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Bandengeburtstag

Heute war ein ganz besonderer Tag, nicht weil es ein Montag war und das zweite Halbjahr begonnen hatte. Vor genau zwei Jahren am fünften Februar hatten sie ihre Bande auf der Klassenfahrt gegründet, um sich gegen die Piranhas zur Wehr zu setzen, die damals noch ihre Erzfeinde waren. Aylin stapfte durch den knöchelhohen Schneematsch auf den Wohnwagen zu. In der linken Hand trug sie eine gelbe Plastiktüte, die ihr beinahe so schwer vorkam, als trüge sie einen Elefanten mit sich. Nachdem wochenlang Schnee gelegen hatte, taute es seit gestern. Es war noch niemand da, verlassen und ruhig stand der Wohnwagen in der hintersten Ecke im Schrebergarten. Nur Hanni und Nanni, ihre Kaninchen und Bandenmaskottchen, reckten neugierig ihre Köpfe zum Käfiggitter, als sie Notiz von Aylin nahmen. „Natürlich habe ich euch auch eine Kleinigkeit mitgebracht“, Aylin grub in ihrer Jackentasche nach den Möhrendrops, die sie extra für ihre tierischen Freunde mitgenommen hatte.

 

Sofort stellten sich die beiden Kaninchen auf ihre Hinterbeine und sahen sie erwartungsvoll an. Vorsichtig öffnete Aylin die Stalltür. Hanni und Nanni begannen ihr die Drops aus der Hand zu fressen. Ihre weichen Schnauzen kitzelten an ihrer Hand. Aylin kraulte sie sanft hinter den Ohren und wärmte ihre klammen Finger an ihrem Fell. „Halli Hallo!“, Emily schwang das Gartentor auf und kam gutgelaunt auf sie zu. „Was machst du hier schon so früh?“, fragte sie. „Ich wollte unbedingt meine selbst genähte Gardine aufhängen, bevor die restliche Bande kommt. Ich bin schon sehr gespannt, wie sie meine Gardine finden werden“, erwiderte Aylin. „Komm lass uns reingehen, mir kriecht die Kälte an den Beinen hoch“, bibberte Emily und hakte sich bei ihrer Freundin ein. Aylin riss sich los und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Nein, Lily! Die Gardine darf jetzt noch niemand sehen, es soll eine Überraschung für unsere ganze Bande werden“, widersprach sie energisch. „Komm schon, warum soll ich mir die Überraschung nicht sofort angucken dürfen?“, Emilys Stimme klang leicht gekränkt. Emily sah Aylin nach und jammerte, „Mir ist gerade richtig kalt!“ „Streichle die Kaninchen, dann wird dir schon wärmer“, antwortete Aylin und schwang die Tür hinter sich zu.

 

Drinnen war es lausigkalt, Aylins Atem hinterließ kleine weiße Wölkchen, die für einen Moment in der Luft hingen und sich dann wieder auflösten. Schnell zündete sie den kleinen Ölofen an und wärmte einige Minuten lang ihre steifen Hände auf. Langsam wurde es erträglicher und Aylin begann den Tisch zu putzen. Sauberkeit und Ordnung war ihr oberstes Gebot im Wohnwagen. Beim letzten Gruppentreffen hatte Kiki eine Tüte Spekulatius von Weihnachten mitgebracht, die überall unzählige Krümel hinterlassen hatten. Offensichtlich wurde danach nicht richtig sauber gemacht. Es klopfte an der Tür. „Lasst uns endlich rein!“, hörte sie Kiki rufen. „Einen Moment noch! Ich bin noch nicht fertig!“, rief Aylin. „Wie lange dauert es noch?“, fragte Lotta durch die Tür. „Lasst mir noch fünf Minuten!“, antwortete Aylin. Sie griff in ihre Tüte und holte ihre Gardine raus, an der sie die letzten Abende lange gearbeitet hatte. Zu Beginn hatten Kiki, Annemieke und sie die Gardine zu dritt genäht, aber da ihre beiden Freundinnen oft kaum Zeit hatten, stellte Aylin die Gardine alleine fertig. „Hoffentlich wird sie allen gefallen!“, dachte sie und stellte sich auf einen Hocker, um die Gardine über dem Fenster zu befestigen. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk und fuhr mit der Hand über den samtigen dunkelblauen Stoff. Die Sterne, Monde und Sonnen, die sie extra aufgenäht hatte, glitzerten im matten Licht der Deckenlampe. Aylin schob den Hocker beiseite und eilte zur Tür. „Na endlich, wir sind schon beinahe draußen erfroren!“, klapperte Kiki mit den Zähnen und befreite ihre kniehohen Stiefel vom Schneematsch.

 

„Kommt rein! Ich habe es euch richtig gemütlich gemacht“, Aylin schmunzelte und hielt die Tür auf. „Schön warm hier drinnen!“, hauchte Lotta und rieb ihre Hände aneinander. „Wo kann ich meine Kanne hinstellen?“, fragte Emily, „Ich habe uns extra eine große Kanne heiße Schokolade mit Zimt gemacht“ „Stell sie einfach auf den Tisch, ich habe ihn schon sauber gemacht“ „Ich habe auch noch eine Tafel Schokolade und eine Box mit Gummibärchen dabei“, rief Lotta. „Stell sie einfach dazu“, sagte Aylin. „Die Gardine ist super geworden, Aylin!“, rief Kiki begeistert und betastete den Stoff. „Bestimmt hast du darin ziemlich viel Arbeit investiert“, vermutete Lotta. „Ich habe jeden Abend daran genäht“, bestätigte sie. „Dafür hat sich die Arbeit wirklich gelohnt“, fand Emily und setzte ihre Mütze ab, sodass ihre kurzen Locken zum Vorschein kamen. Erst im Herbst ließ sie sich die Haare streichholzkurz schneiden und schockte ihre Freundinnen auf der Hinfahrt zu Henriettes Reiterhof, doch inzwischen war sie nicht wieder beim Friseur gewesen und wollte ihre Haare wieder wachsen lassen.

 

„Hey ho!“, Mathilda und Annemieke rissen schwungvoll die Tür auf und ein Schwall kalter Luft strömte hinein. „Bitte macht die Tür wieder zu“, bettelte Kiki und wickelte sich in ihren Anorak ein. „Habt ihr dieses nasskalte Wetter bestellt?“, schniefte Annemieke und putzte sich ihre Nase. „Ich habe Petrus weder eine SMS noch eine E-Mail geschickt, dass er den schönen weißen Schnee in graue Schneematsche verwandeln soll und uns pünktlich zum Bandenjubiläum nasskaltes Schietwetter schenken soll“, scherzte Mathilda und setzte ihre rote Strickmütze ab. „Aylin, die Gardine ist echt wunderschön geworden. Besonders die Monde und die Sterne sehen fabelhaft aus und glänzen wundervoll“, schwärmte Annemieke, „Tut mir leid, dass ich in letzter Zeit wenig Zeit hatte, um dir zu helfen“ „Mir gefällt sie auch gut, so haben wir wenigstens einen guten Sichtschutz vor dem alten Griesgram“, bemerkte Mathilda anerkennend. Die Zwillinge, Aylin und Kiki setzten sich auf ihre Stühle. „Wehe die Fischköppe klopfen gleich an die Tür!“, sagte Emily während sie Teller und Becher hinstellte. „Keine Panik, ich habe den Jungs gesagt, dass wir an unserem Bandengeburtstag unter uns bleiben wollen“, beruhigte Kiki ihre Freundin. Früher waren die Piranhas ihre größten Feinde gewesen, doch seit einiger Zeit waren die beiden Banden miteinander befreundet und die Piranhas waren öfter zu Besuch im Wohnwagen. Seit knapp anderthalb Monaten waren die Jungs auch zu siebt, kurz nachdem Ricardo mit Fianna im Dezember zusammen gekommen war, wurde er nach dem Gewinn der Hallenfußballmeisterschaft in ihre Bande aufgenommen. Somit waren die Mädchen nicht mehr in Überzahl.

 

Im nächsten Moment schneite Fianna als letztes Bandenmitglied herein. „Hi Mädels, ich war mir erst überhaupt nicht sicher, ob ich überhaupt kommen soll. Ich bin derbe erkältet und ich befürchte, dass ich meine Stimme verliere“, Fianna klang sehr heiser und schniefte kräftig in ihr Taschentuch. „Gesund sieht anders aus!“, bemerkte Mathilda. Ihre Zwillingsschwester stellte eine große Kuchenbox auf den Tisch. „Habt ihr einen Kuchen gebacken?“, fragte Kiki mit leuchtenden Augen. „Ja, gerade deshalb sind wir zu spät. Micky wollte irgendein kompliziertes Rezept ausprobieren und wir mussten den Kuchen zwei Stunden in den Kühlschrank stellen, damit die Sahne und der Zuckerguss fest genug waren“, erzählte Mathilda und schaute leicht gequält drein. Backen war nicht ihre größte Leidenschaft, aber dafür die von ihrer Schwester. Annemieke überraschte jedes Mal ihre Bande mit neuen Kuchenkreationen. „Du solltest echt Konditorin werden!“, lachte Lotta. „Hm, eigentlich wollte ich Tierärztin werden“, Annemieke lächelte verlegen. „Der Kuchen sieht einfach super aus, viel zu schade zum essen“, rief Emily, „Ich will ihn gar nicht anschneiden“ „Soll ich ihn anschneiden? Ich kriege langsam wieder Appetit auf Süßes“, meldete sich Mathilda zu Wort und schnappte sich das große Kuchenmesser. „Halt, ich muss noch ein Erinnerungsfoto machen, bevor du den Kuchen killst!“, rief Lotta laut und drängte sich mit ihrem Smartphone zwischen Aylin und Emily durch. „Und ihr müsst erst die Kerze anzünden, damit wir sie gleich gemeinsam auspusten können“, fiel es Annemieke ein.

 

Der Kuchen wurde in die Mitte geschoben und die Mädchen stellten sich rund um den Tisch auf. Kiki zündete die kleine rote Kerze an, die perfekt zum roten Zuckerguss passte. „Wollen wir singen, bevor wir die Kerze auspusten?“, fragte Emily. „Oh nein, dass überlebt meine Stimme nicht!“, krächzte Fianna. „Happy Birthday to you! Happy Birthday to you! Happy Birthday, Rote Sieben! Happy Birthday to you!“, sangen die Mädchen aus vollem Halse. Lotta fing an zu kichern. „Es hört sich total albern an!“, gickerte sie. „Wir sind unter uns, Lotta! Hier können wir so viel albern sein, wie wir wollen“, meinte Mathilda gutgelaunt. „Das Wachs tropft auf den Kuchen! Los, wir müssen pusten!“, zischte Aylin. Zusammen pusteten die Bandenmädchen so heftig, dass die Kerze tatsächlich umfiel und noch mehr Wachstropfen auf dem Kuchen verteilt wurden. „Bah, jetzt haben wir den ganzen Wachs auf der Glasur!“, ärgerte sich Lotta. „Was soll daran so schwierig sein, das Wachs mit der Gabel zu entfernen? Manchmal bist du nur zu pingelig, kleine Erbsenzählerin!“, Mathilda konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen und bekam dafür unter dem Tisch zwei Fußtritte von Kiki und ihrer Schwester.

 

„Kaum zu glauben, dass wir unsere Bande vor zwei Jahren gegründet haben“, wechselte Aylin das Gesprächsthema. „Stimmt, die Zeit ist rasend schnell vergangen und seitdem sind wir alle zwei Jahre älter geworden“, nickte Annemieke und deutete auf ein Foto von ihrer Klassenfahrt, welches neben der Tür hing. „Das waren noch Zeiten“, schwärmte Mathilda, „Damals haben uns ziemlich heftig mit den Jungs und mit dem Tussenkomitee bekriegt“ „Mittlerweile ist das Geschichte, wir haben weder mit den Piranhas noch mit den Tussen irgendwelche Streitereien auszufechten“, meinte Lotta. „Irgendwie schade!“, seufzte Mathilda, „Gerade das hat unseren Zusammenhalt als Bande echt gestärkt“ „Vielleicht bekommen wir irgendwann neue Feinde, gegen die wir uns behaupten müssen. Ich brauche sie nicht unbedingt. Ruhe zu haben, ist auch ziemlich schön“, sagte Annemieke. „Das ist wahr, bei uns wird es nie langweilig“, nickte Kiki, „Außerdem haben wir in beiden Bandenjahren eine ganze Menge Feinde gehabt. Erinnert euch an die Piranhas, an die Drogenschmuggler in der alten Villa oder an Teresia“ „Bitte, Kiki! Den Namen Teresia will nicht mehr hören“, stöhnte Mathilda und tat so, als hielte sie sich die Ohren zu. Teresia war ganz am Anfang der achten Klasse für wenige Wochen in ihrer Klasse gewesen. Wegen ihr hatten sich die Zwillinge wochenlang zerstritten und beinahe hätte sich die Rote Sieben aufgelöst. Niemand weinte ihr eine Träne nach als verkündet wurde, dass sie die Schule verlässt und Unterricht bei einem Privatlehrer nehmen wird.

 

„Ich habe auch noch etwas zu bieten!“, lenkte Emily die Aufmerksamkeit auf sich und zog ein zusammengerolltes Poster aus ihrer Tasche. „Lass mal sehen!“, sagte Lotta und beugte sich neugierig über Emilys Schulter. Das Poster war großartig geworden. Die Freundinnen betrachten die vielen Fotos von ihren Erlebnissen mit leuchtenden Augen. „An das Abenteuer mit Bärenhöhle denke ich gar nicht gerne zurück“, schüttelte sich Lotta. „Wärst du nicht auch hinabgestürzt, so hätte mich bestimmt niemand gefunden und ich müsste dort immer noch hausen“, murmelte Mathilda. Bei diesem Gedanken lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. „Viel mehr Angst hatte ich im Sommer in der alten Villa“, sagte Aylin, „Das war einfach schrecklich, wie wir als Geiseln gefangen halten wurden“ „Wie wäre es, wenn wir uns über die schönen Erlebnis unterhalten?“, lenkte Kiki ein. Die Mädchen kamen auf den Reiturlaub auf Henriettes Reiterhof im letzten Herbst zu sprechen. „Ich würde mein Konto räumen, damit wir bald wieder dorthin fahren können. Es war so schön dort!“, schwärmte Annemieke. „So einen Urlaub können wir nicht noch mal bezahlen“, meinte Kiki, „Es klingt bitter, aber es ist so“ „Vielleicht kann ich Henriette überreden, dass sie uns nur für ein verlängertes Wochenende einlädt. Tessa hat mir letztens am Telefon erzählt, dass sie sich sehnt, uns wieder zu sehen“, schniefte Fianna und musste mehrmals hintereinander niesen. 

 

 

Die neue Mitschülerin

Am nächsten Morgen kam Frau Schellhardt mit einem neuen Mädchen in die Klasse. „Das ist Vivien Mahlmann, sie ist ab heute eure neue Mitschülerin. Sie ist neu hier her gezogen und ist dreizehn Jahre alt“, stellte die Klassenlehrerin das Mädchen vor. Vivien war ziemlich klein, trug eine kleine runde Brille und hatte ihre mausbraunen Haare zu einem kurzen Bob geschnitten. „Kann sich Vivien zu euch in die Reihe setzen?“, fragte die Klassenlehrerin. Heute saßen ausnahmsweise Aylin und Mathilda nebeneinander, da Annemieke und Fianna krank waren. „Aber normalerweise sitzen Annemieke und Fianna bei uns in der Reihe“, entgegnete ihr Mathilda. „Wir werden Fianna, wenn sie wieder da ist, neben Finn in die erste Reihe setzen“, meinte Frau Schellhardt, „Vivien ist gut aufgehoben, wenn sie zwischen Aylin und Annemieke sitzt“ Aylin rückte einen Platz nach links, damit sich Vivien hinsetzen konnte.

 

Wortlos nahm die neue Schülerin platz und holte die Mathesachen hervor. „Mathilda, ich habe noch eine Bitte an dich zu richten“, wandte sich die Klassenlehrerin an die Klassensprecherin, „Könntest du Vivien in der großen Pause die Schule zeigen?“ Mathilda nickte kurz und konzentrierte sich wieder auf ihre Rechnung. Vivien saß starr auf ihrem Stuhl und schaute nach unten. Die Fransen ihres Ponys hingen ihr die Augen. „Vivien, wenn du Probleme hast, dann melde dich. Ich weiß nicht, wie weit ihr in eurer alten Klasse in Mathe ward“, sagte Klassenlehrerin, als Vivien ratlos über ihrem leeren Heft saß. Die neue Mitschülerin nickte nur und nur schrieb das Datum rechts oben in die Ecke. Erst als die richtigen Lösungen an der Tafel präsentiert wurden, fing das Mädchen an in Windeseile abzuschreiben. „Wenn du etwas nicht verstehst, kann ich dir gerne helfen“, bot Mathilda freundlich an. Vivien nickte und brummte etwas Unverständliches.

 

In der Pause trafen Kiki, Lotta und Emily an ihrem Lieblingstisch in der Cafeteria. Es war draußen viel zu ungemütlich, um dort die Pause zu verbringen. Mathilda führte währenddessen Vivien durch die Schule und zeigte ihr den Weg zur Turnhalle. Aylin begleitete die beiden Mädchen. Vivien trottete hinter ihnen her, ohne ein Wort zu sagen. „Das ist die Treppe zum Lehrerzimmer und zum Sekretariat“, sagte Mathilda, „Dort musst du nur hin, wenn du bestimmte Zettel abzugeben hast“ Wieder nickte Vivien nur und blieb schweigend stehen. Aylin wunderte sich, warum die neue Mitschülerin nicht mit ihnen sprach. „Vielleicht ist sie sehr schüchtern und braucht einen Moment bis sie aufgetaut ist“, dachte sie sich insgeheim. Kurz vor Pausenschluss fragte sie leise und schüchtern, wo die die Toiletten waren.

 

„Mich regt dieses Mädchen beinahe jetzt schon auf. Sie antwortet mir gar nicht, wenn ich mit ihr spreche. Ich weiß noch nicht mal welche Sprache sie spricht und wie sich ihre Stimme anhört“, stöhnte Mathilda, als Vivien im Mädchenklo verschwunden war. „Sie ist halt sehr schüchtern. Es ist bestimmt nicht einfach sich an eine neue Umgebung und neue Mitschüler zu gewöhnen“, meinte Aylin. „Lotta war vor zwei Jahren ganz anders“, entgegnete ihr Mathilda, „Sie hat sich vornherein uns angeschlossen und hat offen mit uns geredet“ „Nicht jeder Mensch verhält sich gleich“, widersprach ihr Aylin, „Lass Vivien erstmal Zeit sich an uns zu gewöhnen, bestimmt ist ein nettes Mädchen, wenn sie aufgetaut ist“ „Bis sie aufgetaut ist, kannst du Jahrzehnte warten“, murrte Mathilda. „Ich frage mich, wieso du überhaupt Klassensprecherin geworden bist, wenn du überhaupt keine Geduld mit Menschen hast“, Aylin sah ihre Freundin ernst in die Augen. Mathilda zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Aylin schüttelte leicht verärgert den Kopf, sie ärgerte sich ab und zu über Mathildas barsche Art und ihr mangelndes Einfühlungsvermögen. Vivien kam mit dem Pausengong wieder von der Toilette zurück. „Komm wir müssen schnell in den Physiksaal, bevor wir zu spät sind. Herr Weiser reißt jedem, der zu spät ist, den Kopf ab“, drängte Mathilda. Vivien schaute Aylin entsetzt an. „So schlimm ist es nun wirklich nicht“, beruhigte Aylin ihre neue Klassenkameradin, „Mathilda übertreibt oft. Herr Weiser schimpft zwar ein bisschen, wenn Schüler unpünktlich erscheinen, sonst ist er nicht so schlimm wie du denkst“ Vivien lächelte erleichtert.

 

Aylin setzte sich mit Vivien in die erste Reihe. Herr Weiser stand vor ihrem Tisch. „Hallo! Wir haben anscheinend eine neue Mitschülerin. Wie ist dein Name?“, fragte er freundlich. „Vivien“, murmelte das Mädchen leise. „Das Vivien Mahlmann, sie ist erst seit heute in unsere Klasse“, sagte Aylin. „Ich finde es gut, dass du dich um deine neue Mitschülerin kümmerst“, sagte der Lehrer und ging wieder an sein Pult. Vivien schaute sich mit einem unsicheren Blick um, ihr war alles fremd und sie konnte sich nicht einmal eine handvoll Namen merken. Aylin merkte, dass Vivien sich nichts traute zu sagen, obwohl sie dem Unterricht aufmerksam folgte.

In der zweiten Pause stand die neue Schülerin alleine neben dem Vertretungsplan. Aylin tat das Mädchen leid, sie wirkte fremd und verloren in der großen Pausenhalle. Sie beschloss zu ihr zu gehen und sie anzusprechen. „Kommst du mit?“, fragte sie. Vivien drehte sich um und sah Aylin überrascht an. „Von mir aus gerne“, erwiderte sie leise. „Wir können eine Runde über den Schulhof gehen, mittlerweile scheint es nicht mehr so stark zu regnen“, schlug Aylin vor. Zu zweit, ohne viel zu sagen, schlenderten sie über den Schulhof und aßen ihre Pausenbrote. Der schmelzende Schnee sorgte für unzählige Pfützen und an manchen Stellen war es gefährlich rutschig. Kein Wunder, dass außer ihnen und einigen jüngeren Kindern niemand draußen war.

 

Nach der fünften Stunde hatten sie frei, Frau Breisinger musste ständig husten und konnte vor Heiserkeit kaum noch sprechen, dass sie ihre Schüler kurz vor dem Ende der fünften Stunde nach Hause schickte. Aylin schlappte mit Kiki und Emily, die den gleichen Bus nehmen mussten wie sie, zur Bushaltestelle. Lotta und Mathilda, die in die entgegengesetzte Richtung fahren mussten, kamen klingelnd auf ihren Fahrrädern an ihnen vorbei gefahren und winkten ihnen hinterher. „Irgendwie finde ich die Neue ein wenig merkwürdig. Irre ich mich, dass sie den lieben langen Tag kein Wort gesagt hat“, meinte Kiki. „Doch mit mir hat sie ein bisschen gesprochen, aber sie ist momentan noch sehr schüchtern, aber das wird sich bald bestimmt ändern“, sagte Aylin. „Ich finde dieses Mädchen einfach nur dröge“, zuckte Kiki schulterzuckend. „Aber wenigstens kümmerst du dich gut um sie“, bemerkte Emily anerkennend, „Vorletztes Jahr hat sich Kiki hervorragend um Lotta gekümmert, als wir auf Klassenfahrt waren. Doch um Vivien hat sie sich noch gar nicht gekümmert“

Kiki wollte dazu nicht Stellung nehmen und drehte sich zum Fahrplan um. Aylin freute sich, dass wenigstens Emily Verständnis dafür hatte, dass sie sich um Vivien kümmerte. Der Bus hielt an und einige Fünftklässler drängelten sich an Aylin und ihren Freundinnen vorbei. „Diese kleinen Idioten, dass die nicht warten können!“, regte sich Kiki auf. „Mensch, was regst du dich immer über Kinder auf, die gerade aus dem Kindergarten raus sind“, schnaubte Emily und ihre Freundinnen bis ganz nach hinten durch. Auf einem Vierersitz ließen sie sich nieder.

 

Zuhause wurde sie von ihrer Mutter empfangen. „Hallo Schatz, wie war heute die Schule“, ihre Mutter ihr einen Kuss auf die Wange. „Ganz gut, wir haben eine Stunde früher Schluss gemacht, weil es unserer Kunstlehrerin nicht gut ging“, erwiderte Aylin. „Gibt es sonst noch Neuigkeiten?“, wollte ihre Mutter wissen, die sich sehr dafür interessierte, wie es in der Schule lief. „Wir haben ein neues Mädchen in der Klasse, das Vivien heißt. Allerdings ist sie sehr schüchtern und hat kaum ein Wort mit uns gesprochen“, erzählte sie und zog sich ihre Schuhe aus. „Setz dich ruhig in die Küche, das Essen steht auf dem Herd“, sagte ihre Mutter. Aylins Brüder und ihre ältere Schwester Fatima saßen schon am Tisch und aßen. Obwohl Aylin normalerweise kein Fan von Eintopf war, schmeckte ihr es heute ausgezeichnet, da sie sehr hungrig und ausgekühlt nach Hause kam. „Na, wie war es bei euch?“, fragte Fatima neugierig. Fatima war bereits 18 und arbeitete schon, deshalb war sie an den Schulgeschichten ihrer jüngeren Geschwister interessiert. „Wir haben eine neue Mitschülerin“, erzählte Aylin. „Wie heißt sie und wie alt ist sie?“, nun wurde Fatima immer neugieriger. „Sie heißt Vivien und ist dreizehn Jahre alt“ „Das ist ja interessant. Ist sie wenigstens freundlich?“, bohrte ihre Schwester weiter. „Sie ist sehr schüchtern. Bis jetzt hat sie kaum ein Wort mit uns geredet. Ich denke, wenn sie erstmal aufgetaut ist, wird sie bestimmt nett sein“, vermutete sie. „Aylin, du bist heute mit Abwaschen dran“, wurde sie von ihrem kleinen Bruder Onur erinnert. „Sorry, das geht nicht. Ich muss gleich zu Lotta, weil wir einen Kuchen für eine Freundin backen wollen, die morgen Geburtstag hat“, sagte sie, „Ich muss in einer halben Stunde los. Lotta wohnt am anderen Ende der Stadt“ „Manno, immer lässt du uns mit dem Abwasch hängen“, maulte Onur. „Dafür werde ich nach dem Abendbrot abwaschen“, besänftigte ihn Aylin. „Okay, Erhan und ich teilen uns die Arbeit, solange du heute Abend abwäscht“, nahm Onur das Angebot an.

 

Kikis Geburtstag

Am nächsten Morgen überraschten Aylin, Emily, Mathilda und Lotta ihre Freundin vor der Eingangstür. Sie hielten Wunderkerzen in der Hand und sangen ihrer Freundin ein Ständchen. Aylin überreichte Kiki voller Stolz einen schlichten Pappkarton. „Ich bin schon ganz aufgeregt, was dort drin sein könnte!“, sagte ihre Freundin aufgeregt. Kiki nahm den Deckel ab. Vierzehn bunte Cupcakes kamen zum Vorschein und darunter verbarg sich ein Gutschein für ein gemeinsames Frühstück im Stadtcafe. „Wow, habt ihr die Cupcakes alle für mich gebacken? Danke, ihr seid die besten Freundinnen, die man haben kann! Wie soll ich nur vierzehn Cupcakes alleine essen“, rief sie fröhlich und umarmte jeder ihrer Freundinnen. „Hier, von meiner Schwester bekommst du auch noch ein Geschenk“, Mathilda überreichte Kiki ein kleines goldenes Einhorn aus Fimo. Leider waren Annemieke und Fianna immer noch krank. Auch Mathilda hustete seit mehreren Tagen und war heiser. „Wieso bist du nicht zuhause geblieben?“, fragte Lotta. „Ich wollte nur ungern den Geburtstag meiner besten Freundin verpassen“, krächzte sie und bekam wieder einen Hustenanfall. „Bei diesem Wetter krank zu werden, ist echt kein Wunder“, schnaubte Aylin. „Oh je, die Grippewelle hat uns überrollt“, stöhnte Emily, „Ich bin gespannt, wie lange ich noch gesund bin“

 

Mathilda wurde nach zwei Hustenanfällen und einer Niesattacke von ihrer Deutschlehrerin Frau Hagedorn nach Hause geschickt. „Du hörst dich ziemlich krank an, Kind. Es ist besser wenn du dich zuhause ins Bett legst“, meinte die Lehrerin. Mathilda packte ihre Tasche und ging nach draußen, um ihre Eltern anzurufen. Ihre Klassenkameraden wünschten ihr gute Besserung. „Herrje, ich habe Geburtstag und meine halbe Bande ist krank“, klagte Kiki. „Du hast immerhin noch drei Freundinnen, die tapfer durchhalten. Ich bin auf jeden Fall noch ziemlich fit“, munterte Lotta Kiki auf. Durch den Geburtstagstrubel hatte Aylin Vivien vergessen, die schweigend neben ihr saß und pausenlos auf ihr Buch starrte. Ein Zettel landete auf Aylins Platz, es war eine Geheimbotschaft von Kiki. „Treffen in der ersten großen Pause auf dem Schulhof bei den Tischtennisplatten“, stand drauf. Aylin ließ den Zettel schnell in ihrer Federmappe verschwinden.

 

In der großen Pause machten sich Kiki und ihre Freundinnen geschlossen auf den Weg nach draußen. Nasskaltes ungemütliches Wetter empfing sie. „Bitte, nicht so lange. Mir ist schweinekalt“, klapperte Lotta mit den Zähnen und wickelte ihren dicken Strickschal noch enger um sich. „Ich mach es kurz“, begann Kiki, „Ich lade euch heute Abend um sechs Uhr ins Kino ein. Treffen ist um halb sechs vor dem Kino-Center in der Stadt“ „Warum musstest du uns deswegen nach draußen scheuchen?“, fragte Emily. Sie zerhakte mit ihrem Stiefel die Eisschicht, die sich auf einer Pfütze gebildet hatte. „Geheime Dinge, die nur uns betreffen, werden nur dort besprochen, wo uns niemand sieht“, erklärte ihr Kiki. „Na Mädels, warum macht ihr bei diesem Wetter draußen einen Kaffeeklatsch?“, fragte Jannis und seine Piranha-Kumpels lachten. „Haha, von wegen, wir sind immer unter uns“, höhnte Lotta leise. Die vier Mädchen gingen schnell wieder rein. Die Eiseskälte hatte ihnen beinahe sämtliche Gliedmaßen abgefroren. 

 

In der Pausenhalle kam ihnen Vivien einsam und verlassen entgegen. „Wollen wir Vivien fragen, ob sie sich zu uns stellen mag?“, fragte Aylin vorsichtig. „Du könntest gleich Katja und die anderen Zicken zu uns holen. Dann könnten wir hier den Zicken-Hotspott zelebrieren“, Lottas Stimme triefte nur vor Spott. „Habt ihr etwas dagegen, wenn ich zu ihr gehe?“, hakte Aylin nach. Zu sehen, wie alleine ihre neue Mitschülerin war, machte sie nicht glücklich. „Geh nur!“, meinte Kiki, „Die Pause ist in drei Minuten eh zuende“ Aylin steuerte auf Vivien zu, die immer noch wie fest getackert vor dem Vertretungsplan stand. „Hey, wie geht es dir?“, fragte sie. „Gut“, erwiderte Vivien nuschelnd und schaute wieder auf den Boden. „Na Vogelscheuche! Bist du hier festgeklebt?“, Fredderik aus der Parallelklasse stieß Vivien unsanft von hinten an. „Lass sie gefälligst in Ruhe!“, fauchte Aylin wütend. Fredderik und seine beiden Kumpels zogen wieder ab. „Lass uns zum Klassenraum gehen, gleich klingelt es“, stupste Aylin Vivien an. „Okay!“, ihre neue Mitschülerin lächelte sie dankbar an. Offensichtlich war rechnete sie es Aylin hoch an, dass sie sie vor den Typen aus der Parallelklasse verteidigt hatte.

 

Anja und Katja schauten auf sie herab, als sie vor dem Klassenraum warteten. „Jetzt gibt sie sich mit diesem sprachlosen Geschöpf ab!“, lästerte Katja. „Das stimmt, Vivien ist so langweilig, dass sie jede Schlaftablette übertrifft“, nickte Anja, die in der Klasse das Klatschmaul schlechthin war. Aylin warf ihnen einen wütenden Blick zu. „Mach dir nichts aus diesen Ziegen!“, sagte sie zu Vivien. Kiki, Lotta und Emily hielten einen großen Abstand zu ihnen. Aylin verstand nicht wieso. Sie waren ihre Freundinnen und warum fingen sie an, Vivien genauso blöd zu behandeln wie die Idioten? Kiki winkte Aylin zu sich rüber. „Eins ist schon mal klar! Du ziehst Vivien nicht in unsere Bande. Verstanden!“, flüsterte ihr Kiki ins Ohr. „Nein, das will ich auch nicht unbedingt“, sagte Aylin, „Ich will mich nur um sie kümmern, damit sie nicht so alleine dasteht“ „Wir sind genug Mitglieder und unsere Bande ist zu hundert Prozent komplett“, setzte Lotta obendrauf, „Stell dir vor, wir machen Pauline, Freya, Sina, Jolanda und co auch zu roten Siebenerinnen, dann würde unser Bandenquartier aus allen Nähten platzen“

 

Aylin fühlte sich von ihren eigenen Freundinnen missverstanden und gesellte sich wieder zu Vivien. „Reden sie über mich?“, wurde sie von ihrer Klassenkameradin gefragt. Vivien sah aus, als würde sie sich sehr unwohl fühlen und wirkte noch unsicherer als vorhin. „Nein, es ist schon alles okay“, winkte sie ab, um ihre Mitschülerin nicht noch mehr zu verunsichern. Vivien nickte erleichtert. Herr Heinen, ihr Englischlehrer, kam und schloss die Klasse auf. Die Schüler drängten herein und strömten zu ihren Plätzen. „Good Morning“, begrüßte er die Klasse, „Es scheint so, als wäre fast die halbe Klasse krank“ „Das stimmt, heute Morgen fehlten sieben Schüler und Mathilda wurde nach der ersten Stunde nach Hause geschickt“, antwortete Finn, der das Klassenbuch führte. Der Englischlehrer teilte nach der Begrüßung ein Gedicht aus. Aylin hörte wie Vivien leise das Gedicht las, dabei machte sie keinen Fehler oder blieb an einer Stelle hängen. „Melde dich, du kannst es richtig gut lesen“, stupste Aylin ihre Tischnachbarin an.

 

„Soll ich wirklich?“, Vivien sah verlegen aus. „Mach ruhig!“, wisperte Aylin. Zögernd und langsam hob Vivien ihre Hand. „Ah, we have a new pupil in our class!“, sagte Herr Heinen, „Can you say your name?“ „Ich bin Vivien Mahlmann“, sagte das Mädchen schüchtern. Die Schüler hinter ihr begannen leise zu tuscheln. „Ein Wunder ist passiert, sie hat vor der ganzen Klasse gesprochen“, raunte Michael ironisch. „Möchtest du wirklich das Gedicht vortragen?“, fragte der Englischlehrer. Vivien nickte und begann das Gedicht in Würde vorzutragen. „Very good!“, lobte Herr Heinen und machte hinter Viviens Namen ein Sternchen. Sogar die Schüler klopften auf ihre Tische. Vivien atmete erleichtert ein und war froh, dass sie nun nicht mehr Mittelpunkt der Klasse war. „Das war mutig von dir, Vivien!“, Aylin klopfte ihr anerkennend auf die Schulter.

 

Abends trafen sie die Siebenerinnen, die noch gesund waren vor dem Kino-Center in der Innenstadt. „Es schneit!“, hauchte Lotta und pustete eine kleine Flocke weg. „Brr, wann kommt endlich Emily?“, klapperte Kiki mit den Zähnen und hüpfte auf der Stelle auf und ab. „Sie müsste mit dem nächsten Bus kommen, der in vier Minuten hier sein wird“, sagte Lotta und schaute auf ihr Smartphone. Der Wind wurde stärker und blies ihnen die Schneeflocken ins Gesicht. Die drei Freundinnen rückten ein Stückchen enger zusammen. Anstatt Emily kamen die Piranhas auf sie zu. „Was macht ihr hier?“, fragte Lotta überrascht. Sie ließ sich in Max Arme sinken. „Wir hatte gerade Training in der Halle und nun wollen wir zum ZOB“, sagte ihr Freund und gab ihr einen Kuss. „Mir fällt gerade ein, dass ich vergessen habe, der Obersieben zu ihrem vierzehnten Geburtstag zu gratulieren. Alles Gute, Kiki“, Jannis gab dem Geburtstagskind seine eiskalte Hand.

 

„Sollen wir für dich singen?“, fragte Michael scherzhaft. „Nein!“, flehten Lotta und Aylin gleichzeitig. „Davon wird uns auch nicht wärmer“, lehnte Kiki ab. „Wo ist Fianna?“, fragte Ricardo. „Sie ist leider krank“, erwiderte Kiki. Die Jungs mussten wieder los. „Ciao Mädels, wir müssen uns beeilen! Unser Bus fährt gleich“, rief ihnen Sven hinterher. „Hat er eigentlich noch Kontakt zu Tessa?“, fragte Lotta interessiert. „Das muss ich Fianna fragen“, musste Kiki passen. Auch einige Wochen nach dem Reiturlaub im letzten Herbst pflegten Sven und Tessa ihre Internet- und SMS-Beziehung, doch in letzter Zeit hatte Sven Tessa nicht ein einziges Mal erwähnt. „Schaut, sie kommt!“, Kiki deutete auf Emily, die zügig die Straße überquerte. „Oh Emily, ich bin so froh, dass du endlich da bist!“, bibberte Lotta. „Warum habt ihr nicht drinnen auf mich gewartet?“, wunderte sich Emily. „Haben wir nicht ausgemacht, dass wir uns vor dem Kino treffen“, erinnerte Kiki sie. „Ach, so genau müsst ihr euch nicht an Absprachen halten“, lachte Emily. „Los, lasst uns endlich rein, bevor ich zu einem Eisklotz geworden bin“, drängte Lotta.

 

Im Foyer empfing sie eine angenehme Wärme. An der großen Anzeigetafel waren alle Filme angeschlagen, die gerade liefen. Die Freundinnen entschieden sich einstimmig für den Film „Mein Leben als Clown“, den sie in 3D gucken wollten. „Schade, dass Fianna und die Zwillinge nicht dabei sein können“, seufzte Emily. „Aber jetzt haben wir noch mehr als zwanzig Euro übrig. Was wollt ihr essen und trinken, Mädels?“, fragte Kiki in die Runde. Die Freundinnen deckten sich mit Cola, Nachos und einem Jumboeimer Popcorn ein, bevor sie die Treppe zu ihrem Kinosaal hinauf gingen. Es lief bereits Werbung, als die Bandenmädchen sich im Halbdunkeln zu ihren Plätzen vortasten. Fast wäre Aylin über eine Stufe gestolpert, aber sie konnte sich rechtzeitig an Emilys Schulter festhalten. „Pass doch auf!“, zischte Emily. „Hier sind unsere Plätze!“, Lotta winkte sie zu sich rüber. Erleichtert ließen sie sich in ihre gemütlichen Kinosessel fallen. Emily und Lotta hatten sich bereits ihre Kinobrillen aufgesetzt. Als der Film anfing war der Popcorneimer schon halbleer. „Wir machen den gefräßigen Zwillingen Konkurrenz“, bemerkte Lotta spottend und stopfte sich erneut eine handvoll Popcorn in sich hinein. „Sei froh, dass sie nicht da sind. Dir bleibt manch so ein heftigerer Rippenstoß erspart, Lotta!“, Kiki gab ihr dafür einen sanften Rippenstoß.

 

Der Film handelte von einem fünfzehnjährigen Mädchen, das von zuhause weggelaufen ist und sich einer Gruppe Clowns angeschlossen hatte, die in verschiedenen Zirkussen auftraten und mit zwei Wohnwagen auf Reisen waren. Missgeschicke und Späße waren somit vorprogrammiert. Obwohl der Film an vielen Stellen lustig war, gab es auch ernste und traurige Szenen. Das Mädchen, das sich immer nur Milli nannte, wurde zuhause von ihrem Onkel geschlagen und vergewaltigt. Anfangs lachte und sprach sie kaum mit den fünf Clowns. Es dauerte Tage bis die Clowns Milli einmal richtig zum Lachen bringen konnten. Erst nach einer Woche verriet Milli, dass sie in Wirklichkeit Magdalena Stirner hieß und ihr Name geheim bleiben musste, da sie von der Polizei gesucht wurde. Aylin erinnerte das an Vivien. Sie schien genauso wie Milli auch oft schüchtern und traurig zu sein.

 

Am Ende des Filmes trat Milli in einer Solonummer vor hunderten Zuschauern als Schwarzweißclown auf und konnte den Zirkusdirektor für sich überzeugen. Sie durfte sogar beim Zirkus bleiben. Die Clownsgruppe verabschiedete sich wieder nach dem Gastspiel. Milli, die nun ein ganz anderer Mensch war, nahm den Abschied ihrer Clownsfreunde gelassen hin und versprach ihnen eine Karte von der nächsten Tournee zu schicken.

Aylin beschäftige der Film immer noch als sie bereits im Bett lag. Sie wusste nicht, wieso ihre Freundinnen Vivien keine Chance geben wollten und sie als Eindringling sahen. Wahrscheinlich verbarg Vivien genauso wie Milli aus dem Film ein Geheimnis in sich, von dem keiner wusste.

 

 

Vivien verbirgt ein Geheimnis

Auch nach einer Woche blieb Vivien schüchtern und sagte kaum ein Wort. Nach der Sportstunde ging sie auf die Toilette und kam nicht wieder. „Dieses Mädchen kann niemand ändern! Das ist echt schlimm, sie gibt keinem eine Antwort“, sagte Annemieke zu ihren Freundinnen in der Umkleidekabine. „Sie ist und wird für immer ein sprachloses Ding bleiben. Wahrscheinlich ist sie jetzt auch noch gerade auf dem Klo festgewachsen“, spottete ihre Zwillingsschwester. „Mathilda, warum musst du immer Urteile über Menschen fällen, die du gar nicht richtig kennst?“, Aylins Stimme klang richtig verärgert. „Aylin, willst du die Stumme immer noch bei dir in der Bande unterbringen? Das kann ja heiter werden, deine Freundinnen sind genauso wenig begeistert von ihr wie wir“, höhnte Anja. „Halt du dich da raus, Anja! Du bist sowieso das größte Klatschmaul weit und breit“, rief Aylin. „Wow, da kann die kleine Aylin aber ganz schön laut werden. Ich hätte nie gedacht, dass die kleine Heulsuse sich auch mal durchsetzen kann“, bemerkte Katja herablassend. Bevor Aylin richtig sauer wurde, hatte sich Fianna Katjas Stiefel geschnappt und sie in den Mülleimer geworfen. „Du rothaarige Bestie, du wirst sie mir ersetzen!“, brüllte Katja. „Hol sie dir raus, tragen kannst du sie immer noch?“, Fianna grinste die Zicke unverschämt an. Gerade als Katja zu einer Ohrfeige ausholen wollte, mischten sich Jolanda und Saskia ein. „Du willst wohl nicht zuschlagen oder?“, fragte Jolanda ruhig. „Das macht man höchstens im Kindergarten, aber nicht bei uns!“, ergänzte Saskia. Vor Wut kochend nahm Katja ihre Hand wieder runter und sah die beiden Mädchen böse an. „Beruhig dich, Katja!“, Freya legte ihr die Hand auf die Schulter. Langsam beruhigte sich Katja wieder.  

 

Aylin wartete bis alle Mädchen aus der Umkleidekabine verschwunden waren. Vivien tauchte nicht mehr auf. Auf leisen Sohlen huschte sie zur Mädchentoilette. „Vivien, mach auf!“, flüsterte sie. „Wer ist da?“, fragte Vivien nach einer Weile mit belegter Stimme. „Ich bin’s Aylin! Los, jetzt mach schon endlich die Tür auf!“, zischte sie. „Na gut, ich komme“, vernahm sie Viviens Stimme. Der Schlüssel im Schloss drehte sich und Vivien stand mit roten und verquollenen Augen vor ihr. „Was ist los?“, fragte Aylin entsetzt. „Ich will nicht nach Hause, ich bleibe hier“, presste ihre Mitschülerin aus sich raus. „Aber du kannst doch nicht hier bleiben und dich in der Toilette einsperren. Komm geh dich anziehen!“, Aylin zog Vivien mit sich in die menschenleere Umkleidekabine. „Du verstehst es nicht“, sagte Vivien mit weinerlicher Stimme, „Ich habe einen Grund, warum ich nicht nach Hause will.“

„Warum das?“, fragte Aylin verwundert, „Machen sich deine Eltern keine Sorgen um dich?“ Vivien brach bei diesem Satz in Tränen aus. Eine Minute lang saßen sie schweigend nebeneinander auf der Bank. „Ich kann dir ein Angebot machen“, sagte Aylin, „Du kannst zum Mittagessen zu mir nach Hause kommen“ „Oh Danke!“, Viviens Miene hellte sich zum ersten Mal auf.

Im Bus war Vivien viel offener. „Nimmst du es mir übel, dass ich vor euch ein Geheimnis verschweige?“, fragte sie. „Das nehmen wir dir nicht übel“, schüttelte Aylin den Kopf. „Wer mein Geheimnis nicht kennt, kann nicht verstehen, wieso ich mich so scheu verhalte. Ich habe schon mitbekommen, wie meine neuen Klassenkameraden darüber lästern, dass ich kaum spreche“, meinte Vivien. „Wir zwingen dich nicht, dein Geheimnis zu lüften“, sagte Aylin. „Ich werde es dir sagen, aber nur wenn du mir Zeit gibst“, bat Vivien. „Lass dir Zeit!“, nickte Aylin. „Sag es keiner Menschenseele weiter, wenn ich es dir erzähle! Wenn jemand was erfährt, werde ich richtigen Ärger bekommen“, Viviens Stimme wurde immer geheimnisvoll leiser. „Ich schwöre, dass ich nichts verrate!“, Aylin kreuzte ihre Finger. „Gut, dann kann ich mich auf dich verlassen“, ihre Klassenkameradin klang erleichtert. „Du wohnst nur wenige Bushaltestellen von mir entfernt“, sagte Vivien überrascht, als sie ausstiegen. Aylin hakte ihre neue Freundin unter und steuerte auf das Mehrfamilienhaus zu, in dem sie wohnte.

 

„Wen hast du mitgebracht? Ist das eine Klassenkameradin von dir?“, fragte ihre Mutter interessiert und gab Vivien die Hand. „Das ist Vivien, sie ist neu in der Klasse“, stellte Vivien ihre Klassenkameradin vor. Sofort kamen ihre Geschwister aus ihren Zimmern, um den Gast zu begrüßen. In der Küche roch es herrlich nach türkischer Pizza. „Magst du Lahmacun?“, fragte Aylin.

 „Ich weiß nicht, was es ist. Aber riechen tut es schon mal gut“, zuckte Vivien mit den Schultern. „Kommt rein, ich habe euch schon aufgetan!“, rief ihre Mutter aus der Küche. Die beiden Mädchen setzten sich an den Tisch. Vivien lobte das Essen. „Es schmeckt bei dir viel besser, als das was ich zuhause bekomme“, sagte sie. „Wenn du magst, kannst du öfter bei uns vorbei kommen“, sagte Aylins Mutter, die sehr gastfreundlich war.

 

Nach dem Essen gingen die Mädchen in Aylins Zimmer, um zusammen Hausaufgaben zu machen. Mit Deutsch und Biologie wurden sie schnell fertig, aber in Mathe hatten sie große Schwierigkeiten. Beide saßen eine Stunde ratlos vor ihrem Mathebuch und probierten verzweifelt mehrere Lösungswege aus. „Mathe war noch nie mein stärkstes Fach. Wenn da nicht dauernd diese verfluchten Gleichungen wären, die man auch noch umstellen muss!“, stöhnte Aylin. „Meins auch nicht!“, gab Vivien zu. „Ich stehe auf einer glatten Fünf in Mathe und in Physik. Wahrscheinlich muss ich dieses Schuljahr wiederholen“, seufzte sie tief. Der Gedanke von ihren besten Freundinnen getrennt zu werden, schmerzte sehr. „Ich muss bestimmt auch die Klasse wiederholen, meine Noten sind auch im Keller. In meiner alten Schule habe ich nur Vieren und Fünfen gehabt, das hat Zuhause großen Ärger gegeben“, sagte Vivien. Aylin schrieb Lotta, die in Mathe sehr gut war, eine SMS. „Gleich simst uns Lotta die richtige Lösung“, sagte sie und lehnte sich zurück. „Ist Lotta nicht die Große mit dem blonden Pferdeschwanz, die dauernd mit Kiki und den Zwillingen zusammen ist?“, fragte Vivien. Aylin nickte und schaute auf ihr Handy. Anscheinend hatte Lotta keine Zeit ihr zu antworten, obwohl sie die SMS von ihr schon gesehen hatte. Sie mussten eine halbe Stunde auf Lottas Antwort warten, bis sie die richtige Lösung in ihr Heft übertragen konnten.

 Nach den Hausaufgaben schauten die beiden Freundinnen bis zum Abendessen zwei Folgen von „Crazy Girl“ im Fernsehen. Fatima kam ins Wohnzimmer, sie setzte sich neben Aylin und öffnete eine Tüte Erdnussflips. „Musst du jetzt nicht wirklich langsam nach Hause? Bei uns wird gleich gegessen“, fragte Aylin mit einem Blick auf die Uhr. „Kann ich nicht einen Augenblick bleiben?“, bat Vivien. „Kann Vivien bei uns Abendbrot essen?“, fragte sie ihre Mutter. „Genug zu Essen haben wir da, aber danach bringst du sie nach Hause“, nickte ihre Mutter. Vivien sah Aylin dankbar an.

 

Nach dem Essen wollte Vivien allerdings noch ein wenig länger bleiben. „Du musst jetzt wirklich nach Hause gehen. In zehn Minuten kommt ein Bus, ich werde dich zur Bushaltestelle begleiten“, meinte Aylin und zog ihre dicken Winterstiefel an. Vivien zog sich nur langsam an und machte plötzlich ein trauriges Gesicht. „Was ist los? Du guckst wieder so traurig?“, fragte Aylin und nahm sie tröstend in den Arm. „Ich habe Angst“, hauchte ihre Freundin, „Ich weiß nicht, was mich erwartet, wenn ich so spät nach Hause komme“ „Was soll dir schon groß passieren? Reißen dir deine Eltern den Kopf ab, weil du erst jetzt nach Hause kommst?“, erwiderte Aylin. Vivien musste schlucken und bekam keinen Ton aus sich heraus. Wieder wirkte sie wieder so beklemmt wie in der Schule. Aylin vermutete, dass sie Zuhause öfter Probleme hatte und mit niemanden darüber sprechen wollte. Ihr tat ihre Freundin leid, aber sie wusste nicht, wie sie ihr helfen konnte. Auf der anderen Seite war sie sich nicht sicher, ob sich Vivien helfen lassen wollte.

 

Draußen war es stockdunkel. Sie wurden von einem eiskalten Wind empfangen, der ihnen die Schneeflocken ins Gesicht trieb. Die beiden Freundinnen versteckten ihre Gesichter unter ihren dicken Wollschals. Schneewehen fegten über die Straße. „Ich hasse diese Kälte!“, Vivien klapperte mit den Zähnen. „Ich bin froh, wenn ich gleich wieder drinnen bin“, sagte Aylin bibbernd. Sie hüpften auf der Stelle, um sich aufzuwärmen. Der Bus kam um die Ecke. Aylin umarmte Vivien zum Abschied und winkte ihr hinterher. Ihre Freundin klopfte im Bus gegen die Scheibe. Weinte sie etwa? Aylin konnte es im Halbdunkeln nicht richtig erkennen. Ihr tat es beinahe schon leid, dass sie Vivien nach Hause schicken musste. Aber bestimmt machten sich ihre Eltern schon große Sorgen um sie.

 

Aylin war froh wieder im Warmen zu sein. In ihrem Zimmer loggte sie sich im Chat ein. Kiki, Mathilda und Lotta und waren on und diskutierten eifrig über die neue Mitschülerin. Was sie über Vivien zu lesen bekam, klang weniger freundlich. Aylin las verärgert den gesamten Chatverlauf durch. Woher wusste ihre Bande, dass Vivien bei ihr gewesen war? Sie hatte Lotta vorhin eine SMS geschickt, in der sie geschrieben hatte, dass sie zusammen mit Vivien an den Matheaufgaben verzweifelte. Aber dass Lotta so eine große Lawine losgetreten hatte, machte sie wütend. 

 

Tigermaus: Unglaublich! Aylin hängt zusammen mit Vivien ab!

Adler Auge: Woher weißt du das, Lotta?

Tigermaus: Ganz einfach, Kiki. Sie hat mir eine SMS geschickt, dass sie zusammen mit Vivien mit Mathe am verzweifeln ist

Tomboy_1999: Versucht Aylin wohlmöglich hinter unserem Rücken die Stumme mit uns vertraut zu machen?

Adler Auge: Mach dir keine Sorgen, Matti! Ich werde schon dafür sorgen, dass sie nicht die ganze Zeit an uns klebt

Tomboy_1999: Gut, denn unsere Bande ist schon komplett. Wir sind zu siebt und bleiben zu siebt!!!

Tigermaus: Dafür bin ich auch! Wir heißen Rote Sieben, weil wir sieben Freundinnen sind, aber nicht acht

Sweet Bear: Warum denkt ihr, dass ich Vivien in unsere Bande schleusen will? Das stimmt doch gar nicht. Ich kümmere mich bloß um sie, damit sie Jemanden hat und nicht so alleine ist. 

Tomboy_1999: Du holst sie schließlich jede Pause zu uns. Wir können keine Minute mehr unter uns sein. Wir können kaum über Bandendinge und Privates sprechen. Ich habe den Eindruck, sie versucht alles aus uns heraus zu bekommen. Langsam nervt es mich, dass sie ständig bei uns rumlungern muss!

Sweet Bear: Das stimmt nicht, Mathilda! Warum musst du immer so barsch sein?! Merkst du nicht, wie du sie ausgrenzt?!

Adler Auge: Komm runter, Aylin! Du regst dich schon wieder unnötigerweise wieder auf. Ich finde schon, dass Mathilda und Lotta Recht haben. Manchmal rückst du uns mit deiner Vivien ein bisschen zu sehr auf die Pelle.

Tigermaus: Kiki spricht mir aus der Seele! J Als Bande wollen wir ungestört unter uns bleiben. Wer ist nicht kapiert, dem müssen wir es auf die unangenehme Art und Weise zeigen!

 

Frustriert klappte Aylin den Laptop wieder zu. Von ihren Freundinnen war nichts zu wollen! Besonders Lotta, Mathilda und Kiki behandelten jedes Nichtbandenmitglied als Eindringling, das ihnen zu nahe kam. In Aylins Augen war Vivien kein Eindringling, doch das musste sie erst einmal ihren Freundinnen klar machen. Fatima kam in ihr Zimmer. „Was ist los? Du siehst so niedergeschlagen aus“, ihre große Schwester beugte sich zu ihr runter. „Meine Freundinnen denken, dass ich Vivien in unsere Bande schmuggeln will“, stöhnte Aylin. „Erlauben dir deine Bandenfreundinnen nicht, dass du mit anderen Personen befreundet bist, die nicht in eure Bande gehören?“, fragte Fatima ungläubig. „Manchmal weiß ich es nicht“, zuckte Aylin mit den Achseln. „Hör nicht auf deine Bande, mach einfach dein Ding“, gab ihr ihre Schwester den Rat. „Das Problem ist, ich versuche Vivien einzubeziehen und meinen Freundinnen geht es zu weit. Vivien geht erst seit einer Woche in unsere Klasse und hat kaum Freundinnen“, fuhr Aylin fort. „Ich finde es jedenfalls toll, dass du dich um sie kümmerst und sie nicht so ausgrenzt wie deine Freundinnen es tun.“ 

Aylin und Vivien

Am nächsten Tag wartete Vivien schon am Schuleingang auf Aylin. „Hi“, erleichtert lächelte sie als Aylin ihr entgegen kam. „Hi! Wie haben dich gestern Abend deine Eltern empfangen?“, fragte Aylin. „Ich habe einen ziemlich heftigen Einlauf bekommen, aber dann bin ich schnell in mein Zimmer gerannt und habe mich eingeschlossen. Gott sei dank müssen meine Eltern früher aufstehen als ich, somit konnte ich wenigstens in Ruhe frühstücken“, berichtete Vivien. „Komm rein! Mir wird es hier allmählich zu kalt“, Aylin griff nach Viviens Hand und zog sie mit sich in die Pausenhalle. Von überall kamen Schüler und Lehrer, die Stimmen vermischten sich und vor dem Vertretungsplan tauchten ihre Freundinnen auf.

 

Aylin und Vivien steuerten direkt auf sie zu. „Na toll, man hätte es wenigstens einen Tag vorher sagen können, dass die erste Stunde ausfällt“, regte sich Fianna auf. „Warum fällt nur eine Stunde aus?“, fragte Aylin. „Es steht auf dem Plan, dass Frau Schellhardt noch ein Gespräch mit dem Schulleiter hat“, erwiderte Fianna. „Ich hätte locker noch eine Stunde schlafen können. Ihr seht bestimmt, dass ich wieder kurz davor bin, wieder einzuschlafen“, gähnte Mathilda. Es klingelte und die Pausenhalle leerte sich langsam. „Wollen wir nicht in die Cafeteria gehen?“, schlug Emily vor. „Das ist das Beste, was wir machen können“, nickte Kiki. Die Zwillinge hakten sich bei Emily unter, während Kiki nach Lottas und Fiannas Händen griff. Schwatzend entfernten sich ihre Freundinnen.

 

Aylin blieb alleine mit Vivien zurück. Gerade als sie sich in Bewegung setzen wollte, hielt Vivien sie am Arm zurück. „Was ist nun? Wollen wir nicht meinen Freundinnen hintergehen?“, Aylin war leicht irritiert. „Hm, ich weiß nicht“, Vivien zuckte die Schultern, sie wirkte ziemlich unschlüssig. „Lass uns doch auch einfach hinterher gehen?“, sagte Aylin. „Na gut, wenn du meinst“, nickte Vivien, aber sehr überzeugt klang sie nicht. Untergehakt machten sich die beiden Freundinnen auf den Weg zur Cafeteria. Die Rote Siebenerinnen hatten zwei Tische zusammen geschoben und jede von ihnen hatte eine Milchschnitte in der Hand. Offenbar hatte eine von ihnen eine Runde ausgegeben. Erst schienen sie gar nicht mitzubekommen, dass sich Aylin und Vivien ihnen von hinten näherten.

„Seht mal, wer da kommt!“, zischte Lotta. „Oh nein, nicht die schon wieder!“, wisperte Kiki. Sofort verstummten die Freundinnen auf der Stelle. Ein merkwürdiges Gefühl in Aylin stieg auf. Noch nie hatten ihre Freundinnen sie so behandelt. „Komm wir setzen uns dazu“, sagte sie leise zu Vivien und holte sie Stühle vom Nebentisch. „Könnt ihr aufrutschen?“, bat sie die Zwillinge. Erst nach langem Zögern rutschte Annemieke ein Stück enger an Lotta, sodass Aylin mit ihrem Stuhl in die Lücke passte. Mathilda bewegte sich keinen einzigen Zentimeter und ließ Vivien keine Chance, sich an den Tisch zu setzen. Aylin fühlte sich unbehaglich wie seit langem nicht mehr und drehte sich nach hinten zu Vivien um.

 

 Ihre Mitschülerin wirkte wieder so traurig und unsicher wie vor wenigen Tagen, als sie noch ganz neu war. „Was habt ihr dagegen, dass Vivien bei uns sitzt?“, sprach Aylin das Thema an, worüber sie sich ärgerte. „Kann es sein, dass die da seit neustem bei uns Dauergast ist?“, erwiderte Mathilda schnippisch und blickte herablassend in Viviens Richtung. „Nur weil sie ab und zu die Pausen mit uns verbringt? Außerdem hat sie auch einen Namen, falls du es wieder vergessen hast“, Aylin kochte beinahe. Am liebsten wäre sie Mathilda an die Gurgel gegangen. „Es stimmt wirklich, wir sind in der Schule kaum noch unter uns“, mischte sich Fianna ein und schaute genervt drein. „Na und? Schließlich haben wir einmal pro Woche immer noch unser Bandentreffen“, konterte Aylin.

Kiki zog sie zu sich. „Warum plauderst du aus, dass wir eine Bande sind? Jetzt ist sie erst recht scharf darauf, sich bei uns einzuschleichen“, zischte Kiki. „Das sieht man sofort, so eng wie ihr zusammengluckt“, sagte Vivien trocken. Erschrocken drehte sich Kiki um, Vivien hatte offenbar jedes Wort mitbekommen. „Wenn ihr mich nicht dabei haben wollt, gehe ich wieder“, fuhr Vivien mit gesenkter Stimme fort und stand auf. „Na endlich, jetzt hat sie es verstanden“, bemerkte Lotta. „Ich gehe jetzt auch“, Aylin konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. Ihre Freundinnen hatten sich seit Kurzem in richtige Ziegen verwandelt.

 

„Lass sie gehen, wenn die Stumme ihr wichtiger ist als wir!“, wisperte Mathilda gehässig. Aylin konnte sich nicht mehr beherrschen und gab ihr einen heftigen Stoß in die Seite. „Bist du noch zu retten!“, fuhr Mathilda sie wütend an. Sie trat Aylin gegen das rechte Schienbein. Reflexartig holte Aylin aus und traf mit voller Wucht Mathildas Backe. „Aufhören! Wir wollen hier keinen Streit!“, Annemieke ging dazwischen. „Sie hat angefangen!“, Mathilda glühte vor Wut. „Habe ich nicht, schließlich macht sie ständig fiese Bemerkungen über Vivien“, verteidigte sich Aylin. „Ihr entschuldigt euch beide, schließlich habt ihr beide den Streit eskalieren lassen“, sagte Annemieke im Befehlston. Die beiden Streithennen gaben sich die Hand und brachten nur ein knappes „Tschuldigung“ über die Lippen.

 

Für kurze Zeit war es unter den Mädchen mucksmäuschenstill. Mathilda war immer noch stinksauer und versuchte Aylin mit zornigen Blicken aufzuspießen. „Deine Angebetete wird bald eh diese Schule verlassen, weil niemand sie ausstehen kann!“, raunte Mathilda hasserfüllt in Aylins Richtung und zog unsanft an ihrem Ärmel. Als wäre das nicht schon genug gewesen! Natürlich musste Mathilda erneut einen draufsetzen. Zornig griff Aylin in Mathildas Lockenmähne und zog feste an einer ihrer wilden Kringellocken. „Aaaauuuuu!“, heulte ihre Kontrahentin kurz auf, als ihr ein kleines Haarbüschel herausgerissen wurde. Aylin ließ locker und sah, dass Mathilda fast weinte und sich gerade noch zusammenreißen konnte. „Verschwinde! Raus mit dir! Du hast hier nichts verloren!“, fauchte Kiki Aylin an. Es war klar, dass sich Kiki für Mathilda einsetzte, schließlich war sie ihre beste Freundin. Aylin schnappte sich ihre Tasche und verließ die Cafeteria. Tränen brannten in ihren Augen, doch solange ihre Freundinnen sie noch sahen, wollte sie auf keinen Fall weinen. Mühsam biss sie ihre Tränen zurück und warf trotzig ihren Kopf in den Nacken.

 

Draußen wartete Vivien auf sie. „Was ist los? du siehst so fertig aus“, Vivien nahm sie bedingungslos in den Arm. Aylin konnte die Tränen, die sich vorhin in ihr aufgestaut hatten, nicht länger zurückhalten. „Meine Freundinnen sind total bescheuert, sie verhalten sich wie die blödesten Gänse. Mathilda macht eine schneidende Bemerkung nach der anderen. Wir haben uns gerade gefetzt und mir ist leider Gottes die Hand ausgerutscht. Weiß Gott, ob wir uns je wieder vertragen!“, schluchzte sie. „Komm wir gehen raus und dann erzähle ich dir, was ich denke“, sagte Vivien und hakte sich bei ihr unter. An der frischen Luft beruhigte sich Aylin schnell und wischte sich die letzten Tränen weg. „Ich kann Kiki, Mathilda, Lotta und Fianna sowieso nicht leiden. Offenbar wollen sie mich nicht bei sich haben. Bei Annemieke und Emily bin ich mir nicht sicher, aber sie hängen ihr Fähnchen auch in den Wind. Sie trauen sich nicht, ihren Freundinnen zu widersprechen“, meinte Vivien.

 

„Das stimmt, in unsere Bande haben sowieso Kiki und Mathilda das Sagen, Lotta unterstützt sie immer bedingungslos. Fianna und Emily haben oft eh keine eigene Meinung. Annemieke hat zwar ihre eigene Meinung, aber manchmal traut sie sich nicht sich gegen ihre Freundinnen durchzusetzen. Mir macht es langsam keinen Spaß mehr in einer Bande zu sein, in der alle einer Anführerin hinterher rennen“, klagte Aylin. „Das ist wahr, in eurer Bande sollten alle Mitglieder gleichberechtigt sein“, nickte Vivien. „Auf jeden Fall. Wenn die Rote Sieben ein Zickenverein bleibt, trete ich freiwillig aus!“, schnaubte sie. „Ich wäre so gerne in einer Bande“, seufzte Vivien sehnsüchtig, „Aber dann will ich in einer Bande sein, in der nicht dauernd gezofft wird und die Mitglieder die gleiche Stellung haben“ „Kiki ist gleichzeitig Herz und Kopf der Bande. Die anderen Mädchen hören auf sie, wie Hunde. Es ist schwer ihr etwas entgegen zu setzen, da sie auf ihrer Meinung beharrt“, versuchte Aylin ihr zu erklären. Es klingelte zur zweiten Stunde, die Mädchen steuerten zügig auf den Eingang zu.

 

Am Rest des Tages schotteten sich Aylin und Vivien komplett von der Roten Sieben ab. Nicht einmal Fianna, die ihre beste Freundin war, würdigte sie eines Blickes. Die Zwillinge, die in ihrer Reihe saßen, redeten über ihren Kopf hinweg mit Emily und Lotta. Aylin legte es nicht darauf an, sich mit ihren Bandenfreundinnen auf der Stelle zu vertragen. „Seht mal, es schneit!“, wisperte ein Junge, der am Fenster saß. Fast drehten sich fast dreißig Köpfe in Richtung Fenster. „Das ist genau das richtige Wetter für eine Schlittenpartie“, freute sich Kiki. „Könntet ihr euch wieder dem Fach Deutsch zuwenden?“, bat Frau Hagedorn, „Wir haben das erste Kapitel des fünften Aufzuges von Wilhelm Tell nicht einmal bis zur Hälfte besprochen“ Sofort schnellte Paulines Finger in die Höhe. „Ich habe mir zuhause Stichpunkte gemacht. Darf ich sie vorlesen?“, fragte die Klassenbeste. „Gerne, Pauline“, nickte Frau Hagedorn begeistert. Irgendwo in der Klasse wurde leise gestöhnt. „Am Morgen hatte sich um die im Bau befindliche Festung in Altdorf eine große Menschenmasse versammelt. In Schwyz und Unterwalden wurden die Burgen und Schlösser gestürmt und die Habsburger vertrieben, dabei wurde auch die Gefangene Bertha von Bruneck befreit. Auch in Altdorf wurden werden die Gerüste rund um die Festung zerstört. Dann kam die Nachricht, dass Kaiser von Herzog Johann von Schwaben getötet. Der Graf von Luxemburg wurde als neuer Kaiser gewählt und die Schweizer hoffen, dass er ihnen die Freiheitsbriefe erneuert“, trug Pauline die Hausaufgabe vor. „Sehr gut, das gibt für diese Stunde eine glatte Eins“, sagte die Deutschlehrerin zufrieden. Pauline hatte sie wieder vor einem Donnerwetter inklusive einer saftigen Hausarbeit verwahrt, die Frau Hagedorn gerne vergab, wenn die Klasse nicht richtig mitarbeitete und abgelenkt war.

 

Es klingelte, die Schüler stopften hastig ihre Blöcke in ihre Taschen und zogen sich ihre dicken Jacken an. Aylin wartete auf Vivien. Die Zwillinge und Lotta gingen an ihr vorbei, ohne „Tschüss“ zu sagen. Auch Kiki und Emily zogen wortlos an ihr vorbei. Fianna brachte immerhin ein zaghaftes „Ciao“ über die Lippen. „Sind Kiki, Lotta und co wirklich deine Freundinnen?“, fragte Vivien ungläubig. „Manchmal weiß ich es nicht“, zuckte sie mit den Achseln und stieß die große Eingangstür auf. Dicke Schneeflocken wirbelten durch die Luft und der Boden war von einer dünnen pulverigen Schneeschicht überzogen. „Wenn es so weiter schneit, können wir heute Nachmittag rodeln“, murmelte Aylin. „Gerne!“, nickte Vivien, „Das Problem ist, dass ich nicht mehr weiß, wo mein Schlitten ist“ „Komm doch heute bei mir vorbei, wir haben mehrere Schlitten und du kannst gerne den alten Bob von meiner Schwester benutzen“, meinte Aylin. „Ich rufe dich nachher an. Bis nachher!“, mit diesen Worten entfernte sich Vivien. „Immerhin habe ich noch eine Freundin“, dachte Aylin, „Aber dafür eine, die mir treu bleibt“

 

Am Nachmittag trafen sich Aylin und Vivien an der Bushaltestelle und nahmen den Bus in Richtung Quellwiese. Aylin trug ihren Schlitten auf dem Rücken und hatte Vivien ihre gelbe Rodelschale geliehen. Am Rande des Stadtparks gab es einen großen Abhang, wo bei Schnee sehr viel los war. Auch heute waren viele Schlittenfahrer und einige Jugendliche mit ihren Snowboards da. „Hoffentlich treffen wir niemanden aus unserer Klasse“, murmelte Vivien und zog ihre Wollmütze über die Ohren. „In diesem Gewühl aus Menschen kann ich sowieso niemanden erkennen“, sagte Aylin, während sie den Schlitten den Hang hinauf zog. Zu zweit drängten sie sich auf ihren Holzschlitten. Aylin schob an und hielt sich an Viviens Rücken fest. „Aaahh! Nicht so schnell!“, rief Vivien und versuchte verzweifelt zu bremsen. „Wieso bremst du?“, rief Aylin. „Aufpassen!“, kreischte eine bekannte Stimme von hinten. Aylin und Vivien pressten ihre Hacken in den Schnee und blieben ruckartig stehen.

 

„Könnt ihr nicht ein wenig Rücksicht nehmen!“, schnaubte Mathilda und richtete ihren Schal. Aylin erschrak, sie hatte nicht damit gerechnet, dass eine ihrer Bandenfreundinnen hier war. „Du wärst beinahe in uns reingefahren, du blöde Kuh“, erwiderte Aylin genauso barsch. „und hätten wir keine Vollbremsung gemacht, wäre es zu einem Zusammenstoß gekommen“, ergänzte Vivien. „Ich musste alleine wegen euch bremsen!“, regte sich Mathilda auf. „Wahrscheinlich hast du den Beinaheunfall absichtlich inszeniert, um uns blöd von der Seite anzumachen!“, wurde Aylin laut. „Hey Matti, wo bleibst du nur? Wollen wir die nächste Abfahrt zusammen fahren?“, rief Annemieke und bahnte sich ihren Weg durch die Menschenmenge. „Hier bin ich, Schwesterherz! Du siehst ja, mit wem ich mich gerade auseinandersetze“, antwortete Mathilda.

 

Nach und nach tauchten die anderen roten Siebenerinnen mit ihren Schlitten auf. „Aylins neue Busenfreundin ist auch hier“, bemerkte Lotta abfällig. „Hast du etwas anderes erwartet?“, verdrehte Kiki die Augen, „Schließlich scheinen Aylin und Vivien so eng aneinander zu kleben, als wären sie mit Sekundenkleber zusammen geklebt“ „Wenigstens ist sie eine treue Freundin, im Gegensatz zu euch!“, antwortete Aylin patzig. Die Bandenmädchen entfernten sich wieder und zogen ihre Schlitten den Hang hinauf. Nur Fianna blieb einen Moment stehen. „Ich bin echt enttäuscht von dir, dass du uns für Vivien so hängen lässt“, sagte sie ruhig. „Aber ich habe euch doch gar nicht hängen gelassen!“, verteidigte sich Aylin. „Doch und dann hast du heute Morgen den Streit in der Cafeteria angefangen“, warf Fianna ihr vor, „Matti wird dir die Ohrfeige und das an den Haaren ziehen nicht so schnell verzeihen. Micky, Lotta und Kiki werden dich aus diesem Grund auch wie Luft behandeln, solange keine anständige Entschuldigung kommt“

 

„Ich habe mich doch entschuldigt“, wütend schnappte Aylin nach Luft. „Aber die Entschuldigung war nicht ernst gemeint, da sind wir alle der Meinung!“, fauchte Fianna. „Na und? Ich will gar nicht mehr mit Annemieke, Mathilda, Lotta, Kiki und co befreundet sein“, sagte Aylin trotzig. Außerdem war sie fassungslos über das Verhalten ihrer besten Freundin, noch nie hatte sich Fianna so gegen sie gestellt. Außerdem wunderte sie sich über Mathildas nachtragendes Verhalten. Früher war Mathilda nach einem Streit nie lange nachtragend gewesen. Fianna verschwand wieder. Aylin überlegte, ob sie ihr einen Schneeball hinterher werfen sollte. Doch da Fianna schnell in den Massen von Kindern verschwunden war, verwarf sie den Gedanken rasch.

 

„Wollen wir nicht lieber wieder gehen?“, fragte Vivien. „Ach was, wir sind erst seit einer Viertelstunde hier“, schnaubte Aylin, „Wir lassen uns den Spaß von diesen doofen Gänsen nicht verderben“ Sie musste bei ihrer Freundin viel Überredungsarbeit investieren, bis Vivien einstimmte noch länger zu bleiben. „Dass ausgerechnet Mathilda alles kaputt machen muss!“, dachte Aylin verärgert. Ihr kam der Gedanke, dass sie ihre Freundinnen gegen sie und Vivien aufhetzte. „Lass dir nicht länger die Laune verhageln!“, Vivien legte ihre den Arm um ihre Schulter. Aylins Miene hellte sich wieder auf. Die Mädchen fuhren zig Male den Berg hinunter bevor es dunkel wurde. Die Roten Siebenerinnen waren bereits schon vor ihnen verschwunden.

 

Am Freitagnachmittag fiel Aylin die Entscheidung zum Bandentreffen zu gehen sehr schwer. Dieses Mal war das Treffen um drei Uhr angesetzt, da der Reitunterricht ausfiel. Einerseits hatte sie keine Lust mit ihren zerstrittenen Freundinnen den Nachmittag zu verbringen, aber andererseits war es die Möglichkeit sich wieder zu vertragen. Immerhin war der große Streit zwei Tage her und seitdem herrschte Eiszeit. Mit einem flauen Gefühl im Magen machte sie sich auf den Weg und ließ sich besonders viel Zeit. Sie war bereits über eine Stunde zu spät als sie vor dem verrosteten Gartentor stand. Ihre Knie wurden weich. Sollte sie den Schritt in das Revier der Roten Siebenerinnen wagen, die wie Haie auf sie lauerten? Aylin fand es albern vor ihrer eigenen Bande Angst zu haben. Entschlossen drückte sie die Klinke runter und stapfte durch den knöchelhohen Schnee vorwärts. Vor dem Wohnwagen standen einige Schlitten, offenbar waren die Roten  Siebenerinnen gerade von einer Schlittenpartie wieder gekommen. Aylin stieg die Treppen zum Wohnwagen hoch und trat ihre Stiefel auf der Fußmatte ab. Leise öffnete sie die Tür einen Spalt.

 

Sechs Augenpaare richteten sich gleichzeitig auf sie. „Sieh mal einer an, sie ist doch noch gekommen!“, bemerkte Lotta in einem leicht herablassenden Tonfall. „Hast du Vivien mitgebracht?“, fragte Kiki spitz. „Habe ich nicht“, schüttelte Aylin den Kopf. „Bevor wir uns nicht sicher sind, ob du sie nirgendwo versteckt hast, setzt du keinen Fuß hier rein“, bestimmte Kiki und baute sich vor ihr wie eine Polizistin auf. Fianna und Emily schlüpften in ihre Stiefel und huschten hinaus in den Garten. „Kiki, Vivien ist nicht hier“, verkündete Fianna schließlich. Endlich wurde Aylin rein gelassen, aber dennoch fühlte sich an diesem vertrauten Ort wie eine Fremde. Die Zwillinge steckten ihre Köpfe mit Lotta zusammen und tuschelten leise. Fianna nickte ihr nur kurz zu und schenkte ihr warmen Früchtetee ein. Emily war sich unsicher, ob sie näher zu ihr rücken sollte oder genauso wie ihre Freundinnen auf Abstand gehen sollte. Aylin kam sich vor, als hätte sie etwas verbrochen. Ihre Freundinnen warfen ihr kritische Blicke zu.

 

„Was findest du an dieser Vivien so besonders toll?“, fragte Kiki auf einmal und brach das Schweigen. „Ich mag sie, weil wir auf der gleichen Wellenlänge sind“, erwiderte sie und klang leicht pikiert. „Aha! Du magst es also, wenn dich Freunde rund um die Uhr anschweigen?“, Mathilda verdrehte die Augen. „In meiner Gegenwart ist sie gar nicht so stumm, wie du denkst“, widersprach ihr Aylin verärgert. „Bis jetzt hat sie uns keines Besseren belehrt. Ich weiß ehrlich nicht, wie ihre Stimme klingt“, mischte sich Annemieke ein. „Annemieke, du bist genauso stumpf und unausstehlich wie deine Zwillingsschwester!“, fauchte Aylin. „Nun sorg doch nicht die ganze Zeit für dicke Luft, Aylin!“, beschwichtigte Fianna sie. „Ich glaube es ist besser, wenn ich gehe“, presste Aylin mit erstickter Stimme aus sich heraus. Wieder stiegen in ihr Tränen hoch, die sie krampfhaft unterdrücken musste. Keine der Roten Siebenerinnen antwortete, stattdessen warfen sie sich ratlose Blicke zu. „Wenn du gehen willst, dann kannst du von mir aus gehen. Wir zwingen niemanden hier zu bleiben“, sagte Lotta schließlich.

 

Aylin riss die Tür auf und warf sie mit einem lauten Knall wieder zu. Es war ihr egal, ob ihr eine ihrer Freundinnen hinterher lief oder nicht. Hauptsache sie musste es nicht länger mit den Ziegen an einem Tisch aushalten. „Nie wieder werde ich diesen blöden Wohnwagen freiwillig betreten! Wozu auch? Sie hassen mich mittlerweile doch eh“, schwor sie sich und überlegte, ob sie die Schlüssel für den Garten und für ihr Bandenquartier in den nächsten Mülleimer werfen sollte. Mit hängendem Kopf schlich sie durch das rostige Tor und etwas Feuchtes lief ihr die Wange hinunter. Es schmeckte nach Salz. Sie ärgerte sich, dass sie so dermaßen nah am Wasser gebaut hatte. Gerade in den letzten Tagen war ihr oft zum Weinen zumute. Auf der anderen Seite war es ein Stich ins Herz, von seinen eigenen Bandenfreundinnen wie Luft behandelt zu werden. Warum feindete ihre Bande sie so dermaßen an, nur weil sie sich mit Vivien angefreundet hatte? Aylin konnte und mochte es immer noch nicht verstehen. Offenbar fühlten sich die anderen Siebenerinnen bedrängt, wenn sie in den Pausen Vivien hinzu geholt hatte. Hinter einer hohen Hecke ließ sie ihren Emotionen freien Lauf und weinte hemmungslos. 

 

Mit rotgeweinten Augen schloss Aylin die Wohnungstür auf. „Ach du liebes bisschen, was ist nur passiert?“, lief ihr auf dem Flur ihre ältere Schwester über den Weg. Aylin musste erstmal tief Luft holen, bevor sie anfangen konnte zu erzählen. „Ich hatte mal wieder Streit mit meinen Freundinnen“, sagte sie mit trauriger Stimme. „Mit welchen Freundinnen denn?“, wollte Fatima wissen. „Mit denen aus meiner Klasse, also von der Roten Sieben“, erwiderte sie mit erstickter Stimme. „Komm wir gehen in unser Zimmer“, schnappte sich Fatima eine Flasche Limonade und zwei Gläser. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, erzählte Aylin die ganze Geschichte, wie der Streit in der Schulcafeteria angefangen hatte. „Ich wusste doch, dass Mathilda nicht ganz ohne ist. Sie ist ein ziemlich verzogenes Früchtchen und ihr gehören auch mal Grenzen aufgezeigt“, sagte Fatima kopfschüttelnd, die den Erzählungen ihrer jüngeren Schwester folgte. „Mathilda lässt an mir einen fiesen Spruch nach dem anderen an mir und Vivien aus. Sie ist teilweise noch fieser, als die Piranhas vor ein oder zwei Jahren. Einmal hat sie uns mit Tannenzapfen auf dem Schulhof beworfen“, klagte Aylin. „Was machen denn bitteschön deine anderen Freundinnen?“ „Kiki und Lotta machen da voll mit. Fianna teilweise auch. Emily und Annmieke schauen nur zu, wobei Annemieke ab und zu halblaut über Vivien lästert“ „Was sind das nur für gemeine Kühe!“, schnaubte Fatima verärgert, „Ihr solltet eure Klassenlehrerin einschalten, denn das ist schon heftiges Mobbing. Wenn das nicht besser wird, dann schalte ich mich ein“

 

Der nächste Montag wurde für Aylin in der Schule zur Hölle. Die Mädchen, insbesondere Mathilda und Lotta, ließen keine Gelegenheit aus, um Vivien und Aylin zu demütigen. Immerhin war Kiki krank, was in dem Moment auch keine große Erleichterung war. Im Kunstunterricht wurde Mathilda zum wiederholten Male handgreiflich und stellte Vivien im Kunstraum ein Bein, sodass sie mitsamt ihrem Tuschkasten hinfiel. Frau Breisinger war zum Kopieren draußen, sodass sie von der gemeinen Tat nichts mitbekam. Zügig sammelte Vivien die einzelnen Farben wieder ein, wobei Aylin ihr half. „Das wird ein Nachspiel für dich haben, Mathilda!“, fauchte Aylin wütend. „Inwiefern, Gartenzwerg? Willst du mich noch mal verprügeln?“, grinste ihre Feindin frech und streifte Aylins Sweatshirt mit ihrem Pinsel. Schwache graue Flecken waren auf ihrem rosafarbenen Ärmel zu sehen. „Es reicht, Mathilda! Du gehst zu weit!“, mischte sich nun auch Emily ein, die ihre Freundin kurz zurrecht wies. Vivien saß wieder an ihrem Platz, hatte ihren Kopf auf den Tisch legte und weinte lautlos. Aylin wurde von ihrer Wut gepackt und schrieb unter dem Tisch eine SMS an ihre Schwester. „Ich komme nach der Schule und dann gibt es ein Donnerwetter“, versprach Fatima in ihrer Antwort.

 

Da Emily und Annemieke nach der sechsten Stunde ein Treffen der Schülerzeitung hatten, Kiki krank war, Lotta beim Schwimmtraining der Schulstaffel teilnahm und Fianna von ihrem Vater abgeholt wurde, stand Mathilda mit irgendwelchen jüngeren Schülern alleine an der Bushaltestelle und hörte über ihren MP3-Player Musik. Aylin und Vivien standen ein paar Meter von ihr entfernt. „Wie feige sie doch alleine ist!“, flüsterte Vivien leise. „Klar, sie ist alleine und wir sind zu zweit in Überzahl“, nickte Aylin und wurde leicht nervös. Wo blieb Fatima? Sie musste kommen, bevor Mathildas Bus kam. Gerade als Aylin ihr Handy aus ihrer Jackentasche nestelte, kam ihre Schwester von hinten. „Ist das die Übeltäterin?“, deutete Fatima auf ein Mädchen im jägergrünen Mantel mit Pelzkragen mit einer dunkelblauen Strickmütze, die mit goldgelben Sternen bestickt war.

 

„Mathilda, nimm gefälligst deine Kopfhörer raus!“, packte Fatima Aylins Klassenkameradin unwirsch am Ärmel. „Hä, was ist denn hier los?“, sah Mathilda sie erschrocken an. „Ich weiß ganz genau, was Sache ist“, fuhr Fatima zornig fort, „Du machst meiner Schwester und ihrer Freundin hier das Leben zur Hölle. Jeden Tag überlegst du dir mit deinen Freundinnen neue Gemeinheiten, um Aylin und Vivien zu quälen. Nun reicht es!“ „Wovon redest du?“, stammelte Mathilda, die sich vom Überraschungsangriff immer noch nicht berappelt hatte. Fatima wurde stinkig, als ihr Gegenüber ihr Gesicht zu einer unschuldigen Miene verzog und so tat, als wüsste sie von nichts. Sie packte Mathildas Kopf und kam mit ihrem eigenen Gesicht bedrohlich nahe an Mathildas Nasenspitze heran. Sie zischte etwas, was Aylin und Vivien nicht verstehen konnten.  

 

Aylin staunte, wie viel Autorität ihre Schwester ausstrahlen konnte. Fatima war nicht sonderlich groß und relativ zierlich, aber sie hatte Mathilda gut im Griff. In der Zwischenzeit fuhr Mathildas Bus ab, aber Fatima war immer noch beschäftigt sie zusammen zu stauchen. Aylin und Vivien bildeten einen lebendigen Schutzzaun, damit Mathilda ihnen nicht entwischen konnte. „Da ist gerade mein Bus abgefahren“, riss sich Mathilda von ihr los. „Tja, das hast du dir selbst eingebrockt!“, trat Aylin vor ihre Klassenkameradin und ehemalige Freundin. „Eine halbe Stunde wirst du wohl warten können!“, traute sich Vivien zum ersten Mal etwas zu sagen. „Mutig ist es von euch beiden nicht, Aylins große Schwester auf mich zu hetzen!“, blitzten Mathildas Augen zornig. „Du bekommst nun deine eigene Medizin zu schmecken!“, erwiderte Aylin frech und fügte zuckersüß hinzu, „Viel Spaß beim Warten im Nieselregen!“

 

„Das muss ich nicht, ich rufe meine Mutter an, dass sie mich holt, denn ihre Arbeitsstelle ist nicht weit von hier“, fauchte Mathilda ihr ins Gesicht. „Muttertöchterchen! Werd endlich mal ein bisschen erwachsen!“, sagte Fatima voller Verachtung. Vivien, Fatima und Aylin ließen die beleidigte Leberwurst stehen. „Lass uns zum nächsten Imbiss gehen und uns eine Pommes gönnen“, schlug Fatima vor. „Ich weiß nicht, ob mein Geld reicht“, war sich Vivien unschlüssig. „Ach was, heute spendiere ich euch beiden eine große Rutsche mit Mayo und Ketchup. Meinetwegen könnt ihr auch eine Cola oder Limo dazu trinken. Ich bin gerade in Spendierlaune, weil wir Mathilda gerade gezeigt haben, wo der Hammer hängt“, klopfte ihr Fatima lachend auf die Schulter. „Oh vielen Dank, Fati!“, drückte Aylin den Arm ihrer großen Schwester. „Dankeschön!“, lächelte Vivien schwach.

 

 

Viviens Hilferuf

Es klingelt an ihrer Haustür. Mittlerweile war es neun Uhr abends. Aylin saß immer noch an ihrem Schreibtisch und paukte die Englischvokabeln für den morgigen Vokabeltest. „Aylin, Besuch für dich!“, rief Fatima von draußen. Wer konnte es nur es sein, der um diese Uhrzeit bei ihnen klingelte? Aylin schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Sie war nicht wenig überrascht, als Vivien mit einer großen Tasche im Flur vor ihr stand. „Darf ich bei euch übernachten?“, fragte ihre Freundin mit matter Stimme. „Wie stellst du dir das vor?“, erwiderte Aylin. „Ich will nicht mehr nach Hause“, schniefte Vivien. „Komm, wir gehen in mein Zimmer“, Aylin zog sie mit sich und schloss hinter sich die Tür. Vivien ließ sich auf ihrem Bett nieder. „Ich muss dir dringend mein Geheimnis verraten“, begann Vivien mit zitternder Stimme. Aylin ließ sich neben ihr nieder und sah sie an. „Jedes Mal wenn ich nach Hause komme, habe ich dauernd Ärger mit meinem Stiefvater. Er schreit mich bei jeder Gelegenheit an und verprügelt mich mindestens einmal am Tag. Gerade hat er fünf Minuten auf mich eingeschlagen und nur, weil mir der Nudeleintopf etwas angebrannt ist. Ich habe ihn auf der Herdplatte vergessen, weil Mama mich gerufen hatte“, fuhr sie fort. Aylin blieb vor lauter Fassungslosigkeit der Mund offen stehen. „Davon hast du nie etwas erzählt“, sagte sie leise. „Warum soll ich in der Schule laut herumerzählen, dass ich Probleme habe? Soll ich sagen, „Mein Vater haut mich jeden Tag!“ Ne, das hört sich nur lächerlich an und diese Bandenziegen würden sich höchstens darüber lustig machen“, erwiderte ihre Freundin gereizt und entblößte ihre Arme. Unzählige blaue Flecken kamen zum Vorschein. „Das kann dir dein Stiefvater doch nicht angetan haben. Er müsste mit einem härteren Gegenstand geschlagen haben, damit du überall so blaue Flecken hast“, Aylin klang entsetzt. „Doch das hat er, zum Schlagen benutzt er entweder einen Ledergürtel oder einen Stock“, bestätigte Vivien, „Aus diesem Grund will von zuhause weg, weil ich es nicht mehr aushalte“ Aylin legte ihr tröstend die Hand auf den Rücken.

 

„Leider kannst du nicht bei uns schlafen, Vivien. Es ist sehr eng bei uns. Ich teile mir ein Zimmer mit meiner Schwester, meine Brüder haben zusammen ein Zimmer und meine Eltern wollen nicht, dass du im Wohnzimmer schläfst“, sagte sie, obwohl sie Mitleid mit ihrer Freundin hatte. Vivien sackte leise weinend in sich zusammen. „Dann werde ich wohl auf der Straße übernachten müssen. Zurück nach Hause gehe ich nicht“, weinte sie. Aylin wusste nicht, was sie tun sollte. Auch ihr stiegen Tränen in die Augen. Gerade als sie Vivien zur Tür begleitete, kam ihr der rettende Einfall. „Ich kann dich in unserem Wohnwagen unterbringen“, sagte sie. Vivien hörte auf zu weinen und fiel ihr um den Hals. „Danke, du hast mich gerettet“, seufzte sie erleichtert. „Ich bin froh, dass ich den Schlüssel für den Wohnwagen nicht weggeschmissen habe, wie ich es eigentlich vor hatte“, meinte Aylin zwinkernd. „Wurdest du aus der Bande rausgeschmissen?“, wunderte sich Vivien und rückte ihre Brille zurecht. „Nein, das nicht. Aber ich bin am überlegen, ob ich aussteige. Wenn mir vorgegeben wird, mit wem ich befreundet sein soll, macht mir es keinen Spaß mehr“, meinte Aylin. Es dauerte etwas mehr als eine halbe Stunde, als sie das Gartentor erreichten. Es war dunkel und ziemlich kalt. Der Wohnwagen sah noch verlassener aus als sonst. Aylin zeigte Vivien kurz Hanni und Nanni, die neugierig zum Gitter gehoppelt kamen und sich von den Mädchen streicheln ließen. „Gehören die Kaninchen euch?“, fragte Vivien verwundert. „Ja, das sind unseren Bandenmaskottchen“, nickte Aylin. „Können wir endlich rein, mir ist kalt“, bibbert ihre Freundin. Aylin schloss die Wohnwagentür auf und machte Licht. „Wow, sieht es bei euch im Bandenquartier gemütlich aus“, staunte Vivien und schaute sich interessiert die Fotos und Kunstwerke an, die an den Wänden hingen. Gerne wäre sie Mitglied dieser Bande und könnte die schönsten Gefühle wie Freundschaft, Zusammenhalt, Treue und spannende Erlebnis mit ihnen teilen. Doch garantiert würden die anderen Siebenerinnen sie niemals im Leben in die Bande lassen, alleine in der Schule grenzten sich die Bandenmädchen sehr von den übrigen Mitschülern ab und ließen niemanden zu nah an sich ran.

 

Aylin öffnete die Tür zum winzigen Schlafzimmer. „Hier wirst du schlafen. Leider kann man das Schlafzimmer nicht richtig beheizen“, sagte sie. „Das macht mir nichts aus“, meinte Vivien, „Ich habe einen dicken Schlafsack dabei. Hier zu schlafen, ist mir tausendmal lieber als bei mir Zuhause“ Aylin setzte sich neben ihr auf die harte Matratze. Sie sah ihrer Freundin streng in die Augen. „Du verlässt den Wohnwagen nur, wenn ich es sage. Bestimmt rufen deine Eltern die Polizei und spätestens ab morgen wirst du gesucht. Das heißt für dich auch, dass du solange du hier bist, nicht zur Schule gehst“, redete sie auf Vivien ein. „Was soll ich tun, wenn eines der Bandenmitglieder kommt?“, unterbrach Vivien sie. „Du versteckst dich unter dem Bett und kommst erst wieder hervor, wenn du dir sicher bist, dass niemand mehr hier ist. Wenn ich komme, klopfe ich dreimal gegen die Tür, verstanden?“, fuhr Aylin fort. Ihre Freundin nickte. „Ich habe Durst. Wo gibt es hier etwas zu trinken?“, fragte Vivien. Aylin gab ihr eine halbleere Wasserflasche, die auf dem Tisch stand und legte ihr ein paar Stroopwaffeln auf den Nachtisch, die die Zwillinge hier vergessen hatten.

 

Am nächsten Tag platzte Frau Schellhardt mitten in den Erdkundeunterricht. Überrascht sahen die Schüler sie an. Es musste einen Grund geben, wieso sie hier war. „Ich muss euch eine ernste Nachricht überbringen“, begann sie, „Viviens Mutter hat vorhin in der Schule angerufen, da ihre Tochter verschwunden ist. Heute Morgen war sie weder in ihrem Zimmer noch irgendwo anders im Haus aufzufinden. Ihre Mutter hat angekündigt die Polizei zu informieren“ Pauline, Freya und Jule sahen sich erschrocken an, auch Annemieke und Emily verstummten. Aylin versuchte neutral zu wirken, als ob sie nichts wüsste. In der Fünfminutenpause kamen Emily und Fianna auf sie zu. „Du bist doch mit ihr befreundet“, sprach Fianna sie an, „Wir sind uns sicher, dass du einige Details mehr zu Viviens Verschwinden weißt als der Rest der Leute“ „Nein, ich weiß gar nichts“, schüttelte Aylin den Kopf. „Ward ihr nicht jeden Nachmittag zusammen?“, bohrte Emily weiter nach. „Nein, das waren wir nicht und gestern habe ich sie nach der Schule nicht mehr gesehen“, verneinte Aylin. Langsam nervte sie die Nachfragerei. Warum wurde sie verdächtigt, etwas mit Viviens Verschwinden zu tun zu haben? Genervt drehte sie sich um und unterhielt sich stattdessen mit Freya und Sina. Aylin konnte es kaum erwarten, dass die letzte Stunde des Tages vorbei war. Sie hatte für Vivien ein großes Fresspaket gepackt. Bestimmt war ihre Freundin jetzt schon sehr hungrig. Da der Schnee vor einigen Tagen weg geschmolzen war, konnte sie mit dem Fahrrad fahren. Das ging viel schneller als den Bus zu nehmen oder zu Fuß zu gehen.

 

Um halb zwei klopfte sie dreimal laut gegen die Tür vom Schlafzimmer. Eine müde aussehende Vivien kam ihr entgegen geschlichen. „Ich bin froh, dass du endlich da bist. Ich habe einen tierischen Hunger“, murmelte sie. Aylin stellte das Fresspaket vor ihr auf den Tisch. „Ich habe dir sechs Brote geschmiert, einen Apfel, eine Banane und eine Packung Kekse eingepackt. Außerdem habe ich dir noch eine große Flasche Wasser mitgebracht“, zählte Aylin auf. „Danke, du bist die beste Freundin, die ich in meinem Leben hatte“, lächelte Vivien. Nachdem sie satt war, packte sie die restlichen Lebensmittel und die Flasche in ihre Tasche, die sie unter ihrem Bett verstaute. „Ich würde so gerne einen Moment an die frische Luft gehen“, gähnte Vivien. „Nur kurz, du weißt, dass du von niemanden gesehen werden darfst“, meinte Aylin. „Kommt nachher noch jemand aus deiner Bande hier her?“, fragte ihre Freundin. „Nein, heute bin ich mit dem Füttern der Kaninchen dran. Morgen sind Emily und Lotta dran. Übermorgen kommen die Zwillinge und Kiki“, erwiderte Aylin. „Kann man sich darauf verlassen, dass die Bandenmädchen nur zum Füttern der Kaninchen kommen?“, nun wurde Vivien ein wenig unsicher. „Manchmal kommen sie auch so zum Wohnwagen, um sich zu unterhalten oder Hausaufgaben zu machen. Es ist ganz unterschiedlich. Manchmal gibt es in der Woche auch einen Tag, an dem niemand hier ist. Mach dir bloß keine Sorgen, dass ich dich hängen lasse. Ich werde nun jeden Tag so oft kommen, wie ich nur kann“, fuhr sie fort. Die beiden Mädchen stapften eine Runde durch den Garten. „Habt ihr eigentlich schon einmal im Wohnwagen übernachtet?“, fragte Vivien neugierig. „Vorletztes Jahr an Fiannas Geburtstag haben wir hier zu siebt übernachtet. Wir haben uns zu fünft in die Etagenbetten gequetscht und zwei von uns haben auf einer Luftmatratze geschlafen. Das war richtig eng und stickig“, erzählte Aylin. „Wie wäre es, wenn du eine Nacht hier verbringen könntest?“, schlug Vivien vor, „Dann wäre ich nicht mehr so alleine“ „Hm, ich weiß nicht, ob es meine Eltern mir erlauben würden“, nachdenklich zupfte Aylin an ihren schwarzen Locken. Zu ihrem Schrecken sah der Griesgram von nebenan zu ihnen hinüber und murmelte etwas Unverständliches. Vivien wurde bleich im Gesicht, sie huschte wieder in Richtung Wohnwagen und schloss die Tür hinter sich.

 

Erneuter Ärger mit der Bande

Vivien konnte genau drei Nächte ungestört im Wohnwagen verbringen. Sonntagabend klingelt bei Aylin das Handy. „Hallo, hier ist Aylin“, nahm sie den Anruf entgegen. „Hallo, hier ist Kristina. Du musst sofort hier her kommen und zwar auf der Stelle. Die ganze Bande ist mittlerweile eingetroffen. Es gibt großen Ärger, wir haben einen Eindringling im Wohnwagen“, zischte Kiki und es knackte in der Leitung. Sie hatte bereits wieder aufgelegt. Aylin wunderte sich, wieso sich Kiki mit ihrem richtigen Namen gemeldet hatte. Sie nannte sich nur mit ihrem richtigen Namen, wenn sie entweder sehr wütend war oder wenn sie in einer angespannten Lage war. „Verdammt, sie haben Vivien entdeckt!“, zischte sie leise und bekam ein flaues Gefühl im Magen. Sie musste so schnell wie möglich zum Wohnwagen kommen. Die Mathehausaufgaben lagen immer noch halb fertig auf ihrem Tisch, aber nun hatten wichtigere Dinge Vorrang.

 

Aylin schlüpfte in Windeseile in ihre Jacke und in ihre Schuhe. Sie sprintete die Treppenstufen in den Keller hinunter, um ihr Fahrrad zu holen. „Verdammt, wieso musste sich Vivien von ihnen finden lassen?“, fluchte sie leise, als sie heftig in die Pedalen trat und ihre Straße entlang rauschte. Je näher sie den Schrebergärten kam, desto größer wurde ihre Angst. In ihrem inneren Auge malte sie sich aus, wie ihre Bandenfreundinnen sich auf sie stürzen werden und sie auseinander nehmen. Keuchend stellte sie ihr Fahrrad neben der hohen Dornenhecke ab. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals als sie das Tor zum Garten öffnete. Sie sah von weitem, dass der Wohnwagen beleuchtet war.

 

Langsam drückte sie die Türklinke runter und öffnete die Tür in Zeitlupe. Drinnen wurde laut diskutiert. Die Mädchen standen um den Tisch herum. Erst als Aylin ihre Füße in den Wohnwagen setzte, entdeckte sie Vivien zwischen den Bandenmädchen. Sie hatte ihr Gesicht auf ihren Händen gestützt und war heftig am weinen. „Aylin ist da!“, zischte Emily. Sofort drehten sich die Roten Siebenerinnen sich zu ihr um. „Was bist du nur für ein schamloses Weib!“, giftete Mathilda in Aylins Richtung. „Aylin setz dich erst einmal hin. Wir müssen mit dir dringend reden!“, sagte Kiki kühl. Aylin ließ sich auf einem freien Stuhl nieder und bereitete sich innerlich auf das Donnerwetter vor, das gleich über sie niedergehen wird.

 

„Du brauchst uns nicht mehr erzählen, wie Vivien hier rein gekommen ist und warum sie nicht nach Hause will. Wir haben gerade eben ihr Geheimnis erfahren. Sie hat uns jedes Detail erzählt“, fuhr Kiki fort, „Trotzdem sind wir sehr enttäuscht von dir, dass du so hinter unserem Rücken gehandelt hast und uns obendrein auch noch angelogen hast. Erst hast du behauptet, dass du nichts von Viviens Verschwinden wüsstest. Doch du warst es, die sie versteckt hat“ Aylin atmete tief durch. „Was hätte ich machen sollen? Vivien wollte Montagabend partout nicht nach Hause. Bei mir konnte sie nicht bleiben und darauf hat sie gesagt, dass sie draußen die Nacht verbringen wollte, wenn sie nicht bei mir schlafen könnte. Ich wollte sie nicht bei dieser Eiseskälte draußen übernachten lassen. Es wäre verantwortungslos gewesen, sie so im Stich zu lassen. Hätte ich euch von diesem Vorhaben erzählt, hättet ihr es gänzlich abgelehnt, dass sie in unserem Wohnwagen versteckt wird. Ich musste so handeln“, rechtfertigte sich Aylin.

 

„Wegen dir sitzen wir in der Falle. Die Polizei sucht immer noch nach ihr. Wenn man herausfindet, dass Vivien bei uns versteckt gehalten wird, bekommen wir den ganzen Ärger, obwohl wir mit dieser Aktion nichts zu tun haben. Vielen Dank, dass du uns den ganzen Mist eingebrockt hast, Aylin. Sowas nennt sich auch wahre Freundschaft!“, explodierte Mathilda. „Ich hätte nicht gedacht, dass du zu sowas fähig bist“, schoss nun auch Fianna auf sie ein. „Eigentlich ist das auch ein Grund, sie aus unserer Bande auszuschließen“, meldete sich Lotta zu Wort. Aylins Herz drohte zu zerspringen. Sie hoffte, dass sie nicht zu heftig bestraft wurde. „Es bringt doch nichts, wenn wir uns jetzt die Köpfe einschlagen. Wir hängen alle in dieser blöden Situation und nun müssen wir zusammenhalten. Mitgehangen ist mitgefangen!“, Annemieke versuchte die aufsteigende Wut ihrer Freundinnen einzudämmen.

 

„Was Micky gerade gesagt hat stimmt“, nickte Emily, „Entweder wir müssen Vivien hier weiterhin versteckt halten oder sie entschließt von sich aus nach Hause zu gehen“ „Ich werde nie und nimmer mich wieder bei meinem Stiefvater blicken lassen. Lieber bleibe ich hier, auch wenn es euch nicht besonders recht ist, dass ich hier bin“, entschied Vivien. „Na gut, dann darfst du dich auf keinen Fall selbst enttarnen und uns in schwierige Situationen bringen. Wir werden keiner Menschenseele verraten, wo du dich aufhältst“, redete Kiki auf sie ein. „Ich werde mein Bestes geben und mich den ganzen Tag hier aufhalten“, versprach Vivien. Sie war mehr als erleichtert, dass die Mädchen ihr einen längeren Aufenthalt erlaubten, obwohl sie sie eigentlich im hohen Bogen hinaus werfen wollten.

 

Montagmorgen in der ersten großen Pause kam ein großer Mann mit kräftiger Statur und schwarzer Lederjacke auf den Schulhof. Aylin bemerkte, dass er sich ihnen näherte. „Was will dieser Typ von uns?“, wisperte Fianna und klang leicht verängstigt. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er speziell etwas von uns will“, brummte Mathilda und biss genüsslich in ihr Pausenbrot. „Oh doch, er kommt auf uns zu“, widersprach ihr Annemieke und wagte es nicht ihr Brot weiter zu essen. „Aylin kennst du den Mann?“, fragte Emily. „Nein, er kommt mir nicht bekannt vor“, schüttelte Aylin den Kopf. „Ich habe soeben mit eurer Klassenlehrerin gesprochen, sie hat mir erzählt, dass sie Vivien in letzter Zeit in den Pausen bei euch gesehen hat“, sprach der Mann sie an. Die Mädchen verstummten vor Schreck. „Wer sind Sie überhaupt?“, Kiki fand am schnellsten ihre Sprache wieder. Schützend stellte sie sich vor ihre eingeschüchterten Freundinnen. „Ich bin ihr Stiefvater. Ich wollte mit euch reden, denn vielleicht könnt ihr mir einen Rat geben, wo sie sein könnte“ „Da wir nicht mit Vivien befreundet sind, können wir Ihnen gar keine Auskunft geben“, sagte Lotta und klang patzig. „Ich glaube sehr wohl, dass ihr wissen könntet, wo sie steckt“, erwiderte er mit seiner tiefen Stimme und trat noch einen Schritt näher an die Mädchen heran.

 

„Wie oft müssen wir es Ihnen noch erklären, dass wir mit Ihrer Stieftochter nichts zu tun hatten!“, rief Kiki verärgert. „Werde nicht frech, kleines Mädchen!“, die Augen des Mannes verengten sich zu kleinen Schlitzen. „Ich bin mir sicher, ihr verbergt die Wahrheit vor meinen Augen“, nun klang seine Stimme sehr drohend. „Wir haben Ihnen nichts zu verbergen“, rief Mathilda laut, „Vivien ist sowieso nicht unsere Freundin, da keiner von uns sie ausstehen kann“ „Ich sehe, dass du lügst! Sag gefälligst die Wahrheit!“, er packte Mathilda am Handgelenk. „Lassen Sie sofort meine Schwester los!“, fauchte Annemieke wütend. „Warum soll ich mich von euch wie einen Deppen behandeln lassen? Ihr habt mir nichts sagen, außer die Wahrheit!“, schrie Viviens Stiefvater. Ein paar Fünftklässler sahen zu, dass sie Land gewannen, ihnen war Viviens Stiefvater nicht geheuer. Einige Oberstufenschüler stellten sich in einem sicheren Abstand zu ihnen hin und beobachteten mit großer Neugierde das Szenario. „Krass, was da abgeht!“, meinte ein großer Junge. „Gleich gibt es ne Schlägerei. Mal schauen ob die kleinen Mädchen ihn zusammen fertig machen können“, erwiderte sein Kumpel.

 

„Wenn Sie nicht sofort verschwinden, holen wir einen Lehrer, der die Polizei holt!“, schrie Kiki und baute sich vor ihm auf. Gerade als er zu einer Ohrfeige ausholen wollte, trat ihm Lotta heftig gegen das Schienbein. „Du kleines unverschämtes Biest!“, brüllte er und hielt sich sein Bein. Die Mädchen rannten davon so schnell sie konnten. „Ihr glaubt wohl nicht, dass ihr mich so schnell los werdet!“, schrie ihnen hinterher und jagte sie in eine Sackgasse. Er packte Lotta am Arm und schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Entsetzt blieb den Siebenerinnen der Mund offen stehen als sie sahen, wie Lotta zu Boden taumelte. Leise schluchzend blieb sie sitzen und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Emily und Kiki knieten sich besorgt neben ihr nieder. „Verschwinden Sie auf der Stelle, Sie haben nichts hier nichts verloren! Das ist ein Schulhof, falls Sie das noch nicht kapiert haben“, explodierte Mathilda. Gerade als er auf sie losgehen wollte, wurden ihm seine Arme von hinten festgehalten. Die Piranhas waren aus dem Nichts als rettende Engel aufgetaucht. Max, Sven und Lennart hielten ihn fest. „Wie konnten Sie nur meine Freundin schlagen, Sie schamloser Affe!“, schrie Max ihn an. Von hinten näherte sich eine Lehrkraft. Viviens Stiefvater riss sich mit einer ruckartigen Bewegung los und rannte los. „Verdammt, er ist uns entwischt!“, schimpfte Ömer.

 

„Was ist um alles hier in der Welt passiert?“, fragte Herr Sommer, den sie nur aus Vertretungsstunden kannten. „Der Vater von einer Mitschülerin hat Lotta mitten ins Gesicht geschlagen“, berichtete Annemieke. Lotta war mittlerweile wieder aufgestanden, aber sie hielt immer noch ihre Hand vor ihr Gesicht. „Bist du ernsthaft verletzt?“, wandte sich Herr Sommer an Lotta. „Es geht, obwohl mir immer noch schwindelig ist und ich Nasenbluten habe“, jammerte Lotta, riss sich dann doch zusammen und wischte sich mit ihrem Taschentuch ihr feuchtes Gesicht trocken. Max hielt sie in seinen Armen. „Sollen wir vorsichtshalber den Krankenwagen rufen?“, fragte der Lehrer. „Nein, das ist nicht nötig. So schwer verletzt bin ich nun auch nicht“, lehnte Lotta ab, obwohl ihr Schädel immer noch stark brummte. „Wir bringen sie eben ins Krankenzimmer“, sagte Annemieke. Sie und Fianna hakten Lotta bei sich unter und gingen mit ihr fort. „Wie wäre es, wenn wir die Polizei rufen?“, meldete sich Sven zu Wort, „Wir haben genau gesehen, wie der Mann Jagd auf die Mädchen gemacht hat und dann Lotta geschlagen hat“ „Wir sagen es zuerst eurer Klassenlehrerin“, sagte Herr Sommer.

 

Es klingelte zum Pausenende. Bedröppelt machten sich die Roten Siebenerinnen auf dem Weg zu ihrem Klassenraum. „Nur wegen dir ist dieser entsetzliche Vorfall passiert. Hättest du diese bescheuerte Vivien nicht dauernd zu uns geholt, wäre ihr Vater nicht zu uns gekommen und hätte uns ausgefragt!“, feindete Mathilda Aylin an. „Jetzt reicht es mit deiner Zickerei! Nun ist es passiert und wir können es nicht mehr rückgängig machen“, Emily packte Mathilda am Arm. Annemieke und Fianna warteten bereits vor der Klasse. „Geht es Lotta schon besser?“, fragte Kiki. „Die Betreuerin hat gesagt, sie soll sich hinlegen und einen Moment ausruhen, bis die Kopfschmerzen und der Schwindel weg sind“, berichtete Fianna. „Was ist überhaupt passiert?“, fragte Finn. Nun drehten sich weitere Mitschüler um und bildeten einen Kreis um die Siebenerinnen. Kiki erzählte ihnen in aller Ruhe, was sich auf dem Schulhof zugetragen hatte. „Ich habe es auch gesehen. Ich habe mich gewundert, was dieser fremde Typ von euch wollte. Freya, Pauline, Sina und ich hatten richtig Angst vor dem Kerl und haben uns aus dem Staub gemacht“, meinte Jule.

 

Frau Schellhardt bestellte die Siebenerinnen und die Piranhas zum Lehrerzimmer. Von dort aus gingen sie in einen Raum, der gerade frei war. „Bitte erzählt mir von vorne bis hinten, was sich ereignet hat“, bat Frau Schellhardt und nippte an ihrem Kaffee. „Ein fremder Mann, der sich als Stiefvater von Vivien vorgestellt hatte, kam auf uns zu und hat uns gefragt, ob wir wüssten, wo seine Tochter sei. Wir konnten ihm keine Antwort geben. Daraufhin wurde er wütend, er meinte würden lügen. Er wollte mich ohrfeigen, aber Lotta trat ihn heftig ins Schienbein. Wir rannten weg, aber er verfolgte uns. Schließlich bekam Lotta zu fassen und schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass sie zu Boden fiel. Dann wollte er noch Mathilda angreifen, aber Maximilian, Sven und Lennart konnten dies gerade eben noch verhindern. Als sich Herr Sommer näherte, riss der Mann sich los und ergriff die Flucht“, berichtete Kiki ausführlich. „Wir müssen die Polizei informieren, entschied ihre Klassenlehrerin, „Allein, dass Carlotta von ihm geschlagen wurde, ist Körperverletzung und das hat hier auf dem Schulgelände nichts zu suchen“

 

Eine Viertelstunde später trafen zwei Polizeibeamte ein. Kiki musste alles erneut erzählen. Die Polizisten machten sich Notizen und versprachen, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Roten Siebenerinnen waren erleichtert als wieder in den Unterricht zurückkehren durften. Aylin war nicht mehr in der Lage zuzuhören, der Vorfall in der Pause war zu viel für ihre Nerven gewesen. Lotta kehrte erst wieder in der fünften Stunde zurück. Sie sah wieder viel gesünder aus und war nicht mehr so bleich im Gesicht. „Zum Glück bekommt dieser Kerl eine dicke fette Anzeige, die er sich mehr als verdient hat“, sagte sie nur.

 

Nachmittags nahm Aylin Vivien mit zum Reiten. Ihre Freundin trug eine französische Schirmmütze und eine Sonnenbrille, damit sie auf der Straße nicht gleich erkannt wurde. „Ich würde nur zu gerne auch reiten“, seufzte Vivien. „Ich glaube du darfst heute noch nicht mitreiten, aber am Ende der Stunde führe ich dich eine Runde durch die Halle“, versprach sie ihr. „Würden mir meine Eltern bloß erlauben, dass ich auch Reitstunden nehmen dürfte!“, Vivien seufzte erneut. „Meine Eltern haben mir anfangs auch verboten, dass ich reite. Ich habe heimlich angefangen und musste sogar eine Unterschrift fälschen, weil Kinder eine Unterschrift ihrer Eltern brauchen. Meine Freundinnen haben anfangs die Reitstunden für mich bezahlt, aber da ich nun mehr Taschengeld bekomme, kann ich sie selber bezahlen. Meine Eltern haben erst vor einem Jahr erfahren, dass ich reite. Zum Glück waren sie dann nicht mehr dagegen“, erzählte Aylin.

 

In der Reithalle sah Vivien den Reiterinnen sehnsüchtig von der Tribüne aus zu. Aylin winkte jedes Mal, wenn sie auf Lanzelot an Vivien vorbei ritt. Die anderen Siebenerinnen waren nicht besonders begeistert, als sie Vivien entdeckten. „Warum muss die ausgerechnet auch noch hier auftauchen?“, ärgerte sich Lotta. „Irgendwie scheint sie uns zu verfolgen“, nickte Mathilda und parierte Tybalt durch zum Schritt. Kiki war sogar so wütend, dass sie direkt nach dem Trockenreiten zu Vivien hinging und ihr einen Einlauf verpasste. „Du hast unser Versprechen gebrochen, wahrscheinlich haben dich schon genug Leute gesehen und gleich wird vor der Reithalle die Polizei auf uns warten“, schimpfte Kiki. „Warum schimpfst du nicht mit mir?“, ging Aylin dazwischen, „Ich habe sie schließlich mit hier her genommen“ Kiki warf ihr einen düsteren Blick zu, sie drehte sich zu Diego um und begann ihn abzusatteln. Aylin führte Vivien wie versprochen zwei Runden auf Lanzelot durch die Halle. Ihre Freundin schien glücklich zu sein, wie nie zuvor und traute sich kurz freihändig zu reiten. „Ich kann es kaum erwarten, bis ich richtige Reitsunden nehmen“, sagte sie und spielte mit Lanzelots Mähne.

 

Beim anschließenden Bandentreffen ging Vivien freiwillig in das Schlafzimmer. Annemieke bot ihr eine Waffel an, aber Vivien lehnte kopfschüttelnd ab. Einerseits war sie wieder müde, aber andererseits spürte sie, dass die anderen Mädchen sie nicht dabei haben wollten. Auf keinen Fall wollte sich Vivien wieder verletzende Bemerkungen von Mathilda, Lotta und Fianna anhören. „Eigentlich könnten wir Vivien auch bei uns aufnehmen, wenn wir sowieso mit ihr auf einem Haufen herum hängen“, meinte Emily nebenbei. „Wir brauchen kein neues Mitglied, wir sind bereits vollständig“, bloggte Mathilda sofort ab. „Wir heißen nicht ohne Grund Rote Sieben“, stützte Kiki ihre Meinung. „Wir könnten eine Umfrage machen. Wer ist dafür?“, rief Aylin. Emily und sie zeigten sofort auf, Annemieke hob nur zögernd ihre Hand.

 

„Micky, was ist in dich gefahren?“, kreischte ihre Zwillingsschwester fast und ließ ihre Waffel auf den Boden fallen. „Ich merke langsam, wie sehr Vivien Freundinnen braucht, wenn sie große Probleme hat und von ihrem Stiefvater geschlagen wird. Ich bekomme jedes Mal, wenn ich in ihr trauriges Gesicht schaue, richtig Mitleid“, versuchte Annemieke ihr zu erklären. „Warum lädst du bloß alles Leid der Welt auf deine zarte Seele?“, neckte Mathilda sie. „Lass Micky doch!“, nahm Aylin Annemieke in Schutz. „Wer ist dafür, dass wir Vivien erst einmal nicht in unsere Bande aufnehmen?“, verschaffte sich Lotta Aufmerksamkeit. Kiki, Mathilda und sie hoben einstimmig ihre Hände in die Höhe. „Carrot, du musst dich auch entscheiden!“, drängte Emily, „Nun steht es gerade unentschieden“ „Darf ich neutral bleiben?“, fragte Fianna, „Ich will mich nicht sofort entscheiden“ „Na gut, dann lassen wir die Entscheidung zunächst offen“, meinte Kiki, „Damit Vivien in unsere Bande aufgenommen wird, muss zunächst jeder von uns dafür stimmen“ „Wollt ihr Vivien eine Chance geben oder nicht?“, sagte Aylin leicht verärgert. „Natürlich wollen wir ihr eine Chance geben, so herzlos sind wir nun auch nicht“, mischte sich Annemieke ein. Aylin stand auf und ging zum Waffeleisen, sie wollte eine Waffel für Vivien backen. Bestimmt hatte ihre Freundin Hunger, aber sie traute sich nicht bei ihnen zu sitzen, wenn sie sich dauernd fiese Bemerkungen anhören musste.

 

Aylin trug die heiße Waffel auf einem Teller ins Schlafzimmer. Annemieke und Emily gingen mit nach nebenan. Vivien saß zusammengekauert auf dem Bett und schaute die Mädchen schüchtern an. Dennoch freute sie sich über die Waffel, seit mehreren Stunden hatte sie nichts mehr gegessen. Aylin und Emily setzten sich neben Vivien.

 

 „Wollt ihr überhaupt, dass ich noch länger hier bleibe?“, fragte Vivien, „Eigentlich kann ich auch draußen übernachten, es ist nicht mehr so kalt“ „Aber klar kannst du hier bleiben“, Emily legte ihr die Hand auf die Schulter. „Außerdem ist es immer noch zu kalt, um draußen auf einer Parkbank zu übernachten“, fügte Annemieke hinzu. „Manchmal denke ich, dass ihr mich immer noch nicht leiden könnt“, sagte Vivien traurig. „Wieso das denn?“, wurde Emily hellhörig. „Vorhin im Reitstall habe ich die fiesen Blicke von euren Freundinnen gesehen. Mathilda und Lotta haben halblaut über mich hergezogen. Kiki hat mit mir geschimpft, dass ich mich nicht an ihre Versprechen gehalten habe“, nun klang Vivien so, als wäre sie den Tränen nahe.

 

„Ich weiß, dass sie ihre Bande mit Herz und Seele verteidigen. Sie nehmen diesen Bandenkram besonders ernst. Aber wir sind nicht alle so wie Kiki, Mathilda und Lotta. Wir mögen dich so wie du bist“, tröstete Aylin. „Nimm dir bloß nicht die spöttischen Bemerkungen meiner Schwester zu Herzen. Sie ist hat die geborene Spottdrossel und manchmal bekomme ich auch ihren Hohn ab“, meinte Annemieke, „Aber ich habe gelernt darüber hinweg zu hören. Doch wenn man Matti erst einmal zur Freundin hat, dann bleibt sie einem treu und steht hinter einem“ „Kiki ist auch nicht viel anders als Mathilda, sie kann genauso stur sein und hat manchmal auch eine spitze Zunge“, sagte Emily, „Versuch einfach diese Bemerkungen zu ignorieren“ „Ich werde es versuchen, obwohl es mir nicht immer leicht fallen wird“, schniefte Vivien und putzte sich geräuschvoll ihre Nase. Zum ersten Mal nahm Annemieke sie fest in den Arm. 

 

 

Zwei Vermisste

Die Polizei suchte weiterhin nach Vivien, aber ohne Erfolg. Zwar hatten sich einige Zeugen gemeldet, aber eine richtige Spur konnten die Polizeibeamten trotzdem nicht aufnehmen. Mittlerweile hielt die Rote Sieben Vivien genau acht Tage im Wohnwagen versteckt. Donnerstagabend rief Kikis Mutter bei Aylin Zuhause an. „Hallo Aylin, Hier spricht Monica Morawski. Ist Kristina bei dir Zuhause?“, fragte sie. „Nein, ich habe sie nach der Schule nicht mehr gesehen“, verneinte Aylin. „Sie sollte eigentlich schon um sieben Uhr nach Hause kommen und nun ist es schon acht. Ich habe für sie gekocht und warte mit dem Essen“, antwortete Kikis Mutter. „Haben Sie schon versucht Kiki auf ihrem Handy zu erreichen?“, fragte sie.

 

„Ich habe schon zweimal versucht anzurufen, aber sie geht nicht dran. Ihr Handy ist ausgestellt. Wenn sie innerhalb der nächsten Stunde nicht nach Hause kommt, muss ich die Polizei verständigen“, die Stimme von Kikis Mutter klang nun verzweifelter. „Ich kann meine Freundinnen fragen, wo sie ist. Aber mehr kann ich leider nicht tun“, seufzte sie ratlos. „Eigentlich ist Kiki immer pünktlich nach Hause gekommen. Ich ruf jetzt bei Lotta Zuhause an. Auf wieder sehen!“, Kikis Mutter legte kurz darauf wieder auf. Aylin musste sich eine Weile hinsetzen, um nachzudenken. Irgendetwas musste im Argen sein, denn normalerweise rief Kikis Mutter nie die Freundinnen ihrer Tochter an oder machte sie Sorgen um sie. Aylin beschloss eine SMS an ihre Freundinnen zu schreiben, vielleicht war Kiki bei einer von ihnen zuhause.

 

Wenige Minuten später klingelte ihr Handy. „Hallo, hier ist Annemieke. Mathilda ist verschwunden, wir warten schon mehr als eine Stunde auf sie und sie kommt einfach nicht zurück. Gleich haben wir noch ein Vorspiel mit unserem Orchester und in spätestens zehn Minuten müssen wir losfahren. Meine Eltern und ich suchen sie bei uns in der Straße. Sie muss spätestens in zehn Minuten da sein, sonst kann ich auch nicht bei dem Konzert auftreten. Ich bekomme nichts auf die Reihe, wenn ich mir Sorgen um Matti machen muss“, Annemieke hörte sich noch verzweifelter an als Kikis Mutter gerade eben. „Hat dir Matti gesagt, wo sie hingegangen ist?“, fragte Aylin. „Sie wollte mit Kiki zusammen den Kaninchenstall ausmisten“, antwortete ihre Freundin. Nun ging Aylin ein Licht auf, ihre vermissten Freundinnen waren also im Wohnwagen. „Wollen wir uns im Wohnwagen treffen?“, schlug Aylin vor. „Können wir machen, aber zuvor muss ich meinen Auftritt eben absagen. Die Orchesterleiterin wird mich killen, aber mir bleibt in diesem Moment nichts anderes übrig“, erwiderte Annemieke, „Also bis gleich!“ Schnell schrieb Aylin eine SMS an die übrigen Freundinnen, bevor sie auf ihr Fahrrad stieg.

 

Sie schaffte es den Wohnwagen in Rekordzeit zu erreichen. Annemieke traf wenige Minuten später mit Emily zusammen ein. „Wollen wir warten bis Fianna und Lotta auch da sind?“, fragte Emily. Die anderen Beiden nickten. „Warum brennt kein Licht im Wohnwagen?“, stellte Annemieke besorgt fest. „Eigentlich müsste man Matti und Kiki von weitem reden hören, wenn sie zusammen sind, hört man ihre Gespräche aus hundert Meter Entfernung“, fügte Emily hinzu. „Das stimmt!“, nickte Annemieke und rückte ihre Mütze zurecht. Endlich kamen auch Fianna und Lotta mit ihren Rädern um die Ecke. „Da seid ihr endlich!“, begrüßte Emily sie. „Ist es normal, dass im Wohnwagen gar kein Licht brennt?“, stutzte Fianna. „Wir wissen es nicht?“, zuckte Aylin mit den Achseln. „Komm lass uns endlich nachsehen!“, drängte Annemieke. „Vielleicht spielen uns die Beiden einen Streich, wahrscheinlich werden sie gleich aus ihrem Versteck stürzen und uns zu Tode erschrecken“, vermutete Emily.

 

„Nein, das denke ich eher nicht“, verneinte Annemieke, „Meine Schwester hätte vor zwei Stunden nach Hause kommen müssen, als ich noch für das Konzert geübt habe. Mathilda ist beim Üben plötzlich aufgesprungen, hat ihre Querflöte liegen lassen und hat gemeint, sie müsse dringend zum Wohnwagen. Daher glaube ich das nicht“ Aylin öffnete das quietschende Tor. Leise kamen ihre Freundinnen ihr hinterher geschlichen. Drinnen im Wohnwagen fanden sie eine gähnende Leere vor. „Das kann doch nicht sein, dass sie hier nicht hier!“, wisperte Annemieke mit erstickter Stimme. „Vivien!“, brüllte Aylin so laut, dass ihre Freundinnen zusammenzuckten.

 

„Hier ist offenbar niemand“, stellte Emily fest. „Wir werden wohl den ganzen Wohnwagen auf den Kopf stellen müssen“, sagte Lotta und begann alle Schubladen und Schranktüren aufzureißen. „Haha, du glaubst wohl nicht, dass sie auf die Größe eines Däumlings geschrumpft sind und in die Schubladen passen!“, bemerkte Fianna spöttisch. Aylin und Annemieke waren bereits im Schlafzimmer und durchforsteten die Betten. Sie schauten sogar unter die Betten und sahen im Wandschrank nach. „Hey, ich habe ihre Handys neben der Spüle gefunden“, rief Lotta laut. „Was?“, sofort wurde Aylin hellhörig. Annemieke kam ihr hinterher gelaufen. „Ihr habt Mathildas Handy gefunden?“, fragte sie ungläubig. „Doch, das haben wir und Kikis lag direkt daneben“, bestätigte Fianna. „Normalerweise lässt Matti nie ihr Handy irgendwo liegen“, meinte Annemieke kopfschüttelnd. „Kiki aber auch nicht“, fügte Lotta hinzu.

 

Ratlos setzten sich die Freundinnen an den Tisch. „Ich kann mir überhaupt keinen Reim daraus machen, dass Kiki, Mathilda und Vivien verschwunden sind, aber ihre Handys hier sind“, zuckte Emily mit der Schulter. „Weiß der Geier wo sie sind! Anscheinend hat der Erdboden sie verschluckt“, murmelte Lotta desillusioniert. „Aber wo sollen sie sonst sein? Meine Eltern und ich haben unser ganzes Viertel abgesucht“, Annemieke brach in Verzweiflung aus. Tränen standen ihr in den Augen, offenbar fiel es ihr schwer die Tränen zurück zu halten. Emily und Fianna legten ihr die Arme um die Schulter. Ein böser Gedanke machte sich in Aylins Kopf breit. „Verdammt, bestimmt wurde Vivien von ihrem Stiefvater gefunden!“, sagte Aylin beinahe tonlos. „Warum sind Kiki und Mathilda auch nicht mehr hier?“, fragte Emily. „Ich wette sie wurden entführt, das ist der Grund, weshalb ihre Handys noch hier sind. So können sie keine Hilfe holen“, schlussfolgerte Lotta. „Denkst du, dass Viviens Vater dahinter steckt?“, fragte Emily. „Natürlich, wer sonst? Ich habe das Gefühl, dass er zu allem fähig ist. Nachdem er Lotta geschlagen hat, traue ich ihm alles zu“, meldete sich Annemieke zu Wort.

 

„Wir müssen zu Vivien fahren. Wer weiß zufällig, wo sie wohnt?“, warf Fianna in die Runde, „Ich wette sie wurden von Viviens Vater verschleppt. Davon können wir ausgehen“ „Ich habe ihre Adresse“, Aylin zog einen zusammengefalteten Zettel aus ihrer Hosentasche. „Oh je, das ist ganz am anderen Ende der Stadt!“, stöhnte Lotta. „Du hast doch dein teueres Smartphone“, sagte Emily, „Dann könntest du in die Streetmap eingeben, wo wir genau hin müssen“ „Das mache ich“, nickte Lotta. Sofort zückte sie ihr Smartphone und begann die Adresse einzutippen. Ihre Freundinnen beugten sich neugierig über ihre Schulter. „Das ist bei Aylin in der Nähe“, stellte Fianna fest. „Ich weiß nicht ganz genau wo sie wohnt, aber es sind nur wenige Straßen von mir entfernt“, meinte Aylin. „Aylin, magst du uns den Weg zeigen?“, fragte Annemieke. „Ich weiß ungefähr wo ich hin muss, aber…“, erwiderte Aylin unsicher. „Wenn du nicht weiter weißt, fragen wir einfach mein Smartphone erneut“, versicherte ihr Lotta, „Also mach dir keine Sorgen, Aylin. Wir werden es schon finden“ „Okay, nichts wie los. Wir dürfen keine unnötige Zeit verlieren“, Fianna sprang zuerst auf und öffnete die Tür zur Dunkelheit.

 

Draußen nieselte es leicht. Die Mädchen fuhren die ganze Zeit gegen den Wind, sodass sie außer Puste für einen Moment an der Kreuzung anhalten mussten. „Wo ist verdammt noch mal Viviens Haus?“, keuchend lehnte sich Emily auf ihren Fahrradlenker. „Ich glaube wir müssen in diese Straße einbiegen“, überlegte Aylin. „Ja, wir müssen hier abbiegen“, bestätigte Lotta, „Mein Smartphone sagt mir, dass wir richtig sind“ Zu fünft traten sie in die Pedale was das Zeug hielt, bald führten Lotta und Fianna die Gruppe an. Aylin und Emily mussten sich anstrengen, um den Anschluss nicht zu verlieren. „Hey, wartet mal!“, schrie Annemieke, „Wir verlieren gerade Emily und Aylin“ In der Dunkelheit waren nur noch die Rückleuchten von ihren Fahrrädern zu sehen. „Fahrt uns doch nicht einfach davon!“, rief Emily außer Atem. „Ich habe ihnen doch gesagt, sie sollen auf euch warten“, erwiderte Annemieke. Sie stieg ab und schob ihr Fahrrad auf dem Bürgersteig. Lotta und Fianna drehten um und fuhren zu ihren Freundinnen zurück. „Wir haben gesehen, wo Viviens Haus steht“, berichtete Lotta. „Es ist das letzte Haus der Straße“, ergänzte Fianna.

 

„Wollen wir unsere Fahrräder lieber hier parken? Es sieht merkwürdig aus, wenn vor Viviens Haus so viele Fahrräder stehen, dann sieht es erst recht so aus, als hätten sie Besuch“, schlug Emily vor. „Deine Idee ist nicht schlecht!“, billigte Lotta ein. Die Mädchen schlossen ihre Fahrräder an einer Laterne an. „Irgendwie habe ich so ein flaues Gefühl im Magen“, wisperte Aylin leise. „Das habe ich auch“, nickte Annemieke, „Ich habe echt Angst, dass meiner Schwester etwas Schlimmes passiert“ „Macht euch keine Sorgen, wir kommen schließlich, um sie zu retten“, munterte Lotta die Freundinnen auf. Sie hakte sich bei Aylin und Annemieke unter. Das Haus in dem Vivien wohnen musste, stand ganz am Ende der Straße und war von einem rostigen Zaun umgeben. Es sah ziemlich alt und verlassen aus. „Wie kommen wir jemals unbemerkt auf das Grundstück?“, fragte Emily leise. „Dahinten ist ein Tor, da müssen wir durch“, flüsterte Lotta. Schweigend gingen die Freundinnen um die Ecke. Im fahlen Licht der Straßenlaterne tauchte ein offenes Holztor auf, welches auf einen Hinterhof führte. Fianna traute sich als Erste das Grundstück zu betreten, dann folgte ihr Aylin.

 

Schließlich konnten sich die anderen Drei überwinden, ihnen zu hinterher zu schleichen. Aylin wunderte sich, wieso rechts ein alter Schuppen stand. Was mochte wohl dort drin sein? Leise schlich sie zum Schuppen hinüber und öffnete geräuschlos die Tür. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Wahrscheinlich waren ihre Freundinnen dort gefangen. Obwohl sie eine Taschenlampe dabei hatte, hatte sie Angst sie zu benutzen. Es raschelte leise, sofort zuckte Aylin zusammen. „Aylin, warum bist du hier?“, jemand berührte sie sanft am Arm. Aylin konnte einen Aufschrei nicht verhindern. „Ich bin es nur, keine Panik“, flüsterte Annemieke. „Mensch, warum musstest du mich nur so erschrecken!“, stöhnte Aylin. „Wir haben uns echt Sorgen gemacht, wo du warst“, wisperte ihre Freundin. Wieder raschelte es im Stroh, aber diesmal lauter. Selbst Annemieke schnappte erschrocken nach Luft. „Ich mach eben meine Taschenlampe an“, flüsterte sie und leuchtete in quadratförmiges Augenpaar. Erst beim zweiten Hinsehen realisierte Aylin, dass es eine Ziege war. Annemieke musste leise kichern. „Es ist schon verrückt, dass wir uns vor einer Ziege erschrecken!“, gickerte sie leise. Auch Aylin hatte ihren Schreck überwinden und musste grinsen. „Hier sind Kiki und Matti anscheinend nicht“, wurde Annemieke wieder ernst, „Lass uns wieder gehen, die Anderen machen sich bestimmt schon Sorgen um uns“

 

Lotta, Fianna und Emily wartete bereits unter dem Carport auf sie. „Wo seid ihr solange gewesen?“, zischte Lotta. „Wir haben uns gerade vor einer Ziege erschreckt“, grinste Annemieke. „Aha, deswegen habt ihr euch hinter unserem Rücken davon gestohlen“, murrte Fianna und verdrehte die Augen. „Haben wir nicht, wir wollten im Schuppen nachgucken, ob sie da drin versteckt sind“, rechtfertigte sich Aylin. „Kommt, streitet euch nicht. Wir müssen unsere Freundinnen suchen!“, drängte Emily. „Es ist bereits kurz vor Neun!“, beunruhigte schaute Fianna auf ihre Uhr. Hintereinander schlichen sie um das Haus herum und versteckten sich hinter Büschen und unter einer Treppe, die zum Haupteingang führte. Da es in den meisten Räumen dunkel war, gab es nicht viel zu sehen. Erst auf der anderen Seite des Hauses, kam ein beleuchteter Raum in Sicht. Emily nahm Fianna huckepack, sodass sie einen kurzen Blick in das Zimmer werfen konnte. „Da sind sie!“, flüsterte sie aufgeregt, „Emily, lass mich schnell runter. Wir müssen uns verstecken, sie sitzen alle im Wohnzimmer“

 

Zu fünft kauerten sie sich hinter einer Hecke zusammen. „Wer ist in diesem Zimmer?“, fragte Annemieke. „Ich habe Kiki und Mathilda mit Viviens Stiefvater an einem Tisch sitzen gesehen“, erzählte Fianna flüsternd. „Lass mich auch einmal sehen!“, wisperte Annemieke aufgeregt. „Nein! Lass das, Micky! Das ist zu gefährlich, nachher sieht er dich und dann hast du ganz schlechte Karten“, hielt Lotta ihre Freundin zurück. „Seid mal ganz ruhig, vielleicht können wir sie hören“, Emily legte ihren Zeigefinger auf ihre Lippen. Die Freundinnen verstummten und tatsächlich waren leise Stimmen zu hören, zwei Mädchenstimmen und die tiefe rauchige Stimme von Viviens Vater. „Versteht ihr ein Wort?“, wisperte Fianna. Ihre Freundinnen schüttelten die Köpfe. „Wir haben Vivien nicht bei uns versteckt!“, plötzlich drang Kikis Stimme gedämpft, aber deutlich zu ihnen hinüber. „Wenn ihr mich weiter anlügt, kann ich euch den Prozess machen“, drohte Viviens Vater. „Oh nein!“, hauchte Annemieke halbohnmächtig und klammerte sich an Aylins Arm. Aylin sah im Halbdunkeln, dass Tränen in ihren Augen glitzerten.

 

„Ihnen wird nichts Schlimmes passieren! Er wird sie garantiert nicht umbringen“, versuchte Lotta sie zu beruhigen. „Oh doch, du weißt doch, wozu der Mann fähig ist!“, zischte Annemieke wütend und drückte Lotta von sich weg. „Ja, wir haben Vivien versteckt, wenn Sie die genaue Wahrheit wissen wollen“, hörten sie Mathilda rufen. Ihre sonst so taffe Freundin klang sehr aufgewühlt und verzweifelt. „Was können wir nur tun?“, jammerte Annemieke. „Tja, wir beobachten die Situation und sonst müssen wir die Polizei rufen“, erwiderte Emily. Im nächsten Moment erlosch das Licht im Wohnzimmer. „Jetzt sind sie bestimmt nicht mehr da!“, wisperte Fianna. Vorsichtig krochen die Freundinnen hervor. „Soll ich mit meiner Taschenlampe hinein leuchten“, wisperte Emily. „Lass es lieber!“, lehnte Aylin ab, „Du weißt gar nicht, ob noch jemand drin ist“ „Warum sollte noch jemand dort drin sein, wenn das Licht aus ist und die Wohnzimmertür geschlossen wurde“, bemerkte Lotta.

 

Im nächsten Moment öffnete sich im ersten Stock ein Fenster. Vor Schreck ließen sich die Mädchen auf den Boden fallen. Vivien streckte ihren Kopf zum Fenster raus, ohne Brille und im Nachthemd sah sie ganz anders aus. Sie warf einen Zettel hinunter, der direkt vor Aylins Füßen landete. Aylin hob ihn auf und öffnete ihn mit ihren klammen Fingern. „Es tut mir so leid, dass das geschehen musste. Herbert Jäger, ein guter Bekannter von meinem Vater hat ihm gesteckt, dass ihr mich im Wohnwagen versteckt haltet. Ich habe gerade mit Kristina und Mathilda die Kaninchen gefüttert, als mein Stiefvater uns überraschte und uns zwang mitzukommen. Die anderen beide Mädchen wurden gezwungen ihre Handys liegen zu lassen und mussten in sein Auto steigen. Er hat mit ihnen geschimpft und ihnen eine Tracht Prügel angedroht, weil er dachte, dass sie mich versteckt hätten. Hoffentlich reißt ihr mir hierfür nicht den Kopf ab. Noch einmal tausend Mal sorry, dass ich für so viel Ärger sorge. Eure Vivien“, stand auf dem Zettel. Am meisten überraschte sie die Erwähnung Herbert Jäger, er war der schlechtgelaunte Schrebergartennachbar von nebenan, den die Mädchen oft nur Griesgram nannten. „Mist, warum muss ihr Stiefvater nur mit dem alten Griesgram befreundet sein!“, schimpfte Emily leise. „Tja, hier in der Stadt kennt beinahe Jeder Jeden“, seufzte Fianna. Mutlos setzten sich die Freundinnen auf den kalten Boden und legte sich gegenseitig die Arme um die Schultern.

 

Widmung

 

Dieses Buch widme ich all meinen treuen Leser und Leserinnen sowie allen, die mich dazu inspiriert haben dieses Buch zu schreiben. Ebenfalls widme ich dieses Buch allen Bandenmädchen und denen, die es im Herzen sind.

 

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Viviens Heldentat

Langsam wurde den Mädchen kalt, zitternd rieben sie ihre steifen Finger aneinander. „Es ist schon halb Elf und wir hocken hier schon seit einer Stunde!“, wisperte Lotta ungeduldig. „Sollen wir nicht die Polizei holen?“, schlug Annemieke vor. „Das mache ich eben, alleine können wir nichts machen“, flüsterte Emily. Sie stand auf und schlich in Richtung Straße. Ihre Freundinnen warteten gespannt, bis sie wieder zurückkam. „Sie kommt in fünf Minuten!“, berichtete Emily ihnen. In diesem Moment landete ein zweiter Zettel vor ihren Füßen. „Ich werde Kiki und Mathilda suchen gehen“, schrieb Vivien und schloss das Fenster wieder.

 

„Woher soll sie wissen, wo ihr Vater unsere Freundinnen eingesperrt hat?“, Lottas Stimme klang misstrauisch. „Es ist doch gut, dass sie es wenigstens versucht“, hatte Annemieke ihr entgegen zu setzen. „Hoffentlich lässt sie sich nicht wieder von ihrem Vater erwischen“, erwiderte Fianna. Wieder mussten sie warten, doch nichts geschah. Nur eine Katze mit grünen Augen kletterte über den Zaun. „Mannomann, wir stehen uns die Beine in den Bauch und nichts geschieht. Mir kommt es so vor, als hätte Emily die Polizei vor Stunden gerufen“, gähnte Annemieke. „Dabei waren es gerade sieben Minuten her“, meinte Lotta. „Manchmal können Minuten sich wie Stunden hinziehen“, stöhnte Fianna leise. „Wollen wir nicht lieber zurückgehen?“, wisperte Aylin. „Es ist keine schlechte Idee, wenn wir an der Straße auf die Polizei warten“, stimmte Lotta zu.

 

„Hey, kommt her! Die Haustür wird aufgeschlossen“, wisperte Fianna. „Hä?“, Lotta starrte sie ahnungslos an. „Hörst du nicht, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht?“, zischte Fianna. „Bleibt hier stehen, sonst werden wir gesehen!“, flüsterte Aylin und bückte sich hinter den nächsten Rosenbusch. Vier Polizisten, die gerade eben ihre Streifenwagen an der Straße geparkt hatten, gingen die Treppe hinauf und wollten klingeln. „Die Polizei ist da!“, seufzte Fianna erleichtert. „Komm, wir gehen ihnen hinterher“, Lottas Stimme überschlug sich vor Aufregung beinahe. „Wer seid ihr?“, drehte sich ein Polizist zu ihnen um. „Habt ihr uns gerade verständigt?“, fragte sein Kollege. „Ich war es!“, meldete sich Emily. In dem Augenblick öffnete sich die Haustür. Vivien stand mit Kiki und Mathilda vor ihnen. Für einen kurzen Moment brachte niemand vor Überraschung einen Ton aus sich heraus, bis eine Polizistin anfing Vivien zu befragen. „Wie konntest du die beiden Geiseln befreien?“, wollte die Polizistin wissen. „Ich habe gewartet, bis meine Eltern im Bett waren. Ich bin aus meinem Zimmer geschlichen und habe die Tür zum Elternschlafzimmer verschlossen. Daraufhin habe ich meine beiden Freundinnen im ganzen Haus gesucht, ich bin sogar in den Keller gegangen und dort habe ich sie gefunden. Ich musste nur noch den Riegel wegschieben und schon konnte ich die Tür öffnen“, berichtete Vivien. Der Stolz in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

 

„Du bist ein mutiges Mädchen!“, anerkennend klopfte ihr einer der Polizisten auf die Schulter. „Wo ist das Schlafzimmer deiner Eltern? Wir müssen deinen Vater aufgrund Kindesentführung und Körperverletzung festnehmen“, meinte sein Kollege. „Das kann ich Ihnen gerne zeigen, er liegt friedlich schlafend in seinen Federn“, Vivien konnte ein spitzbübisches Grinsen nicht länger verkneifen, als sie mit zwei Polizisten die Treppe in den ersten Stock hinaufging. Die Roten Siebenerinnen fielen sich jubelnd in die Arme. Annemieke musste vor Erleichterung fast weinen, als sie ihre Zwillingsschwester umarmte. Kiki hüpfte mit Lotta und Fianna vor Freude auf und ab. „Habt ihr vorhin mitbekommen, wie Vivien euch als Freundinnen bezeichnet hat?“, fragte Lotta. „Ja, nun können wir sie auch als Freundin bezeichnen“, sagte Mathilda. „Die Chancen für die Aufnahme in unsere Bande stehen sehr gut“, bestätigte Kiki, „Schließlich hat sie uns aus diesem fürchterlichen Keller befreit. Wer eine oder sogar zwei Rote Siebenerinnen rettet, kann sich in Zukunft auch als Rote Siebenerin bezeichnen“ Aylin wurde ganz hibbelig vor Freude, sie konnte es nicht abwarten, ihrer Freundin die gute Nachricht zu überbringen. Die Mädchen jubelten als Vivien zurückkam und schlossen sie mit in die Bandenumarmung ein. „Nun gehörst du zu uns!“, sagte Aylin zu ihr. „Wirklich?“, Vivien schaute die Mädchen überrascht an. „Du bist ab sofort auch eine Rote Siebenerin“, bekräftigte Kiki und legte ihr den Arm um die Schulter. „Danke, ich hätte damit nie im Leben gerechnet!“, Vivien strahlte vor Glück. Aylin griff nach ihren Händen und tanzte mit ihr Polka. Nach und nach reihten sich ihre Freundinnen in den Tanzkreis ein. Als zwei Polisten mit Viviens Stiefvater zum Polizeiauto führten, blieben sie stehen und schauten ihm hinterher. „Wollt ihr hier übernachten oder sollen wir euch nach Hause bringen“, wandte sich ein Polizist scherzend an die Mädchen. Sie ließen es sich nicht zweimal sagen, schließlich froren sie entsetzlich an Händen und Füßen.

 

Als sie im Polizeibus saßen, drehte sich Mathilda zu Vivien um. „Es tut mir leid, dass ich dich anfangs so ausgegrenzt habe und hinter deinem Rücken schlecht über dich geredet habe“, sagte sie. „Mir tut es auch leid, dass ich dich so mies behandelt habe“, entschuldigte sich Lotta ebenfalls. „Ach, ich kann euch verzeihen. Ich habe mich in der ersten Zeit mich wirklich merkwürdig verhalten“, winkte Vivien ab. Plötzlich fiel Aylin etwas Wichtiges ein. „Wo soll Vivien heute eigentlich übernachten?“, fragte sie ihre Freundinnen. „Sie kann bei uns übernachten, wir haben ein großes Gästezimmer“, meldete sich Lotta zu Wort. Vivien strahlte und brachte ein zartes „Danke“ über die Lippen. Vor dem Polizeirevier warteten schon die Eltern der Zwillinge und Kikis Mutter. Auch Lottas Mutter stieg aus ihrem Kombi. „Wir haben uns so große Sorgen um dich gemacht! Wir wussten nicht, wo du warst“, wurde Mathilda von ihrer Mutter begrüßt. „Ist eine längere Geschichte. Ich bin zu müde, um alles zu erzählen“, gähnte Mathilda. Aylin sah, wie Kiki sich erschöpft in die Arme ihre Mutter sinken ließ. Ein Polizeibeamter kam auf sie zu. „Morgen wird um elf Uhr der Verhör sein, daher bitten wir euch, mindestens zehn Minuten vorher da zu sein“, teilte er ihnen mit. Vivien und Fianna stiegen bei Lottas Mutter ins Auto. Emily ging alleine nach Hause, da sie nur zwei Straßen weiter wohnte.

 

Herr ter Steegen bot Aylin an, sie nach Hause zu bringen. Da ihnen fast die Augen zu fielen, redeten Aylin und die Zwillinge kaum ein Wort miteinander. Gerade als Aylin die Wohnungstür aufschloss, vibrierte ihr Handy. Eine Nachricht von Vivien erschien auf dem Display. „Hey, ich bin bei Lotta Zuhause und esse gerade. Gleich gehen wir schlafen, wir können kaum noch unsere Augen offen halten. Bis morgen J“, schrieb ihre Freundin. Aylin war glücklich und erleichtert, dass es Vivien gut ging. „Aylin, wir müssen sprechen. Vorhin hatten die Mütter von deinen Freundinnen und dann die Polizei bei uns angerufen, weil zwei eurer Freundinnen entführt wurden“, ihre Mutter kam als erstes auf sie zu. „Mama, können wir morgen früh drüber sprechen, ich schlafe fast im Stehen ein“, gähnte Aylin. „Nein, setz dich ein paar Minuten mit mir in die Küche. Ich habe extra eine Kanne Tee gekocht“, ihre Mutter ließ nicht locker. Aylin raffte jeden Gedanken einzeln zusammen und erzählte ihrer Mutter die Geschichte ihres Abenteuers von vorne bis hinten. Als Aylin gähnend ihr Kinn auf ihre Arme legte, hatte ihre Mutter ein Erbarmen mit ihr und schickte sie zu Bett. Ohne sich auszuziehen legte sich Aylin auf ihr Bett und brauchte noch nicht einmal bis zehn zählen, da war sie schon tief und fest eingeschlafen.

 

Am nächsten Morgen wurde die Rote Sieben auf der Polizeiwache zu dem Vorfall des vorigen Abends befragt und Vivien traute sich zum ersten Mal die ganze Geschichte über ihren Stiefvater zu erzählen. „Hat dich dein Stiefvater jeden Tag geschlagen oder bedroht?“, fragte einer der Polizeibeamten. „Jeden Tag mindestens ein oder zwei Male“, nickte Vivien und rückte ihre Brille zurecht, „Er kam oft frustriert von der Arbeit nach Hause und hat das meiste Geld im Kasino verprasst oder abends in der Kneipe versoffen. Oft hat er seine Launen an meinem Halbbruder, an meinem Halbbruder und an mir ausgelassen. Ich habe mich jedes Mal vor ihm versteckt, wenn er nach Hause kam“ Es war so ruhig im Zimmer, dass man eine Nadel hätte fallen hören können. „Ich brauchte nur einen Fehler machen und er hat zugeschlagen. Wenn ich Widerworte gab, schlug er dreimal so heftig zu und sperrte mich stundenlang in mein Zimmer ein“, fuhr Vivien mit gesenkter Stimme fort. Die Polizisten und ihre Freundinnen sahen sie mit betretenen Mienen an. „Laut Akte ist dein Stiefvater vorher zweimal straffällig geworden, einmal vor ein paar Tagen auf dem Schulhof eurer Schule und dann einmal vor fast acht Jahren, als er in einer Kneipenschlägerei verwickelt war“, meinte ein Polizist. Aylin und auch die anderen Mitglieder waren überrascht, wie offen Vivien die Wahrheit ihres Stiefvaters vor den Polizisten offenbaren konnten. „Vivien traut sich was“, flüsterte Emily Aylin ins Ohr. „Vivien hat alle Male unseren Respekt verdient“, sagte Lotta nach dem Verhör und hakte sich auf dem Parkplatz bei ihrer neuen Freundin unter. „Ab Freitag wird Vivien offiziell unser achtes Bandenmitglied sein“, Kiki legte Vivien den Arm um die Schulter. „Dann müssten wir eigentlich die Rote Acht heißen“, warf Fianna ein. „Eigentlich schon, aber unseren Bandennamen zu ändern wäre irgendwie auch blöd“, meinte Kiki.

 

Eine Einweihungsparty für Vivien

Da am Freitag der Reitunterricht ausfiel, trafen sich die Mädchen kurz nach drei im Wohnwagen. Als Aylin eintraf, waren Annemieke und Emily beschäftigt den Tisch zu decken, Kerzen anzuzünden und den Raum feierlich zu dekorieren. Emily schnitt den Kuchen an und legte auf jeden Teller eine Servierte. Auf Viviens Platz lag ein rotgrünes Freundschaftsarmband, welches ihr Kiki geknüpft hatte. Jedes Bandenmitglied trug so ein Armband als Bandenzeichen. „Vivien kommt!“, rief Mathilda plötzlich so laut, dass ihre Zwillingsschwester vor Schreck fast eine Teekanne fallen ließ. „

 

Haltet sie vor der Tür auf!“, rief Lotta, „Sie darf den Raum erst betreten, wenn wir mit dem Schmücken fertig sind“ Fianna und Kiki stürmten nach draußen und verwickelten Vivien in ein Gespräch. Aylin half Annemieke währenddessen die Girlande an der Decke zu befestigen und kochte den Tee. „Ich glaube wir sind fertig“, nickte Lotta zufrieden. „Ihr könnt wieder rein kommen, wir sind fertig!“, schrie Mathilda durch das geschlossene Fenster. „Musst du so laut schreien!“, beschwerte sich Annemieke und hielt sich die Ohren zu, „Du hättest auch eben die Tür oder das Fenster öffnen können“ Vivien strahlte über beide Backen als sie den Wohnwagen betrat. „Das sieht hier sogar noch gemütlicher aus, als ich hier vor ein paar Tagen übernachtet habe. Außerdem riecht es hier herrlich nach Apfelzimttee und nach Schokoladenkuchen“, fand sie. Emily machte das Licht aus, nun im Kerzenschein sah der Raum noch gemütlicher aus.

 

Die Mädchen setzten sich an den Tisch, zu acht war es ziemlich eng, aber zugleich auch sehr gemütlich. „Nun kommen wir zum Aufnahmeritual in unsere Bande“, begann Kiki und schaute tief in Viviens grünbraune Augen. „Muss ich etwa eine Aufnahmeprüfung machen?“, wisperte Vivien und schaute ein wenig ängstlich in Aylins Richtung. „Nein, die Aufnahmeprüfung hast du doch schon bestanden“, versicherte ihr Mathilda. Kiki wartete einen Augenblick ab bis es wieder ganz still war. „Nun kommen wir zu unserem Bandenschwur“, sagte sie, „Ich sage vor und du sprichst mir nach. Noch eine Frage, möchtest du eine Rote Siebenerin werden?“ „Ja“, hauchte Vivien ehrfürchtig. „Ich schwöre die Geheimnisse der roten Sieben mit Herz und Seele zu verteidigen. Ich kämpfe für meine Bande, wenn wir in Gefahr geraten und zeige lebenslange Treue. Rote Sieben für immer und ewig!“, fuhr Kiki fort. Vivien wiederholte den Schwur langsam und deutlich.

 

Anschließend spuckten sich die Mädchen auf ihre Finger, rieben sie aneinander und hielten sie in die Mitte. Nun war der Schwur besiegelt und Vivien war eine von ihnen. Emily half Vivien das Freundschaftsband umzubinden. „Na, wie fühlst du dich als Rote Siebenerin?“, fragte Lotta. „Es ist einfach nur fantastisch und mir fehlen gerade die Worte, es näher zu beschreiben!“, erwiderte Vivien mit einem breiten Lächeln. Sie war mehr als stolz endlich den Roten Sieberinnen zu sein, die längst nicht jedes Mädchen in ihre Bande aufnahmen. „Das Beste ist, die Fischköppe wissen davon nichts, dass wir nun zu acht sind“, platzte Mathilda vorlaut in das Gespräch. „Kommt, lasst uns vor dem Wohnwagen ein Gruppenfoto machen“, schlug Emily vor. „Wer soll das Photo machen, wir alle drauf sein wollen?“, fragte Lotta. „Meine Kamera hat einen Selbstauslöser“, erwiderte Emily. „Wir könnten Josephine fragen, sie macht gerne ein Photo von uns“, schlug Fianna vor. „Wer ist Josephine?“, fragte Vivien. „Das ist unsere Schrebergartennachbarin, die sehr freundlich zu uns ist und uns ab und zu ein Glas Marmelade schenkte“, klärte Annemieke ihre Freundin auf.

 

Josephine freute sich sehr die Mädchen zu sehen und ging mit Emilys Kamera bis zum Zaun. Die Bande stellte sich in zwei Reihen hintereinander auf. „Jetzt habe ich euch alle auf dem Bild und jetzt bitte lächeln“, rief Josephine. „Cheese!“, sagten Emily und Lotta gleichzeitig. „Ameisenkacke!“, rief Mathilda vorlaut dazwischen. Vivien, Annemieke und Fianna mussten laut kichern. „Das Foto ist toll geworden“, fand Josephine. „Halt, wir haben unsere Kaninchen vergessen! Sie sind unsere Bandenmaskottchen und müssen mit auf das Foto“, rief Kiki. „Josephine, machst du noch ein Foto von uns?“, bat Lotta. „Aber natürlich doch“, nickte die alte Frau. Mathilda und Fianna rannten zum Stall und holten Hanni und Nanni raus. Das Foto mit ihren Bandenmaskottchen gefiel den Mädchen noch besser. Kiki bedankte sich bei Josephine und begleitete sie zum Tor. „Jetzt sind wir acht Mädels, vor denen sich die Piranhas in acht nehmen müssen“, sagte Emily zu Vivien. „Oh, wir haben schon einige Abenteuer mit ihnen erlebt“, mischte sich Mathilda ein. „Am besten waren immer noch die Streiche, die wir ihnen gespielt haben“, fügte Annemieke mit einem Grinsen hinzu. „Aber das Kriegsbeil haben wir schon längst begraben“, meinte Lotta, „Die Piranhas sind mittlerweile unsere Freunde“ „Obwohl wir sie immer noch sehr gerne necken. Ich freue mich schon darauf, wie blöd sie uns anglotzen, wenn sie sehen, dass wir wieder in der Überzahl sind“, sagte Mathilda und musste lachen, als sie sich mit Kiki und Emily an die lustigsten Momente mit den Piranhas erinnerte.

 

Den Mädchen knurrte der Magen, weshalb sie wieder in den Wohnwagen gingen und sich über Kikis selbstgebackenen Kuchen hermachten. Zum Glück hatten die Zwillinge eine Schüssel voll Waffelteig mitgebracht, da von Kikis Kuchen kein Krümel übrig blieb. Mathilda, Lotta und Fianna sorgten mit ihren Witzen und Späßen für gute Stimmung, sodass die Mädchen sich vor Lachen bogen. „Mensch, jetzt hätte ich fast wegen euch die Waffel anbrennen lassen!“, schimpfte Annemieke und musste im nächsten Augenblick ebenfalls losprusten. „Iiihh Matti, du hast meine Tasse umgeworfen“, rief Fianna und tat so als wäre sie empört, „Dafür müsst ihr sie einmal ordentlich durchkitzeln“ „Nein, bitte nicht!“, Mathilda hob flehend die Hände. Kaum hatte sie dies gesagt, stürzten sich drei ihrer Freundinnen auf sie und fingen sie an auszukitzeln. Mathilda erstickte fast in ihrem Lachen, zerriss ihre Servierte und formte daraus kleine Kügelchen, die sie zu ihrer Verteidigung in alle Richtungen warf.

 

„Micky, hilf mir! Schnell, sonst kitzeln sie mich noch zu Tode!“, schrie sie jauchzend und wand sich aus Lottas Griff. Vivien und Emily hielten ihre Freundin erneut fest. „Lasst ihr wohl meine Schwester los!“, rief Annemieke mit erhobenem Zeigefinger und stürzte sich in das Getümmel. „Micky, du hast vergessen das Waffeleisen zu zumachen“, rief Kiki. „Ach, verdammt noch mal!“, Annemieke stürzte zurück zum Waffeleisen und drückte es zu. Aylin schaute aus dem Fenster und sah drei der Piranhas an ihrem Schrebergarten vorbeilaufen. Die leuchtend grüne Jacke von Lennart und der rote Haarschopf von Jannis waren unübersehbar. „Die Fischköppe sind da“, raunte sie ihren Freundinnen zu. Sofort war es mucksmäuschenstill. „Sollen wir sie reinlassen?“, fragte Fianna vorsichtig. „Heute ausnahmsweise nicht“, bestimmte Kiki, „Schließlich haben wir eine Bandeneinweihung und da haben Fischköppe in unserem Revier nichts zu suchen“ „Darf ich Lennart nicht einmal begrüßen?“, bettelte Lotta. Kiki blieb hart und schüttelte den Kopf. „Du triffst dich doch sowieso morgen mit ihm“, Fianna legte der schmollenden Lotta die Hand auf die Schulter. „Mädels, ihr glaubt gar nicht, wie verfressen wir heute sind“, meldete sich Annemieke vom Waffeleisen, „Noch zwei Waffeln und der Teig ist leer“ „Mir brauchst du keine Waffel machen, ich hatte schon zwei und wenn ich noch eine esse, dann platze ich“, stöhnte Vivien. „Obendrein hattest du noch zwei Stückchen von Kikis Kuchen, Vivi“, bemerkte Emily.

 

Am Montagmorgen waren vieler ihrer Klassenkameraden überrascht, dass Vivien nun auch eine Rote Siebenerin war. „Seit wann läuft Vivien mit der Roten Sieben mit, die eh niemanden aufnimmt“, sagte Jolanda zu Saskia und Neele. „Ganz einfach, weil sie nun eine von uns ist“, fiel ihr Mathilda barsch ins Wort. „Ich würde noch nicht mal für tausend Euro in eure Bande eintreten. Eine Bande ist etwas für Babys und kleine zurückgebliebene Kinder“, bemerkte Katja naserümpfend. „Niemand hat dir angeboten, in unsere Bande einzusteigen und nun sind wir wirklich ganz komplett“, fuhr Kiki sie wütend von der Seite an. Katja warf Kiki und ihren Freundinnen einen grimmigen Blick zu und drehte sich wieder zu Anja um. „Oh nein, ich habe das Gefühl, unsere halbe Klasse besteht aus irgendwelchen doofen Banden“, hörte Aylin Anja stöhnen.

 

„Oh, seid wann seid ihr zu acht?“, bemerkte Jannis laut. „Fällt dir es erst jetzt auf?“, erwiderte Mathilda und grinste frech. „Hilfe, sie sind wieder in Überzahl!“, fiepste Sven mit gespielter Panik. „Hier in der Schule sind wir sogar mit zwei Personen in der Überzahl“, neckte Fianna die Piranhas. „Hehe, ich dachte das Kriegsbeil wäre schon längst begrabend“, mischte sich Michael ein. „Stimmt, aber es macht immer noch Bock euch hochzunehmen“, Annemieke musste kichern. „Haha, offensichtlich haben Mädchenbanden nichts besseres zu tun, als den ganzen Tag albern zu sein“, seufzte Ömer und verdrehte dabei die Augen. „Das stimmt gar nicht, wir haben schon einen Haufen Abenteuer erlebt und sogar mehr als ihr zusammen“, entgegnete ihm Emily. „Das stimmt überhaupt nicht, die meisten Abenteuer haben wir zusammen erlebt“, empört baute sich Sven vor ihr auf. „Aber bei unserem letzten Abenteuer wart ihr nun mal nicht dabei“, widersprach im Emily ihm vehement.

 

Eine freche Ziege

Am 10. März hatte Aylin Geburtstag. Da es ein Sonntag war, verbrachte sie einen schönen Tag mit ihrer Familie. Als sie einmal zufällig aus dem Küchenfenster schaute, sah sie wie Annemieke und Mathilda ihre Fahrräder unten vor der Haustür abstellten. Aylin hatte nicht mit ihren beiden Freundinnen gerechnet, da sie keine Geburtstagsfeier geplant hatte. Einen Augenblick später ertönte die Haustürklingel. Aylin zog sich in Windeseile ihren Anorak an, schlüpfte in ihre Stiefel und sprintete die Treppen runter. Außer Atem machte sie den Zwillingen die Tür auf. „Hallo, Geburtstagskind! Alles, alles Gute!“, gratulierte ihr Mathilda überschwänglich und umarmte sie. „Herzlichen Glückglückwunsch, Aylin!“, Annemieke fiel ihr ebenfalls um den Hals und überreichte ihr ein kleines Päckchen. „Hol dein Fahrrad raus und komm mit, wir haben eine Überraschung für dich!“, rief Mathilda und klingelte wild mit ihrer Fahrradklingel.

 

„Moment, ich habe meiner Familie noch nicht bescheid gesagt“, bremste Aylin ihre Freundin und raste die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. „Mama, zwei Freundinnen von mir sind gekommen und wollen mit mir wegfahren“, sagte sie außer Atem und stütze sich auf den Küchentisch. „Was ist denn jetzt los? Warum so plötzlich?“, fragte ihre Mutter überrascht. „Meine Freundinnen haben eine Überraschung für mich“, erwiderte Aylin. „Na gut, von mir aus darfst du gehen, aber sei bis zum Abendessen wieder da“, bestimmte ihr Vater. „Tschüss, bis nachher!“, rief sie ihren Eltern hinterher und warf die Wohnungstür hinter sich zu. „Mensch, warum hat es solange gedauert? Ich bin schon fast nebenbei eingeschlafen“, sagte Mathilda neckend und gab einen lang gezogenen Schnarcher von sich. „Auf geht’s!“, rief Annemieke und fuhr auf ihrem roten Fahrrad voran. Aylin musste kräftig in die Pedale treten, um mit den Zwillingen mithalten zu können.

 

Vor dem Wohnwagen war keiner ihrer Freundinnen zu sehen. „Nanu, wo sind sie denn alle?“, wunderte sich Aylin und lies ihren Blick durch den ganzen Garten schweifen. „Bleib hier stehen, wir kommen gleich wieder und dreh dich in der Zwischenzeit nicht um!“, sagte Annemieke zu ihr und verschwand mit ihrer Zwillingsschwester. Aylin drehte sich ein Stück nach rechts und sah etwas, womit sie gar nicht gerechnet hatte. Eine graue Ziege sah ihr mit ihren viereckigen Pupillen fest in die Augen. Aylin war zugleich erschrocken und überrascht. Ihr war nicht bewusst, dass einer ihrer Freundinnen eine Ziege besaß. „Alles Gute, Aylin!“, rief Vivien, die plötzlich hinter dem Wohnwagen hervor gestürzt kam. „Warte mal, ich muss dir eben mal die Augen verbinden“, sagte Vivien und band Aylin ein rotes Tuch vor die Augen. „Was habt ihr mit mir vor?“, fragte Aylin etwas verunsichert. „Überraschung!“, erwiderte Vivien kurz.

 

„Wie kommt die Ziege in unseren Garten?“, wollte Aylin wissen. „Das ist meine Ziege, sie heißt Kitty und du magst mir gar nicht glauben, wie sich unsere Freundinnen verjagt haben, als Kitty auf einmal vor ihnen stand. Fianna wäre vor Schreck beinahe in den Komposthaufen gestürzt“, erzählte Vivien und musste schadenfroh lachen. „Ich hätte nie gedacht, dass du eine Ziege hättest“, entfuhr es Aylin und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Kitty kommt von dem Bauernhof meiner Großtante und ich habe sie mit der Flasche aufgezogen, weil sie von ihrer Mutter verstoßen wurde. Meine Großtante merkte, dass wir unzertrennlich waren und schenkte sie mir. Seit einem Jahr lebt sie nun bei uns“, erwiderte Vivien. Aylin konnte die Schritte nicht mehr zählen, die sie bereits mit verbundenen Augen an der Hand ihrer Freundin durch den Garten lief. „Können wir jetzt reingehen?“, fragte Aylin und klang beinahe schon ungeduldig. „Einen kleinen Moment musst dich noch gedulden“, meinte ihre Freundin und nahm sie an die Hand. Aylin wusste nicht, wo Vivien sie hinführte. „Vivi, wo führst du mich überhaupt hin?“, fragte sie verunsichert. Ihre Freundin erwiderte nichts. Beinahe wäre Aylin über die Wohnwagentreppe gefallen, wenn sie nicht das Geländer ertastet hätte.

 

Im Wohnwagen spürte sie, wie mehrere Hände sie berührten und sie schwindelig drehten. „Hilfe, ich falle gleich!“, quiekte Aylin kichernd. Kiki nahm ihr die Augenbinde ab und umarmte sie. Schließlich tanzten ihre Freundinnen um sie herum und brachten ihr ein Geburtstagsständchen. Aylin musste sich auf das rote Ledersofa setzen, das sich immer noch alles vor ihren Augen drehte. Erst nach und nach erkannte sie, dass der ganze Raum in Rosa und Rot geschmückt. Überall hing pinkes und rotes Kreppband. Auf dem Tisch brannte eine große rosa Kerze und überall funkelte der Glitzerstaub, den ihre Freundinnen überall verstreut hatten. Ihre Freundinnen wussten sehr genau, dass Rot und Pink ihre Lieblingsfarben waren. „Danke Mädels, mit eurer Überraschungsaktion habe ich gar nicht gerechnet“, Aylin strahlte über das ganze Gesicht und ließ sich von Fianna auf ihren Platz führen. „Du hast ja gar nichts Rotes an, Aylin!“, fiel Lotta auf. „Haha, jetzt bist du ein Außenseiter!“, scherzte Mathilda. „Hättet ihr es mir bloß vorher gesagt, dass ihr eine Mottoparty feiert!“, entgegnet Aylin ihren Freundinnen. Nach und nach fiel ihr auf, dass alle ihre Freundinnen in Rot gekleidet waren. Die Zwillinge trugen dicke rote Strickpullis, Lotta und Fianna rote Sweatshirts, Kiki ein rotes Strickkleid und Emily einen weinroten Blazer. Vivien hatte sich ein rotes Seidentuch um die Schultern gewickelt.

 

 „Aylin, mach endlich unser Geschenk auf“, drängte Mathilda. Vorsichtig und behutsam entfernte sie das dunkelblaue Geschenkpapier und hielt einen roten zusammengefalteten Stoff in der Hand, der sich sanft und seidig anfühlte. „Bevor du fragst, was das ist“, begann Annemieke, „Das ist ein Seidentuch, das du um den Hals tragen kannst“ „Danke Zwillinge!“, Aylin sprang jubelnd auf und umarmte beide Zwillinge gleichzeitig. Sofort band sie sich das Tuch um und schnitt die Torte an. „Aylin, das Tuch steht dir einfach fabelhaft!“, lobte Fianna. „Jetzt sind wir alle rot, wie es sich für die Rote Sieben gehört!“, schmunzelte Lotta und schenkte jedem Limonade ein.

 

Gerade als sich Aylin das erste Stück Kuchen in den Mund schob, wurde an die Wohnwagentür geklopft. „Hoffentlich nicht wieder die Fischköppe!“, stöhnte Kiki. Die Piranhas kamen öfter zu Besuch, wenn eine der Roten Siebenerinnen Geburtstag hatte. „Ne, Ricardo hat mir vorhin eine SMS geschrieben, dass er und seine Kumpels ein Auswärtsspiel beim SV Donnersberg haben und frühestens in einer Stunde wiederkommen“, schüttelte Fianna den Kopf. Aylin stand auf und ging zur Tür. „Hey, was macht ihr?“, entfuhr es ihr. Ihre große Schwester und zwei Freunde aus ihrer Straße standen vor ihr. „Wir haben uns beinahe schon gedacht, dass du hier bist“, grinste Fatima. Neben ihr standen Meryem und Serhan, zwei Freunde, die sie noch aus Grundschulzeiten kannte. „Ich weiß, dass normalerweise hier keine Nichtbandenmitglieder geduldet werden, aber könnt ihr heute eine Ausnahme machen“, fuhr Fatima fort. „Heute ja, kommt rein!“, nickte Kiki. „Wo können wir uns hinsetzen?“, fragte Fatima. „Ihr könnt ihr auf das Sofa setzen“, Lotta deutete auf die kleine Sitzecke neben dem Tisch. Vivien und Fianna brachten den neuen Gästen Gläser und Teller. Lotta machte Musik an und hüpfte mit den Zwillingen, Emily und Fianna gutgelaunt durch den Wohnraum. „Vorsichtig, werft nicht den Gabentisch um!“, warnte Kiki ihre tanzenden Freundinnen. „Ich glaube hier ist es zu eng zum Tanzen“, meinte Vivien skeptisch.

 

Kurz darauf verlor Emily ihr Gleichgewicht und stolperte gegen ein Wandregal. Es schepperte und Annemiekes Elfe aus Ton lag zerbrochen auf dem Boden. „Meine schöne Elfe!“, rief Annemieke entsetzt. Mit zitternden Lippen kniete sie sich vor den Scherben und begann sie aufzusammeln. „Ist doch nur eine Tonfigur!“, meinte Lotta und klang fast schon gleichgültig. „Ist sie nicht! Schließlich habe ich für meine Elfe ziemlich lange gebracht und dafür in Kunst eine Eins bekommen!“, widersprach ihr Annemieke heftig und fügte gekickt hinzu, „Sie war so schön gewesen und jetzt sind von ihr nur noch Scherben übrig!“ „Micky, es tut mir so leid! Ich wollte das nicht. Wenn du willst, kann ich dir eine neue Elfe töpfern“, Emily nahm ihre beste Freundin in den Arm. „Ist egal, schließlich war es keine Absicht von dir“, antwortete Annemieke mit gepresster Stimme und hatte offenbar Mühe nicht in Tränen auszubrechen. „Tata, hier ist die Rettung!“, rief Mathilda und holte eine Tube mit Sekundenkleber aus einer Schubblade. Annemieke legte behutsam die Scherben auf den Tisch. „Man kann deine Elfe auf jeden Fall wieder zusammen kleben, obwohl sie danach nicht mehr ganz so schön ist wie vorher“, meinte Mathilda fachmännisch und begann die Scherben zusammen zu kleben. „Matti der Elfendoktor!“, scherzte Fianna. „Nein, Matti der Elfenchirug!“, verbesserte Vivien. Die Freundinnen mussten so heftig lachen, dass sie beinahe von den Stühlen fielen. „Ich glaube, ihr solltet hier doch nicht lieber tanzen“, meinte Kiki und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge.

 

„Ich glaube, ihr habt wieder neue Gäste. Diesmal sind es eine handvoll Jungs“, machte Fatima auf sich aufmerksam. „Ha, das sind die Fischköppe!“, rief Kiki laut. „Jetzt schon?“, fragte Fianna und zog die Augenbrauen hoch. „Ja, das sind sie!“, bestätigte Emily. „Wir haben es schon zehn Minuten nach Sechs“, schaute Lotta auf ihrer Uhr nach. Die Wohnwagentür wurde ruckartig aufgerissen. „Happy Birthday to you, Happy Birthday to you, Happy Birthday liebe Aylin, Happy Birthday to you!”, erklang ein mehrstimmiger Jungenchor, lauthals und schräg. „Habt ihr noch Platz für sieben bettelarme Jungs? Es ist draußen nass und kalt”, Jannis setzte eine Trauermine auf. „Kommt schon rein, aber es ist ein wenig eng“, sagte Kiki und schloss die Tür hinter ihnen. Die Piranhas gratulierten Aylin der Reihe nach und Ömer überreichte ihr eine Packung Gummibärchen und eine Flasche mit korallenrotem Nagellack. „Wir wussten nicht, was sich eine Rote Siebenerin so wünscht“, sagte er zu Aylin. „Danke, damit habt ihr meinen Geschmack schon ziemlich gut getroffen“, bedankte sie sich. Kiki bot den Piranhas an, sich auf die Betten im Schlafzimmer zu setzen, damit sie nicht die ganze Zeit lang stehen mussten. Vivien brachte ihnen die letzte Flasche Cola und eine Packung Kekse, die noch übrig war. „Aylin, du hast noch gar nicht unsere Geschenke ausgepackt!“, fiel Fianna ein. Die Blicke ihrer Freunde auf sich gerichtet, packte Aylin ein Geschenk nach dem Anderen aus. Am meisten freute sie sich über eine neue Handtasche mit einem hübschen Blumenmuster, die ihr Lotta und Fianna geschenkt hatten.

 

„Hey Fischköppe, ich sehe Etwas, was ihr nicht seht!“, rief Mathilda und drückte sich an der Fensterscheibe ihre Nase platt. „Jetzt sehe ich es auch!“, kicherte ihre Zwillingsschwester. „Hey, was ist hier los?“, brüllte Sven so laut, dass jeder erschrocken zusammenfuhr. „Ihr müsst schon selber kommen und es euch ansehen!“, grinste Kiki frech. Lennart und Ömer kamen an das Fenster gestürzt. „Das kann nicht war sein!“, rief Lennart laut. „Michi, eine Ziege isst deine Stulpen!“, brüllte Ömer. „Wie bitte?“, entfuhr es Michael. Weder die Piranhas noch die Roten Siebenerinnen hatten den kleinen pummligen Michael so schnell nach draußen sprinten sehen. Neugierig folgten ihm die anderen Gäste. Wütend zog Michael der Ziege die Stulpe aus ihrem Maul. Seine Sporttasche lag offen neben seinem Mountainbike. „Dieses Mistvieh hat beinahe eine von meinen Stulpen verschlungen!“, schimpfte Michael. „Es ist deine eigene Schuld, wenn du deine Tasche nicht richtig zumachst!“, meinte Ricardo. „Und dann lässt Michi auch immer die Stulpen aus der Tasche heraushängen“, lästerte Sven halblaut.

 

Die Roten Siebenerinnen konnten sich vor Lachen kaum halten, auch die anderen Gäste konnten ihr sich nicht mehr beherrschen. „Wartet nur ab, ihr blöden Gänse!“, knurrte Michael. „Es tut mir leid, dass Kitty fast eine deiner Socken gefressen hat, aber ich wusste nicht, dass ihr ausgerechnet hier eure Fahrräder abstellt“, entschuldigte sich Vivien kleinlaut. „Ach, schon gut!“, winkte Jannis ab und hielt Kitty einen Apfel hin. „Das ist auch viel gesünder für Ziegen“, grinste Max und sah der Ziege beim Kauen zu. Die Zwillinge, Kiki und Aylin brachen erneut in lautes Prusten aus. „Aylin, wir müssen langsam nach Hause!“, drängte Fatima. „Ja, gleich“, erwiderte Aylin. Am liebsten wäre sie noch länger geblieben, denn es war ihr lustigster Geburtstag seit langem.

 

Bandenbucheintrag: Steckbrief von Vivien

Name: Vivien Mahlmann

Spitzname: Vivi

Alter: 13

Geburtstag: 11. Juni

Herkunft: Deutschland

Geschwister: Ein Halbbruder Marlon (18) und jüngerer Bruder Samuel (12)

Eigenschaften: leise, zurückhaltend, gutmütig, treu, zuverlässig

Haare: braun mit einem leichten rötlichen Schimmer, kinnlanger Bob

Augenfarbe: grünbraun

Lieblingsessen: Brathähnchen mit Kartoffelspalten, Thunfischpizza, Ravioli, Waffeln, Ananas, Kiwi und weiße Schokolade

Lieblingsfarbe: grün

Hobbys: Malen, Geige spielen, Stricken, Nähen, Häkeln, mit Tieren spielen und Reiten (seit neustem)

Das hasst sie: böse Väter, Spinnen, Angst zu haben, Ausgrenzung, Schwierigkeiten in der Schule, Ärger wegen schlechten Noten, Physik und Chemie

Beste Freundin: Aylin

Haustier: Ziege Kitty

Stärken: Ist künstlerisch sehr begabt und kann sehr gut Geige spielen, auch als Freundin ist auf sie Verlass

Schwächen: Kommt in der Schule nicht gut mit, hat große Probleme in den Naturwissenschaften und tritt zu schüchtern auf

Motto: Lass dich nicht verbiegen, denn du wirst gemocht, wenn du dir selbst treu bleibst

Extra: Aylins Tagebucheintrag

Hallo, liebes Tagebuch!

Seufz, ächz, stöhn!!! Momentan killt mich die Schule, besonders vor den Osterferien. In jeder Woche wird mindestens eine Klassenarbeit geschrieben, dazu kommen noch zwei Referate und gerade vor der Mathearbeit habe ich einen Riesenbammel, da ich schon auf dem Halbjahreszeugnis eine Fünf stehen habe. Bleiben meine schlechten Noten in Mathe und den anderen Naturwissenschaften bestehen, muss ich die Klasse wiederholen. Gerade das will ich nicht, denn in meine Klasse gehen meine allerbesten Freundinnen, ohne sie macht die Schule nicht einmal halb so viel Spaß. Auch die Piranhas würde ich irgendwie vermissen, denn die Fischköppe und wir haben eine große Freude daran, uns gegenseitig zu necken.

 

Emily und Vivien haben genauso zu kämpfen wie ich, besonders bei Vivi sieht es düster aus. Sie schreibt in manchen Fächern noch schlechtere Noten als ich und Emily will nach diesem Schuljahr eh auf die Realschule wechseln. Nicht weil sie es von sich aus will, sondern weil es ihr zu schwer wird. Kiki und Lotta befürchten, dass unsere Bande auseinander fallen wird, wenn wir in unterschiedliche Klassen und Schulen gehen werden. Ich habe deswegen keine Bedenken, schließlich haben wir einen 1A Zusammenhalt, wie es sich für eine echte Bande gehört. Erst gestern haben Emily, Vivien und ich in Politik die schlechtesten Arbeiten zurückbekommen. Am nächsten Tag haben die Zwillinge und Kiki „Trostmuffins“ für uns gebacken. Das war echt lieb von ihnen zeigt, dass sie richtige Freundinnen sind. Leider können wir in den Ferien nicht zu Henriette auf den Reiterhof fahren. Unser Geld reicht immer noch nicht, aber wir füttern unser Sparschwein immer weiter, bis es platzen wird. Dafür will Tessa uns eine Woche besuchen kommen, sie wird bei Fianna übernachten. Zu neunt wird es in unserem Bandenquartier sehr eng werden, aber ich finde es sehr gemütlich dort mit meinen Freundinnen zu sitzen und Tee zu trinken. 

 

Morgen hat Vivi ihre erste Reitstunde. Endlich hat ihre Mutter ihr erlaubt Reitunterricht zu nehmen und sie sogar zu bezahlen. Das freut nicht nur sie, sondern auch mich. Ich habe vor zwei Jahren mit dem Reiten angefangen und meine Eltern haben fast ein Jahr davon nichts gewusst. Anfangs haben Lotta und die Zwillinge meinen Reitunterricht bezahlt, aber nun bezahle ich es mit meinem eigenen Taschengeld, auch wenn ich deshalb an jedem Monatsende notorisch pleite bin und mir kaum noch etwas anderes leisten kann.

Gerade habe ich wieder eine Nachricht von Vivi bekommen, sie kann einfach nicht aufhören mir zu schreiben, wie sie riesig sie sich auf ihre erste Reitstunde freut.

Ich muss jetzt leider aufhören, schließlich muss ich noch Mathe und Englisch büffeln, obwohl mir gleich der Schädel platzt. Tschüss, mein Tagebuch, wir sehen uns morgen wieder!

 

Deine Aylin :)

 

 Einweihungsfete mit Vivie

Rezept: Beste-Freundinnen-Waffeln

 Zutatenliste:

  • 125g Butter
  • 125g Zucker
  • 4 Eier
  • 250g Mehl
  • 1 TL Backpulver
  • 1 TL Vanillezucker
  • ein paar Tropfen Rum- oder Bittermandelaroma
  • 1 Tasse Milch (ca. 250ml)

 

So geht’s

Mit einem Handrührgerät rührt ihr die weiche Butter und den Zucker schaumig und dann gebt ihr die Eier hinzu. Anschließend kommen die anderen Zutaten hinzu, die ihr gut verrührt. Jetzt schon mal das Waffeleisen fünf Minuten vorheizen und bevor ihr die erste Waffel backt, fettet ihr Unter- und Oberseite vom Waffeleisen gut ein. Nun ca. 2 EL auf das Waffeleisen geben (nicht zu viel, sonst läuft es an den Seiten raus) und das Waffeleisen zuklappen. Wenige Minuten goldbraun backen. Nun könnt ihr die fertigen Waffeln mit Puderzucker bestäuben. Lecker zu Waffeln sind vor allem heiße Kirschen, Sahne, Zucker-/Schokostreusel und Schokoladensauce.

Auf euren beste Freundinnen-/Freunde-Nachmittag!

Nachwort: Mobbing ist nicht cool

Mobbing ist ein Problem an den meisten Schulen und auch wir waren, als Vivien neu in die Klasse kam, nicht ganz unschuldig. Besonders Matti, Kiki und Lotta konnten ihr gegenüber ziemlich fies werden. Wir mussten erst ein turbulentes Abenteuer überstehen und durch Höhen, sowie Tiefen gehen, um Vivien näher zu kommen und sie als Freundin zu akzeptieren. Eine wichtige Botschaft haben wir an euch Leser/innen: Mobbing ist weder angesagt noch mutig oder ein lustiger Zeitvertreib. Eine bestimmte Person mit Absicht über einen längeren Zeitraum auszugrenzen, zu demütigen, körperlich zu verletzen, ihr Dinge zu stehlen/verstecken, bloßzustellen oder Lügen über sie zu verbreiten, das kann wirklich große Schäden bei dieser Person anrichten. Letztendlich schämen wir uns, wie wir die ersten Wochen mit Vivien umgegangen sind und das war wirklich nicht toll. Es war feige, dass wir als Bande Vivien so fies behandelt waren, wo wir deutlich in der Überzahl waren. Was können wir froh sein, dass Aylin so mutig war und zu Vivi gehalten hat. Ohne sie wäre Vivien niemals eine Rote Siebenerin geworden.

Unser Tipp: Wenn ihr eine/n Außenseiter/in bei euch in der Klasse, im Sportverein, im Zeltlager oder in der Musikgruppe habt, dann sprecht ihn/sie freundlich an und ladet ihn/sie ein z.B. die Pause mit euch zu verbringen. Vertraut auf eure eigene Meinung und genießt Gerüchte/Erzählungen über bestimmte Personen mit Vorsicht. Ihr könnt Vorteile gegenüber Außenseitern und Mobbingopfern am besten negieren, wenn ihr ihnen die Chance gebt, sie richtig kennen zu lernen. Macht den Mund auf, wenn jemand verspottet, beleidigt oder auf andere Weise verletzt wird. Denn Gemeinheiten und "Scherze" auf anderer Kosten sind wirklich nicht cool. Stoppt Mobbig, indem ihr die Betroffenen zu euch in die Gruppe holt und ihr gemeinsam eine Schutzwand gegen Mobbinghandlungen aller Art bildet. Denn Freundschaft, Zivilcourage und Klassengemeinschaft sind viel besser, als Gruppenzwang, Ausgrenzung und Schikanen.

 

Eure Girls von der Roten Sieben!

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Tag der Veröffentlichung: 17.05.2014

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