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1. Zorn hoch drei

Für einen Tag im September war es ziemlich warm und schwül. Nichtsdestoweniger hatten sich die Roten Tulpen zu einem Lauftraining verabredet. Im Wald war es deutlich kühler und angenehmer als in der prallen Sonne.

„Hopp, hopp, hopp! Nur nicht langsamer werden!“, trieb Kiki ihre Freundinnen vorwärts.

„Ich glaube meine Lunge platzt gleich“, ächzte Aylin und versuchte nicht den Anschluss an die Gruppe zu verlieren.

„Und meine Beine geben den Geist auf“, ergänzte Emily mit einer Leidensmiene.

„Wenn wir am Waldlauf teilnehmen wollen, ist das Training unentbehrlich oder wollen wir uns von den Fischköppen den Rang ablaufen lassen?“, rechtfertigte sich Kiki und sprang über eine Wurzel, die aus dem Waldboden ragte.

„Natürlich nicht, Kiki!“, schüttelten die Zwillinge synchron die Köpfe.

„Ich sag doch, Sport ist Mord“, keuchte Emily.

„Nur noch einen halben Kilometer und wir sind beim Wohnwagen“, machte Lotta den Freundinnen Mut.

 

„Ich fühle mich gerade uralt, obwohl ich erst vor wenigen Tagen dreizehn geworden bin. Meine Beine sind schwer wie Blei!“, japste Annemieke.

„Na Schwesterlein, du bist wohl reif für das Altersheim! Demnächst schenke ich dir einen Rollator“, neckte Mathilda ihren Zwilling.

„Das werden wir sehen!“, schoss Annemieke scharf zurück. Sie sammelte ihre letzten Kräfte und zog an der Trainingsgruppe vorbei. Mathilda ließ es natürlich nicht zu, dass ihre Schwester sie überholte und wetzte wie ein Jagdhund hinterher. Im Labyrinth der Schrebergartenanlage verloren die anderen Mädchen sie schnell aus den Augen.

„Ich glaube, die Zwillinge sind verrückt geworden!“, gickerte Fianna.

„Das sind sie eindeutig!“, nickte Lotta. „Sie schaukeln sich immer gegenseitig hoch und wollen sich messen.“

„Diese Hahnenkämpfe kennt man eher von Jungs“, bemerkte Aylin.

„Aber ohne sie hätten wir nur halb so viel Spaß“, grinste Kiki belustigt. „Außerdem scheinen sie den Lauf im Alleingang für uns gewinnen zu wollen.“

 

„Wer auch immer dieses Tohuwabohu angerichtet hat, demjenigen drehen wir den Hals um und zerlegen ihn in tausend Einzelteile“, hörten sie Mathilda fluchen. Kiki stutzte, worüber ärgerte sich ihre Freundin nur?

„Wahrscheinlich waren wieder diese Knallchagen hier“, kam ihnen Annemieke wütend entgegen.

„Fischköppe!“, verbesserte ihre Zwillingsschwester.

„Was haben sie denn wieder angestellt?“, wandte sich Kiki an die Zwillinge.

„Sieh selbst!“, brummte Mathilda. Den Freundinnen bot sich ein Bild des Grauens. Fast alle Beete waren zertrampelt, der Wohnwagen war mit faulen Eiern beworfen worden, sämtliche Geräte aus dem Schuppen waren auf dem Rasen zerstreut und einige dünnere Zweige der Obstbäume lagen als Barrikade vor dem Gartentor.

„Meine Dahlien und Herbstastern, die ich letztens erst gepflanzt habe, sind nicht mehr zu retten“, machte Annemieke ein trauriges Gesicht und war einen Moment lang den Tränen nah, ehe sie diese herunter schluckte.

 

„Was haben wir den Idioten nur getan?“, weinte Aylin fast, worauf Kiki sie tröstend in den Arm nahm.

„Ich glaube, wir haben die Jungs gestern ein wenig zu doll hochgenommen, nachdem sie einem zweiwöchigen Hausmeisterdienst verurteilt wurden“, seufzte Annemieke.

„Ist doch deren Schuld, wenn sie meinen, Frau Schellhardt eine Nacktschnecke ins Etui zu setzen und anschließend Haargel an die Tafel schmieren zu müssen!“, entgegnete ihr Mathilda sofort.

„Genau, das ist ihre eigene Blödheit“, pflichtete ihr Fianna nickend bei.

„Hey, seht mal, sie haben uns eine Nachricht hinterlassen!“, rief Emily aufgeregt.

„Eine Nachricht? Im Ernst? Von wem?“, zog Kiki die Augenbrauen hoch.

„Lies selbst!“, Emily reichte ihr den kleinen Zettel.

„Wo hast du ihn gefunden?“, wollte sie wissen.

„Im Briefkasten an der Gartenpforte“, antwortete Emily.

Ihr seid selbst schuld, wenn ihre eure vorlauten Mäuler nicht halten könnt!“, stand auf dem Zettel.

„Das waren die Fischköppe!“, zischte Kiki. „Na wartet, bis wir die passende Rache für euch haben!“

 

„Oh mein Gott! Ich fasse es nicht!“, rief Lotta vom anderen Ende des Gartens.

„Was denn?“, erwiderten ein paar ihrer Freundinnen gleichzeitig und drehten sich zu ihr hin.

„Seht mal, was sie den Kaninchen in den Fressnapf getan haben!“, klang Lotta erbost.

„Das gibt doch gar, sie haben den Kaninchen jeglichen Schrott in den Futternapf getan und ihnen dafür ihr richtiges Futter weggenommen!“, regte sich Emily auf.

„Arme Hanni, arme Nanni!“, seufzte Lotta. Fassungslos betrachteten die Mädchen die Knöpfe, Schrauben, Nadeln, Radiergummifitzelchen und Bleistift.

„Das gehört eindeutig in den Müll!“, schnappte sich Fianna den Futternapf, um den Schrott zu entsorgen.

„Schaut mal her, in der hinteren Ecke des Stalles liegt eine Passionsblume!“, wisperte Annemieke erschrocken. „Die ist für Kaninchen hochgiftig.“

„Das kann man glatt als Mordversuch durchgehen lassen“, wurde Mathilda vor Zorn puterrot im Gesicht.

 

„Ich dachte, sie würden diesmal unsere Bandenmaskottchen in Frieden lassen“, empörte sich Aylin. „Schließlich haben Hanni und Nanni ihnen nichts Böses getan.“

„Gut, dass du im Kaninchenstall nachgeschaut hast, sonst hätten sie den Mist eventuell noch gefressen“, klopfte Kiki Lotta anerkennend auf die Schulter.

„Du glaubst wohl nicht, dass unsere Kaninchen so blöd gewesen wären und diesen Mist gefressen hätten“, tippte sich Mathilda gegen die Stirn.

„Langsam geht es zu weit!“, schnaubte Fianna. „Wenn sie versuchen unsere Kaninchen um die Ecke zu bringen, ist Schluss mit lustig!“

„Wir werden uns von den Fischköppen nicht den Schneid abkaufen lassen!“, erhob Kiki ihre Stimme und baute sich in Kampfpose vor ihrer Bande auf.

„Haargenau!“, pflichtete ihr Mathilda bei und legte ihre Hand auf Kikis. Ihre Freundinnen taten es ihnen gleich und legten ebenfalls ihre Hände obendrauf.

 

Im Wohnwagen wurde eine Kanne Früchtetee gekocht und die letzten Keksreserven, die sie aus den Schränken hervorkramen konnten, auf den Tisch gestellt. Anstatt zu lachen und herumzualbern, wie die Mädchen es sonst gerne bei Bandentreffen taten, war heute keine von ihnen zu Scherzen aufgelegt. Stattdessen diskutierten sie, wie sie es den Jungs am besten heimzahlen konnten.

„Nur weil wir die Jungs wegen ihrer Strafarbeit aufgezogen haben, ist das immer noch kein Grund unseren Garten zu verwüsten und ihren Ärger an unseren Bandenmaskottchen auszulassen“, regte sich Lotta auf.

„Anscheinend haben wir ihre stolze Piranha-Ehre verletzt“, bemerkte Fianna abfällig.

„Das Bandenquartier der Fischköppe hat echt eine erneute Verschönerungsaktion verdient“, warf Mathilda ein.

„An was hättest du gedacht, Matti?“, wollte Kiki wissen.

„Ich hätte große Lust ihre hässliche Garage mit faulen Eiern und Farbbeuteln zu bombardieren“, erwiderte ihre beste Freundin.

„Ich habe eine andere Idee!“, meldete sich Annemieke zu Wort. „Wir müssen diesmal keinen Sachschaden anrichten, stattdessen können wir wieder ihre Jungenehre verletzen. Wie wäre es, wenn wir ein schönes Plakat an ihrer Garage aufhängen?“

 

„Die Idee ist gar nicht schlecht!“, fand Emily.

„Wir wäre es damit: "Hier residieren die kleinen Ballettmäuse!"?“, schlug Fianna vor.

„Genau, das ist es!“, platzen die Zwillinge vor Lachen. Die Roten Tulpen bekamen vor Kichern kaum noch Luft.

„Außerdem könnten wir die Fenster pink streichen“, warf Aylin ein. „Ich habe noch ein wenig pinke Fingerfarbe.“

„Fingerfarbe bekommt man zu leicht von den Fenstern ab“, rief Mathilda.

„Das soll auch so sein, schließlich wollen wir keinen großen Sachschaden verursachen“, sagte Emily.

„Ich sehe schon die Jungs beim Fensterputzen“, gackerte Annemieke und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.

„Ich leihe ihnen gerne mein Kostüm vom vorletzten Karneval, damals war ich als Putzfrau gegangen“, grinste Emily.

„Das Putzfrauenkostüm steht Jannis sicherlich am besten“, setzte Mathilda obendrauf. Wieder bogen sich die Bandenmädchen vor Lachen.

„Man könnten meinen, gleich fliegt der Wohnwagen in die Luft“, schnappte Lotta nach Luft, nachdem sie sich wieder eingekriegt hatte.

 

Am nächsten Morgen in der Schule gingen die Mädchen noch vor der ersten Stunde auf Konfrontationskurs mit den Piranhas. Kiki musste sich stark zusammenreißen, um nicht vor den Augen eines vorbeigehenden Lehrers sich auf Jannis zu stürzen.

„Wieso? Euer Bandenquartier sah danach ziemlich fesch aus, nachdem wir zu Besuch waren“, grinste er frech.

„Du findest das fesch?“, überschlug sich Kikis Stimme fast. „Ich zeig dir gleich, was fesch ist!“

„Na, dann mal zu! Ich will dich sehen, wie du im Alleingang sechs Piranhas verprügelst“, grinste Jannis weiterhin provozierend grinste ihr frech ins Gesicht.

„Kiki, Kiki, Kiki!“, riefen Sven und Lennart feixend.

„Haltet eure Klappe, ihr Dummköpfe!“, schrie Kiki außer sich und packte Jannis an den Schultern.

„Pack mich nicht, kleine widerliche Bestie!“, funkelte er sie böse an. Kiki konnte sich nicht mehr beherrschen und holte zu einer deftigen Ohrfeige aus. Noch bevor sie seinen Kopf traf, duckte er sich reflexartig weg. Ihre Hand streifte stattdessen einige Jacken, die an den Garderobenhaken an der Wand hingen. Die Piranhas lachten höhnisch.

„Na warte, bis ich dich in deine Hände kriege!“, fauchte Kiki und drückte Jannis gegen die Wand.

„Willst du im Ernst mir den Hintern versohlen, Pocahontas?“, prustete er los.

 

Wie besessen stürzte sich Kiki auf ihn und biss ihn in den Oberarm, sodass Jannis vor Schmerzen aufschrie. Sofort kamen ihm seine Kumpel zur Hilfe. Sie zerrten und rissen an Kiki, sodass sie hinfiel.

„Lasst unsere Freundin in Ruhe!“, rief Fianna erbost und stürzte sich ins Getümmel.

„Na, ist der Karottenkopf auch noch durchgedreht?“, lachte Sven laut auf, wofür er einen heftigen Tritt gegen das Schienbein kassierte. Zwei Rote Tulpen waren sechs Piranhas deutlich unterlegen. Mathilda, Lotta und Emily kamen ihren Freundinnen zur Hilfe.

„Wenn du mich noch einmal Kaaskopp nennst!“, drohte Mathilda Ömer. „Dann erlebst du dein blaues Wunder!“

„Kaaskopp!“, fiepste Lennart. Wutentbrannt rammte Mathilda ihm ihren Ellenbogen in den Rücken. Ruckartig drehte sich Lennard um und verpasste ihr einen derben Schlag ins Gesicht.

„Seid ihr vom wilden Affen gebissen worden? Hört gefälligst auf mit dem Blödsinn!“, ging Annemieke dazwischen und stellte sich mutig zwischen die Fronten.

 

„Bitte hört auf! Frau Brand kommt gerade den Gang herauf“, versuchte auch Aylin an die Streithähne zu appellieren. Kiki versuchte sich Max vom Leib zu halten und trat um sich.

„Auseinander!“, rief Frau Brand laut, die sich wie ein Racheengel vor beiden Banden aufgebaut hatte. Wie vom Donner gerührt blieben die Bandenkids stehen.

„Könnt ihr mir eine sinnvolle Erklärung liefern, für das was ich gerade gesehen habe?“, fuhr sie fort.

„Die Jungs haben angefangen uns zu provozieren“, zitterte Kikis Stimme.

„Diese kleine Ziege hat mich gebissen!“, rief Jannis empört. Sein Gesicht war inzwischen genauso rot wie seine kurzen rotblonden Haare.

„Geht in den Klassenraum und wir klären das in Ruhe!“, stellte sich Frau Brand zwischen die Fronten. Dann fiel der Blick der Lehrerin auf Mathildas blutende Nase und gab ihr ein Taschentuch.

„Wie ist dir das passiert?“, fragte sie die Schülerin.

„Ich habe wohl einen Schlag abbekommen“, versuchte Mathilda gelassen zu klingen.

 

Als sich die Schüler gesetzt hatten, ließ das Donnerwetter nicht lange auf sich warten.

„Ich dachte, ihr wärt in der siebten Klasse. Nachdem ich gesehen habe, wie sich die beiden Banden geprügelt haben, habe ich den Eindruck, dass ein paar von euch wieder in den Kindergarten gehen sollten“, begann die Deutschlehrerin. Bedröppelt sahen die Bandenkids sie an.

„Könnt ihr mir genauer erklären, wie es zu diesem unmöglichen Vorfall gekommen ist?“, bohrte die Lehrerin weiter nach. Pauline hob ihre Hand.

„Ich habe zuerst gesehen, dass Kristina Jannis gebissen hat und anschließend seine Freunde über sie hergefallen sind. Dann habe ich gesehen, dass sich beide Banden geschlagen haben“, berichtete die Schülerin. In Kiki flammte wieder der unterdrückte Zorn auf. Es durfte doch nicht wahr sein, dass Pauline ihr unterstellte, dass sie die Prügelei begonnen hatte.

„Frau Brand!“, zeigte Kiki auf. „Es stimmt, dass ich Jannis gebissen habe, aber zuvor hat er mich ziemlich provoziert. Anschließend sind Max und Michael auf mich losgegangen und haben mich verprügelt. Meine Freundinnen sind mir nur zur Hilfe gekommen.“

„Das stimmt doch gar nicht! Sie lügt!“, rief Jannis erbost und sprang auf.

 

„Ruhe, du redest nur, wenn ich dich dran nehme!“, wies Frau Brand ihn scharf zurrecht und nahm als nächstes Michael an die Reihe.

„Wir haben uns gegenseitig provoziert“, gab er zu und fügte hinzu: „Die ganze Sache wurde zur Bandenprügelei als sich Fianna eingemischt hatte. Das wiederum machte uns nur noch aggressiver. Schließlich mischten sich Mathilda, Lotta und Emily ebenfalls ein. Aylin und Annemieke wollten zuerst den Streit schlichten, doch ganz unschuldig waren sie auch nicht.“

„Das war nur Notwehr“, verteidigte sich Annemieke. „Hätte ich ein paar von euch Jungs nicht zur Seite geschubst, hättet ihr mich wohlmöglich noch über den Haufen gerannt. Letztendlich wollte ich doch nur diese unsinnige Prügelei beenden.“

„Trotzdem hast du mich gegen die Wand gedrückt, Annemieke und du, Aylin, du bist mir absichtlich auf den Fuß getreten!“, explodierte Michael.

„Ich bin nur gestolpert, weil ich von Sven geschubst worden bin“, rechtfertigte sich Aylin.

 

„Ruhe!“, zornig ließ Frau Brand ihre Hand auf den Tisch sausen. Nun kehrte wieder für einen Moment Stille im Klassenzimmer ein.

„Bevor ihr euch gegenseitig beschuldigt und euch wieder an die Gurgel geht, äußere ich mich von meiner Seite aus“, räusperte sich die Deutschlehrerin. „Ich bin der Meinung, dass beide Parteien Schuld daran haben, dass der Streit dermaßen eskaliert ist. Ihr hättet euch besser im Griff haben müssen, schließlich seid ihr keine kleinen Kinder mehr. Malt euch aus, was passiert wäre, wenn einer von euch richtig verletzt worden wäre und ich hätte den Krankenwagen rufen müssen! Mathilda kam mir vorhin mit einer blutenden Nase entgegen und einige der Jungs hatten ziemlich viele Kratzer im Gesicht.“

„Fliegen wir von der Schule?“, fragte Aylin ängstlich, die neben Kiki saß.

„Quatsch, doch nicht wegen sowas!“, entgegnete sie ihr. Kiki wusste auch nicht, was als Strafe auf sie zu kam und griff unter dem Tisch nach Aylins Hand.

„Da ich so ein unmögliches Verhalten nicht dulden kann, bekommt ihr alle einen Eintrag ins Klassenbuch und bleibt ihr während der Pause im Klassenraum. Dazu schreibt jeder von euch eine Erklärung, weshalb er gemeint an der Schlägerei teilzuhaben“, verkündete die Lehrerin das Strafmaß. Kiki warf einen Blick auf die Uhr. Immerhin war bereits fast eine Stunde ins Land gegangen, um den Streit zu klären.

„Gott sei dank, die Gardinenpredigt hat endlich ein Ende!“, raunte ihnen Mathilda zu, die direkt hinter ihr saß.

 

Dass beide Banden in der Pause im Klassenraum sitzen mussten, hellte bei niemandem die Stimmung auf.

„Zumindest habt ihr nicht in der Klasse herausposaunt, dass wir euer Bandenquartier auf den Kopf gestellt haben. Trotzdem könnte ich euch wegen dieser blöden Prügelei den Hals umdrehen, die du angezettelt hast, Kiki“, knurrte Jannis, der sich zu ihr und Mathilda umdrehte.

„Ist doch eure Schuld, dass ihr uns provoziert habt und unseren Garten verwüstet habt!“, schoss Kiki zurück.

„Hey, hört euch auf zu kabbeln!“, ging Emily dazwischen. „Ich will mich konzentrieren können, damit ich so schnell wie möglich mit meinem Strafbrief fertig sein.“

„Außerdem habe ich gerade keine große Lust, dass wir uns wieder zoffen. Das war heute eindeutig eine Portion Streit zu viel!“, pflichtete ihr Annemieke bei.

„Könnten wir uns eventuell nicht wieder vertragen?“, fragte Lotta vorsichtig.

 

„Vertragen? Habe ich mich etwa verhört?“, blieb Sven der Mund offen stehen.

„Ich habe auch keine Lust mich mit diesen Gören zu vertragen“, raunte Lennart in Kikis Richtung.

„Wozu sollen wir uns mit euch Idioten…ähm Fischköppen vertragen?“, brauste Mathilda auf und baute sich direkt vor Sven auf.

„Setzt euch hin, die Alte kommt wieder und sammelte unsere Strafarbeiten sein“, zischte Fianna.

„Seid ihr fertig?“, fragte Frau Brand. „In zwei Minuten ist die Pause um.“

In letzter Sekunde bekam Kiki ihre Strafarbeit fertig aufs Papier gekritzelt.

„Hoffentlich kann sie mein Gekrakel lesen“, dachte sie insgeheim.  

2. Rache ist pink

Ungefähr eine Woche später Kiki saß mit ihrer Mutter und ihrer großen Schwester Mirja nach der Schule beim Mittagessen und löffelte ihre Nudelsuppe.

„Vorhin habe ich eine Mail von deiner Klassenlehrerin erhalten, die sie mir letzte Woche geschickt hat“, eröffnete ihre Mutter das Gespräch.

„Sie schreibt, dass sich eure Mädchenbande mit den Jungs geprügelt hat. Inwieweit stimmt das?“

„Mama, die Sache ist schon längst vom Tisch!“, erwiderte Kiki mit halbvollem Mund.

„Für mich nicht, ich will wissen, was genau passiert ist!“, blieb ihre Mutter hartnäckig.

„Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, wie sich mein kleines Schwesterchen mit den Jungs prügelt“, spöttisch zog Mirja die Augenbrauen hoch.

„Geht dich doch nichts an!“, fauchte Kiki ihre ältere Schwester an.

„Egal, was passiert ist, ich möchte es gerne wissen, Kristina!“, durchbohrte der strenge Blick ihrer Mutter sie beinahe. Kiki überlegte kurz, ob sie die Vorgeschichte mit dem verwüsteten Garten erzählen sollte.

 

„Die Piranhas haben ein ziemlich großes Chaos in unserem Scherbergarten angerichtet und sämtliche Beete zertreten“, begann sie zu erzählen. „In der Schule wollten wir sie deswegen zur Rede stellen und dann haben uns die Piranhas noch mehr ausgelacht. Ich bin darauf so wütend geworden, dass ich mich auf Jannis gestürzt habe. Unsere Freunde kamen uns von beiden Seiten zur Hilfe und schon war eine Schlägerei zwischen beiden Banden im Gange.“

„Hätte ihr eure Fehde nicht auf eine andere Weise klären können?“, unterbrach ihre Mutter sie.

„Das stellst du dir leichter vor als es ist“, schüttelte Kiki den Kopf. „Zur Zeit ist es unmöglich normal mit den Piranhas zu reden!“

„Ich kann verstehen, dass ihr sauer auf die Jungs seid“, meinte ihre Mutter und holte zu einer kurzen Standpauke aus: „Trotzdem möchte ich nicht mal von eurer Lehrerin informiert werden, dass ihr in der Schule euch gegenseitig verprügelt und sonst was antut. Haben wir uns da verstanden? Sollte das noch einmal passieren, wird dein Taschengeld gekürzt.“

„Ja Mama, das wird nicht mehr vorkommen“, versicherte ihr Kiki mit einem reuevollen Blick und zog ihre Schuhe an.

 

Da ihre Reitlehrerin stark erkältet war, ließ Rachel die Reitstunde am Nachmittag ausfallen. Die Bandenmädchen waren darum nicht traurig, denn für heute war ihre Racheaktion geplant.

„Hello Kiki! Lotta kommt heute nicht, sie hat einen Zahnarzttermin“, wurde Kiki von Fianna am Tor ihres Schrebergartens empfangen.

„Nicht so schlimm, wir dürfen sowieso nicht so viele sein. Ich nehme nur eh zwei oder maximal drei von euch mit“, erwiderte sie, warf ihr Fahrrad ins Gras und hastete in Richtung Wohnwagen.

„Was ist mit dir los? Du scheinst irgendwie angefressen oder gestresst zu sein“, kam Annemieke auf sie zu.

„Mama hat die Mail von Frau Schellhardt bekommen und mir einen ellenlangen Vortrag gehalten. Sollte noch einmal eine Mail mit einer Beschwerde über mich kommen, soll mein Taschengeld gekürzt werden“, murrte Kiki.

„Hat deine Mutter die Mail erst heute gelesen, obwohl die Mail bereits vor einer Woche verschickt worden ist“, machte ihrer Freundin große Augen.

 „Mama liest ihre Mails nicht regelmäßig“, murmelte Kiki.

„Wir haben von unseren Eltern auch einen Einlauf bekommen, aber danach hat es sich wieder gegessen“, meinte Mathilda und jonglierte mit zwei Äpfeln, die neben ihr unter dem Apfelbaum lagen.

 

Im nächsten Moment schlenderte Emily gutgelaunt durch die Gartenpforte und winkte ihren Bandenschwestern euphorisch zu.

„Hallihallo! Seht mal, was für ein schönes Laken ich gefunden habe“, begrüßte sie ihre Freundinnen. Sie stellte ihre große Ikea-Tasche mitten auf dem Rasen ab und holte das Betttuch heraus.

„Gib mal her!", nahm ihr Mathilda das Laken aus der Hand und zog es sich über den Kopf.

„Ey!", rief Emily halb überrascht, halb empört.

„Hui hui, hui! Fangt mich doch, wenn ihr könnt!“, rief Mathilda und lief durch den Garten. 

„Juhuu! Die Gepensterjagd ist eröffnet", johlte Fianna und wetzte ihrer Freundin hinterher. Kiki, die beim Fangspiel zusah, musste herzlich lachen und mischte einen Moment später munter mit. Fast hätte sie Mathilda am Ärmel gepackt, wenn sie nicht auf dem feuchten Rasen ausgerutscht und hingefallen wäre. 

„Bläh, bläh, bläh! Ihr fangt mich nicht", zog Mathilda ihre Freundinnen auf. 

 „Na warte, Spottdrossel!", sprang Kiki wieder auf auf ihre Beine und sprintete los. 

 

„Mattiii! Vorsicht, die Beete! Gleich...“, warnte Annemieke sie. Bevor sie zuende gesprochen hatte, war ihre Zwillingsschwester bereits über ihre eigenen Füße gestolpert und schlug der Länge nach hin.

„Oh nein!“, kreischte Emily entsetzt auf.

„Mathilda, Mathilda, was machst du nur für Sachen?“, tadelte Annemieke ihren Zwilling lachend.

„Typisch! Das kann nur Mathilda passieren“, lachte Kiki. „Hoffentlich haben das die armen Möhren überlebt!“

„Das haben sie, auch wenn sie ein wenig geplättet sind“, ächzte Mathilda und rappelte sich wieder auf.

„Na toll, jetzt hat das Laken schon einige braune Flecken“, nörgelte Emily.

„Macht doch nichts, das hängen wir doch nachher eh bei den Fischköppen auf“, grinsten die Zwillinge, die sich gegenseitig die Arme um die Schultern gelegt hatten.

 

Kurz nach drei betrat Aylin den Garten.

„Okay, wir sind vollzählig. Prima, lasst uns beginnen!“, rief Emily überschwänglich und schob ihre Bandenschwestern in Richtung Wohnwagen.

„Hat Emily das Laken mitgebracht?“, fragte Aylin und sagte: „Notfalls habe ich noch ein weißes Plakat dabei.“

„Ich soll euch noch das hier von Lotta geben“, reichte Fianna Kiki einen Schuhkarton. Neugierig nahm sie den Deckel ab, lauter pinkes Konfetti kam zum Vorschein.

„Mega cool! Lotta hat wirklich an uns gedacht“, bemerkte Emily anerkennend. „Auf jeden Fall können wir das Konfetti gut gebrauchen.“

„Ich habe sogar an die Fingerfarbe gedacht“, Aylin hob ein Fläschchen mit pinker Farbe hoch.

„Prima, dann lasst uns endlich anfangen!“, nickte Kiki zufrieden und öffnete die Wohnwagentür.

 

„Auf die Verschönerungsaktion!“, rief Mathilda und gab jeder Freundin einen Highfive. Nachdem der große Tisch im Wohnwagen freigeräumt war, breitete Kiki das Laken aus.

„Woher kommen die vielen braunen Flecken?“, wunderte sich Aylin.

„Weil Mathilda gemeint hat, Gespenst zu spielen zu müssen und mit dem Laken über dem Kopf ins Möhrenbeet geflogen ist“, erzählte Emily ihr lachend.

„Das hätte ich nur zu gerne gesehen! Hat es jemand von euch zufällig gefilmt oder fotografiert?“, kicherte Aylin los.

„Ihr alten Lästerziegen!“, versuchte Mathilda beleidigt zu klingen, was bei ihren Freundinnen noch einen größeren Lachkrampf auslöste. Fianna und Aylin, die am besten malen konnten, machten sich ans Werk. Fianna, die eine sehr ordentliche Schrift hatte, schrieb in großen Buchstaben

Hier residieren die Ballettmäuse!“ auf das Laken. Aylin malte ein paar Jungs im Tutu unter das Geschriebene.

„Du musst dem einen Jungen noch rote Haare verpassen!“, raunte ihr Annemieke zu.

„Genau, das ist dann Jannis“, kicherte ihre Zwillingsschwester.

 

Als das Laken draußen zum trocknen hing, kochte Annemieke eine Kanne Roibuschtee. Die anderen Bandenmädchen deckten den Tisch und packten ihre Kekse aus.

„Das hat sich echt gelohnt, der Banner ist total gut geworden. Die Fischköppe werden bestimmt auch schön finden“, kicherte Kiki vor sich hin und verschluckte sich dabei fast an dem Tee.

„Noch schöner ist es zu sehen, wie diese Hohlköpfe vor Wut an die Decke gehen“, grinste Mathilda.

„Mädels, ich habe die Jungs gestern in der Pause bespitzelt“, begann Fianna und fuhr fort: „Freitags haben sie von sechs bis acht Fußballtraining und danach sind sie bei einem Fußballkumpel zum Geburtstag eingeladen.“

„Spitze, Carrot du bist doch eine geborene Spionin!“, lobte Emily.

 

„Ich finde es besser, wir sollten daraus eine Nacht-und-Nebel-Aktion machen“, wandte sich Kiki an ihre Bande.

„Was meinst du denn damit?“, schaute Aylin sie leicht ahnungslos an.

„Wir werden erst zum Bandenquartier der Hornochsen gehen, wenn es dunkel genug ist“, bestimmte Kiki.

„Warum nicht jetzt?“, wollte Fianna wissen.

„Ganz einfach, es ist viel zu auffällig, wenn wir im Hellen durch die Straßen schleichen“, erwiderte Kiki. „Heute Abend kommen zwei oder drei von euch mit zu mir nach Hause. Wir warten ab bis dunkel geworden ist und dann machen uns auf dem Weg.“

„Wir sind auf jeden Fall dabei!“, riefen die Zwillinge aus einem Munde.

„Ich will aber auch!“, bettelte Fianna.

„Ich nehme Fianna und die Zwillinge mit“, entschied Kiki. „Letzte Mal waren Emily und Lotta dabei, deswegen sind heute die Anderen dabei.“

„Na gut, ich lass euch den Vortritt. Kiki hat Recht, ich war das letzte Mal dabei“, murmelte Emily etwas enttäuscht und drehte eine Haarsträhne um ihren rechten Daumen.

„Ich wollte sowieso nicht mit“, lehnte Aylin ab. „Ich habe viel zu große Angst, dass wir erwischt werden.“

„Ach was, wir lassen uns nicht erwischen!“, schüttelte Annemieke den Kopf, sodass ihr ihre dichten Locken ins Gesicht fielen.

„Außerdem haben wir Fianna dabei“, versuchte Kiki sie zu beruhigen. „Sie ist so aufmerksam wie ein Wachhund, da kann uns nichts passieren.“

„Wuff! Das bin ich“, setzte sich Fianna aufrecht hin, was bei den Mädchen wieder einen Lachflash auslöste.

„Ich muss nun nach Hause“, verabschiedete sich Aylin und wünschte den Mädchen viel Erfolg.

„Schreibt ihr mir, wenn euch der Streich gelungen ist?“, bat Emily ihre Freundinnen.

„Aber natürlich!“, nickte Kiki.

„Wir können sogar Beweisfotos machen und dir schicken“, bot Fianna an.

 

Zur Abendbrotzeit radelten Kiki, Fianna und die Zwillinge zu Kiki nach Hause und machten es sich nach dem Abendbrot in ihrem Zimmer gemütlich. Windlichter auf der Fensterbank und auf dem Nachtisch sowie eine Mondlampe auf dem Schreibtisch tauchten den Raum ein angenehmes Licht.

„Genau das richtige Wetter für eine Nacht-und-Nebel-Aktion“, stellte Mathilda bei einem Blick aus dem Fenster fest. Wieder ging ein heftiger Regenschauer nieder. Für einen Tag im Herbst war dies nicht ungewöhnlich.

„Nebelig ist es bereits, aber es müsste dunkler sein“, fand Annemieke. Fianna holte eine Twilight-DVD aus ihrer Umhängetasche. Zwar kannten die Mädchen die Folgen bereits in und auswendig, aber trotzdem war es besser sich die Zeit mit einer DVD zu vertreiben, als sich eine Stunde zu langweilen. Kiki saß zwischen den Zwillingen auf ihrem Bett und riss eine Tüte Chips auf.

 

„Übrigens, was ich euch vergessen habe zu sagen“, begann Fianna und spannte die Mädchen mit einer Kunstpause auf die Folter.

„Nun sag es doch schon!“, drängelte Mathilda.

„Svens Familie fährt für dieses Wochenende zu den Großeltern“, sprach Fianna zuende.

„Prima, dann haben wir freie Bahn!“, jubelte Kiki. „Trotzdem sollten wir abwarten bis es ganz dunkel ist“, bremste Annemieke die Freundinnen.

„Dunkel ist sowieso beinahe und der Film geht nur noch eine Viertelstunde“, murmelte Mathilda. Kiki spürte wie die Müdigkeit in ihr hoch kroch, aber auf gar keinen Fall durfte sie jetzt nicht einschlafen, sonst wäre die Racheaktion für den heutigen Abend gelaufen. Schnell huschte sie in die Küche und besorgte eine Flasche Cola und vier Gläser. Eine halbvolle Packung Milchschnitten ließ sie ebenfalls mitgehen.

 

Noch während der Abspann lief schlüpften die Mädchen in ihre Schuhe. Die Zwillinge steckten ihre Köpfe zusammen und konnten sich ein leises Kichern nicht verkneifen, weshalb Kiki ihnen abwechselnd Stöße in die Seite verpasste.

„Wehe, ihr lacht an der falschen Stelle“, zischte sie.

„Das tun wir nicht“, versicherte ihr Annemieke und machte auf einmal ein bitterernstes Gesicht, was ihre Zwillingsschwestern zum Kichern brachte.

„Mathilda, sei still!“, fauchte Kiki und zog ihre Freundin kräftig an den Haaren.

„Au, das tut weh!“, beleidigt drehte sich Mathilda von ihr weg. Ohne viel zu reden gingen die Mädchen die Straße entlang. Das diesige und regnerische Wetter passte ideal zu ihrem Vorhaben.

„Da ist es!“, flüsterte Kiki und blieb dicht neben der Hecke stehen. Nebenan bellte ein Hund. Fianna quiekte vor Schreck leise auf und presste sich die Hand auf den Mund.

„Hier her!“, winkte Kiki ihre Freundinnen zu sich rüber, die sich immer noch hinter einem Strauch in Deckung hielten. Als sich die Mädchen bewegten, ging das Licht auf der Auffahrt an.

 

Fianna, die vor einer ungeheuren Panik ergriffen wurde, fing an zu schreien und stolperte fast über einen Blumenkübel neben dem Haustürpodest.

„Ganz ruhig, das ist nur ein Bewegungsmelder!“, beruhigte Annemieke sie und nahm ihre Hand. Kiki und Mathilda holten währenddessen den Banner aus einer Tüte.

„Hier habt ihr das Konfetti und die Fingerfarbe!“, raunte Kiki Annemieke zu.

„Okay, wir machen uns ans Werk!“, flüsterte ihre Freundin. Den Banner an der Garage anzubringen gestaltete sich als keine einfache Aufgabe.

„Mist, man kann ihn nirgendwo befestigen. Wir hätten doch Starkkleber mitnehmen sollen, um ihn direkt ans Garagentor zu kleben“, fluchte Kiki leise.

„Doch an den Zweigen“, wisperte Mathilda und nahm Kiki auf ihre Schultern. An den tief hängenden Zweigen eines Kirschbaumes war es möglich den Banner festzubinden.

„Jetzt hängt unser 1a Banner wirklich gut!“, triumphierend klatschte Mathilda sie ab.

„Komm, wir gucken mal, wie weit unsere Freundinnen sind!“, kicherte Kiki hinter vorgehaltener Hand und huschte um die Ecke.

 

„Seid ihr so weit?“, flüsterte Kiki.

„Gleich, nur das Fenster muss noch pinker werden“, erwiderte Fianna.

„Wir hätten ruhig noch einen Pinsel mitnehmen können, meine Hände sind jetzt auch ganz pink“, wisperte Annemieke und säuberte ihre Hände mit einem Taschentuch.

„Egal, das können wir nicht mehr ändern. Hauptsache wir haben es geschafft“, klopfte Kiki ihr auf die Schulter.

„Das Konfetti haben wir übrigens auch schon verwenden können, das Fenster war auf Kipp und so konnten wir die ganze Ladung durch den Fensterspalt kippen“, grinste Fianna. Kiki leuchtete mit ihrer Taschenlampe durch das Fenster. Die pinken Papierschnitzelchen hatten sich im ganzen Bandenquartier der Jungs verteilt. Die Freundinnen schmierten noch mehr Fingerfarbe auf das Fenster, bis sich nicht mehr durchgucken konnten.

„Die werden Augen machen, wenn sie das zu sehen bekommen. Ich sehe sie schon beim Fensterputzen und Klarschiff machen“, kicherte Annemieke unbeherrscht los.

„Sei still, die Nachbarn könnten uns eventuell hören!“, fauchte Kiki und kniff ihr in die Wange, worauf sie beleidigt schwieg.

„Darf ich sehen, was ihr geleistet habt?“, stupste Fianna sie von hinten an.

„Kommt, dann seht ihr es“, zog Kiki sie am Arm mit sich.

„Der Banner hat eine tolle Position und so kann ihn jeder sehen, der die Straße entlang läuft“, lobte Annemieke.

„Ich werde noch ein paar Beweisfotos machen, schließlich Emily mich darum gebeten und die anderen Bandenmitglieder wollen bestimmt auch sehen, was wir geschafft haben“, raunte Fianna.

„Dann beeil dich aber, denn ich will nicht die ganze Nacht hier draußen verbringen und außerdem können wir immer noch von den Nachbarn erwischt werden, deshalb sollten wir uns schnell vom Acker machen!“, drängte Kiki.

 

Erst jetzt bemerkte sie, wie kalt es inzwischen geworden war. Bibbernd zog sie ihren Schal hoch bis zum Kinn.

„Bitte lasst uns wieder zurückgehen! Es ist schon fast halb zwölf“, wisperte Annemieke vor Kälte zitternd.

„Oh ja, ich sehne mich auch nach einem warmen Bett“, pflichte ihre Schwester ihr bei. Erleichtert machten sich die Freundinnen auf den Rückweg. Auch als die Mädchen aus dem potentiellen Gefahrenbereich heraus waren, achtete Kiki streng darauf, dass niemand laut kicherte oder Triumphrufe ausstieß.

„Zuhause können wir uns immer noch freuen“, wandte sie sich an ihre Freundinnen.

„Ich habe gerade die Bilder meinem Bruder geschickt. Seine Freunde und er werden viel zu lachen haben und die Piranhas beim nächsten Spiel wegen ihres verschönerten Bandenquartiers auslachen“, tickte Fianna Kiki an.

„Eigentlich könnte man die Fotos auch unseren Klassenkameraden zeigen“, überlegte Annemieke.

„Bist du verrückt!“, tippte sich Mathilda gegen die Stirn. „Nachher verpfeift uns noch jemand. Ich kann mir vorstellen, dass Jolanda uns verpetzen würde, wenn sie die Fotos zu sehen bekäme, schließlich ist sie Jannis Freundin.“

„Quatsch! So einer arroganten Schnepfe würde ich die Fotos auf gar keinen Fall zeigen“, schüttelte Fianna entrüstet den Kopf.

„Auf jeden Fall bleiben die Fotos unter uns und du schickst die Bilder auch nicht deinem Bruder, Fianna“, bestimmte Kiki.

 

Nachdem die Mädchen die letzte Hürde gemeistert hatten, indem sie leise in die Wohnung zurück schlichen, ohne eine Person zu wecken, machten sie sich bettfertig. Mathilda und Kiki lagen auf Kikis Bett, welches breit genug für zwei Personen war. Annemieke und Fianna nahmen auf einer Luftmatratze Platz. Obwohl es schon nach Mitternacht war, waren die Bandenmädchen immer noch putzmunter.

„Die Fischköppe werden garantiert eine Putzfrau engagieren müssen, die ihr Bandenheim wieder auf Vordermann bringt“, gickerte Fianna.

„Nein, die Putzfrauen werden sie selbst sein“, setzte Mathilda obendrauf, worauf die Mädchen einen heftigen Lachflash bekamen.

„Lass uns ihnen unsere Schürzen ausleihen, damit sie passend gekleidet sind“, schlug Annemieke vor. Die Freundinnen explodierten vor Lachen und kugelten sich auf den Matratzen. Mit einem Mal flog die Tür auf.

„Könnt ihr bitte leise sein, es ist mittlerweile schon ein Uhr!“, zischte Kikis Mutter.

„Ups, wir wollten nicht so laut sein“, fand Annemieke zuerst ihre Sprache wieder.

„Das will ich wohl hoffen, sonst war das Kikis letzter Übernachtungsbesuch!“, brummte Kikis Mutter und schloss die Tür hinter sich.

„Irgendwie bin ich müde!“, gähnte Fianna und machte das Licht aus. Annemieke hatte sich bereits auf die Seite gedreht und war als erste weggedämmert. Bald hörte Kiki auch Mathilda und Fianna ruhig atmen, während nur sie selbst wach in ihrem Bett lag. Nachdem sie eine Weilchen Schäfchen gezählt hatte, klappte das Einschlafen von alleine.

 

3. Die Piranhas schlagen wieder zu

In der nächsten Sportstunde trainierte Herr Loh mit der Klasse auf dem Sportplatz für den anstehenden Waldlauf.

„Immer nur dies blöde im Kreis laufen!“, klagte Emily.

„Ist tot langweilig“, ergänzte Mathilda, die zum Laufen heute keine große Lust hatte und sich zu Emily und Aylin zurückfallen ließ.

„Wir werden sowieso gewinnen, euch abzuhängen ist das geringste Problem“, zwinkerte Jannis Kiki siegesgewiss zu.

„Ach ja, woher willst du das wissen?“, zog sie spöttisch die Augenbrauen hoch.

„So lahm wie deine Freundinnen heute laufen, werden sie erst ein halbes Jahr später ins Ziel kommen“, spottete Sven lachend.

„Beim Waldlauf werden wir aber ganz andere Seiten aufziehen! Da könnt ihr euch auf etwas gefasst machen!“, funkelte Kiki ihre Feinde wütend an.

„Wie meinst du das?“, sah Jannis sie süffisant grinsend an. „Ich dachte, ihr beherrscht nur die Gangart Schneckentempo.“

 

„Blödmann!“, fauchte Kiki und schenkte ihm keine weitere Beachtung. Herr Loh blies in seiner Trillerpfeife. Dies war ein Zeichen, dass die Trinkpause begonnen hatte.

„Wenigstens ist es heute nicht mehr so warm, wie in der vergangenen Woche“, ließ sich Lotta neben Kiki wieder.

„Du wolltest gerade wieder deine Bestmarke knacken, nicht wahr?“, stupste sie ihre Freundin an.

„Klar, ich will einen guten und fitten Eindruck hinterlassen. Die Piranhas sollen bloß nicht denken, dass sie leichtes Spiel mit uns haben“, nickte Lotta eifrig.

„Wenigstens eine, die es ernst nimmt“, lächelte Kiki ihr erleichtert zu.

„Wir werden die Jungs auf jeden Fall schlagen, weil wir klüger sind“, gesellte sich Fianna zu ihnen.

„Da sagst du was!“, kicherte Annemieke. „Die Jungs sind zwar stark, aber nicht unbedingt die Klügsten.“

„Wir müssen sie mit ihren eigenen Waffen schlagen“, überlegte Emily laut.

„Das wird nicht schwer sein“, grinste Lotta. „Die Fischköppe haben eine geringe Gehirnkapazität als eine Mücke.“

 

„Ich glaube, ich falle gleich komplett auseinander“, stöhnte Aylin nach der Sportstunde, als die Schüler auf dem Weg zur Umkleide waren.

„Nicht nur du, ich kann mich vor Muskelschmerzen kaum bewegen“, verzog Emily das Gesicht.

„Da wird noch einiges an Training auf uns zukommen“, wandte sich Kiki an ihre beiden Freundinnen.

„Oh bitte, verschone uns!“, flehte Aylin.

„Wollt ihr wirklich den Piranhas den Sieg leicht machen?“, klang Kiki gereizt.

„Das haben wir nicht gesagt“, entgegnete ihr Emily.

„Nimm doch nicht gleich alles so bitterernst, Kiki!“, legte ihr Fianna die Hand auf die Schulter.

„Außerdem besteht der Waldlauf nicht nur aus Laufen, sondern ebenfalls auch aus kniffligen Aufgaben“, warf Lotta ein, die sich bei Emily unterhakte.

„In Denkaufgaben sind die Jungs sowieso keine Asse“, sagten die Zwillinge gleichzeitig und prusteten los.

„Hoffentlich gibt es dieses Jahr wieder das Waldquiz“, raunte Annemieke ihren Freundinnen zu. In ihrer Bande war sie die Pflanzenexpertin, die sich mit allem auskannte, das in ihrer Umgebung wuchs.

 

„Wo sind unsere Sachen?“, brüllte Jolanda los, als die Bandenmädchen die Tür zur Umkleidekabine öffneten.

„Um Himmels Willen, was ist hier los?“, wich Fianna erschrocken zurück.

„Habt ihr unsere Klamotten und Schuhe verschwinden lassen, ihr blöden Bandenbabys?“, marschierte Saskia mit hochrotem Kopf auf die Roten Tulpen zu.

„Hä? Wie meinst du das?“, stammelte Kiki.

„Wo sind unsere Sachen? Sagt es uns, bevor wir euch vermöbeln“, baute sich nun auch Tanja vor ihnen auf. Bald wurde die Mädchenbande von all ihren Klassenkameradinnen umzingelt.

„Wir wissen nicht, wo eure Sachen sind?“, fauchte Mathilda gereizt.

„Du lügst!“, zischte Neele und packte sie am Arm.

„Tue ich nicht, du blöde Kuh!“, schleuderte Mathilda ihr die Worte ins Gesicht.

„Natürlich, ihr wollt es bloß nicht zugeben!“, schrie Neele Mathilda mitten ins Gesicht.

 

„Unsere Klamotten sind auch verschwunden!“, rief Aylin entsetzt und eilte auf Kiki zu.

„Ich sag es doch schon die ganze Zeit, dass die Sachen von jedem Mädchen verschwunden sind“, jammerte Pauline, die wieder den Tränen nahe war.

„Vielleicht waren es doch die Jungs gewesen“, überlegte Sina laut.

„Natürlich waren sie das!“, rief Mathilda zornig.

„Ich könnte den Fischköppen den Hals umdrehen!“, explodierte Kiki.

„Vielleicht sind wir in der falschen Umkleidekabine“, rätselte Freya.

 „Quatsch! Die anderen Kabinen sind abgeschlossen“, schüttelte Tanja den Kopf.

 

„Seht mal her!“, überschlug sich Jules Stimme, die die Tür zum Duschraum aufriss.

„Oh mein Gott, ich bin im falschen Film!“, kreischte Jolanda hysterisch los.

„Was ist denn?“, wurde Kiki neugierig und zwängte sich zwischen Jule und Jolanda durch. Bei dem Anblick der nassen Kleidung, die unsortiert auf einem Haufen lag, traf sie der Dahlschlag.

„Meine Sachen sind total im Eimer“, schniefte Jolanda und wischte sich mit der Hand über die geröteten Augen.

„Nur weil sie nass?“, schaute Annemieke sie mit großen Augen an.

„Ja, meine Lederhose hat ein ganzes Vermögen gekostet und wenn sie nass ist, bekommt sie hässliche weiße Flecken“, fing Jolanda ungehemmt an zu heulen.

„Hey, das ist immer noch kein Weltuntergang! Es sind doch nur nasse Klamotten“, versuchte Annemieke sie zu beruhigen und legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Für mich schon! Du hast echt keine Ahnung, wie viel sowas kostet“, erwiderte ihre Klassenkameradin und drehte sich abrupt von ihr weg.

 

Teils zornig, teils getroffen suchten die Mädchen ihre Kleidung aus dem großen Haufen heraus.

„Ich glaube, wir müssen in Sportklamotten am Matheunterricht teilnehmen. Es führt kein Weg daran vorbei“, seufzte Freya.

„Bah, ich sitze doch nicht in meinen verschwitzten Sportsachen im Matheunterricht“, tippte sich Lotta entrüstet gegen die Stirn.

„Ich werde den Fischköppen den Gar aus machen!“, wrang Kiki wütend ihr blaues Sweatshirt aus und stopfte es in ihren Turnbeutel.

„Woher willst du wissen, dass die Piranhas es waren?“, fuhr Saskia sie spitz von der Seite an.

„Ganz einfach, weil niemand anderes auf so eine blöde Idee kommt wie sie“, schnaubte Kiki.

„Igitt, wir haben nasses Klopapier in unseren Schuhen!“, angewidert ließ Neele ihre Schuhe fallen.

„Auch das noch!“, stöhnte Tanja.

 

„Kiki, du hast eine zermatschte gammlige Tomaten in deinen Schuhen!“, rief Mathilda zu ihr rüber.

„Wirklich?“, Kikis Augen wurden tellergroß. Wie entfesselt warf sie die Schuhe gegen die Wand.

„Mir tun die Fischköppe natürlich das Ekeligste in die Schuhe!“, rief sie zornig.

„Hey, du hast fast meinen Kopf getroffen. Kannst du nicht aufpassen?“, schimpfte Tanja.

„Mir egal!“, erwiderte Kiki pampig und spürte, dass ihr Wuttränen in die Augen stiegen.

„Komm, wir machen deine Schuhe sauber“, beruhigend legte Annemieke den Arm um sie. Kiki wurde richtig übel, als ihr der aufdringliche Geruch der vergammelten Tomaten in die Nase stieg.

„Bah, wie das stinkt! Die Tomaten haben sie bestimmt aus der Mülltonne gefischt“, rümpfte sie angewiderte ihre Nase. Annemieke, die längst nicht so zimperlich war, schüttete den Inhalt ihrer Schuhe in den Mülleimer, hielt sie unter laufendes Wasser und stopfte Papier hinein. Im Hintergrund begannen sich ihre Freundinnen richtig mit dem Tussenkomitee zu fetzen.

 

„Ihr und eure scheiß Bandenkriege!“, fauchte Jolanda die Mathilda und Emily an.

„Was können wir dafür, dass die Idioten sich an allen Mädchen rächen!“, verteidigte sich Mathilda.

„Habe ich das Wort „rächen“ gehört?“, drehte sich Tanja zu ihnen um.

„Nur weil die blöden Bandenziegen sich einen Dauerkrieg mit den Piranhas liefern, müssen wir darunter leiden“, rief Neele außer sich.

„Wir haben den Jungs garantiert nicht bescheid gesagt, dass sie eure Sachen mitduschen sollen, Neele“, mischte sich Fianna ein.

„Bei euch kann man da sich nicht sicher sein. So albern und kindisch ihr seid, kommt ihr auf die dümmsten Ideen“, warf Saskia den Bandenmädchen an den Kopf. 

„Verdammt nochmal, wir haben keine Absprache mit den Jungs getroffen!“, explodierte Emily.

„Allein, dass ihr überhaupt euch gegenseitig dämliche Streiche spielen müsst, regt mittlerweile die gesamte Klasse auf!“, rief Jolanda.

„Punktgenau, wir können diesen Bandenmist nicht länger ertragen!“, pflichtete ihr Saskia bei.

„Wieso könnt ihr eure blöden Banden nicht an Ort und Stelle auflösen?“, sagte Tanja. „Durch diesen Bandenkram macht ihr euch nur unnötigen Stress.“

„Dann versuch doch mal unsere Bande aufzulösen!“, lächelte Mathilda säuerlich.

„Und das wirst du nicht schaffen, weil die Roten Tulpen wie Pech und Schwefel zusammenhalten“, führte Lotta ihren Gedankengang fort.

„Und zwischen uns kein Blatt passt“, beendete Fianna den Satz.

 

„Hey, hört euch auf zu streiten!“, rief Jule beschwichtigend dazwischen.

„Die Jungs werden sich schlapp lachen, wenn sie mitbekommen, wie ihr euch an die Gurgel geht. Euer Geschrei kann man bestimmt noch auf dem Flur hören. Habt ihr noch gar nicht daran gedacht, dass die Jungs uns gegeneinander ausspielen wollen. Sie werden ihre wahre Freude haben, wenn sie mitkriegen, dass es ihnen gelungen ist“, meinte Freya. Mit einem Mal waren ihre Klassenkameradinnen still.

„Ihr habt Recht!“, sagte Annemieke. „Wir müssen zusammenhalten und den Jungs zeigen, dass wir keine leichte Beute sind.“

„Wie willst du das machen?“, warf ihr Jolanda einen skeptischen Blick zu.

„Wir setzen uns gleich in Sportkleidung in den Unterricht und sagen erstmal nichts. Frau Schellhardt wird sich bestimmt wundern, weshalb wir nicht umgezogen sind. Wenn sie uns fragt, halten wir unsere nassen Kleidungsstücke in die Höhe“, fuhr Annemieke fort.

„Nicht schlecht, ich hätte nie gedacht, dass eine Rote Tulpe so klug sein kann“, bemerkte Saskia, wofür sie sich von Kiki einen bösen Blick einfing.

„Genau so machen wir es!“, rief Sina begeistert. „Auf jeden Fall wird das Eindruck machen.“

Die Mädchen wrangen ihre nassen Kleidungsstücke aus und stopften sie in ihre Sporttaschen.

„Jetzt aber hopp, der Unterricht beginnt in zwei Minuten!“, rief Lotta. Die Roten Tulpen hasteten hinter ihr her.

 

Die Piranhas saßen bereits im Klassenzimmer. Kiki konnte sehen, dass ihre Mundwinkel leicht zuckten, als sie die Mädchen in Sportkleidung den Klassenraum betraten.

„Was fällt euch Honks eigentlich ein?“, knöpfte sich Kiki Jannis vor.

„Nichts!“, erwiderte er gleichgültig.

„Gib zu, dass ihr es ward!“, rüttelte sie ihren Erzfeind an der Schulter.

„Erst müsst ihr einen schlagkräftigen Beweis vorlegen“, erwiderte er seelenruhig.

„Frau Schellhardt kommt!“, raunte ein Schüler und die Kinder huschten auf ihre Plätze.

„Guten Morgen, Frau Schellhardt!“, begrüßte die Klasse ihrer Lehrerin im Chor.

„Nanu, wieso haben sich die Mädchen nicht umgezogen?“, wunderte sich Frau Schellhardt, der sofort auffiel, dass die Mädchen in Sportkleidung auf ihren Plätzen saßen. Die Roten Tulpen zwinkerten sich gegenseitig zu und hoben je ein nasses Kleidungsstück hoch. Die anderen Mädchen taten es ihnen gleich.

„Was ist denn das?“, sah die Klassenlehrerin ihre Schülerinnen noch verdutzter an. Nun meldete sich Kiki.

„Als wir gerade in die Umkleidekabine kamen, lagen unsere Sachen nass unter der Dusche und in unseren Schuhen fanden wir entweder feuchtes Toilettenpapier oder vergammeltes Gemüse vor“, berichtete Kiki.

„Wer kann noch etwas dazu sagen?“, sagte die Klassenlehrerin streng.

„Wir sind der Überzeugung, dass es die Jungs gewesen sind“, hob Pauline ihre Hand.

„Wer von euch Jungs mag sich zu diesem Vorfall äußern?“, räusperte sich Frau Schellhardt.

„Ich kann Ihnen sagen, dass ich nichts mit dem Vorfall zu tun habe“, zeigte Finn auf.

„Habt ihr gesehen, dass jemand zwischendurch in die Turnhalle gegangen ist?“, hakte die Klassenlehrerin nach.

„Jannis und seine Freunde“, platzte es aus Thomas heraus. Mit zusammengekniffenen Augen wandte sie sich an die Jungenbande.

„Wir sprechen uns kurz vor der Tür!“, forderte Frau Schellhardt die sechs Jungen auf, mit nach draußen zu kommen.

 

Letztendlich gaben die Piranhas wenige Minuten später die Tat vor der ganzen Klasse zu. Frau Schellhardt verdonnerte die Jungsbande zum Nachsitzen und zudem durften sie nicht am bevorstehenden Waldlauf teilnehmen. Nach Schulschluss trafen sich die Roten Tulpen am Fahrradständer vor der Turnhalle wieder.

„Yeah, die Fischköppe haben Startverbot!“, klatschte Mathilda ihre Freundinnen ab.

„Das haben sie sich aber auch voll verdient“, nickte ihre Zwillingsschwester, die ihr Rad aufschloss.

„Da nun unsere ärgsten Konkurrenten aus dem Rennen sind, haben wir die großes Chance“, rief Kiki glücklich.

„Was ist diesmal der Hauptpreis?“, fragte Aylin.

„Ich glaube ein Gruppenticket für das Spaßbad“, erwiderte Lotta.

„Wirklich?“, machte Fianna neugierige Augen.

„Ich habe es nur durch Dritte erfahren“, meinte Lotta.

„Wenn das wirklich wahr ist, müssen wir gewinnen!“, rief Annemieke mit leuchtenden Augen.

„Oh ja, dann auf einen Mädelstag im Schwimmbad!“, fing Emily an zu jubeln.

„Freut euch doch nicht zu früh!“, wie aus dem Nichts stand Saskia hinter ihnen.

„Aber von euch geht doch keine große Gefahr aus“, warf Mathilda ihr einen spöttischen Blick zu.

„Meinst du, aber wir haben Finn und Thomas im Team“, erwiderte Saskia gelassen.

„Außerdem nehmen noch mehrere Teams aus unseren Parallelklassen teil. Über mangelnde Konkurrenz könnt ihr nicht klagen“, fügte Saskias Freundin Neele hinzu.

„Und nehmt eure Gegner nicht zu sehr auf die leichte Schulter“, vollendete Tanja ihren Gedankengang. 

4. Die Roten Tulpen am Start

Der Waldlauf fand am ersten Tag nach den Herbstferien statt. Kiki war bereits um sieben Uhr wach, obwohl die siebten Klassen erst um ein Uhr an der Reihe waren. Zuvor waren erst die fünften und sechsten Klassen dran.

„Hoffentlich klappt alles reibungslos!“, dachte sie, als sie sich anzog. In den Herbstferien hatten die Bandenmädchen wie die Besessenen trainiert und Pflanzenbestimmung gepaukt. Mittlerweile waren auch Aylin und Emily so gut in Form, dass sie mit ihren Bandenfreundinnen ohne Probleme mithalten konnten. Noch gestern hatten die Bandenmädchen zum Laufen im Wald getroffen und vor allem ihre Schnelligkeit trainiert. Draußen ging gerade die Sonne auf, als sich Kiki in der Küche das Obst für ihr Müsli klein schnitt. Bestimmt würde es heute genauso schön werden wie in den vergangenen Tagen.

 

Laut dem Wetterbericht sollte das Thermometer auf knapp zwanzig Grad klettern. Kiki liebte den goldenen Herbst und nutzte jeden Tag, um genügend Sonnenstrahlen für die dunkle Jahreszeit zu tanken.

„Na Schwesterchen, auch schon wach?“, schlich Mirja in die Küche und machte sich zwei Toasts.

„Schon lange“, murmelte Kiki und angelte sich eine Milchschnitte aus dem Kühlschrank.

„Ich dachte, ihr hättet euren Lauf erst gegen Mittag“, stutzte Mirja.

„Ich konnte nicht mehr schlafen“, erwiderte Kiki.

„Du bist bestimmt tierisch aufgeregt, wa?“, lächelte ihre große Schwester.

„Ein bisschen schon“, nickte Kiki. Ein bisschen aufgeregt war ziemlich untertrieben. vor Aufregung spielte auf einmal ihr Magen verrückt und ihr wurde speiübel. Kiki musste sich jeden Löffel ihres Müslis in sich hineinzwingen. Für den bevorstehenden Lauf war es unentbehrlich sich davor ausreichend gestärkt zu haben.

„Nimm auf jeden Fall genug zu trinken und Bananen mit, die enthalten sehr viel Magnesium!“, gab ihr Mirja den Tipp.

„Das werde ich tun“, nickte sie.  

 

Die siebten Klassen trafen sich um halb eins auf dem Waldparkplatz. Keuchend trat Kiki in die Pedalen, denn sie war schon ziemlich spät dran. Schon von weitem erkannte sie ihre Freundinnen. Sie trugen alle rote T-Shirts und weiße Hosen, wie ihnen Kiki es gestern gesagt hatte.

„Sieg ahoi!“, riefen einige der Bandenmädchen und rannten jubelnd auf sie zu.

„Ich sehe, ihr seid schon sehr uniform angezogen, doch trotzdem bekommt jede von euch ein rotes Band“, begrüßte Frau Schellhardt die Mädchenbande und machte Haken hinter ihre Namen.

„Wenn ich mir die heutige Konkurrenz anschaue, haben wir gute Chancen zu gewinnen oder unter die ersten Drei zu kommen“, beobachte Lotta ihre Gegner.

„Ich hätte unbändige Lust einen Tag lang mit meinen Lieblingsfreundinnen im Spaßbad abzuhängen“, strahlte Mathilda über beide Backen.

„Nicht nur du!“, pflichtete ihr Fianna bei.

 

„In zehn Minuten geht es los und das erste Team startet!“, rief Herr Loh zu ihnen rüber.

„Wie wir bereits mit euch besprochen haben, starten die Teams im Abstand von zehn Minuten, damit es keinen Stau an den Stationen gibt. Wichtig ist es, dass ihr den Pfeilen folgt und auf keinen Fall die gekennzeichneten Wege verlässt. Wer an den Stationen fünf richtige Antworten hat oder fünf Punkte erspielt, darf weiterziehen. Wer am wenigsten Zeit braucht, um ins Ziel zu kommen und die meisten Punkte an den Stationen gesammelt hat, hat gewonnen und gewinnt das Gruppenticket für das Spaßbad. Die Zweit- und Drittplazierten erhalten je Büchergutscheine“, übernahm Frau Schellhardt die Erklärung. Ein Team aus der 7b machte sich startklar, während die Roten Tulpen den fünften Startplatz zugeteilt bekamen. Die Mädchen nutzten die Zeit, um sich gemütlich auf eine Bank zu setzen, sich gegenseitig zu massieren und sich zu stärken.

 

„Das Team von Kristina Morawski an den Start!“, rief Herr Loh. Kiki erschrak sich selbst, wie schnell die Zeit verging.

„Hier habt ihr eure Blätter, Stifte und eine Stoppuhr. Für die Mannschaftsführerin habe ich noch einen Zettel, auf dem die Zwischenzeiten und Spielergebnisse eingetragen werden“, händigte Herr Loh ihnen die Utensilien aus. Etwas abseits der Lehrer stellte sich die Bande in einem geschlossenen Kreis auf.

„Eine für alle, alle für eine!“, raunte Kiki ihre Freundinnen zu. Dabei hatte ihre Arme um Lotta und Emily gelegt.

„Eine für alle, alle für eine!“, wiederholten sie den Schwur und legten kurz darauf ihre Hände übereinander.

„Jau, gemeinsam packen wir es!“, gab Mathilda jeder Bandenfreundin einen Highfive.

„Liebe Mädchen, es geht sofort los!“, rief Frau Schellhardt. Die ersten fünfhundert Meter waren nicht schwer. Kiki fühlte sich mit einem Mal federleicht und führte leichtfüßig die Gruppe an.

 

An der ersten Station mussten sie mit kleinen Schaumstoffbällen einen Plastikvogel mit bunten Federn treffen, der an einem Ast aufgehängt war. Rund zwei Meter baumelte er über dem Boden.

„Fünfmal müsst ihr den Vogel treffen, aber ihr dürft die weiße Linie dabei nicht übertreten“, erklärte ihnen eine ältere Schülerin, die den Stand betreute. Kiki bekam einen Korb mit gelben Bällen überreicht. Wie wild gewordene Hummeln schnappten sich ihre Freundinnen die Bälle und begannen auf den Vogel zu zielen.

„So nicht!“, rief Kiki. „Ganz ruhig, wir brauchen nicht hetzen, wir liegen super in der Zeit!“

Die Mädchen ließen es friedlicher angehen. Kiki stellte sich zusammen mit Mathilda, Lotta und Fianna an der gestrichelten Linie auf, während die anderen die Bälle aufsammelten und zurückbrachten. Vor allem Lotta und Fianna schienen Zielwasser getrunken zu haben. Fianna traf zweimal, während Lottas Bälle den Vogel sogar dreimal berührten.

 

Die Roten Tulpen durften weiterlaufen. Diesmal war es ein ziemlich weites Stück zu laufen. Als der Weg breiter wurde, entdeckten sie Jolandas Gruppe vor sich. Nur wenige hundert Meter waren Jolanda und Co von ihnen entfernt.

„Kommt, lasst uns sie bis zur nächsten Station einholen!“, spornte Mathilda ihre Gruppe an und legte einen Zahn zu.

„Teile dir lieber deine Kräfte vernünftig ein, Matti!“, versuchte ihr Emily ins Gewissen zu reden und hielt sie kurz am Arm zurück. Es ging bergauf, deshalb schalteten die Mädchen lieber einen Gang herunter.

„Spart euch eure Kräfte! Zum Schluss werden wir sie noch brauchen“, redete Kiki immer wieder auf ihre Freundinnen ein. Als nächstes musste die Bande einen Baumstamm überqueren, der über einen Bach ging. Auch das war für die quirligen und sportlichen Mädchen keine große Herausforderung.

 

An der nächsten Station mussten Waldpflanzen bestimmt werden. Jolandas Gruppe war immer noch mit dem Quiz zugange. Frustriert zerbrachen sich Jolanda und ihre Mitstreiter die Köpfe.

„Wieso suchen die ausgerechnet Pflanzen aus, die keiner kennt“, beschwerte sich Saskia. Bei den Roten Tulpen klappte das Pflanzenbestimmen dank Annemiekes Fachkenntnisse aus dem FF. Nur einmal ordneten sie dem Faulbaum einen falschen Namen zu, doch im Gegenzug wurden der Ahornsstab, die Rotbuche, die gemeine Waldrebe, die Fichte und das Schöllkraut auf Anhieb richtig erraten. Kiki und ihre Freundinnen konnten konnten die Station zeitgleich mit Jolandas Gruppe verlassen.

„Kommt, wir überholen sie!“, raunte Mathilda ihren Bandenschwestern zu. Diesmal widersprach ihr niemand. Die Mädchen setzten zu einem kurzen Spurt an und überholten Jolandas Gruppe.

„Passt auf, dass ihr euch nicht zu sehr verausgabt, sonst macht ihr noch vor dem Ziel schlapp!“, rief ihnen Neele hinterher. Diesmal klang dies nicht nach Spott, sondern eher nach einer Warnung.

 „Nö, das werden wir nicht, wir haben schließlich genug trainiert und sind fit wie ein Turnschuh!“, drehte sich Kiki zu ihr um. Belustigt winkten die Zwillinge dem Tussenkomitee und den beiden Jungs hinterher.

„Au revoir! Bis später!“, Mathilda konnte nicht widerstehen ihnen eine lange Nase zu drehen. Jolandas Gruppe ging nicht auf die Provokation ein.

 

„Au weia, müssen wir da etwa hoch?“, zog Fianna an Kikis T-Shirtärmel und sah sie leicht ungläubig an.

„Sieht ganz danach aus. Zumindest zeigt der Pfeil auf das Plateau“, nickte sie, ließ ihren Blick über den Hang schweifen und ging schnurstracks darauf zu.

„Kommt, lasst uns dort hochklettern, da sind mehr Bäume und Wurzeln zum Festhalten!“, rief Annemieke, die ihren Freundinnen vorausgeeilt war und begann den Hang zu erklimmen.

„Mädels, das ist wohl nicht euer Ernst!“, schüttelte Aylin entsetzt den Kopf.

„So schwer ist das nun auch nicht. Du schaffst das auch!“, aufmunternd gab Fianna ihr einen Klaps auf die Schulter. An manchen Stellen machte das Herbstlaub einige Stellen rutschig, sodass die Mädchen von Ast zu Ast hangeln mussten. Auf der Anhöhe angekommen, gönnten sie sich eine kleine Pause und nahmen ein paar Schlucke aus ihren Flaschen. Lotta ließ eine Packung mit kleinen Traubenzuckerwürfeln herumgehen.

 

An der dritten Station mussten die Freundinnen ihr Allgemeinwissen über den Wald unter Beweis stellen.

„Wie nennt man die Schicht über der Moosschicht?“, lautete die erste Frage.

„Krautschicht“, rief Kiki als Erste.

„Welche Spuren seht ihr hier?“, las der Junge die nächste Frage vor und zeigte ihnen ein Foto von einem Fußabdruck eines Waldtieres.

„Das muss wohl ein Fuchs sein“, überlegte Fianna laut. Wieder die richtige Antwort! Kiki war zufrieden mit ihrem Vorrankommen. Außer einer Frage gaben die Mädchen nur richtige Antworten und durften ihren Lauf fortsetzen.

„Du hast die Frage, die wir falsch beantwortet haben, vermasselt“, zog Mathilda ihre Zwillingsschwester auf.

„Die hättest du aber auch nicht richtig beantwortet“, knuffte Annemieke sie in die Seite.

„Hätte ich wohl!“, entgegnete ihr Mathilda.

„Warum hast du dich dann nicht gemeldet?“, schoss Annemieke zurück. Kurz darauf war eine fernsehreife Kabbelei zwischen den Zwillingen im Gange.

„Hey, spart euch eure Kräfte für die bevorstehende Strecke!“, brachte Kiki die Schwestern wieder zur Vernunft.

 

„Guckt mal! Gleich haben wir die nächste Gruppe eingeholt“, merkte Emily im nächsten Augenblick an. Direkt vor ihnen war ein Team aus ihrer Parallelklasse, von denen Kiki nur Carolin und Maja kannte. Der nächste Teil der Strecke ging bergab. Lotta und Fianna rutschten auf dem feuchten Laub aus und rappelten sich schnell wieder auf und kämmten sich rasch die Blätter aus den Haaren. Keine von ihnen hatte sich ernsthaft wehgetan.

„Langsam tun mir meine Füße doch weh“, machte Aylin ein schmerzhaftes Gesicht.

„Komm, wir haben schon etwas mehr als die Hälfte geschafft!“, munterte Kiki sie auf und legte ihr die Hand auf die Schulter.

 

 

5. Eine gemeine Falle

Es ging weiterhin bergauf und bergab. An manchen Stellen mussten die Mädchen auf Äste steigen, die unter ihren Füßen laut knackten.

„Mist, ich bin an einer Brombeerranke hängen geblieben“, fluchte Annemieke, die sich der Länge nach hingelegt hatte.

„Micky, alles okay bei dir?“, riefen Kiki und Mathilda aus einem Mund.

„Alles in Ordnung, ich habe mir nicht wehgetan, nur meine Hände sind schmutzig“, gab ihre Freundin Entwarnung. Fianna und Emily halfen Annemieke schnell wieder auf die Beine.

„Vier von acht Stationen haben wir bereits geschafft, aber nun werden die Abstände zu den Stationen immer geringer“, stellte Lotta beim Blick auf die Karte fest.

„Das Training hat sich doch gelohnt“, lächelte Aylin. „Wir kommen ziemlich flott voran.“

„Zum Glück sind die Fischköppe nicht dabei“, grinste Mathilda schadenfroh.

„Gegen die hätten wir auch keine Chance gehabt“, gab Kiki ehrlich zu. „Bis auf Michael kann jeder schneller laufen als wir.“

 

Kurz darauf hörten die Bandenmädchen, wie es links neben dem Weg im Gebüsch raschelte, sodass sie erschrocken in ihrer Bewegung erstarrten. Emily und Fianna duckten sich hinter einen halbhohen Dornenstrauch. Auch die anderen Mädchen verschwanden hinter breiten Baumstämmen und beobachteten angespannt die Umgebung.

„Beobachtet uns jemand?“, flüsterte Aylin panisch und klammerte sich an Kikis Arm fest. Wieder hörten sie ein Geräusch, welches im dichten Unterholz verschwand. Die Bandenmädchen atmeten erleichtert auf, als das Geräusch verstummte und sie nur die Vögel singen hörten.

 „Ach Quatsch, das wird wohl nur ein Tier gewesen sein“, fing Annemieke vor Erleichterung an zu kichern.

„Hoffentlich kein Wolf!“, Aylin bekam vor Angst ganz große Augen.

„Nein, Wölfe sind dämmerungs- und nachtaktiv und außerdem haben sie mehr Angst vor Menschen als wir von ihnen“, erklärte ihr Kiki.

„Wir können weiter, die Luft ist rein!“, schritt Mathilda voran. Der nächste Pfeil zeigte auf einen Trampelpfad entlang. Dicke Laubschichten bedeckten den Boden und zudem mussten auf dem Boden liegen Äste überwunden werden. Die Roten Tulpen kamen längst nicht mehr so schnell voran wie gerade eben auf dem Spazierweg.

 

Wie aus dem Nichts biss etwas Unbeschreibliches fest in Kikis linken Fuß und durchbohrte ihren dünnen Sportschuh. Schreiend ließ sie sich auf den Boden fallen.

„Kiki, was ist dir passiert?“, rief Lotta panisch und bückte sich als Erste über die Freundin.

„Mich beißt etwas in meinen Fuß“, weinte Kiki vor Schmerzen los.

„Wie bitte? Das kann doch nicht wahr sein“, schüttelten die Zwillinge die Köpfe.

„Gib mal deinen Fuß her, Kiki!“, sagte Emily, die sich über sie beugte.

„Aua, das tut höllisch weh“, heulte Kiki laut auf, sodass ein paar ihrer Freundinnen zusammenzuckten.

„Sie ist in eine Mausefalle getreten!“, rief Emily entsetzt.

„Das kann keine Mausefalle sein, dazu ist das Teil zu groß“, wusste Lotta bescheid, dessen Großvater Jäger war.

„Diese miese Ding müssen wir sofort entfernen!“, überschlug sich Fiannas Stimme und zu zweit machten sie sich ans Werk. Für Kiki war es eine Befreiung als ihre Freundinnen die Falle mit den scharfen Zacken von ihrem Fuß entfernen konnten. Trotzdem tat ihr Fuß immer noch höllisch weh.

„Ich kann nicht mehr auftreten“, schluchzte sie und versuchte sich wieder aufzurappeln.

 

„Stopp! Erstmal wollen wir gucken, ob dein Fuß schlimmer verletzt ist“, bat Emily Kiki sich wieder hinzusetzen und zog ihren Schuh aus. Kiki schrie wie am Spieß. Dicke Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sonst konnte sie Schmerzen ertragen, ohne laut aufzumucken, doch diesmal waren die Schmerzen zu stark.

„Ihr Fuß blutet!“, rief Annemieke entsetzt und fing an die Wunde mit einem Taschentuch betupfen.

„Und wie geht es jetzt weiter? Habt ihr da eine Idee?“, machte Aylin ein ratloses Gesicht.

„Schaffen wir es überhaupt noch ins Ziel?“, machte auch Fianna ein skeptisches Gesicht.

„So können wir unmöglich weiterlaufen“, schüttelte Annemieke niedergeschlagen den Kopf.

„Was haltet ihr davon, wenn sich die Hälfte unserer Bande, um Kiki kümmert und der Rest weiterläuft?“, schlug Mathilda vor.

 „Du bist unmöglich, Mathilda!“, rief Annemieke erbost. „Du denkst immer nur an dich und das, was du haben willst. In diesem Fall hat sich deine beste Freundin verletzt und du möchtest dich vom Acker machen? Denk daran, was wir uns vorhin vor dem Start geschworen haben. Eine für alle, alle für eine!“

 

„Außerdem lassen wir niemand im Wald zurück“, fügte Emily hinzu.

„Und ohne Kiki gehen wir nicht weiter, schließlich ist sie unsere Anführerin“, schloss Aylin ihren Gedankengang ab.

„Ist schon gut, ich habe es verstanden“, sagte Mathilda peinlich berührt.

„Wir müssen so schnell wie möglich einen Lehrer finden!“, raunte Fianna den anderen Mädchen zu. „Kikis Wunde muss garantiert ärztlich behandelt werden.“

„Zu blöd, dass wir vorhin unsere Handys abgeben mussten und das nur, damit wir nicht schummeln und Abkürzungen nehmen", fluchte Lotta los.

„Oh ja und ausgerechnet jetzt bräuchten wir dringend ein Handy, um Frau Schellhardt und den Krankenwagen zu rufen", nickte Fianna heftig.

„Mädels, nicht trödeln!", blies Mathilda zum Aufbruch.

Die Zwillinge nahmen Kiki und trugen sie durch den Wald, ehe sie sich nach einem Stück mit Emily und Lotta abwechselten.

 

„Lasst uns ein Stück zurückgehen! Die letzte Station war gar nicht so weit weg“, rief Annemieke, die ein Stück voraus gelaufen war. Kiki biss die Zähne aufeinander. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie zuletzt solche Schmerzen gehabt hatte.

„Es tut immer noch mörderisch weh“, sagte sie mit weinerlicher Stimme und wischte sich über die feuchten Augen.

„Gleich sind wir da und du hast es geschafft!“, streichelte ihr Emily über den Kopf und strich ihr liebevoll eine lose Haarsträhne hinters Ohr, sodass Kiki es schaffte für zwei Sekunden zu lächeln.

 

„Oh herrje, wie ist das passiert?“, fragte eine Oberstufenschülerin schockiert, als sie Kikis verletzten Fuß sah.

„Ich bin in eine Falle getreten und kann nicht mehr laufen“, schluchzte Kiki auf.

„Ihr seid doch in der Klasse von Frau Schellhardt, nicht wahr?“, hakte die ältere Schülerin nach und angelte ihr Handy aus der Westentasche.

„Ganau!", bejahte Lotta.

„Das war die Falle, in die unsere Freundin getreten ist“, hob Emily das schwere Ding aus Metall mit den scharfen Zacken hoch, welches die Roten Tulpen als Beweisstück mitgenommen hatten.

„Was für ein monströses Teil", brachte es die Zwölftklässlerin gerade so über die Lippen, ehe es ihr die Sprache verschlug. Dann entfernte sie sich zum Telefonieren ein Stück in Richtung Wegweiser.

„Okay, ich habe Frau Schellhardt informiert. Sie kommt gleich mit dem Auto vorgefahren“, kam die ältere Schülerin zurück und holte einen Campingstuhl für Kiki herbei.

 

„Hey, seht mal, was ich gefunden habe!“, stürzte Fianna aus dem Unterholz hervor, die sich für einen Augenblick von der Gruppe entfernt hatte.

„Das ist ja Lennards Busfahrkarte!“, Mathilda fielen fast die Augen aus dem Kopf.

„Ich wusste doch, dass etwas im Argen war“, schnaubte Fianna. „Dieses ständige Rascheln neben uns hat mich wirklich stutzig gemacht.“

„Diese verdammten Fischköppe sind uns nachgeschlichen“, explodierte Mathilda.

„Wahrscheinlich wollten sie uns den Sieg nicht gönnen, da sie selbst nicht teilnehmen durften“, regte sich Lotta auf.

„Bestimmt hatten sie Ferngläser dabei, sonst hätten sie uns niemals aus dieser Distanz verfolgen können", mutmaßte Emily. 

 

Im nächsten Moment erreichte die Gruppe von Pauline und ihren Freunden die Station.

„Was ist dir um Himmels Willen passiert?“, fragte Jule Kiki schockiert.

„Sie ist in eine Falle getreten“, sprach Emily für sie und zeigte den Mädchen das Beweisstück.

„Ach du Heilige! Das ist richtig übel“, fand Sina. „Die Falle mit ihren Zacken sieht so aus, als könnte man damit ganze Gliedmaßen abtrennen.“

„Das Gefühl hatte ich auch“, schniefte Kiki.

„Apropos, wir haben Jannis hier rumlungern gesehen“, warf Pauline ein.

„Nicht nur er, Lennart und Ömer waren auch dabei“, meldete sich Patrick zu Wort.

„Ich wusste es!", rief Mathilda laut in den Wald hinein, sodass die Umstehenden leicht zusammenzuckten.

 

Das Auto von Frau Schellhardt kam den Waldweg hinaufgefahren.

„Oh je, die Verletzung sieht richtig schlimm aus“, sagte die Klassenlehrerin, als sie aus dem Auto stieg. Emily hielt der Lehrerin die Falle unter die Nase.

„Das ist ja ein großes und gefährliches Ding“, wich Frau Schellhardt entsetzt zurück.

„Wir haben die Falle nur als Beweis mitgenommen“, sagte Emily. Frau Schellhardt warf einen näheren Blick auf Kiki klaffende Wunde, die inzwischen kaum noch blutete.

„Damit müssen wir unbedingt zur Notaufnahme waren. Die Wunde muss auf jeden Fall genäht werden“, stellte sie fachmännisch fest.

 

„Frau Schellhardt, wir wollen den Lauf an dieser Stelle beenden“, meldete sich Annemieke zu Wort.

„Das kann ich nach diesem Schock gut verstehen“, nickte die Lehrerin verständnisvoll.

„Stattdessen möchten wir Kiki lieber ins Krankenhaus begleiten“, meinte Emily.

„Tja, eure ganze Bande kann ich nicht mitnehmen, obwohl ich es gerne wollte, leider ist mein Auto zu klein. Ich bin stolz auf auch, dass ihr euch so aufopfernd um eure Freundin gekümmert habt. Aber zwei von euch dürfen mitfahren“, sagte Frau Schellhardt.

„Seid ihr einverstanden, wenn Matti und ich sie ins Krankenhaus begleiten?“, wandte sich Annemieke an die übrigen Roten Tulpen.

„Es ist okay, schließlich seid ihr Kikis beste Freundinnen“, war Emily sofort einverstanden. Gemeinsam hievten sie Kiki auf den Beifahrersitz, während die Zwillinge auf der Rückbank Platz nahmen.

„Der Waldlauf ist mir jetzt echt wurscht“, meinte Mathilda.

„Das sehe ich auch so, Kiki ist in diesem Moment viel wichtiger“, nickte ihre Zwillingsschwester. Zum ersten Mal schaffte es Kiki ein längeres, zaghaftes Lächeln über die Lippen zu bringen, obwohl ihr Fuß immer noch schmerzte.

 

Nachmittags saß Kiki mit einem dick verbundenen Fuß auf ihrem Bett und schaute sich eine neue DVD an. Aylin und Fianna waren zu Besuch gekommen und hatten ihr einen selbstgebackenen Kuchen auf ihren Nachttisch gestellt.

„Nimm dir es nicht so zu Herzen, dass wir den Lauf nicht vollenden konnten!“, versuchte Fianna sie mit einem Lächeln aufzumuntern. Nachdem die Schmerzen wegen eines Schmerzmittels nachgelassen hatten, überwogen bei Kiki die Wut und die Enttäuschung. Noch immer hatte sie rot geweinte Augen. Seitdem ihre beiden Freundinnen da waren, ging es ihr schlagartig besser.

„Überleg mal, was wir zusammen erreicht haben“, begann Aylin. Kiki und Fianna schauten sie fragend an.

„Wir haben wieder einmal felsenfest zusammen gehalten und gezeigt, dass wir eine richtige Bande sind. Uns war Kiki wichtiger als der Sieg“, sprach Aylin weiter.

„Das stimmt wohl, ohne euch wäre ich niemals alleine vom Fleck gekommen“, stimmte ihr Kiki zu.

 

„Dass wir die Karte für das Schwimmbad nicht gewonnen haben, ist unwichtig. Viel wichtiger ist, dass dein Fuß wieder schnell verheilt“, tätschelte Aylin ihre Schulter

„Trotzdem können wir uns demnächst einen Freundinnentag im Spaßbad gönnen. Schließlich kriegen wir alle Taschengeld und die Bandenkasse haben wir ja auch noch", meinte Fianna, worauf ihre Freundinnen nickten. 

„Am wichtigsten ist mir immer noch eure Freundschaft“, murmelte Kiki. „Ihr sechs seid die besten Freundinnen, die ich in meinem ganzen Leben je hatte!“

Ihre Freundinnen erwiderten nichts und nickten nur. Stattdessen nahmen Aylin und Fianna ihre Hände und hielten sie eine Weile fest. Kiki schloss kurz ihre Augen und genoss den Moment, in dem sie die Freundschaft besonders intensiv spürte.

„Nie wieder ohne euch!“, dachte sie. 

6. Konfrontationen und ein Geständnis

Am nächsten Tag konnte Kiki mit Krücken und einem Verband um ihren Fuß wieder zur Schule gehen. Frau Schellhardt opferte zwei Biologiestunden, um mit der Klasse über den Vorfall von gestern zu reden. Zufällig waren Jannis und Lennart heute krank.

„Es ist richtig entlarvend, dass ausgerechnet die Beiden fehlen“, wisperte Mathilda, die links neben Kiki saß.

„Von mehreren Schülern und Augenzeugen habe ich gehört, dass Lennart, Ömer und Jannis im Wald unterwegs waren“, begann die Klassenlehrerin. Ömer, der alleine mit Max in einer Bankreihe saß, begann sich immer unbehaglicher zu fühlen, als der Blick der Lehrerin zu ihm wanderte.

„Ich habe von einigen deiner Mitschüler gehört, dass du gestern gegen Mittag mit Lennart und Jannis im Wald unterwegs gewesen bist, Ömer“, fuhr Frau Schellhardt fort.

„Das war aber nicht meine Idee, ich habe die Falle nicht platziert“, schüttelte der Junge entrüstet den Kopf.

 

„Aber du warst dabei gewesen und das reicht allemal!“, erwiderte die Lehrerin scharf. „Eine Schülerin hat Lennards Busfahrkarte ganz in der Nähe der Falle gefunden. Ihr könnt euch nicht einfach aus der Sache herauswinden. Hierbei handelt es sich um keinen Kinderstreich, sondern um Körperverletzung. Wärt ihr schon 14 Jahre alt, könnten euch Kristinas Eltern deswegen anzeigen.“

Kiki merkte, dass Ömer Schwierigkeiten hatte die passenden Worte zu finden und unruhig auf seinem Stuhl hin und her kippelte.

„Aber das waren die Anderen!“, rief er laut.

„Wen meinst du mit „Die Anderen“?“, hakte Frau Schellhardt nach. Ömer wandte seinen Blick ab und hüllte sich in ein eisernes Schweigen.

„Pass auf, gleich verrät er seine Bandenbrüder?“, flüsterte Mathilda Kiki ins Ohr und konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen.

„Wenn du mir nicht antworten magst, spreche ich heute Nachmittag mit deinen Eltern“, drohte ihm die Klassenlehrerin und fügte hinzu: „Außerdem werde ich die Eltern deiner Freunde ebenfalls anrufen.“

 

In der Pause hatte die Bandenmädchen keine Ruhe vor den vier Piranhas, die hinter ihnen her schlichen. Jedes Mal wenn die sieben Freundinnen den Ort wechselten, standen die Fischköppe direkt hinter ihnen.

„Was soll das? Hört auf, uns hinterher zu rennen!", drehte sich Emily abrupt zu ihren Feinden um.

„Wieso müsst ihr gleich aus jeder Mücke einen Elefanten machen?“, fragte Sven stichelnd. In Kiki brodelte es vor Wut, gerade als sie ihm eine passende Bemerkung an den Kopf werfen wollte, kam ihr Annemieke zuvor.

„Das war keine Mücke!“, rief sie erbost. „Kiki hat sich bei eurer hirnverbrannten Aktion richtig verletzt.“

„Außerdem seid ihr zu feige es ehrlich zuzugeben!“, ergänzte ihre Zwillingsschwester. Wieder grinsten die vier Jungs dämlich.

„Euch hätte man diese Falle stellen müssen, damit ihr mal außer Gefecht gesetzt werdet!“, fauchte Fianna den Piranhas wütend ins Gesicht. Dies ließ die Jungs für kurze Zeit verstummen.

„Na gut, wir werden euch demnächst die ganze Wahrheit sagen“, gab sich Sven seufzend geschlagen.

„Was heißt denn bitteschön demnächst?“, unterbrach ihn Lotta unwirsch.

„Wir sagen es euch heute nach der Schule okay?“, schlug Max vor.

„Einverstanden!“, nahm Kiki den Kompromiss an. „Aber dann möchte ich auch eine vernünftige Entschuldigung von euch hören.“

„Mal sehen“, sagte Sven. „Schließlich ward ihr in letzter Zeit auch keine Engel in unserer Gegenwart. Wir haben euch noch gar nicht für unser pinkes Bandenquartier gedankt.“

 

„Das soll nun die Revanche für das Tohuwabohu in unserem Garten gewesen sein?“, erwiderte Emily schnippisch.

„Da seid ihr deutlich über das Ziel hinausgeschossen! Das ist kein alberner Jugendstreich mehr", knöpfte sich Lotta die Piranhas vor.

„Hättet ihr uns nicht dauernd aufgezogen, wäre es gar nicht zum Bandenkrieg gekommen“, warf Michael den Mädchen vor und versierte die Zwillinge an.

„Was starrt ihr uns so an?“, fragte Mathilda die Jungs pikiert. „Wollt ihr uns zu verstehen geben, dass Micky und ich mit dem ganzen Mist angefangen haben?“

„Sozusagen ja“, nickte Ömer. „Kiki und ihr Beide, seid die schlimmsten Giftspritzen eurer ganzen Bande.“

„Fianna und Lotta dürft ihr aber auch nicht außen vor lassen“, warf Max ein.

„Emily und Aylin sind zwar die Stillsten von ihnen, aber so brav wie sie sich geben, sind sie auf keinen Fall“, gab Michael seinen Senf dazu.

„Ihr Idioten, manchmal könnten wir euch den Hals umdrehen“, Kikis Stimme wurde bedrohlich leise.

„Seht ihr, eure Bandenqueen lässt sich wegen jedem Mist provozieren?!“, wandte sich Sven an die übrigen Mädchen.

„Ihr seid es doch, die uns gerade provozieren“, meldete sich die schüchterne Aylin zu Wort.

„Genau, ihr habt angefangen“, pflichtete ihr Lotta bei.

„Ihr habt euch schon mindestens vier Dinge zu Schulden kommen lassen“, begann Annemieke.

„Unser verwüsteter Garten, die Prügelei in der Schule, die nassen Klamotten der Mädchen in der Umkleidekabine und die Falle von gestern“, zählte Mathilda auf.

„Es steht 4:2 für euch in Sachen Dummheiten“, fasste Fianna zusammen.

 

„Kiki, warte kurz!", fing Sven sie nach Schulschluss ab, als sie zusammen mit Aylin und Emily aus der Schultür trat. 

„Was gibt es?", fragte sie genervt und sagte: „Ich habe nicht viel Zeit. Meine Mutter holt mich gleich ab."

„Du weißt doch wegen der Sache von gestern", begann Sven und räusperte sich kurz.

„Traut ihr euch endlich mit der Wahrheit rauszurücken?", starrte Kiki ihn und seine Kumpels finster an.

„Es tut mir aufrichtig leid, dass ich an der Aktion beteiligt. Wir haben uns zu diesem keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht", gab Ömer ihr die Hand. Kiki sah ihn mit versteinerter Miene an und war einen Moment lang unschlüssig, wie sie reagieren sollte. 

„Nimmst du die Entschuldigung an?", hakte Ömer nach.

„Muss ich ja wohl!", quetschte Kiki aus sich heraus, obwohl sie in ihrem Inneren ihnen diese Tat längst noch nicht verziehen hatte. 

 

„Ich wüsste nicht, ob ich euch an Kikis Stelle so schnell verzeihen könnte", warf Emily ein und wandte sich dann an die Piranhas: „Das nächste Mal denkt ihr bitte drüber nach, welche Folgen euer Handeln hat! Kiki wird mindestens zwei oder drei Wochen nicht zum Reiten und zum Kletterkurs können. Stellt euch vor, ihr verletzt euch, weil euch jemand so einen "Streich" spielt und könntet für ein paar Wochen nicht Fußball spielen."

„Jaaaaa, das haben wir doch schon längst verstanden!", murrte Ömer. 

„Eine Bitte habe ich noch an euch: Bitte lasst uns morgen zu Frau Schellhardt gehen und ihr das sagen, dass wir euch im Wald aufgelauert haben und euch die Falle quasi vor die Füße gelegt haben", sah Max Kiki und ihre beiden Freundinnen eindringlich an. 

„Ok, wir lassen euch den Vortritt", nickte Kiki. „Ich baue darauf, dass ihr ehrlich seid."

Im nächsten Moment musste sie sich auch schon von Emily und Aylin verabschieden, da ihre Mutter ihr vom Lehrerpark aus zuwinkte, die gleich mit ihr zum Arzt fahren wollte.

  

Am nächsten Tag gestanden Lennart, Ömer und Jannis vor der ganzen Klasse, die Falle absichtlich platziert zu haben und wurden daher eine Woche vom Unterricht ausgeschlossen. Ohne ihre Freunde waren Sven, Max und Michael nicht halb so schlimm. Nur ab und an machten sie einen blöden Kommentar, den die Bandenmädchen gekonnt ignorierten oder mit einem flotten Spruch konterten. Auch von Jolanda und ihren Freundinnen kamen keine bissigen Kommentare. Für einen Augenblick, wenigstens für wenige Tage schien Frieden in der Klasse eingekehrt zu sein.

 

7. Die Bandenfehde ist eröffnet

In den kommenden Tagen und Wochen investierten die Roten Tulpen mehr Zeit, ihren Feinden hinterher zu spionieren und sie auszuhorchen. Eigentlich war es Fiannas Aufgabe die Jungs zu beobachten, doch mittlerweile tat es die ganze Bande. Kiki war bewusst, ihre Freundinnen und sie mussten vor den Dummheiten der Jungs auf der Hut sein. Allein oder zu zweit blieben sie den Piranhas an den Fersen. Durch ihre Spionagekünste wussten die Mädchen genau, dass bei den Jungs neben Fußball aktuell auch Skateboardfahren hoch im Kurs stand. An einem kalten und regnerischen Tag am Ende Oktober versteckten sich Kiki und Fianna hinter einem Busch und schauten den Piranhas beim Basketballspielen mit den Zehntklässlern zu, während sie sich eine Tafel Vollmilchschokolade teilten.

 

„Hey, wisst ihr eigentlich schon, dass übermorgen die neue Skateanlage im Stadtpark eröffnet wird?“, wandte sich ein großer Schlacks mit einem quietschgelben Kappy und weißen Sneakern an die Piranhas.

„Klar, wir wollen auf jeden Fall dort eine Runde cruisen“, nickte Jannis.

„Was haltet ihr von einem richtig coolen Skateboard-Battle?“, schlug Sven vor.

„Klar, wir machen gerne mit“, nehmen die vier großen Jungs die Herausforderung an. 

„Ist 17 Uhr für euch okay?“, fragte Lennart.

„Einverstanden!“, nickte der Schlacks, der zwei Köpfe größer war als er.

„Was wollen diese kleinen Pökse von den großen Jungs?“, wisperte Kiki.

„Wahrscheinlich denken sie, dass sie besser Skateboard fahren können als sie“, erwiderte Fianna flüsternd.

„Das würde ich gerne sehen“, verdrehte Kiki die Augen.

„Klar, ich habe da auch schon eine Idee“, nickte Fianna und grinste dabei.

„Psst, sag es mir gleich, aber nicht jetzt!“, hielt sie ihre Freundin zurück. Einen Moment später klingelte es.

 

„Warte, bis die Fischköppe verschwunden sind. Sie dürfen uns unter keinen Umständen sehen!“, hielt Kiki Fianna am Arm zurück. Die beiden Freundinnen warteten einen Moment ab, bis die Piranhas ein Stückchen voraus gegangen waren und huschten in das Schulgebäude. Kiki hatte gehofft, dass ihre Klasse vor dem Kunstraum wartete und sie sich unauffällig unter ihre Mitschüler mischen konnten.

„Verdammt, Frau Breisinger ist mal wieder überpünktlich!“, zischte sie und klopfte an die Tür.

„Wo kommt ihr denn jetzt noch her?“, öffnete ihnen die ständig launische Kunstlehrerin die Tür.

„Wir mussten noch schnell zur Toilette“, fand Fianna schnell eine Ausrede.

„Das hättet ihr doch schon früher in der Pause machen können. Ihr besucht mittlerweile seit zwei Jahren diese Schule und müsstet daher wissen, dass der Gong die Pause beendet“, sah Frau Breisinger die beiden Mädchen streng an.

„Es tut uns leid, dass wir zu spät sind, aber auf dem Mädchenklo war ein ziemlich großer Andrang, sodass wir eine Viertelstunde warten mussten“, versuchte Kiki ihr zu erklären.

„Na gut, kommt rein!“, brummte die mürrische Lehrerin und machte hinter ihre Namen roten Striche.

 „Wo ward ihr?“, raunte Annemieke ihnen zu, als sie sich zu ihnen an den Gruppentisch setzten.

„Erzählen wir euch gleich“, erwiderte Kiki und holte ihren Farbkasten aus ihrem Fach.

„Können wir jetzt beginnen?“, drehte sich Frau Breisinger zu ihrer Klasse um. „Wie ihr seht, steht auf jedem Gruppentisch ein von mir zusammengestelltes Stillleben. Eure Aufgabe ist es, die Komposition aus eurer Sicht zu zeichnen.“

„Oh wie interessant! Eine Weinflasche, eine Orange und eine Zuckerdose!“, verdrehte Mathilda die Augen. Zum Glück hatte die Lehrerin ihren Kommentar nicht gehört und startete gerade den CD-Player. Die Musik von Mozart erfüllte den Raum.

 

„Was habt ihr herausgefunden?“, flüsterte Emily und schaute Kiki neugierig an.

„Moment, das schreibe ich eben auf“, wisperte Fianna und riss ein kariertes Blatt aus ihrem Block. Kaum hatte sie fertig geschrieben, reichte sie den Zettel an die Zwillinge weiter, die ebenfalls eine Nachricht unter. Der Zettel wanderte zwischen den Freundinnen hin und her. Kiki behielt Frau Breisinger im Auge, die Kunstlehrerin konnte sehr zynisch werden, wenn sie ihre Schüler beim Reden erwischte. Gleichzeitig brachte sie ihre ersten Pinselstriche zu Papier. Frau Breisinger war ebenfalls gerade dabei etwas zu zeichnen. Daher war Kiki beruhigt, dass sie es nicht mitbekam, dass an ihrem Gruppentisch ein Brief seine Runde machte. Fianna schob den zusammengefalteten Zettel auf Kikis Platz.

„Mach auf!“, forderte sie Kiki wispernd auf.

 

Fianna: Kiki und ich haben vorhin die Jungs auf dem Schulhof ausgehorcht. Sie wollen vier Jungs aus der zehnten Klasse zu einem Skateboardwettbewerb herausfordern. Übermorgen wollen sie sich um 17 Uhr auf der neuen Skateboardanlage im Stadtpark mit ihnen treffen.

Matti: Prima, ich will mir ansehen, wie die Fischköppe sich vor meinen Augen auf die Klappe legen.

Micky: Wisst ihr, dass übermorgen Halloween ist?

Emily: Cool, dann können wir einen gehörigen Schrecken einjagen und das wird lustig.

Lotta: Am besten nehmen wir noch ein paar Wasserpistolen mit, um ihnen ihre verdiente kalte Dusche zu verpassen.

Aylin: Aber verkleiden müssen wir uns auch.

Fianna: Na klar, ein altes Bettlaken wird wohl jede von uns haben oder?

Micky: Aber sieben Gespenster? Das ist doch langweilig.

Emily: Ich werde als Horrorbraut gehen. Ich habe noch mein Wahrsagerinkleid vom letzten Karneval und dazu werde ich mich schaurig schön schminken.

Matti: Zuhause fliegt im Keller ein Plastikkürbis herum, den man sich auf den Kopf setzen kann. Darin sehe ich bestimmt lustig aus.

Micky: Ich glaube, eine Ganovenmaske haben wir auch, die werde ich dann tragen.

Lotta: Okay, ich verkleide mich als Vogelscheuche oder vielleicht auch als Fledermaus.

 

Ok, ich werde im Hexenkostüm auflaufen. Dann lass uns übermorgen um 16 Uhr am Wohnwagen treffen“, setzte Kiki untendrunter. Gerade als sie fertig geschrieben hatte, beugte sich Frau Breisinger über ihre Schulter.

„Darf ich sehen, was ihr gerade macht?“, fragte die Kunstlehrerin pikiert. Aus Reflex zerknüllte Kiki den Zettel und wollte ihn im Müll entsorgen, als ihr einfiel, dass dies doch keine so gute Idee war.

„Ich sehe, dass ihr euch um euren privaten Kram gekümmert habt und kaum etwas zu Papier gebracht habt und das geht so nicht“, regte sich die Lehrerin auf. „Wollt ihr alle die Note ungenügend haben?“

Den Bandenmädchen fehlten die Worte. Kiki war es mehr als peinlich, dass sie erwischt worden war.

 

„Darf ich euren Brief sehen?“, die Lehrerin wollte sich gerade den zerknüllten Zettel schnappen, als Kiki gerade noch rechtzeitig zugreifen konnten.

„So eine bodenlose Unverschämtheit lasse ich mir nicht bieten, Kristina!“, schimpfte die grantige alte Dame los.

„Aber unsere Geheimnisse gehen Sie nichts an!“, kam Mathilda Kiki zuvor.

„Wenn du es wagst, noch einmal in diesem Ton mit mir zu reden, fliegst du raus!“, drohte Frau Breisinger und fuhr im scharfen Ton fort: „Nur weil ich beschäftigt bin, müsst ihr nicht glauben, dass ihr meine Kunststunden mit einem Kaffeeklatsch verwechseln zu müssen. Da ihr nicht arbeitet und mir gegenüber frech werdet, sehe ich mich gezwungen, euren Klüngel an die anderen Gruppentische zu verteilen.“

„Klüngel"? Kiki glaubte sich verhört zu haben. Hatte diese alte Hexe ihre Bande als „Klüngel“ abgestempelt? Wütend verstaute Kiki ihren Zettel in ihrer Tasche und setzte sich mit einem grimmigen Gesicht neben Finn. Bandenvorhaben in der Schule zu besprechen war doch keine gute Idee. Das musste sie sich für die Zukunft merken.

 

Maskiert und verkleidet schwangen sich die Freundinnen am Halloweentag auf ihre Fahrräder. Im Wohnwagen hatten sie sich zuvor gegenseitig kostümiert und sich schaurig schön geschminkt. Kiki und Aylin machten als Hexen eine ausgezeichnete Figur. Lotta hatte sich doch als Vampir verkleidet und konnte wegen ihrer künstlichen Zähne nur undeutlich sprechen. Die Zwillinge hatten sich beide Ganovenmasken aufgesetzt und waren ganz in schwarz gekleidet. Emily übertrumpfte ihre Freundinnen bei weitem, als Horrorbraut konnte man beinahe Angst vor ihr bekommen. Nur Fianna hatte ihr Kostüm noch nicht angezogen, da das Bettlaken sie beim Fahrradfahren störte. Bis zum Stadtpark war es vom Wohnwagen aus nur ein Katzensprung. Kiki und ihre Freundinnen versteckten ihre Fahrräder in einem Busch unweit des Spielplatzes.

„Lasst uns zum Spielplatz gehen, von dort können wir die Jungs super beobachten“, wisperte Aylin.

„Nein, auf dem Spielplatz werden wir sofort entdeckt“, schüttelte Mathilda den Kopf.

„Wir schleichen uns durch die Büsche, so bleiben wir unbemerkt“, beschloss Kiki und schritt voran.

 

„Au! Ich bleib mit dem Laken in den Dornen hängen“, fluchte Fianna leise, die sich ihr Gespenstkostüm gerade übergezogen hatte. Kiki war insgeheim froh, dass nicht so ein unkomfortables Gewand tragen musste, womit sie an jedem Ast hängen blieb.

„Raschelt nicht so laut!“, legte Annemieke ihren Zeigefinger auf ihre Lippen. Die Mädchen bewegten sich im Zeitlupentempo vorwärts und mussten höllisch aufpassen, dass die Zweige und Äste unter ihnen nicht zu laut knackten.

„Hier haben wir gute Sicht“, raunte Lotta, die mit ihren beiden Zöpfen, dem schwarzen Fledermausgewand und ihrer rotweiß geringelten Strumpfhose perfekt in einem Vampirfilm mitspielen konnte.

„Habt ihr eure Wasserpistolen dabei und aufgefüllt?“, flüsterte Emily.

„Die haben wir!“, nickte ihre Freundinnen sechsstimmig. Jede von ihnen hatte zuhause eine Wasserpistole gefunden, wobei Fianna die Größte von allen hatte. Kiki wusste, dass Fianna sie sich von ihrem Zwillingsbruder geliehen hatte. Das Tageslicht schwand von Minute zu Minute mehr. Trotzdem wollten die Mädchen den passenden Moment abwarten.

 

Die Piranhas und die vier großen Jungs aus der zehnten Klasse forderten sich gegenseitig auf der Skateanlage zu waghalsigen Kunststücken heraus, wobei den Mädchen vor Staunen der Mund offen stehen blieb. Nur Michael, der nicht gerade wegen seiner Sportlichkeit bekannt war, rollte etwas abseits auf seinem Skateboard hin und her. Jannis, dem das Board unter seinen Füßen klebte, maß sich mit dem Jungen, den sie nur Nick nannten. Kiki und ihre Freundinnen tauschten sich untereinander fiese Blicke aus.

„Die Fischköppe wissen nicht, was auf sie zukommt“, dachte Kiki bei sich und ging auf ihre Position.

„Ihr schießt zuerst, bevor wir uns aus dem Gebüsch stürzen!“, gab Kiki den Zwillingen das Kommando.

„Ai ai Käpt’n Kiki!“, grinsten die beiden verkleideten Ganovinnen. Mathilda versierte Jannis an und zielte. Der erste Wasserstrahl ging knapp an seinem Gesicht vorbei und traf stattdessen einen der großen Jungs. Annemieke hatte mehr Glück und erwischte Jannis mitten im Gesicht.

„Aaahh, was ist das denn?“, schrie er und fuchtelte erschrocken mit seinen Armen, dabei riss er den Jungen mit dem gelben Kappy zu Boden.

„Ey, du Spacken, kannst du nicht aufpassen?“, beschwerte sich dieser. Mit einem Kriegsgeheul kamen die Roten Tulpen aus der Deckung gestürzt und begannen mit ihren Wasserpistolen auf die Jungs zu zielen.

„Was ist das denn?“, rief einer der Zehntklässler.

„Hilfe, wir haben heute Halloween?“, entfuhr es Jannis erschrocken. Mit einem breiten Grinsen beobachtete Kiki das Durcheinander und wie sich die Jungs vor Schreck gegenseitig zu Boden rissen und beschimpften.

„Was seid ihr denn für blöde Kleinkinder?“, herrschte einer der großen Jungs Sven und Ömer an.

 

„Seht mal, jetzt gehen sie sich gegenseitig an die Gurgel!“, freute sich Emily. Der Halloweenstreich hätte beinahe geklappt, wenn Fianna nicht mit ihren Gewand an einem Ast hängen geblieben wäre und ihr das Laken vom Kopf riss.

„Diese Schlangen, wir kriegen sie dran!“, brüllte Max los, der Jagd auf Fianna machte und ihr die Wasserpistole aus der Hand riss. Lotta stellte ihm geistesgegenwärtig ein Bein, sodass er im Fallen die erbeutete Waffe los ließ und Aylin sich die Wasserpistole schnappen konnte.

„Mist, sie haben uns erkannt!“, wisperte Annemieke. „Wir müssen uns davon machen!“

„Ihr blöden Ziegen, kommt nicht ungeschoren davon!“, rief Lennart zornig und schnappte mit Aylin die kleinste Rote Tulpe. Während Annemieke, Emily, Fianna und Lotta zu ihren Fahrrädern rannten, wurden Mathilda und Aylin von den Jungs festgehalten. Kiki konnte ihre Freundinnen nicht im Stich lassen. Da Aylin die Kleinste von allen war, beschloss sie ihr zuerst zu helfen. Mit voller Wucht sprang sie Lennart in den Rücken, sodass er auf die Seite fiel und Aylin sich befreien konnte.

„Lauf Aylin, lauf!“, rief ihr Kiki hinterher.

 

Gerade als sie aufstehen wollte, wurde sie von Ömer zu Boden gedrückt.

„Glaub nicht, dass du einfach so abhauen kannst!“, grinste er fies.

„Zwei gegen eins ist fies!“, beschwerte sich Kiki, die kaum noch atmen konnte, weil Lennart auf ihrem Oberkörper saß. Mathilda ging es nicht besser, sie wurde gleich von drei Jungen festgehalten. Damit sie nicht schreien konnte, hielt ihr Sven den Mund zu.

„Michi, bitte hole die Fahrräder der Mädchen!“, kommandierte Jannis.

„Wollt ihr unsere Fahrräder verstecken?“, konnte sich Kiki nicht mehr beherrschen. Die Wut verlieh ihr Flügel, sodass sie wenigstens Lennart abschütteln konnte.

„Woher wisst ihr, dass wir mit dem Fahrrad unterwegs sind?“, fragte sie besonnener.

„Weil wir gesehen haben, wie eure feigen Freundinnen mit ihren Fahrrädern abgehauen sind“, erwiderte Sven.

 

„Nun seid ihr unsere Geiseln!“, sagte Jannis kühl.

„Wie bitte?“, fauchte Mathilda, der man mittlerweile ihre Maske vom Gesicht gezogen hatte.

„Ruhig Mädchen, reg dich nicht unnötig auf!“, legte ihr Sven den Arm auf die Schulter.

„Wie soll ich denn da bitteschön ruhig bleiben?“, war Mathilda auf einmal den Tränen nah. Dennoch zwang sie sich, nicht vor den Jungs zu weinen und blieb tapfer.

„Was wollt ihr eigentlich von uns?“, fragte sie und klang wieder besonnen.

„Sagt uns bitte, was ihr von uns wollt!“, wiederholte Kiki die Frage noch einmal.

„Das wirst du schon sehen, Pocahontas!“, lachte Jannis fies. Michael kam seinen Freunden mit den Fahrrädern der Mädchen entgegen.

„Aufbruch!“, verkündete Jannis. Max und er packten Kiki an den Armen. Stur blieb Kiki an Ort und Stelle stehen.

„Ihr kriegt mich nicht weg!“, sagte sie hitzig und trat Ömer vor das Schienbein.

„Spinnst du?“, explodierte er.

„Wenn ihr mich noch länger festhaltet, trete ich noch einmal zu!“, zischte Kiki. Sven und Ömer kümmerten sich derweil um Mathilda, die ihnen wutentbrannt die heftigsten Schimpfworte an den Kopf warf.

 

„Wenn ihr weiterhin so ein Theater macht, bekommt ihr das hier in die Fresse!“, drohend hob Lennart einen großen Stock in die Höhe. Kiki hoffte, dass sie einem Fußgänger begegnen würde, der die Jungen zur Rede stellte oder doch gleich die Polizei rief. Anscheinend war bei diesem diesigen und nieseligen Wetter niemand unterwegs. Noch nicht einmal ein Herrchen oder ein Frauchen ging mit seinem Hund Gassi. Sie hatten es satt, sich wie eine Geisel behandeln zu lassen und den Launen ihrer Feinde schutzlos ausgeliefert zu sein. Mathilda und Kiki gaben auf, sich gegen ihre Feinde zu wehren. In Unterzahl waren sie eh machtlos. In diesem Moment ärgerte sich Kiki über ihre anderen Freundinnen, die Mathilda und sie einfach im Stich gelassen hatten. Wären die anderen Roten Tulpen noch geblieben, wäre es zu keiner Entführung gekommen. Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch trotteten die entführten Mädchen weiter.

 

Die Odyssee endete im Bandenquartier der Piranhas.

„Hier bleibt ihr erstmal!“, bestimmte Sven.

„Wollt ihr uns einsperren und einfach verduften?“, rief ihm Mathilda zornig hinterher.

„Wir haben Hunger und gehen erstmal etwas essen“, grinste Michael schadenfroh. Hinter den Mädchen fiel die Tür ins Schloss.

„Lasst uns durch das Fenster abhauen!“, flüsterte Mathilda und versuchte das Fenster weiter aufzumachen.

„Verdammt, das geht nicht weit genug auf, da passen wir niemals durch“, schimpfte sie und ruckelte unermüdlich am Fenster herum.

„Es bringt nichts!“, schüttelte Kiki resigniert den Kopf. Mathilda riss in rasender Wut ein Poster des ersten FC Bayern München von der Wand.

„Wie sehr ich diesen Scheißverein hasse!“, zischte sie.

„Fährst du auch auf diesen Fußballschwachsinn ab?“, fragte Kiki müde.

„Nur ein bisschen, da mein Vater sich fast jedes Spiel ansieht, sind wir manchmal gezwungen mitzuschauen“, erwiderte ihre Freundin und setzte sie neben die auf die alte Ledercouch. Die Zeit verstrich und die Piranhas kamen selbst nach einer halben Stunde nicht wieder.

„Hast du ein Handy dabei? Meins hängt zuhause am Ladekabel“, tickte sie Mathilda an.

„Ja, aber ich kann niemanden anrufen, denn ich habe kein Guthaben mehr“, seufzte ihre Freundin. Plötzlich stieg eine irre Wut in Kiki hoch, zwar nicht nur wegen der Piranhas, sondern auch wegen ihrer anderen Freundinnen.

„Ich könnte unseren Bandenfreundinnen den Hals umdrehen und die feigen Nüsse danach am Materfahl aufhängen!“, rang sie mit ihrer Fassung und konnte nicht verhindern, dass ihr eine dicke Träne ihre Wange herunterrollte und auf das Hexenkostüm tropfte.

 Mathilda, die in diesem Moment sehr feinfühlig war, nahm ihre Freundin fest in den Arm und gab ihr ein Taschentuch. Kiki drückte ihr Gesicht in Mathildas schwarzen Wollpulli und ließ vor Enttäuschung ihren Tränen freien Lauf.

 

„Ich dachte, wir wären eine Bande, die zusammenhält. Aber von Zusammenhalt habe ich gar nichts gemerkt“, schluchzte sie heftig los.

„Ich glaube, die Anderen hatten in dem Moment nur große Angst gehabt, da die Großen noch dabei gewesen sind“, versuchte ihre Freundin ihr zu erklären.

„Aber die großen Jungs haben sich vom Acker gemacht und unsere Mädels auch. Ich habe mich für Aylin aufgeopfert, da sie die Kleinste von uns allen ist und körperlich keine Chance gegen die Fischköppe hat. Aber was machen unsere tollen Freundinnen? Sie verziehen sich einfach“, schniefte Kiki.

„Überleg mal, vielleicht holen sie bereits Hilfe!“, strich ihr Mathilda über den Rücken.

„Wenn sie Hilfe holen würden, wären sie schon längst da oder würden dir eine Nachricht schreiben.“

Hilflos hockten die beiden Mädchen auf dem Sofa. Inzwischen war eine Dreiviertelstunde vergangen und die Mädchen bekamen langsam Hunger und Durst. Kiki war sich sicher, dass sie es nicht mehr pünktlich bis zum Abendessen nach Hause schaffen würde.

„Ich werde meinen Vater vorschicken, damit er die Jungs gepflegt auf den Pott setzt und ihnen die Ohren lang zieht!“, flammte Mathildas Zorn wieder auf.

 

Auf einmal hellte sich Kikis Gesicht auf.

„Wir schreien alle Schimpfwörter aus uns raus, die uns einfallen!“, wisperte sie.

„Ihr verdammten Fischköppe, wir killen euch und machen Rollmops aus euch!“, brüllte Mathilda los, sodass Kiki sich fast die Ohren zuhalten musste.

„Never ever, Fischstäbchen schmecken tausendmal besser“, rief Kiki laut.

„Ich bestehe immer noch auf Rollmops!“, ließ sich Mathilda nicht beirren.

„Bah! Rollmops ist widerlich“, protestierte Kiki.

„Du hast bloß keine Ahnung, was gut ist!“, warf ihr Mathilda an den Kopf. Im Eifer des Gefechts merkten die beiden Freundinnen nicht, dass die Seitentür von der Garage aufgerissen wurde.

„Was geht hier vor sich? Was habt ihr zu suchen und wer seid ihr?“, baute sich ein blonder Mann vor ihnen auf, der Svens Vater sein musste.

„Wir sind Svens Klassenkameradinnen. Die Jungs haben uns hier vorhin eingesperrt“, fand Mathilda als Erste ihre Sprache wieder.

„Stimmt das?“, stutzte der Mann.

„Das ist wahr, Sven und seine Freunde haben uns hier hin verschleppt und uns hier drinnen eingesperrt“, nickte Kiki.

„Ok, dann könnt ihr wieder gehen, ihr seid jetzt frei“, sagte er. „Meinem Sohn werde ich einen dicken Einlauf verpassen, dass er es gewagt hat, zwei Klassenkameradinnen einzusperren.“

 

Am nächsten Tag war Kiki immer noch gekränkt. Statt mit Fianna und Aylin, arbeitete sie in Englisch freiwillig mit Sina und Jule zusammen. In den ersten Stunden redete sie kein Wort mit ihrer Bande und ging in der ersten Pause mit Freya über den Schulhof.

„Wahrscheinlich sind sie wegen gestern zerstritten“, lästerte Jannis und Sven grinste schadenfroh, als sie an Kiki vorbei gingen. Mathilda schien nicht mehr besonders sauer zu sein und versuchte Kiki den ganzen Vormittag dazu zu bringen, wieder mit den anderen Mädchen zu reden. In der zweiten großen Pause riss ihr Geduldsfaden und sie zerrte Kiki sogar zu ihrer Bande hin.

„Der blöde Beef hat nun ein Ende!", beschloss Mathilda selbstbewusst. Sie schob Kiki zwischen sich und Aylin in den Kreis, sodass sie keine andere Wahl hatte.

„Es tut uns wirklich leid, dass wir euch nicht helfen konnten, Kiki“, entschuldigte sich Annemieke. „Wir haben gedacht, dass sich die großen Jungs auf uns stürzen.“

„Aber die Großen sind gegangen, ohne uns zu beachten“, erwiderte Kiki hitzig.

 

„Wir waren alle etwas durcheinander“, klang Aylin betroffen. „Wir sind in alle Himmelsrichtungen geflohen und haben nicht mehr aufeinander geachtet.“

„Das haben wir wohl gemerkt“, starrte Kiki sie düster an.

„Komm, sei wieder unsere Freundin!“, bettelte Lotta.

„Als unsere Anführerin bist du für uns unverzichtbar“, pflichtete ihr Emily bei.

„Außerdem lachen die Jungs tot, wenn wir uns streiten und ignorieren“, meinte Mathilda.

„Nimmst du das an?“, Fianna brach ihren Karamellriegel entzwei. Kiki nickte und die Roten Tulpen fielen nach und nach in eine große Bandenumarmung ein. 

8. Fieses Spiel

Nachdem sich beide Banden seit mehr als zwei Monaten in den Haaren gehabt hatten, waren beide Parteien auf einmal kriegsmüde.

„Ich habe keine Lust mehr, meine Nachmittage mit Rachepläne und Streichen zu vergeuden. Ich habe in letzter Zeit zu viele Hausaufgaben liegen gelassen, um an unseren Bandenaktionen teilzunehmen. Die Quittung habe ich bereits bekommen: zwei Vieren und zwar in Physik und Mathe“, erklärte Annemieke ihren Freundinnen beim nächsten Bandentreffen. Kiki hatte in den letzten Klassenarbeiten nicht besser abgeschnitten, bei ihr waren viele Dreien und Vieren dabei gewesen. In Erdkunde bekam sie gestern eine Fünf wieder, die erste Fünf ihres Lebens. Noch im letzten Schuljahr hatte sie noch viele Zweien auf dem Zeugnis gehabt. Ihre Mutter machte ihr natürlich Vorwürfe und wollte ihr beinahe verbieten, dass sie ihre Nachmittage mit der Bande verbrachte.

 

Lottas Eltern waren sogar noch strenger. Aufgrund einer Fünf in Englisch und einer Vier Minus in Physik wurde Lotta zu einer Woche Hausarrest verdonnert. Erst im Nachhinein fiel den Freundinnen auf, wie sehr sie die Schule wegen ihrer Bande vernachlässigt hatten. Deshalb gingen die Mädchen wieder ihrem geregelten Alltagsleben nach. Von Montag bis Donnerstag saßen sie nachmittags an ihren Hausaufgaben und lernten für die nächsten Arbeiten. Zwischendrin guckte immer ein Mädchen bei den Kaninchen dem Rechten. Der Freitag wiederum gehörte ganz den Roten Tulpen. Nachmittags gingen sie zusammen reiten und trafen sich danach im Wohnwagen zum Kuchenessen. Sofern es an den Wochenenden möglich war, trafen sich die Freundinnen, um gemeinsam Shoppen zu gehen oder sich die neusten Filme im Kino anzusehen.

 Einmal trafen sich die Mädchen an einem Sonntag zum Adventsbacken. Allerdings ging das ein wenig schief, da sich Mathilda im Rezept verguckt hatte und die Plätzchen viel zu lange Ofen blieben, sodass eine Rutsche komplett verbrannt war. Immerhin hatten die Mädchen genug Teig, sodass sie noch weitere köstliche Weihnachtskekse backen konnten. Die Piranhas interessierten die Bandenmädchen nicht sonderlich, obwohl sie die frechen Jungs aus ihrer Klasse immer noch nicht leiden konnten. Aus Kikis Sicht war wieder so etwas wie Ruhe eingekehrt, obwohl es zwischen ihnen und den Piranhas immer noch schwelte. Ihr war bewusst, dass dieser Vulkan bei jedem kleinsten Anlass wieder ausbrechen konnte.

 

Am Montag nach dem ersten Advent schrieb Kikis Klasse die zweite Biologie-Klassenarbeit in diesem Schuljahr, in der es um Fotosynthese und das Wachstum von Pflanzen ging. Erst gestern hatten sich Kiki und die Zwillinge bei Emily zum Lernen getroffen und zwei Stunden lang die Grundlagen gepaukt. Nachdem sie in der ersten Klassenarbeit nur um einen Punkt die Zwei verpasst hatte, fühlte sich Kiki diesmal besser vorbereitet.

„Wie heißt der Farbstoff, der die Blätter grün färbt?“, kramte Lotta in ihrem Ordner.

„Chlorophyll“, kam es gleichzeitig von Kiki und Fianna wie aus der Pistole geschossen.

„Wann gibt die Pflanze Sauerstoff ab?“, stellte Emily die nächste Frage.

„Tagsüber, wenn die Sonne scheint und gleichzeitig wird durch ein Enzym Kohlenstoffdioxid aufgenommen, das für die Bildung von Traubenzucker von großer Bedeutung ist“, wusste Annemieke. Sie war innerhalb der Bande die Expertin für Biologie.

 

„Bravo Micky, wir sind uns sicher, dass du die nächste Eins schreiben wirst“, klopfte ihr Fianna anerkennend auf die Schulter.

„Na, habt ihr euch in den „Club der Streberinnen“ umbenannt?“, stichelte Jolanda los, aber Kiki ließ sich von der Queen des Tussenkomitees nicht ärgern.

„Was ist dir wichtiger, Jolanda, mehr Stoff in deinen Einkaufstaschen oder in deinem Kopf?“, fragte Mathilda sie schlagfertig.

„Blöde Kuh!“, schnaubte Jolanda und drehte sich weg.

„Was wird für die Fotosynthese unbedingt gebraucht?“, machte Kiki weiter.

„Kohlenstoffdioxid, Wasser und Sonnenlicht“, war Aylin am schnellsten. Frau Schellhardt kam und schloss den Bioraum auf. Friedlich setzten sich die Schüler in die Bankreihen. Freya und Pauline holten die Klassenarbeitshefte aus dem Schrank und verteilten sie an ihre Klassenkameraden.

„Wir gehen in Ruhe die Aufgaben durch und wenn ihr Fragen habt, könnt ihr euch melden“, wandte sich Frau Schellhardt an ihre Schüler. Kiki drehte ihren Zettel um. Die Aufgaben auf der ersten Seite sahen zumindest relativ leicht aus.

 

„Okay, die Zeit läuft ab jetzt, nach der zweiten Stunde ist Abgabezeit. Wer schummelt, indem er abschreibt oder einen Spickzettel dabei hat, bekommt sofort eine Sechs“, kündigte ihre Klassenlehrerin an. Kurz darauf war nur zu hören, wie das Papier raschelte und die Schüler schrieben. Die Arbeit lief für Kiki wie am Schnürchen. Insgeheim war sie froh, dass sie gestern den ganzen Nachmittag mit ihren Freundinnen gepaukt hatte. Nur die letzte Aufgabe war ziemlich knifflig, da musste sie eine ganze Weile nachdenken und erstmal einen Schluck Wasser aus ihrer Flasche nehmen. Sie reimte sich aus ihrem Wissensstand eine Antwort zusammen, obwohl sie nicht im Geringsten wusste, ob es annähernd richtig war. Es klingelte zur großen Pause. Auf Frau Schellhardts Pult wuchs der Stapel von Arbeitsheften ihrer Schüler.

 

„Wie ist bei euch die Arbeit gelaufen?“, fragte Lotta in die Runde. „Ich habe ein sehr gutes Gefühl.“

„Nur mittelmäßig“, zuckte Aylin mit der Schulter.

„Und bei euch, Zwillinge?“, wollte Emily wissen.

„Auch gut“, nickten beide Schwestern gleichzeitig.

„Und wie war es bei dir, Kiki?“, wollte Fianna wissen.

„Ich fand die Arbeit bis auf die letzte Aufgabe ziemlich leicht“, sagte sie.

„Ich denke, die letzte Aufgabe wird eh fast keiner richtig haben“, meinte Emily und hängte sich auf dem Weg zur Cafeteria bei den Zwillingen ein. 

„Die Milchschnitten haben wir uns jetzt wirklich verdient", griff Fianna in der Pausenhalle nach Kikis Hand und zog sie gutgelaunt mit sich.

„Die Milchschnitten gehen auf mich", verkündete Lotta. „Schließlich war ich am Wochenende bei meinen Großeltern eingeladen und bekam von meinen ganzen Verwandten ordentlich Taschengeld in die Hand gedrückt."

 

Drei Tage später bekamen die Schüler die Bioarbeit in der sechsten Stunde zurück. Kiki und ihre Freundinnen waren sehr überrascht, wie in welchem atemberaubenden Tempo Frau Schellhardt die Arbeiten korrigiert hatte.

„Ich kann euch sagen, dass die Arbeit relativ gut ausgefallen ist. Eine Eins, viele Zweien und Dreien. Ein paar Vieren und zwei Fünfen. Leider war dieses Mal auch ein Täuschungsversuch dabei, den ich mit Sechs werten musste“, richtete sich die Klassenlehrerin an ihre Schüler und schrieb den Notenspiegel an die Tafel.

„Annemieke, könntest du mit mir kurz vor die Tür gehen?“, forderte sie die Schülerin auf. Überrascht stand Kikis Freundin auf und folgte ihr nach draußen.

„Nanu, was hat sich Micky zu Schulden kommen lassen?“, wunderte sich Mathilda.

„Ich weiß nicht“, zuckte Kiki mit ihrer Schulter. Finn teilte die Hefte aus. Schwupps! Kikis Heft landete auf ihrem Tisch.

„Wollen wir gemeinsam nachschauen?“, stupste Mathilda sie an. Auf Drei öffneten die Mädchen ihre Hefte. Beide hatten eine Zwei.

„Yeah! Das Lernen hat sich gelohnt“, gab Mathilda ihr einen Highfive.

 

„Lotta hat die Eins!“, wisperte Fianna.

„Und welche Note hast du?“, wollte Kiki wissen.

„Eine Zwei Minus“, erwiderte Fianna. Auch Aylin und Emily waren mit einer Drei hochzufrieden.

„Merkwürdig, was macht Micky so lange vor der Tür?“, murmelte Fianna, die sich offenbar auch wunderte.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie etwas verbrochen hat“, schüttelte Aylin den Kopf. Einen Moment kam ihre Freundin kreidebleich im Gesicht und mit zusammengepressten Lippen wieder in den Biologiesaal. Kiki sah auf dem ersten Blick, dass sie todunglücklich aussah. 

„Was ist los, Schwesterherz?“, legte ihr Mathilda den Arm um die Schulter. Annemieke antwortete nicht und zeigte ihr die kalte Schulter.

„Lass sie in Ruhe, wahrscheinlich will sie darüber nicht sprechen!“, redete Kiki auf Mathilda ein. Nach langen zwanzig Minuten klingelte es endlich zum Schulschluss. Eigentlich hätten sie noch eine Stunde Musik gehabt, doch ihre Musiklehrerin war krank geworden. Direkt nach dem Klingeln rannte Annemieke los, als hätte sie es sehr eilig.

„Micky, warte doch auf mich!“, wetzte ihr Mathilda hinterher. Kiki und der Rest der Bande folgten ihr. Draußen vor der Schulmauer hatten sie Annemieke eingeholt und zu sechst umringt.

„Was ist um Himmels Willen los mit dir?“, legte Emily ihren Arm um ihre schnell atmende Freundin.

 

„Frau Schellhardt bezichtigt mich, dass ich einen Täuschungsversuch begangen habe“, stammelte Annemieke.

„WAS? Das kann nicht sein? Niemals!“, fiel Mathilda aus allen Wolken.

„Doch, in meinem Heft wurde auf der letzten Seite ein Spickzettel eingeklebt, der noch nicht einmal von mir stammt und ich blöde Kuh habe es nicht gemerkt“, fuhr Annemieke hitzig fort: „Ich habe bestritten, dass ich gemogelt habe und daraufhin habe ich mich mit Frau Schellhardt angelegt. Ich muss mir die Arbeit von meinen Eltern unterschreiben lassen und unsere Klassenlehrerin will auch noch zuhause anrufen. Meine Eltern werden mich umbringen, wenn ich wieder eine schlechte Nachricht nach Hause bringe. Es hat schon gereicht, dass wir uns vor knapp drei Monaten mit den Jungs geprügelt haben.“

 

„Darf ich mal sehen, wie der Spickzettel aussieht?“, bat Kiki, worauf ihr Annemieke wortlos das Heft reichte.

„Das ist nicht deine Schrift! Deine ist längst nicht so verschnörkelt“, schüttelte Kiki heftig den Kopf und sagte: „Außerdem schreibst du nicht mit einem pinken Gelstift.“

„Wir glauben dir hundert pro, dass du den Täuschungsversuch nicht begangen hast. Wir kennen dich als ehrliche Person“, nahm Fianna sie in den Arm.

„Wir müssen eine Schriftvergleich machen“, schlug Lotta vor. „Denn wir müssen Micky schleunigst entlasten.“

„Ich kann mir denken, wer es war“, meldete sich Emily zu Wort. „Mit wem haben wir dauernd Probleme?“

„Ach, du meinst wohl die Fischköppe“, sagte Lotta und verstummte, als sie Jannis, Sven und Michael bei den Fahrradständern entdeckte.

„Wenn sie mit Micky so ein gemeines Spiel spielen, bekommen sie es mit all ihren Freundinnen zu tun!“, ballte Kiki ihre Hand zu einer Faust.

 

„Wenigstens glaubt ihr mir. Unsere Lehrerin hat mir zudem unterstellt, dass eine von euch den Zettel geschrieben haben könnte und ich ihn mir danach ins Heft geklebt habe“, setzte Annemieke kurz ein falsches Lächeln auf, obwohl ihr die Tränen in den Augen standen. Kiki spürte, dass es ihr schwer fiel sich das Weinen zu verkneifen.

„So eine bodenlose Unverschämtheit!“, stampfte Emily mit ihrem Fuß auf.

„Das fiele uns nicht einmal im Traum ein“, beendete Aylin ihren Satz.

 

Getroffen verabschiedeten sich die Mädchen voneinander und entfernten sich in alle Richtungen. Kiki fuhr nur halbzufrieden nach Hause. Sie konnte einfach nicht richtig glücklich sein, wenn einer Freundin so ein Unrecht angetan wurde. Kiki kannte sie schon seit der vierten Klasse und wusste, dass Annemieke nicht schummelte oder einfach dreist abschrieb. Ihrer Meinung hatte so ein kluges Mädchen das auch nicht nötig. Schweigend betrat sie die Küche.

„Hi, wie war es in der Schule? Übrigens Mama hatte noch einen Termin“, begrüßte Mirja sie. Kiki tat sich einen Teller voll Nudelsuppe auf und schnitt sich eine Scheibe Brot ab.

„Naja, so wie immer“, brummte sie.

„Gab es heute wieder eine Arbeit zurück?“, wollte ihre Schwester wissen.

„Doch, es gab Bio zurück und ich habe eine Zwei“, nickte Kiki und tat so, als wäre es für sie bedeutungslos.

„Freust du dich nicht? Eine Zwei ist doch prima“, verwunderte schaute Mirja von ihrer Suppe auf.

„Man hat ein ziemlich gemeines Spiel mit einer Freundin gespielt“, begann Kiki.

 

„Eine aus der Bande?“, hakte ihre Schwester nach.

„Genau und diesmal hat es Annemieke getroffen“, nickte sie und sagte: „Du müsstest sie auch kennen.“

„Klar! Das ist doch eine von den quirligen Zwillingen, die ich nicht auseinander halten kann. Beide haben das gleiche Gesicht, halblange hellblonde Locken und sind gleich groß“, überlegte Mirja laut.

„Genau, die ist das“, bestätigte Kiki und fuhr fort: „Irgendjemand hat ihr einen Spickzettel in ihr Arbeitsheft geklebt, den sie nicht gesehen hatte und prompt hatte sie eine Sechs. Frau Schellhardt mag ihr nicht glauben und hat uns indirekt beschuldigt, dass wir den Zettel für sie geschrieben haben könnten.“

„Sowas ist total hinterhältig und abartig“, fand Mirja. „Ich hoffe, ihr könnt den Übeltäter ausfindig machen.“

„Das werden wir auch“, klang Kikis Stimme überzeugt. „Denn Micky schummelt nicht.“

 

Am nächsten Morgen kam Mathilda ohne ihren Zwilling zur Schule.

„Hat ihr die Geschichte von gestern zu sehr auf den Magen geschlagen?“, wollte Aylin wissen.

„Nein, sie hat einfach nur Migräne und wollte zuhause bleiben“, antwortete Mathilda.

„Zum Glück ist es nichts Schlimmeres!“, murmelte Emily. „Ich dachte schon, das hätte sie krank gemacht.“

„Nein, daran liegt es nicht. Doch gestern hat Micky den halben Nachmittag lang bitterlich geweint. Mama und ich haben neben ihr auf dem Sofa gesessen und sie getröstet. Erst als wir zu dritt mit dem Fahrrad zum Bäcker gefahren sind, um uns Hörnchen mit Vanillecreme zu holen, konnte sie wieder lächeln“, erzählte Mathilda.

„Auf jeden Fall lassen wir das nicht auf uns sitzen!“, schwor sich Kiki.

„Ihr könnt mir sagen, was ihr wollt, aber bestimmt haben die Piranhas ihre Finger im Spiel“, raunte Fianna den Freundinnen zu.

„Ganz bestimmt!“, nickte Aylin heftig.

„Na, seid ihr heute nur zu sechst?“, kam Michael breit grinsend an ihnen vorbei.

„Halt die Klappe, du XXL-Fischkopp!“, fauchte Mathilda.

„Das muss aber deiner Schwester aber ziemlich nahe gegangen sein, dass sie gemogelt hat und sich dabei hat erwischen lassen“, sagte Jannis mit gespieltem Mitleid.

„Sie hat nicht gemogelt. Irgendeine fiese Person hat ihr den Spickzettel in ihr Arbeitsheft geklebt, du Spinner“, baute sich Kiki vor ihm auf.

„Frau Brandt kommt!“, raunte ein Schüler hinter ihnen. Sofort stoben die beiden Banden auseinander. Keiner von ihnen wollte wieder bei den Bandenstreitigkeiten erwischt werden. Vor knapp drei Monaten hatte es einen großen Ärger gegeben, als die Mädchen und Jungen sich vor der Tür geprügelt hatten. Kiki presste ihre Lippen aufeinander, sodass vor Frau Brandts Augen kein Schimpfwort aus ihr herausrutschte.

 

Zügig und ohne viel zu reden setzten sich die Bandenkids auf ihre Plätze.

„Ich gebe euch die Diktate von letzter Woche zurück“, kündigte die Deutschlehrerin nach der Begrüßung an. „Zu meinem Erstaunen ist das Ergebnis ziemlich gut, im Vergleich zur letzten Klassenarbeit.“

„Ich will mein Diktat gar nicht zurück haben“, flüsterte Aylin und griff unter dem Tisch nach Kikis Hand.

„Ich hoffe, ich habe diesmal keine Vier oder eine Fünf“, wisperte Kiki und da landete auch schon ihr Heft vor ihrer Nase. Neugierig schlug sie es auf. Eine rote Drei plus prangte unter dem zweiseitigen Diktat. Kiki war rund um zufrieden. Im Vergleich zum letzten Deutschaufsatz, bei dem sie eine schwache Vier kassiert hatte, war dies eine deutliche Steigerung.

„Komm Aylin, nun guck doch nach!“, stupste sie ihre Freundin an. In Zeitlupentempo öffnete Aylin ihr Arbeitsheft und eine Zwei minus kam zum Vorschein.

„Ich sag doch, du bist besser als ich“, klopfte ihr Kiki auf die Schulter. Bei ihren Freundinnen war das Diktat ebenfalls gut ausgefallen. Mathilda und Fianna hatten ebenfalls eine Drei wie Kiki. Die anderen Bandenmädchen hatten noch besser abgeschnitten.

„Ich habe schon mal in Mickys Heft geschaut“, beugte sich Mathilda zu Kiki und Aylin vor. „Sie hat eine Eins minus mit nur drei Fehlern.“

„Wow! Das wird sie sicherlich freuen“, lächelte Aylin.

„Wenigstens ist das schon mal ein Trostpflaster“, drehte sich Kiki zu ihrer besten Freundin um.

„Glaubt nicht, dass ich es nicht sehe, dass ihr euch unterhaltet“, sagte Frau Brandt spitz. „Ich verteile sehr gerne Extraaufgaben an quasselnde Schüler und Schülerinnen.“

 

In der Pause bot sich die Gelegenheit den Piranhas ordentlich die Meinung zu geigen.

„Was fällt euch ein, Micky so übel mitzuspielen?“, baute sich Mathilda breitbeinig vor Jannis und Sven auf.

„Ihr könnt uns Vieles vorwerfen, aber das haben wir nicht getan“, blieb Sven ruhig.

„Das sagt ihr doch nur so! Ich weiß, wie falsch ihr seid“, zischte Kiki erbost.

„Mittlerweile trauen wir euch Fischköppen alles zu!“, rief Fianna laut.

„Ich kann euch schwören, dass wir Annemieke keinen Spickzettel in ihr Arbeitsheft geklebt haben“, guckte Jannis die Mädchen säuerlich an.

„Bleibt doch mal ganz gelassen, Mädels!“, versuchte Michael die Mädchenbande zu beschwichtigen.

„Wie sollen wir freundlich bleiben, wenn unserer Freundin so ein Unrecht angetan wird“, bekam Kikis Stimme einen gefährlichen Unterton.

 

„Denkt ihr nicht, dass es eine andere Person getan haben könnte?“, warf Max ein.

„Wer soll aus unserer Klasse sowas Fieses tun?“, erwiderte Lotta verständnislos.

„Das ward ihr und niemand anderes. Gebt es doch einfach zu!“, trat Fianna hervor.

„Ihr braucht uns gar nicht länger anlügen“, fügte Aylin mit fester Stimme hinzu. Die Piranhas verstanden immer noch nicht worum es ging und tauschten untereinander ratlose Blicke aus.

„Tut doch nicht so, als wüsstet ihr von nichts! Ihr wolltet meine beste Freundin stoppen, weil sie so gute Noten schreibt. Nicht wahr?“, brauste Emily auf und kam Lennart und Jannis bedrohlich nah.

„Das haben wir wirklich nicht gewollt“, schüttelte Lennart den Kopf.

„Wir haben euch in letzter Zeit ziemlich häufig geärgert, aber sowas Hinterlistiges tun wir nicht“, pflichtete ihm Ömer bei. Die Mädchen sahen ihn immer noch misstrauisch an.

„Langsam habe ich das Gefühl, dass wir gegen eine Mauer anreden“, stöhnte Jannis genervt und wandte sich mit seinen Kumpels von den Roten Tulpen ab.

9. Die wahren Täterinnen kommen ans Licht

Die Roten Tulpen zerbrachen sich einige Tage darüber den Kopf, wie sie den wahren Übeltäter oder Übeltäterin überführen konnten. Zwar machte Annemieke nicht den Eindruck, als wäre sie immer noch am Boden zerstört, trotzdem wollten die Mädchen die Wahrheit herausfinden.

„Ich habe doch mehrmals gesagt, wir müssen Schriftproben nehmen“, sagte Lotta beim nächsten Bandentreffen.

„Ich habe eine Idee!“, meldete sich Aylin zu Wort.

„Welche denn?“, horchten die Zwillinge auf.

„Ihr wisst doch, dass an den Wänden in unserem Klassenzimmer unsere Steckbriefe hängen“, fuhr Aylin fort.

„Ach ja, daran könnten wir die Schrift abgleichen“, ging Emily ein Licht auf.

„Trotzdem finde ich es blöd, dass wir immer nur noch die Fischköppe verdächtigen und sonst nicht weiter nachforschen“, meinte Lotta. Annemieke holte ihr Heft aus ihrer geblümten Handtasche und legte es auf den Tisch.

 

Kiki studierte die Handschrift des Spickzettels akribisch.

„Das muss auf jeden Fall ein Mädchen gewesen sein“, stellte sie fest.

„Wer ist so fies von unseren Klassenkameradinnen und tut mir das an?“, klang Annemiekes Stimme wieder verletzt.

„Pauline ist auf keinen Fall so gemein“, schloss Emily sofort aus.

„Ach was, die doch nicht“, schüttelte Mathilda den Kopf. „Pauline ist viel zu brav für so eine Hinterhältigkeit.“

„Kiki, kannst du in etwa sagen, welche Handschrift das ist?“, fragte Aylin.

„So genau kann ich es auch nicht sagen“, zuckte Kiki die Schulter. „Ich brauche die Handschriften unserer Klassenkameradinnen im Vergleich.“

„Trotzdem können wir neben Pauline auch einige unserer Klassenkameradinnen ausschließen“, meinte Fianna.

„Jule und Sina werden es auch nicht gewesen sein“, warf Lotta ein.

„Freya auch nicht“, meldete sich Aylin zu Wort.

„Dann bleibt eigentlich nur das Tussenkomitee übrig. Ach herrje, wieso sind wir nicht früher darauf gekommen?“, rief Mathilda und schlug die Hände über den Kopf zusammen.

 

Am Montagmorgen machten sich Kiki, Emily und die Zwillinge sofort an den Schriftvergleich und nahmen sich alle Steckbriefe im Klassenraum vor.

„Pauline und Freya können es nicht gewesen sein, sie schreiben eher Druckbuchstaben und keine Schreibschrift“, murmelte Kiki vor sich hin.

„Tanja übrigens auch nicht“, sagte Emily.

„Dann bleiben nur noch ein paar Verdächtige übrig“, murmelte Kiki und ging zum nächsten Steckbrief.

„Hier seht euch unbedingt Jolandas Steckbrief an!“, raunte Mathilda den Freundinnen zu. Sofort versammelte sich die Bande hinter ihr.

„Jawoll, Jolanda wird es gewesen sein“, sagte Kiki langsam und betont.

„Die Schrift des eingeklebten Spickzettels und die des Steckbriefes passen wie Topf und Deckel zusammen“, bemerkte Lotta.

„Oh man! Warum sind wir nicht früher darauf gekommen? Stattdessen wollten wir wieder erneut Zoff mit den Fischköppen anfangen und diesmal waren sie es wirklich nicht gewesen“, stöhnte Kiki leise. Gleichzeit braute sich in ihr eine irre Wut gegen Jolanda zusammen. Wieso tat Jolanda so etwas Gemeines? Annemieke war nie fies ihr gegenüber gewesen.

 

„Gleich in der Pause verpassen wir ihr einen deftigen Einlauf!“, raunte Fianna Kiki und Emily zu.

„Diesmal müssen wir es Frau Schellhardt sagen, dass Jolanda den Zettel geschrieben und in Mickys Heft geklebt hat“, war Emily der Meinung.

„Ich frage mich manchmal, ob Frau Schellhardt blöder ist als wir. Sie hätte vornherein sehen müssen, dass es nicht Annemiekes Schrift ist“, rollte Fianna mit den Augen. Mit einem dicken Schal um den Hals betrat die Klassenlehrerin den Klassenraum.

„Es tut mir leid, dass ich heute heiser bin, aber ich habe Aufgaben dabei, die ihr in Stillarbeit erledigen soll“, krächzte sie beinahe schon. Schon bei dem Wort „Stillarbeit“ war Kiki komplett demotiviert.

„Frau Schellhardt können wir einen Augenblick vor der Tür gehen?“, zeigte Mathilda auf.

„Aus welchem Grund?“, erwiderte die Klassenlehrerin mit matter Stimme.

„Wegen Annemiekes Klassenarbeit in Biologie“, fuhr Mathilda fort.

 

„Kann ich mit nach draußen gehen?“, meldete sich Kiki.

„Na gut, dann komm mit, Kristina! Aber bedenkt, dass ich halbkrank bin“, sagte Frau Schellhardt heiser und ging mit den Mädchen in einen benachbarten Klassenraum, wo gerade kein Unterricht stattfand.

„Also wir haben einen Schriftvergleich gemacht“, begann Kiki. „Wir sind der Meinung, dass es Jolandas Schrift auf dem Spickzettel ist und deswegen muss sie ihn in Annemiekes Heft klebt haben.“

Zum Beweis legte sie Jolandas Steckbrief auf den Tisch, den sie vorhin von der Wand genommen hatte.

„Ich sehe nun auch, dass es nicht deine Schrift ist, Annemieke“, begann Frau Schellhardt und wurde von einem heftigen Niesen unterbrochen. „Trotzdem kann ich nicht nachweisen, wer den Zettel ins Heft geklebt hat.“

„Heißt das, dass ich keine Chance bekomme die Arbeit noch mal zu schreiben?“, fragte Annemieke irritiert.

„Leider kann ich es nicht mehr rückgängig machen“, seufzte Frau Schellhardt. „Aber ich kann dir anbieten, dass du zum Ausgleich eine Hausarbeit schreibst und dir das Thema aussuchen darfst.“

Kiki und Mathilda warfen sich wütende Blicke zu. Es konnte nicht wahr sein, dass Annemieke nun noch mehr Arbeit aufgedrückt bekam.

 

„Zählt die Sechs dann immer noch?“, hakte Annemieke erneut nach.

„Deine Note der jetzigen Arbeit und die der Hausarbeit zählen genauso viel. Du hast bis zum zwanzigsten Januar Zeit die Arbeit fertig zu stellen. Insgesamt solltest du zwischen drei und fünf Seiten schreiben. Du kannst Quellen aus Fachbüchern und von Internetseiten benutzen“, erklärte ihr Frau Schellhardt.

„Okay“, nickte Annemieke.

„Nachdem ich Jolandas Schrift mir mehrmals angesehen habe, erkenne ich die Ähnlichkeit zur Schrift auf dem Spickzettel“, fuhr die Klassenlehrerin fort. „Ich finde, dass so ein gemeines und hinterhältiges Verhalten von Jolanda nicht zu tolerieren ist. Wenn es mir wieder besser geht, werde ich sie und ihre Eltern zu einem Gespräch in die Schule bestellen.“

Ihre Stimme versagte immer mehr. Nach dem Gespräch mit den Bandenmädchen meldete sich Frau Schellhardt bei dem Sekretariat und dem Schulleiter ab. Die Klasse war auf sich alleine gestellt. Da keiner auf sie aufpasste, zog es die meisten Schüler auf den Pausenhof.

 

Da es in der letzten Nacht ein wenig geschneit hatte, war der Schulhof von einer dünnen Puderschicht überzogen. Zum Schlittenfahren war es noch zu wenig, dennoch konnte man ein paar kleinere Schneebälle daraus formen. Die Roten Tulpen suchten den ganzen Pausenhof nach Jolanda ab.

„Irgendwo muss diese Kröte stecken!“, zischte Mathilda von Hass erfüllt. Kiki wusste ganz genau, dass es Mathilda auf den Tod nicht leiden konnte, wenn irgendjemand ihrer Zwillingsschwester gegenüber gemein war.

„Sowas kann man schon echt als Mobbing bezeichnen“, war Emily empört.

„Quatsch! Wir würden niemals zulassen, dass eine von uns gemobbt wird“, entgegnete ihr Kiki entrüstet. Annemieke hingegen versuchte zu verbergen, dass sie wegen Jolandas Hinterhältig immer noch verletzt war. Kiki entging es trotzdem nicht, dafür kannte sie ihre Freundin schon lang genug.

„Da hinten kommt sie mit ihrem Tussenkomitee zur Tür heraus gestakst“, wisperte Fianna. Geradlinig lief die Mädchenbande auf die Zicken aus ihrer Klasse zu. Mathilda konnte es nicht unterlassen und zielte mit einem Schneeball auf Jolanda, der stattdessen Neeles Rücken traf.

„Hey, was soll das?“, rief Saskia empört.

 

„Das könnt ihr euch selber denken!“, schleuderte Kiki ihnen entgegen.

„Wieso starrt ihr mich so an?“, fauchte Jolanda und drehte sich abrupt zu den Bandenmädchen um. Kiki war bewusst, dass sie versuchte ihre Unsicherheit und ihre Angst hinter einer zickigen Maske versteckte.

„Wir haben dich trotzdem entlarvt, du dumme Nuss!“, rief Mathilda wütend.

„Deine Schrift ist unverkennbar, Jolanda“, fuhr Kiki in einem ruhigen Ton fort und sah ihrem Gegenüber entschlossen in die Augen: „Keiner aus der Klasse schreibt so schräg und verschnörkelt wie du. Außerdem, wer außer du schreibt mit einem pinken Gelstift.“

„Was willst du damit sagen, Pocahontas?“, schnauzte Jolanda sie an.

„Dass du Annemieke den Spickzettel untergeschoben hast“, beendete Kiki ihren Satz. Zuerst wurde Jolanda puterrot und dann käsebleich, sogar noch bleicher als ihre blondierten Haare.

„Ich sollte das für Jannis machen“, stammelte sie und musste schlucken.

„Stimmt das oder erzählst du uns wieder einmal eine von deinen Lügengeschichten?“, fuhr Mathilda sie barsch von der Seite an.

„Wenn du uns nicht die Wahrheit sagst, schmeißen wir dich in den Schnee, Fake-Blondie“, drohte ihr Fianna und baute sich zusammen mit Emily, Kiki und Lotta zu einer Mauer auf.

 

Die große schlanke Jolanda, die mit ihren 1,74m und ihren Absätzen all die anderen Mädchen weitaus überragte, schien mit jeder Sekunde um wenige Zentimeter zu schrumpfen. Kiki hätte niemals gedacht, dass die Klassenzicke jemals ein schlechtes Gewissen haben könnte. Trotzdem ließen die bösen Blicke der Roten Tulpen nicht von ihr ab.

„Das war Jannis Idee, weil er euch wieder eins auswischen wollte. Diesmal sollte es gerade Annemieke treffen, weil sie die besten Noten von euch schreibt. Er hat mich vorher in seinen Plan eingeweiht. Ich sollte den Spickzettel schreiben und einkleben, damit es nicht auffliegt, dass es seine Idee war. Im Endeffekt ist mir klar, wie niederträchtig und link das war. Kann ich es irgendwie wieder gut machen?“, jammerte Jolanda.

„Darauf kannst du lange warten, immerhin hast du mir meine Bionote für dieses Halbjahr grundlegend versaut. Ich hätte nicht gedacht, dass du sowas Gemeines hinter meinem Rücken ausheckst“, funkelte Annemieke sie wütend an.

 

„Wieso hast du es überhaupt getan?“, warf Lotta der Klassenkameradin vor.

„Jannis ist doch mein Freund und ich wollte unbedingt auf seiner Seite sein, damit ich ihn nicht verliere. Hätte ich auf eurer Seite gestanden, dann hätte er bestimmt mit mir Schluss gemacht“, versuchte sich Jolanda herauszureden.

„So ein Blödsinn! Du musst doch nicht alles tun, was dein Freund dir sagt! Du bist ein eigenständiger Mensch und du hättest den Spickzettel nicht in Mickys Heft kleben müssen. Immerhin hat sie dir nichts getan und um ehrlich zu sein, finde ich deine Ausrede ziemlich daneben“, redete Emily auf sie ein.

„Ich weiß, es tut mir auch Leid. Ich gebe zu, diese Aktion war großer Mist und ich werde so etwas nie wieder tun“, klang Jolanda sehr reuevoll.

„Du kannst dich höchstens bei Annemieke entschuldigen, aber richtig wieder gut machen kannst du es nicht“, meldete sich Kiki zu Wort. Zähneknirschend gab Jolanda Annemieke die Hand, aber traute sich nicht ihr in die Augen zu gucken.

 

„Was für eine feige und dämliche Tussi?“, regte sich Mathilda auf, nachdem sich Jolanda mit ihren Freundinnen vom Acker gemacht hatte.

„Habt ihr eigentlich gesehen, wie ruhig ihre Freundinnen waren?“, warf Aylin ein.

„Wahrscheinlich war ihnen Jolandas Verhalten auch peinlich“, vermutete Emily.

„Wenn das eine von uns gemacht hätte, wäre es mir mehr als peinlich“, brummte Kiki.

„Von uns hätte Micky niemand so übel mitgespielt“, schüttelte Lotta den Kopf.

„Ich hätte sowas noch nicht einmal mit meinem Erzfeind gemacht“, murmelte Annemieke und drehte sich von den anderen weg.

„Was hast du?“, legte ihr Emily die Hand auf die Schulter.

„Nichts!“, erwiderte ihre beste Freundin mit gepresster Stimme. Kiki merkte, dass Annemieke den Tränen nah war. Nun nahmen sie auch Aylin und Fianna in den Arm.

„Verdammt noch mal, ich heule nicht!“, drehte sich Annemieke wieder trotzig zu ihren Bandenschwestern um. Sie wand sich aus der Umarmung ihrer drei Freundinnen heraus und blinzelte dabei eine Träne weg. Wie aus dem Nichts fing Mathilda an lustige Grimassen zu machen und rollte mit den Augen. Kiki und Lotta machten mit. Bald jagten sich die Freundinnen lachend über den Schulhof und fingen sich gegenseitig. Geradezu Lotta hatte der Übermut gepackt, feixend und grimassierend hüpfte sie wie ein Kaninchen durch die Gegend.

 

„Aufhören! Ich kriege keine Luft mehr!“, prustete Emily und hielt sich stark keuchend die Seiten. Am meisten lachte allerdings Annemieke, die sich nun die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte.

„Besonders bei Lotta sieht es total witzig aus, wenn sie so ihr Gesicht verzieht“, gickerte Fianna. Von der eher kühl wirkenden Lotta waren die Bandenmädchen nicht gewohnt, dass sie aus der Rolle fiel.

„Was haben diese albernen Kids bloß genommen?“, verdrehte eine ältere Schülerin die Augen, als sie fast mit Emily und Kiki zusammenstieß. Wieder bekamen die Mädchen einen Lachkrampf.

„Oh bitte, können wir nicht wieder eine Sekunde ernst sein?“, japste Aylin. In dem Moment klingelte es zum Pausenende. Jannis und seine Bandenkumpel schlenderten an ihnen vorbei und konnten ein freches Grinsen nicht verkneifen.

„Blödmänner!“, zischte Kiki.

„Was habt ihr?“, drehte sich Max zu ihr um.

„Ihr habt Jolanda angestiftet, dass mit dem Spickzettel zu machen“, blaffte sie die Jungs an.

„Wie bitte?“, Jannis riss unschuldig seine grünen Augen weit auf.

„Für wie blöd haltet ihr uns?“, trat Emily vor die Piranhas.

„Wir haben mit dem Spickzettel-Skandal nichts am Hut“, sagte Sven.

„Können deine blauen Augen lügen?“, trat Mathilda näher an ihn heran und zog spöttisch die Augenbrauen hoch.

„Seid doch nicht so garstig, Mädels!“, meinte Michael.

„Ach ja, dann kannst du die Hausarbeit in Bio für mich schreiben!“, erwiderte Annemieke schnippisch. „Die schreibe ich freiwillig, um die Sechs wieder auszugleichen."

10. Ein Streich geht nach hinten los

Kiki war sich nicht sicher, auf wen sie mehr wütend sein sollte: Auf Jolanda oder auf die Piranhas. Ihr und ihren Freundinnen war klar, dass sowohl Jolanda als auch die Jungs an der hinterhältigen Spickzettelaktion beteiligt gewesen waren. Kaum ein Tag verging, ohne dass sie in der Schule mit den Blödmännern oder Jolanda einander gerieten. Beleidigungen, kleinere Kabbeleien und gegenseitige Sticheleien waren an der Tagesordnung. Zudem gaben sich Jolanda und die Piranhas sich gegenseitig die Schuld. Kiki beobachte, dass Jolanda und Jannis sich einige Tage aus dem Weg gingen, ehe sie sich nach einer Mathestunde wieder vertrugen. Währenddessen schrieb Annemieke ein paar Tage an ihrer Bio-Hausarbeit. Deswegen kam sie nicht zur nächsten Reitstunde und ließ auch das wöchentliche Bandentreffen ausfallen. Doch wenigstens konnte sie die Hausarbeit schon eine Woche vor den Weihnachtsferien abgeben. 

 

Aylin, die Sensibelste von allen, war das erste Bandenmädchen, welches die Bandenstreitereien gehörig satt hatte und einen Friedensvertrag vorschlug, als die Freundinnen bei Tee und Lebkuchen im Bandenquartier saßen.

 „Du hast doch wohl einen Vogel, Aylin, mit den Idioten halten wir es keine fünf Minuten im gleichen Raum aus! Nachdem was uns diese Fischköppe angetan haben, denke ich nicht im Traum daran mich mit ihnen zu versöhnen. Eher sollen sie dahin gehen, wo der Pfeffer wächst“, hatte ihr Kiki gesagt und sich gegen die Stirn getippt. Die übrigen Bandenmädchen lehnten einen Bandenfrieden ebenfalls gänzlich ab. Daraufhin nahm Aylin kleinlaut ihren Vorschlag zurück und nahm die Wörter „Versöhnung" und „Bandenfrieden" nicht mehr in den Mund. 

 

An den Nachmittagen, an denen sich die Freundinnen zum Kakaotrinken, Weihnachtsdeko-Basteln, Keksebacken und Schlittenfahren im Wohnwagen verabredeten oder auf den Weihnachtsmarkt gingen, versuchten sie ihre Feinde zu vergessen. Ein wenig wie Urlaub fühlte sich die friedlichen Intermezzo an. Nur einmal stieß Emily unglücklich auf der Rodelpiste mit Michael zusammen, als beide Banden auf ihren Schlitten die Abhänge des Stadparks hinunter sausten. Dies gab den Anlass für eine heftige Schneeballschlacht, wobei sich einige der Bandenmitglieder eine blutige Nase holten. In der Schule war es ab sofort mit der angenehmen Ruhe vorbei, wenn ein Mitglied der Piranhas vor ihnen auftauchtei. Oftmals fingen die Jungs an die Roten Tulpen zu triezen oder sie nachzuäffen. Dies ließen sich die Bandenmädchen nicht bieten und besonders Fianna sowie die Zwillinge schossen messerscharf zurück. Als einmal ein Lehrer dazwischen ging, gab es zwar eine kurze Standpauke, dennoch zum Glück keine Strafarbeit

 

Am letzten Schultag vor Weihnachten trafen sich Kiki, Lotta und die Zwillinge knapp eine Viertelstunde vor Schulbeginn auf dem Schulhof.

„Jetzt verpassen wir den Fischköppen eine ordentliche Packung!“, raunte Mathilda ihren Freundinnen zu und verschanzte sich hinter einer großen schwarzen Mülltonne. Aus ihren Verstecken heraus beobachteten die Mädchen, wie Jannis, Sven und Ömer immer näher kamen.

„Jetzt!“, zischte Lotta und feuerte den ersten Schneeball ab, der Ömers Rücken traf. Irritiert drehte er sich um. Kiki und Annemieke zielten ebenfalls auf die Jungs, die sich immer noch ratlos anstarrten und offenbar nicht wussten, woher die Geschosse kamen. Den Mädchen fiel es in diesem Moment schwer das Kichern zu verkneifen.

„Es geht auch noch eine Nummer größer!“, grinste Mathilda fies und formte einen XXL-Schneeball.

„Pass auf, da kommt ein Lehrer!“, zog Kiki ihre beste Freundin am Ärmel.

 

Zu spät! Die Schneekugel erwischte den jungen Lehrer, den niemand von ihnen kannte, am Hinterkopf. Wie von der Tarantel gestochen fuhr er herum.

„Habe ich doch gesehen, dass du den Schneeball geworfen hast!“, knöpfte er sich Mathilda vor, die vor Schreck kein Wort aus sich heraus brachte.

„Meine Freundin wollte Sie nicht treffen!“, kam ihr Kiki sofort zur Hilfe.

„Das ändert dennoch nichts an der Tatsache, dass Schneebälle auf dem Schulhof tabu sind. Du wirst erstmal mit mir mitkommen!“, erwiderte der Lehrer streng und richtete seine Brille.

„Es tut mir sehr Leid, dass ich Sie versehentlich getroffen habe“, gab Mathilda ihm die Hand. Kiki hatte noch nie gesehen, dass ihre Freundin so rot werden konnte.

„Wir haben auch mitgemacht!“, kamen Lotta und Annemieke aus ihren Verstecken hervor.

„Ward ihr vier daran beteiligt?“, schaute der junge Mann sie erstaunt an. Die Freundinnen nickten.

„Trotzdem werdet ihr noch drum rum kommen die Hausordnung abzuschreiben und eure Klassenlehrerin wird darüber auch noch informiert. Ach übrigens, in welcher Klasse seid ihr?“, fragte er.

„In der 7a bei Frau Schellhardt“, sagte Lotta kleinlaut.

 

Schweigend folgten die Mädchen ihm.

„Bravo, jetzt hat Mathilda uns ziemlich in die Scheiße geritten! Die Piranhas haben nun jeden Grund, um sich über uns lustig zu machen“, grummelte Lotta übel gelaunt.

„Du hättest dich doch gleich aus dem Staub machen können, dann wärst du der Hausordnung entgangen!“, blaffte Mathilda sie an.

„Denkst du, wir sind zu feige, um eine Standpauke über uns ergehen zu lassen!“, stieß Lotta ihr den Ellenbogen in die Seite. Gerade als Mathilda etwas Wütendes antworten wollte, ging Kiki dazwischen.

„Hey, hört auf zu streiten! Wir haben doch alle Schneebälle geworfen!“, wandte sie sich an die beiden Streithennen und konnte den aufkommenden Streit im Keim ersticken.

„Guten Morgen, Jan-Christoph!“, begrüßte Frau Schellhardt ihren Kollegen. „Was ist denn wieder vorgefallen?“

„Ich habe vier deiner Schülerinnen dabei erwischt, wie sie Schneebälle geworfen haben und deshalb wollte ich sie in den Raum schicken, wo die Klassenarbeiten nachgeschrieben werden, damit sie in Ruhe die Hausordnung abschreiben können“, sagte er.

„Soso, das habt ihr also angestellt“, schüttelte die Klassenlehrerin den Kopf. Trotzdem sah sie nicht danach aus, dass sie den Mädchen einen großen Einlauf verpassen wollte.

 

Normalerweise wurden in einem kleinen Seitenraum neben den Kunsträumen Klassenarbeiten nachgeschrieben, doch nun mussten Kiki und ihre Freundinnen darin platz nehmen. Da heute niemand eine Arbeit nachschreiben musste, waren die vier Mädchen unter sich.

„Mädels! Was haben wir für ein Schwein gehabt, dass er dich nicht verpfiffen hat, dass du ihn mit dem Schneeball abgeworfen hast“, drehte sich Kiki zu Mathilda um.

„Dafür bin ich ihm auch dankbar, sonst hätte ich mir noch eine richtige Standpauke anhören müssen oder meine Eltern wären informiert worden. Dabei hatte ich zuhause versprochen, dass sie nicht noch einmal wegen eines negativen Vorfalls informiert werden müssen“, nickte sie.

„Oh man, wir haben in dem ersten Halbjahr mehr Mist gemacht als je zuvor“, meinte Annemieke und machte ein reuevolles Gesicht.

„Na klar, daran sind aber Fischköppe schuld“, brummte ihre Zwillingsschwester.

„Auf jeden Fall, werden wir im nächsten Halbjahr lammfromm sein und uns nichts mehr zu Schulden kommen lassen“, kündigte Annemieke an.

 

„Hey ihr Quasselstrippen, redet nicht so viel, sondern schreibt endlich die Hausordnung ab, sonst sitzt ihr Ostern immer noch hier!“, machte Lotta ihren Freundinnen Dampf.

„Genau sonst essen unsere Klassenkameraden die ganzen Weihnachtsleckereien auf, bevor wir mit der Hausordnung fertig sind“, pflichtete ihr Kiki bei. Vom schnellen Schreiben taten den Mädchen bald die Hände weh.

„Diejenigen, die die Hausordnung erfunden haben, ließen sich aber sehr viele Regeln einfallen“, bemerkte Mathilda stöhnend. Lotta war als Erste fertig. Trotzdem wartete sie auf ihre Freundinnen. Als es zur zweiten Stunde klingelte, machten sich die vier Roten Tulpen auf den Weg zum Klassenraum. Langsam öffnete Kiki die Klassenraumtür. Drinnen lief leise Weihnachtsmusik, der Geruch von Tannennadeln machte sich breit und auf jedem Gruppentisch brannte ein kleines Teelicht. Ohne viel zu sagen, drückten sie Frau Schellhardt ihre voll geschriebenen Zettel in die Hand.

 

„Wo kommt ihr her?“, raunte Aylin Kiki zu, als sie sich zu viert neben Emily, Fianna und ihr niederließen.

„Wir mussten nur die einmal die Hausordnung abpinnen, weil Matti unglücklicherweise einen Lehrer mit einem Schneeball abgeworfen hatte. Eigentlich haben wir vorgehabt, die Fischköppe abzutreffen“, erzählte ihr Kiki im Flüsterton und musste dabei unwillkürlich grinsen.

„Wirklich? Aber das kann nur ihr passieren“, unterdrückte Aylin ein Kichern.

„Egal, großen Ärger hat es trotzdem nicht gegeben. Wir mussten nur die Hausordnung abschreiben und danach hat sich das gegessen“, murmelte Kiki und nahm sich ein Lebkuchenherz. Drei Kannen voll warmer Kakao und eine Packung Papierbecher wurden in der Klasse herum gereicht.

„Frau Schellhardt hat wieder an alles gedacht“, stellte Aylin zufrieden fest.

„Stimmt wohl“, nickte Kiki und verbrannte sich prompt die Zunge, da sie nicht gedacht hätte, dass der Kakao noch so heiß sein könnte.

„Na, wurdet ihr erwischt?“, drehte sich Ömer zu Kiki um.

„Sei bloß ruhig!“, knurrte sie.

„Übrigens Mathilda kann ziemlich gut zielen“, redete er weiter. „Respekt, dass sie sich getraut hat den Lehrer abzutreffen. Ich glaube, das hätte ich mich nicht getraut.“ 

Kiki hörte ihm gar nicht mehr zu, sondern unterhielt sich angeregt mit Emily, Aylin und Fianna. Im nächsten Moment bat Frau Schellhardt um Ruhe, da Emily ihr Weihnachtsgedicht vertragen wollte. Kiki war sich sicher, dass ihre Freundin später unter die Dichterinnen gehen würde.

 

11. Waffenstillstand vor Weihnachten?

Nach der großen Pause machte sich die gesamte Schule auf zur benachbarten Kirche, die am Ende der Straße auf einer kleinen Anhöhe lag. Selbst Aylin durfte mitkommen, obwohl sie Muslimin war.

„Meine Eltern sehen das nicht so eng. Außerdem fühle ich mich ausgeschlossen, wenn ich nicht mit euch in die Kirche darf“, sagte sie.

„Fühlst du dich nicht irgendwie außen vor, wenn wir Weihnachten feiern und ihr nicht, Aylin?“, drehte sich Annemieke kurz zu ihr um, die zwischen Emily und Lotta lief.

„So schlimm ist das nicht für mich“, zuckte Aylin mit den Achseln. „Ich bin daran gewöhnt, dass meine deutschen Freunde Weihnachten feiern. Dafür haben wir andere Feste, an denen es auch gutes Essen und Geschenke gibt.“

 

„Immerhin hast du wenigstens ein bisschen von Weihnachten, wenn du mit uns zusammen bist“, lächelte ihr Fianna zu und hakte sich bei ihr unter.

„Oh ja, ihr habt wirklich einen Weihnachtsfimmel. Trotzdem mag ich es, da ich sowas zuhause nicht habe“, nickte Aylin. Kiki konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. In den letzten Wochen war es in ihrem Wohnwagen ziemlich weihnachtlich geworden. Jedes Bandenmädchen brachte entweder duftende Kerzen oder Weihnachtsgestecke mit. Sogar einen kleinen Tannenbaum im Blumentopf hatten sie in ihrem Bandenquartier stehen, den Lotta im Gartencenter gekauft hatte. Die Freundinnen hatten ihr Bäumchen mit glitzernden Kugeln, Glöckchen, Lametta, Schmuckstücken und Süßigkeiten behängt.

„Das Beste an den Weihnachtsferien ist immer noch, dass wir frei haben“, fand Aylin.

„Was ist mit Silvester?“, horchte Lotta auf. „Das natürlich auch“, sagte Aylin. „Was macht ihr eigentlich an Silvester?“, fragte Emily in die Runde.

„Wir werden da in den österreichischen Alpen Ski fahren“, erwiderte Lotta.

„Wir feiern bei unserem Onkel und seiner Familie in den Niederlanden“, sagten die Zwillinge. Kiki selbst wusste, dass Weihnachten und Silvester mit ihrer Familie feiern würde und hoffte, dass ihr Vater diesmal sein Versprechen hielt und sie besuchen kam.

 

„Ich möchte, dass ihr in der Kirche leise seid und euch respektvoll benehmt. Auf gar keinen Fall möchte ich irgendein Kichern oder Getuschel. Klingelt irgendein Handy, dann kassiere ich es ein“, wandte sich Frau Schellhardt an die Klasse bevor sie die Kirche betraten. Gesittet betraten die Schüler das Kirchenschiff, selbst die geschwätzigsten Mädchen waren auf einmal still. Die Roten Tulpen quetschten sich mit einigen ihrer Klassenkameraden in eine Bankreihe, sodass Kiki zwischen Mathilda und Emily saß.

„Können die hier nicht einmal die Heizung anmachen?“, flüsterte sie und kuschelte sich in ihren dicken Schal.

„Oh ja, hier ist es wirklich kalt“, nickte Mathilda und knetete die ganze Zeit einen sternförmigen Handwärmer.

„Das werden wir aber überleben", meinte Emily, die ihre dicken Fäustlinge immer noch anhatte.

„Psst! Jetzt fängt's an", hörte Kiki jemanden hinter ihnen leise mahnen.

 

 Mitten im Gottesdienst nach einem Lied drehte sich Jannis zu ihr um und reichte Kiki einen zusammengefalteten Zettel. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn lesen sollte oder nicht. Unermüdlich drehte sie diesen in ihren Händen. Nach einer Weile hielt sie es nicht mehr aus und faltete ihn auf.

„Liebe Rote Tulpen! Da es balt Weinachten ist, wollen wir mit euch einen Wafffenstilstand vereinbarren. Langsam wird der ewige Streit lankwelig und es macht keinen Spas mehr, das wir uns dauernt in die Hahre krigen. Wir möchten auch ma endlich chillen. Heute Nachmittag wollen wir uns mit euch Mädchn bei uns in unserer Piranha-Gerage treffen. Für Essen und Trinken sorgen wir. Eure Piranhas!“, hatten die Jungs auf den Zettel geschrieben. Bestimmt hatte Jannis ihn geschrieben, denn kein anderer in der Klasse machte so viele Rechtschreibfehler.

 

Wollten die Jungs wirklich mit ihnen einen Waffenstillstand beschließen? Ob das ernst gemeint war? Kaum zu glauben, noch in den letzten Tagen ließen sie keine Gelegenheit aus, um die Bandenmädchen zu ärgern. Nun beugten sich auch Mathilda und Emily neugierig über den Zettel. Kiki reichte den Zettel nach rechts weiter, damit Annemieke und Lotta ihn auch lesen konnten.

„Sie sollen sich wirklich in die Analphabeten-Boys umbenennen, der Name würde am besten zu ihnen passen!“, hörte sie Annemieke leise gickern. Noch bevor Frau Schellhardt oder ein anderer Lehrer auf den Brief aufmerksam werden konnte, reichte Annemieke ihn unauffällig an Fianna und Aylin weiter. Wieder begann die Orgel zu spielen und „Stille Nacht“ wurde angestimmt. Insgeheim hoffte sie, dass der Gottesdienst bald vorbei sein würde, damit sie sich mit den Jungs kurzschließen konnte. Doch eins stand für sie fest, sie würde nicht noch einmal freiwillig das Piranha-Quartier betreten.

 

Nachdem der Pastor das Schlussgebet gesprochen und der Schulleiter allen ein frohes Fest gewünscht hatte, verließen Schüler und Lehrer unter Orgelklängen die Kirche. Draußen war es wegen dem Glockengeläut so laut, dass die beiden Banden ein Stück in Richtung Straße liefen und vor dem Eingang des Friedhofes stehen blieben.

„Meint ihr das mit dem Waffenstillstand wirklich ernst?“, fragte Kiki die Jungs sofort.

„Natürlich, was denkst du denn?“, entgegnete ihr Jannis. „Sonst hätten wir euch den Zettel nicht geschrieben.“

„Wie habt ihr das euch mit der Versöhnung vorgestellt?“, wollte Emily wissen und bekam von den Zwillingen zwei seichte Rippenstöße.

„Du willst dich doch nicht im Ernst mit ihnen versöhnen?“, raunte ihr Annemieke zu.

„Nein! So habe ich es auch nicht gemeint“, schüttelte Emily den Kopf.

„Aber du hast gerade von Versöhnung gesprochen“, stupste Mathilda sie an.

 

„Okay, wie wäre es, wenn wir uns um drei Uhr vor unserer Garage treffen?“, übernahm Jannis die Initiative seinerseits. „Ihr seid herzlich eingeladen."

„Können wir unser Veto einlegen?“, meldete sich Mathilda zu Wort.

„Wieso das denn?“, schaute Sven sie verständnislos an.

„Matti und ich haben immer noch schlechte Erinnerungen an euer Quartier, als ihr uns an Halloween dort hin verschleppt habt“, meinte Kiki.

„Wir wäre es, wenn wir das Treffen bei uns machen? Wir würden sogar Plätzchen machen und heißen Tee kochen“, bot Lotta an und lächelte zuckersüß.

„Ne danke, euer Wohnwagen ist sicherlich zu mickrig für uns alle“, lehnte Jannis ab.

„Da hast du aber keine Ahnung“, schaute Emily ihn schief an und beide Banden schwiegen einen Moment lang.

 

„Wollen wir uns nicht an einem neutralen Ort treffen?“, warf Michael ein. Seine Bandenkumpels warfen ihm daraufhin skeptische Blicke zu.

„Mit einem neutralen Ort wäre ich sofort einverstanden“, sagte Kiki sofort.

„Okay, wir könnten uns am Nachmittag im Stadtpark treffen“, schlug Ömer vor.

„Ne, da sind zu viele Leute und Kinder, die dort Schlitten fahren“, schüttelte Sven den Kopf.

„Ich habe eine bessere Idee“, platzte es aus Lennart heraus. „Ihr kennt doch die Wetterschutzhütte im Wald oder?“

„Natürlich, die ist gar nicht so weit von unserem Bandenquartier weg“, nickte Mathilda.

„Doch zwei Kilometer Fußmarsch sind das mindestens“, hatte Lotta einzuwenden.

„Okay, von mir aus können wir uns da treffen“, willigte Kiki ein.

 

Kurz nach dem Mittagessen machte sich Kiki mit einem Rucksack mit einer Kanne Tee und einer Packung Spekulatius auf den Weg. Bestimmt würde der kleine oder größere Hunger sie überfallen, wenn sie länger in der Kälte unterwegs waren. Vor ihrem Schrebergarten warteten bereits Lotta, Emily und Aylin.

„Brrr, mir ist jetzt schon kalt“, nörgelte Aylin.

„Ach, wenn du dich bewegst, wird dir schon wärmer“, klopfte ihr Kiki auf die Schulter.

„Huhu, hier bin ich!“, rannte Fianna voller Enthusiasmus auf die Freundinnen zu.

„Sag mal, hast du neue Stiefel, Carrot?“, machte Lotta große Augen.

„Ne, die sind schon ein wenig älter, aber heute kommen sie zum ersten Mal richtig zum Einsatz“, strahlte Fianna.

„Diese coolen Lederstiefel hätte ich auch gerne“, klang Emily begeistert.

„Na, wie viele Schuhe willst du dir noch kaufen, Lily?“, stichelte Kiki los.

„Bis ihr Schulregal zusammenkracht“, setzte Fianna ungeniert obendrauf.

„Was habt ihr nur?“, schaute Lotta Kiki und Fianna pikiert an. „Shopping ist doch voll angesagt!“

„Jetzt fehlen nur noch unsere Gute-Laune-Zwillinge?“, stellte Kiki mit einem Blick auf ihre Handyuhr fest.

„Bis die endlich mal eingetrudelt sind, ist es bestimmt schon dunkel. Ihr wisst ja, wie "pünktlich" sie immer sind", riss Lotta einen leicht hämischen Kommentar. 

 

„Aha, man redet in unserer Abwesenheit über uns?“, tauchte Mathilda hinter der Hecke auf.

„Sowas ist empörend!“, fügte ihre Zwillingsschwester mit gespielter Empörung hinzu und zog eine Schnute.

„Na klar, ohne euch haben wir die Chance zur Lästerrunde“, grinste Lotta frech.

„Ihr seid aber gemeine Ziegen!“, synchron drehten sich die Zwillinge von ihnen weg und verschränkten die Arme vor sich. Die Mädchen brachen in ein schallendes Gelächter aus.

„Ach, wenn wir euch nicht hätten, wäre unser Bandendasein halb so lustig“, japsend legte Kiki die Arme um die beiden Freundinnen.

„Sagt mal, wozu braucht ihr die Schlitten?“, fragte Lotta die Zwillingsschwestern.

„Wir haben uns gedacht, damit wir unsere Rücksäcke entspannter transportieren können“, meinte Annemieke.

„Oder damit sich zwei von uns zwischenzeitlich eine Pause gönnen können“, ergänzte Mathilda.

 

„Ich lasse mich gerne ziehen“, rief Aylin begeistert und legte sich bäuchlings auf den Schlitten von Annemieke

Die Mädchen einigten sich darauf, dass zuerst Aylin und Lotta den angenehmeren Part der Strecke haben sollten.

„Hach, das Leben kann soo entspannend sein“, schloss Lotta die Augen.

„Haha, von wegen, gleich tauschen wir“, riss Mathilda sie aus ihren Träumereien. Im Wald war der Schnee inzwischen knöchelhoch und immer wieder fegte ein leichter Windstoß durch die kahlen Äste der Bäume. Die Roten Tulpen fanden großen Gefallen am weißglitzernden Winterwald. Nur Aylin murrte, weil ihr an Händen und Füßen kalt war.

„Du musst dich bewegen, dann wird es besser“, sagte Annemieke zu ihr.

„Na gut, du hast sicherlich Recht“, brummte Aylin und sprang vom Schlitten ab. Mit einem genüsslichen Lächeln setzte sich Emily auf den leeren Schlitten.

„Jetzt muss ich dich die ganze Zeit ziehen?“, beklagte sich Annemieke halb ernst.

„Nur kurz, dann tauschen wir“, versprach Emily. „Meine Füße brauchen auch einen Moment Pause."

„Dieser blöde Schnee, darin bleibt man fast stecken“, maulte Aylin und hakte sich bei Kiki und Fianna ein. Ein eiskalter Wind rüttelte den Schnee von den Ästen.

„Mist, ich habe keine Mütze dabei und gleich werden meine Ohren abfrieren“, seufzte Lotta.

„Hier, nimm meine! Ich habe noch eine Kapuze“, warf Annemieke ihr ihre dunkelblaue Wollmütze zu. Dankend lächelte ihr Lotta zu.

 

Die Piranhas warteten bereits in der Wetterschutzhütte auf sie. Aus der Ferne konnten die Mädchen sehen und riechen, dass sie ein Feuerchen angezündet hatte.

„Vielleicht braten sie Würstchen für uns“, hoffte Mathilda, die nach der Wanderung wieder einen großen Appetit hatte.

„Wann hast du mal keinen Mordshunger, Raupe Nimmersatt? Hast du letztens nicht von einer Diät gefaselt?“, fing Fianna an zu sticheln.

„Pass auf, was du sagst?“, hielt Mathilda ihr einen Schneeball unter die Nase, worauf sie ihren Mund hielt.

„Die Bandengirls sind da!“, rief Lennart.

„Na, habt ihr es auch mal geschafft?“, zwinkerte ihnen Jannis zu. Ohne der kleinen Stichelei Beachtung zu schenken, setzten sich die Bandenmädchen gegenüber von den Jungs auf die Bank und wärmten ihre Hände und Füße am leise knisternden Feuer.

„Aber trotzdem seid ihr eine Viertelstunde zu spät“, bemerkte Ömer, der auf eine Uhr guckte.

„Egal, Hauptsache sie sind da“, meinte Sven und überreichte Kiki einen Zettel.

 

„Waffenstillstand! Hiermit vereinbaren wir Piranhas mit den Roten Tulpen einen Waffenstillstand bis zum Ende des ersten Halbjahres von dieser Minute an. Daher sind keine gegenseitige Beleidigungen und Streiche erlaubt. Wer sich nicht daran hält, wird hart bestraft. Jedes Bandenmitglied von beiden Banden muss unterschreiben, damit die Vereinbahrung in Kraft tritt“, las Annemieke leise vor.

„Setzt ihr eure Unterschrift drunter?“, fragte Michael neugierig, der einen Kuli aus der Anoraktasche holte.

„Aber natürlich!“, nickte Emily, sodass ihre roten Weihnachtskugelohrringe heftig schaukelten.

„Warum gilt dieser Vertrag nur bis zum ersten Halbjahr?“, fragte Aylin nach. Kiki sah ihrer Freundin an, dass diese sich einen Waffenstillstand zwischen ihnen und den Jungs für immer gewünscht hätte.

„Weil wir euch zum ärgern gern haben“, grinste Jannis.

„Außerdem wäre unser Bandenleben auch ziemlich langweilig ohne Reibereien“, meinte Mathilda.

„Klaro, sonst können wir unsere Banden an Ort und Stelle einstampfen“, pflichtete ihr Lennart bei.

„Fängst du an, Kiki?“, stupste Fianna ihre Freundin an.

„Natürlich, ich bin doch die Anführerin“, nickte sie und setzte die erste Unterschrift unter das Schreiben. Dann gab sie den Zettel und den Stift an Emily weiter, die rechts neben ihr saß.

„Ihr Jungs müsst auch unterschreiben“, beharrte Lotta.

„Sicherlich tun wir das“, beruhigte Sven sie. Nach und nach unterschrieben die Bandenkids, so dass unter dem Geschriebenen kaum noch Platz war.

 

Aylin musste ihren Namen sehr klein zwischen Emilys und Mathildas quetschen. Zum Schluss steckte Jannis den Zettel wieder in seine Jackentasche.

„Was haltet ihr von einer Stärkung? Übrigens, ihr dürft auch zugreifen, Mädchen!“, Michael griff in seinen Rucksack und holte eine Packung Frikadellen heraus. Dankbar nahmen die Mädchen das Angebot an und boten den Jungs auch ihre Leckereien an. Die Zwillinge begannen zu kichern als sich Max warmen Kakao auf seine Jacke schüttete.

„Ich warne euch, wir können den Vertrag auch sofort wieder canceln!“, warf er ihnen einen drohenden Blick zu.

„Wollt ihr das wirklich?“, schaute Aylin ängstlich drein.

„Nein, nicht jetzt. Doch solltet ihr uns zu oft triezen, dann ist der Waffenstillstand aufgehoben“, meinte Jannis.

„Ich freu mich schon, dass wir sechs Wochen lang nicht wie Hund und Katz miteinander umgehen“, sagte Emily zufrieden. „Mit meinen vierzehn Jahren fühle ich mich eigentlich schon fast zu alt für solche Auseinandersetzungen.“

„Quatsch, für sowas ist man nie zu alt“, verdrehte Mathilda die Augen.

„Selbst Erwachsene necken sich manchmal gerne“, fügte ihre Schwester hinzu.

 

„Tut uns leid, das was wir euch angetan haben“, entschuldigte sich Michael noch mal.

„Schwamm drüber, lasst uns diesen ganzen Mist einfach vergessen!“, meinte Emily.

„Außerdem waren wir auch nicht immer die braven Lämmer“, meldete sich Lotta zu Wort.

„Das war aber keiner von uns“, erwiderten die Zwillinge wie aus einem Munde.

„Wollt ihr noch von meinen Spekulatius haben?“, fragte Kiki und stopfte sich noch einen Dominostein in den Mund.

„Nein danke, wir platzen gleich“, lehnte Aylin ab.

„Müssen wir euch gleich nach Hause rollen?“, gickerte Mathilda los.

„Nein, so rund sind wir noch nicht“, schüttelte Emily grinsend den Kopf.

 

„Habt ihr noch Kakao übrig?“, fragte Sven.

„Nein, den haben wir gerade ausgetrunken“, sagte Lotta. „Aber heißen Tee kannst du noch gerne haben.“

„Von mir aus, wenn es sein muss, denn ich habe einen tierischen Durst“, brummte er.

„Wenn du magst, können wir dir über dem Feuer ein wenig Schnee schmelzen“, grinste Lennart frech.

„Nein danke!“, warf ihm Sven einen schrägen Blick zu. Er goss sich den Früchtetee ein und schluckte ihn mit einem Mal runter.

„Boah, war der heiß!“, schüttelte er sich und verzog das Gesicht. Diesmal lachten nicht nur die Mädchen, sondern auch seine Bandenkumpel.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du einmal in deinem Leben Tee trinkst“, stellte Ömer belustigt fest.

„Dann wäre Sven total fehl bei uns“, meinte Fianna. „Denn wir trinken am allerliebsten Tee in den verschiedensten Variationen.“ 

12. Gefangen im Schneesturm

Kiki hätte nicht gedacht, dass das Zusammensitzen mit den Piranhas so entspannend sein kann.

„Langsam wird es dunkel“, stellte Sven fest.

„Ich bin dafür, dass wir nach Hause gehen“, meldete sich Fianna zu Wort und packte ihre Keksdose ein.

„Nicht nur du, ich sehne mich nach meinen Sofa und einem guten Buch“, sagte Emily.

„Kaum sind wir eine Stunde hier, dann müssen wir wieder los“, nörgelte Mathilda.

„Ich will aber nicht wegen dir im Dunkeln nach Hause laufen“, protestierte Aylin heftig.

„Na gut, dann machen wir uns jetzt vom Acker“, gab Jannis den Startschuss. Da sie Fußspuren im Schnee hinterlassen hatten, war es nicht sonderlich schwer sich zu orientieren. Die Abendsonne verbarg sich zunehmend hinter den dicken Wolken. Es begann leicht zu schneien.

„Das hat mir gerade noch gefehlt!“, stöhnte Aylin und wickelte sich enger in ihrem Mantel.

 

„Laut dem Wetterbericht sollen bis morgen früh noch zehn bis zwanzig Zentimeter Neuschnee hinzukommen“, schaute Lotta auf der Wetter-App nach.

„Na prima! Man könnte glatt meinen, wir ersaufen in Schnee und das auch noch an Weihnachten“, kommentierte Annemieke sarkastisch.

„Oh je, darauf können wir gut verzichten“, stöhnte Kiki. Einerseits mochte sie die weiße Landschaft, doch auf der anderen Seite war die Fortbewegung im tiefen Schnee alles andere als leicht. Mehrmals blieben ihre Schlitten stecken, sodass mindestens zu zweit anschieben mussten.

„Können wir nicht einen Zahn zulegen?, drängte Sven mit einem Blick auf die dunklen Wolken, die sich über den kahlen Baumwipfeln bedrohlich zusammenbrauten.

„Von mir aus gerne“, nickte Annemieke und fügte augenklimpernd hinzu: „Doch es wäre nett, wenn du mir den Schlitten abnimmst, Sven.“

Widerwillig nickte der Junge, schließlich wollte er sich vor den Mädchen keine Blöße geben. 

 

 „Leute, auf Wetterradar ist zu sehen, wie sich ein lilafarbene Schneefront über unsere Stadt schiebt", schlug Lennart Alarm. Der angekündigte Sturm ließ nicht lang auf sich warten. Ein scharfer eisiger Wind aus Nordost fegte den Kindern ins Gesicht.

„Meine Nase ist jetzt bestimmt ein Eisklotz“, klagte Fianna und zog ihren Schal hoch. Von Augenblick zu Augenblick wurde es dunkler. Zum Glück hatten drei Piranhas eine Taschenlampe mit.

„Hoffentlich schneit es jetzt nicht so doll, sonst sehen wir unsere Fußspuren nicht mehr“, gab Lennart zu bedenken.

„Was soll das heißen? Finden wir dann nicht mehr zurück?“, fuhr Aylin ihn panisch an.

„Quatsch, wir kennen uns hier aus!“, meinte Jannis gelassen. Im nächsten Moment begann es heftig zu schneien. Niemand konnte weiter als drei Meter gucken.

„Lasst und näher zusammenbleiben, sonst verlieren wir uns“, drehte sich Jannis zu den Roten Tulpen um.

„Dazu gehört auch, dass ihr auf uns Rücksicht nimmt“, rief Kiki gegen den Wind. Wind und Schneefall wurden von Minute zu Minute stärker.

„Gleich sind wir da!“, versuchte Sven die Mädchen zu beruhigen, die immer unruhiger wurden.

„Wir müssen immerhin noch knapp einen Kilometer laufen, bis wir an unserem Bandenquartier sind“, erinnerte Mathilda ihn.

„Bis dahin werde ich schon erfroren sein“, jammerte Aylin und rückte näher an die große Emily heran. In der Nähe der Bandenkids knackte ein Ast.

„Vorsichtig, Leute, gleich kracht ein Ast auf uns runter!“, warnte Michael.

„So ein Blödsinn, über unserem Weg ist gerade weit und breit kein Ast“, fuhr Annemieke ihn an.

„Wir müssen trotzdem weiter, bevor wir ganz eingeschneit sind!“, trieb Jannis seine Freunde und die Mädchenbande vorwärts. Erneut pustete ihnen eine Windböe die Schneeflocken in ihre Gesichter, sodass sie sich schütztend die Hände vor ihre Gesichter hielten.

 

„Meine Fresse!", schimpfte Lotta. „Ich kann meine Augen kaum noch offen halten."

„Verdammt nochmal! Wir sind in den Schneesturm des Jahrtausends geraten!“, entfuhr es Kiki heftig und griff nach Annemiekes Hand.

 „Außerdem sind wir irgendwie verkehrt“, stellte Sven im nächsten Moment fest.

„Und was heißt das?“, Aylin konnte sich vor Angst kaum noch beherrschen.

„Wir hätten schon vorher abzweigen müssen“, sagte Michael kleinlaut.

„Wollt ihr uns damit sagen, dass wir uns verlaufen haben?“, klang Fianna aufgebracht. Die Jungs nickten. Kikis Stimmung war mit einem Mal auf nicht nur auf dem Nullpunkt, sondern mindestens im zweistelligen Minusbereich. Nun saßen sie mit ihren Erzfeinden im wadenhohen Schnee im Wald fest. Aylin war kurz davor in Tränen auszubrechen. Kiki legte den Arm um sie und redete beruhigend auf sie ein. Sven tat das Gleiche, obwohl er Aylin nicht in den Arm nahm. Kiki hätte nie gedacht, dass er so feinfühlig sein konnte. Aylin fing sich wieder und musste sogar ein wenig grinsen, als Mathilda einen Witz erzählte.

 

„Am besten bleiben wir hier stehen, bis sich der Sturm gelegt hat und dann laufen wir zurück“, schlug Jannis vor.

„Darauf habe ich keine Lust, ich bin sowieso schon halberfroren“, klang Fianna trotzig.

„Von mir aus, können wir weiterhin herumirren, sodass wir gänzlich die Orientierung verlieren!“, herrschte Lennart sie an. Kiki, Lotta und die Zwillinge begannen sich fest zu umarmen, um sich gegenseitig Wärme zu spenden. Emily, Fianna und Aylin taten es ihnen gleich. Auch die Piranhas rückten näher zusammen. Wie die Pinguine am Südpol standen beiden Banden eng beieinander.

„Zusammen trotzen wir dem Sturm!“, schwor sich Kiki, als sie sich bereits minutenlang im Schneegestöber befanden. Entschlossen richtete sie ihr Gesicht in den Wind und kniff im nächsten Moment die Augen zusammen.

„Irgendwann muss der Sturm wohl ein Ende haben“, murmelte Mathilda.

„Bestimmt machen sich unsere Eltern schon Sorgen um uns“, meinte ihre Zwillingsschwester besorgt.

„Quatsch, wir haben es gerade mal kurz nach vier und unsere Eltern denken, dass wir bestimmt gemütlich im Wohnwagen sitzen und Tee trinken“, fuhr Lotta herum.

 

„Gab es in der Nähe nicht einen Wegweiser?", schrie Ömer gegen den Sturm an.

„Ja, an der Holzbrücke am Quellbach", erwiderte Emily in gleicher Lautstärke. 

„Der ist doch ganz in der Nähe", meinte Lotta.

„Dann lasst uns diesen Wegweiser suchen", schlug Jannis vor. Sofort meldeten sich Ömer, Mathilda, Sven und Lotta, dass sie ihn bei der Suche begleiten wollten.

„Stop!", brüllte Kiki und stemmte entschlossen ihre Hände in die Seite, als sich die kleine Gruppe von ihnen entfernte.

Dann holte sie tief Luft und fuhr energisch fort: „Wir bleiben alle zusammen, verstanden? Keine Alleingänge! Wir können nicht mal einen Meter weit sehen und wenn ihr noch tiefer in den Wald hineingeht, seid ihr erst Recht verloren."

„Ja toll, Kristina, der Wegweiser wäre unsere Chance", brauste Ömer auf. 

„Wer weiß, ob dieser noch steht. Vielleicht hat der Sturm ihn schon umgeweht und daher lohnt es sich nicht, ihn zu suchen", meldete sich Annemieke zu Wort, die sich neben Kiki gestellt hatte. Widerwillig machte die kleine Gruppe wieder kehrt und sowohl Jannis als auch Ömer starrten Kiki daraufhin finster an.

  

Die Bandenkids vernahmen wenige Minuten später ein Hundebellen im Heulen des Sturmes. Erleichtert atmeten die Bandenmädchen auf.

„Wenn da ein Hund bellt, ist das Herrchen bestimmt auch nicht weit“, klang Fianna hoffnungsvoll. Kaum hatte sie dies gesagt, tauchte auch schon in der Ferne der Kegel einer Taschenlampe auf.

„Sollen wir laut rufen?“, wandte sich Jannis an Kiki.

„Die Idee ist nicht blöd“, nickte sie.

„Halloooo!“, riefen dreizehn Jungen und Mädchen aus vollem Halse und Sven blinkte mit der Taschenlampe.

„Hallo Kinder, was macht ihr denn hier?“, antwortete eine tiefe Männerstimme. Im Schneegestöber kam ihnen eine große, kräftige Gestalt näher.

„Wieso seid ihr bei diesem Wetter noch im Wald unterwegs?“, fragte ein fremder Mann die Bandenkids.

„Wir waren auf dem Weg nach Hause und dann wurden wir von diesem Sturm überrascht“, sprach Sven für alle.

„Ihr müsstet doch eigentlich wissen, dass es gefährlich ist, bei so einem Wetter im Wald unterwegs zu sein. Habt ihr das Wetter vorher nicht gecheckt?“, hielt er ihnen vor.

„Wir konnten nicht ahnen, dass der Schneesturm so schnell aufzieht“, verteidigte sich Jannis.

„Was machen Sie eigentlich hier?“, fragte Lennart.

„Ich bin der Förster und ich wollte sichergehen, dass niemand bei diesem Wetter einen Spaziergang durch mein Waldstück macht.“

„Trotzdem können wir Ihnen dankbar sein, dass Sie uns aufgespürt haben“, meinte Kiki und merkte, wie ihr in diesem Moment eine Last von den Schultern fiel. 

 

„Am besten bringe ich euch schnell zurück zu euren Eltern“, sagte der Förster. „Bei diesem Wetter ist hier kein Mensch sicher."

„Kennen Sie den Weg noch, obwohl man gar nichts mehr sehen kann?“, fragte ihn Lotta erstaunt.

„Selbstverständlich, ich kenne meinen Wald wie meine Westentasche und außerdem habe ich Gustav dabei“, nickte er und pfiff seinen Hund zurück.

„Och nö, ich glaube meine Füße sind feucht geworden. Ich werde mir eine dicke Erkältung holen und das auch noch zu Weihnachten“, jammerte Annemieke.

„Bei deinen Schuhen kein Wunder!“, bemerkte Mathilda.

„Ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, dass ihr nach Hause ins Warme kommt“, meinte der Förster und fragte: „Wohnt ihr weit von hier weg?“

„In der Innenstadt“, sagte Jannis.

„Am anderen Ende der Stadt“, antwortete Aylin.

„Ich wohne im Neubaugebiet hinter der Bahnstrecke, genauso wie die Zwillinge“, erwiderte Lotta.

„Ich sehe, ihr habt noch einen weiten Weg vor euch“, seufzte der Mann. „Daher schlage ich vor, dass ich euch auf meinen Pick-Up lade und ich in die Nähe eurer Wohnorte bringe.“

 

„Darf man das?“, fragte Ömer aufgeregt.

„Eigentlich nicht, aber heute mache ich eine Ausnahme“, erwiderte der Förster. „Keine Sorge, ich habe Schneeketten drunter und ich fahre allerhöchstens 20 Stundenkilometer."

Nach einem zweiminütigen Fußmarsch durch fast kniehohen Schnee erreichten die beiden Banden erschöpft das Försterhaus am Waldrand.

„Jetzt rauf auf meinen Pick-Up!“, rief der Förster. Die Jungs kletterten sofort auf die Ladefläche, während die Mädchen einen Moment zögerten.

„Ich fahre auch ganz vorsichtig“, versprach der Mann und startete den Motor. Irgendwie war Kiki doch ein wenig mulmig, noch nie in ihrem Leben ist sie auf einer Ladefläche mitgefahren. Sie hielt sich während der Fahrt durchgehend fest, während Aylin und Fianna jedes Mal hysterisch kreischten, wenn der Wagen um die Kurve fuhr oder auch nur leicht wackelte.

„Keine Bange, uns passiert nichts!“, rief Lennart, der nun wieder gute Laune hatte.

„Das ist echt ein Abenteuer“, murmelte Annemieke, die sich gut festhielt.

„Sowas hat man nicht alle Tage“, fügte Mathilda hinzu. Ruckelnd fuhr der Pick-Up durch das letzte Waldstück auf die Hauptverkehrsstraße, die einigermaßen gut geräumt war.

 

Knapp eine halbe Stunde später saß Kiki im warmen Wohnzimmer auf der Couch. Dazu war sie in zwei Wolldecken gehüllt und nippte an ihrer Tasse mit warmen Salbeitee. 

„Sag mal, schaut ihr keine Wetternews, bevor ihr in den Wald aufbrecht?", sah ihre Mutter sie vorwurfsvoll an. 

„Doch, Lotta hat vorhin in ihrer Wettersapp nachgeschaut", verteidigte sich Kiki. 

„Es sind seit Tagen heftige Schneefälle mit Sturmböen angekündigte und wenn du beim Frühstück mal einen Blick in die Zeitung geworfen hättest, dann hättest du die Warnung vor starken Schneefall ab Nachmittag gesehen", redete ihre Mutter weiterhin vorwurfsvoll auf sie ein. „Natürlich habe mich mir Sorgen gemacht, als ich aus dem Fenster schaute und ich dich nicht auf deinem Handy erreichen konnte."

„Ich weiß, Mama", seufzte Kiki entschuldigend und fügte nach einem kurzen Räuspern hinzu. „Heute wollten wir unbedingt einen mehrwöchigen Waffenstillstand mit den Piranhas beschließen und haben uns dazu an einer Schutzhütte im Wald getroffen."

„Warum musste das unbedingt heute sein?", bohrte ihre Mutter weiter nach. 

„Weil wir unbedingt Waffenstillstand an Weihnachten haben wollten", erwiderte Kiki leicht gereizt.

„Es ist schön, dass ihr euch mit den Jungs vetragen wollt, aber ihr habt doch Ferien und seht sie zwei Wochen lang nicht", schenkte sich Kikis Mutter warmen Tee ein.

„Aber Weihnachten ist das Fest der Liebe und des Friedens", meinte Kiki. „Und da ist es schön, wenn wir über die Festtage das Kriegsbeil begraben."

 

 

 

13. Familienbrunch und Weihnachtsfeier im Wohnwagen

Zwei Tage später war Heiligabend. Kiki musste schon sehr früh aufstehen, da ihr Vater mit ihr und Mirja in der Stadt brunchen wollte. Aus diesem Grund klingelte ihr Wecker bereits um halb acht. Eigentlich wollte ihr Vater sie um neun Uhr abholen, doch Kiki musste vor Mirja im Bad sein. Ihre Schwester war dafür bekannt, dass sie stundenlang das Badezimmer blockierte. Heute war zudem die gute Gelegenheit, sich zu schminken. Zwar schminkte Kiki sich im Alltag nicht und besaß noch nicht einmal eigene Schminke. Doch Mirja würde bestimmt nicht meckern, wenn sie sich ein wenig an ihren Schminksachen bediente, denn Kiki hatte sich schon mehrere Male Jacken und Schuhe ihrer Schwester geborgt. Mit Mirjas älterer Schminke, die sie ohne Ärger zu kriegen benutzen konnte, machte sie sich ans Werk. Es gelang ihr erstaunlich gut, obwohl sie nicht viel Übung hatte. Jetzt fehlen nur noch die passenden Ohrringe! Zwar besaß sie jede Menge Ohrschmuck, doch das waren eher Kinderohrringe, die nicht zu ihrem geschminkten Gesicht passten.

 

„Mirja hat doch noch Perlenohrstecker“, fiel ihr ein und schlich auf den Flur hinaus. Zaghaft klopfte sie an ihre Tür.

„Was willst du um diese Uhrzeit? Es ist noch viel zu früh zum Aufstehen“, nuschelte ihre Schwester undeutlich und richtete sich im Bett auf.

„Kann ich mir deine Perlenohrstecker ausleihen, Mrja?“, flüsterte Kiki.

„Klar, nimm sie dir“, brummte diese. „Ich werde sowieso andere Ohrringe tragen.“

„Danke“, murmelte Kiki und huschte wieder hinaus. Kiki wählte passend zu ihrem Outfit ein dunkelrotes Winterkleid mit langen Ärmeln und eine dicke schwarze Strumpfhose. Jetzt musste sie nur noch etwas mit ihren Haaren machen! Ach da hatte sie schon eine Idee, anstatt sie zu Zöpfen zu flechten, steckte sie ihre pechschwarzen Haare mit einer Spange hoch. Fertig! Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild. Bestimmt sie sah nun zwei Jahre älter aus.

„Wie siehst du denn aus?“, stand Mirja auf einmal unmittelbar vor ihr.

„Wie meinst du das?“, erwiderte Kiki überrascht.

„Auf einmal bist du so geschminkt und zurrecht gemacht“, meinte ihre große Schwester. „Das kenne ich von dir nicht, aber es sieht nicht schlecht aus.“

Kiki brachte ein schmales Lächeln über die Lippe als sich Mirja ins Badezimmer verabschiedete.

 

Knapp eine Dreiviertelstunde klingelte es an der Haustür. Ihr Hund Benno lief zuerst bellend an die Wohnungstür.

„Papa!“, rief Kiki außer sich und riss die Tür auf. Ein mittelgroßer Mann mit halblangen schwarzen Haaren und Dreitagebart stand im Treppenhaus. Kiki fiel ihm stürmisch um den Hals.

„Na Maus, du wirst auch langsam größer und außerdem siehst du sehr schick aus“, machte er ihr ein Kompliment. Sie geleitete ihn ins Wohnzimmer.

„Du kannst dich einen Augenblick setzten und Zeitung lesen, Mirja braucht sicherlich noch eine halbe Stunde“, sagte sie.

„Aber lange warten kann ich nicht, schließlich sitzt Florian noch im Auto“, meinte ihr Vater. Florian war ihr älterer Bruder, der vor wenigen Tagen schon zwanzig geworden war und seit kurzem an einer Universität studierte.

„Guten Morgen, meine Große!“, umarmte ihr Vater seine zweite Tochter, als diese im Morgenrock ins Wohnzimmer getapst kam.

„Einen Moment bitte, ich muss noch meine Haare machen. Könnt ihr noch kurz warten?“, bat Mirja.

„Sie braucht immer so ewig lange im Bad“, lächelte Kiki gequält.

 

Kiki und Mirja stiegen in das Auto ihres Vaters und setzten sich auf die Rückbank.

„Na, ihr Schwesterherzen!“, begrüßte Florian seine jüngeren Schwestern.

„Na Großmaul, wir haben dich schrecklich vermisst!“, konterte Mirja grinsend.

„Nun werd bloß nicht frech!“, warnte Florian sie und wandte sich an Kiki: „Seit wann brezelst du dich auf?“

„Gute Frage?“, erwiderte Kiki verlegen.

„Seit hat sich an meiner alten Schminke bedient und sich meine Ohrringe geliehen“, sagte Mirja.

„Sieht richtig fesch aus“, fand Florian. „Immerhin siehst du jetzt aus wie eine Vierzehnjährige.“

Kiki freute sich über das Kompliment, schließlich fühlte sie sich mit zwölf immer noch wie ein Küken zwischen ihren großen Geschwistern. Immerhin würde sie in anderthalb Monaten dreizehn werden und genauso alt wie vieler ihrer Freundinnen sein.

 

Die Fahrt ging in Richtung Innenstadt.

„Mein Gott, hier ist aber viel Verkehr!“, stöhnte ihr Vater. 

„Manche Leute fahren wirklich wie der letzte Henker", gab Mirja augenrollend von sich. 

„Verwunderlich, dass erst jetzt einige Leute auf die Idee kommen, erst jetzt ihre ganzen Weihnachtsbesorgungen zu machen", murmelte Florian.

„Und einige unserer Mitbürger haben bestimmt noch kein einziges Geschenk", grummelte ihr Vater.

„Meine Geschenke habe ich zum Glück alle schon seit Tagen beisammen“, meinte Kiki. In ihrem Rucksack hatte sie all ihre Geschenke für ihre Freundinnen dabei, da sie sich um drei Uhr zur bandeninternen Weihnachtsfeier im Wohnwagen treffen wollten. Bereits jetzt war sie schon sehr gespannt, wie ihre selbstgebastelten Ohrringe bei ihren Freundinnen ankommen würden. 

„Du Vollidiot!", fluchte ihr Vater, wodurch Kiki aus ihren Gedanken gerissen wurde. Offenbar hatte ihm ein anderer Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt genommen. 

„Als ob die alle bekloppt geworden sind", kommentierte Florian kopfschüttelnd.

Nachdem ihr Vater ein Parkhaus gefunden hatte, in dem es noch ein paar freie Plätze gab, stellte er den Wagen dort ab. Zu Fuß liefen sie die Fußgängerzone entlang zum Stadtcafe. 

 

Das Cafe war in ein angenehmes goldgelbes Licht getaucht und zudem war es dort gemütlich warm, während es draußen immer noch klirrend kalt und dunkel war. In der letzten Nacht sank das Thermometer auf minus zwölf Grad. Gerade als sie sich gesetzt hatte, warf sie einen Blick auf ihr Handy. Mathilda hatte ihr vorhin in Abwesenheit eine Nachricht geschickt.

„Hey, was machst du gerade? Micky und ich sind gerade beim Frühstücken. Gleich schmücken wir zusammen mit unseren Eltern den Tannenbaum. Danach wird Klarschiff gemacht und später gibt es Kartoffelsalat und Bockwürstchen. Trotzdem kommen wir nachher auf alle Fälle zum Wohnwagen“, schrieb ihre beste Freundin.

„Kiki, hast du gar keinen Hunger?", fragte Florian verwundert, der mit zwei vollbeladenen Tellern wieder zum Tisch zurückkehrte.

„Doch, aber ich muss noch eben meiner besten Freundin antworten", erwiderte sie. 

 

Das Büffet hatte fast alles zu bieten, was das Menschenherz begehrte: frische Brötchen, Croissants, Marmelade, Aufschnitt, Müsli, Rührei, eine große Auswahl an Getränken, knusprigen Speck, frisches Obst, Joghurt und sogar Kuchen! Kiki lud sich den Teller randvoll und nahm sich eine große Tasse warmen Kakao.

„Ihr seid bestimmt froh, dass ihr zwei Wochen frei habt oder?“, meinte ihr Vater.

„Auf alle Fälle!“, nickte Kiki und Mirja gleichzeitig.

„Schade, dass einige meiner Freundinnen in den Ferien wegfahren, daher werden wir uns als Bande in den nächsten Tagen nicht mehr treffen können“, fügte Kiki seufzend hinzu.

„Wie läuft es eigentlich mit eurer Bande?“, wollte ihr Bruder wissen.

„Sehr gut!“, erwiderte sie. „Wir haben die Bande vor zehn Monaten auf Klassenfahrt gegründet und zuvor habe ich Freundschaft noch nie so intensiv erlebt.“

„Übrigens hatten sich Kiki und ihre Freundinnen mit irgendwelchen Knallköpfen aus ihrer Klasse in den Haaren“, erzählte Mirja.

„Das kenne ich aus meiner eigenen Kindheit“, grinste ihr Vater. „Aber spätestens in ein oder zwei Jahren wird das andere Geschlecht sehr interessant.“

Kiki war sich allerdings nicht sicher, ob sie jemals an Jungs interessiert sein würde.

 

Nach dem Brunch schlenderten Kiki, ihr Vater und ihre Geschwister durch die engen Gassen der Altstadt. Kiki kaufte in einem Esotherikladen ein paar Räucherstäbchen, die sie später bei der Weihnachtsfeier im Wohnwagen anzünden wollte. Mirja kaufte ihr in dem gleichen Laden noch einen Ring mit einem wunderschwünen dunkelgrünen Kristall, den sich Kiki sofort über ihren Ringfinger an der linken Hand streifte.

„Typisch Mädels, dass sie sich stundenlang in irgendwelchen Läden aufhalten müssen", gab Florian genervt von sich, als Kiki und Mirja nebenan im Teeladen verschwanden. Als sie wenig später zum Rathausplatz rüber schlenderten, bekamen sie zu Gesicht, wie der Weihnachtsmarkt abgebaut wurde. Holzpaletten wurden auf Anhänger geladen und große Gegenstände von A nach B geschleppt. 

„Ach schade, ich dachte, der Weihnachtsmarkt wäre heute noch“, machte Mirja ein enttäuschtes Gesicht.

„Nein, gestern war letzter Tag“, meinte Kiki, die sich bei ihrer großen Schwester einhängte. Noch gestern Nachmittag hatte sie die Gelegenheit genutzt, um mit Lotta, Aylin und Fianna über den Markt zu bummeln. 

 

Kiki war die Letzte, die kurz nach drei am Wohnwagen eintraf. Ihre Freundinnen hatten im Wohnwagen bereits alles vorbereitet und den Kaninchen eine große Ladung Äpfel in den Stall getan.

„Hey, wo kommst du denn erst jetzt her?“, machte ihr Annemieke die Tür auf und setzte ihr eine rote Weihnachtsmütze auf den Kopf, die jede von ihren Freundinnen trug.

„Mensch Micky, du machst mir meine Frisur kaputt!“, beschwerte sich Kiki.

„Ich habe unsere Anführerin noch nie so reden gehört!“, beömmelte sich Mathilda. „Seit wann verhält sie sich genauso wie die Zicken aus dem Tussenkomitee?“

„Sei bloß still, du alte Spottdrossel!“, gab Kiki ihr einen Rippenstoß und drängelte sich zwischen den Zwillingen durch.

 

„Warst du noch in der Stadt, Kiki?“, fragte Aylin.

„Ich war gerade mit Papa und meinen Geschwistern shoppen“, erzählte Kiki.

„Komm rein und setz dich erstmal!“, nahm ihr Emily ihre Stofftasche ab und führte sie zu ihrem Platz.

„Wir haben uns spontan eine halbe Stunde eher hier getroffen“, sagte Mathilda. 

„Aber wir müssen in einer knappen Stunde wieder los, weil unsere Eltern mit uns in den Familiengottesdienst wollen“, sprach ihre Schwester weiter.

„Wir gehen auch zur Kirche, aber erst gegen sechs Uhr", meinte Fianna.

„Erinnere mich nicht an diese blöde Kirche!“, stöhnte Lotta. Kiki war irgendwie froh, dass es bei ihnen Heiligabend nicht Usus war in die Kirche zu gehen, dabei war sie noch nicht einmal getauft. Lediglich fand bei ihr zuhause gegen Abend eine Bescherung statt, aber bis dahin war noch Zeit.

 

Auf Kikis Teller stand eine kleine Nagellackflasche in Königsblau, ihrer Lieblingsfarbe.

„Von wem ist die?“, fragte sie.

„Von mir!“, meldete sich Fianna zu Wort, die gerade mit dem Anzünden der Kerzen beschäftigt war.

„Fianna hat echt einen guten Geschmack!“, fand Aylin und betrachtete ihre pinke Nagellackflasche.

„Woher weiß sie, dass Rot meine Lieblingsfarbe ist?“, war Annemieke erstaunt.

„Ganz einfach, weil es in unserem Bandenbuch steht“, meinte Fianna. Lotta packte währenddessen ihren Kuchen aus und fing ihn an in Stücke zu schneiden.

„Selbst gebacken, mit Lebkuchengewürz und ganz viel Schokolade“, erklärte sie den Freundinnen stolz. Ihr Kuchen sah zum Anbeißen lecker aus, doch Kiki war immer noch zu satt vom Brunch. Trotzdem nahm sie ein klitzekleines Stück, welche sie in Zeitlupentempo aß.

 

„Wir haben fast etwas vergessen!“, schreckte Mathilda zwischendrin hoch und holte eine kleine Tüte unter dem Tisch hervor.

„Stimmt, das Wichtigste hätten wir fast vergessen!“, fiel Annemieke ein. „Wir waren in letzten Tagen sehr kreativ gewesen. Mal sehen, wie ihr es findet.“

„Das sind ja Schutzengel! Wie niedlich!“, rief Emily begeistert, die zuerst das Geschenkpapier entfernt hatte.

„Für jede Freundin ein eigener Schutzengel“, sagten die Zwillinge aus einem Mund.

„Sind die aus Fimo?“, wollte Fianna wissen.

„Genau“, nickte Annemieke. Nun teilten die Freundinnen gleichzeitig wild durcheinander ihre Geschenke aus. Emily schenkte jeder Freundin Pralinen, während Lotta für Jede Kinogutscheine geholt hatte. Auch Kikis selbst gebastelten Ohrringe kamen bei ihren Bandenschwestern sehr gut an.

 

„Macht es euch etwas aus, dass ich nichts schenke? Denn wir feiern kein Weihnachten“, machte Aylin ein leicht bedrücktes Gesicht.

„Natürlich nicht“, antwortete Fianna und legte ihr die Hand auf den Unteram.

„Aber wenn wir das Zuckerfest feiern, dann werdet ihr auf jeden Fall Geschenke bekommen und ich werde einige Leckereien mitbringen“, versprach Aylin und goss sich eine Tasse Apfel-Zimt-Tee ein. Einen Augenblick später mussten Lotta und die Zwillinge weg. Kiki, Fianna, Aylin und Emily wünschten ihnen ein frohes Fest und einen guten Rutsch.

„Ich weiß gar nicht, ob ich das euch schon erzählt habe“, begann Emily. „Ich werde mit meinem Vater und seiner Freundin an Silvester nach Berlin fahren.“

„Oh mein Gott, Lily, ich glaube, ich werde gleich neidisch“, sagte Fianna.

„Feiert ihr am Brandenburger Tor?“, fragte Kiki.

„Haben wir vor“, nickte ihre Freundin.

„Dann musst du uns auf jeden Fall etwas aus Berlin mitbringen. Auch wenn es irgendwelche Schlüsselanhänger sind“, meinte Aylin.

„Na klar doch, ihr seid doch meine allerbesten Freundinnen“, nickte Emily.

„Bitte keine Schlüsselanhänger, davon habe ich gefühlt hundert Stück!", warf Kiki ein. „Dann vielleicht lieber Berliner Bären als Teddys."

„Oh nö, doch keine Teddys!", schüttelte Fianna entrüstet den Kopf. „Wir sind zwölf und keine zwei."

„Lasst euch überraschen", schmunzelte Emily.

  

Einen Moment später standen die vier Freundinnen dicht beisammen und schauten aus dem Fenster. Draußen begann es bereits zu dämmern. Im Gegensatz zu vorgestern war der Himmel wolkenfrei und die feuerrote Sonne senkte sich Stück für Stück dem Horizont entgegen und innerhalb von gefühlten wenigen Minuten veränderte der Himmel seine Farbe. Aus einem Goldgelb-Orange-Kaminrot wurde zunehmend ein Dunkelblau-Violett. Über dem Schrebergartenhaus des Nachbargartens prangte die Venus hell und funkelnd am Abendhimmel.

„Allein dieser Sonnenuntergang ist ein wunderbares Weihnachtsgeschenk", sagte Emily gedankenverloren, worauf ihre Freundinnen nickten.

 Im Wohnwagen war es angenehm warm und im goldenen Kerzenschein sah es doppelt so gemütlich aus. Als Fianna ruhige Weihnachtsmusik anmachte und jeder Freundin nochmal Tee nachschenkte, wurde es doppelt so behaglich im Bandenquartier. 

„Ich glaube, ich sollte bald auch los", stellte Emily mit einem Blick auf die Küchenuhr fest. „Rachel hat Mama und mich gegen 19 Uhr zur Bescherung eingeladen, aber bis dahin muss ich mich duschen und mich ein bisschen schick machen."

 

Kurz darauf wurde das Gesprächsthema gewechselt.

„Ich gespannt, wie es bald zwischen uns und den Piranhas weitergeht“, dachte Fianna laut nach.

„Ich auch“, gab Kiki zu. „Mal schauen, ob sie in der nächsten Zeit wenigsten ein bisschen reifer werden."

„Mir reicht schon ein bisschen", meinte Emily und gurrte: „Irgendwie ist Lennard doch ganz..."

„Ganz süß", nahm ihr Fianna das Wort aus dem Mund. 

„Er hat sich letztens wie ein Gentleman entschuldigt, als wir in der Cafeteria ineinander gerannt sind und ohne seine Kumpels ist er wirklich nett", erzählte Emily und Kiki entging der leicht verliebte Ausdruck im Gesicht ihrer Freundin nicht. Ihr war bewusst, dass in naher Zukunft auf sie und ihre Freundinnen große Veränderungen zukommen würden. Schließlich war das Kindsein nicht für die Ewigkeit bestimmt. Leider!

„Ich wäre sehr froh, wenn die Jungs sich nicht mehr wie Idioten würden", sagte Aylin, die ihre Arme um Fianna und Emily gelegt hatte. „Diese ewigen Kabbeleien sind irgendwann nicht mehr zum aushalten."

 

Gerade als die Mädchen die Kerzen und die Räucherstäbchen löschten, klopfte es an der Tür. 

„Bitte nicht die Piranhas!", wurde Aylin ganz klein. 

„Ich geh eben nachschauen", schritt Kiki voran und drückte die Klinke der Wohnwagentür runter.

„Hallo Josephine!", entfuhr es ihr, als sie ihre Schrebergartennachbarin auf der Stufe zum Wohnwagen entdeckte. 

„Ich wollte euch ein Frohes Fest wünschen", erwiderte ihre alte Freundin. 

„Komm rein, ein bisschen Zeit haben wir noch", winkte Emily sie zu sich.

„Bei euch riecht es ja richtig gut", bemerkte Josephine.

„Das kommt von Kikis Räucherstäbchen", sagte Fianna.

„Ihr habt es euch richtig weihnachtlich zurecht gemacht", lobte ihre alte Freundin. 

„Danke!", strahlte Kiki und bot ihr ein Stück vom Lebkuchengewürzkuchen an. Mittlerweile hatte Josephine eine Dose mit Vanillekipferl und Spritzgebäck auf den Tisch gestellt. Fianna goss dem Gast den restlichen lauwarmen Tee ein, während die anderen sich um den Tisch gruppierten. Die Bandenmädchen und Josephine unterhielten sich ausgelassen und Emily erzählte ihr, dass sie mit den Piranhas über die Festtage einen Waffenstillstand vereinbart hatten. Zum Schluss wurde sogar ein Weihnachtslied gesungen, bevor sie gegen fünf Uhr die Wohnwagentür hinter sich abschlossen. 

Extra: Zehn Fragen an Kiki

  1. 1.     Was machte die „Rote Tulpen“ aus?

Kiki: Dass wir in jeder Lebenslage füreinander da seid und gegen unsere Feinde zusammenhalten. Am meisten gefällt mir jedoch, dass wir gemeinsam unvergesslich schöne Momente teilen. Im Grunde sind wir die besten Freundinnen dieses Planeten und aus meinem Leben sind meine Mädels nicht mehr wegzudenken.

 

  1. 2.     Ist mittlerweile alles genauso wie am Anfang?

Kiki: In Prinzip schon, obwohl wir uns als Bande sehr viel weiterentwickelt haben. Seit April haben wir unser Bandenquartier und unsere Kaninchen. Die Rollenverteilung ist klar und wir sind besser organisiert. Mittlerweile sind Streitereien und Zickereien relativ selten geworden. Gerade am Anfang konnten wir uns zoffen, bis die Fetzen flogen und einige Mädchen kurzzeitig aus der Bande austraten. Jetzt kennen wir uns besser und daher können wir es häufiger vermeiden, dass es kracht.

 

  1. 3.     Könnt ihr euch einen dauerhaften Frieden mit den Piranhas vorstellen?

Kiki: Momentan kann ich daran nicht so richtig denken. Die Jungs haben in den vergangenen Monaten für sehr viel Stress gesorgt. Manchmal haben wir uns jeden Tag gezankt. Am schlimmsten fand ich, als sie mir die Falle beim Waldlauf gestellt haben und sie Jolanda angestiftet haben Micky einen Spickzettel in ihr Arbeitsheft zu kleben. Vielleicht werden wir uns später einmal vertragen, denn irgendwann werden wir auch erwachsen.

 

  1. 4.     Freust du dich darauf bald ein Teenie zu sein?

Kiki: Irgendwie schon, aber irgendwie nicht. Mit dreizehn ist man nicht mehr richtig Kind, aber auch noch kein richtiger Jugendlicher. Doch in der Gegenwart meiner Familie freue ich mich, dass ich ein Jahr älter werde und nicht mehr als das kleine Kind dastehe. Auch ein paar meiner Freundinnen sind schon dreizehn und da bin ich froh, dass ich zu ihnen aufschließen kann.

 

  1. 5.     Merkt ihr die ersten Auswirkungen der Pubertät?

Kiki: Davon sind wir nicht verschont. Momentan hängen wir noch an unserer Kindheit, aber bald werden wir einige Veränderungen in kurzer Zeit durchmachen. Spätestens in einem Jahr werden wir richtige Teenies sein und einige von uns wird man kaum wieder erkennen.

 

  1. 6.     Was darf man sich in eurer Bande auf gar keinen Fall erlauben?

Kiki: Spontan fallen mir da Verrat, Unzuverlässigkeit, Lügen, Lästereien und Diebstahl ein. Auch Hochnäsigkeit und zickiges Gehabe wird bei uns gar nicht gerne gesehen.

 

  1. 7.     Seid ihr eigentlich so verschieden?

Kiki: Auf jeden Fall, aber das macht unser Bandenleben auch so interessant. Ich bin selbstbewusst, habe ein Gespür für Gerechtigkeit und führe unsere Bande an. Mathilda ist oft ziemlich vorlaut und hat in vielen Situationen einen guten Spruch auf der Zunge. Zudem sorgen sie und ihre Zwillingsschwester für viele Lacher. Trotzdem ist Annemieke viel sensibler und ist längst nicht so quirlig wie ihre Schwester. Fianna kann auch ziemlich wild und flippig sein, obwohl sie teilweise auch sehr eitel ist. Emily und Aylin sind ziemlich feinfühliger und eher die Ruhigeren von uns. Lotta kann ebenfalls ziemlich frech werden, besonders wenn es sich um irgendwelche Zicken oder die Piranhas geht. Trotzdem achtet sie meist drauf, dass sie nicht aus der Rolle fällt und ist sehr an neuen Trends interessiert.

 

  1. 8.     Geratet ihr wegen eurer Unterschiedlichkeit aneinander oder ergänzt ihr euch?

Kiki: Teils ecken wir dadurch aneinander, aber natürlich ergänzen wir uns. Lotta und Fianna reagieren manchmal ziemlich scharf auf Mathildas flapsigen Bemerkungen. Aber Matti meint es meist nicht böse. Aber in der Schule und in der Bande greifen wir uns gegenseitig unter die Arme so gut es geht. So bereiten wir uns zusammen für Klassenarbeiten und Referate vor.

 

  1. 9.     Wie kommt ihr sonst mit der Klasse klar?

Kiki: Mit den meisten unserer Mitschüler haben wir keine Schwierigkeiten. Mit Pauline und ihren Freundinnen kommen wir gut klar, aber auch einige Jungs sind richtig nett. Es ist klar, dass wir mit den Piranhas und dem Tussenkomitee nicht richtig befreundet sein können.

 

  1. 10.     Was wünscht du dir für das neue Jahr?

Kiki: Am meisten wünsche ich mir, dass ich meinen Vater häufiger sehen kann. Ich vermisse ihn häufig sehr. Dann hoffe ich ebenfalls, dass wir mit unserer Bande wieder spannende Abenteuer erleben können und wir gemeinsam die schönsten Momente des Lebens genießen. Natürlich ist es mir wichtig, dass meine Familie, meine Freundinnen und ich gesund bleiben und uns nichts Schlimmes passiert.

 

Jannis hat uns fotografiert, wie wir uns durch den Schneesturm kämpfen und dieses Foto hat er dann an Lotta geschickt, die es in unseren Gruppenchat gepostet hat.

 

 

 

Rezept: weihnachtliche Pfeffernüsse

 Zutatenliste:

  • 2 Eier
  • 200g Zucker
  • Halber TL Zimt
  • 50g gemahlene Mandeln
  • 1 TL geriebene Zitronenschale
  • Ein viertel TL gemahlener Pfeffer
  • 250g Mehl
  • Halber TL Backpulver

Für die Glasur

  • Saft einer Zitrone
  • 250g Puderzucker
  • Etwas Wasser

 

So geht’s

Zuerst schlagt ihr die Eier zusammen mit dem Zucker schaumig. Dann werden der Zimt, die Zitronenschalen, der Pfeffer und die Mandeln eingerührt. Mehl und Backpulver werden dazu gegeben und dann wird noch mal gut gerührt. Nun knetete ihr den Teig geschmeidig und formt kleine Halbkugeln. Wichtig ist, dass die Kugeln nicht zu dicht nebeneinander auf das Blech gelegt werden. Nun kommt das Blech in den auf 160 Grad vorgeheizten Backofen und werden ca. 15 Minuten gebacken, sodass sie hellbraun sind.

Nun setzt ihr die Glasur an, indem ihr Zitronensaft und Puderzucker vermengt. Mit ein wenig Wasser könnt ihr regulieren, wie zähflüssig euer Guss werden soll. Der Guss sollte nicht zu zäh, aber auch nicht zu wässrig sein. Wenn die Kekse abgekühlt sind, könnt ihr anfangen die Pfeffernüsse mit einem Pinsel mit dem Guss zu bestreichen.

Guten Appetit und viel Spaß beim Adventskaffee mit euren Freundinnen und Freunden sowie eurer Familie!

 

 

 

 

Widmung

 

Dieses Buch widme ich all meinen treuen Leser und Leserinnen sowie allen, die mich dazu inspiriert haben dieses Buch zu schreiben. Ebenfalls widme ich dieses Buch allen Bandenmädchen und denen, die es im Herzen sind.

 

  

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Tag der Veröffentlichung: 04.09.2014

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