihre Köpfe zusammen. Es sah ganz danach aus, als würden sie wieder einen ihrer berühmt berüchtigten Streiche aushecken.

„Seht mal, die Piranhas sind dahinten am planen“, stieß Emily Kiki an.

„Meine Güte, die unterhalten sich nur“, war ihre Freundin sichtlich unbedruckt und lud sich das nächste Pizzastück auf ihren Teller.

„Doch Kiki, die reden anders als sonst“, fiel auch Lotta auf, dass irgendwas im Busche war.

„Jetzt chillt doch mal und genießt eure Pizza!“, biss Mathilda von ihrem Pizzastück ab.

„Genau, um die Fischköppe kümmern wir uns heute Abend überhaupt nicht“, pflichtete ihr ihre Zwillingsschwester bei und fügte hinzu: „Auf irgendwelche albernen Bandenschlachten lasse ich mich garantiert nicht ein.“

 

Die Buchvorträge dauerten eine gefühlte Ewigkeit und am Ende las die Klasse noch gemeinsam eine Passage aus einem aktuellen Jugendbuch.

„Es ist viertel vor zehn. Ihr habt noch genau anderthalb Stunden Zeit zur freien Verfügung und danach wird das Licht gelöscht. Herr Loh und ich werden es kontrollieren, dass ihr in den Betten seid“, kündigte Frau Schellhardt an.

„Kommt, wir gehen raus“, raunte Emily den Freundinnen zu, als die Lehrer den Raum verlassen hatten.

„Kleinen Augenblick noch, wir müssen eine Kleinigkeit holen“, verschwand Annemieke mit ihrer Schwester, Aylin und Fianna im Musikraum.

„Ihr habt doch wohl nichts Großes geplant oder?“, sah Kiki ihre Freundinnen fragend an.

„Ach, die wollen nur einen Moment unter sich sein“, erwiderte Lotta.

 

„Genau, ein kleiner Festakt zu deinem Geburtstag ist auch geplant“, verriet Emily.

„Aber ich habe doch nichts vorbereitet“, entgleisten Kiki die Gesichtszüge.

„Quatsch, du bist das Geburtstagskind und wofür hat man denn gute Freundinnen“, lachte Lotta und legte ihr den Arm um die Schulter.

„Hier wären wir wieder“, kam Annemieke kurz darauf mit den anderen Bandengirls wieder.

„Gott sei Dank regnet es nicht mehr“, stellte Aylin fest, als sie aus der Tür traten. Nasskalt war es trotzdem und alle Bänke auf dem Schulhof waren feucht. Zum Glück gab einen kleinen Pavillon, der überdacht war und dort konnten sich die Freundinnen hinsetzen.

„Heute soll es regnen, stürmen oder schneien. Denn du strahlst ja selber wie der Sonnenschein. Heut ist dein Geburtstag darum feiern wir. Alle deine Freunde freuen sich mit dir, alle deine Freunde freuen sich mit dir. Wie schön, dass du geboren bist. Wir hätten dich sonst vermisst…“, stimmten die Freundinnen lauthals an.

 

Lotta machte den Anfang und überreichte ihr eine kleine Halskette mit einem goldenen Hufeisenanhänger. Von den Zwillingen bekam Kiki ein Kuschelkissen und passend zu der Lesenacht ein neues Buch ihrer Lieblingsreihe. Aylin überreichte ihr eine Nagellackflasche und eine Tafel Schokolade.

„Sorry, Kiki, ich habe es nicht mehr geschafft, dir ein Geschenk zu kaufen und deswegen bekommst du von mir eine Karte mit ein wenig Geld“, hielt ihr Emily einen roten Briefumschlag hin.

„Danke, das ist super nett von euch, dass ihr mir so viele Geschenke macht“, war Kiki ganz überwältigt. „Aber ich hätte es nicht von euch erwartet.“

„Aber natürlich schenken wir Bandenschwestern untereinander schöne Dinge am Geburtstag“, meldete sich Fianna zu Wort. „Das ist doch selbstverständlich.“

„Und du wirst nur ein einziges Mal 13", knuffte Lotta das Geburtstagskind freundschaftlich in die Seite.

 

„Jetzt haben wir noch etwas vorbereitet und dafür mussten wir einen Stuhl aus dem Klassenraum schmuggeln“, strahlte Mathilda über beide Backen. „Dürfte ich das Geburtstagskind auf den Stuhl bitten?“

„Wie? Was? Wollt ihr mich dreizehnmal hochheben?“, schaute Kiki irritiert drein.

„Natürlich, was denn sonst?“, gickerte Fianna. Kiki quietschte, lachte und klammerte sich am Stuhl fest, während ihre Bande sie dreizehnmal hochleben ließ.

„Lasst mich bloß nicht fallen!“, rief sie panisch und ließ sich zum Schluss in Mathildas Arme fallen.

„Nun kommen wir zu den Muffins“, verteilte Annemieke an jede Freundin einen Muffin.

„Und ich habe Cola dabei“, teilte Fianna Pappbecher aus und goss jedem etwas ein.

„Auf Kiki!“, riefen die Mädchen im Chor und stießen auf ihre Freundin an.

„Hurra, jetzt bist auch ein Teenie“, jubelte Lotta, fiel ihrer Freundin um den Hals und wirbelte mit ihr umher.

 

„Ein Highlight habe ich noch in Petto“, holte Fianna eine Packung Wunderkerzen aus ihrem Anorak.

„Hat denn überhaupt jemand ein Feuerzeug dabei?“, fragte Kiki.

„Klaro! Natürlich bin ich immer gut vorbereitet“, antwortete Fianna und zündete ihre Wunderkerze an. Damit entfachte sie die Wunderkerzen von Kiki und Emily, die das Feuer an die übrigen Freundinnen weiterreichten. Lotta konnte nicht widerstehen ein paar Fotos zu knipsen.

„Wie wir da aussehen“, bekam Fianna einen Kicheranfall. „Da sehen wir total bekloppt aus, fast schon betrunken.“

„Jo, wir besaufen uns mit Cola, sodass wir gleich durch die Schule wanken und das Gleichgewicht nicht mehr halten können“, exte Mathilda einen Becher Cola auf einmal und torkelte durch die Gegend, sodass sich ihre Freundinnen vor Lachen bogen. Fianna und Aylin versuchten daraufhin Mathilda zu übertrumpfen indem sie die merkwürdigsten Verrenkungen machten und bald alberte die ganze Mädchenbande auf dem Schulhof herum.

„Herrlich, das war wirklich eine gelungene Geburtstagsüberraschung. Ich glaube, ich bin vor Glück betrunken“, wischte sich Kiki die Lachtränen aus den Augen.

„Wir sollten wieder reingehen, es ist doch ziemlich kalt“, begann Aylin zu frösteln.

 

Die Bandenfreundinnen steuerten den Musikraum an. Eigentlich wollten sie sich mit einem Buch in ihre Schlafecke verkrümeln, aber an der Tür wurden sie von Neele und Saskia abgefangen.

„Frau Schellhardt hat uns erlaubt, dass wir eine Folge vom Schulduell gucken dürfen“, begann Saskia.

„Eigentlich wollte ich mich auf meine Matratze legen und ein Buch lesen“, erwiderte Annemieke gähnend.

„Kommt schon! Das ist nur eine Folge und uns wurde erlaubt, dass wir den Beamer anmachen dürfen. Wir haben gerade Jolandas Laptop angeschlossen und wir wären bereit“, meinte Neele.

„Wir haben sogar extra auf die Bande gewartet“, rief Jolanda, die das Video startete. Die Roten Tulpen holten sich ein paar Kissen, damit sie bequem auf der Erde sitzen konnten und setzten sich zu Jule und Freya.

 

Die Mädchen richteten ihre Augen auf die Leinwand vor der Tafel. Eine Aula einer Hamburger Schule war zu sehen und jede Menge johlender Schüler. Ein Moderator mit Sonnenbrille, Panamahut und Ziegenbart kam in einem weinroten Anzug auf die Bühne gelaufen.

„Hiermit begrüßen wir Chris Jacobi, unseren Starmoderator“, erklang eine Stimme aus dem Background und ein Spotlight wurde auf ihn gerichtet, sodass er im Rampenlicht stand. Die Schüler im Publikum johlten noch lauter und klatschten frenetisch Beifall. Zuerst wurde das Spiel Wahr-oder-Falsch gespielt, dazu mussten die beiden Klassen bei zehn Fragen abstimmen, ob sie richtig oder falsch waren. Die Klasse mit dem höchsten Anteil der richtigen Antwort bekam den Punkt. Das zweite Spiel war das so genannte Expertenquiz, bei dem vier Kinder nach vorne gehen mussten und schwierige Fragen beantworteten, dabei gab es auch die Disziplin Quiz-Solo, bei dem ein Schüler Fragen im Alleingang lösen musste.

„Ich mache da nicht mit“, flüsterte Aylin neben Lotta. „Ich mach mich doch nicht im Fernsehen zum Affen!“

Zur Abwechselung folgten ein paar Spiele, ein Tanzwettbewerb, ein Karaokesingen und ein Catwalk.

 

„Saskia, Neele, Tanja und ich haben überlegt für das Bewerbungsvideo ein cooles Tanzvideo zu drehen. Hättet ihr Lust dazu? Sina und Freya wollen auch mitmachen. Es wäre cool, wenn noch zwei oder drei von euch mitmachen“, kam Jolanda auf die Bandenmädchen zu, nachdem die Folge vorbei war.

„Soll das ganze Bewerbungsvideo aus eurem Tanzauftritt bestehen?“, runzelte Emily die Stirn.

„Natürlich nicht, aber vier Minuten sollen es schon sein“, meinte Tanja.

„Das finde ich nicht fair!“, protestierte Mathilda. „Das Bewerbungsvideo darf doch nur sechs Minuten lang sein.“

„Ich finde, wir sollten mit der ganze Klasse darüber diskutieren“, wandte Pauline ein. „Es bringt nichts, wenn wir Mädchen über die Köpfe der Jungs entscheiden, was wir genau machen.“

„Da hat Pauline Recht“, nickte Annemieke. „Es ist wirklich nicht fair, wenn wir die Jungs außen vor lassen.“

 

„Ok, wir können vom Tanzauftritt nur eine halbe Minute ins Bewerbungsvideo nehmen“, schlug Saskia vor.

„Dafür wäre ich auch“, meldete sich Freya zu Wort. „Es wird schon mindestens zwei Minuten in Anspruch nehmen unsere Schule und unsere Klasse vorzustellen. Mit dem Intro  und der Tanzeinlage bleiben uns nur noch dreieinhalb Minuten übrig.“

„Ich fände es toll, wenn wir beim Intro unsere Multinationalität als Thema nehmen. Einige Schüler haben Eltern, die aus einem anderen Land kommen oder selbst im Ausland geboren wurden. Unsere Zwillinge sind halbe Niederländerinnen, Fiannas Dad ist Ire, die Eltern von Aylin und Ömer kommen aus der Türkei“, meldete sich Lotta zu Wort.

„Super Vorschlag, Carlotta!“, lobte Neele begeistert. „Wir könnten dazu noch die Fahnen aller vertretenen Nationen schwenken. Was meint ihr?“

„Genau, dann schwenke ich die spanische Flagge, denn meine Mutter ist Spanierin“, leuchteten Jolandas dunklen Augen.

 

„Haben wir noch mehr Nationalitäten am Start?“, fragte Sina in den Raum.

„Ja klar! Soweit ich weiß, wurde Thomas in Polen geboren und kam erst im Kindergartenalter nach Deutschland“, wusste Pauline.

„Super, dann haben wir schon viele Nationalitäten zusammen und können das zum Hauptthema machen“, notierte sich Jolanda. Gerade als die Mädchen noch eifrig am diskutieren waren, kam Frau Schellhardt in Nachthemd und Puschen herein.

„Ihr solltet eigentlich schon seit fünf Minuten im Bett sein“, senkte sie mahnend die Stimme.

„Oh Entschuldigung, wir haben nur ein bisschen darüber diskutiert, wie wir das Bewerbungsvideo gestalten sollen“, entschuldigte sich Pauline.

„Nicht schlimm, das können wir am Montag vor der ganzen Klasse besprechen“, meinte die Klassenlehrerin und wünschte den Mädchen eine gute Nacht.

 

Die Roten Tulpen machten es sich in ihrer Bettenburg bequem, nachdem sie entweder in ihre Leggins oder Jogginghosen geschlüpft waren und obenrum T-Shirts oder langärmelige Sweatshirts trugen. Kiki stöpselte ihre Schlaflampe mit den lustigen Fischen ein, die sich munter im Kreis drehten und Schatten an die Wände warfen.

„Könnt ihr das Ding bitte ausmachen? Das ist ja fürchterlich nervig! Dieses Teil wirft die ganze Zeit Schatten“, beschwerte sich Jolanda am anderen Ende des Raumes.

„Mach doch einfach die Augen zu, wenn dich die Schatten nerven“, meinte Annemieke gelassen.

„Müsst ihr überhaupt so eine blöde Lampe dabei haben, ihr seid doch nicht mehr im Kindergarten“, begann Tanja zu stänkern. Kiki konnte sich gerade noch einen bösen Kommentar verkneifen.

„Ich finde die Lampe gemütlich“, wandte Pauline ein.

„Von mir aus kann sie die ganze Nacht brennen“, fügte Freya hinzu. Nun war es endlich wieder ruhig, da Pauline und Freya den Zicken den Wind aus den Segeln genommen hatten. Dafür ließ das Tussenkomitee ein Lied von einer Boygroup über Handy abspielen.

 „Was für eine Ruhestörung!“, zischte Fianna.

„Oh ja, es geht mir auch auf den Zeiger", grummelte Kiki und kuschelte sich in ihren Schlafsack.

 

3. Auf Geisterjagd

Nachdem die Roten Tulpen ein paar Seiten im schummrigen Licht ihrer Leselichter und der Schlaflampe gelesen hatten, gab Kiki ein Handzeichen und trommelte ihre Freundinnen auf ihrer Isomatte zusammen.

„In einer Viertelstunde ist Mitternacht, hättet ihr Lust auf eine Geisterjagd?“, fragte sie ihre Freundinnen im Flüsterton.

„Na klar habe ich Bock“, wisperte Mathilda, die bei dem Gedanken ganz hibbelig wurde und die Ohren ihrer Plüschratte faltete.

„Wollen wir das nicht vor der Tür besprechen?“, raunte Lotta. „Die anderen hören uns. Wir gehen zu zweit oder zu dritt im Abstand von Minuten raus, damit die anderen denken, dass wir auf Toilette gehen.“

„Prima, so machen wir es“, wisperte Emily. Kiki und die Zwillinge machten den Anfang und schlichen wie drei Indianerinnen aus dem Raum. Nach zwei Minuten folgten Emily und Fianna. Zum Schluss stahlen sich Lotta und Aylin davon. Lotta hatte noch eine kleine Umhängetasche dabei, in der sich ein paar nützliche Gegenstände befanden.

 

Ihre Freundinnen warteten bereits an der Treppe auf sie.

„Ab jetzt kein Geräusch mehr!“, legte Kiki ihren Zeigefinger auf ihre Lippen. Im Gänsemarsch schlichen die Mädchen zwei Stockwerke nach unten und machten dabei mit ihren Handys Licht, bis sie in der Pausenhalle waren. Aylin war ein wenig beunruhigt, dass ihnen irgendwer entgegen kommen könnte. Die Lehrer hatten ein striktes Verbot ausgesprochen, dass sie nachts durch die Schule schlichen.

„Lasst uns in den Keller gehen“, schlug Annemieke im nächsten Augenblick vor. „Dort soll neben dem Kunstraum der Schulgeist Josef wohnen.“

„Oh ja, den will ich auch mal sehen“, nickte ihre Zwillingsschwester begeistert.

„Schulgeist? Welcher Schulgeist?“, runzelte Lotta fragend die Stirn.

„Diese Geschichte hat uns Frau Breisinger mal in der fünften Klasse im Kunstunterricht erzählt“, murmelte Fianna und erzählte: „Es soll einen Schulgeist geben, der Josef heißt und mindestens genauso alt ist, wie diese Schule, also über vierhundert Jahre und seither treibt er hier sein Unwesen. Ab und zu hört man ihn auch heulen.“

„Ach was, das ist doch nur der Wind“, lachte Emily kurz auf. „Ihr müsst nicht alles glauben."

 

„Wo sind die Zwillinge?“, fragte Aylin nach einer Weile und schaute sich beunruhigt um.

„Stimmt, Annemieke und Mathilda sind weg. Das habe ich erst gar nicht gemerkt“, fiel Emily auf, dass zwei ihrer Freundinnen fehlten.

„Keine Ahnung, wo sie sind, erwiderte Kiki leicht genervt. „Ich gehe sie jetzt nicht suchen, es ist doch ihre Schuld, wenn sie nicht in der Lage sind, bei uns zu bleiben.“

„Kommt jetzt! Ich will Josef sehen und in anderthalb Minuten ist es Mitternacht“, drängte Fianna.

„Macht eure Handys aus! Geister mögen kein Licht“, wisperte Kiki. Zu fünf liefen sie leise die Treppe zum Keller hinunter. Von den Zwillingen fehlte noch immer jede Spur.

„Irgendwie habe ich doch ein bisschen Angst“, nahm Aylin Lottas Hand.

„Es gibt doch gar keine Gespenster“, warf Emily ein.

„Das werden wir gleich sehen“, drehte sich Fianna zu ihnen um. Die Mädchenbande machte vor einem Raum neben einem der beiden Kunstsäle halt, aus dem rauschende und brummende Geräusche zu ihnen drangen.

„Ist das der Geist?“, bekam Aylin Herzklopfen.

 

„Nein, das ist nur der Heizungsraum“, konnte Kiki sie beruhigen. Dennoch lag eine angepannte Stimmung wie bei einem Gewitter in der Luft.

„In zehn Sekunden ist Mitternacht“, sah Fianna auf ihre digitale Armbanduhr mit den Leuchtziffern.

„Da hinten ist Josefs Gewölbe“, flüsterte Kiki und gab die Richtung vor. „Wir warten vor seiner Tür und schauen, ob er heraus kommt.“

„Oder wir gehen selbst in den Raum“, wandte Fianna ein. „Soweit ich weiß, ist dieser meist nicht abgeschlossen.“

„Nein, wir warten lieber“, wisperte Emily. Lotta bekam wie Aylin in diesem Moment vor Aufregung Herzklopfen. Die Anspannung wuchs von jeder Sekunde an, aber die Mädchen brauchten nicht lange warten, da flog die Tür auf und zwei Gestalten, die in helle Tücher gehüllt waren, rannten mit einem lauten Heulen an ihnen vorbei. Vor Schreck begannen die Freundinnen zu kreischen und hielten sich gegenseitig fest.

 

Sogar der taffen Kiki und der vorwitzigen Fianna saß der Schreck fest in den Knochen.

„Seit wann gibt es zwei Josefs?“, stammelte Emily irritiert. Aylin zitterte so heftig, dass sie hinsetzen musste und vor Schreck beinahe weinte.

„Es ist uns doch nichts passiert“, tröstete Lotta sie und legte ihren Arm um ihre Schulter. Am anderen Ende des Ganges hörten sie jemanden kichern.

„Das war nicht Josef, sondern unsere lieben Zwillinge“, kam Kiki im nächsten Moment der Verdacht. Sie machte ihre Taschenlampe an und wetzte los. Obwohl sie rannte, machte sie fast keine Geräusche. Lotta, Fianna und Emily folgten der Bandenanführerin. Kiki sprintete wie von der Tarantel gestochen die Treppe hoch.

„Wo rennt ihr denn hin?“, kam ihnen Aylin keuchend hinterher gelaufen.

„Die Zwillinge jagen“, raunte Emily.

„Los, Mädels, wir packen die falschen Geister!“, spornte Fianna die Freundinnen an.

 

In der Pausenhalle bekamen sie die Zwillingsschwestern zu packen und rissen ihnen die Tücher von ihnen runter.

„Meine Güte, habt ihr uns einen Schrecken eingejagt, Micky und Matti! Da hätte nicht viel gefehlt und ich wäre ohnmächtig geworden“, zischte Aylin, die sich immer noch nicht ganz von ihrem Schrecken erholt hatte.

„Seid ihr noch ganz dicht?“, fuhr Kiki die beiden Freundinnen an. „Weil ihr uns so derbe erschreckt habt, haben wir fast die ganze Schule wach geschrieen.“

„Ein kleiner Spaß musste doch auch mal sein“, grinste Mathilda spitzbübisch.

„Und ein wenig Belustigung tut uns auch mal gut, da es sonst langweilig wird“, fügte Annemieke hinzu, die genauso grinste wie ihre Schwester.

„Ihr scheint es wohl nicht verstanden zu haben, dass ihr gerade alles kaputt gemacht habt“, funkelte Lotta die Zwillinge wütend an. „Wahrscheinlich sind Frau Schellhardt und Herr Loh von dem ganzen Krach wach geworden und gehen auf die Suche nach den Schülern, die sich nach Mitternacht hier unerlaubterweise aufhalten.“

 

„Mädels, wir sollen wieder echt zu Bett gehen“, gähnte Emily. Im nächsten Augenblick entdeckte Kiki einen langen Riss in einem ihrer Tücher.

„Das gibt es doch nicht! Erst nehmt ihr euch einfach meine teueren Seidentücher aus meiner Tasche und danach macht ihr mir eins davon kaputt. Wie unverschämt seid ihr eigentlich?! Papa hat mir diese Tücher aus dem Orient mitgebracht und sie mir zu heute erst zum Geburtstag geschenkt“, platzte ihr der Kragen und rüttelte nacheinander die beiden Schwestern an der Schulter.

„Sorry, ich habe das Tuch kaputt gemacht“, gab Annemieke kleinlaut zu. „Ich bin damit am Treppengeländer hängen geblieben. Es tut mir echt leid, Kiki. Ich wollte dein Tuch nicht ruinieren. Hätte ich gewusst, dass es so wertvoll gewesen wäre, hätten wir damit keine dummen Kinderspiele veranstaltet. Ich versuche den Riss zu nähen oder ich kaufe dir ein neues Tuch, welches genauso schön ist.“

„Trotzdem hast du es kaputt gemacht, Annemieke! Ein Tuch von der gleichen Qualität bekommst du erst, wenn du ganz weist reist“, schoss Kiki weiter auf sie ein.

„Das war doch keine Absicht“, war Annemieke mit einem Mal ganz hilflos. Kiki funkelte sie nur böse an und murmelte leise vor sich hin: „Was habe ich nur für tolle Freundinnen!“

 

„Kommt, Mädels, wir können hier doch nicht länger rum streiten“, stöhnte Aylin genervt. „Gleich kommt ein Lehrer und wir kriegen einen großen Einlauf.“

Annemieke setzte sich auf eine Bank und stützte ihr Kinn auf ihren Händen. Sie sah sehr bestürzt aus. Lotta und Mathilda setzten sich zu ihr.

„Wie soll ich das jemals gut machen? Kiki klang so, als wollte sie mir die Freundschaft kündigen“, sagte Annemieke mit zittriger Stimme. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte angefangen zu weinen.

„Das war doch keine Absicht von dir, sowas Schusseliges hätte auch mir passieren können. Ich habe Omas teure Porzellanvase von der Fensterbank geworfen und musste drei Monate sparen, um ihr die gleiche Vase im Internet zu bestellen“, redete Lotta auf sie ein.

„Außerdem kriegt sich Kiki gleich wieder ein und nimmt dir das mit dem Tuch nicht mehr so übel“, meinte Mathilda, die um Längen nicht so sensibel wie wie ihr Zwilling war und sich nicht alles sofort zu Herzen nahm. Aufmuntert lächelte sie ihrer Zwillingsschwester zu und hakte sich bei ihr ein. 

 

Gerade als die Roten Tulpen an den Toiletten vorbei liefen, schwang mit einem Mal die Tür vom Jungenklo auf und die Piranhas stürmten mit Wasserbomben bewaffnet auf die Mädchen zu.

„Attacke!“, rief Ömer.

„Juhu, die Beute ist da!“, jubelte Sven und feuerte die ersten bunten Luftballons, die mit Wasser gefüllt waren auf die Mädchen ab, die in Schreckstarre verharrten. Aylin und Mathilda bekamen je eine Wasserbombe ins Gesicht, die sofort zerplatzte.

„Aua, das tat weh!“, hielt sich Mathilda ihre Backe. Lotta konnte sich gerade noch wegducken, als eine längliche Wasserbombe über ihren Kopf hinweg flog und am Treppengeländer zerschellte. Die Bandenmädchen kamen sich sehr hilflos vor, als ihnen die Geschosse um die Ohren flogen. Lottas T-Shirt war von hinten ganz nass, weil Jannis ihr den Inhalt seines Zahnputzbechers in den Nacken schüttete.

 

Fianna huschte unauffällig ins Jungenklo und kam mit einem großen Eimer Wasserbomben wieder.

„Seht mal, ich bin fündig geworden!“, rief sie ihren Freundinnen zu. Sofort griffen Kiki, die Zwillinge und all ihre anderen Freundinnen zu und feuerten die Munition wutentbrannt auf die Jungs.

„Ihr könnt was erleben, ihr hormongesteuerten Hornochsen!“, tobte Kiki, die Jagd auf Max und Lennart machte.

„Hahaha, Mädchen können nicht werfen“, lachte Ömer Annemieke aus, die ihn schon zweimal verfehlt hatte.

„Aber ich bin treffsicherer als du glaubst“, pirschte sich Emily von hinten an und warf ihm aus geringer Entfernung eine Wasserbombe in den Nacken. Nach zwei Minuten war die Wasserschlacht vorbei, stattdessen lieferten sich die beiden Banden wüste Wortgefechte und Ömer holte eine Tube pinke Farbe aus seiner Hosentasche, die er den Mädchen in die Haare schmieren wollte. Die Mädchen schrieen auf, als die Piranhas sie festhalten wollten. Kurz darauf hatten Fianna, Kiki, Annemieke und Emily pinke Kleckse in ihren Haaren.

 

„Nun bist du an der Reihe, meine liebe Lotta“, lächelte Ömer fies. Lotta holte geistesgegenwärtig ihr Sprühdeo aus ihrer Handtasche und hielt auf ihren Feind drauf.

„Mich malst du nicht an!“, fauchte sie.

„Soll ich mich von ein paar Duftwölkchen verjagen lassen“, lachte er hämisch. Nun fiel Lotta ein, dass sie noch irgendwo tief in ihrer Tasche vergraben ein Feuerzeug hatte, welches sie an einem Werbestand geschenkt bekommen hatten. Hastig fingerte sie aus ihrer Tasche herum, zog das Feuerzeug heraus und im nächsten Moment schoss eine Feuerwolke aus ihrer Spraydose.

„Bist du noch ganz bei Trost?“, brüllte Ömer. „Du hast mir fast die Haare abgefackelt.“

„Selbst Schuld, wenn du mich angreifst“, erwiderte sie schnippisch. Im Hintergrund waren ihre Freundinnen mit den restlichen Piranhas am kämpfen. Wieder hielt Lotta ihr Feuerzeug an die Spraydose und entzündete diesmal eine noch größere Feuerwolke, die sie auf ihre Feinde richtete.

„Spinnst du, Lotta? Mach das Feuer aus! Das ist zu gefährlich“, rief Emily geschockt.

„Leute, lasst uns auf unsere Zimmer gehen, bevor wir erwischt werden“, raunte Aylin, die auf der Stelle kehrt machte und die Treppe hoch eilte. Ihre Freundinnen und die Piranhas kamen hinterher.

 

Mitten auf der Treppe machten sie vor Herr Loh halt, der sich wie ein Racheengel vor ihnen aufgebaut hatte.

„Darf ich wissen, was ihr hier um Viertel vor Eins auf den Gängen treibt. Ihr solltet schon längst in euren Betten sein“, zog er die Augenbrauen hoch.

„Die Jungs haben uns aufgelauert und uns mit Wasserbomben beworfen“, rief Emily empört.

„Ich will jetzt keine Einzelheiten wissen“, unterbrach der Lehrer sie wirsch. „Ich sehe, dass ihr klitschnass seid und das die Mädchen pinke Flecken in den Haaren haben. Wenn ich nach unten schaue, sehe ich lauter bunte Ballonfetzen und unzählige Wasserlachen. Ich möchte, dass ihr innerhalb von zehn Minuten da unten sauber macht und die Mädchen, die irgendwelche Farbe in den Haaren oder sonst wo haben, gehen in den Waschraum und machen sich sauber. Verstanden?“

 

Mit hängenden Köpfen machten sich die beiden Banden an die Arbeit. Lotta und Aylin, die keine pinke Farbe abbekommen hatten, wischten mit Tüchern die Wasserpfützen auf. Ihre Freundinnen verschwanden auf die Mädchentoilette und versuchten irgendwie die Farbe aus ihren Haaren zu kriegen.

„Das ist ja mal ein glatter Reinfall!“, schimpfte Aylin leise vor sich hin.

„Das hätte echt nicht sein müssen“, wandte sich Lotta tadelnd an die Piranhas.

„Das war nur die Rache für eure Schneeballattacke auf dem Rodelberg“, meinte Jannis.

„Weißt du, wie dumm eure Racheakte sind?“, fauchte Aylin wütend. „Sie sind jedes Mal doppelt so schlimm, als das was wir davor gemacht haben.“

 

„Die Ballonfetzen sind weg, der Boden ist wieder trocken und einige von den Mädchen sehen auch wieder sauber aus. Jetzt ab ins Bett mit euch! Ich möchte diese Nacht nicht noch einmal in meiner Ruhe gestört werden. Erwische ich jemand bis sieben Uhr morgens hier auf den Gängen, schmeiße ich ihn eigenhändig raus. Haben wir uns verstanden? Alles anderen besprechen wir morgen und eure Eltern werden wir auch in Kenntnis setzen.“

„Ja, wir haben es verstanden“, sagte Jannis.

„Herr Loh, wir versprechen Ihnen, dass keine Ruhestörung mehr vorkommt. Darauf werde ich achten“, versprach ihm Kiki.

„Gute Nacht, dann sehen wir uns um neun Uhr beim Frühstück“, trat Herr Loh den Rückzug an.

„Ich möchte mich einfach nur noch hinlegen“, lehnte sich Annemieke gähnend gegen ihre Schwester und umklammerte ihren Arm. Langsam schlurften die Bandenmädchen die Treppe zum Musikraum hoch.

„Dieser Ärger hätte nicht sein müssen“, war Emily immer noch sauer.

 

„Ich ziehe mir gleich als erstes ein trockenes Nachthemd an“, murmelte Fianna.

„Stimmt wohl, in den nassen Klamotten kann man echt nicht rumlaufen, mir ist schon ganz kalt und ich habe außer meinem Schlabbershirt und der Jogginghose nichts mit, worin ich schlafen kann“, jammerte Mathilda.

„Du kriegst gleich ein Sweatshirt und eine Leggins von mir. Wir sind ungefähr gleich groß und dann müssten dir meine Sachen auch passen“, drehte sich Lotta zu ihr um.

„Danke Lotta, du bist gerade meine Rettung“, lächelte Mathilda schwach.

„Was ist mit mir?“, sah Annemieke ihre Freundinnen groß an. „Soll ich mit nassen Sachen schlafen?“

„Du kannst gerne mein Nachthemd haben. Ich kann auch in der Turnhose schlafen“, bot Emily an.

„Danke!“, wisperte ihre beste Freundin erleichtert. Nun waren alle Kleiderprobleme aufgrund der nassen Klamotten geklärt und somit war die Lesenacht für die Freundinnen gerettet.

 

Als sie das Musikzimmer betraten, kam Kiki aus Versehen auf den großen Lichtschalter.

„Toll! Jetzt habt ihr uns aufgeweckt“, sah Sina sie vorwurfsvoll an.

„Sorry, wir wollten euch nicht wecken“, flüsterte Kiki.

„Wo sind eigentlich die Zicken?“, wisperte Mathilda.

„Die sind vor über einer halben Stunde aus dem Raum geschlichen“, richtete sich Jule auf ihrer Isomatte auf. „Seither haben wir sie nicht mehr gesehen.“

Gerade als von Jolanda und co die Rede war, kam das Tussenkomitee zur Tür hinein.

„Ihr hattet gerade wohl eine lustige Auseinandersetzung mit den Piranhas“, grinste Saskia. „Wir haben euch gehört.“

 „Wir haben sogar gesehen, wie die Tür von Herr Lohs Zimmer aufging. Wir konnten uns gerade noch verstecken, sonst hätten wir selber einen Einlauf bekommen. Wir bekamen mit, wie er euch und die Jungs zusammengestaucht hat. Das gibt bestimmt noch eine schöne Überraschung für euch“, kicherte Jolanda.

 

„Könnt ihr eure Schadenfreude an wen anderem auslassen und die Klappe halten?“, fauchte Kiki sie ungehalten an.

„Genau, sonst kleben wir euch die Münder zu“, fügte Fianna bissig hinzu.

„Könnt ihr euch nicht woanders streiten?“, warf Pauline genervt ein. „Jedes Mal geraten eure Banden aneinander, langsam nervt’s!“

„Falls du uns als „Bande“ bezeichnest, dann irrst du dich gewaltig!“, erwiderte Jolanda spitz.

„Können wir nicht leise sein, ich will mich auf meinen Vampirroman konzentrieren“, maulte Lotta, die es sich schon zwischen Emily und Aylin auf ihrer Luftmatratze bequem gemacht hatte.

„Genau, ich wäre dafür, dass wir ab jetzt die Nachtruhe einhalten. Schließlich bin ich morgen Nachmittag auf einem Voltigierturnier und möchte ausgeschlafen sein", meldete sich Sina mit müder Stimme zu Wort.

„Schlaft gut!", wünschte Freya allen eine gute Nacht und machte das große Licht aus.

„Gute Nacht!", murmelte Emily.

 

 

4. Viele gute Ideen

Am Montag in der siebten Stunde besprachen Frau Schellhardt und Herr Loh in der Klasse, wie sie das Bewerbungsvideo gestalten wollten.

„Habt ihr noch weitere Ideen?“, wandte sich Herr Loh an die Klasse.

„Ein paar Ausschnitte von unserer Fußball-AG wären toll“, meldete sich Ömer.

„Aber doch nicht nur Fußball. Nicht jeder von uns ist Fußballfan oder spielt selber Fußball“, begann Tanja heftig zu protestieren.

„Habe ich nicht gesagt, dass es um ein paar Ausschnitte geht?“, erwiderte Ömer leicht genervt.

„Hey, es redet nur derjenige, der sich gemeldet hat!“, lenkte Frau Schellhardt ein.

„Ich habe noch einen Vorschlag“, zeigte Sina auf. „Wir gehen doch diesen Freitag mit der Klasse in die Eishalle. Da könnten wir noch ein paar Videosequenzen drehen.“

„Die Idee ist wirklich originell“, war die Klassenlehrerin davon sehr angetan.

 

„Ich finde, wir sollten die Nationalitäten unserer Klasse zeigen. Es gibt einige Schüler, die ausländische Eltern haben oder sogar in einem anderen Land geboren wurden“, meldete sich Aylin, die sonst kaum ein Wort in der Klasse sagte.

„Ich finde Aylins Idee toll und wir könnten unsere verschiedenen Herkunftsländer mit den entsprechenden Landesflaggen zum Ausdruck bringen“, führte Jolanda ihren Vorschlag weiter aus.

„Prima! Ich finde es super, wenn wir so zum Ausdruck bringen, dass unsere Klasse international ist“, meinte Herr Loh. Es kamen noch mehr Vorschläge rein und es wurde angeregt diskutiert.

„Bitte nur Vorschläge, die nur mit unserer Klasse zu tun haben. Wir wollen im Video darstellen, was uns als Klassengemeinschaft zusammenhält“, warf Herr Loh nach einer Weile ein, als vermehrt Schüler danach verlangten, dass sie Szenen aus ihrem privaten Umkreis drehen wollten.

„Nun bräuchten wir noch ein paar Leute, die sich um die Aufnahmen kümmern, die Texte einsprechen, das Video zurrecht schneiden und die Konzepte entwickeln“, sagte Frau Schellhardt. „Ihr könnt euch bis Mittwoch in die Liste der Aufgabenbereiche eintragen.“

 

Lotta und Fianna ließen sich als die einzigen beiden Bandenmädchen von Jolanda überreden, bei ihrer Tanzchoreographie mitzumachen, während ihre Freundinnen alle entrüstet abgelehnt hatten. Bereits am Mittwoch probte die Gruppe von acht Mädchen im Musikraum. Meist endeten die Tanzschritte in einem unbeschreiblichen Chaos, Jolanda verlor ständig ihre Geduld und begann immer wieder auf einigen Mädchen herum zu hacken. Besonders Lotta und Fianna waren sehr unzufrieden.

„Ich glaube, ich war das letzte Mal da! Ich lasse mir doch nicht von diesen Zicken nicht sagen, dass ich wie ein Elefant im Porzellanladen tanze. Ich tanze seit neun Jahren Ballett und ich kann sehr wohl tanzen, auch wenn mir diese verdammten Ziegen etwas anderes unterstellen“, war Fianna stinksauer, als sie den Raum verließen.

 „Ich habe auch keinen Bock mehr mitzumachen“, murmelte Lotta. „Jolanda und Saskia haben pausenlos gemeckert. Vor allem wie sie Sina fertig gemacht haben, sowas geht gar nicht!“

 

Sina saß auf der Fensterbank vor dem Musikraum und versuchte sich nicht ansehen zu lassen, dass gerade eben geweint hatte, weil Jolanda sie aus dem Raum geschickt und sie als unfähiges Trampeltier bezeichnet hatte.

„Sina, alles in Ordnung mit dir?“, schritten die beiden Freundinnen auf sie zu.

„Nimm dir Jolandas Zickereien bloß nicht zu Herzen“, legte ihr Fianna vorsichtig die Hand auf die Schulter.

„Jolandas Verhalten ist einfach nur noch gemein. Ich werde sie mir gleich noch mal krallen und ein ernstes Wort mit ihr reden“, sagte Lotta voller Empörung.

„Ja, die ganze Zeit hat sie mich angemacht, beleidigt und zum Schluss hat sie mich nicht mehr mitmachen lassen“, schluchzte Sina auf.

„Hey, beruhig dich! Wir regeln das schon“, reichte Lotta ihr ein Taschentuch.

„Wir werden dem Tussenkomitee die Stirn bieten. Wir lassen uns nicht von Jolanda herumschubsen“, warf Freya ein, die sich soeben hinzu gesellt hatte und ihre weinende Freundin in den Arm nahm.

„Ich regle das eben“, machte sich Lotta auf dem Weg nach draußen. Hoffentlich erwischte sie Jolanda noch an der Bushaltestelle.

 

Sie beschleunigte ihre Schritte und hatte tatsächlich Glück. Jolanda stand an der Bushaltestelle und hörte Musik mit ihrem MP3-Player. Schien nicht zu registrieren, dass Lotta vor ihr stand.

„Hey!“, berührte Lotta sie am Ärmel.

„Was willst du?“, setzte Jolanda ihre Kopfhörer ab und warf Lotta einen genervten Blick zu.

„Meinst du nicht, dass du es gerade arg übertrieben hast? Immerhin haben wir das erste Mal geprobt und es ist mega fies, wie du mit Sina umgangen bist“, sah Lotta sie vorwurfsvoll an.

„Ich weiß, dass ich manchmal hart und temperamentvoll bin“, holte ihre Klassenkameradin tief Luft.

„Trotzdem ist es nicht okay, wie du mit uns umgehst. Entweder du gehst respektvoller mit uns um oder wir springen ab. Hast du mich verstanden?“, unterbrach Lotta sie im gereizten Tonfall.

„Ja, ich war teilweise zu hart und es tut mir leid, dass ich Sina beim letzten Tanz verbannt habe. Ich werde versuchen, dass ich beim nächsten Mal nicht so ungeduldig bin und ich verspreche euch, dass ich freundlicher sein werde. Es wäre echt schade, wenn ihr alle abspringt. Schließlich ist das ein cliquenübergreifendes Projekt und wir wollen zeigen, dass wir zusammen halten.“

„Okay, wir geben dir noch eine Chance, sonst kannst du die Piranhas fragen, ob sie bei deiner Choreo mitwirken wollen“, stellte Lotta ihr ein Ultimatum, worauf Jolanda mit einem Nicken zustimmte.

 

„Hey, es tut mir leid, dass ich gestern so gemein zu dir war“, entschuldigte sich Jolanda am nächsten Tag in der ersten großen Pause und nahm Sina kurz in den Arm. Lotta und Fianna hatten darauf bestanden, dass sich Jolanda bei ihr entschuldigte.

„Ihr springt doch nicht ab oder?“, vergewisserte sich Saskia bei Fianna und Lotta.

„Nein, wenn ihr freundlicher seid, dann nicht. Wie gesagt, wir geben euch noch eine Chance“, meinte Fianna.

„Das freut uns“, lächelte Neele und verschwand mit ihren Freundinnen in der Cafeteria.

„Wenn du Lust hast, komm doch mit zur Tischtennisplatte. Meine Freundinnen konnten einen Gummiball ergattern und spielen gerade Rundlauf“, bot Lotta Sina an.

„Oh ja, ich komme gerne mit“, strahlte Sina und pustete eine Strähne ihres weißblonden Haares aus ihrem Gesicht. Zu dritt gingen sie zu der Tischtennisplatte neben der mächtigen Kastanie. 

„Darf Sina mitspielen?“, fragte Fianna.

„Gerne“, nickte Kiki.

 

„Micky, warum sitzt du auf der Bank?“, lief Lotta zu der Bank, auf der Annemieke saß.

„Ich schreibe gerade meinen Sprechtext für das Video“, erwiderte ihre Freundin, die noch nicht mal von ihrem Notizbüchlein aufschaute.

„Nun komm schon! Die Pause ist doch nur noch zehn Minuten lang und da brauchst du doch nicht alleine hier zu herum zu sitzen“, versuchte Lotta sie zu überzeugen.

„Ok, mir fällt eh nichts mehr ein, was ich schreiben könnte“, brummte Annemieke und verstaute ihren Stift und das Notizbuch in ihrer Jackentasche. Die Mädchen spielen noch eine ganze Weile Rundlauf, bis es klingelte.

„Hat sich Jolanda bei dir entschuldigt, Sina?“, wollte Aylin wissen.

„Das hat sie“, nickte Sina.

„Das ist wohl das mindeste, an eurer Stelle wäre ich schon längst abgesprungen. Diese Tussen verdienen keine zweite Chance“, gab Mathilda ihren Senf dazu.

„Ich weiß, warum ich keine Lust gehabt habe, bei der Tanzchoreo“, meinte Emily.

„Ich gebe ihnen trotzdem noch eine Chance“, sagte Fianna. „Führen sie sich noch einmal so zickig auf, verlasse ich ihre Gruppe auf der Stelle.“

„Dann kann das Tussenkomitee einen Barbietanz aufführen, sich dick und fett schminken und sich so tussihaft kleiden, dass im Scheinwerferlicht so heftig glitzern, dass man davon geblendet wird“, spottete Mathilda.

„Und damit versuchen sie die Jury zu überzeugen, dass wir genau die richtige Klasse für das Schulduell sind“, fügte ihre Schwester feixend hinzu.

 

Am Donnerstagnachmittag traf sich die Drehbuchgruppe in der Schulbibliothek. Zu ihr gehörten auch Annemieke, Aylin und Kiki, aber auch Sven von den Piranhas.

„Habt ihr alle eure Texte fertig geschrieben?“, fragte Thomas in die Runde.

„Ich habe schon einen Text verfasst“, meldete sich Annemieke zaghaft.

„Dann schieß mal los!“, sah Kiki sie herausfordernd an.

„Das ist das Altstädtische Gymnasium, wo wir zur Schule gehen. Wir sind die 7a, die coolste Klasse der ganzen Schule. Hier lernen wir zusammen und haben zusammen viel Spaß. Außerdem haben schon viele Abenteuer auf der Klassenfahrt und bei diversen Klassenausflügen erlebt. Einige von uns haben ausländische Wurzeln und generell sind wir sehr unterschiedlich, trotzdem halten wir zusammen, da wir zusammengehören“, las sie aus ihrem Notizbuch vor.

„Was für lahmer Text!“, verdrehte Sven die Augen und gab ein Schnarchgeräusch von sich, wofür Kiki ihm einen leichten Tritt gegen das Schienbein verpasste.

„Mit so einem grottigen Text werden wir die ganze Schule blamieren“, meinte Sven nur.

„Mach es doch besser!“, fauchte Aylin ihn an.

„Dein Text ist nicht schlecht, Annemieke“, begann Thomas. „Aber ein bisschen mehr Pepp wäre nicht schlecht. Bist du einverstanden, dass wir den Einsprechtext noch einmal komplett neu schreiben? Ein paar Elemente aus dem Text könnten wir trotzdem übernehmen.“

„Ich weiß, der Text war wirklich schlecht“, rechtfertigte sich Annemieke. „Von mir aus kann ich ihn nochmal komplett neu schreiben."

„Mach dir nicht mal keinen Kopf!", munterte Kiki sie auf. „Ich helfe dir dabei. Zusammen schreiben wir einen viel cooleren Text.“

 

Zur gleichen Zeit versuchte die Arbeitsgruppe "Kamera&Tontechnik" die besten Bilder ihrer Schule einzufangen. Dafür hatte Herr Loh ihnen seine Video-Cam geliehen. Mit von der Partie waren Emily, Mathilda, Jannis, Max und Ömer.

„Oh man, das wackelt total! Kannst du nicht einmal die Kamera still halten? Wenn du es nicht auf die Reihe bekommst, dann mach ich das“, nahm Max Ömer die Cam aus der Hand.

„Wie oft wollt ihr die Schule noch filmen? Wir müssen uns beeilen, denn bald wird es dunkel“, sah Mathilda die Jungs genervt an.

„Es wäre schon schön, wenn wir die ersten Aufnahmen in trockenen Tüchern haben“, meinte Emily.

„Noch mal!“, seufzte Jannis.

„Haltet ihr uns die Schultür auf?“, wandte sich Max an die Mädchen.

„Aber sicher“, gingen Mathilda und Emily auf ihre Position. Zum gefühlt hundertsten Mal überquerte das Kamerateam den Zebrastreifen, lief über den Schulhof und durch die Eingangstür. Über die Pausenhalle und die Treppe hoch, ging es zum Klassenraum.

 

Immerhin fast anderthalb Minuten gutes Filmmaterial hatten sie zusammen, als sich die Kids im Computerraum das Ergebnis anschauten.

„Wenigstens sind die Aufnahmen nicht verruckelt“, war Emily zufrieden.

„Trotzdem sind anderthalb Minuten zu lang. Nachher am Computer werden wir noch einige Sequenzen herausschneiden müssen“, meinte Mathilda.

„Na klar, schneiden wir noch einige Sequenzen heraus“, versicherte ihr Jannis. „Aber das machen wir ganz Schluss, wenn alle Szenen gedreht wurden.“

„Wie viele Szenen haben wir eigentlich?“, fragte Julian, der ihnen neugierig über die Schulter sah.

„Schon einige“, erwiderte Ömer.

„Auf jeden Fall haben wir schon eine Aufnahmen aus dem Musikunterricht, wo Pauline Klavier spielt und Aylin dazu singt“, drehte sich Emily zu ihm um.

„Prima, dann kommen wir echt schnell voran“, war Julian begeistert und schrieb noch schnell ein paar Notizen nieder.

„Morgen kommt noch eine Szene aus dem Sportunterricht hinzu, wo wir entweder Hand- oder Fußball spielen werden“, sagte Ömer.

„Dann zeige ich euch feinste Freistöße a la Cristiano Ronaldo“, nahm Jannis Anlauf und tat so, als würde er einen imaginären Ball in die Maschen hämmern und zeigte sich anschließend in Ronaldo-Siegerpose.

„Angeber!“, zischte Mathilda und rollte mit den Augen.

 

„Hey, nicht trödeln, wir müssen noch das Klugscheißerquiz mit Pauline, Jule, Patrick und Finn drehen“, fiel Emily ein. „Wir haben noch eine halbe Stunde."

„Kommt zu uns rüber in den Klassenraum!“, winkte Mathilda ihre drei Mitschüler zu sich rüber.

„Seid ihr bereit und habt die Antworten einstudiert?“, fragte Julian, der die Fragen stellen sollte.

„Klar, ich weiß die Antworten aus dem FF“, nickte Jule und nahm zwischen Pauline und Finn platz.

„Okay, wir beginnen mit Pauline, dann Jule, Patrick und zum Schluss Finn. Diese Reihenfolge behalten wir bei und es antwortet nur derjenige, der gefragt wird“, fuhr Julian fort und stellte die erste Frage: „Welches Gemüse hat den höchsten Vitamin-C-Gehalt?“ 

„Rote Paprika“, kam es bei Pauline wie aus der Pistole geschossen.

 

„Wie wird der Teufelsrochen noch genannt?“

„Manta!“, wusste Jule.

„Welcher Künstler malte bunte Pferde?“

„Franz Marc!“, antwortete Patrick in Sekundenschnelle.

„Von welchem Land ist Sarajewo die Hauptstadt?“

„Bosnien-Herzegowina“, brauchte Finn als Erdkundeass nicht lange zu überlegen.

„Wie heißt die Kraft, bei der die Luftströme durch die Erdkraft abgelenkt werden?“

„Coreoliskraft“, war Pauline wieder an der Reihe. Auch die anderen Fragen liefen wie am Schnürchen.

„Das war doch schon mal klasse, ihr werdet bestimmt ein bärenstarkes Quizquartett bilden“, lobte Mathilda die vier Kandidaten.

„Mit euch kann man nur gewinnen“, zwinkerte ihnen Emily zu.

„Ich weiß nicht, ob ich wirklich vor den Kameras auftreten will“, begann Jule zu zweifeln.

„Warum nicht? Du bist doch eine der besten Schülerinnen von uns“, sah Julian sie stirnrunzelnd an.

 

5. Dreharbeiten auf Hochtouren

Am Freitag stand der Eisflug in die Eishalle an.

„Wir haben uns folgende Choreo überlegt“, versuchte Jolanda sich Gehör zu verschaffen, als sich alle die Schlittschuhe angezogen hatten.

„Wir bilden eine lange Polonäse und fahren eine Runde durch die Halle und zum Schluss bilden wir einen Kreis. Das ist so einfach, das müsste jeder von euch hinbekommen“, fuhr sie fort.

„Aber ich kann nicht richtig Schlittschuhlaufen“, sagte Aylin leise.

„Macht nichts. Wir nehmen dich schon an die Hand“, beruhte Fianna sie.

„Okay, wir drehen die Szene erst in einer halben Stunde, fahrt euch erstmal ein bisschen ein“, ordnete Herr Loh. Die Piranhas waren die ersten, die die Eisfläche stürmten und durch die Gegend flitzten.

„Passt doch auf, ihr Honks!“, schimpfte Annemieke, als sie fast von Lennart und Sven über den Haufen gefahren wurde und sich gerade noch an der Bande festklammern konnten.

 

Lotta drehte bereits mit Emily Hand in Hand ihre ersten Runden. Es war bestimmt schon zwei oder drei Jahre her als sie das letzte Mal auf dem Eis stand, damals wohnte sie noch in Mannheim.

„Kommt, wir machen eine Kette!“, nahmen die Zwillinge die Hände von Aylin und Kiki.

„Ich mach auch mit!“, griff Fianna überschwänglich nach Aylins freier Hand.

„Los, wir versuchen Lotta und Emily zu kriegen!“, spornte Kiki ihre Freundinnen an.

„Hilfe, nicht so schnell!“, wurde Aylin ganz ängstlich.

„Du musst nur abwechselnd deine Füße anheben und Schwung geben“, gab Mathilda ihr den Tipp. Aylin verlor ihre Scheu und wurde so schnell, dass ihre Freundinnen sie sogar bremsen mussten. Bald hatten sie Lotta und Emily eingeholt und bildete eine lange Rote-Tulpen-Kette.

„Wir sind das längste Freundschaftsband der Welt!“, rief Mathilda übermütig.

„Wir sind die Rote Tulpen, uns kann keiner toppen“, jubelte Fianna und setzte zu einem Sprung an, wobei sie falsch aufkam und stürzte. Bald darauf lag die gesamte Mädchenbande kichernd auf dem Eis.

 

Nach einer Viertelstunde trommelte Herr Loh die gesamte Klasse zusammen.

„Es kann losgehen! Ich konnte Musik und ein paar Showeffekte organisieren. Geht auf eure Positionen und wir können starten. Erstmal ein Probedurchlauf und danach filme ich euch“, sagte er. Im nächsten Moment ging die Musik an und über ihren Köpfen blinkten Discolampen in verschiedensten Farben.

„Sogar eine Discokugel haben die“, sah Lotta beeindruckt an die Decke.

„Das wie in der Disco“, fand Aylin.

„Nicht quatschen, ihr Enten, auf eure Positionen!“, herrschte Jolanda sie an.

„Ja, hetz uns nicht!“, fauchte Lotta, die zwischen Emily und Kiki auf ihre Position ging.

„Und los!", gab Jolanda das Startsignal und bildete den Kopf der Polonäse. Dahinter schlossen sich die anderen Schüler an.

„Ihr seid zu schnell protestierte“, Pauline, die ihren Vordermann losließ.

 

„Ist das wirklich zu viel verlangt, Pauline?“, zickte Saskia sie an. „Das können selbst Aylin und die anderen unsportlichen Schüler der Klasse.“

„Sollen wir etwa über das Eis gehen?“, begann auch Tanja auf Pauline einzuschießen.

„Nein, ich habe doch nur verlangt, dass wir ein bisschen Tempo raus nehmen“, sagte Pauline, die sichtlich verletzt zu sein schien. Ein neuer Versuch wurde gestartet. Pauline versuchte mithalten, kippte bei einer Kurve zur Seite und riss drei weitere Mitschüler zu Boden.

„Wenn du nicht Schlittschuhfahren kannst, dann setz dich gefälligst auf die Bank!“, herrschte Jolanda sie an. Der sensiblen Pauline begannen dicke Tränen über die Wangen zu laufen.

„Das war gemein, Jolanda!“, rief Kiki erbost. „Pauline hat das nicht mit Absicht getan.“

„Ganz genau, ihr seid die ganze Zeit nur am stänkern“, fügte Fianna hinzu.

 

„Weißt du was, komm doch einfach zwischen mich und Emily“, legte Annemieke der weinenden Pauline die Hand auf die Schulter.

„Pauline, hast du dich verletzt?“, kam Herr Loh auf die Eisfläche gefahren, diesmal ohne seine Cam.

„Nein, richtig wehgetan habe ich mir nicht“, sagte Pauline mit belegter Stimme.

„Trotzdem solltest du dich bei Pauline entschuldigen“, wandte sich Emily an Jolanda.

„Der Ansicht bin ich auch, das war kein faires Verhalten von dir, Jolanda. Mir ist schon öfter negativ aufgefallen, wie du mit deinen Klassenkameraden umgehst“, sah Herr Loh sie streng an.

 „Komm schon, dir ist doch nichts passiert und wir versuchen es eben noch mal“, tröstete Freya Pauline und reichte ihr ein Taschentuch.

 

„Ich will aber nicht mit einem verheulten Gesicht gefilmt werden“, protestierte Pauline heftig. Mathilda zog sie zu sich heran und flüsterte ihr einen Witz ins Ohr, worauf sie anfing schallend zu lachen.

„Nun sieht die Welt schon ganz anders aus“, stupste Lotta sie an, worauf Pauline immerhin ein schwaches Lächeln über die Lippen brachte.

„Pauline, ich entschuldige mich für meine gemeinen Worte. Hoffentlich nimmst du mir das nicht weiter übel“, gab ihr Jolanda die Hand. Auch die anderen Mädchen vom Tussenkomitee entschuldigten sich und nach einem weiteren Probedurchlauf filmte Herr Loh seine Klasse.

„Die Szenen sind echt cool geworden!“, gab Julian all seinen Klassenkameraden Highfives.

„Wenn wir alle gedrehten Szenen schneiden und das ganze zu einem Video zusammen fügen, sind wir nicht mehr zu toppen“, meinte sein Kumpel Finn.

 

Am Montagnachmittag traf sich die Klasse im Computerraum, dort sollten die Hintergrundtexte eingesprochen, die einzelnen Szenen geschnitten und die Hintergrundmusik hinterlegt werden. Frau Schellhardt, Herr Loh und einer ihrer Lehrerkollegen, der an der Schule Informatik unterrichtete, half den Schülern dabei. Annemieke, Pauline und Thomas waren die auserwählten Sprecher, die die Texte einsprechen sollten.

„Wir sind die Klasse 7a und…“, begann Annemieke und kam nicht weiter, da ein heftiger Hustenanfall sie mitten im Text überfiel.

„Trink was, Annemieke, du hörst dich überhaupt nicht gesund an!“, reichte ihr Frau Schellhardt ein Glas Wasser. Nachdem sie das Glas in einem Zug geleert hatte, verspürte sie den nächsten Hustenreiz.

„Kann nicht jemand anders für mich sprechen?“, bat sie mit heiserer Stimme.

„Du wirst wohl krank“, stellte Pauline besorgt fest und reichte ihr ein Hustenbonbon.

„Ja, das geht mir mit zwei Tagen so“, hustete Annemieke wieder laut los und rannte aus dem Raum.

„Ich kann es wohl versuchen“, meldete sich Sina freiwillig.

 

Annemieke rannte währenddessen in Richtung der Toiletten. Vom ganzen Husten war ihr ganz übel geworden.

„Guck mal, wer da rennt?!“, stieß Jannis Michael feixend an. Die beiden Piranhas zogen grinsend an ihr vorbei, anstatt zu fragen, ob bei ihr alles in Ordnung sei. Annemieke verschwand unter einer nächsten Hustenattacke auf dem Mädchenklo und lehnte sich erschöpft an die Wand neben den Waschbecken. Ihr war total schwindelig und ihre Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. Sie schloss einen Augenblick, um der Schwindelattacke Herr zu werden. Wieder kitzelte es in ihrem Hals und erneut hustete sie los, sodass sie sich fast übergeben musste.

 

 „Hey, alles okay mit dir?“, kam Jule aus einer der vielen Toilettenkabinen und sah besorgt aus.

„Ich glaube, ich werde krank“, krächzte Annemieke und ihr stiegen die Tränen in die Augen.

„Ganz ruhig, versuch erstmal etwas zu trinken“, sagte ihre Klassenkameradin tröstend. 

„Ich habe gerade schon ein Glas Wasser getrunken, aber es hat nicht geholfen“, klang Annemieke niedergeschlagen.

„Kannst du dich von deinen Eltern abholen lassen?“, fragte Jule. „Jeder Blinde sieht, dass es dir grottig geht.“

„Ich weiß nicht, ob meine Eltern zuhause, am ehesten könnte ich meine Mutter erreichen“, zückte sie ihr Handy.

„Micky, wo warst du die ganze Zeit gewesen?“, kam Mathilda auf sie zu gerannt.

„Ich war nur auf der Toilette“, sagte Annemieke mit matter Stimme. „Mir geht's nicht gut. Ich muss ständig husten und mein Hals kratzt."

„Warte, ich rufe eben Mama an“, nahm ihr ihre Zwillingsschwester das Mobiltelefon aus der Hand und verschwand zum Telefonieren um die Ecke.

 

„Mama ist in wenigen Minuten hier“, kam Mathilda nach einem kurzen Augenblick wieder. Kurz darauf verschwand sie mit Jule, während Annemieke alleine in der Pausenhalle wartete. Bevor sich der nächste Hustenschauer angekündigte, schob sie schnell Paulines Hustenbonbon in den Mund. Immerhin bewirkte es, dass der Hustenreiz abflaute. Trotzdem bekam sie kaum Luft, da ihre Nase total dicht war. Im nächsten Moment kam ihre Mutter herein.

„Na mein Engel, dir scheint es nicht besonders dolle zu gehen“, strich sie ihr über die Locken.

„Ich glaube, ich habe eine Grippe. Ich bin total schlapp, huste ununterbrochen und kann kein Stück weit mehr denken“, hauchte Annemieke und musste sich zusammenreißen, dass sie nicht anfing zu schluchzen.

„Nicht traurig sein, jeder wird mal krank. Zuhause gehst du ins Bett, ich bringe dir eine Wärmflasche“, tröstete ihre Mutter sie, während sie zum Auto gingen. Draußen regnete es und ein kühler kräftiger Wind wehte ihnen ins Gesicht. Kein Wunder, dass momentan viele Leute krank wurden.

 

Während Annemieke nach Hause gebracht wurde, arbeiteten ihre Klassenkameraden weiter an dem Video. Pauline, Thomas und Sina hatten ihre Texte soweit eingesprochen. Jetzt mussten Ton und Bild passend zusammengefügt werden. Mathilda, Emily, Kiki und Aylin hatten tatkräftig dabei geholfen, die richtige Hintergrundmusik auszusuchen und die einzelnen Videoszenen zu bearbeiten. So wurde aus über zwanzig Minuten Filmmaterial ein Video, welches sechs Minuten lang war. Die Kids waren erstaunt, als die Lehrer ihnen zeigten, welche Effekte und Filter sie einsetzen konnte.

„Der schwarz-weiß Filter gefällt mir“, probierte Freya eine neue Einstellung aus.

„Um Himmels willen, doch nicht das ganze Video in schwarz-weiß!“, entfuhr es Neele. „Sonst könnte man denken, dass Video wäre über sechzig Jahre alt.“

„Ein bisschen Retrostyle fände ich nicht verkehrt“, schien Jule etwas mehr überzeugt zu sein. 

 

„Ihr könnt schon ein paar Effekte einsetzen. Ihr müsst nur aufpassen, dass die Bildfarbe und die Helligkeit nicht sprunghaft wechseln. Ansehlicher sind gleitende Übergängen“, meinte der Informatiklehrer, der zu ihnen an den Tisch gekommen war. Am frühen Abend war es endlich so weit und das Video war fertig.

„Da ihr so tatkräftig gearbeitet habt, haben wir eine kleine Überraschung für euch“, offenbarte ihnen Frau Schellhardt. Die Schüler beeilten sich in den Klassenraum zu kommen, wo ein kleines Kuchenbüffet mit warmen Kakao und Früchtetee auf sie wartete. Hungrig griffen die Schüler zu und so war von dem Zitronenkuchen nach zwei Minuten nichts mehr da.

„Auf unsere Arbeit!“, stießen die Roten Tulpen mit ihren Kakaobechern an.

„Was man nicht alles dafür geopfert hat“, murmelte Kiki halblaut vor sich hin.

„Ich war heute nicht beim Bauchtanz, obwohl wir bald einen Auftritt“, meldete sich Aylin zu Wort.

„Und ich habe die Ballettstunde absagen müssen“, meinte Fianna.

 

„Ich konnte nicht zum Spiel unserer Hockeymannschaft, was allerdings nicht so schlimm ist, da es eh nur ein Freundschaftsspiel gegen eine Gesamtschule aus dem Nachbarort ist“, fügte Mathilda hinzu, die ihren Kopf auf den Tisch gelegt hatte und laut gähnte.

„Nicht schlafen, Matti!“, raunte Fianna.

„Aber nach so einem langen Tag kann man nur müde sein“, sah Aylin ebenfalls sehr schläfrig aus.

„Hoffentlich kommt Micky schnell auf die Beine. Nicht, dass sie es noch richtig erwischt hat“, schien sich Mathilda ein bisschen Sorgen um ihre Schwester zu machen.

„Hoffentlich steckt sie dich nicht auch noch an“, merkte Emily an.

„Ach was, wird sie schon nicht“, brummte Mathilda.

„Na, da warten wir mal drei Tage ab“, tickte Kiki sie neckend an. Die Freundinnen kannten die Zwillinge nur zu gut. Kaum wurde die eine krank, folgte die andere kurz darauf.

„Einen Deubel werde ich tun und krank werden“, murrte Mathilda leise vor sich hin und schob sich ein Stück Zitronenkuchen in den Mund.

 

„Kann ich einen Augenblick für Ruhe bitten?“, klatschte Frau Schellhardt in die Hände und fuhr fort: „Wir wollen uns jetzt unser gemeinsames Werk komplett anschauen. Wenn es etwas zu beanstanden gibt, können wir im Anschluss darüber diskutieren.“

Alle Gesichter waren zur Tafel gerichtet, wo Herr Loh die Leinwand heruntergekurbelt hatte. Frau Schellhardt startete das Video und nun war es mucksmäuschenstill. Erst jetzt bekamen sie zu Gesicht, was sie in den letzten beiden Wochen geleistet hatten. Außer ein paar Kleinigkeiten gab es keine Änderungswünsche.

„Jetzt haben wir gesehen, wofür wir uns den Hintern aufgerissen und unsere Freizeit geopfert haben“, war Fianna sichtlich zufrieden und biss von ihrem Apfel-Zimt-Muffin ab.

„Wir sind zwar noch jung, aber wir kriegen genauso viel auf die Reihe wie die Erwachsenen“, nickte Kiki.

„Ich finde, dass wir sogar noch kreativer als die Erwachsenen sind, die oftmals so starr sind", fand Lotta, worauf ihre Freundinnen einstimmig nickten.

 

„Auf unser Werk!“, stießen die Schüler auf ihr Bewerbungsvideo an.

„Jetzt müssen wir nur noch Glück, dass wir zu den Auserwählten gehören“, meinte Lotta.

„Ich wäre gar nicht traurig drum, wenn wir nicht zu den Glücklichen gehören“, murmelte Aylin leise, der es bereits jetzt schon davor graute, dass dutzende Kameras auf sie gerichtet waren.

„Warum bist du nur so pessimistisch?“, tickte Fianna ihre beste Freundin an.

„Ich habe keine große Lust im Fernsehen zu landen“, zog Aylin einen Flunsch.

„Es ist doch gar nicht gesagt, dass wir gewinnen“, legte Emily ihr die Hand auf die Schulter.

„Jetzt Kopf hoch, wir haben etwas Großes geleistet und darauf können wir stolz sein!“, gesellte sich Kiki zu ihr.

6. Wunderbare Neuigkeiten

Genau eine Woche kam Frau Schellhardt mit einem strahlenden Lächeln in den Unterricht. Die Schüler konnten nur erahnen, dass sie gute Nachrichten im Gepäck hatte.

„Die Agentur hat sich gemeldet und unser Video landete auf dem ersten Platz. Das bedeutet, dass wir am zweiten Freitag im März beim Schulduell dabei sind. Es wird ein Heimspiel für uns sein, da die Sendung in unserer Turnhalle aufgezeichnet werden soll“, teilte die Klassenlehrerin ihnen überglücklich mit. Ein lauter Jubel brach unter den Schülern aus. Fast niemand hielt es auf den Plätzen. Jubelnd fielen sie sich in die Arme, klatschten sich gegenseitig ab und hüpften umher.

„Frau Schellhardt, wer sind denn unsere Gegner?“, platzte es neugierig aus Jannis raus, nachdem sich die meisten Kids wieder beruhigt hatten.

„Das Friedrich-Schiller-Gymnasium aus München“, erwiderte die Klassenlehrerin.

„Das ist natürlich eine große Hausnummer“, machte Jolanda große Augen. 

„Trotzdem sind sie nicht unschlagbar“, meinte ihre beste Freundin Saskia.

 

„Was kann man gewinnen?“, wollte Michael wissen.

„Meist ist es ein Kurztripp mit der Klasse in eine Stadt. Aber der Gewinn wird erst am Ende einer Sendung bekannt gegeben, wenn der Sieger feststeht“, beantwortete die Klassenlehrerin seine Frage.

„Ich muss Matti eben mitteilen, dass wir dabei sind“, tippte Annemieke unter dem Tisch eine Nachricht in ihr Handy. Im Gegensatz zu letzter Woche war nun Mathilda krank, während sie selber wieder zur Schule gehen konnte.

„Herzlichen Glückwunsch, das habt ihr großartig gemacht!“, kam Herr Loh in den Klassenraum und spendierte Limonade. Mit Pappbechern stießen sie freudig an und tranken auf ihre kommende Teilnahme beim Quizduell.

„Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie unsere Turnhalle sich in ein Fernsehstudio verwandelt“, raunte Fianna aufgeregt in Aylins und Lottas Richtung.

„Bestimmt erkennt man nichts wieder, alles wird wie verwandelt sein“, meinte Emily. Nur Aylin schien nicht ganz so glücklich zu sein und sah mit einem matten Lächeln darüber hinweg.

 

„Ich schwöre euch, dass ich mich nicht zum Clown machen werde. Auch wenn mich tausend Leute fragen: Ich nehme nicht am Karaokewettbewerb teil“, klang Aylin leicht angefressen, als sie in der Pause in der Cafeteria saßen.

„Dich zwingt niemand dazu, dass du dich für bestimmte Aufgaben oder Challenges einträgst“, sagte Annemieke. „Lediglich beim Klassenquiz wird die ganze Klasse antreten, aber da musst du nur abstimmen, ob eine Frage richtig oder falsch ist.“

„Ich trete bei einer Einzelaufgabe auf keinen Fall an“, entschied Emily im Vorfeld.

„Beim Schlaumeier-Quiz machen eh Pauline, Patrick, Jule und Finn mit. Jolanda meldet sich für den Catwalk und das Tussenkomitee macht bei dem Tanzwettbewerb mit. Theoretisch wären die Piranhas bis auf Michael für die Sportwettbewerbe nominiert“, zählte Kiki einige der Wettbewerbskategorien auf.

„Wisst ihr was, ich wurde gefragt, ob ich beim Mathewettbewerb antrete“, platzte es aus Lotta heraus.

„Wer denn?“, sah Aylin mit großen Augen an.

„Frau Schellhardt höchstpersönlich“, erwiderte Lotta. „Sie will, dass ich mit Finn oder Julian zusammen antrete.“

 

„Ich trau dir das echt zu, Lotta, du bist verdammt gut in Mathe“, klopfte ihr Emily auf die Schulter.

„Nur weil ich letztens eine glatte Eins geschrieben habe?“, zog ihre Freundin die Stirn kraus.

„Komm schon, du bist von uns die Beste im Rechnen“, machte ihr Fianna Mut. Obwohl Lotta sehr firm im Umgang mit Zahlen, Formeln und ihrer Anwendung war, rutschte ihr das Herz in die Hose.

„Ich überlege es mir noch mal. Eigentlich wäre es mir doch lieber, dass Pauline beim Mathewettbewerb antritt“, sagte sie nach einer Weile.

„Mach dich doch nicht kleiner als du bist. Du kannst auf jeden Fall mit Pauline mithalten und ich finde, du bist sogar noch etwas besser in Mathe als sie. Nur weil sie die Klassenbeste ist, ist sie nicht in jedem Fach die Beste“, redete Kiki auf sie ein.

„Dass ich in den letzten Tests so gut war, war eher Glück", druckste Lotta immer noch kleinlaut herum.

„Blödsinn!", stieß Fianna sie leicht an.

 

„Na gut, ich denke noch mal darüber nach“, seufzte Lotta, die das Gefühl hatte, dass all ihre Freundinnen sie zum Mathewettbewerb schicken wollten.

„Von mir aus, kannst du mein Matheknobelheft haben. Meine Eltern haben mir es mal geschenkt und ich habe es noch nicht angerührt. Ich finde, das wäre eine gute Übung für dich“, sagte Fianna zu ihr, als sie wieder zu ihrem Klassenraum zurück liefen.

„Ihr lasst aber auch nicht locker“, verdrehte Lotta leicht genervt die Augen.

„Ja logo, du bist einfach die Beste!", hakte sich Fianna bei ihr ein.

 

In der nächsten Mathestunde teilte Frau Schellhardt einen kleinen Knobeltest aus, offenbar wollte sie somit herausfinden, wer für die Klasse beim Mathewettbewerb vertreten sollte.

„Hier gilt gleiches Prinzip wie in einer Mathearbeit: Abschreiben, Spicken und Privatgespräche sind streng verboten. Diesmal sind auch keine Taschenrechner erlaubt, die dürftet ihr in der Show auch nicht benutzen. Nun habt ihr genau eine Schulstunde Zeit, dreht jetzt die Zettel um und schreibt eure Namen drauf“, kündigte sie an.

„Oh je, die Aufgaben sind hundertmal schwerer als in einer normalen Klassenarbeit“, stöhnte ein Schüler in der hintersten Reihe.

„Keine Privatgespräche!“, ermahnte Frau Schellhardt rigoros. Es kehrte Ruhe im Klassenraum ein, sodass nur die Schreibgeräusche und das Ticken der Uhr über der Tafel zu hören waren. In der nächsten Dreiviertelstunde zerbrachen sich die Schüler die Köpfe und kritzelten Nebenrechnungen auf Schmierzettel.

 

Lotta kam erstaunlich gut mit den Knobelaufgaben klar. Es machte sich bezahlt, dass sie schon einige Aufgaben aus Fiannas Matheheft gelöst hatte und jeden Abend mit ihrem Vater Matherätsel löste und sich von ihm abfragen ließ. Kiki, die neben ihr saß, strich jede zweite Rechnung komplett durch und rechnete alles von vorne durch. Auch bei einigen anderen Schülern herrschte große Ratlosigkeit. Nach fünfundvierzig Minuten klingelte es und Frau Schellhardt sammelte die Tests wieder ein.

„Ich habe den Test total vergeigt und daher bin auf keinen Fall die richtige Kandidatin für die Matheknobeleien“, wandte sich Emily an ihre Sitznachbarin Aylin.

„Denkst du ich?“, lachte ihre Freundin kurz auf.

„Die Aufgaben waren auch verflixt kompliziert. Immerhin werde ich nicht die Auserwählte sein“, beugte sich Fianna über ihren Tisch. 

 

„Aylin, hättest du noch fünf Minuten Zeit?“, fragte Frau Schellhardt am nächsten Tag.

„Worum geht es?“, blieb Aylin abrupt stehen.

„Ich wollte dich fragen, ob du uns beim Karaokewettbewerb vertreten willst“, fuhr die Klassenlehrerin fort.

„Ausgerechnet ich?“, entgleisten ihr fast die Gesichtszüge.

„Warum nicht? Du hast eine grandiose Stimme und du hast letztes Jahr auf dem Schulfest gezeigt, was in dir steckt. Selbst Frau Miller schwärmt jedes Mal im Musikunterricht, wie gut du singen kannst“, redete Frau Schellhardt auf sie ein. Aylin war immer noch unschlüssig und es nervte sie sogar ein bisschen, dass jeder sie fragte, ob sie beim Karaokewettbewerb teilnehmen wollte.

„Darf ich es mir bis morgen überlegen?“, sagte sie nach einer Weile.

„Na klar und denk daran, du bist dazu nicht zwingend verpflichtet. Wenn du nicht antreten willst, suchen wir einen neuen Kandidaten oder eine Kandidatin“, meinte ihre Lehrerin und verabschiedete sich.

 

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es schon sehr spät war und in zwei Minuten würde der Bus kommen. Aylin nahm ihre Beine in die Hand und sprintete die Gänge entlang. Dabei stieß sie fast mit zwei Mädchen aus der 8a zusammen, die ihr etwas Böses hinterher riefen. Draußen wartete bereits der Bus und sie legte noch einen Zahn zu. Völlig aus der Puste erreichte sie wenige Sekunden vor Abfahrt den Bus und ließ sich neben Emily in den Sitz fallen. Hastig sortierte sie ihre wilden schwarzen Locken, die vom Wind ganz zersaust waren.

„Wo warst du eigentlich noch so lange?“, wollte ihre Freundin wissen.

„Frau Schellhardt hat mich bequatscht, dass ich beim Karaokesingen antreten soll und deswegen hätte ich fast den Bus verpasst“, rollte Aylin mit den Augen.

„Du wärst auf jeden Fall die Optimalbesetzung“, fand Emily und legte ihr die Hand auf den Unterarm.

 

„Ja, Aylin ist die Optimalbesetzung“, tönte es von weiter hinten. Überrascht drehten sich die beiden Mädchen um. Zwei Reihen hinter ihnen saßen Ömer und Michael mit einem breiten Grinsen in ihren Gesichtern.

 Teils kichernd gaben und teils mit fipsiger Stimme gaben die beiden Piranhas den Song zum Besten, mit dem Aylin letztes Jahr den Talentwettbewerb beim Schulfest gewonnen hatte.

„Ruhe auf den billigen Plätzen!“, rief Emily laut in die Richtung der Jungs, worauf sich die Jungs noch mehr über Aylin lustig machten. In Aylins Augen brannten Tränen. Sie hasste es jedes Mal, wenn die Jungs sie hänselten.

„Diese Jungs sind echt furchtbar unreif“, meinte ein älteres Mädchen mit kürzeren schwarzen Haaren, pinken Strähnen und einem Nasenring. „Gehen die in eure Klasse?“

„Leider ja“, seufzte Emily.

„Na, dann herzliches Beileid", meinte die Ältere. Emily erwiderte daraufhin nichts und stand mit Aylin auf, damit sie aus der Hörweite der beiden Piranhas waren.

 

 

7. Trau dich, Annemieke!

Es gab schlechte Neuigkeiten für die 7a. Jule bekam über Nacht starke Halsschmerzen und es stellte sich bei einem Arztbesuch heraus, dass sie eine starke Mandelentzündung hatte und operiert werden musste.

„Willst du Jule beim Schlaumeier-Quiz vertreten?“, schritt Pauline mit Finn auf Annemieke zu, die erstmal so verblüfft war, dass sie kein Wort sagte.

„Komm schon, du bist doch sonst in allen Fächer gut!“, versuchte Finn sie zu überreden.

„Naja…Das schon, aber die andere Frage ist, ob ich mir das zutraue“, rang Annemieke mit den Worten. Bevor die beiden Mitschüler noch weiter auf sie einredeten, sagte sie: „Okay, ich werde es versuchen.“

„Das ist doch toll, ich bin mir sicher, du kannst das“, freute sich Pauline.

„Aber ich habe doch nur noch wenige Tage Zeit, um mich darauf vorzubereiten“, war Annemieke bei dem Gedanken mulmig, dass die Show schon an diesem Freitag stattfand.

„Mach dir nur nicht zu viele Sorgen, das wird schon“, zwinkerte ihr Finn zu.

 

„Na, haben die beiden dich bequatscht?“, kam ihr Mathilda mit Kiki aus der Cafeteria entgegen. Die beiden Mädchen hatten Milchschnitten, Schokoriegel und Vanille-Muffins besorgt.

„Ja, was sonst“, seufzte sie mit niedergeschlagenen Augen. „Sie wollen unbedingt, dass ich Jule beim Schlaumeier-Quiz vertrete.“

„Und was hast du gesagt?“, platzte es neugierig aus Kiki heraus. „Hast du ja gesagt?"

„Ich habe mich breitschlagen lassen. Es hätte eh nichts mehr genützt, wenn ich mit ihnen noch länger diskutiert hätte. Letztendlich hätten die solange auf mich eingeredet, bis ich ja gesagt hätte“, erwiderte sie.

„Kommt! Wir gehen erstmal an die frische Luft. In der Pausenhalle ist es so stickig, dass man nicht vernünftig atmen kann“, hängte sich Mathilda bei Kiki und ihrer Zwillingsschwester ein.

„Wo wart ihr so lange gewesen? War wieder eine lange Schlange vor der Toilette?“, sah Lotta sie fragend an, als sie sich auf eine Bank unter der alten Eiche gesetzt hatten.

„Ach was, Micky wurde gerade von Pauline und Finn überredet, dass sie beim Schlaumeier-Quiz teilnehmen soll. Weil sie nicht länger diskutieren wollte, hat sie ja gesagt“, sagte Mathilda und begann die Süßigkeiten aus der Cafeteria unter ihren Freundinnen aufzuteilen.

„Dann sind wir schon mal drei aus unserer Bande, die einen Soloauftritt haben werden“, murmelte Aylin, die nach langer Überzeugungsarbeit endlich beim Karaokewettbewerb antreten wollte.

 

Aylin suchte sich nach der Schule ihre Lieblingslieder raus, die sie in Ruhe üben wollte. Zwar wusste sie jetzt noch nicht, welches Lied sie in der Show singen musste. Trotzdem fühlte sie sich sicherer, wenn sie regelmäßig probte und auch Lieder sang, die ihr schwerer waren. Zum Glück waren ihre Brüder gerade nicht zuhause. Garantiert hätten sie sich schon längst über ihren ununterbrochenen Gesang beschwert und an die Tür gebollert

„Mal wieder am Singen?“, steckte Fatima ihren Kopf zur Tür hinein.

„Klar, das hört man doch“, drehte sich Aylin zu ihr um.

„Du bist in letzter Zeit wirklich viel am Singen“, bemerkte Fatima. „Aber du hast wirklich eine brillante Stimme. Wenn du magst, können wir ruhig eine Runde Singstar spielen. Vielleicht kann ich dir Paroli bieten.“

„Oder wir singen zusammen“, schlug Aylin vor.

 

„Aber erstmal singst du ein Lied alleine“, sagte ihre Schwester, die die Singstar-CD einlegte. Aylin wählte ein Lied aus und begann von neuem zu singen.

„Das war wirklich toll, aber es gab eine kritische Stelle, die wir uns noch mal anhören sollten, da bist du mit deiner Stimme viel zu hoch und dann hört sich das so an, als Mickey Mouse den Song singen würde“, hatte Fatima anzumerken. Die beiden Schwestern sangen den Song im Duett. Diesmal wusste Aylin genau, was sie verbessern konnte. Bei ihrem Auftritt beim Schulduell wäre das nicht möglich, da musste es gleich beim ersten Anlauf sitzen. Wenigstens wurde ihr mitgeteilt, dass vor der Show zwischen fünf Liedern entscheiden konnte.

„Du machst es immer besser, Schwesterchen! Ich freue mich schon, wenn ich dir Freitag von der Tribüne aus zujubeln darf“, klopfte ihr Fatima auf die Schulter.

 

Annemieke verzog sich etwa zur selben Zeit auf ihr Zimmer und setzte sich mit sämtlichen Kinder- und Jugendlexika auf ihr Bett. Der Reihe nach ging sie alle Begriffe von Aal bis zu Zylinder durch. Nach fast zwei Stunden begannen die Wörter unsortiert durch den Kopf zu schwirren.

„Das kann ich mir doch nie im Leben alles merken!“, stöhnte sie leise und knetete ihre Plüschratte in ihren Händen. Selbst der Blick aus dem Fenster war interessanter als all diese Definitionen auf den Lexikonseiten.

„Hast du vergessen, dass wir gleich Hockeytraining haben?“, stürmte ihre Zwillingsschwester ins Zimmer, ohne vorher anzuklopfen.

„Ich komme heute nicht mit“, murmelte sie und dabei noch nicht mal auf.

„Wieso nicht?“, begann Mathilda zu bohren.

„Das weißt du doch ganz genau“, murrte Annemieke und klappte eines ihrer vielen Fachbücher zu.

„Du bist doch verrückt!“, holte ihre Schwester tief Luft. „Mal ganz im Ernst, das bringt es doch nicht. Du lernst schon seitdem wir zuhause sind und du hast noch keine einzige Pause gemacht. Je mehr du in deine Birne quetscht, desto verwirrter bist du nachher.“

 

„Wer behauptet denn sowas?“, sah Annemieke zu ihr auf.

„Das sagen doch Neurologen seit Jahren, dass man einen Blackout riskiert, wenn man sein Hirn überfordert“, meinte ihr Zwilling.

„Ich überlerne mich nicht“, beharrte Annemieke weiterhin auf ihrem Standpunkt.

„Das tust du wohl!“, sagte Mathilda leicht gereizt. „Jetzt komm schon! Raus dem Bett!“

„Lass mich in Ruhe, du alte Nervensäge!“, zischte Annemieke genervt.

„Das Training ist genauso wichtig, wie diese bekloppte Show. Wir haben Sonntag ein wichtiges Spiel und du willst du doch nicht das Training schwänzen“, betonte Mathilda jedes eigene Wort.

„Dann schwänze ich eben und basta!“, fauchte Annemieke ungehalten.

„Dann sieh doch zu, wo du bleibst! Solange du so zickig bist, rede ich nicht mehr mit dir“, lief Mathilda aus dem Raum und warf die Tür hinter sich zu. Niedergeschlagen blieb Annemieke zurück. Streit mit der eigenen Schwester war das Letzte, was sie gewollt hatte. Ach egal, Mathilda kriegte sich bald bestimmt wieder ein.

 

Lotta hatte den ganzen Nachmittag und Abend mit ihrem Vater sämtliche Matherätsel aus diversen Zeitschriften gelöst, die er von sämtlichen Kollegen bekommen hatte. Um kurz vor elf war sie tot müde und beschloss ins Bett zu gehen. Kaum lag sie auf ihrer weichen Matratze, fiel sie zunächst in einem traumlosen Schlaf. Aus dem Nichts viel eine Zahl vom Himmel und dann noch eine. Lotta wunderte sich, wie es möglich war, dass einzelne Zahlen einfach so vom Himmel fielen. Nun begann es auch noch Formeln zu regnen und Lotta wurde ganz nass. Im nächsten Moment glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Ein Tornado, der aus lauter Zahlen bestand, raste sie auf sie zu. Voller Panik flüchtete Lotta in ein nahe stehendes Gebäude und musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie mitten in einem Fernsehstudio gelandet war. Zu allem Überfluss schritt der Moderator auf sie zu.

 

„Herzlich willkommen, hier begrüßen wir unsere erste Kandidatin des heutigen Abends“, sagte er übertrieben freundlich und das Publikum applaudierte. Lotta nahm auf einem roten Sessel platz und prompt wurde die erste Frage gestellt. Sie begann zu grübeln, bevor sie auch nur einen Lösungsansatz hatte, hörte sie einen ohrenbetäubenden Lärm. Wenige Sekunden später wurde das Tosen ohrenbetäubend laut und der kräftige Wind schaffte es, das Dach des Fernsehstudios abzudecken. Hilfe, das war der Zahlentornado! Lotta zitterte am ganzen Leib, denn es gab keinen Ausweg mehr. Verdammt, wie konnte sie dem nur entfliehen?

 

Nass geschwitzt und mit klopfenden Herzen schreckte Lotta aus ihrem Albtraum hoch. Was hatte sie nur geträumt? War der Zahlentornado etwa echt? Nein, sie lag immer noch in ihrem Bett und hier war es ganz ruhig. Sie konnte es sich immer noch nicht erklären, warum sie so einen Schwachsinn geträumt hatte. Plötzlich machten sich große Zweifel in ihr breit, ob sie wirklich beim Mathewettbewerb antreten sollte. Warum hatte sie sich nur dazu überreden lassen? Nur weil sie derzeit eine der Besten in Mathe war? Das sie in Mathe gute Noten schrieb, stand außer Frage und auch sonst kam sie mit den schwierigeren Knobelaufgaben zurrecht. Doch da gab es einen Haken: Sie durfte sich nicht zu viel Stress machen. Um wieder runter zu kommen, stand Lotta auf und machte leise ihre Lieblingsmusik an.

 

Die Bandenfreundinnen bogen sich vor Lachen, als Lotta von ihrem merkwürdigen Traum erzählte.

„Zahlentornado, das versuche ich mir gerade vorzustellen“, gickerte Annemieke.

„Oh je, dem konntest du wohl nicht entfliehen“, sagte Aylin mit matter Stimme.

„Was ist eigentlich mit deiner Stimme los?“, wurde Kiki stutzig. Den Mädchen war schon vorhin aufgefallen, dass Aylin leicht heiser war.

„Ach, ich habe gestern zu viel gesungen. Ich habe die ganze Zeit mit meiner Schwester Singstar gespielt“, erwiderte Aylin.

„Dass ihr auch alle wegen dieser blöden Show verrückt macht! Ihr ordnet euer ganzes Leben diesem Schulduell unter. Warum nur? Das ist bloß nur eine Fernsehshow und in wenigen Wochen wird es eh wieder vergessen sein“, rollte Mathilda mit den Augen.

„Du musst auch nicht in einer Einzeldisziplin antreten“, fuhr Lotta sie schnippisch an.

„Und ich werde alles geben, damit ich mich nicht im Fernsehen blamiere“, fügte Aylin hinzu.

 

„Hey Mädels, jetzt geratet bloß nicht in Streit“, ging Kiki dazwischen. „Ich bin sowieso dafür, dass wir heute Nachmittag einfach mal abschalten. Wie wäre es, wenn wir uns einen schönen Nachmittag im Wohnwagen machen?“

„Oh ja, da bin ich dabei“, zeigte Emily begeistert auf. „Wir könnten etwas basteln“, schlug Fianna vor. „Ich habe ein Schmuckset zum Selberbasteln von meiner Großtante zu Weihnachten bekommen und ich habe das bis jetzt noch nicht angerührt.“

„Cool, ich kann euch zeigen, wie man indianischen Schmuck und Halfterschmuck für unsere Lieblingspferde herstellt“, gab Kiki ihren Freundinnen Highfives.

„Yippie, ich kann eine großen Eimer Popkorn mitbringen. Ich glaube, dieser Nachmittag wird perfekt“, rieb sich Emily begeistert die Hände.

 

Anstatt für irgendwelche Auftritte zu pauken oder Bücher auswendig zu lernen, trafen sich die Mädchen nachmittags am Wohnwagen. Zuerst musste der Kaninchenstall ausgemistet werden. Solange die Roten Tulpen mit dem Stall beschäftigt waren, hoppelten Hanni und Nanni vergnügt in ihrem Auslauf herum.

„Ich finde das Ganze schon sehr anstrengend: Das normale Schulpensum und dann noch diese überflüssige Show“, stützte sich Emily auf ihrer Mistforke auf.

„Ich frag mich langsam, warum wir uns überhaupt beworben haben. Seit Wochen kümmern wir uns nur noch darum und parallel dazu müssen wir Hausaufgaben machen“, jammerte Annemieke.

„Jammern und mit den Zähnen knirschen bringt nichts“, warf Fianna ein. „Das war die Entscheidung der ganzen Klasse und bis Freitag werden wir das wohl noch durchstehen müssen.“

„Stimmt wohl, jammern hilft nicht und jetzt bitte ein anderes Thema, denn dieses Schulduell ist aktuell an diesem Ort ein Stimmungskiller“, wandte Kiki ein.

 

„Genau, genießt lieber die ersten warmen Sonnenstrahlen“, ließ sich Lotta auf der kleinen Holzbank vor dem Wohnwagen sinken und schloss die Augen.

„O sole mio! So schön kann das Leben sein!“, setzte sich Mathilda neben sie und legte ihren Kopf in den Nacken.

„Ich setze eben den Tee auf“, verschwand Aylin augenblicklich im Wohnwagen.

„Soll ich beim Tischdecken helfen?“, bot ihr Annemieke an.

„Ne, das mache ich schon alleine“, erwiderte Aylin.

„Typisch Aylin, sie lässt auch wirklich keinen in ihren Aufgabenbereich“, bemerkte Fianna nebenbei.

„Mädels, langsam müssen die Beete startklar fürs Frühjahr gemacht werden“, hörten sie Emily aus einer anderen Ecke des Schrebergartens sagen.

„Oh ja, es gibt hier immer viel zu tun“, lehnte sich Annemieke gegen den Wohnwagen. „Aber mit euch macht die Gartenarbeit immer Spaß.“

 

Drinnen im Wohnwagen gönnten sich die Mädchen Popkorn, Schokolade, Gummibärchen, Smarties und Annemiekes selbstgebackenen Schokoladencookies.

„Das ist der schönste Nachmittag seit langem“, fand Emily und goss sich erneut Tee ein.

„Irgendwie schon blöd, dass wir schon länger keinen richtigen Bandennachmittag mehr hatten“, bedauerte Aylin.

„Aber dafür holen wir das heute nach, also hoch die Tassen!“, hob Mathilda ihre Teetasse und die Bandenmädchen stießen mit heißem Apfeltee an.

„Seht mal, was ich mitgebracht habe“, lenkte Fianna alle Blicke auf ihr monströses Schmuckset.

„Wow, was kann man damit alles machen?“, fragte Emily.

„Ringe, Ketten, Ohrringe, Armbänder, Haarbänder, Armreifen und viel mehr“, zählte Fianna auf.

„Hilfe, ich krieg diesen verdammten Ring nicht mehr ab. Meine Wurstfinger sind einfach zu dick“, schimpfte Mathilda, die sich einen Rohling genommen, auf ihren Zeigefinger gesetzt hatte und den Ring nicht mehr vom Finger bekam.

„Matti, du bist wirklich ein kleiner Trottel“, verdrehte Annemieke die Augen. 

„Nimm das hier, dann flutscht das schon“, warf ihr Lotta eine Tube Handcreme zu. Tatsächlich bewirkte die Creme Wunder und bald hielt Mathilda den Ring triumphierend in der anderen Hand.

„Jetzt wissen wir, warum du keine Ringträgerin bist“, zog Kiki sie auf, worauf ihre beste Freundin ihr frech die Zunge rausstreckte.

 

Die Mädchen bastelten was das Zeug hielt und Kiki hatte allerlei Material mitgenommen, woraus sich Trensenschmuck für die Pferde herstellen ließ.

„Wir müssen unbedingt eine Modenschau machen“, schlug Lotta vor.

„Oh je, wir sehen echt aus wie behängte Christbäume“, musste Annemieke grinsen.

„Bestimmt würde das Tussenkomitee über uns lästern, wenn die uns so sehen“, meinte ihre Schwester. „Dabei sehen echt aus wie geschmückte Christbäume.“

„Am schönsten sind immer noch Emilys Blumenohrringe“, nahm Fianna ein Paar Ohrringe in die Hand, die Emily gerade gebastelt hatte.

„Kommt schon, ich mache jetzt Fotos! Ein bisschen Action bitte!“, rief Lotta. Unter großem Gelächter fotografierten sich die Roten Tulpen gegenseitig in den verrücktesten Posen.

„Was haltet ihr davon, wenn wir morgen zur Show unseren selbstgebastelten Schmuck tragen?", schlug Emily vor.

„Oh mein Gott, da wäre ich auf jeden Fall dabei", nickte Annemieke begeistert.

„Aber dann bitte in Maßen", warf Lotta ein. "Fünf Ketten übereinander und zehn Ringe an einer Hand sehen irgendwie schon merkwürdig aus."

„Viel wichtiger ist es, dass man sich in seiner eigenen Haut wohlfühlt", fand Emily, worauf die Zwillinge und Kiki einstimmig nickten.

 

8. Es wird ernst

Dass die Show anstand, machte sich schon daran bemerkbar, dass die Schulleitung am nächsten Tag ankündigte, dass der reguläre Unterricht nach vier Stunden vorbei war. Auch sonst verhielten sich die Schüler viel unruhiger als sonst und konzentrierten sich schlechter auf den Unterricht. Die Piranhas waren so überdreht und bombardierten die Mädchen mit Papierknüller, sodass Jannis und Sven vor die Tür geschickt wurden. Im Musikunterricht handelten sich Kiki, Lotta und die Zwillinge eine dicke Ermahnung ein und bekamen eine saftige Strafarbeit aufgebrummt, nachdem sie zu viert die Köpfe zusammen steckten, leise vor sich hin kicherten und ohne Pause am tuscheln waren.

 „Ich finde es sehr unverschämt von euch, dass ihr die ganze Zeit am reden seid, wenn ich dabei bin etwas zu erklären. Wenn ihr kein Interesse an meinem Unterricht habt, könnt ihr gerne rausgehen. Da dies nicht die erste Ermahnung ist, bearbeitet jede von euch das kommende Kapitel und bis zur nächsten Stunde möchte ich eure Ausarbeitungen in schriftlicher Form in meinem Fach im Lehrerzimmer sehen. Haben wir uns verstanden?“, stauchte Frau Miller, die Musiklehrerin die Mädchen zusammen.

 

„Auch das noch, als ob wir nicht schon genug Stress hätten“, stöhnte Annemieke leise auf, sodass die grantige Lehrerin es nicht gehört hatte. Allgemein war niemanden zum lernen zumute, noch nicht mal Pauline beteiligte sich am Unterricht und blätterte unter der Bank in einem Buch über Allgemeinwissen.

„Ich glaube, momentan kann man eh keinen Unterricht mehr mit euch machen. Es ist besser, ich entlasse euch erstmal nach Hause. Spätestens um zwei Uhr treffen wir uns und um halb vier wird die Show aufgezeichnet“, gab Frau Schellhardt mitten in der vierten Stunde entnervt auf und ließ ihr Mathebuch in ihrer hellbraunen Ledertasche verschwinden. Rasch packte die 7a ihre Sachen zusammen und huschte in Windeseile aus dem Klassenzimmer.

 

 „Krass, was die für einen Aufwand wegen der Show machen! Wahrscheinlich werden wir unsere eigene Sporthalle nicht mehr wieder erkennen“, blieb Mathilda vor der Turnhalle stehen, wo direkt daneben auf dem Lehrerparkplatz ein großer LKW und zwei Bullis parkten. Männer schleppten große Bretter und Dielen in die Halle.

„Ja, die bauen schon seit gestern auf“, nickte Kiki. „Ich bin gestern Abend hier mit dem Fahrrad vorbei gefahren und habe gesehen, wie die Tür der Turnhalle offen stand und die ersten Gegenstände hineingetragen wurden.“

„Große Lust habe ich wirklich nicht“, brummte Emily und guckte zwei Leuten dabei zu, die große Scheinwerfer durch die breite Tür trugen.

„Mir wird jetzt schon ganz anders, wenn ich an nachher denke“, wurde Annemieke ganz nervös.

„Ganz ruhig, meine kleine Micky-Mouse! Du bist ein sehr intelligentes Mädel und rockst das Quiz!“, schlang Emily die Arme um ihre beste Freundin.

„Außerdem hast du letztens unseren bandeninternen Quizwettbewerb gewonnen, also bist du unsere Quiz-Queen“, fügte Kiki hinzu.

 

„Wir sind wie Eisblumen, wir blühen in der Nacht…“, begann Aylin mit ihrer glasklaren Stimme zu singen.

„Wir wissen, dass du eine sensationelle Stimme hast, kleiner Popstar! Mach du dich nicht  auch noch verrückt“, legte Emily den Arm um ihre zierliche Schulter.

„Ach was, ich singe halt nur gerne und Eisblume ist schon lange mein Lieblingslied“, sah Aylin sie überrascht an.

„Ich liebe dieses Lied über alles, sing nur weiter, Aylin“, bat Kiki. Aylin stimmte das Lied von vorne an und ihre Bandenfreundinnen sangen mit.

„Meine Güte, der Song ist sowas von out“, ging Jolanda naserümpfend an ihnen vorbei.

„Was interessiert uns, was dir gefällt oder nicht?“, blaffte Mathilda die Klassenzicke an.

„Ich finde es wirklich albern, wie ihr hier am rumträllern seid“, setzte Saskia obendrauf, die neben Jolanda stand.

„Ich will dir mal eins sagen, Aylin, bei der Show wirst du dir das Lied nicht aussuchen können“, fügte Neele mit einem hämischen Grinsen hinzu, worauf Tanja und Saskia hinter vorgehaltenen Händen kicherten.

 

„Was hat der Gartenzwerg gerade gesungen?“, gesellten sich Lydia und Ariane aus der Parallelklasse zu ihnen, die mit dem Tussenkomitee befreundet waren.

„Eisblume, das ist voll der Kinderkram!“, erwiderte Jolanda herablassend.

„Wir sind wie Eisblumen!“, begann Lydia mit fipsiger Stimme zu singen, worauf Saskia, Neele und Ariane mit einstimmten und das Lied völlig verhunzten. Aylin drehte sich von ihnen weg, weil sie merkte, dass nicht viel fehlte und sie anfangen würde zu weinen.

„Lass dich von den Zicken nicht fertig machen“, tröstete Annemieke sie, die ihr die Hand auf die Schulter legte.

„Ich will euch nur sagen, dass ihr mit Saskia eine höhere Chance hättet den Gesangswettbewerb zu gewinnen", schaute Ariane arrogant auf die Bandenmädchen herab.

„Könnt ihr nicht jemand anderes auf die Nerven gehen?“, platzte Lotta der Kragen.

„Verzieht euch endlich, ihr hohlen Nüsse!“, brauste Fianna auf, die es überhaupt nicht leiden konnte, wenn ihre beste Freundin gehänselt wurde. Zornig stürzte sie sich auf Lydia und Saskia, die immer weiter trällerten.

„Hey Rotschopf, jetzt ist mal gut! Das ist nur ein Spaß“, bekam Jolanda sie am Arm zu packen.

 

Die Zicken ließen sich nicht beirren und machten noch mehr gemeine Bemerkungen über Aylin. Wortführerinnen waren in dieser Situation Jolanda und Lydia, die einen fiesen Spruch nach dem anderen brachten, während sich ihre Freundinnen vor Lachen bogen.

„Das ist nicht witzig, wie ihr Aylin fertig macht! Würdet ihr es lustig finden, wenn ihr verspottet werdet?“, mischte sich Emily ein, die genauso wütend war wie Fianna.

„Wenn ihr noch ein Wort sagt, dann sagen wir unserer Klassenlehrerin bescheid!“, drohte ihnen Mathilda und baute sich vor Jolanda und Saskia auf.

„Willst du wirklich petzen?“, sagte Ariane herablassend.

„Hab ich dich nach deiner Meinung gefragt?“, raunzte Mathilda sie an und schnellte auf sie zu, sodass Ariane erschrocken zurückwich.

„An eurer Stelle, würde ich abhauen, ich sehe gerade, dass Herr Loh aus der Schultür kommt und ihr wollt bestimmt keinen Ärger haben. Also macht endlich die Fliege und noch was: Euer Verhalten ist echt unterste Schublade“, wandte sich Kiki an Jolanda und Co.

 

Die Zicken trollten sich, während sie weiterhin dummes Zeug von sich gaben und dabei hohl kicherten.

„Seht mal, Micky und Aylin sitzen auf der Bank“, deutete Emily auf eine Holzbank hinter den Fahrradständern.

„Nimm dir die dummen Sprüche nicht zu Herzen, du bist wirklich eine tolle Sängerin“, streichelte Annemieke ihrer Freundin über den Rücken.

„Ich weiß, dass ihr mich toll findet, aber alle anderen machen sich über mich lustig. Es ist das Beste, ich komme heute Nachmittag gar nicht. Ich will mich einfach nur noch in meinem Bett verkriechen und abwarten bis der Spuk vorbei ist“, schluchzte Aylin auf. Wortlos nahm Emily ihre Freundin in den Arm.

„Komm schon, du darfst nicht aufgeben. Du hast so viele Fans, die von dir begeistert sind. Wir zählen dazu, dann noch unsere Lehrer und deine Familie“, setzte sich Kiki neben sie und begann ihr mit dem Taschentuch die Tränen von Aylins Wange zu tupfen.

 

„Wie ich diese Zicken hasse! Sie haben Aylin zum Weinen gebracht und versuchen dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr antreten will. Ich weiß ganz genau, dass Saskia am liebsten beim Karaokewettbewerb antreten wollte, aber wir haben sich nicht ohne Grund für Aylin entschieden“, regte sich Mathilda auf.

„Zudem kann Saskia nicht wirklich gut singen“, fügte ihre Zwillingsschwester hinzu.

„Das war wirklich eine gemeine Aktion“, fand Emily. „Sie wollten Aylin ganz bewusst das letzte bisschen Selbstbewusstsein nehmen, sodass sie nicht mehr antreten will.“

„Komm Aylin, gemeinsam packen wir es!“, nahm Mathilda ihre Hand und fuhr kämpferisch fort: „Du wirst einen grandiosen Auftritt hinlegen, weil wir alle hinter dir stehen und immer für dich da sind. Los Mädels, wir legen alle unsere Hände aufeinander und schwören, dass Aylin das Publikum vom Hocker reißt.“

Siegesgewiss streckten die Freundinnen ihre Hände aus und legten sie übereinander.

„Danke, dass ihr an mich glaubt“, konnte Aylin wieder zaghaft lächeln.

„Also versuch es!“, gab ihr Emily einen leichten Stups.

„Ich werde es versuchen“, nickte Aylin zaghaft und putzte sich ihre Nase.

 

„Wodurch entsteht ein Tsunami?“, fragte Mathilda ihre Schwester beim Mittagessen ab.

„Seebeben“, kam es als Antwort aus der Pistole geschossen.

„Welcher Pilz ist beim Verzehr tödlich?“, lautete die nächste Frage.

„Grüner Knollenblätterpilz“, brauchte Annemieke nicht lange zu überlegen.

„Welches Tier war zuerst im Weltall?“

„Ein Hund!“

„Ich glaube unsere Micky ist gut für den Wettbewerb gerüstet. Wenn sie weiterhin so in Topform ist, spielt sie den Sieg für unsere Schule fast im Alleingang ein“, lachte ihre Mutter.

„An wie viele Länder grenzt Deutschland?“, blätterte Mathilda in ihrem Quizbuch um.

„Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Schweiz, Österreich, Tschechien, Polen und Dänemark. Also neun Nachbarländer“, zählte Annemieke auf.

„Wer ist Frank-Walter Steinmeier?“

„Unser Bundespräsident, war auch keine schwere Frage.“

„Jetzt esst erstmal, sonst wird der Auflauf noch ganz kalt“, wandte sich die Mutter an ihre Töchter.

 

„Großen Hunger habe ich gerade nicht“, schubste Annemieke eine Tomatenscheibe auf ihrem Teller hin und her.

„Aber ein wenig essen solltest du trotzdem, nicht dass du nachher vom Fleisch fällst. Als Schlaufuchs solltest du doch wissen, dass das Denken alleine schon sehr viel Energie kostet“, tickte Mathilda ihre Schwester an.

„Wahrscheinlich kommt das von der Aufregung“, meinte ihre Mutter. „Ich werde euch nachher zusammen mit Papa zur Schule fahren, vielleicht nimmt euch das schon mal die Nervosität, wenn ihr wisst, dass wir bei euch sind.“

„Wollten Oma, Opa, unsere Tante und unsere Cousins Maren und Felix nicht auch noch kommen?“, fragte Mathilda, die ihren Teller in die Spülmaschine stellte.

„Ja, sie haben sich auch angekündigt, aber wir treffen sie erst vor der Schule“, bejahte ihre Mutter und stellte eine große Schlüssel mit Waldmeister-Wackelpudding auf den Tisch. Nun bekam Annemieke doch wieder Appetit, schnell aß sie noch ihren Teller auf und belud sich ihr Dessertschälchen bis oben zum Rand.

„Na, ist der Hunger doch wieder zurückgekehrt?“, musste Mathilda grinsen.

„Klar, bei grüner Götterspeise doch immer“, nickte ihre Schwester und nahm sich noch von der Vanillesoße.

„Ich bin mir sicher, dass eure Klasse die Gegner wieder nach Hause schickt und zwar mit einer eiskalten Dusche“, zwinkerte ihre Mutter ihnen zu.

„Na klar, was denkst du!“, nickten die Zwillinge synchron.

 

Die Schüler der 7a hielten sich überwiegend in der Cafeteria auf, denn es gab an diesem Nachmittag Kuchen, Kekse, Vanille- und Schokopudding,  belegte Schnitten und Getränke umsonst.

„Schaut mal, unsere Gegner treffen gerade ein!“, lief Jannis zu den Tischen, an denen die Schüler der 7a saßen.

„Das müssen wir sehen!“, sprang Kiki von ihrem Stuhl auf und ihre Freundinnen folgten ihr in die Pausenhalle. Durch die breite glästerne Schultür war zu sehen, wie die Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums aus einem roten monströsen Reisebus stiegen und auf das Schulgebäude zu liefen. Schwatzend zogen sie an den Freudenburger Schülern vorbei, die ihre Gegner mit vollem Interesse musterten.

„Irgendwie sehen viele der Schüler deutlich älter aus als wir“, wisperte Lotta.

„Vor allem die Mädchen sehen aus wie vierzehn oder fünfzehn“, flüsterte Aylin.

„Das liegt daran, dass sie alle bis zum geht nicht mehr gestylt sind“, meinte Mathilda.

„Habt ihr gerade die Duftwolke von dem großen blonden Mädchen gerochen?“, raunte Fianna. „Die hat sich bis zum abwinken mit so einem furchtbaren Parfüm eingenebelt.“

„Die sind doch nicht alle zwölf oder dreizehn“, murmelte Annemieke. „Der eine Junge dahinten hat voll die tiefe Stimme und ist bestimmt 1,80m groß. Garantiert ist er schon 14 oder sogar schon 15.“

 

„Vielleicht besteht die Klasse überwiegend aus Sitzenbleibern“, vermutete Kiki.

„Kann sein, ich bin auch schon einmal sitzen geblieben und ein Jahr älter als ihr“, wandte Emily ein.

„In was für einem Nest sind wir denn bitteschön gelandet? Hier gibt es voll schlechten Handyempfang“, sagte ein Mädchen mit einer aufwendigen Frisur und auffälligen Ohrringen zu seiner Freundin.

„Offenbar in einem Kuhkaff, namens Freudenheim oder so ähnlich“, feixte das andere Mädchen.

„Anscheinend leben hier mehr Schweine und Kühe als Menschen“, setzte ein Junge mit Baseballkappe obendrauf, worauf die beiden Mädchen kicherten.

„Ich weiß schon etwas über unsere Gegner und zwar, dass sie hochgradig arrogant sind“, raunte Mathilda ihren Freundinnen zu.

„Oh ja, das werden wir ihnen so richtig heimzahlen. Wer aufs zu hohe Ross steigt, wird umso tiefer fallen“, ballte Kiki ihre Hand zu einer Faust.

 

„Oh jemine, die Show beginnt in vierzig Minuten und die Leute von der Maske kümmern sich hauptsächlich um die Münchener Schüler und uns lassen sie stehen, als wären wir Luft“, beklagte sich Jolanda die nervös mit ihrer blonden Löwenmähne herumspielte.

„Voll ungerecht, man bekommt von diesen Fernsehleuten echt zu spüren, dass wir Kleinstädter sind und die Münchner Vorrang bekommen“, fügte Neele frustriert hinzu.

„Habt ihr schon die Fernsehleute gesehen? Wirklich fröhlich und nett scheinen die nicht zu sein, sondern sie wirken eher gestresst und ein wenig unfreundlich“, meinte Saskia.

„Es ist doch klar, dass die Fernsehleute nur so freundlich tun. Geht das Licht an, knipsen sie ihr Lächeln an und nachher sind sie genauso mürrisch wie sonst auch“, wandte Mathilda ein, die dem Gespräch gelauscht hatte.

„Und arrogant sind Chris Jacobi und seine Crew auch. Er ist uns gerade mit seiner Assistentin Amalia über den Weg gelaufen. Aylin fragte sie nach einem Autogramm und die Schnösel haben sie noch nicht mal des Blickes gewürdigt und eine andere Frau, die zum Team gehörte, hatte Aylin auch noch angeschnauzt, dass sie nicht im Weg rum stehen soll“, erzählte Fianna.

 

„Langsam könnten sich die Maskenbildner auch um uns kümmern. Keiner von unseren Schülern ist geschminkt“, wurde Frau Schellhardt langsam unruhig.

„Christiane, ich sag mal eben bescheid“, verschwand Herr Loh aus dem Zimmer.

„Notfalls schminken wir uns halt selbst, das ist schließlich nicht schwer“, nahm Jolanda den Eyeliner in die Hand.

„Ihr könnt alle mitkommen, es geht zur Maske“, kam Herr Loh fünf Minuten später zurück.

„Na endlich! Ich dachte schon, wir müssten total unvorbereitet zur Show“, seufzte Tanja erleichtert auf.

„Oh Gott, sollen wir wirklich geschminkt werden?“, schaute Ömer skeptisch drein.

„Um Himmels willen, bitte kein Liedschatten oder Wimperntusche!“, schüttelte Lennart heftig den Kopf.

„Ach was, ihr werdet nur ein bisschen Puder ins Gesicht bekommen, damit eure Wangen nicht wie Speckschwarten glänzen, sobald ihr im Rampenlicht steht“, erklärte ihnen Jolanda. Als erstes bekamen die Schüler der 7a dunkelgrüne T-Shirts, die sie sich überziehen mussten. Immer fünf Schüler gleichzeitig wurden zur Maske gebeten.

 

„Ihr könnt noch mal zehn Minuten zur Cafeteria gehen und euch stärken. Seid bitte rechtzeitig am Treffpunkt“, kündigte Frau Schellhardt an.

„Ich habe Angst“, wisperte Aylin.

„Wovor?“, drehte sich Emily zu ihr um.

„Davor, dass meine Nerven versagen und ich unsere Schule blamiere“, hauchte sie und atmete hörbar tief ein und wieder aus.

„Das wird schon nicht passieren“, nahm Kiki ihre Hand.

„Wisst ihr was?“, kam ihnen eine total empörte Mathilda entgegen gelaufen. „Die Münchner Schnösel haben fast das ganze Buffet geplündert und die Fernsehleute haben sich auch noch ordentlich bedient. Es ist kaum noch etwas Leckeres da.“

„Oh je, ist überhaupt noch etwas da?“, machte Lotta ein langes Gesicht. „Ich habe gerade Appetit und könnte was Leckeres vertragen. Ich kriege immer leichten Hunger, wenn ich leicht aufgeregt bin."

 

„Schwarzbrotstullen mit Käse, ein bisschen warmer Tee, Apfelsaftschorle und ein wenig Blechkuchen“, zählte Annemieke auf.

„Na toll, wir hätten vorhin doch ordentlich zugreifen sollen“, murrte Emily, „Ich kriege auch gerade wieder Hunger.“

„Voll mies, sowas macht man nicht“, fand Aylin. „Vor allem wenn man zu Gast ist, ist das schon ziemlich dreist!“

„Regt euch ab, vielleicht besorgen die Leute von der Cafeteria noch Nachschub und außerdem sollt ihr langsam rüber zur Turnhalle gehen“, mischte sich Freya ein.

„Langsam wird es ernst“, murmelte Annemieke und drehte sich eine Kräusellocke um ihren Zeigefinger.

„Komm schon, das machst du schon“, klopfte ihr Emily auf die Schulter.

„Außerdem hat jede von uns Lampenfieber“, sagte Lotta. „Das ist aber normal und wird sich in der Show geben.“

 

9. In den Startlöchern

Knapp zweihundert Zuschauer hatten sich auf den Sitzplätzen, der im Halbkreis angeordneten Tribünen eingefunden. Direkt über dem Eingang der Arena gingen die Lichter an und Chris Jacobi, der Quizmaster kam auf die Bühne gefegt, als hätte er einen 100m-Sprint hingelegt.

„Sehr geehrte Zuschauer, willkommen am Altstadtgymnasium in Freudenberg zur fünften Ausgabe des Schulduells. Ehm Entschuldigung, ich habe mich versprochen, ich meinte natürlich Freudenburg. Mit dabei ist meine treue Assistentin Amalia. Einen großen Applaus für sie!“, begann der Moderator voller Elan. Eine junge Frau mit wehenden blonden Haaren, die ein elegantes rotes Kleid und hohe Absätze trug, stolzierte herein. Das Publikum klatschte und johlte. Die Titelmusik des Schulduells erklang.

„Liebes Publikum, bitte begrüßt die Klasse 7c des Münchners Friedrich-Schiller-Gymnasiums, die von weit weg angereist ist“, fuhr Chris Jacobi fort.

 

Wieder wurde geklatscht und die in rot gekleideten Münchner Schüler kamen herein und setzten sich auf ihre Plätze rechts vom Eingang.

„Selbstverständlich dürfen wir die Gastgeber des Freudenburger Altstädtischen Gymnasiums nicht vergessen“, rief der Moderator überschwänglich. Die Tür ging auf und die Schüler der 7a marschierten geschlossen in die Arena. Ohrenbetäubender Applaus brandete auf und die Klasse setzte sich auf die Plätze links vom Eingang.

„Liebe Schüler aus München und Freudenburg, seid ihr bereit für die Klassenraterunde? Amalia stellt 20 Behauptungen auf und ihr müsst abstimmen, ob diese Aussagen stimmen oder erfunden sind. Bitte nehmt die Abstimmgeräte zur Hand. Es geht in wenigen Sekunden los!“, trat Chris Jacobi vor die beiden Klassen.

 

Nach und nach las Amalia die 20 Aussagen vor. Es lief gut für die Klasse aus Freudenburg und nach der ersten Runde führten sie 12:8. Danach verschwand ein Großteil der Klasse wieder hinter den Kulissen. Nur Pauline, Patrick, Finn und Annemieke, die beim Schlaumeierquiz teilnahmen, blieben da und standen direkt ihren Gegnern gegenüber.

„Wir lesen euch 15 Fragen vor und wer von euch die Antwort schneller weiß, haut auf den Buzzer und darf die Frage beantworten", erklärte der Showmaster.

„Wie heißt die männliche Biene?“, lautete die erste Frage.

„Drohne“, beantwortete Pauline diese sicher und ergatterte den ersten Punkt.

„Welcher berühmte König zog sein Schwert aus dem Felsen?“, wurde als nächstes gefragt.

Nun war die Klasse aus München schneller.

„King Arthur!“, antwortete ein dunkelhaariger Junge mit einer dicken Brille.

„Wie heißt die Lokomotive von Jim Knopf?“ 

„Sie heißt Emma“, brauchte Annemieke keine Sekunde lang zu überlegen.

„Hast du die Spielregeln vergessen?“, runzelte der Moderator die Stirn. „Du solltest den Buzzer drücken, bevor du eine Antwort gibst. Das gibt leider keinen Punkt und diesmal hat die andere Klasse die Möglichkeit die Frage zu beantworten.“

 

Für die Münchner war es kein Problem die Frage zu beantworten und schon lagen sie in Führung. Da besonders Pauline und Finn in dieser Runde einen kühlen Kopf behielten, stand es am Ende 8:7, sodass die 7a ihren Vorsprung minimal ausbauen konnten.

„Nun kommen wir zum Solo-Quiz. Jeder der vier Kandidaten von beiden Teams zieht ein Los“, erklärte der Moderator. Amalia ließ die Schüler nach der Reihe ein Los ziehen, welches sie öffneten.

„Es muss aus jeder Klasse einen Schüler geben, der eine goldene Fünf gezogen hat. Ihr kommt nach vorne zum Pult. Wir stellen eine Minute lang Fragen, die ihr auf Anhieb richtig beantworten müsst“, übernahm Amalia das Wort. Annemieke und ein Münchner Schüler standen auf und gingen zum Pult.

„Als erstes beginnen mit dir. Du hast genau eine Minute Zeit, um so viele Fragen wie möglich zu beantworten“, wandte sich Chris Jacobi an Annemieke, die mitten im Lichtkegel eines Spotlights stand. Sie spürte, wie ihr Herz zu rasen begann und ihre Handflächen feucht wurden. Ausgerechnet sie hatte das Los für das Solo-Quiz gezogen.

 

„Wie heißt die Hauptstadt von Australien?“

„Sydney!“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Ein großes rotes Kreuz erschien und Canberra wurde als richtige Antwort eingeblendet.

„Wie heißt der größte See in Südamerika?“, stellte der Quizmaster die nächste Frage. Annemieke grübelte angestrengt nach, ihr viel gerade nicht viel ein. Zwar kannte sie den Bodensee und den Viktoriasee, aber beide lagen leider nicht in Südamerika.

„Bitte weiter“, sagte sie schließlich.

„Was besagt das erste Newtonsche Gesetz?“, las Chris Jakobi die nächste Frage vor. Die Newtonsche Gesetze hatte die Klasse vor nicht all zu langer Zeit im Physikunterricht durchgenommen, aber gerade machte sich Panik in Annemieke breit und ihr Gedächtnis war wie leergefegt. Auch die nächsten Fragen beantwortete sie falsch oder gar nicht und ihre Verunsicherung wuchs.

 

Lediglich wusste sie, dass der Kuckuck der Vogel war, der Eier in fremde Nester legte. Am Ende stand nur ein einziger Punkt auf dem Zettel.

„Ich glaube, das war wohl nichts, meine Liebe! Du hast wohl dein Gedächtnis zuhause vergessen. Deine Klasse wird sich sicherlich ärgern, dass wertvolle Punkte flöten gegangen sind“, kommentierte der Showmaster mit einem fiesen Lächeln. Der Kandidat aus München bekam längst nicht so viele komplizierte Fragen gestellt, sodass der am Ende neun Richtige hatte. Nun lag das Friedrich-Schiller-Gymnasium meilenweit vorne. Annemieke fühlte sich elend und war kurz davor in Tränen auszubrechen. Mühsam blinzelte sie eine dicke Träne weg, die ihr die Wange herunter rollen wollte. Sie war diejenige, die es richtig vermasselt hatte. Bestimmt machten sich Millionen Zuschauer zuhause vor den Fernsehgeräten über sie lustig.  

 

Kaum hatte sie die Arena verlassen und lief hinter den Kulissen entlang, konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Sie fühlte sich endlos blamiert und war zudem stinksauer, dass der Moderator sie vor allen Leuten bloßgestellt hatte. Hinten an der Heizung stand Mathilda, die sich mit Lotta unterhielt. Annemieke rannte los und warf sich in die Arme ihrer Zwillingsschwester.

„Ich habe es verdorben, allein wegen mir sind wir im Rückstand“, heulte sie los. Mathilda drückte sie an sich und streichelte ihr wortlos über den Rücken.

„Das kann mal passieren, du warst sicherlich sehr aufgeregt. Der gemeine Kommentar zum Schluss war wirklich unterste Schublade und ich werde mich beschweren“, kam Frau Schellhardt herbei und versuchte ein paar tröstende Worte zu finden.

„Micky, das war doch nicht schlimm. Jeder patzt mal, das ist doch kein Beinbruch und wir haben lange noch nicht verloren. Die Show hat doch gerade erst begonnen“, umarmte Emily sie von der anderen Seite.

 

„Außerdem ist Chris Jacobi ein Arschloch, der dich ziemlich heftig beleidigt hat. Wir haben hier alles mitbekommen. Hier ist ein Fernsehbildschirm, auf dem alles life übertragen wird“, schnaubte Lotta vor Wut.

„Ich werde mich nicht mehr in der Arena blicken lassen, der Nachmittag ist für mich gelaufen. Ich gehe nach Hause und verkrieche mich in meinem Bett“, schniefte Annemieke und trocknete ihre Tränen mit einem Taschentuch, welches Lotta ihr gereicht hatte.

„Das brauchst du doch gar nicht. Stell dir vor, wir gewinnen und du verpasst unsere Siegesfeier. Lass dich von so einem Schwachmaten, der sich als Showmaster bezeichnet nicht klein kriegen. Es ist sowieso sehr unfair gewesen, dass er euch einen Punkt verweigert hat, nur weil Micky aus versehen nicht diesen blöden Button gedrückt hat. Trotzdem hätte es einen Punkt geben müssen, da die Antwort korrekt war“, sagte Kiki, die den Gang entlang gelaufen kam.

„Hey Mädels, gleich ist Aylins Auftritt“, wisperte Emily. Zur selben Zeit lief in der Arena der Karaokewettbewerb und ein Mädchen der Schule sang ein Lied von Pink.

„Das hört sich nicht wirklich gut an“, rümpfte Lotta die Nase. „Da hat Aylin leichtes Spiel."

„Aylin wird es hundertmal besser machen“, raunte Mathilda ihren Freundinnen zu, die ihr mit einem einstimmigen Nicken zustimmten.

 

Aylin hatte größte Mühe ihre Aufregung zu verbergen. Sie hatte ihr grünes T-Shirt ausgezogen und stand in einem langen, weinroten, glitzernden Oberteil sowie schwarzer Leggins und dunkelgrauen Ballerinas auf der Bühne.

„Bist du bereit für den Auftritt deines Lebens?“, sah Chris Jacobi sie herausfordernd an. Aylin nickte stumm und das Playback setzte ein. Sie hatte einen Song von Katy Perry ausgesucht. Aylin griff das Mikrofon fester und begann im Takt der Musik mitzuwippen. Als sie ihre sensationelle Stimme erklingen ließ, jubelten die Zuschauer und klatschten, sodass die Tribünen bebten. Selbst die Zuschauer vom Fanblock der Gäste klatschten im Takt mit. Ohne Vorwarnung setzte das Playback kurz aus. Irritiert verstummte Aylin und sang erst wieder, als die Musik weiterlief. Immer wieder wurde das Playback kurz lauter und wieder leiser und klang manchmal ein bisschen blechern. Trotzdem schaffte Aylin sich nicht beirren zu lassen und brachte den Song zuende.

 

Als sie sich kurz verbeugte, johlte das Publikum vor Begeisterung. Nach wenigen Minuten wurde die Siegerin des Gesangwettbewerbs gekührt und Aylin war nicht gänzlich überrascht, dass ihr Name ganz groß auf der Anzeigetafel über dem Bühneneingang leuchtete.

„Vielen Dank für die sensationelle Performance! Die Jury hat dich zum Singstar gekrönt und somit holst du ganze zehn Punkte für deine Schule“, lobte Amalia, die ihr kurz den Arm auf die Schulter legte. Aylin war dennoch alles andere als begeistert. Schnell rauschte sie von der Bühne und verschwand hinter den Kulissen, wo ihre Freundinnen auf sie warteten und sie mit Lob überhäuften.

„Bravo Maus, du hast dich nicht aus dem Konzept bringen lassen!“, fiel ihr Lotta um den Hals.

„Was war um Himmels Willen mit dem Playback los?“, rief Fianna. „Das kam bei uns total verzehrt rüber.“

„Deshalb bin ich auch so unzufrieden. Das hat meinen gesamten Auftritt ruiniert!“, stampfte Aylin wütend mit dem Fuß auf.

„Krieg dich wieder ein, du hast es doch gut gemeistert und an deiner Stimme kann man wirklich nichts aussetzen“, konnte Emily sie beruhigen.

„Trotzdem fragen wir uns, was mit der Hintergrundmusik los gewesen ist“, sagte Lotta.

 

„Liebe Zuschauer, nun kommen wir zu einem der viele Höhepunkte: Dem Catwalk!“, kündigte Chris Jacobi an und erneut brandete Applaus auf. Jolanda war anzusehen, dass sie sich ziemlich wackelig auf den Beinen fühlte, als sie die Heighheels anzog. In ihrem blau schillernden Abendkleid, dem edlen Schmuck und den hochgesteckten Haaren sah sie mindestens zwei oder drei Jahre älter aus, als sie war. Den Roten Tulpen entging nicht, dass ihr mulmig zumute war, als sie auf ihren Schuhen zum Eingang der Arena wankte. Die Schuhe, die sie bekommen hatte, waren ein bisschen zu groß, sodass sie kaum Halt darin hatte. Die Musik erklang und das Mädchen betrat mit einem coolen Lächeln die Arena. Sie sollte auf den hohen Schuhen einen kleinen Parcour durchlaufen und kleine Hindernisse übersteigen. Sogar ein kleines Planschbecken mit grünbläulichem Schaum sollte sie durchlaufen.

 

Obwohl sie sehr langsam laufen musste, schaffte sie die erste Runde mit Bravur und erntete von dem Publikum ihren verdienten Applaus. Jetzt musste Jolanda die Schuhe wechseln und die neuen Schuhe hatten noch höhere und dünnere Absätze. Damit zu laufen war nochmal deutlich komplizierter und Jolanda musste einmal ihre Arme ausbreiten, um ihr Gleichgewicht zu halten. Irgendwie waren die Schuhe eine Nummer groß für sie. Bei jedem Schritt drohten sie ihr vom Fuß zu fallen, sodass sich sehr langsam fortbewegte.

„Geht es noch ein bisschen schneller?“, zwinkerte der Showmaster ihr herausfordernd zu.

„Dieser verdammte Blödmann!", zischte Kiki, die durch den Vorhang lugte.

„An Jolandas Stelle würde ich ihm am liebsten eine zickige Bemerkung an den Kopf werfen", wisperte Mathilda, die neben Kiki aufgetaucht war.

„Krass, dass sie dabei cool bleibt und keine Miene verzieht", bewunderte Emily ihre Klassenkameradin in diesem Moment.

 

Kurz vor dem Planschbecken passierte es. Der Absatz des rechten Schuhs brach ab und Jolanda stürzte, sodass sie mit dem Kopf und dem Oberkörper im Planschbecken landete. Prustend und hustend richtete sie sich wieder auf.

„Da ist unser kleines Seeungeheuer mal eben baden gegangen“, bemerkte der Moderator mit einem leicht süffisanten Grinsen. Jolanda versuchte aufzustehen, aber ihr Knöchel tat verdammt weh. Tränen schossen ihr in die Augen und sie musste höllisch aufpassen, dass sie nicht vor laufender Kamera losheulte.

„Ich kann nicht aufstehen“, jammerte sie leise.

 

Im nächsten Moment kamen Frau Schellhardt und Herr Loh auf die Bühne gerannt.

„Bleiben Sie da, wir machen das schon“, wollte Chris Jacobi die beiden Lehrer wegschicken.

„Wir müssen zu ihr hin! Ich bin die Klassenlehrerin“, beharrte Frau Schellhardt. Der Showmaster ließ die Show unterbrechen. Zutiefst beschämt wischte sich Jolanda den grünlichen Schaum aus ihrem Gesicht. Die Roten Tulpen sahen sich betroffen an. Furchtbar, dass ihre Klassenkameradin bei der schlimmsten Blamage ihres Lebens gefilmt wurde. Bestimmt hatte der Moderator seinen großen Spaß daran, sie zum Gespött der ganzen Republik zu machen. Jolanda rang mit der Fassung. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie so stinksauer, dass sie den Moderator am liebsten beschimpft hätte. 

 

10. Lug und Betrug

„An dieser Show stimmt vorne und hinten etwas nicht“, zischte Emily. „Ich habe das Gefühl, dass man unsere Klasse lächerlich machen will.“

„Hoffentlich zeigen sie Jolandas bösen Sturz nicht in voller Länge nachher im Fernsehen“, befürchtete Kiki. Hinter ihnen saß Jolanda zwischen Jannis und Saskia auf einer Bank und weinte bitterlich.

„Es ist schon schlimm genug, dass sie sich verletzt hat und in die Notaufnahme gefahren werden muss. Dieses verdammte Arschloch hat sie genauso bloßgestellt wie Micky. Genauso fies fand ich die Leute aus dem Gästefanblock, die sogar laut geklatscht hatten, als sie hinfiel“, regte sich Mathilda auf, die zum allerersten Mal Mitleid mit der Klassenzicke empfand.

„Ich hoffe, dass sie sich keine Bänder gerissen hat oder sich auf anderer Weise ernsthaft verletzt hat“, machte Annemieke ein sorgenvolles Gesicht.

 

Zwar konnte niemand von den Roten Tulpen Jolanda leiden, trotzdem hatten sie ihr sowas nicht gewünscht und in dieser Situation gar nicht, da sie im selben Team spielten. Herr Loh erklärte sich bereit mit Jolanda zur Notaufnahme zu fahren, während Frau Schellhardt bei der Klasse blieb.

„Die Show ist wirklich nicht echt“, murmelte Lotta. „Seht doch mal, wie die Münchner bevorzugt werden.“

„Und das die ganze Zeit schon!“, fauchte Fianna. „Das ist wirklich offensichtlich!“

„Ich habe eine Idee“, begannen Kikis dunklen Augen zu leuchten. „Lass uns nah an den Bühneneingang herangehen, sodass wir die Situation auf der Bühne beobachten können und selbst nicht gesehen werden.“

„Ich bin dabei“, nickten Mathilda und Fianna gleichzeitig. So unauffällig wie möglich, schlichen die drei Mädchen in Richtung des Bühneneingangs.

 

Jannis war der Auserkorene für die nächste Aufgabe. Er sollte mit dem Skateboard einen Parcour durchfahren.

„Kann ich ein anderes Skateboard haben?“, bat er. Sobald er einen Fuß auf das Board gestellte, merkte er, dass eins der Räder blockierte und damit konnte er unmöglich durch den Parcour fahren.

„Ein neues Skateboard bitte! Dieses hier ist kaputt“, rief Jannis mit Nachdruck, als Chris Jacobi sein Anliegen komplett ignorierte.

„Na klar, kriegst du ein neues Board, wenn dieses hier nicht funktioniert“, sagte der Moderator mit einem heftigen Nicken und beauftragte einen seiner vielen Assistenten ein funktionierendes Skateboard zu besorgen. Die Zeit wurde gestartet und Jannis stieß sich kraftvoll ab. Voller Geschick umrundete er die Hütchen und fuhr eine kleine Rampe herunter. Zum Schluss musste er einen Basketball im Korb versenken. Er war nur um Zehntelsekunden langsamer als sein Konkurrent aus München, trotzdem absolvierte er die einzelnen Aufgaben etwas besser, sodass dieser Wettbewerb als Unentschieden zählte.

 

Trotzdem führten die Münchner immer noch mit knappem Vorsprung. Nun kam es zur Mathechallenge, bei der Lotta und Julian antraten.

„Was ist die Summe der Zahlen 1 bis 10?“, ging die erste Frage an das Altstädtische Gymnasium.

„55“, konnte Lotta die Aufgabe lösen, nachdem sie kurz nachgerechnet hatte. Die nächste Frage wurde den beiden Schülern vom Friedrich-Schiller-Gymnasium gestellt, die sie ebenfalls richtig beantworteten. Nun kam eine knifflige Würfelaufgabe, die Julian zum Glück wusste.

„Wie lange brauchen 60 Musiker für ein Musikstück, wenn 15 Musiker drei Minuten dafür brauchen?“, wurde eine Fangfrage an die Gegner gestellt. Da diese auf die Fangfrage herein fielen, bekamen Lotta und Julian die Chance ihre Rivalen zu berichtigen.

„60 Musiker brauchen genauso lange wie 15 Musiker, also auch drei Minuten“, holte Lotta den nächsten Punkt für ihre Schule.

 

Nun waren wieder Lotta und Julian an der Reihe.

„Was ergibt 17 mal 34?“, las der Moderator von seinem Karteikärtchen ab.

„578!“, rechnete Julian innerhalb kurzer Zeit aus. Wieder wurde geklatscht und Freudenburger Schüler lagen wieder in Führung. Lotta und Julian beantworteten insgesamt vier von sechs Knobelaufgaben richtig und verdienten sich einen Zusatzpunkt, da sie ihre Konkurrenten aus München verbessern konnten. Lotta war grenzenlos erleichtert, dass sie den Mathewettbewerb hinter sich gebracht hatte.

„Super Lotta, das hast du toll gemacht!“, wurde sie hinter den Kulissen von ihren Freundinnen umringt.

„Naja, zwei Fehler hatten Julian und ich trotzdem“, bemerkte Lotta schulterzuckend.

„Aber ihr ward richtig gut, dafür dass die Aufgaben so verdammt schwierig waren“, meinte Emily.

„Die Fragen waren wirklich anormal schwer, während man ein paar Fragen, die die anderen Schüler gestellt bekommen hatten, sogar ohne viel nachzudenken lösbar waren“, pflichtete ihr Fianna bei.

 

Während der Moderator die Zuschauer mit einem Zaubertrick unterhielt, wurden in Windeseile ein Fußballtor und ein paar Slalomstangen aufgebaut und ein Sicherheitsnetz montiert. Sven trat in diesem Wettbewerb gegen einen Kerl an, der fast einen Kopf größer war als er und nur so vor Muskeln strotzte.

„Einer von euch stellt sich ins Tor und der andere dribbelt durch den Parcour und schießt auf das Tor, während der Torwart verhindern muss, dass sein Gegner den Ball versenkt. Nach drei Durchgängen wird getauscht und der andere Spieler hat drei Chancen auf das Tor zu schießen. Wichtige Kriterien sind hier, wie schnell man ist, wie häufig man den Ball verliert, wie viele Tore geschossen werden und natürlich zählen für den Torwart gehaltene Bälle. Wer mehr Punkte hat, ist am Ende der Gewinner“, erklärte Chris Jacobi die Spielregeln.

 

Sven stellte sich zuerst in den Kasten. Mit viel Ballgefühl und hohem Tempo raste sein Gegner auf ihn zu und schoss noch gerade rechtzeitig von der weißen Linie. Obwohl Sven in die linke Ecke hechtete, konnte er den Gegentreffer nicht verhindern. Egal, den nächsten Schuss würde er garantiert halten. Wieder dribbelte der Junge auf das Tor zu und umrundete gekonnt den Stangenwald, ehe er abzog. Diesmal schepperte der Schuss gegen den Pfosten, sodass Sven erleichtert aufatmete. Der Münchner Kandidat hatte noch einen Versuch. Als der Moderator in die Trillerpfeife blies, sprintete er mit der Kugel am Bein los, während seine Fans im Gästeblock ihn eifrig anfeuerten.

 

„Da kann doch echt nicht wahr sein!“, zischte Fianna. „Der Typ hat eine Stange komplett ausgelassen und der Jacobi hat das noch nicht einmal gemerkt.“

„Offenbar hat der echt Tomaten auf den Augen“, wisperte Kiki, die ebenfalls gesehen hatte, dass der Junge geschummelt hatte.

„Meine Fresse!“, echauffierte sich Mathilda. „Mal wieder wurden die Münchner bevorzugt.“

„Das geht die ganze Zeit so“, beugte sich Aylin über ihre Schulter, um das Geschehen auf der Bühne besser verfolgen zu können.

„Ich hoffe, dass Sven wenigstens fair spielt und somit die Ehre unserer Schule rettet“, meinte Lotta.

„An eurer Stelle würde ich ein Stück vom Eingang weggehen. Meint ihr nicht, dass es auffällig ist?“, raunte Emily ihren hyperneugierigen Freundinnen zu.

„Andererseits hätten wir sonst keine so gute Sicht auf das Geschehen“, erwiderte Kiki.

„Aber dann sollten höchstens nur zwei oder drei von euch dort herum lungern“, fuhr Emily mit flüsternder Stimme fort.

 

Mathilda, Kiki und Fianna blieben zu dritt am Eingang stehen und sahen Sven dabei zu, wie er durch den Parcour dribbelte und versuchte den Torwart zu überwinden. Da er einmal verschoss und ein Schuss vom Torwart gehalten wurde, verlor er diese Runde. Mit hängendem Kopf und miserabeler Laune verließ er die Arena wieder.

„Was macht ihr hier?“, blaffte er die drei Bandenmädchen an, als er sie direkt hinter dem Bühneneingang entdeckte.

„Wir behalten nur die Situation im Auge“, erklärte ihm Kiki gelassen.

„Wir bekommen vermehrt den Eindruck, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht“, fügte Mathilda hinzu.

„Natürlich geht es hier nicht mit rechten Dingen zu!“, schnaubte Sven. „Chris Jacobi und seine dumme Assistentin tun alles dafür, dass wir verlieren.“

Frustriert dampfte der Piranha in Richtung Umkleidekabinen ab.

„Nicht zu fassen, die ganze Show ist ein reinster Lug und Betrug!“, schimpfte Fianna leise vor sich hin.

 

„Nun freuen wir uns auf den Tanzwettbewerb. Zwei Trios aus beiden Klassen werden uns ihr Talent zeigen!“, kündigte der Showmaster den kommenden Wettbewerb an und die Zuschauer johlten und applaudierten erneut. Saskia, Neele und Tanja betraten mit hohen Pferdeschwänzen, in gelben Smiley-T-Shirts, knappen Hotpants und Chucks die Arena. Die Musik legte los und das Mädchentrio begann zu einem Hiphop-Song zu tanzen. Plötzlich rutschte Tanja fast aus und konnte im letzten Moment ihr Gleichgewicht halten.

„Merkwürdig, warum ist nur der Boden so rutschig?“, wunderte sich Fianna.

„Vielleicht liegt es daran, dass geradeeben gewischt wurde“, vermutete Mathilda.

„Dann müssen sie den Boden mit Seifenlauge gewischt haben, sonst wäre es nicht so glatt“, hatte Kiki einen Verdacht. Kaum hatte sie dies gesagt, rutschte Neele aus und hielt sich an Saskia Arm fest, sodass beide Mädchen hinfielen. Schnell rappelten sie sich wieder auf und tanzten weiter. Zum Schluss gab es doch noch einen großen Applaus für das Trio. 

„Das war wirklich eine ausgezeichnete Fallschau“, kommentierte Chris Jacobi und im nächsten Moment rutschte er selbst aus. Beim Fallen riss er sein Pult mit sich. Zwei Kartons mit blauen und rosa Karten fielen mit zu Boden und breiteten sich auf dem Boden der Arena aus.

 

„Rauf auf die Bühne!“, raunte Mathilda und lief vorweg. Kiki und Fianna kamen hinterher geflitzt. Blitzschnell sammelten die drei Mädchen alle Karteikarten ein, die sie kriegen konnten.

„Verschwindet von der Bühne, aber sofort!“, rief der Moderator ungehalten.

„Warum gibt es blaue und rosa Karten?“, sah Kiki den dunkelhaarigen Mann an.

„Warum steht auf den rosa Karten „Schwer“ und auf den blauen Karten „Leicht“? Sollte der Gewinner im Vorfeld feststehen? Warum haben wir die rosa Karten gehabt?“, hakte Mathilda nach.

„Macht, dass ihr davon kommt, ihr Blagen!“, schrie der Moderator die Mädchen an.

„Musik bitte!“, wandte sich seine Gehilfin verzweifelt an ein paar Tonassistenten. Nun war die Show unterbrochen und selbst die Kameraleute stoppten ihre Filmaufnahmen.

„Diese Schau ist die reinste Farce! Denken Sie, dass wir alle blöd sind und das nicht merken?“, kam Lotta wütend in die Arena gestürmt, um ihre Freundinnen zu unterstützen. Zu viert umzingelten sie den Showmaster, der immer hilfloser wirkte. Nun kamen auch noch die anderen drei Roten Tulpen, Jannis, Sven und Saskia herbei geeilt.

„Sie lassen uns absichtlich verlieren, Sie Fakeclown!“, explodierte Sven. Jetzt war der Moderator zwischen unzähligen Schülern der 7a eingekesselt und auch im Zuschauerraum brachen tumultartige Zustände aus. Sämtliche Personen aus dem Publikum begannen den Moderator wüst zu beschimpfen und ihm zu drohen.

„Ihr Kleinstadtratten habt die ganze Sendung ruiniert und das wird euch teuer zu stehen kommen!“, zitterte Chris Jacobis Stimme vor Wut.

 

„Kommt sofort zu mir und lasst den Moderator in Frieden!“, rannte Frau Schellhardt herbei und versuchte Ordnung in den Laden zu bringen.

„Merken Sie nicht, dass wir betrogen werden?“, regte sich Mathilda auf und ihre Stimme überschlug sich fast.

„Das ist mir nicht entgangen“, sah die Klassenlehrerin sie ernst an. „Trotzdem bringt es uns an der Stelle nicht weiter, wenn ihr für eine Eskalation sorgt. Geht hinter die Kulissen, ich werde es regeln.“ Stinksauer verließen die Schüler die Arena wieder.

„Nicht zu fassen, was dort abgeht!“, schüttelte Emily fassungslos den Kopf.

„Wehe, die zeigen unseren Sturz, dann wird mein Vater den Sender verklagen, sodass sie Insolvenz anmelden müssen“, bebte Saskias Stimme vor Zorn.

„Ich mache jetzt nicht mehr mit, egal was jetzt noch passiert. Für mich ist das Schulduell gestorben“, verschränkte Fianna die Arme vor der Brust und trat von der Bühne ab.

„Abartig und sowas nennt sich Fernsehsendung!“, rümpfte Kiki die Nase, während die gesamte Klasse wieder hinter dem Vorhang verschwand.

 

„Ich habe mit Chris Jacobi ausgemacht, dass wir die Show zuende bringen und ich habe ganz klar betont, dass es gerecht zugehen muss. Ich habe ihm gesagt, dass wir ein Auge darauf werfen und sollte es noch zu solchen Zwischenfällen kommen, brechen wir die Show komplett ab“, kam Frau Schellhardt nach ein paar Minuten wieder. Obwohl sie versuchte besonnen zu bleiben, hatte sie einen hochroten Kopf.

„Hoffentlich versteht dieser Aufreißertyp die Ansage auch“, murmelte Julian.

„Ich habe ihm das klipp und klar zu verstehen gegeben, dass wir nicht alles mit uns machen lassen und ich glaube, dass er sich die Worte zu Herzen genommen hat. Er und sein Sender haben großes Interesse daran, dass die Sendung nachher ausgestrahlt werden kann“, sagte die Klassenlehrerin.

 

Die Schüler der 7a sahen nicht sonderlich begeistert aus und einige schüttelten die Köpfe.

„Nun kommt schon, es ist bald vorbei und die letzten Wettbewerbe können wir doch wohl noch antreten, nachdem wir mit dem Moderator verhandelt haben und nun darauf geachtet werden soll, dass keine Klasse bevorzugt wird“, nahm sich Jule ein Herz und trat vor ihre Klasse.

„Der Meinung bin ich auch“, sagte Lotta plötzlich, „Wir haben heute schon viel Mist erlebt, aber wir bringen das Schulduell hinter uns und vielleicht gewinnen wir sogar.“

„Dann lasst uns auf Sieg spielen!", schritt Sven siegesgewiss voran.

„Unbedingt! Die Chance lassen wir uns nicht entgehen!", folgte ihm Kiki.

11. Der wahre Sieger

Kurz vor dem Finalspiel hatten beide Schulen die Chance auf den Gesamtsieg. Wieder mussten beide Klassen in Vollbesetzung antreten und ganz zum Schluss gab es eine Überraschungsaufgabe. Gebannt wurden die Blicke auf den Showmaster gerichtet.

„Nun kommen wir zur Finalrunde!“, begann Chris Jacobi voller Euphorie. „Beide Klassen haben eine gute Chance auf den Titel und es ist spannend, wie nie zuvor. Jetzt kommt die letzte Aufgabe des Tages!“ Der Moderator machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen. Zwei Mauern wurden in die Arena gerollt, die etwa zwei Meter hoch und vier Meter breit waren.

„Was soll das?“, wisperte Fianna skeptisch.

„Wie ihr seht, haben wir zwei Mauern, die ihr überwinden müsst. Die Klasse, die als erstes die Mauer überwindet, bekommt 25 Punkte. Es gibt keine Vorschriften, wie ihr die Mauern überwinden sollt, aber Hilfsmittel wie Stühle oder Seile sind nicht erlaubt“, erklärte der Moderator das Spiel.

 

„Ohjemine! Ich bin so unsportlich, das kriege ich nie im Leben hin“, jammerte Emily.

„Ach was, das wird für dich kein großes Problem sein, denn kannst doch schließlich alleine aufs Pferd steigen“, machte Mathilda ihr Mut. Die Klassen hatten nun zwei Minuten Zeit sich zu beraten.

„Jannis, Max, Ömer, Lennart und ich versuchen als erstes auf die Mauer zu klettern und bleiben oben sitzen, sodass wir euch hoch helfen können“, erklärte Sven seinen neugierigen Klassenkameraden.

„Danach müssen wir Aylin, Pauline, Emily, Neele, Tanja und Sina auf die andere Seite bringen, indem wir eine Räuberleiter machen“, übernahm Kiki das Wort.

„Ob ich da jemals rüber komme?“, zweifelte Pauline arg, die das wenigste Selbstvertrauen hatte.

„Natürlich, ich werde dir dabei helfen“, legte ihr Annemieke die Hand auf die Schulter.

 

Der Plan der 7a ging voll auf. Jannis, Lennart, Max, Ömer und Sven kletterten als erstes auf die Wand und schafften es auf Anhieb auf dem Rand der Mauer sitzen zu bleiben, da sie zu den Sportlichsten zählten. Annemieke machte eine Räuberleiter, damit Pauline und Sina hochklettern konnten. Lotta, Saskia, Kiki, Ömer, Patrick, Thomas und Finn halfen den anderen Klassenkameraden ebenfalls beim Hinaufklettern. Sven und Max nahmen sie oben in Empfang. Emily, die bereits auf der anderen Seite stand, half ihnen auf der anderen Seite wieder runter. Ratz fatz gelangten immer mehr Schüler auf die andere Seite der Mauer. Patrick, Ömer, Julian und Kiki waren die Letzten, die noch nicht über die Mauer geklettert waren. Zeitgleich nahmen sie einige Meter Anlauf und sprangen an der Mauer hoch. Kiki hätte es auch fast geschafft, aber leider rutschte sie mit den Händen an der Kante ab. Max packte sie am Oberarm und zog sie hoch, sodass sie sich auf die Mauer setzen konnte und von dort auf die andere Seite herunter springen konnte. Lachend landete sie auf der anderen Seite in Mathildas Armen.

 

Zügig hüpften nun auch Sven, Lennart, Ömer, Max und Jannis von der Wand herunter.

„Wir haben gewonnen!“, jubelte Lotta. „Wir waren schneller als die andere Klasse.“

Während alle Schüler der 7a die Mauer überwunden hatten, mussten noch zwei Schüler der Münchner Klasse über die Mauer klettern.

„Wir haben es geschafft!“, fiel Emily ihren Freundinnen um den Hals.

„Ich sag es doch, wir hatten die bessere Taktik“, raunte Jannis seinen Klassenkameraden zu.

„Wir haben einen Sieger!“, rief Chris Jacobi überschwänglich in sein Mikro. Das Publikum explodierte. Es wurde gejubelt, geklatscht und mit den Füßen getrampelt.

„Wir haben einen Gesamtsieger und zwar geht der Titel des Schulduells heute an das Altstädtische Gymnasium Freudenburg“, verkündete Amalia stolz. Rasch wurden die Wände aus der Arena gerollt. Zuerst bekamen die Münchner Schüler Silbermedaillen um den Hals gehängt, die alle lange Gesichter machten.

 

Anschließend wurden alle Spots auf die 7a gerichtet.

„Hier sind sie, unsere Sieger! Herzlichen Glückwunsch zum Sieg!“, überreichte Chris Jacobi Kiki und Sven, die die Klassensprecher waren, den Pokal in Form eines goldenen Globus. Amalia und ein paar ihrer Gehilfinnen verteilten goldene Pappkronen und hängten den Siegern Goldmedaillen um den Hals.

„Für euch haben wir noch eine große Überraschung! Amalia, magst du vorlesen?“, zauberte Chris Jacobi einen goldenen Umschlag aus seiner Jackettasche.

„Ihr werdet zusammen als Klasse nach Berlin reisen und drei Nächte in einem Drei-Sterne-Hotel verbringen und diverse Sehenswürdigkeiten besichtigen“, las Amalia vor.

„Jetzt noch einmal kräftig jubeln!“, rief der Moderator. Zwei Konfettikanonen knallten, bunte Lichter fingen an zu blitzen und glitzerndes Konfetti regnete auf die Schüler herab. Die Kids umarmten sich gegenseitig, hüpften wie übermütige Kängurus umher, hoben den Pokal in die Höhe und schrieen so laut, dass man davor fast taub wurde.

„Ihr habt das super gemacht, ihr seid echt spitze!“, kam Frau Schellhardt zu ihrer Klasse gelaufen, die den Pokal überreicht bekam und ihn in die Höhe stemmen musste.

„Auf die beste Klassenlehrerin der Welt!“, riefen die Schüler überschwänglich.

 

Nachdem sich die Schüler der 7a in den Umkleidekabinen umgezogen hatten, liefen sie über die Straße zum Schulgebäude rüber.

„Seht ihr den roten Reisebus?“, raunte Mathilda ihren Freundinnen aufgeregt zu.

„Ja klar, wir haben die Münchner Bonzenkids erfolgreich vertrieben“, grinste Kiki.

„Ganz genau, die arroganten Nüsse haben zu spüren bekommen, die sie nicht die Besten sind, nur weil sie aus einer großen Stadt kommen“, meinte Annemieke, die sich zufrieden bei Emily und Lotta einhängte. In der Pausenhalle entdeckten sie Herr Loh und Jolanda, die auf einer Bank saßen. Neugierig steuerten sie auf den Sportlehrer und Jolanda zu.

„Wie geht es deinem Knöchel?“, erkundigte sich Kiki.

„Geht so, ist nur verstaucht und dazu noch eine Bänderdehnung“, erwiderte Jolanda.

„Hast du schon mitbekommen, dass wir gewonnen haben?“, strahlte Lotta.

„Na klar, Saskia hat mir geschrieben“, nickte Jolanda. „Glückwunsch, dass war eine tolle Leistung von euch, während ich es verbockt und mich vor einem Millionenpublikum blamiert habe.“

„Mach dir deswegen keinen großen Kopf, ich hätte auf den Riesenabsätzen auch nicht laufen können. Jedem passieren Fehler, ich habe beim Solo-Quiz auch grottenschlecht abgeschnitten und trotzdem haben wir gewonnen“, munterte Annemieke sie auf.

 

„Man kann nur hoffen, dass sie deinen Sturz nicht in voller Länge zeigen. Das sah schon richtig fies aus, wie du umgeknickt bist und mit dem Gesicht voran im Planschbecken gelandet bist. Du kannst froh sein, dass du dich nicht noch schwerer verletzt hast“, sagte Mathilda zu Jolanda, die sich aufrichtete und sich auf ihren Krücken abstützte.

„Hut ab, dass du auf den Mörderabsetzen überhaupt so weit gekommen bist“, bemerkte Fianna anerkennend.

„Ehrlich gesagt, hätte ich solche Schuhe nicht freiwillig angezogen“, gestand Jolanda. „Ich habe zwar ein paar Absatzschuhe, aber niemals mit solchen krassen Absätzen.“

„Kommst du überhaupt die Treppen rauf, Jolanda?“, fragte Emily besorgt.

„Klar schaffe ich das, ihr braucht mir nicht helfen, auch wenn es bisschen länger dauert“, nickte Jolanda.

„Trotzdem trag ich dich die Treppen hoch, bevor du hinfällst“, schaltete sich Herr Loh ein, der die Schülerin auf die Schultern nahm. Annemieke trug ihr währenddessen die Krücken hinterher.

„Es tut mir so leid, Aylin, dass wir vorhin so fies zu dir gewesen sind. Ich schäme mich im Nachhinein für mein Verhalten, denn du hast wirklich einen großartigen Auftritt hingelegt“, entschuldigte sich Jolanda bei Aylin, als sie im Klassenraum angelangt waren.

„Alles okay, ich verzeihe dir“, nahm Aylin ihre Hand zur Versöhnung.

 

Jolanda durfte sich auf einen Tisch setzen, während die anderen Schüler Stühle in die Pausenhalle trugen. Dort sollte eine Leinwand aufgebaut werden, denn die Klasse und ihre Angehörigen wollten sich die Show noch einmal anschauen und ihren Sieg Revue passieren lassen. Gerade rechtzeitig bekamen sie alles aufgebaut, als auf einem Kinder- und Jugendkanal die Sendung ausgestrahlt wurde. Familien, Freunde, Lehrer und Schüler nahmen auf ihren Stühlen platz, als es losging.

„Oh je, wie peinlich!“, flüsterte Annemieke, als ihr Blackout beim Solo-Quiz gezeigt wurde. Auffällig war, dass keine brenzlige Szene gezeigt wurde. Teilweise wurden auch Stellen herausgeschnitten, an denen die Münchner Schüler sichtbar im Vorteil waren.

„Was für eine dumme Lug und Trug-Show!“, zischte Kiki leicht empört.

 

„Na klar haben sie die Show im Nachhinein geschönt“, meinte Fianna. „Der Sender will auf jeden Fall seine weiße Weste bewahren.“

„Eigentlich können wir einen Aufruf starten und andere Schulen vor dieser Show warnen“, warf Lotta ein.

„Jetzt seid doch mal leise, euer Gequatsche stört voll!“, beschwerte sich Tanja, worauf die Roten Tulpen kurz leise wurden.

„Immerhin haben wir es jetzt hinter uns und ich schwöre euch, dass ich nie wieder im Fernsehen auftreten will“, flüsterte Aylin Fiannas ins Ohr. Die Show neigte sich langsam dem Ende zu. Jetzt wurde das Finalspiel gezeigt, wie die Schüler nach und nach über die Mauer kletterten. Zum Schluss hopsten die mit ihren Kronen und den Goldmedaillen durch die Arena. Nach der Sendung holte Frau Schellhardt ihre Schüler kurz nach vorne.

„Ich finde diese engagierte und kluge Klasse hat einen kräftigen Applaus verdient“, sagte sie, während die Eltern und Freunde eifrig klatschten.

 

Danach erwartete die Schüler ein leckeres Fingerfoodbüffet in der Cafeteria. Hungrige Blicke fielen auf sämtliche Pizzaschnecken, Pommes, Chickennuggets, Mozarellasticks, Fischbrötchen, Hamburger, Kräuterbaguette, Obstspieße, Pancakes, Schokoladenmousse und Eis aus der Kühltruhe.

„Kommt Zwillingsmäuse, wir gehen jetzt! Oma und Opa wollen mit uns essen gehen“, tauchte die Mutter der Zwillinge auf.

„Och nö, jetzt schon?“, protestierte Mathilda. „Wir wollen den Sieg zusammen mit unseren Freundinnen auskosten.“

„Können wir nicht an einem anderen Tag essen gehen?“, schlug Annemieke vor.

„Bitte Mama, wir wollen noch einen Moment da bleiben“, bettelte Mathilda.

„Okay, ich gebe euch noch eine Stunde Zeit. Schlagt euch nicht so derbe den Magen voll, sonst mögt ihr nachher nichts mehr essen“, gab sich ihre Mutter geschlagen und steuerte mit ihren Töchtern die Cafeteria an. Die Zwillinge nahmen sich ein paar Kleinigkeiten vom Büffet und holten sich etwas zu trinken.

„Huhu, hier sitzen wir!“, winkte Kiki aus der hintersten Ecke. Lächelnd setzten sich die Schwestern zu ihren Freundinnen, während ihre Mutter sich mit Fiannas Mutter unterhielt.

 

„Ihr ward echt super, das muss man euch schon lassen und es ist gut, dass ihr euch gegen die ungerechte Behandlung gewehrt habt“, sagte Kikis ältere Schwester Mirja.

„Mathilda war diejenige, die den Anstoß dazu gab. Kiki und ich sind ihr bloß nur hinterher gerannt“, nickte Fianna.

„Stimmt wohl, Matti lässt sich nie etwas gefallen und wehrt sich am schnellsten von uns“, fügte Aylin bei.

„Weil ich Ungerechtigkeit hasse“, führte Mathilda den Satz zuende.

„Lasst uns zusammen anstoßen!“, hob Kiki ihre Spriteflasche hoch.

„Auf unseren Sieg!“, krähten die Zwillinge.

„Auf die Roten Tulpen!“, antwortete die Bande im Chor. Die Mädchen unterhielten sich noch eine ganze Weile über den aufregenden Tag.

„Nanu, habt ihr keinen Hunger?“, fragte Fianna erstaunt, als sie sah, dass die Zwillinge sich nur ganz wenig genommen hatten.

„Doch, aber wir gehen gleich mit unserer Familie essen“, meinte Mathilda.

„Bei euch scheint die halbe Verwandtschaft gekommen zu sein, wenigstens hattet ihr den größten Fanclub. Bei mir waren nur Mama, Rachel und Annika da“, sagte Emily, die fast schon ein bisschen neidisch auf die beiden Schwestern war.

 

Nach einer knappen Stunde wurden Mathilda und Annemieke von ihren Eltern abgeholt, die sich murrend ihren Freundinnen verabschiedeten.

„Schade, dass sie so früh gehen müssen“, fand Kiki.

„Soll ich noch mal Cola für alle besorgen?“, stand Lotta im nächsten Moment auf.

„Gerne!“, nickten ihre Freundinnen.

„Großartig, Schwesterchen! Ich habe schon mitbekommen: du hast du Halle zum beben gebracht!“, kam Fatima zu ihrem Tisch gelaufen und umarmte Aylin von hinten.

„Warum kommst du erst jetzt?“, fragte Aylin ihre Schwester verwundert.

„Sorry, ich musste nach der Show noch schnell in die Stadt und etwas besorgen, aber jetzt bin ich hier“, entschuldigte sich Fatima.

„Setz dich ruhig dazu!“, schob ihr Kiki einen Stuhl hin.

 

Es war der lustigste Abend seit Langem. Es wurde viel geredet und gelacht. Um zehn Uhr wollten auch die Eltern von Kiki, Lotta und Fianna nach Hause.

„Lotta, du warst heute unschlagbar gut! Ich weiß nicht, ob ich an deiner Stelle so cool geblieben wäre“, stimmte ihre Mutter eine Lobeshymne an, als die Roten Tulpen mit ihren Familien in Richtung der Parkplätze liefen.

„Die Kids haben sich echt gut geschlagen!“, war Fiannas Mutter ebenfalls begeistert.

„Nur diese Tumulte hätten nicht sein müssen“, schaltete sich die Mutter von Kiki ins Gespräch ein.

„Aber die Kids haben zurrecht den Lauten gemacht und es ist gut so, dass sie sich gewehrt haben“, meinte Mirja, Kikis große Schwester, worauf die Mütter der Bandenmädchen und Lottas Vater nickten. Die Freundinnen umarmten sich zum Abschied und stiegen in die Autos ihrer Eltern.

12. Der Geburtstagsritt

Am Samstag wachte Aylin früher auf als sonst, sie hatte Geburtstag und wurde an diesem sonnigen Frühlingstag 13 Jahre alt. Endlich war sie ein Teenie, genauso wie ihre Freundinnen, außer Fianna, die zwei Monate jünger war als sie. Kaum hatte sie gefrühstückt und ihre Geschenke ausgepackt, wartete eine besondere Überraschung auf sie. Emily und Kiki klingelten an der Tür und gratulierten ihr überschwänglich zu ihrem Ehrentag.

„Pack deine Reitsachen ein“, sagte Emily nur. Aylin nahm ihren pinken Reitrucksack, lief in den Keller und holte ihr rosa Mädchenfahrrad raus.

„Treffpunkt ist auf dem Reiterhof“, gab Kiki die Richtung vor, die bereits ihre Reithose anhatte. Aylin wusste ungefähr, was bevorstand, offenbar holten sie die Reitstunde nach, die sie gestern durch das Schulduell verpasst hatten.

 

„Das Wetter ist schon mal passend“, rief Kiki gutgelaunt.

„Oh ja, der erste richtige Frühlingstag!“, nickte Emily und ließ ihre langen braunen Haare im Wind flattern. Obwohl es noch etwas kühl war, wärmten die kräftigen Sonnenstrahlen rasch. Unzählige Vögel zwitscherten um die Wette, die ersten Blattknospen kamen zum Vorschein und am Wegrand wuchsen bereits ein paar Blumen. Bis zu Rachels Hof war es nicht mehr weit. Damit es noch schneller ging, nahmen die Mädchen eine Abkürzung über den Feldweg. Sie parkten ihre Fahrräder vor der Reithalle und liefen rasch in die Stallgasse. Lotta und die Zwillinge, die bereits dabei waren die Pferde aufzusatteln, stürmten johlend auf Aylin zu und erdrückten sie fast.

„Alles Gute für das neue Lebensjahr!“, wirbelte Mathilda fröhlich mit ihr umher.

„Herzlichen Glückwunsch, Aylin!“, gab ihr Rachel die Hand. Annika, die mit einen Sattel aus der Sattelkammer holte, gratulierte ihr ebenfalls.

„Du kannst dir denken, was ich für dich organisiert habe“, flüsterte Emily Aylin ins Ohr.

„Ja, ich kann es mir denken“, nickte sie strahlend.

 

Aylin bekam mit Gustav das ruhigste und sicherste Pferd im ganzen Stall zugeteilt. Zu ihrer Freude ging es ins Gelände. Noch nie zuvor war sie jemals ausgeritten und daher würde es heute ihr erstes Mal sein. Rachel ritt mit ihr an der Spitze, während Annika die Nachhut bildete.

„Denkt daran, dass Aylin heute das Tempo vorgibt“, erinnerte Rachel die Mädchen. „Es wird nicht galoppiert oder über Baumstämme gesprungen.“

Kiki und Mathilda, die sich gerne ein Wettrennen geliefert hätten, machten lange Gesichter. Die Gruppe entfernte sich immer weiter vom Hof und es ging mitten hinein in die Natur. Zwei Hasen kreuzten hoppelnd ihren Weg, doch zum Glück blieb Gustav ganz ruhig.

„Dieser wunderbare Morgen ist wie aus einem Bilderbuch“, schwärmte Annemieke, die die Augen für einen Moment schloss und sich im Sattel zurücklehnte.

„Dahinten kommt eine gute Trabstrecke. Hier können wir gut zu zwei oder zu dritt nebeneinander reiten“, zeigte Rachel auf einen breiteren, sandigen Weg, der in einen Tannenforst mündete. Rachel und die Mädchen trieben ihre Pferde in einen seichten Trab. Allerdings wurden Kiki, Lotta und die Zwillinge immer schneller, sodass sie Rachel und Annika überholten. Die vier Mädchen entfernten sich immer mehr von der Gruppe, sodass sie bald außer Sichtweite waren. Aylin glaubte gesehen zu sehen, dass sie sogar ein kurzes Stück galoppierten.

 

„Hey, nicht so schnell!“, rief Rachel ihnen hinterher.

„Ich hole sie eben ein und rufe sie zur Räson“, trieb Annika ihr Pferd Tiffy in einen langsamen Galopp und zog an ihnen vorbei.

„Manchmal haben diese vier Mädels nichts als Blödsinn im Kopf, ganz besonders Mathilda“, bemerkte Rachel leise.

„Ja, Matti ist ein echter Wildfang und ihre Schwester eifert ihr manchmal nach“, pflichtete ihr Emily bei, worauf die Reitlehrerin nickte und nichts mehr sagte. Aylin merkte, dass es gar nicht so einfach war so eine lange Strecke zu traben. Bereits nach kurzer Zeit kam es ihr so vor, dass sie wie in einer Waschmaschine durchgeschüttelt wurde. Gustav hatte wirklich nicht den vornehmsten Trab.

„Versuchs mal mit Leichttraben“, schlug die Reitlehrerin vor. Das fühlte sich schon viel besser an und Aylin fühlte sich nicht mehr so durchgeschaukelt wie gerade eben.

 

An einer Waldwiese hatten sie die vier Ausreißerinnen wieder eingeholt.

„Ich habe doch gesagt, dass ihr uns nicht überholen sollt. Ich habe euch sogar ein Galoppverbot verhängt. Galoppieren könnt ihr erst, wenn ihr schon mehr Erfahrung im Gelände habt und es nicht in Ordnung, dass ihr euch einfach so von der Gruppe entfernt“, wies Rachel Lotta, Kiki und die Zwillinge zurrecht.

„Entschuldigung, aber Diego wurde immer schneller, weil das Pferd von Mathilda auch an Tempo zugelegt hat“, rechtfertigte sich Kiki.

„Ich konnte nichts dagegen machen, Rocky hat einen unheimlichen Bewegungsdrang“, sah Mathilda die Reitlehrerin entschuldigend an.

 „Das zeigt, dass ihre eure Pferde im Gelände noch nicht all zu gut unter Kontrolle habt. Auf jeden Fall reiten Mathilda und Kiki auf dem Rückweg nicht mehr nebeneinander. Mathilda kommt an meine linke Seite und Kiki reitet neben Annika“, meinte Rachel nur, worauf die beiden Mädchen leicht beleidigt schwiegen und sich während des restlichen Ausritts fügten.

 

Rachel zeigte ihnen eine schöne Stelle mit einem ruhig vor sich hinplätschernden Waldbach zwischen den hohen Tannen, dessen Ufer an manchen Stellen mit Moos bewachsen war. Aylin mochte den verwunschenen Ort auf Anhieb.

„Hier finden nachts bestimmt Elfentänze statt“, dachte sie bei sich.

„Traut ihr euch den Bach zu durchqueren?“, fragte Rachel die Mädchen, die einstimmig nickten. Es gab zwar auch eine kleine Holzbrücke, aber die würde sicherlich unter der Last der Pferde zusammenbrechen, deshalb wählten sie den Weg direkt durch den Bach. Obwohl Gustav leicht zusammenzuckte, als er eine Hufe in das kalte Wasser setzte, lief er tapfer weiter.

„Braver Junge!“, lobte Aylin ihn und tätschelte seine Kruppe. Bald kam der Hof wieder in Sicht und der wunderschöne Ausritt näherte sich seinem Ende.

 

Nach dem Ritt wurden die Pferde abgesattelt, gestriegelt und die Hufe ausgekratzt.

„Rachel, kannst du eben ein Foto von machen?“, bat Lotta, als sie die Pferde auf die Koppel brachten.

„Kann ich machen, dazu stellt euch zu siebt mit den Pferden in einer Reihe auf, wenn ihr auf der Wiese seid“, nickte die Reitlehrerin. Die Freundinnen stellten sich mit ihren Pferden nebeneinander und Rachel machte ein paar Fotos. Nachdem sie ihre Pferde auf die Weide gebracht hatten, lud Rachel Aylin und ihre Freundinnen zu einem Geburtstagessen essen ein. Zügig zogen die Mädchen ihre Straßenklamotten an und folgten Rachel in das alte Backsteinhaus.

„Oh je, meine Eltern wissen gar nicht, wo ich bin“, zückte Aylin ihr rosafarbenes Handy und rief zuhause an.

„Hi, hier ist Aylin“, meldete sie sich.

„Hallo Aylin, was gibt es?“, fragte ihre Mutter.

„Ich bin bei Fianna zum Mittagessen eingeladen. Ist es okay, wenn ich nachmittags bei ihr bleibe?“, fragte sie.

„Klar, von mir aus gerne“, meinte ihre Mutter. „Sei bitte um halb sieben wieder da, es wird nachher noch ein großes Familienessen geben.“

Aylin verabschiedete sich wieder und steckte das Mobiltelefon zurück in ihre Jackentasche.

 

„Das wird noch ein richtig toller Tag!“, strahlte Annemieke über beide Backen und hakte sich bei Aylin unter, während sie zum Wintergarten liefen. Dort war ein großer Tisch für neun Personen gedeckt. Annikas Oma hatte Spagetti gekocht, dazu gab es wahlweise Tomatensoße mit Hackfleisch oder eine fleischlose grüne Soße. Aylin entschied sich für die grüne Gemüsesoße, da sie nicht wusste, ob die Hackfleischsoße mit Schweinefleisch war, weil sie als Muslimin kein Schweinefleisch aß.

„Darf ich euch etwas zu trinken anbieten?“, stellte Rachel Apfelsaft, Wasser, Orangenlimo und Cola auf den Tisch.

„Gerne, ich bin schon am verdursten“, mixte sich Lotta eine Apfelschorle. Rachel zündete eine kleine Kerze an und stellte sie auf Aylins Set und darauf stimmten sie ein Geburtstagsständchen an. Während des Essens schaute Kiki nach draußen.

„Hier hat man einen wunderschönen Blick auf die Koppeln und man kann all unsere Lieblingspferde sehen“, sagte sie leise.

 

Nachmittags ging die Feier im Wohnwagen weiter. Endlich durfte Aylin die Geschenke ihrer Freundinnen auspacken. Darunter waren viele schicke Klamotten, Schmuck, Reitsachen, Bücher, DVDs und die neuste CD ihrer Lieblingssängerin.

„Wow, dass ihr mich so reich beschenkt“, lachte sie und schlang sich das weiße Halstuch mit den roten Rosen um den Hals.

„Offensichtlich gefällt dir es“, war Annemieke zufrieden, die so ein ähnliches Halstuch umhatte, allerdings mit Tulpen drauf.

„Habt ihr Bock auf Musik?“, legte Aylin die CD von Rosalynn Nightwish in den CD-Player, die sie gerade von Fianna bekommen hatte.

„Oh ja, lasst uns richtig feiern!“, jubelte Kiki und die Mädchen begannen ausgelassen zu tanzen, ehe sie von Emily ermahnt wurden. Danach setzten sie sich an einen üppig gedeckten Tisch. Diesmal hatte Kiki eine große Torte gebacken und nicht Annemieke, die stattdessen in der Herdecke stand und fleißig Waffeln buk.

 

„Los Aylin, puste alle Kerzen auf einmal aus!“, feuerte Mathilda sie an. Aylin holte so tief Luft, wie sie nur konnte und pustete so kräftig, dass eine Kerze umkippte.

„Du bist ja ein richtiger Orkan“, lachte Lotta.

„Okay, wenn ich gestatten darf, ab heute heiße ich Orkan Aylin“, kicherte Aylin. Dann holte sie einen kleinen Samtbeutel aus dem Rucksack.

„Was soll das? Willst du uns auch etwas schenken, gerade wo du Geburtstag hast?“, sah Mathilda sie stirnrunzelnd an.

„Klar, warum nicht?“, erwiderte Aylin achselzuckend. „Ich habe fleißig gebastelt. Ich wollte die euch eigentlich schon letzte Woche schenken, aber ich habe es total vergessen.“

Sie verteilte Rosenspangen an ihre Freundinnen und klemmte sich selbst ebenfalls eine Rosenspange in ihr schwarzes lockiges Haar.

„Auf Aylin! Auf das neue Lebensjahr! Auf die Roten Tulpen und unsere unendliche Freundschaft!“, stießen die Mädchen mit Waldmeisterbrause an.

 

Extra: Eintrag in das Bandenbuch am 27.März

 Hallihallo!

 

Heute melden sich die Roten Tulpen aus Berlin. Hier ist es echt cool und es gibt so viel zu sehen. Erst seit vorgestern sind wir. Die Bahnfahrt war echt lang, aber trotzdem sind wir ohne große Verspätung hier angekommen. Das Hotel in der Nähe des Alexanderplatzes ist auch echt super. Wir sind in Zweier- oder Dreierzimmern untergebracht. Fianna und Aylin schlafen zusammen in einem Zimmer. Kiki teilt sich mit Lotta und Emily ein Zimmer und natürlich schlafen die Zwillinge zusammen, die auch sonst immer unzertrennlich sind. Am Tag der Ankunft waren wir in einem asiatischen Restaurant essen, das war total klasse, denn es gab ein riesiges Büffet. Am darauf folgenden Tag haben wir Berlin erkundet und waren mit einem Stadtführer unterwegs, der einen ziemlich starken Berliner Dialekt hatte. Dann ging es noch in den Reichstag, dort fand im Bundestagssitzung und wir durften zugucken. Allerdings hatten wir den Kanzler leider nicht gesehen.

 

Nachmittags unternahmen wir eine Bootsfahrt auf der Spree, hier konnten wir das Regierungsviertel aus einer ganz anderen Perspektive sehen. Anschließend hatten wir noch etwas freie Zeit zur Verfügung. Da wir Shoppen gehen wollten, schlossen wir uns den anderen Mädchen aus unserer Klasse an. Zuerst fuhren wir mit der U-Bahn zu einem Einkaufszentrum und deckten uns mit neuen Klamotten und Schuhen ein. Dann bestanden Jolanda und Saskia, zwei unserer Klassenkameradinnen darauf, dass wir uns das Kadewe anschauten. Wir bekamen tellergroße Augen, als wir die Preise sahen, die Sachen waren sündhaft teuer und nicht mit unserem Taschengeld leistbar.

 

Heute hatten wir am Vormittag eine Führung im Olympiastadion. Für uns Rote Tulpen war das nicht so interessant, da wir keine großen Fußballfans sind und außerdem fanden wir es in den Umkleidekabinen sehr muffig. Die Piranhas fanden die Führung wiederum sehr spannend, allerdings zogen sie ein wenig über die Spieler von Hertha BSC her, die am Wochenende in diesem Stadion spielen.

Für morgen steht ein Ausflug in zahlreiche Museen auf dem Programm, besonders Kiki freut sich schon auf das ägyptische Museum mit den goldenen Pharaonenmasken.

 

Bis denne! Eure Kiki, Lotta, Micky, Matti, Emily, Fianna und Aylin!

 

Ps: Hier seht ihr unsere Bande vor dem Brandenburger Tor

 

Rezept: der megaleckere Chocolat-Apple-Pie

Zutatenliste:

  • 4 EL dunkles Kakaopulver
  • 200g helles Mehl
  • 100g weiche Butter
  • 50g Feinzucker
  • 2 Eigelbe
  • Wenig Vanillearoma/-zucker
  • Etwas kaltes Wasser zum Vermischen

Für die Füllung

  • 750g geschälte und entkernte Äpfel
  • 2 TL Butter
  • Halber TL Zimt
  • 60g bis 80g Zartbitterschokolade (am besten geraspelt)
  • Etwas geschlagenes Eiweiß
  • Halber TL Zucker
  • Puderzucker zum Garnieren

 

So geht’s

Die Äpfel werden geschält, entkernt und in kleine Stücke geschnitten. Den Backofen auf 180 Grad vorheizen. Kakao, Mehl und Butter vorsichtig verrühren (am besten erstmal mit Schneebesen). Eigelbe und Zucker hinzugeben und verrühren. Solange Wasser hinzugeben, bis es einen geschmeidigen Mürbeteig ergibt. Der Teig wird flach ausgerollt und auf das Blech einer Springform (ca. 20cm Durchmesser) gelegt und eine halbe Stunde kühl gestellt. Den restlichen Teig ebenfalls ausrollen und mit Keksförmchen (am besten Sternchen oder Herzchen) ausstechen.

Die Apfelstückchen werden seicht mit der Butter und dem Zimt in einem Topf erhitzt. Es ist wichtig, dass ihr regelmäßig umrührt. Anschließend kommt die Schokolade, die geraspelt ist dazu und die Mischung wird auf dem Kuchenboden in der Springform verteilt. Zum Schluss kommt der Deckel aus den ausgestochenen Plätzchen obendrauf und der Kuchen kommt für 35 Minuten bei 180 Grad (Umluft) in den Ofen. Später könnt ihr den Kuchen mit Puderzucker bestäuben.

Guten Hunger, liebe Schoko- und Apfelfans, sowie alle anderen Leckermäuler!

 

 

Widmung

Dieses Buch widme ich all meinen treuen Leser und Leserinnen sowie allen, die mich dazu inspiriert haben dieses Buch zu schreiben. Ebenfalls widme ich dieses Buch allen Bandenmädchen und denen, die es im Herzen sind.

 

 

Wir sind zudem auch noch zu finden bei

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.02.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner besten Freundin Anna, meiner Freundin Lenny, die die Cover für meine Bücher entwickelt und meiner treusten Leser Betty J. Viktoria, die immer gute Tipss parat hat ;)

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