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Eine schön schaurige Halloweensparty

"Hat es geklappt?", stieß mich meine beste Freundin Leslie mitten in der Mathestunde an. "Ja, ich habe gestern mit Opa telefoniert, wir dürfen mit dem Boot auf die Insel fahren und in seiner Hütte übernachten. "Wow, das wird die beste Halloweenparty, die wir bisher hatten", freute sich Moira und fuhr sich durch ihre halblangen kupferroten Haare. "Da gibt es noch viel zu organisieren", fuhr Leslie im Flüsterton fort, "Ausrüstung, Kostüme, Deko, Proviant und und und" "Könnte ich die Damen bitten ihre Privatgespräche einzustellen?", stand unsere Mathelehrerin Mrs. Fetscher unmittelbar vor unserer Tischreihe, "Eure Halloweensparty könnt ihr in der Lunchpause besprechen. Evelyn, du könntest die Aufgabe 3c an der Tafel vorrechnen?" Was? Ausgerechnet ich! Na gut, ich musste ran und konnte bei der ganzen Gelegenheit vor dem Mathekurs beweisen, dass ich nicht die größte Leuchte in Mathe war.

 

In der Lunchpause trafen wir uns mit Anabelle, Becky und June, die vorhin im Spanischkurs saßen. "Ich habe deine Nachricht bekommen, dass es klappt", strahlte Anabelle und spielte mit einer Strähne ihres seidigen schwarzen Haares. "Wir übernachten ganz allein in der Fischerhütte deines Großvaters?", bekam June  ganz große Augen. "Ja klar, das wird die beste Halloweenparty unseres Lebens", freute sich Leslie und gab uns einen Highfive. Nur June wirkte nicht ganz überzeugt und war sich nicht sicher, ob ihre Eltern es erlauben würden. "Ich werde es in einem Monat sechzehn und ihr wisst doch, wie meine Eltern ticken", erinnerte sie uns. June war unsere jüngste Freundin, ihre Eltern kamen aus Taiwan und sie war mit Abstand die beste Schülerin von uns, obwohl sie bereits zwei Klassen übersprungen hatte. Sie hatte eine große Vorliebe fürs Klavierspielen, Eislaufen und Malen. "Meine Eltern haben mir es bereits erlaubt, aber ich bin auch schon achtzehn", meinte Moira. Wir waren alle schon achtzehn oder mindestens siebzehn, June war mit Abstand die Jüngste und das Küken unserer Clique.

 

Am Wochenende unternahmen wir einen Shoppingtripp in die Mall. "Ich habe Jonny überreden können, dass er mitkommt und er bringt noch zwei Kumpels aus der Footballmannschaft mit", strahlte Leslie, die sich bei mir unterhakte. Jonny war seit fast zwei Jahren ihr fester Freund. Eigentlich wollte ich Halloween mit meiner Girlgroup alleine feiern, aber ein paar Jungs wären nicht verkehrt und würden für Unterhaltung sorgen. "Die Jungs müssen dann aber in einem anderen Zimmer schlafen", beharrte June. Oh man, manchmal merkte man ihr es echt an, dass sie zwei Jahre jünger war als wir. "Hey, ich habe einen total coolen Kostümladen entdeckt!", lief Becky voraus. Mit ihren langen Beinen konnte sie ein beachtliches Tempo vorlegen. Wir probierten mehrere Kostüme an, alberten herum und knipsten mehrere Selfies. "Was für ein Kostüm nimmst du, Eve?", fragte mich Anabelle von hinten. "Ich glaube diesmal gehe ich als Hexe", nahm ich mir ein schwarzes Hexenkostüm mit aufgenähten Stoffspinnen von der Stange. "Ich nehme das hier", setzte sich Moira einen Plastikkürbis auf den Kopf und sie wankte damit durch den halben Laden, sodass wir einen Kicheranfall bekamen. Bis auf Leslie hatten alle auf die Schnelle ein Kostüm gefunden. "Ich weiß nicht, als was ich mich verkleiden soll", jammerte sie, "Hexe, Zombie, Kürbis und Skelett: all das ist langweilig" "Ich hab's!", rief June, "Wie wäre es, wenn du als  Bella von Twilight gehst?" "Au ja, das ist eine super Idee", strahlten Lesllies blauen Augen, "Ich bräuchte ein himmelblaues Kleid und dann müsste ich mich nur noch schminken, sodass ich leichenblass aussehe"

 

Halloween rückte täglich näher. Meine Freunde und ich erledigten sämtliche Einkäufe und planten unsere Fete. Jonny und seine beiden Kumpels Simon und Niclas halfen uns dabei. Endlich kam der Tag, an dem uns Jonny und Simon mit ihren Autos zum  See fuhren, der am frühen Nachmittag die Sonnenstrahlen reflektierte. Das Wetter war gut. Nachdem wir die Sachen und Kisten auf das Boot geladen hatten, startete ich den Motor des Bootes, wie ich es schon häufiger getan hatte. Schließlich besaß ich seit einem halben Jahr den Bootsführerschein. "Du machst deinen Job echt gut, Eve", bemerkte Niclas, der sich zu mir gesellt hatte. Irgendwie mochte ich den Typen von Anfang an. "Danke!", erwiderte ich und wurde leicht rot. "Gehört deinem Opa das Boot?", fragte er. "Genau, ich darf damit auch fahren", nickte ich und versuchte so neutral zu klingen wie möglich. Anabelle und Becky würden garantiert denken, dass zwischen uns etwas läuft und würden gewisse Vermutungen anstellen. "Stimmt es eigentlich, dass in jeder Halloweennacht ein Geisterschiff auf dem See auftaucht?", versuchte Niclas mich in ein Gespräch zu verwickeln. "Die Legende hat mir mein Opa schon zigmal erzählt. Hier soll in einer Nacht vom 31. Oktober auf dem 1.November ein Schiff gesunken sein, als es in einen heftigen Sturm geraten war. Allerdings ist das schon über zweihundert Jahre her", sagte ich.

 

Eine halbe Stunde später kamen wir auf unserer kleinen Insel, die meinem Großvater gehörte an und machten das Boot fest. In Teamarbeit transportierten wir die Kisten und die ganze Ausrüstung zum Fischerhaus. "Wow, hier gibt es Strom", staunte Becky. "Und sogar ein Bad mit Dusche und WC", setzte Anabelle obendrauf. Als sie sich auf der Toilette einschloss, verdrehte Moira die Augen. "Jetzt braucht sie Stunden  um ihr Make up zu richten und heute Abend schminken wir uns sowieso neu", seufzte sie. "Diese eitle Prinzessin!", kommentierte Leslie. "Los, steht nicht dumm rum, sondern packt an!", stellte Simon eine riesige Kiste vor uns auf den Boden. Leslie, June und ich begannen die Kiste auszupacken, die zum größten Teil Dekoration enthielt. "Inprinzip können wir mit dem Schmücken anfangen", stieg Leslie auf einen Stuhl und hängte eine Totenkopfgirlande auf. "Wenn das hier fertig ist, wird es richtig gemütlich werden", schwärmte Becky, die kleine Kerzen und rote Grablichter im Wohnraum verteilte. "Und auf jeden Fall machen wir den Kamin an", rief Moira, die ein leuchtendes Papierskelett an der Tür zur kleinen Küche aufhängte.

 

Am späten Nachmittag, nachdem wir Dekoration und Speisen soweit fertig hatten, unternahmen wir einen Spaziergang über die Insel. Mittlwerweile war das Wetter längst nicht mehr so schön, wie vorhin. Der Himmel war mit bleigrauen Wolken verhangen, der Wind formte kleine Wellen auf der Wasseroberfläche und es nieselte leicht. "Kennt ihr eigentlich die Legende, die sich hier zutragen hat?", fragte Moira in die Runde. "Logo, davon hat mir Opa häufig erzählt", bejahte ich, "Demnach soll hier ein kleines Segelschiff mit mehreren Mann an Bord versunken sein und man hat es nie wieder gefunden. Keine einzige Leiche wurde geborgen, stattdessen heißt es, dass dieses Schiff in jeder Halloweennacht wieder auftaucht" "Blödsinn, es gibt keine Geister!", tippte sich Becky an die Stirn. "Genau, damit kann man nur kleinen Kindern Angst machen", pflichtete ihr ihre beste Freundin Anabelle bei. "Gruselig, da wird mir jetzt schon mulmig, wenn ich mir das nur vorstelle", schauderte es June. "Glaub nicht an den Blödsinn, June, das sind nur Ammenmärchen", legte ihr Becky die Hand auf die Schulter. "Ich freue mich auf einen schön schaurigen Gruselabend", stieg Moiras Vorfreude. "Wollt ihr noch zu den Klippen?", fragte ich meine Freunde. "Gerne, ich würde gerne die ganze Insel kennen lernen", erwiderte Niclas begeistert. "Och nö, bei dem Sauwetter! Ist das nicht euer Ernst?", nörgelte Anabelle. "Komm, Ana, du bist doch nicht aus Zucker!", hakte sich Leslie bei ihr ein. Durch einen Waldpfad ging es zu den Klippen, an denen wir eine gute Aussicht auf den See und die Umgebung hatten. An schönen Tagen konnte man das Festland sehen, aber gerade war es viel zu diesig dazu. "Hier könnte echt ein Krimi spielen", murmelte June. "Stimmt, das könnte ein guter Tatort sein", murmelte Leslie. "Ich finde die Insel gar nicht gruselig, auch nicht bei schlechten Wetter", mischte ich mich in das Gespräch ein. "Eve, du kennst die Insel wie deine Westentasche, daher ist es kein Wunder", drehte sich Leslie zu mir um.

 

Gegen Abend schlüpften wir in unsere Kostüme und halfen uns gegenseitig beim Styling. June sah in ihrem Vampirkleid und den falschen Zähnen total niedlich aus und Anabelle war ein sexy Teufel, die vorhatte das andere Geschlecht zu verführen. Becky fluchte, weil der Schleier für ihr Kostüm  als Horrorbraut zuerst nicht sitzen wollte und sich in ihren hellblonden Haaren verfing. Moira hatte es mit ihrem Kürbiskostüm am  leichtestens und half Becky die Haare hoch zu stecken. Leslie brauchte nur ihr himmelblaues Kleid anziehen und wurde von Anabelle so geschminkt und gestylt, als sähe sie aus wie Bella. "Chicas, kommt mal her!", trommelte uns Anabelle uns für ein Cliquenselfie zusammen. Da sie ab und an spanische Wörter in ihren Wortgebrauch einbaute, merkte man ihr an, dass sie mexikanische Vorfahren hatte. "Seid ihr bereit?", klopfte es an der Tür von unserem Schlafzimmer. "Kommt rein, wir sind fertig", rief ich. Zwei schaurige Gestalten, ein Henker und ein Zombie traten ein. Aus Jux fingen meine Freundinnen und ich an zu kreischen und versteckten uns hinter dem großen Eichenschrank. "Hab ich dich!", packte Jonny Leslie am Arm. "Hilfe, Mädels, helft mir!", flehte sie lautstark. "Auf in den Kampf! Wir retten Leslie!", stimmte ich meine restlichen Freundinnen ein. "Wir holen sie uns wieder!", rief Moira. Es wurde eine richtige Kabbelei zwischen den Jungs und uns und nun mischte auch Niclas mit, der als Drache verkleidet war. Irgendie sah Niclas doch ziemlich süß aus, auch wenn er in einem Kostüm steckte.

 

"Dürfen wir die Damen hereinführen?", machte Simon eine Verbeugung. "Wir haben alles soweit für die Ladys her gerichtet", fügte Niclas hinzu. "Ich wusste gar nicht, dass Jungs zu sowas in der Lage sind", kommentierte Moira frech. "Pöh, jetzt unterschätz uns mal nicht!", gab Jonny mit gespielter Empörung zurück. Als wir den Wohnraum betraten, waren wir erstmal sprachlos vor Überraschung. "Krass, das sieht wie in einem Spukschloss aus", war June ganz beeindruckt. "Stimmt, obwohl wir nur in einer Fischerhütte sind", meinte Anabelle. Meine Freundinnen und ich schauten uns um, was die Jungs in der Zwischenzeit geleistet hatten. An der Decke hingen Spinnweben mit pelzigen Plastikspinnen. Becky, die eine Spinnenphobie hatte, bekam fast eine Panikattacke als sie so einem Achtbeiner einmal zu nahe kam. "Das ist doch nur eine Plastikspinne, Becky, die lebt nicht", beruhigte Moira sie. Mich beeindruckten die Kürbisse mit den gruseligen Fratzen mehr. Wie cool sie nur geworden waren! Dahinter steckte aber auch eine Menge Arbeit, sodass meine Clique und ich glatt zwei Nachmittage mit Kürbisschnitzen verbracht hatten. June ließ einen Schreier los, als sie aus Versehen gegen das Skelett stolperte, das neben dem dunklen Zedernschrank stand. "Meine Güte, seid ihr schreckhaft", meinte Simon dazu. "Aber an Halloween soll man sich doch gerade gruseln", sagte Leslie dazu.

 

Als sich die anderen an die lange Tafel in der Mitte des Raumes setzten, standen Leslie und ich am Fenster. "Das Wetter passt herrlich zu Halloween", schwärmte meine beste Freundin. "Du hast Recht, Les!", nickte ich und sah hinaus in den strömenden Regen, der bedingt durch den Sturm gegen die Fensterscheibe gedrückt wurde. Das Wetter hatte sich im Gegensatz zu heute Mittag drastisch verschlechtert, es regnete und stürmte, als gäbe es keinen Morgen mehr. Da im Hintergrund Musik lief und einige unserer Freundinnen kicherten, wurde das Pfeifen des Sturmes  übertönt. Plötzlich wurde es kurz hell am Horizont. "Gewittert es?", sah Leslie mich überrascht an. "Offenbar muss das ein Blitz gewesen sein", murmelte ich, als es draußen kurz darauf wieder für Sekundenbruchteile hell wurde. Bei Gewitter war es in der Hütte umso gemütlicher, vor allem an Halloween und wenn im Kamin ein wärmendes Feuer loderte. Ich nahm Leslies Hand und führte sie zumTisch, wo unsere Freunde bereits saßen und sich gegenseitig die schaurigen Speisen reichten. Becky und Anabelle lobten Jonnys Blutorangenbowle in den höchsten Tönen, während Leslie und ich von den schwarzen Hamburgern und den blutroten Spagetti angetan waren. Zudem hatten wir Pommes in Form von Gespenstern, Hotdogs, Knabberzeug und Süßigkeiten in allen Varianten zu bieten.

 

"Auf ein Hoch auf unsere Halloweenparty!", hob ich mein Glas. "Auf Hoch auf uns!", jubelte Anabelle. Klirrend stießen wir an und prosteten uns gegenseitig zu. Simon blieb mit dem Ärmel seines Kostüms am Kerzenständer hängen und schaffte es ihn umzureißen. "Oh mein Gott!", kreischte Becky hysterisch los und sprang auf. "Mach mal halblang, dir ist kein Fitzelchen Wachs aufs Kleid gekommen", legte June ihr die Hand auf die Schulter. "Aber dafür ist die Tischdecke hin", murrte Anabelle. "Kein Problem, die kann man waschen und notfalls bekommt man das Wachs mit Bügeleisen und Löschpapier raus", hatte ich dem entgegen zu setzen. Geistesgegenwärtig stand June auf und tupfte das flüssige Wachs mit einem Küchentuch auf. Nach dem Schrecken kehrte wieder Ruhe ein. Neben mir fütterten sich Leslie und Jonny sich gegenseit mit Chips und Süßigkeiten und küssten sich ab und zu. Manchmal sehnte ich mich auch nach einem Freund. Ich hatte bereits drei Beziehungen gehabt und gleichzeitig viel Pech. Zwei meiner Ex-Freunde entpuppten sich als pubertäre Idioten und Davie zog nach Miami, als es richtig gut zwischen uns lief. Seither war ich wieder Single, obwohl ich seit kurzem Gefallen an Niclas gefunden hatte. Immerhin hatte ich es mit ein bisschen Smalltalk versucht, aber richtig ins Gespräch gekommen war ich noch nicht. Meist waren es Becky und Anabelle, die ihn umgarnten und bezirzten. Niclas suchte von sich aus mehr das Gespräch mit June, die als Vampirmädchen sehr niedlich aussah und den meisten Charm von uns versprühte. Allerdings war meine Freundin noch nicht drauf aus zu flirten oder einen Freund zu finden, da ihre Eltern sehr streng waren und das Privatleben ihrer Tochter gut kontrollierten.

 

Nach dem Essen wurde getanzt und gefeiert, zwischendrin spielten wir ein paar kleine Spielchen, die die Jungs und Moira organisiert hatten. Obwohl ich nicht eifersüchtig auf Leslie sein wollte, war ich es in diesem Augenblick schon, als sie die ganze Zeit mit Jonny tanzte und sie sich zarte Küsse austauschten. Anabelle hatte sich Simon gekrallt und Niclas tanzte abwechselnd mit Becky und June. Bei den Anblick der tanzenden Paare fühlte ich mich ein bisschen fehl am Platz. Moira als bekennender Single munterte mich ein wenig auf, sie nahm mich an den Händen und wir wirbelten wie kleine Kinder durch den Raum. Als den meisten die Füße vom vielen Tanzen etwas wehtaten, öffnete June eine XXL-Packung Marshmellows. "Juhuuu, darauf habe ich den ganzen Abend schon gewartet!", jubelte Moira, die mit mir ein paar Sessel und Stühle vor den Kamin schoben. "Ist hier noch Platz?", fragte Niclas, der keine Lust mehr hatte zu tanzen. "Klar, setz dich", nickte ich und rückte ein Stück zur Seite, sodass wir zu zweit auf den Sessel passten. Während die Marsmellows über dem offenen Feuer brieten, hatte ich hunderttausend rebellierende Schmetterlinge in meinem Bauch. Nun saß mein Schwarm direkt neben mir und wir wechselten ein paar Worte miteinander. "Ich finde Rebecca manchmal ein bisschen zu aufdringlich", sagte er leise zu mir. "Das ist sie auch, seitdem Josh mit ihr Schluss gemacht hat", nickte ich.

 

"Bock zu tanzen?", tickte mich Niclas an. Mit einem Nicken stand ich auf. Ich ließ mir diese Gelegenheit nicht entgehen. Endlich war die gefragte Person und nicht Becky. Gerade als wir über das Parkett wirbelten, ging ohne Vorwarnung das Licht und die Musik aus. Ein paar meiner Freundinnen begannen hysterisch zu kreischen und gerieten kurz in Panik. "Was geht hier vor?", rief ich. "Kann mir einer sagen, was hier los ist?", klang Becky leicht angefressen. "Offenbar haben wir einen Stromausfall", hörte ich Moira sagen, als es nach zwei Minuten immer noch dunkel war. Hinter mir hörte ich jemanden kichern. "Simon hat wohl den Sicherungskasten gefunden", meinte Jonny. "Blödmänner, ihr Jungs habt wirklich nur Quatsch im Kopf!", fauchte Anabelle. Ohne die blinkenden Diskolichter und die laute Musik merkte man die Ausmaße des draußen wütenden Uwetters. Es blitzte, als ich kurz aus dem Fenster schaute, wodurch der gesamte Himmel hell wurde und der Sturm verbog die Tannen vor unserer Hütte. "Richtig geiles Halloweenwetter!", schwärmte June. "Können wir endlich die Sicherung wieder rein machen und weiter feiern?", klang Becky genervt. "Was haltet ihr davon, wenn wir im Dunkeln verstecken spielen?", schlug Leslie vor. "Oh ja, das wird bestimmt lustig, wenn wir uns gegenseitig erschrecken", nickte June begeistert.

 

Jonny ging als erstes vor die Tür, um zu zählen, während wir uns versteckten. Leslie und ich versteckten uns im Wandschrank unseres Shlafzimmers. Oh mein Gott, ist das hier stickig und staubig", musste sie leise husten. "Psst, Jonny kann in jedem Moment kommen", legte ich meinen Zeigefinger auf den Mund. Nur wenige Sekunden später wurde die Tür aufgerissen. "Da haben wir schon mal die Spitze von Beckys Kleid", vernahm ich Jonnys Stimme. Im nächsten Moment war zu hören, wie Becky unter dem Bett hervor krabbelte. Kurz darauf wurde unser Schrank geöffnet, sodass Leslie und ich kurz vor Schreck aufquietschten. Irgendwie war der Schrank doch kein gutes Versteck. Becky, Leslie und ich setzten uns ins Wohnzimmer, wo bereits Anabelle und Simon vor dem Kamin saßen. "Wird hatten das leichteste Versteck von uns allen und haben uns hinter das Sofa verschanzt, sodass Jonny uns schnell gefunden hat", erzählte Anabelle. Ich reichte die Tüte mit den Marshmellows herum, die wir über dem Feuer karamellisieren ließen. Nach einer Weile gesellten sich auch Niclas und Moira zu uns. "June kann ich nirgendwo finden", sagte Jonny schulterzuckend zu uns. "Das kann doch nicht sein, sie muss sich doch hier irgendwo verstecken", entgegnete ihm Moira. "Hast du schon im Holzschuppen nachgeschaut, Jonny?", hakte ich nach. "Nein, ich habe gedacht, dass wir uns nur hier im Haus verstecken", schüttelte er den Kopf, "Aber ich kann trotzdem nachschauen gehen" Er öffnete die Haustür, wodurch ein Schwung kalter Luft von draußen in den Wohnraum drang. "Ich kann sie einfach nicht finden", kam er circa fünf Minuten später später. "Macht sofort wieder das Licht an und wir suchen sie gemeinsam", bestimmte Anabelle. 

 

Wir suchten June gemeinsam und durchpflügten die beiden Schlafzimmer, die kleine Küche, das Badezimmer und den Wohnraum. Wir riefen ihren Namen, bis unsere Stimme fast schlapp machte. Ich stieg sogar in die große Truhe für die Bettdecken und riss jegliche Bettlaken, Decken und Bettwäsche heraus. "Wo mag sie denn nur sein?", grübelte Anabelle halblaut vor sich hin. "Sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben", machte Becky einen genauso ratlosen Eindruck. "Wer weiß, vielleicht ist das an Halloween möglich", murmelte Leslie.  "Wohl eher nicht", schüttelte Moira den Kopf. "Hier im Haus ist sie nicht", seufzte ich, "Wir haben die ganze Hütte auf den Kopf gestellt und sie nicht gefunden" "Dann muss sie sich wohl draußen herumtreiben", schlussfolgerte Niclas. "Uns bleibt nichts anderes übrig als die Insel abzusuchen", sagte Simon. "Hoffentlich gibt es keinen Geist, der sie entführt hat", machte Becky ein ängstliches Gesicht. "So ein Blödsinn, du glaubst doch wohl nicht mehr an Geister", fuhr Anabelle sie an. "Los, lasst uns Regenjacken und feste Schuhe anziehen", drängte Moira. "Ich komme nicht mit. Seht euch nur das Wetter an, es stürmt und regnet", schüttelte Anabelle den Kopf. "Ich komme auch nicht mit, mir ist es zu unheimlich", schloss sich Becky ihr an. "Meine Güte, seid ihr egoistisch!", fuhr Moira sie an, "Es geht um unsere Freundin. Also mitgehangen, gleich mitgefangen!"

 

Anabelle und Becky verzogen die Gesichter, aber schlossen sich uns trotzdem an. Draußen peitschte uns der kräftige Wind dicke Regentropfen ins Gesicht und ein ohrenbetäubender Donner ließ uns zusammen zucken. In fast regelmäßigen Abständen fuhren Blitze über den Himmel, die sich wie Spinnennetze über den gesamten Himmel ausbreiteten. "Lasst uns erstmal im Umfeld der Hütte suchen", rief uns Jonny zu, der in den kleinen Tannenwald hinein lief. "Jonny, komm sofort wieder, es ist im Wald viel zu gefährlich!", wetzte Leslie ihm hinterher. Moira und ich guckten in der Wassertonne nach. Gerade als wir den Deckel abhoben, spiegelte sich ein Blitz auf der kleinen Wasseroberfläche. "Hier ist June jedenfalls nicht drin", sagte meine Freundin. "Wer würde sich in dieser Jahreszeit auch nur im Wasserfass verstecken", bemerkte ich. "Auf dem Dach hält sie sich auch nicht auf", vernahm ich Simons Stimme, der mittels der Leiter auf das Flachdach des Schuppens geklettert war. "Wo mag sie nur stecken? Nicht, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen ist", bekam es Leslie langsam mit der Angst zu tun. "Vielleicht sollten wir zum Boot gehen", schlug ich vor. "Ach was, da wird sie nicht hingelaufen sein", fuhr mich Becky verärgert an, "Außerdem werden wir bis auf die Knochen durchnässt sein, wenn wir da hin laufen" "Es hilft nichts, wir müssen die ganze Insel  absuchen. Notfalls begeben wir uns selber auch in Gefahr", beschloss Niclas.

 

Der Sturm nahm immer mehr an Fahrt auf. Die Wellen klatschten tosend gegen die Brandung, sodass sie Donner und Sturmheulen fast übertönten. Leslie, Moira und nahmen uns an den Händen, damit wir nicht weggeweht wurden. Becky und Anabelle hakten sich bei den Jungs unter. "Hier ist sie auch nicht", war Leslie den Tränen nah, als wir am Strand suchten und im Motorboot  nachschauten. Wieder erhellte ein mächtiger Blitz die Umgebung für wenige Milisekunden taghell, sodass sich Leslie beim darauffolgenden explosionsartigen Donner die Ohren zuhielt. "Seht ihr das auch?", kam uns Anabelle aufgeregt entgegen gelaufen. "Was?", stammelte ich. "Dahinten schwimmt etwas auf dem See. Wir wissen nicht genau, was das ist", kam Becky atemlos angerannt. "Das kann höchstens nur ein Schiff sein", meinte Niclas. "Quatsch, bei dem Unwetter ist doch kein Schiff unterwegs", fiel ihm Moira ins Wort. "Eve, hast du nicht etwas von einem Geisterschiff erzählt?", wisperte Leslie aufgeregt. "Ja, das ist aber nur eine Legende", erwiderte ich. "Lasst uns zu den Klippen gehen, da haben wir eine bessere Aussicht", gab Jonny die Marschroute vor. Wir folgten ihm und blieben immer wieder stehen, um einen Blick auf dieses merkwürdige Schiff zu werfen. "Oh Gott, da sind hoffentlich keine Geister an Bord", schlotterte Becky, die sich an meiner Hand festkrallte. "Nicht trödeln,  wir müssen June finden", trieb uns Moira vorwärts. "June, wo steckst du?", schrie ich, so laut ich konnte. Nur ein weit entferntes Echo antwortete mir. "Das kann doch nicht wahr sein", traten mir Tränen in die Augen. "Juuuune, verdammt nochmal, wo steckst du?", brüllte Moira.

 

"Hier ist sie!", rief Jonny. "Really?", überschlug sich Leslies Stimme. "Ja, sie sitzt auf einem Stein", erwiderte Leslies Freund. "Juuuuuune!", schrieen wir und rannte auf unsere Freundin zu, die auf einem Felsbrocken saß und gebannt auf den See hinaus sah. "June, wir sind wegen dir fast tausend Tode gestorben, bitte mach das nie wieder!", weinte Anabelle  fast, die genauso wie ich vor Erleichterung beinahe in Tränen ausbrach. "Wie kamst du nur auf die dumme Idee einfach wegzulaufen?", schnauzte Becky sie an. "Ich habe dieses geheimnisvolle Schiff gesehen und wollte es noch genauer Beobachtung", antwortete June unerschrocken. "Trotzdem hättest du uns wenigstens Bescheid sagen können", wies Leslie sie zurrecht. "Seht mal, das Schiff kommt immer näher", raunte ich. Nun konnte ich das Schiff im Schein der gleißendhellen Blitze viel deutlicher erkennen. Die Segel hingen in Fetzen vom Masten herunter und an Deck trieben sich eine handvoll gruseliger Gestalten rum, dessen Augen in der Dunkelheit zu leuchten schien und deren Kleider in zerfetzten Lumpen von ihren ausgemergelten Körper herunter hingen. "Das sind Geister!", hauchte Becky. "Oh mein Gott,  hier spukt es offenbar doch", zitterte Anabelles Stimme.

 

"Es ist das Geisterschiff, von dem  ich erzählt habe", packte mich die Angst. Ich versuchte noch mehr zu erkennen, doch das war bei diesem starken Regen und dem  Dunst nicht möglich. "Ich habe ein Fernglas", meldete sich Simon zu Wort, "Will jemand durchgucken?" "Nein, das ist mir schon gruselig genug", lehnte Anabelle ab. "Ich will durchgucken!", schnellte Junes Hand nach oben. Obwohl sie die Jüngste war, war sie dennoch die Unerschrockenste von meiner Clique. "Das Schiff hält auf die Insel zu", rief Niclas gegen die tosende Brandung und den Sturm an. "Hilfe, die Geister werden uns entführen", heulte Becky. "Beruhig dich doch, Becky, sie werden uns nichts antun", redete Moira auf sie ein. Das Geisterschiff kam jede Minute gefühlte hundert Meter näher, nun konnte man die heulenden und jammernden Gestalten auf der Reeling sehr gut erkennen. "Es ist wirklich ein Wrack, welches vom Grund des Sees aufgetaucht sein musste", vermutete Jonny. Die Geister schienen wirklich um Leib und Leben zu betteln. Ich konnte sie nicht verstehen, was sie sagten, vielmehr war es ein Heulen und Jaulen. Das war der Moment, in dem ich so heftig zitterte, dass meine Beine nachgaben. "Alles okay, bei dir?", fing mich Niclas auf. "Lass uns hier weg, ich will die Geister nicht mehr sehen", versagte mir die Stimme. "Wir müssen sie retten!", setzte sich Simon in den Kopf. "Bist du wahnsinnig!", kreischte Anabelle, "Wir holen uns diese Untoten nicht auf die Insel, auf wenn Halloween ist" "Ich komme mir wie in einem Traum vor", war Moira fassungslos. "Nein, das ist die Realität, Momo!", kniff ihr Leslie in die Wange.

 

"Bitte, lass uns gehen!", drängte ich. Obwohl der Schrecken wie ein Stachel tief in mir drin saß, konnte ich inzwischen wieder laufen. Dieses Heulen und das unheimliche Erscheinungsbild der Schiffbesatzung wollte vor meinem inneren Auge nicht weichen. Hoffentlich träumte ich in Zukunft nicht davon. Ich krallte mich während des gesamten Rückweges an Niclas Arm fest. "Alles gut, uns passiert nichts", tröstete er mich. Wir waren mehr als froh, als wir wieder ins Warme gelangten. Rasch schlüpften wir in unsere Pyjamas und Nachthemden und wärmten uns am Kamin auf. "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals so nass gewesen", fröstelte Becky immer noch. "Und ich bin total müde", gähnte Leslie. Inzwischen war es viertel vor zwei und wir waren alle müde von der ganzen Aufregung. Nach und nach verschwanden unsere Freunde in den Schlafzimmern. Niclas und ich blieben immer noch auf dem Sofa liegen. "Ich bin so müde, ich glaube, ich will gar nicht mehr aufstehen", gähnte ich. "Dann bleibe doch hier liegen. Wenn du magst, bleibe ich bei dir", deckte er mich mit einer Decke zu. Echt rührend, wie fürsorglich er war. "Gute Nacht!", murmelte ich im Halbschlaf. "Schlaf  gut!", fuhr er mir kurz durchs Haare und ich merkte gerade eben noch, wie seine Lippen ganz kurz meine berührten. War das ein Kuss? Bevor ich mir darüber Gedanken machen konnte, war ich bereits eingeschlafen und merkte nicht mal, dass er sich neben mich gelegt hatte.

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Tag der Veröffentlichung: 15.11.2015

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