Cover

Ein Anruf von Tante Henriette

 

Draußen dämmerte es bereits, ein kräftiger Wind schüttelte die Rotgold verfärbten Blätter von den Bäumen und fegte sie über die leeren Straßen. Bleigraue Wolken hingen so tief, als wollten sie den Kirchturm berühren und es fing an zu regnen. Erst nieselte es, aber dann fielen immer dickere Tropfen auf den Boden und bald klatschte der Regen gegen die Fensterscheiben. Fianna machte es nicht viel aus, dass sie bei diesem Wetter in ihrem Zimmer an ihrem Schreibtisch saß und damit beschäftigt war, ein Bild für den Kunstunterricht fertigzustellen. Es musste bis morgen fertig sein, obwohl Frau Breisinger, ihre Kunstlehrerin, ihr eine Woche mehr Zeit gegeben hatte.

Bis vor wenigen Tagen lag Fianna mit Fieber und einer dicken Erkältung für fast zwei Wochen im Bett. Doch seit Montag erlaubte der Doktor ihr, wieder in die Schule zu gehen. Letzte Woche hatte Kiki ihr das halbfertige Bild vorbeigebracht und jeden Tag hat Fianna eine Stunde daran weitergemalt. In Kunst war sie ein Naturtalent, deshalb strengte sie sich diesmal besonders an und für dieses Bild wollte sie mindestens eine Eins bekommen. Allerdings vergab Frau Breisinger meistens mittelmäßige Noten, sogar ihre Freundinnen mussten sich meistens mit Dreien begnügen und Emily hatte jedes Mal ihre Vier sicher. „Ich werde Frau Breisinger zeigen, was ich kann!“, schwor sich Fianna und tauchte ihren nassen Pinsel in die rote Farbe. Ihre Kunstlehrerin vergab nur an ihre besten Schülerinnen Zweien und nur einmal schaffte es Aylin eine Eins mit Sternchen zu bekommen. „Zweien bekommen grundsätzlich nur Schüler, die sich besonders anstrengen und viel Talent haben. Eine Eins vergebe ich höchstens einmal in fünf Jahren, aber dafür muss das Kunstwerk außerirdisch gut sein“, erinnerte sie sich an Frau Breisingers Tonfall.

 „Telefon für dich!“, Tom, ihr Zwillingsbruder, platzte ohne Vorwarnung in ihr Zimmer. „Tom! Habe ich nicht hundert Mal gesagt, dass du vorher anklopfen sollst!“, brummte Fianna. Vor Schreck landete ein Wassertropfen auf ihrem Bild, den sie geistesgegenwärtig mit einem Taschentuch aufsaugte. „Es ist Tante Henriette, sie will mit dir sprechen“, meinte Tom und reichte ihr den Hörer. „Hallo Fianna! Wie geht es dir?“, begrüßte Tante Henriette sie am anderen Ende der Leitung. „Hallo, mir geht es inzwischen wieder besser, meine Erkältung ist fast weg und ich darf bald wieder zum Reiten und zum Ballett gehen“, antwortete Fianna und klang immer noch etwas heiser. Tante Henriette war gar nicht ihre richtige Tante, sondern ihre Patentante. Fiannas Mutter und sie wohnten, als sie noch Kinder waren, direkt nebeneinander und waren eng befreundet.

Warum Tante Henriette ausgerechnet jetzt anrief, war ihr ein Rätsel. Es war bereits Jahre her, dass die O’Haras sie auf ihrem Reiterhof in Norddeutschland besuchten und vor drei Jahren war Henriette das letzte Mal bei ihnen zu Besuch gewesen. Manchmal schickte sie Post an Weihnachten, Neujahr und an Fiannas Geburtstagen, aber das war es auch. „Ich dachte, da wir uns lange nicht mehr gesehen haben, könntest du die Herbstferien auf unserem Hof verbringen. Du bist herzlich eingeladen!“, fuhr Tante Henriette fort, „Du bekämst ein eigenes Pflegepferd und könntest jeden Tag ausreiten“ „Danke, Henriette! Ich kann es kaum fassen!“, platzte Fianna vor Glück. „Das freut mich, dass du die Einladung mit Begeisterung annimmst“, freute sich ihre Patentante, „Wann würdest du denn kommen wollen?“ „Am besten gleich am ersten Ferientag“, meinte Fianna enthusiastisch. Plötzlich fiel ihr Tom ein. „Kommt Tom auch mit?“, fragte sie. „Ich meine, er fährt mit euren Eltern nach Dänemark und außerdem ist er nicht so ein Pferdefreak wie du“, sagte Henriette. Fianna spürte einen leichten Stich in ihrer Brust. Zwar freute sie sich auf Henriettes Reiterhof, aber wie sollte der Reiturlaub werden, wenn sie niemand dort kannte? „Mach dir keine Sorgen, du wirst nicht lange alleine bleiben. Meine Tochter Tessa und mein Sohn Lukas helfen jedem neuen Ferienkind, sich bei uns einzugewöhnen und nachher wollen die meisten Kids nicht mehr weg“, meinte ihre Patentante beruhigend.

 Nach dem Telefonat schrieb Fianna eine SMS an alle ihre Freundinnen der Roten Sieben. „Was? Du fährst in den Ferien auf einen Reiterhof an die Ostsee und lässt deine Bandenfreundinnen zuhause!“, antwortete ihr Kiki nach wenigen Sekunden. „Mensch, ich will auf mit!“, ihr Handy vibrierte erneut und Emilys Nachricht erschien auf dem Display. „Ich glaube, ich werde grün vor Neid! Ich will auch mit und notfalls verstecke ich mich in deinem Koffer“, schrieb Lotta als nächstes. Als hätte Fianna es geahnt, ihre Freundinnen explodierten fast vor Neid. „Wieso habe ich so eine Welle losgetreten?“, ärgerte sie sich und bereute inzwischen, dass sie die SMS an ihre Freundinnen geschickt hatte. Sie legte ihr Handy auf ihr Bücherregal und arbeitete an ihrem Bild weiter. Zehn Minuten später ertönte ihr neuer Handyklingelton erneut, erschrocken ließ sie ihren Pinsel in das Wasserglas fallen und sprintete zum Bücherregal. „Hallo, hier ist Fianna“, meldete sie sich. „Hey Carrot, hier ist Aylin!“, antwortete ihre beste Freundin und klang ziemlich niedergeschlagen. „Aylin, was hast du?“, fragte Fianna besorgt. „Ich habe gerade die SMS bekommen, dass du die Ferien auf einem Reiterhof verbringst. Ich würde so gerne dabei sein, aber ich kann es niemals im Leben bezahlen“, antwortete Aylin und musste schlucken. „Ich werde sowieso alleine dort hinfahren. Leider kenne ich niemanden dort, aber meine Patentante hat zwei Kinder in unserem Alter“, sagte Fianna. „Gib zu, du möchtest, dass Jemand mitfährt, den du kennst“, erriet Aylin Fiannas Zweifel. „Es wäre schön, wenn du oder unsere gesamte Bande mitfahren könnte“, meinte sie. Nach einer Viertelstunde beendete sie das Telefonat, das Bild wartete darauf, endlich seinen Feinschliff zu bekommen. Gerade als Fianna den Pinsel auf das Blatt setzte, hörte sie wieder ihr Handy dudeln, aber diesmal war es nur ein SMS-Ton. „Wollen wir nicht alle in den Ferien auf den Reiterhof fahren? Ich habe Lotta und Emily gerade gefragt, wie sie die Idee finden. Von Aylin und den Zwillingen habe ich allerdings noch keine Rückmeldung“, schrieb Kiki. „Wo ist denn dieser Reiterhof?“, eine SMS von Lotta erschien auf dem Display. „In Adenhuusen an der Ostsee“, tippte Fianna die Antwort in Sekundenschnelle. „Habt, viel Spaß! Ich werde wahrscheinlich eh nicht mitfahren L“, kam Aylins Nachricht rein. „Jetzt nicht so viel Hektik, wir besprechen es am besten in der Schule. Ich muss erst meine Patentante fragen, ob ihr mitfahren dürft. Ich werde sie gleich noch mal anrufen“, versuchte Fianna die Aufregung unter ihren Freundinnen aufzulösen.

 „Fahren deine Freundinnen etwa auch mit?“, fragte Tom seine Schwester beim Abendessen. „Ich weiß es nicht“, zuckte Fianna mit ihren Achseln und fügte hinzu, „Ich hätte nicht sofort ausplaudern dürfen, dass mich meine Patentante auf ihren Reiterhof eingeladen hat, nun sind sie ziemlich neidisch und wollen unbedingt mit. Ich weiß nicht, ob es Henriette so lieb wäre, wenn ich mit sechs Freundinnen aufkreuzen würde“ „Frag Henriette, ob du deine Freundinnen mitbringen darfst“, schlug ihre Mutter vor, „Sie hat nichts gegen Gesellschaft“ Fianna verschlang ihr Käsebrot in Rekordzeit und stürmte ins Wohnzimmer zum Telefon. Sie griff nach dem Hörer, gab Henriettes Nummer ein und wartete einen Moment. Endlich knackte es in der Leitung. „Hallo, hier spricht Tessa Klaasen. Möchtest du mit meiner Mutter sprechen“, meldete sich ein etwa 12-jähriges Mädchen. „Hallo, hier ist Fianna O’Hara. Ja, ich möchte deine Mutter sprechen“, erwiderte Fianna. „Hallo Fianna, was gibt es Neues?“, fragte Henriette gutgelaunt. „Ich wollte dich fragen, ob ich ein paar Freundinnen mitbringen darf?“, begann sie zögernd. „Natürlich kannst ein paar Freundinnen mitbringen, aber sie müssten allerdings ihren Aufenthalt bezahlen“, meinte ihre Patentante. „Ich würde am liebsten mit meiner Bande kommen“, sagte Fianna. „Du hast eine eigene Bande?“, fragte Henriette sie ungläubig, „Wie viele Mitglieder seid ihr?“ „Wir sind zu siebt: Carlotta, Kristina, Annemieke, Mathilda, Emily, Aylin und ich“, erzählte Fianna stolz. „Wow, ihr seid eine ziemlich große Bande. Ich kann deinen Freundinnen die Plätze freihalten, aber ich möchte spätestens in zehn Tagen wissen, wer alles mitkommt. Bis dahin muss gebucht werden, denn es kommen täglich neue Interessenten für einen Reiterurlaub hinzu“, sagte ihre Patentante. „Ich muss erst mit meinen Freundinnen darüber sprechen, wer von ihnen überhaupt mitkommen kann“, meinte Fianna, „Meine beste Freundin weiß nicht, ob sie mitfahren kann und zwei weitere Freundinnen haben sich noch gar nicht gemeldet“

 Nachdem Telefonat ging sie freudestrahlend in ihr Zimmer und arbeitete an ihrem Bild weiter. „Das wird morgen bestimmt sehr viel Gesprächsstoff geben“, dachte sie. Ein kleiner Ast schlug gegen ihr Zimmerfenster, draußen blies ein starker Wind und es regnete in Strömen. Außerdem war es stockduster und der Wind pfiff um das Haus. Ihre Meerschweinchen Miss Piggy und Fritzi raschelten beunruhigt im Stroh. Fianna war froh in ihrem warmen und gemütlichen Zimmer zu sitzen und leise Musik zu hören. Es klopfte und Tom schlüpfte durch die Tür. „Na, hat dir Tantchen erlaubt, dass du deine Freundinnen mitbringen darfst“, fragte er neugierig. „Das darf ich, aber ich muss erst wissen, wer von ihnen mitfahren kann“, erwiderte sie und schaute nicht von ihrem Blatt herunter. „Mama und Papa haben mir übrigens auch erlaubt, dass ich einen Kumpel mit nach Dänemark nehmen darf, als Schwesterersatz“, sagte Tom. Beim Wort Schwesterersatz spürte Fianna einen unangenehmen Stich in ihrer Brust. „Wie meinst du das mit Schwesterersatz?“, fragte sie und versuchte nicht verletzt zu klingen. Tom und sie waren Geschwister, sogar Zwillinge, die sich sehr nahe standen. Fianna vermisste ihn sehr, wenn sie ihn einige Tage nicht sah und Tom auch, wenn er seine Zwillingsschwester lange nicht sah. „Ich dachte, du bist auf Henriettes Reiterhof“, meinte er, „Wenn ich dich nicht habe, wird mir garantiert todlangweilig.“ 

Am nächsten Tag fielen Fiannas Freundinnen in der ersten großen Pause über sie her. „Wow, du verbringst zehn Tage bei deiner Tante auf dem Reiterhof!“, rief Mathilda mit leuchtenden Augen, „Na, wenn das mal kein Sechser im Lotto ist! Ich wäre an deiner Stelle im siebten Himmel“ „Wo ist dieser Reiterhof genau?“, fragte Annemieke. „In Schleswig-Holstein in der Nähe der dänischen Grenze. Henriette hat mir erzählt, dass es nur zwei Kilometer von ihrem Hof bis zur Ostsee sind“, erwiderte Fianna. „Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, dass ich mitfahren darf“, sagte Lotta, „Reiterferien an der Ostsee, hört sich einfach nur traumhaft an.“ „Ich kann leider nicht mitkommen, obwohl es gerade mein größter Wunsch wäre. Wir sind diesen Monat mehr als klamm, zumal uns vorgestern eine Waschmaschine kaputt gegangen ist und Papa seine irre hohen Telefonkosten bezahlen muss“, Aylins Stimme klang sehr frustriert. „Nun warte es doch einmal ab, wir wissen noch gar nicht, ob etwas aus dem gemeinsamen Reiterurlaub wird“, versuchte Fianna Aylins düsterer Stimme etwas entgegenzusetzen. „Fianna, würdest du fahren, wenn niemand von uns mitkäme?“, fragte Emily plötzlich. Fianna grübelte einen Moment lang. „Entweder alle oder keiner!“, sagte Mathilda bestimmt, „Was meint ihr, Mädels?“ „Es ist ganz klar Fiannas Entscheidung“, mischte sich Kiki ein. Sechs Augenpaare richteten sich auf Fianna, sie wusste immer noch nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte gerne ihre Ferien bei Henriette auf dem Reiterhof verbringen, auch wenn sie alleine fahren müsste, aber ihre größte Sorge war, dass ihre Freundinnen wütend auf sie sein würden, wenn sie ihnen dies ins Gesicht sagte. „Wollen wir die Sache nicht heute Nachmittag besprechen?“, schlug Lotta vor, „Wir haben doch eh Bandentreffen nach der Reitstunde“ Ihr war nicht entgangen, dass Fianna es unangenehm war, vor so eine Entscheidung gestellt zu werden.

Ferienpläne in Gefahr

In der Reitstunde bekam Fianna Xaver, das unruhigste Pferd im ganzen Stall zugewiesen. „Fianna, zerre nicht so doll an deinen Zügeln. Das macht Xaver bloß noch nervöser“, ermahnte die Reitlehrerin sie. „Aber wie soll ich ihn bloß lenken?“, klagte Fianna, „Er reißt mir dauernd die Zügel aus den Händen“ „Versuche ihn mehr durch Gewichtsverlagerung zu lenken“, Rachel, die Tante von Emily, ging auf Fiannas Pferd zu und nahm es am Zügel. „Wir vergrößern den Abstand zu Lanzelot. Ich weiß, dass Xaver Lanzelot überhaupt nicht mag und scheut, wenn Lanzelot vor ihm läuft“, meinte Rachel. Die Abteilung entfernte sich. „Haha, die Rothaarige kann immer noch nicht reiten!“, Sarah, Emilys neunjährige Cousine, konnte sich einen abwertenden Kommentar nicht verkneifen. „Sei bloß still, Sarah!“, zischte Emily genervt, „Ich weiß noch ganz genau, wie Xaver vor einem halben Jahr mit dir durchgegangen ist und du im Sand gelandet bist!“ Erst als die Reitgruppe eine halbe Hallenrunde weiter war, ließ die Reitlehrerin Xaver wieder laufen und ging neben ihm her. „Merkst du, dass er bereits viel ruhiger geworden ist und mehr auf deine Signale achtet? Du musst ihn viel mehr mit Gewichtsverlagerung lenken und die Zügel lockerer lassen“, sagte Rachel. Fianna ließ Xaver antraben und verringerte den Abstand zu der Abteilung. Vor ihr ritt Mathilda auf Lanzelot, aber diesmal scheute das Pferd ihrer Freundin. „Lanzelot ist ein Teufelsvieh! Er hat so gescheut, dass ich beinahe einen Abgang gemacht hätte“, rief Mathilda und klammerte sich erschrocken an seiner Mähne fest. „Mathilda, du reitest am besten hinter deiner Schwester und reihst dich hinter Jenny ein“, rief Rachel. Mathilda ließ Lanzelot antraben und überholte drei Reiterinnen. Nun hatte Fianna Kiki auf Fury vor sich. Xaver machte nun keine Anstalten mehr zu scheuen oder ruckartig den Kopf nach vorne zu werfen. Am Ende der Reitstunde lieferte sich Fianna ein Wettrennen mit Lotta und Kiki, bis Rachel ihre Reitschülerinnen zusammen rief und die Mädchen ihre Pferde trocken reiten mussten.

 

In der Umkleidekabine tuschelten Fianna und ihre Freundinnen über ihren großen Ferienplan. „Wie ich mitbekommen habe, fahrt ihr auf einen Reiterhof an die Ostsee“, Sarah baute sich vor der Roten Sieben auf und schaute die Bandenfreundinnen groß an. „Hör auf, deine Nase in andere Angelegenheiten zu stecken, du kleine Schnüfflerin!“, warf Emily ihrer kleinen Cousine an den Kopf. „Wir fahren auch weg“, Anna-Lena stellte sich neben Sarah und setzte ein zuckersüßes Lächeln auf, „Mein Vater nimmt, Jenny, Kim, Sarah und mich mit in eine Berghütte in den Alpen“ „Außerdem werden wir dort Ski fahren und zur Zugspitze wandern“, platzte es aus Kim heraus. „Schön für euch!“, bemerkte Annemieke spöttisch und zog ihre Augenbrauen hoch. „Wenigstens fahren wir in zwei entgegen gesetzte Richtungen, sodass wir uns keinesfalls über den Weg laufen können. Dann haben wir Urlaub von kleinen nervigen Gören!“, setzte Mathilda obendrauf. Sarah und ihre Freundinnen streckten der Roten Sieben frech die Zungen raus. „Ha, wir werden garantiert bessere Ferien haben als ihr!“, Sarah grinste breit und winkte der Roten Sieben beim Hinausgehen hinterher.

„Immer diese Kleinkinder!“, Fianna verdrehte die Augen. „Regt euch nicht über die kleinen Bazillen auf, sie brauchen jemand, den sie nerven können“, murmelte Mathilda gelassen. „Wenigstens ist bei ihnen schon sicher, dass sie die Ferien zusammen verbringen“, flüsterte Aylin und ließ ihren Kopf hängen. „Aylin, male nicht gleich immer so schwarz!“, Annemieke legte ihr den Arm um ihre Schulter. „Lass uns gleich im Wohnwagen darüber sprechen, hier will ich kein Wort mehr davon hören“, stoppte Kiki die Diskussion, „Emilys kleine Cousine kann uns belauschen und wenn sie mitbekommt, dass unser Reiturlaub in den Sternen steht und wir nachher doch nicht fahren, wird sie einen Grund haben sich dauerhaft lustig über uns zu machen“ „Da hat Kiki recht“, bekräftigte Lotta, „Es wäre nicht so schön, wenn das Grünzeug es mitbekäme, dass die Fahrt noch ziemlich unsicher ist.“

 Annemieke kochte im Wohnwagen eine Kanne voll Ostfriesentee und stellte ihre selbstgebackenen Cremetörtchen auf den Tisch. Aylin deckte in Windeseile den Tisch und goss die Blumen auf der Fensterbank. „Meine Mutter erlaubt es mir auf alle Fälle, dass ich die Ferien bei Fiannas Patentante verbringe. Sie braucht aber noch die Telefonnummer deiner Patentante, Fianna. Sie will mich so schnell wie möglich anmelden“, sagte Lotta und nippte gelassen an ihrem Tee. „Mich braucht ihr sowieso nicht zu fragen“, griesgrämig schaute Aylin ihre Freundinnen an und stand auf, um nach draußen zu den Kaninchen zu gehen. Fianna schrieb Henriettes Telefonnummer und Anschrift auf einen kleinen Zettel und reichte ihn Lotta. „Kiki und Emily, was ist mit euch?“, fragte sie. „Meine Mutter erlaubt mir, dass ich mitfahre, allerdings muss ich dafür drei Monate auf mein Taschengeld verzichten. Aber für einen Reiturlaub mit den besten Freundinnen verzichte ich darauf gerne“, meinte Kiki. „Gut, dann habe ich zwei Freundinnen, die auf jeden Fall mitkommen“, sagte Fianna zufrieden und machte einen Haken hinter Kikis und Lottas Namen.

„Lily hat sich aber noch gar nicht geäußert“, meinte Lotta und stupste Emily an. „In Prinzip hätte meine Mutter nichts dagegen, aber ich darf jetzt keine zu schlechten Klassenarbeiten mit nach Hause bringen, sonst sitze ich in den ganzen Herbstferien an meinem Schreibtisch und darf büffeln“, Emily war sich nicht ganz sicher, ob ihre Mutter ihr wegen ihrer Noten die Erlaubnis erteilte. „Mein Gott, deine Mutter ist ein tierischer Spaßverderber!“, meinte Annemieke. „Eigentlich ist sie es nicht, aber sie hat richtig große Angst, dass ich dieses Schuljahr nicht packe. Erinnere dich, ich bin letztes Jahr fast sitzen geblieben und bleibe ich dieses Jahr sitzen, kann ich mir eine neue Schule suchen und das möchte ich nicht“, entgegnete ihr Emily.

„Zwillinge, ihr habt noch gar nichts dazu gesagt!“, rief Kiki und schaute die Schwestern erwartungsvoll an. Annemieke und Mathilda tauschten einen Moment lang unsichere Blicke aus. „Ich glaube, wir können nicht mitfahren“, sagte Annemieke enttäuscht, „Wir sind am ersten Ferienwochenende bei unserem Onkel zur Silberhochzeit eingeladen“ „Jetzt nicht im Ernst oder?“, fragte Fianna ungläubig. „Oh doch!“, die Zwillinge nickten gleichzeitig. „Ehrlich gesagt, habe ich keine Lust dazu. Wir sitzen zwischen hundert Erwachsenen und ich befürchte, dass es dort nicht all zu spannend ist“, gab Mathilda zu. „Ich will auch viel lieber mit Fianna auf den Reiterhof“, meinte Annemieke, „Aber Familie geht nun leider einmal vor“ Ratlos rührten die Mädchen in ihren Tassen und aßen schweigend ihren Kuchen. „Vielleicht könnten wir ein oder zwei Tage später kommen“, überlegte Annemieke, „Die Silberhochzeit ist am Sonntag und wir fahren Dienstag wieder zurück. Wir könnten Mittwoch kommen, allerdings müssten wir mit unseren Eltern darüber sprechen“ Kiki atmete erleichtert auf, „Ich dachte schon, wir müssten unsere gute Laune Zwillinge zuhause lassen und knapp zwei Wochen auf ihre Späße verzichten!“ „Auf Aylin müssen wir leider auch verzichten!“, sagte Fianna düster und in diesem Augenblick kam ihre beste Freundin wieder rein.

„Ich sag’s euch schon zum zehnten Mal, dass ich nicht mitkomme“, schniefte Aylin in ihr Taschentuch, „Bitte, hört auf darüber zu diskutieren! Ich will nichts mehr von Reiterferien wissen!“ „Aylin, wir werden bestimmt eine Lösung für dich finden“, tröstete Kiki. Aylin brach in Tränen aus, kurzerhand riss sie die Wohnwagentür auf und rannte wieder in den Garten. „Muss sie immer so nah am Wasser gebaut haben?“, raunte Mathilda, dafür bekam sie einen bitterbösen Blick von Fianna.

„Ich hab’s!“, Annemieke sprang auf und holte die Bandenkasse vom Regal. „Stimmt, wir haben unsere Bandenkasse ganz vergessen!“, jubelte Lotta. „Lass mal sehen, wie viel da drin ist!“, Kikis schwarzen Augen glänzten vor Freude und Neugier. Lotta legte die Geldscheine neben sich auf den Tisch und zählte fast 750 Euro. „Zehn Tage kosten pro Person 380 Euro, aber meine Patentante bietet uns einen Freundschaftspreis von 280 Euro an“, sagte Fianna. „Das ist beinahe schon geschenkt“, fand Mathilda. Lotta ging in den Garten, um Aylin reinzuholen. „Wir werden deinen Aufenthalt auf dem Reiterhof aus der Bandenkasse bezahlen“, meinte Kiki. Aylin sah sehr verlegen aus und nagte an ihrer Unterlippe. „Ich kann das niemals annehmen“, schüttelte sie den Kopf, „Das ist viel zu viel Geld, was ihr für mich ausgebt!“ „Doch unser Angebot wirst du annehmen müssen, sonst fährt niemand auf den Reiterhof“, fuhr Mathilda Aylin über den Mund. „Na gut, aber ich werde in den nächsten Monaten immer fünf Euro mehr in die Bandenkasse zahlen, einen Teil werde ich auf jeden Fall zurückzahlen. Ich möchte nicht bei euch als Almosenempfängerin da stehen“, Aylins Stimme klang wieder glücklicher. Sie stand auf und umarmte jede ihrer Freundinnen einzeln.

 

 Am nächsten Dienstag, an Lottas Geburtstag, gab es die Physikarbeiten zurück. „Ich fürchte, ich habe keinen guten Neuigkeiten für euch!“, sagte Herr Weiser, nachdem er die Klasse begrüßt hatte. Verunsichert sahen sich die Schüler an und ein Raunen ging durch den Saal. „Verdammt, er gibt uns unsere verkorksten Arbeiten zurück!“, zischte Sven. „Das hat mir gerade noch gefehlt!“, stöhnte Lennart. „Erstmal muss ich sagen, dass ich von der Lernmoral dieser Klasse ziemlich enttäuscht bin“, meinte der Physiklehrer und fing an den Notenspiegel an die Tafel zu schreiben. „Oh nur zwei Zweien und vier Dreien!“, wisperte Sina und kippelte aufgeregt auf ihrem Stuhl. „Die Zweien haben garantiert unsere Streber Jakob und Pauline“, flüsterte Jannis seinem Sitznachbarn Ömer zu. „Ruhe, im Karton!“, Herr Weiser ließ seine Faust auf den Tisch sausen und fuhr mit wenig begeisterter Stimme fort, „Ich finde, dass es eine schwache Leistung ist, wenn nur sechs Schüler von dreißig besser als eine Vier geschrieben haben. Ich zähle diese Schüler auf, die anscheinend richtig für die Arbeit gelernt haben. Das sind Pauline, Jakob, Finn, Jule, Saskia und Fianna“ Herr Weiser legte jedem Schüler sein Heft auf den Tisch. Fianna öffnete mit einem Lächeln ihr Heft. „Noch eine Drei minus!“, raunte sie ihren Freundinnen zu. „Du hast gut reden, ich habe eine glatte Sechs!“, sagte Aylin mit Tränen in den Augen, „Ich befürchte, mein Vater wird mich nicht mehr mitfahren lassen“ „Was soll ich sagen, ich habe ein Fünf minus und meine Mutter lässt mich bestimmt die ganzen Ferien für die Schule büffeln!“, mischte sich Emily ein. Die Zwillinge, die eine Reihe vor Fianna saßen, drehten sich zu ihr um. „Micky hat ihre erste Fünf in ihrem Leben kassiert und ich habe gerade eben noch eine Vier minus!“, wisperte Mathilda. „Toll, du hast nur zwei Punkte mehr als ich. Ich hätte lernen sollen, anstatt die Nachmittage im Wohnwagen abzuhängen“, jammerte Annemieke. „Ich glaube bis auf Fianna haben wir alle nicht so gute Arbeiten geschrieben. Macht euch keinen Kopf draus, wenn die anderen Arbeiten besser sind, gilt das hier nur als Ausrutscher“, versuchte Kiki ihre Freundinnen aufzumuntern. „Bei mir bin ich da nicht so sicher!“, grummelte Emily und strich sich ihre braunen Locken hinter die Ohren. 

 Am späten Nachmittag feierte Lotta ihren Geburtstag und lud ihre Bande kurzfristig in den Wohnwagen ein. Fianna und Aylin gingen vorher einkaufen und brachten Lotta ein Nagellackset mit. Die Zwillinge und Kiki schmückten den Wohnwagen, damit es ein wenig feierlicher aussah. „Wir könnten Leuchtsterne an die Decke kleben und Gardinen vor die Fenster hängen, damit es hier gemütlicher aussieht“, schlug Annemieke vor, „Ich werde Kiki fragen, ob sie Lust hätte, mit mir einen Vorhang zu nähen“ „Das ist eine tolle Idee! Ich würde auf jeden Fall sehr gerne einen Vorhang mit dir nähen. Außerdem hänge ein großes Gruppenfoto, ein paar Poster und einen Kerzenleuchter an die Wände“, pflichtete ihr Kiki begeistert bei. „Wo bleiben eigentlich das Geburtstagskind und Emily? Es ist gleich halb Sechs“, bemerkte Mathilda und sah besorgt auf ihre Uhr.

Lotta riss mit einem Knall die Wohnwagentür auf, so dass ihre Freundinnen vor Schreck aufschrieen. „Na, habe ich euch erschreckt?“, grinste sie und stellte eine Dose Muffins auf den gedeckten Tisch. „Wegen dir hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen!“, stöhnte Mathilda und fing an zu lachen. Annemieke, Kiki und Emily wurden von ihrem Lachen angesteckt und prusteten so heftig, bis ihre Gesichter tomatenrot waren. Jetzt fehlte nur noch Emily. Wo mochte sie nur bleiben? „Egal, wir setzen uns hin und fangen schon einmal an“, meinte Kiki und schnitt den Kuchen an, den sie und Emily gebacken hatten. „Wer zu spät kommt, kriegt das was noch übrig bleibt“, sagte Mathilda mit vollem Mund. „Mensch Matti, du sollst nicht mit vollem Mund reden! Was sind das hier für Manieren!“, Annemieke puffte ihre Schwester leicht, aber musste trotzdem grinsen. „Ich bin beim zweiten Stück Kuchen angelangt, aber Emily ist trotzdem noch nicht da“, sagte Lotta, „Sie hat mir vorhin gesagt, dass sie kommt“ „Stimmt, wir sitzen hier beinahe eine Dreiviertelstunde“, nickte Aylin.

Fünf Minuten später kam das letzte Bandenmädchen mit einem hochroten Kopf herein und warf ihre Jacke auf das kleine rote Sofa. „Wisst ihr was, ich habe mir ein zweistündiges Wortgefecht mit Mama geliefert. Mama hat mir wegen der Fünf minus in Physik und der Vier in Englisch fast den Kopf abgerissen und wollte mich dazu verdonnern, dass ich in den ganzen Ferien zur Ferienschule gehe, damit ich solidere Grundlagen gelegt bekomme. Ich wollte das nicht und wir haben uns richtig gefetzt. Nachher bin ich heulend in mein Zimmer gerannt und habe mich eine halbe Stunde in mein Bett gelegt. Mir kam die rettende Idee, dass ich meine Schulbücher mit in den Urlaub nehme und dort jeden Abend ein wenig lernen könnte. Das Beste war, Mama war damit einverstanden“, erzählte Emily außer Atem, „Das ist der Grund, warum ich fast eine Stunde zu spät bin“ Sie reichte Lotta ihr Päckchen. „Vielen Dank, Lily!“, mit leuchtenden Augen hielt Lotta ein Gruppenfoto in einem selbst gebastelten Fotorahmen in die Höhe. „Lass mal sehen! Es ist das Gruppenfoto von Michaels Gartenfest im Sommer“, Fianna nahm ihr das Bild aus der Hand. „Wir können es gerne hier im Wohnwagen aufhängen“, meinte Lotta, „Meine Mutter mag es nicht besonders gerne, wenn ich zu viele Bilder in meinem Zimmer aufhänge. Letztens hat sie gemeckert, als ich einen Schriftzug „Die Rote Sieben“ über mein Bett gehängt habe“ „Hat deine Mutter etwas gegen uns?“, Mathilda zog eine Schnute und tat so, als wäre sie beleidigt. „Ihr kennt doch meine Mutter mit ihrem Ordnungsfimmel“, seufzte Lotta und verdrehte die Augen, „Bei ihr muss alles eine bestimmte Ordnung haben“

 Es klopfte wieder an der Tür, Lotta machte sie auf und die Piranhas standen nass geregnet vor ihr. „Waren die Fischköppe eingeladen?“, flüsterte Aylin Fianna ins Ohr. „Nein, die laden sich immer selber bei uns ein“, schüttelte Fianna den Kopf. „Wir haben eure “Mode-Siebenerin“ nicht vergessen“, grinste Max und gab seiner Freundin einen Geburtstagskuss. „Wow, ihr Siebenerinnen habt euch es ziemlich gemütlich in eurem Nest eingerichtet. Dürfen wir einen kleinen Moment rein kommen, dieser blöde Schauer hat uns gerade überrascht“, sagte Sven. „Können wir ein wenig von euren Leckereien abhaben?“, rief Michael, der kleinste und pummligste Piranha und musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um einen Blick auf die Kaffeerunde werfen zu können. „Na gut, kommt einen kurzen Augenblick rein, aber für dreizehn Leute ist hier viel zu wenig Platz“, meinte Kiki. „Nein, wir wollen nicht lange bleiben“, versicherte Max, „Es ist mir nur wichtig, dass wir mein Geschenk für Lotti hier abgeben können“ Er drückte einen Karton in die Hand. „Öffne ihn!“, befahl er. Lotta entfernte das Geschenkpapier und hob den Deckel vom Karton. „Das sind die Schuhe, die Mama mir nicht kaufen wollte. Vielen Dank, Maxi!“, sie sprang auf und fiel ihrem Freund um den Hals. Die mit Strasssteinen besetzten Turnschuhe wollte sie schon seit Langem haben, aber ihre Mutter war immer der Meinung, dass Lotta bereits genug Schuhe hätte.

„Sollen wir noch ein Ständchen bringen?“, schlug Ömer vor und begann laut Happy Birthday zu singen. Seine Freunde grölten lauthals mit, sodass den Mädchen fast die Ohren wegflogen. „Bitte verschont uns mit dem Gegröle, wir sind hier nicht im Fußballstadion“, bettelte Fianna, die sich die Ohren zuhielt. „Wenn ihr so einen Krach macht, könnt ihr gleich wieder gehen“, rief Mathilda, die sich ebenfalls die Ohren zuhielt. „Pah, von wegen Gegröle! Das hier ist feinster Gesang!“, rief Jannis beleidigt und begann mit fipsiger Stimme zu singen. „Aufhören, aufhören, aufhören!“, schrieen die Mädchen im Chor. Sie schlugen im Takt mit ihrem Besteck auf den Tisch und bewarfen die Jungs mit Zuckerstückchen. Jannis holte eine Tüte mit Eicheln aus seiner Jackentasche und zielte auf die Zwillinge, die ihn am heftigsten drangsalierten. Die Mädchen und die Piranhas tobten, lachten und juchzten so laut, sodass der Wohnwagen wackelte.

Wieder klopfte es an der Tür und diesmal stand der alte Griesgram vor der Tür. Die Bandenkids verstummten sofort, denn wenn der Griesgram erschien, bedeutete das immer Ärger. „Was soll dieser Lärm?“, fragte er wütend, „Ich dachte schon, euer Wohnwagen explodiert gleich“ „Wir haben nur einen etwas wilden Besuch hier“, Annemieke setzte ein zuckersüßes Lächeln auf, um den alten Mann zu besänftigen. Jannis und Sven wurden gleichzeitig puterrot im Gesicht. „Soso, ihr habt einen wilden Besuch hier?“, schnaubte der Griesgram, „Ist das hier ein Kindergeburtstag oder ein Pärchentreffen?“ Keiner der Bandenkids antwortete, der Griesgram sah spöttisch auf sie hinab und sagte, „Wenn sie noch mehr Lärm machen, werft ihr sie einfach raus.“ Danach machte er die Tür wieder zu und ging in seinen eigenen Garten. „Ist euer Nachbar immer so nett?“, Jannis Stimme triefte vor Ironie. „Wenigstens hat er uns diesmal nicht angeschrieen, wie er es sonst immer tut“, meinte Emily.

 Die Mädchen kamen auf ihren Reiturlaub zu sprechen. „Schön, dass die Siebenerinnen auch mal ausfliegen. Ich dachte sie würden vor Neid platzen, wenn sie erfahren, dass wir in Dänemark an einem Junior-Fußballturnier teilnehmen“, meinte Jannis. „Wir bleiben knapp zwei Wochen da“, sagte Fianna. „Wir kommen erst zwei Tage später, weil wir auf so eine öde Silberhochzeit müssen“, maulte Mathilda. „Na, so schlimm wird es nicht werden“, Kiki klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. Nachdem die Jungen den Rest von Kikis Kuchen aufgefuttert hatten und ihnen von mehreren Litern Cola beinahe schlecht war, verabschiedeten sie sich und winkten den Mädchen hinterher. Lotta schenkte jeder Bandenfreundin Limonade ein Sektglas ein. „Auf meinen Geburtstag und auf unsere gemeinsamen Reiturlaub“, hob ihr Glas und stieß mit jeder Bandenfreundin an.

Vorfreude ist die schönste Freude

Die Rote Sieben konnte es nicht erwarten, bis endlich der letzte Schultag kam. In den letzten Stunden hatten sie Kunst. Frau Breisinger, ihre Kunstlehrerin, legte eine CD mit klassischer Musik ein, damit die Schüler konzentrierter arbeiteten und nicht so viel miteinander redeten. Die Rote Sieben, die in zwei Viererreihen hintereinander saß, konnten ein leises Wispern nicht unterdrücken. „Schade, dass wir heute Nachmittag nicht mehr zum Bandentreffen kommen können. Wir fahren direkt nach der Schule los“, flüsterte Annemieke und beugte sich zu Aylin und Fianna vor, die eine Reihe vor ihr saßen. „Annemieke, du nimmst auf der Stelle deine Sachen und setzt dich auf den leeren Platz zwischen Pauline und Tanja“, sagte Frau Breisinger mit ihrer spitzen Stimme. Ihre Kunstlehrerin mochte es nicht, wenn im Unterricht geredet wurde. Sie war der Meinung, dass Privatgespräche nur von der eigentlichen Arbeit ablenken und zu schlechten Ergebnisse führen würden. „Was hat die Alte eigentlich?“, empörte sich Sven, „Ich habe Micky nicht einmal reden hören“ „Sven, du packst auch deine Sachen und gehst raus!“, rief die grantige Kunstlehrerin, „Mich Alte zu nennen ist eine grobe Frechheit. Draußen schreibst du zwei Seiten aus dem Kunstbuch ab“ Nun wagte es niemand mehr, einen Ton zu sagen. Damit die Rote Sieben überhaupt noch miteinander kommunizieren konnte, schrieben sich die Mädchen gegenseitig kleine Briefchen. Frau Breisinger starrte sie währenddessen streng mit ihren Adleraugen an. Fianna fühlte sich beobachtet und malte lustlos eine Fläche aus. So machte der Unterricht wirklich keinen Spaß mehr.

 

 Mist, nun kleckerte sie auch noch und das ganze Bild war hinüber. Sie stand auf und pfefferte ihren Papierball frustriert in den Papierkorb. Danach ging sie nach vorne, um sich ein neues Blatt zu holen. „Warum läufst du einfach so durch den Klassenraum?“, fragte Frau Breisinger streng, ihre Augen hinter ihrer schmalen Brille wurden noch dunkler. „Ich habe mir nur ein neues Blatt geholt“, erwiderte Fianna unschuldig und trottete zu ihrem Platz zurück. „Frau Breisinger ist heute eine ziemliche Laus über die Leber gelaufen“, wisperte Aylin, „Erst setzt sie Micky um, dann wirft sie Sven raus und meckert dich an“ „Ja, so macht der Unterricht keinen Spaß mehr“, seufzte Fianna. „Soso, wenn der Unterricht dir keinen Spaß macht, kannst du dich vorne an mein Pult setzen und mir aufschreiben, warum dir mein Unterricht nicht gefällt“, zischte Frau Breisinger und stand vor ihrem Pult. Ohne etwas zu erwidern, schnappte sich Fianna einen Stift und setzte sich neben ihre schlechtgelaunte Kunstlehrerin. Frau Breisinger gab ihr einen leeren Zettel. „Bis zum Ende dieser Stunde hast du mir aufgeschrieben, was du an meinem Unterricht zu meckern hast“, sagte Frau Breisinger und machte in ihrem Notizbuch mehrere rote Striche hinter die Namen der Schüler wegen schlechten Betragens.

 Sie war erleichtert, als die schlimmste Kunststunde dieses Jahres endlich vorüber war. „Was bin ich froh, dass die alte Hexe nicht gemerkt hat, dass ich heimlich Musik mit meinem MP3-Player gehört habe. Ich konnte ihre Opernmusik nicht länger ertragen“, grinste Mathilda, als sie draußen bei ihren Fahrrädern standen. „Von wegen diese Musik soll uns helfen, damit wir uns besser konzentrieren können. Ich finde dieses Geschrammel und Gefiedel killt die Ohren aller Menschen unter fünfzig“, Lotta tippte sich gegen die Stirn. „Besser wir regen uns nicht über diese alte Schachtel auf, die ist halt so“, meinte Kiki und stieg auf ihr Rad. „Tschüs, Kiki!“, riefen ihr ihre Freundinnen hinterher. Die Zwillinge verabschiedeten sich noch mal richtig von ihren Freundinnen, da sie für ein paar Tage nach Harlem fuhren.

 

 Nach dem Mittagessen fuhr Fianna direkt zum Schrebergarten. Als sie ihr Fahrrad an der Hecke parkte, war noch niemand da. Die Rasenfläche vor dem Wohnwagen war mit buntem Laub übersät und der ganze Garten roch herbstlich nach Erde. Als Erstes ging sie zu den Kaninchen und nahm Nanni zum Kuscheln aus dem Stall. „Hanni und du, ihr werdet uns sicher ziemlich vermissen. Aber Josephine kommt jeden zweiten Tag und füttert euch“, sagte sie und kraulte das Kaninchen im Nacken. „Hey Carrot, sitz hier nicht so faul rum, sondern harke den Rasen“, Kiki kam durch das verrostete Gartentor und schloss es mit einem lauten Krachen. Fianna setzte Nanni wieder in den Stall, rupfte Gras und fütterte die Kaninchen, die sich nach den Grashalmen reckten. „Hier!“, Kiki drückte ihr die Harke in die Hand. „Ich schneide eben die Hecke zurecht“, rief Kiki und eilte zum kleinen Schuppen. Aylin, Lotta und Emily kamen zu dritt in den Garten geschlendert, als Kiki und Fianna gerade eben mit der Gartenarbeit fertig waren. „Ihr seid zu spät! Wir haben die ganze Gartenarbeit ohne euch gemacht, ihr Trödeltanten!“, rief Kiki und kletterte auf den Apfelbaum. Fianna saß schon in der Krone des Kirschbaumes. „Sorry, ich musste auf meinen Bruder aufpassen“, entschuldigte sich Lotta. Kiki und Emily kochten Tee und deckten den Tisch, während ihre Freundinnen draußen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages genossen. „Tee ist fertig!“, rief Aylin durch das geöffnete Fenster. Fianna und Kiki kletterten von ihren Bäumen hinunter.

 

 Nach dem Teetrinken erstellten die Mädchen eine lange Packliste von der Reithose, über Bettwäsche bis hin zur Zahnbürste. „Aylin, du könntest doch deine Lavalampe und ein paar Duftkerzen einpacken“, meinte Kiki. Aylin nickte und ergänzte, „Ich kann ein paar Herzkissen und ein paar schöne Seidentücher mitnehmen, ich liebe es Räume gemütlich einzurichten“ Kiki versprach hoch und heilig mindestens eine Tasche voller Süßigkeiten und Knabberzeug einzupacken. „Und ich weiß auch, was ich mitnehmen muss“, grummelte Emily, „Meine bekloppten Schulbücher, über denen ich jeden Tag mindestens eine halbe Stunde brüten muss“ „Oh Mann, deine Mutter kann dich nicht einmal eine Sekunde mit dem Schulquatsch in Ruhe lassen“, meinte Fianna. „Erinnere dich, das war die Vorraussetzung, dass ich überhaupt mitfahren darf“, bemerkte Emily und senkte ihre Stimme. „Oho, ihr kennt meine Mutter nicht“, mischte sich Lotta mit erhobenem Zeigefinger ein, „Sie war wenig begeistert, als ich mit einer Vier in Physik und einer Drei minus in Mathe nach Hause kam.“ „Manchmal können Mütter echt nervig sein“, stöhnte Aylin, „Ich habe auch einige Arbeiten versemmelt, aber meine Mutter übt nicht so einen irren Druck auf mich aus, wie eure Mütter“

„Hey, ich habe eine SMS von Matti!“, rief Kiki. Sofort scharrten sich die Freundinnen um sie. „Was gibt es neues von den Zwillingen?“, fragte Lotta. „Leider keine guten Neuigkeiten“, seufzte Kiki, „Mathilda schreibt mir, dass sie mit ihrem Auto bei Warendorf liegen geblieben sind und abgeschleppt werden mussten. Ihr Auto hat einen Motorschaden und muss in eine Werkstatt. Ein Freund von ihrem Vater bringt sie gerade nach Osnabrück, damit sie dort ihre Reise mit dem Zug fortsetzen können“ „Heißt es, dass sie nächste Woche nicht hinterher kommen können?“, fragte Aylin besorgt. „Ich denke, ihr Auto wird bis dahin wieder heile sein“, meinte Kiki hoffnungsvoll. Fianna konnte es langsam nicht mehr abwarten, bis ihre Reise losging. Besser gesagt, ihre erste Bandenreise als Rote Sieben.

 

 Während Kiki, Fianna und Emily eifrig diskutierten, was sie noch mitnehmen könnten, zauberte Lotta ihre funkelneue Videocam hervor, die sie zum Geburtstag bekommen hatte. „Action, Mädels!“, rief sie. „Halt, ich bin gar nicht in Position!“, Fianna versteckte sich unter dem Tisch. „Willst du uns die ganze Zeit filmen?“, fragte Kiki, ihr skeptischer Gesichtsausdruck war nicht zu übersehen. „Ja, warum nicht?“, Lotta zuckte mit den Achseln. „Wenn Lotta filmt, können wir die schönsten Momente unserer Reitferien festhalten“, Emily war eindeutig mehr begeistert von dieser Idee als Kiki. „Wir müssen aber vorher absprechen, wenn du uns filmst, Lotta. Ich mag es nicht gefilmt zu werden, wenn ich es nicht weiß“, beharrte Aylin. „Okay, einverstanden“, nickte Lotta und fragte in die Runde, „Darf ich jetzt meine Bande vorstellen?“ „Von mir aus“, gab Kiki ihr Einverständnis. Lotta schaltete ihre Cam ein und ließ sie einmal durch den ganzen Raum schwenken. „Hallo allerseits, hier ist Lotta und ich möchte euch unser Bandenquartier und meine Bandenfreundinnen vorstellen“, sagte sie und richtete die Kamera zuerst auf sich, „Ich bin Carlotta Janssen und bin seit wenigen Tagen vierzehn Jahre alt, aber ich werde meistens einfach nur Lotta genannt. Links neben mir sitzt Aylin Yilmaz, sie ist dreizehn Jahre und sorgt dafür, dass hier Ordnung ist. Neben ihr sitzt Fianna O’Hara, auch genannt Carrot, sie ist auch dreizehn Jahre alt. Kristina Morawski, die bei uns nur Kiki heißt, ist unsere Anführerin und ist ebenfalls dreizehn Jahre alt. Rechts von mir sitzt Emily, sie ist die Größte von uns und ist vierzehn Jahre alt. Leider fehlen unsere beiden lustigen Zwillinge Micky und Matti, die eigentlich Annemieke und Mathilda heißen“ „Bravo, du hörst dich an wie eine Moderatorin!“, lobte Emily. „Lotta macht ihren Job prima!“, fand Kiki, „Sie wird bestimmt ein tolles Videotagebuch führen.“

Endlich geht es los!

Am Abreisetag wachte Fianna eine Stunde bevor ihr Wecker klingelte auf. Sofort fiel ihr ein, welcher Tag heute war und schwang sich gutgelaunt aus den  Federn. In rasender Geschwindigkeit zog sie sich an, bürstete ihre Haare und machte sich einen Zopf. Draußen war es noch stockduster und ihre Familie schien noch zu schlafen, aber ihre Meerschweinchen waren schon hellwach und raschelten im Heu. Ihr Handy vibrierte auf ihrem Schreibtisch. „Bist du genauso aufgeregt wie ich?“, schrieb Aylin. „Ja, in mir kribbelt es schon vor Aufregung und Vorfreude“, schrieb sie zurück und ging in die Küche. Dort deckte sie den Tisch und machte sich ein Rührei mit Schinken und Toast. Ein Tag wie dieser musste mit einem leckeren Frühstück beginnen! Das fand Fianna auch. „Guten Morgen, Fianna!“, ihr Vater kam mit Puschen durch die Küchentür und schnappte sich die Zeitung. „Morgen“, grüßte sie zurück und schmierte sich ein paar Brote für die lange Zugfahrt. Es dauerte beinahe noch eine halbe Stunde bis auch Tom und ihre Mutter aufstanden. „Mama, wir müssen gleich los!“, drängte Fianna, „Wir brauchen bestimmt zwanzig Minuten bis zum Bahnhof“ „Aber der Zug fährt doch erst in einer halben Stunde“, entgegnete ihre Mutter. „Ich will nicht auf dem letzten Drücker erscheinen und Kiki hat gesagt, dass wir uns um halb zehn auf dem Bahnhof treffen“ „Musst du dich immer an das halten, was Kiki dir vorgibt?“, ihre Mutter klang leicht genervt und tunkte ihr Croissant in ihren Milchkaffee.

 Lotta, Kiki, Aylin und Emily standen schon am Bahnsteig, als Fianna mit ihrem schweren Koffer angeschnauft kam. Aylin hielt die Videocam und Fianna konnte Lotta schon von weitem reden hören. „Wir stehen gerade auf dem Freudenburger Bahnhof, das Wetter ist etwas diesig und um diese Uhrzeit ist hier noch nicht viel los. Unser Zug kommt erst in zehn Minuten, aber ein Bandenmitglied fehlt noch“, moderierte Lotta. Fianna beschleunigte ihre Schritte und winkte ihrer Bande zu. Sofort richtete sich Lottas Kamera auf sie und ihre Freundin moderierte weiter, „Jetzt hat unser letztes Bandenmitglied den Bahnhof erreicht. Guten Morgen, Fianna!“ Fianna winkte und lächelte in die Kamera, sodass sich ihre Sommersprossen kräuselten. Der Wind wehte ihre langen roten Haare zur Seite und immer wieder musste sie einzelne Haarsträhnen aus ihrem Gesicht wischen. Endlich stellte Aylin die Videocam aus. „Dass meine Ankunft gefilmt wird, hätte ich nicht erwartet“, grinste Fianna und umarmte Aylin zur Begrüßung. „Ich habe jeden gefilmt, wie er gekommen ist“, sagte Lotta, „Die Zwillinge werde ich übermorgen auch filmen“

Als Nächstes fiel Fianna auf, dass sich Emily ihre langen braunen Locken abgeschnitten hatte. Ihre Haare standen nun streichholzkurz und in alle Himmelsrichtungen gegelt von ihrem Kopf ab. „Wie siehst du denn aus?“, entfuhr es Fianna. „Tja, damit habe ich Aylin, Kiki und Lotta auch schon geschockt“, grinste Emily, „Vorgestern waren meine Cousine Annika und ich bei Annis Lieblingsfriseur in der Stadt und wir haben uns beide die Haare so kurz schneiden lassen“ Fianna strich ihrer Freundin vorsichtig über den Kopf. „Fühlt sich an wie Igelstacheln“ sagte sie. „Ich verstehe nicht, wie man sich so schöne braune Locken abschneiden kann“, schüttelte Lotta verständnislos den Kopf, „Ich wäre für so schöne Haare gestorben“ „Hätte ich gewusst, dass du meine Haare haben willst, hätte ich dir welche mitgebracht, Lotta!“, erwiderte Emily. „Aber ich finde, dir stehen kurze Haare auch“, meinte Lotta, „Ist mal was Neues! Ich überlege mir auch, mir eventuell die Haare richtig abschneiden zu lassen“ „Bitte fangt nicht alle an euch die Haare abzuschneiden!“, rief Kiki flehend, „Wir sind immer noch Mädchen und keine Jungs“

Aylin stupste Fianna an, „Ich habe an die Tücher und an die Kissen gedacht. Mama hat mir sogar eine riesige Dose mit selbstgebackenen Kuchen eingepackt“ „Prima, dann werden wir auf keinen Fall verhungern“, lachte Kiki, „Wir werden erst heute Abend sehr spät in Adenhuusen sein“ „Achtung, Achtung! Auf Gleis 1 fährt eine Regionalbahn nach Frankfurt Hauptbahnhof ein. Bitte halten Sie genügend Abstand zu der Bahnsteigkante“, ertönte eine Ansage. Die Gesichter der Bandenmädchen hellten sich auf, nun mussten sie sich nicht mehr auf einem kalten Bahngleis die Beine in den Bauch stehen. Lotta holte wieder ihre Cam raus und filmte den einrollenden Zug. Bremsen quietschten und die Türen öffneten sich. Ein paar Reisende stiegen aus und die Mädchen kletterten nach und nach in den Zug. Lotta stieg mit der Kamera in der Hand als Letztes ein und bekam ihren Koffer mit einer Hand nicht in die Bahn gehievt. Kiki musste ihr helfen. „Hier rein!“, Emily winkte ihre Freundinnen zu sich in ihr Abteil.

 „Wir haben uns es jetzt in unserem Abteil bequem gemacht. Die Türen wurden geschlossen und in diesem Moment fährt der Zug an. In einer Stunde erreichen wir den Frankfurter Hauptbahnhof und dort müssen wir in den ICE nach Hamburg umsteigen“, kommentierte Lotta und richtete die Kamera zuerst auf sich und dann in Richtung Zugfenster. Kiki und Fianna warfen sich genervte Blicke zu. Musste ihre Freundin die ganze Bahnfahrt kommentieren und filmen? „Lotta, musst du die ganze Zeit filmen?“, fragte Kiki, nachdem ihre Freundin gerade eben ihre Kamera in ihrem Rucksack verstaut hatte. „Ich filme nachher nur noch, wie wir auf dem Reiterhof ankommen“, erwiderte Lotta, „Ich habe jetzt schon zehn Minuten Filmmaterial zusammen, aber ich muss es nicht gleich übertreiben.“

Die Fahrt nach Frankfurt verging wie im Flug und wenig später saßen die Mädchen im ICE. Fianna und Aylin saßen nebeneinander, während es sich ihre Freundinnen auf einem Vierersitz bequem machten. Leider gab es keine Abteile wie in der Regionalbahn. Fianna nervte es, dass ein junger Mann vor ihr laut Musik hörte und dazu mitsang. Zwei kleine Kinder liefen ständig den Mittelgang auf und ab. Fianna gähnte und schloss die Augen. Sie war müde, da sie heute Morgen in aller Herrgottsfrühe aufgestanden war. Erst als Aylin an ihrer Schulter rüttelte war sie mit einem Schlag wach. „Wir sind gleich in Hannover“, meinte ihre beste Freundin. „Was? Das kann doch nicht so schnell gehen“, erstaunt riss Fianna ihre Augen weit auf. „Na, du hast vorhin ziemlich lang geschlafen“, meinte Aylin. Kiki, Lotta und Emily Vertrieben sich ihre Langeweile mit Karten spielen. „Hast du was dagegen, wenn ich mich zu Kiki und Co setze und mit ihnen Skat spiele?“, fragte Aylin. „Nein, mach ruhig! Ich bin immer noch müde und werde weiterschlafen“, gähnte Fianna und drehte sich wieder zur Seite. Kurz bevor der Zug Hamburg erreichte, wachte sie wieder auf. Ihre Freundinnen zogen sich bereits ihre Jacken an und stellten ihre Koffer vor sich hin. „Der Zug hat leider eine halbe Stunde Verspätung“, sagte Kiki besorgt, „Ich weiß nicht, ob wir unseren Anschlusszug noch kriegen“ „Der Zug müsste gerade abgefahren sein“, brummte Emily, „So müssen wir noch mindestens eine Stunde in Hamburg warten“ „Na toll, so habe ich mir das nicht vorgestellt“, grummelte Lotta.

Die fünf Bandenmädchen verbrachten eine Stunde lang in Hamburg. Vom Warten bekamen sie mächtigen Kohldampf und beschlossen sich eine Pizza zu holen. Fianna rief Henriette an und teilte ihr mit, dass sie eine Stunde später kommen werden. Am späten Nachmittag saßen sie in ihrem letzten Zug nach Schleswig. „Es wird bestimmt schon Abendbrotszeit sein, wenn wir da sind“, meinte Fianna. „Dann wird es wohl leider nichts mehr mit Reiten“, murmelte Lotta und konnte die Enttäuschung in ihrer Stimme nicht verstecken. „Aber dafür werden wir immerhin fast zwei Wochen bleiben und da werden wir jeden Tag reiten“, munterte Kiki ihre Freundin auf, „Es ist nicht unsere Schuld, dass dieser blöde Zug Verspätung hatte und wir deswegen erst zum Abendbrot kommen“ Die Fahrt dauerte wieder mehr als zwei Stunden, der Zug ruckelte gemütlich durch die herbstliche Landschaft und draußen wurde es immer diesiger. Bald konnten die Mädchen vor lauter Nebel kaum noch die Umrisse der Bäume und Hecken auf den abgeernteten Feldern erkennen.

 Eine große Frau mit einem dunklen Kurzhaarschnitt wartete am Bahnhof in Schleswig auf die Bandenmädchen. „Hallo, ich bin Henriette Klaasen, aber die meisten Ferienkinder nennen mich nur Henry die Große. Wie ihr bestimmt schon mitbekommen habt, bin ich Fiannas Patentante“, sagte sie und gab jedem Mädchen die Hand. „Dahinten kommt übrigens mein ältester Sohn Lukas, er wird euch helfen das Gepäck zu tragen.“ Henriette deutete mit ihrer rechten Hand auf einen großen dunkelhaarigen Jungen, der ihnen entgegenkam. „Hallo“, Lukas begrüßte die Mädchen mit einem Lächeln. Fianna sah er besonders lange an und nickte ihr freundlich zu. Plötzlich wurden ihre Beine ganz weich und es kribbelte leicht in ihrem Bauch. War das normal? Schnell wandte sie sich ihren Freundinnen zu, während Henriette und ihr Sohn das Gepäck zum Bulli brachten. „Findet ihr nicht auch, dass Lukas sehr sympathisch ist?“, fragte Emily und strich sich über ihre Igelfrisur. „Kommt mit, der Bulli steht für euch bereit!“, rief Henriette von der anderen Straßenseite. Die Mädchen stiegen ein und schnallten sich an. Henriette drehte den Schlüssel im Zündschloss und fuhr aus der Parklücke. „Die Ferien können kommen!“, sagte Emily gähnend und nickte kurz darauf ein. 

Ankunft auf dem Klaasenhof

Henriette lenkte den Wagen die kurvige Straße entlang. Wald, Wiesen und Ostsee wechselten sich ab. Aylin zog an Fiannas Ärmel und flüsterte aufgeregt, „Das ist das Meer!“ „Vom Meer werdet ihr in den nächsten Tagen noch genug zu sehen bekommen“, brummte Henriette und konzentrierte sich auf die Straße. „Welche Pferde habt ihr denn?“, fragte Kiki interessiert, die Pferde sehr gerne mochte. „Wir haben dreiundzwanzig Islandpferde und ein Nachbar von uns hat zudem noch zwei Connemaraponys bei uns eingestellt, aber die dürfen nur die Besitzer reiten“, antwortete Henriette. Es war diesig und von Minute zu Minute wurde es dunkler. Plötzlich klingelte ein Handy. „Lukas, geh du bitte dran“, sagte Fiannas Patentante. Ihr Sohn nahm den Anruf entgegen. „Wieso hat Tessa ausgerechnet jetzt angerufen?“, fragte Henriette, „Kann sie es nicht erwarten, dass wir zurückkommen?“ „Nein, sie versucht die Plagen davon abzuhalten, die Neulinge von gestern mit Smarties zu bewerfen“, sagte Lukas. „Das wird gleich noch ein schönes Donnerwetter mit Ricarda und ihrer Bagage geben!“, knurrte Henriette. „Sag bloß nicht, wir müssen uns hier mit unerzogenen Kindern herumärgern!“, flüsterte Lotta Kiki ins Ohr. „Und wenn sie uns blöd kommen, schießen wir halt zurück und zeigen ihnen was eine richtige Bande ist“, wisperte Kiki. „Schaut mal, da war gerade ein Wegweiser zum Klaasenhof. Nur noch zwei Kilometer!“, Fianna zeigte auf einen Wegweiser neben einem Feld, ein kleines Islandpony, welches mit einem Huf in die richtige Richtung zeigte. „Gleich sind wir da“, meinte Lukas, als sie durch ein kleines Waldstück fuhren. In der Ferne tauchten die ersten Koppeln auf und sie fuhren durch einen großen Torbogen, auf dem „Klaasens Isländerhof“ stand. „Yippie, wir sind da!“, jubelten Lotta und Kiki. „Was?“, Emily drehte sich irritiert zu ihren Freundinnen um. „Lily, hast du etwa die ganze Fahrt verschlafen?“, fragte Kiki neckend. „Ich habe nur mitbekommen, dass wir vom Parkplatz runterfahren und dann war ich weg“, gab Emily zu.

 Mit müden Beinen stiegen die Mädchen aus, nachdem Henriettes ihren Bulli geparkt hatte. Nun war es stockduster, nur ein Scheinwerfer erhellte den Hof. Fianna erkannte die Umrisse eines Mädchens, welches auf sie zulief. „Mama, nun sind Ricarda und co verschwunden“, rief es aufgeregt. „Wir gehen sie gleich suchen, bestimmt sind sie wieder auf dem Heuboden“, meinte Henriette, „Aber erstmal bringen Lukas und ich das Gepäck unser neuen Gäste weg“ Lukas hievte bereits die Koffer aus dem Gepäckraum. „Tessa, wie wäre es, wenn du den neuen Gästen das Haus und den Hof zeigst?“, wandte sich Henriette an ihre Tochter. „Hallo, mein Name ist Tessa und ich bin fast vierzehn Jahre alt“, stellte sich das Mädchen vor und gab jedem die Hand. Tessa war für ihr Alter klein, sah ungefähr ein Jahr jünger aus und hatte lange dunkelblonde Haare. Trotzdem fanden die Bandengirls, dass sie ziemlich bestimmt und selbstbewusst wirkte. „Am besten zeige ich euch zuerst das Haus“, sagte sie und forderte die Bandenmädchen auf, mitzukommen. Über der Eingangstür hing eine große alte Laterne, in der eine Kerze brannte. Tessa hielt ihnen die Tür auf und die Rote Sieben lief durch die große Diele. „Wow, so eine große Diele habe ich noch nie gesehen“, bemerkte Aylin. „Wo können wir unsere Jacken aufhängen?“, fragte Lotta. „Vor eurem Zimmer sind Kleiderhaken für eure Jacken und Schuhständer für eure Reitstiefel. Jetzt zeige ich euch den Gemeinschaftsraum, in dem gegessen, gespielt, gelesen und fern geschaut wird“, erwiderte Tessa und ging mit den Mädchen in den riesigen Gemeinschaftsraum. Es sah aus, als wäre hier eine Bombe eingeschlagen, Schokolinsen lagen auf dem Boden, ein paar Stühle wurden umgeworfen und Kinderzeitschriften lagen auf dem Sofa in der Ecke. Ein kleines Mädchen saß wimmernd und schniefend am ersten Tisch. „Was hast du, Dora?“, tröstete Tessa. „Ricarda, Maxi und Svenja haben mich die ganze Zeit geärgert und mich mit Smarties beworfen. Ich will nach Hause“, schluchzte das kleine Mädchen. „Ach komm schon, ich werde den Frechdachsen die Meinung geigen“, Tessa legte den Arm um Dora und führte sie zum Nachbartisch, an dem drei andere Mädchen saßen. „Du kannst dich doch zu Sabrina, Andrea und Melanie gesellen. Du brauchst nicht die ganze Zeit alleine zu sein“, meinte Tessa. „Dora, willst du mit uns Memory spielen?“, fragte ein Mädchen mit langen dunkelbraunen Locken. Dora nickte schüchtern und setzte sich dazu. Tessa ging zum dritten Tisch, an dem ein Mädchen mit rotblonden Locken und zwei Jungen saßen. „Ihr räumt das Zimmer wieder auf!“, sagte Tessa streng. „Das waren wir aber nicht alleine!“, protestierte das rothaarige Mädchen. „Das ist mir egal! Wisst ihr wo Ricky, Svenni und Maxi stecken?“, fragte Tessa. „Nein!“, rief ein kleiner Junge mit braunen Stoppelhaaren. „Bob, erzählst du mir die Wahrheit oder verschweigst du mir etwas?“, bohrte Tessa nach. „Ich verschweige dir gar nichts!“, erwiderte der kleine Junge.

 „Entschuldigung, dass ich euch habe stehen lassen!“, Tessa drehte sich zu den Bandenmädchen um. „Wir haben hier manchmal immer wieder ein paar Streitereien zu klären.“ „Man sieht es“, murmelte Kiki. „Das hier ist Bob, mein kleiner Bruder. Eigentlich heißt er Robert, aber hier heißt er nur Bob. Das rothaarige Mädchen heißt Miriam und ist meine Cousine. Der Junge neben ihr, das ist ihr älterer Bruder Julian. Den Rest der Frechdachse ist gerade nicht hier, aber ihr werdet sie früh genug kennen lernen“, stellte Tessa die Kinder nach und nach vor. „Wo sind eigentlich die Pferde?“, fragte Lotta. „Sie stehen draußen auf der Weide, dort sind das ganze Jahr. Ihr wisst, dass Isländer ein dickes Fell haben und sogar Schnee und Eiseskälte ertragen“, erzählte Tessa. „Wollen wir nicht nach draußen gehen? Mich zieht es zu den Pferden“, langsam wurde Kiki ungeduldig. Tessa führte sie über den Hof zum Ziegengehege und zeigte ihnen den Hühnerstall. „Was für Tiere habt ihr?“, fragte Lotta neugierig. „Wir haben Pferde, einen Hund, einen Stallkater, Hühner, Kaninchen, vier Ziegen und seit neuestem auch zwei Schafe, die bei den Ziegen untergebracht sind“, zählte Tessa auf. „Wow, das ist ganz schön viel!“, staunte Kiki, „Wer kümmert sich um die Tiere?“ „Hauptsächlich kümmern sich meine Eltern, meine Großeltern, wir Kinder und meine Tante Hildegard um die Tiere. Meine Tante und meine Großeltern wohnen ebenfalls hier. Tante Hildegard sorgt dafür, dass die Zimmer unserer Gäste sauber bleiben und ist der erste Ansprechpartner bei Heimweh“, antwortete Tessa.

„Das klingt interessant“, sagte Emily, „Wer arbeitet noch bei euch?“ „Ihr kennt noch nicht unsere Köchin Ira und Willi, der hier auf dem Hof arbeitet. Aber ihr werdet sie schnell kennenlernen“, meinte Tessa und ging mit ihren neuen Gästen in die Scheune. „Hier steht unser Traktor, unsere Pferdeanhänger und anderes Gerät. Oben befindet sich der Heuboden, dort lagern wir Heu und Stroh für die Pferde ein“, kaum hatte sie zuende gesprochen, prasselte eine Ladung Stroh auf sie hinab. „Iiihh! Ich habe lauter Stroh in meinen gegelten Haaren!“, fluchte Emily. „Ricarda, Svenja und Maximilian! Kommt sofort runter!“, rief Tessa wütend. Niemand antwortete, erst als Tessa noch lauter schimpfte, hörten sie ein verdächtiges Kichern. „Komm wir klettern hoch und schnappen uns die Blagen!“, raunte Tessa und kletterte wie der Blitz die Leiter hoch. Kiki, Lotta und Fianna folgten ihr. Wieder hörten sie verdächtiges Kindergekicher. „Wir haben euch!“, brüllte Tessa und zog ein Kind mit strubbeligen strohblonden Haaren aus dem Stroh. Lotta schnappte sich ein Mädchen mit langen dunkelbraunen Zöpfen. „Sauber, Lotta, du hast Svenja!“, rief Tessa, „Nun fehlt nur noch Ricarda. Ich wette mit euch, sie hat sich im Stroh eingegraben“ Ein Mädchen mit kinnlangen verwuschelten strohblonden Haaren huschte aus dem Versteck und kletterte in Windeseile die Leiter runter. „Halt!“, schrieen Lotta, Kiki und Tessa gleichzeitig. „Verdammt noch mal, die Frechste ist uns gerade entwischt!“, fluchte Tessa. Unten wurde Ricarda von Emily festgehalten. „Du hast die Rechnung ohne mich gemacht, du halbe Portion!“, sagte Emily spöttisch, „Schau dir an, was du mit meinen Haaren gemacht hast!“ „Was soll ich mit deinen Haaren gemacht haben?“, wiederholte Ricarda und riss vor Unschuld die Augen auf, „Außerdem passen ein paar Strohhalme prima zu deine Igelfrisur“ Emily, die zwei Köpfe größer war als Ricarda, schüttelte das kleine Mädchen wütend.

 „Sagt mal, was habt ihr so lange gemacht?“, Henriette betrat den Stall, „Ich rufe euch zum Abendbrot und keiner kommt“ „Sorry Mama, ich wollte den neuen Gästen eben alles zeigen“, sagte Tessa. „Na gut, dann kommt wieder ins Haus“, sagte Henriette und wandte sich an die Zwerge, „Mit euch muss ich nach dem Abendbrot noch ein ernstes Wort reden“ Ira, die Köchin, hatte belegte Brote und Baguettes vorbereitet. „Kommt ihr gleich mit nach draußen? Ich will die Pferde sehen“, fragte Kiki während sie aßen. „Ich komme mit“, rief Lotta. Fianna schloss sich ihnen an, aber Aylin und Emily wollten lieber auf ihr Zimmer gehen. „Ich habe euch das Zimmer direkt unter dem Dach gegeben“, sagte Henriette zu ihnen, als an ihrem Tisch vorbei kam, „Die Kleinen fürchten sich immer, wenn der Wind um den Schornstein fegt und die Siebenschläfer am Holz nagen“ „Das ist kein Problem für uns“, erwiderte Fianna, „Ganz im Gegenteil, wir finden das sogar gemütlich“

Sechs kleine Plagegeister

Nachdem Fianna, Kiki und Lotta eine Weile am Weidezaun standen und die Pferde streichelten, sehnten sie sich nach Wärme und Gemütlichkeit. Zu dritt gingen sie die Treppen hinauf in den zweiten Stock. Fianna öffnete die Tür. Wie gemütlich es aussah! „Kommt ruhig!“, sagte Aylin, „Wir haben es uns hier schon gemütlich gemacht.“ Fianna schaute sich um, neben der Tür ragten zwei große Schränke in die Höhe, an der gegenüberliegenden Wand reihten sich die Koffer neben einem alten Ledersofa. Links waren zwei Dachgauben mit Fenstern. An der rechten Wand standen zwei Doppelstockbetten, in der Zimmermitte standen noch drei normale Betten, die ihre Freundinnen zu einer Betteninsel zusammen geschoben hatten.

„Carrot, macht es dir etwas aus, wenn Kiki und ich oben schlafen?“, fragte Lotta. „Ihr könnt ruhig in den Hochbetten schlafen“, meinte Fianna. „Du bist etwas abgelegen von uns“, gab Kiki zu bedenken. „Ach, das ist nicht so schlimm! Übermorgen kommen sowieso die Zwillinge und ich werde zwischen ihnen liegen“, winkte Fianna ab.

 Die lange Zugfahrt und die frische Meeresluft machten die Bandenfreundinnen so müde, dass sie bereits um halb zehn das Licht ausmachten. Fianna kuschelte sich in ihre warme Bettdecke und lauschte dem Rauschen des Windes. Ihre Freundinnen atmeten auf der anderen Seite des Zimmers ruhig vor sich hin und manchmal wälzte sich eine von ihnen hin und her.

Auf einmal klopfte es. Es war bestimmt Tessa, die ihnen noch etwas sagen wollte. Müde tappte Fianna zur Tür und öffnete sie, doch dort war niemand. Grummelnd ging sie wieder zurück und gerade, als sie sich wieder hingelegt hatte, klopfte es noch mal. „Ruhe!“, brüllte sie, sodass ihre Freundinnen senkrecht in ihren Betten saßen. „Wer klopft dauernd gegen unsere Tür?“, fragte Kiki verärgert, „Ich will in Ruhe schlafen“ Es klopfte immer wieder, von Mal zu Mal wurden die Mädchen immer wütender. „Fianna, du gehst raus und lauerst den kleinen Biestern auf“, bestimmte Kiki. Fianna murmelte etwas Unverständliches, schlüpfte in ihre Hausschuhe und zog sich ihre Strickjacke über. Sie kroch unter einen Couchtisch, der neben dem Treppengeländer stand und verharrte regungslos. Aus Langeweile zählte sie bis tausend. „Warum soll ich mich hier verstecken, wenn doch sowieso niemand kommt?“, dachte sie fröstelnd.

Gerade als sie mit dem Gedanken spielte aufzugeben, hörte sie Schritte näher kommen. Eine kleine Gestalt in einem weißen Nachthemd schlich im Dunkeln die Treppe hoch, bald erkannte Fianna die hellblonden verwuschelten Haare der Gestalt und stürzte aus ihrem Versteck. „Jetzt habe ich den Übeltäter!“, knurrte sie und packte Ricarda am Schlawittchen. Das kleine Mädchen zappelte und schrie das ganze Haus zusammen. „Sei endlich ruhig!“, zischte Fianna ärgerlich, „Du sorgst noch dafür, dass du das ganze Haus aufweckst. Nun geh wieder in dein Zimmer und wenn du noch einmal klopfst, sperren wir dich für diese Nacht im Dachboden ein!“ Schnell wie der Blitz verschwand Ricarda wieder und Fianna legte sich in ihr Bett.

„Bravo, du hast den Poltergeist geschnappt!“, kicherte Kiki leise. „Das war Ricarda“, sagte Fianna. „Von ihrem Geschrei sind bestimmt alle Bewohner dieses Haus wach geworden“, gähnte Lotta, „Darunter auch ich!“ „Ich befürchte, wir werden noch mehr Ärger mit Ricarda und ihren Freunden haben“, stöhnte Aylin, „Kaum sind wir Emilys Cousine los, haben wir erneut Zwergenärger am Hals“ „Aber meine Cousine ist nicht mal halb so schlimm wie Ricarda. Dieses kleine Früchtchen ist wirklich nicht ganz ohne“, meinte Emily. „Wir lassen uns von diesem Grünzeug nicht provozieren. Schließlich wollen wir ihnen keine Angriffsfläche bieten. Wir sind zu alt für alberne Bandenkriege“, sagte Kiki und gähnte. Bald verstummte das Gespräch und die fünf Freundinnen lagen friedlich schlafend in ihren Betten. Lotta wachte zuerst auf, als die ersten Sonnenstrahlen ihre Nase kitzelten und ging die Treppe zum Duschraum hinunter.

 Als die Rote Sieben den Gemeinschaftsraum betraten, kam ihnen ein Höllenlärm entgegen. „Ricarda und Maximilian! Geht es ein wenig leiser?“, rief Ira, die Köchin. „Aber natürlich!“, Ricarda und Max lächelten zuckersüß. „Sind Ricarda und Max Zwillinge?“, fragte Kiki als Tessa ihnen einen Korb mit warmen Brötchen brachte. „Ja, das sind sie. Aber das ist nicht schwer zu erkennen, beide haben helle Haare, blaue Augen und die gleichen Gesichtszüge“, nickte Tessa und fügte hinzu, „Sie und Rickys beste Freundin Svenja sind bereits zum dritten Mal hier. Die drei verstehen sich außerdem super mit Miriam, Julian und Bob. Zu sechst sind sie ab und zu richtige Quälgeister“ „Aber Tessa, wir sind doch keine Quälgeister. Wir sind immer ganz brav“, plötzlich stand Ricarda neben ihr und sah Tessa mit ihren großen Kulleraugen an. „Haha, von wegen! Letztes Mal habt ihr die Ziegen über den Hof gescheucht und Opas Auto mit Eiern beworfen!“, Tessa tippte sich mit ihrem Zeigefinger gegen die Stirn. Das kleine Mädchen zog einen Schmollmund und setzte sich wieder zurück auf ihren Platz. „Ihr müsst dem kleinen Frechdachs nicht alles glauben, sie ist die Schlimmste von allen!“, sagte Tessa zu den Bandenfreundinnen.

 Nachdem sie sich die Zähne geputzt und sich ihre Reitsachen angezogen hatten, trafen sich die Ferienkinder im sogenannten „Henriettes Klassenzimmer“, ein lang gezogener Raum mit Tischen und Stühlen neben der Sattelkammer. Vorne war eine Tafel, an den Wänden hingen Informationsposter zum Thema „Pferd und Reiter“ und ganz hinten hatte Henriette die selbst gemalten Bilder ihrer Ferienkinder aufgehängt. Fianna und ihre Freundinnen setzten sich in die letzte Reihe, nur Kiki fand in der Reihe keinen Platz mehr und saß vor ihnen zwischen Dora und Melanie. „Guten Morgen!“, Henriette klatschte in die Hände und forderte Aufmerksamkeit.

„Jeder Tag beginnt hier um zehn Uhr in meinem Klassenzimmer. Hier lernt ihr Wissenswertes über Pferde, Reiten und Gefahren bei Umgang mit Pferden. Außerdem besprechen wir jeden Morgen, bevor es losgeht, den Tagesablauf und klären Fragen.“ Fünfzehn Kinder zwischen sieben und vierzehn Jahren schauten gebannt nach vorne und hörten aufmerksam zu. „Zuerst müssen wir zwei Gruppen bilden, da ihr zu viele für eine Reitgruppe seid“, sagte Henriette.

„Die Großen von euch werden gleich einen Ausritt mit Tessa um die Wiesen machen, während ich den Jüngeren Reitstunden auf dem Sandplatz geben werde.“ „Ach manno, ich wäre viel lieber ausgeritten“, maulte Ricarda leise. Bevor es zur Sache ging, hielt Fiannas Patentante einen Vortrag, warum es gefährlich war, sich einem Pferd von hinten zu nähern. Zudem zeigte sie anhand eines Kunststoffpferdekopfes, wie man ein Pferd richtig aufzäumte.

Eine Stunde später saß die Rote Sieben zum ersten Mal im Sattel. Lotta wurde Arnaldur zugeteilt, Kiki bekam Bylgja, Aylin saß auf dem gutmütigen Fafnir, Emily ritt Lagsi und Fianna Moala. Melanie und Andrea, die beide mindestens zehn Jahre alt sein mussten, ritten ebenfalls in der Gruppe der Großen. Sie bekamen Svalur und Freya. Tessa führte die Gruppe auf Tjara an und ritt mit den Ferienkindern die Zufahrt zum Klaasenhof entlang und bogen rechts vom Torbogen in ein Waldstück ab. Lotta filmte den Ritt heimlich mit ihrer Cam. Tessa wäre sicher nicht begeistert, wenn sie mitbekäme, dass sie von hinten gefilmt wurde und außerdem war es nicht ganz ungefährlich beim Reiten nur eine Hand frei zu haben. Lotta ließ die Cam in ihrer Jackentasche verschwinden, als sie eine Strecke über den Waldweg trabten.

„Wer mag über die Wiese galoppieren?“, fragte Tessa. Alle Mädchen bis auf Melanie und Aylin meldeten sich. Tessa schoss auf Tjara voraus und Fianna braucht nicht viel tun, damit Moala Tessa im Jagdgalopp überholte. „Fianna, komm zurück! Du bist viel zu schnell! Pariere ihn durch zum Schritt!“, schrie Tessa. Fianna versucht Moala vergeblich durchzuparieren, die Stute beschleunigte noch mehr vor dem kleinen Anstieg. Ihr Herz begann zu rasen und ihre Hände gruben sich in den Sattel. Vor einem Baum wurde Moala langsamer und blieb einige Meter später stehen. Fianna sah Tessa näher kommen. „Du weißt, dass das gerade gefährlich war“, rief Tessa von weitem. „Ich konnte nichts machen, sie ist mit mir auf und davon“, versuchte Fianna ihr zu erklären. „Ich weiß, Moala hat Feuer unterm Hintern“, meinte Tessa. Nach und nach kamen ihnen die anderen Reiterinnen hinterher. Auf der Hügelkuppe machte der Tross kehrt und ritt wieder zum Hof zurück.

 Nachmittags teilte Henriette den Kindern verschiedene Aufgaben zu. Dora, Aylin, Andrea und Sabrina sollten Ira helfen einen Butterkuchen zu backen. Lotta, Kiki und Fianna erklärten sich bereit mit Lukas den Ziegenstall auszumisten. Emily ging mit Melanie und Tessa auf die Weide und verabreichte zwei kranken Pferden ihre Medizin. Ricarda und ihre Freunde suchten Eier im Hühnerstall. „Soll ich dir zeigen, wo der Misthaufen ist?“, bot Lukas ihr an, nachdem Fianna ihre Schubkarre bis zum Maximum befüllt hatte. Wieder explodierte eine Ladung Schmetterlinge in ihrem Bauch, sie fand in der Schnelle keine Antwort und nickte nur. „Man war das peinlich!“, dachte sie, „Er muss mich wohl für eine Idiotin halten, die nicht mehr zu retten ist.“

„Carrot, du bist ganz rot im Gesicht“, bemerkte Lotta. Fianna ignorierte Lottas Kommentar und folgte Lukas. „So exakt wie du deine Arbeit machst, mistest du nicht zum ersten Mal einen Stall aus“, lächelte er und sah sie freundlich mit seinen hellblauen Augen an. Fianna wurde wieder rot und zwar noch röter als vorhin. Anstatt zu antworten, nickte sie wieder. „Ich habe gesehen wie du reitest. Ich wette du reitest bestimmt schon fünf Jahre so sicher du im Sattel bist. Wir haben häufig Ferienkinder, die noch nicht mal ein Pferd von Nahem gesehen haben, ihnen muss meine Mutter beibringen, wie man richtig auf einem Pferd sitzt“, erzählte er. „Nein, ich reite erst seit anderthalb Jahren“, gab sie zu. „Wenn du Lust hast, können wir morgen Abend den Rykjabach entlang reiten“, schlug er vor. „Von mir aus gerne“, Fianna nahm seine Einladung bescheiden an, aber lächelte trotzdem. Beim Abendessen erzählte Fianna niemanden etwas über den bevorstehenden Ausritt mit Lukas. Selbst Bandenfreundinnen teilten nicht jedes Geheimnis miteinander.

 Nachdem sie mit Dora und Tessa bis halb elf im Aufenthaltsraum Uno, Karten und Monopoly gespielt hatten, gingen die Bandenmädchen gähnend die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Emily machte einen Satz nach hinten, als sie die Tür öffnete. „Igitt, Regenwürmer auf unserem Teppich!“, kreischte sie. „Das geht bestimmt auf die Kappe der kleinen Biester!“, knurrte Lotta. „Wartet, ich sammle die Würmer ein und bringe sie dort hin, wo sie hingehören und zwar zu den Zwergen!“, beruhigte Kiki ihre Freundinnen. Fianna und Kiki sammelten die Regenwürmer ein und schlichen die Treppe hinunter. Im ersten Stock gab es vier weitere Gästezimmer, aber es war nicht schwer die Zimmer der Zwerge ausfindig zu machen. An zwei Zimmertüren hingen Zettel „Achtung, Achtung! Hier wohnen die Stallpiraten! Betreten von Fremden und Unbefugten wird mit dem Leben bezahlt!“

Fianna und Kiki konnten ein leises Kichern nicht länger unterdrücken. „Haha, das klingt so als würden wir uns gerade in akute Lebensgefahr begeben, Kiki!“, gackerte Fianna. „Wenn sie wüssten, dass wir die Regenwürmer vor ihrer Tür frei lassen, würden sie uns mit ihren Gerten erdolchen!“, grinste Kiki. Lachend gingen die beiden Freundinnen die Treppe hoch. „Achtung, legt euch nicht in eure Betten!“, rief Aylin ihnen entgegen, als sie den Raum betraten. „Sie haben uns Eier in die Betten gelegt, in jedes eins. Aylin hätte ihr Ei fast zerdrückt, aber Lotta konnte sie noch rechtzeitig warnen“, erzählte Emily. „Ich wusste doch, dass die Zwerge noch einen Streich aushecken würden“, stöhnte Kiki, „Nie haben wir Ruhe. Entweder nerven uns die Piranhas, Emilys kleine Cousine mit ihren Freundinnen oder ein paar Zicken aus unserer Schule.“ „Wir haben gerade herausgefunden, wo die Zwerge schlafen“, meldete sich Fianna zu Wort. „Sie haben sich die Stallpiraten genannt“, spöttisch zog Kiki die Augenbraunen nach oben. Die Rote Sieben fiel vor Lachen fast vornüber. „Die Stallpiraten! Das ist wirklich zum Schreien!“, prustete Lotta los.

Als sich die Mädchen wieder beruhigt hatten, schauten sie vorsichtshalber in den Betten nach, in denen die Zwillinge schlafen sollten. „Was für ne Frechheit, sie haben selbst Gästen, die noch nicht da sind, Eier in die Betten gelegt!“, entrüstete sich Emily, „Das wäre eine ziemlich fiese Überraschung für sie gewesen, wenn sie gleich am ersten Abend Eiermatsche im Bett gehabt hätten!“ 

Glücksgefühle und Schmetterlinge im Bauch

Fianna konnte den Höhepunkt des nächsten Tages kaum abwarten. Während ihre Freundinnen der Ankunft der Zwillinge entgegen fieberten, konnte sie den Ausritt mit Lukas kaum abwarten. Fianna ließ das Frühstück, die Reitstunde am Vormittag, das Mittagessen, den Strandspaziergang und das Kaffeetrinken wie im Flug vergehen. Kiki, Lotta und Emily diskutierten eifrig, wann die so lang ersehnten Zwillinge eintreffen werden. „Micky schrieb mir gestern, sie werden hier gegen halb vier eintreffen“, meinte Lotta. „Das kann nicht sein!“, Kiki schaute auf ihrem Handy nach, „Sie müssten bereits jetzt eine Stunde zu spät sein.“

Fianna beteiligte sich nicht an dem Gespräch, gerade als sie den Gemeinschaftsraum verlassen wollte, hielt Kiki sie am Pullover fest. „Wo gehst du hin?“, fragte ihre Freundin. „Ich gehe nur in unser Zimmer, um mir neue Sachen anzuziehen“, erwiderte Fianna. Kiki merkte sehr wohl, dass ihre Freundin etwas verschwieg, da sie versuchte Kikis Blick auszuweichen. „Wieso willst du dir andere Klamotten anziehen? Kannst du uns das verraten?“, Kiki durchbohrte Fianna mit ihren pechschwarzen Augen. „Hast du etwa nicht gesehen, wie rot Fianna gestern wurde, als Lukas sie angesprochen hatte“, flüsterte Lotta Kiki ins Ohr, aber Fianna bekam es trotzdem mit. Sie fühlte sich ertappt, aber ließ es ihren Freundinnen nicht anmerken. Zügig rannte sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer und holte ihre Reitsachen aus dem Schrank. Sie zog sich ihre Reithose, blauweiß karierte Kniestrümpfe und ihre Reitschuhe an. Zufrieden betrachtete sie sich im großen Spiegel neben der Tür. Nur die Haare gefielen ihr nicht, deshalb flocht sie sich zwei Zöpfe. „Jetzt sehe ich aus wie Pippi Langstrumpf!“, dachte sie und grinste fröhlich.

 „Na, da bist du endlich!“, begrüßte sie Lukas vor der Scheune. „Hallo!“, grüßte sie zurück und klang etwas schüchtern. Lukas legte ihr die Hand auf die Schulter, „Du brauchst nicht so schüchtern zu sein. Du weißt doch, ich bin ganz nett und habe noch nie ein kleines Mädchen verschlungen!“ „Das ist gut zu wissen“, lächelte Fianna. Das Schmetterlingsgefühl in ihrem Bauch war diesmal eindeutig stärker als in den letzten Tagen. Die Schmetterlinge schienen gerade einen Freudentanz aufzuführen. Wenigstens fühlte es sich für sie so an. Fiannas Blick hielt minutenlang an Lukas fest. Was hatte er nicht für ein schönes Gesicht! „Magst du mitkommen? Ich habe gerade Katla und Sigur von der Weide geholt. Sigur gehört mir und Katla ist Tessas Pferd, aber sie hat sicher nichts dagegen, dass du es reitest“, sagte er und führte sie zum Stall. Katla und Sigur standen festgebunden in der Stallgasse, eins der Pferde scharrte mit den Hufen. „Willst du mit oder ohne Sattel reiten?“, fragte Lukas. „Ich könnte es auch ohne Sattel versuchen“, meinte Fianna. „An deiner Stelle würde ich es auf jeden Fall versuchen“, sagte Lukas, „Reiten ohne Sattel ist etwas ganz Besonderes. Du spürst du Bewegung der Pferde viel besser.“ Fianna war entschlossen ohne Sattel zu reiten. Sie wollte ihrem Schwarm unbedingt zeigen, was in ihr steckte.

„Hallo Katla!“, flüsterte sie und steckte der rotbraunen Stute ihre Hand mit einem Apfel hin. Sie spürte Katlas weiches Pferdemaul auf ihrer Hand und bald darauf kaute die Stute den Apfel. Fianna spürte, dass sie Katja vertrauen konnte und offenbar vertraute das Pferd auch ihr. „Siehst du, so macht man sich Freunde fürs Leben!“, zwinkerte Lukas ihr zu und begann Sigur zu striegeln. Nachdem sie ihre Pferde geputzt und ihnen die Hufe ausgekratzt hatten, ritten sie langsam vom Hof. Die Hufen klapperten gleichmäßig auf dem Asphalt. „Jetzt reiten wir rechts um die Koppel“, sagte Lukas und zeigte die Richtung an. Bald ritten sie einen Feldweg und hatten sie viel weicheren Untergrund unter sich. Sie wurden nicht mehr so stark hin und her geschaukelt. Langsam ging hinter den Bäumen die Sonne unter und der Himmel verfärbte sich blutorange. „Es sieht so aus, als würde der Himmel brennen“, fand Fianna und stützte sich gemütlich auf Katlas Hals. „Das könnte man meinen, außerdem ist Rot die Farbe der Romantik und der Liebe“, erwiderte er. Ohne viel zu reden, ritten sie weiter, bis sie zu einem plätschernden Bach mit einem kleinen Holzsteg kamen. „Ist das der Rykjabach, von dem du mir gestern erzählt hast?“, fragte sie. „Ja, das ist er“, nickte Lukas, „Wollen wir am Wikingerdorf eine kurze Pause machen?“ „Was ist denn das Wikingerdorf?“, fragte sie. „Das ist unser Lagerfeuerplatz. Letztes Jahr haben mein Vater, mein Onkel, ein guter Freund von mir und ich sogar eine kleine Wikingerhütte aus Holz gebaut, damit wir auch bei Regenwetter ein Lagerfeuer machen können“, erzählte er. „Wir werden hier in den nächsten Tagen grillen, das gehört zum Ferienprogramm.“

 Fianna und Lukas banden ihre Pferde an und gingen unter einem hölzernen Torbogen hindurch, auf dem in weißer Farbe „Wikingerdorf“ geschrieben war. Gemütlich setzten sie sich auf einen Baustamm vor der Feuerstelle und erzählten sich Geschichten aus ihrem Leben. So erfuhr Fianna, dass Lukas Vater in der Aufsichtszentrale eines großen Unternehmens in Hamburg arbeitet und wegen der Entfernung nur am Wochenende nach Hause kam. Sie erzählte ihm von ihrer Bande. „Wie lange gibt es eure Bande schon?“, fragte er interessiert. „Wir haben sie vor anderthalb Jahren auf einer Klassenfahrt gegründet“, sagte sie stolz. . „Das ist für eine Bande relativ alt, die meisten Banden halten nicht lange“, stellte Lukas fest. „Ich finde, seitdem wir die Rote Sieben gegründet haben, ist schon einige Zeit vergangen und es hat sich viel geändert“, widersprach sie ihm. „Wir haben über ein Jahr lang einen Bandenkrieg gegen die Piranhas, eine verfeindete Jungenbande von uns, geführt. Aber seit einem Vierteljahr herrscht Waffenstillstand und mittlerweile sind wir beinahe schon zu Freunden geworden, obwohl wir uns manchmal immer noch necken.“

„Seid ihr eigentlich nicht zu siebt?“, wollte Lukas wissen. „Aber momentan sehe ich nur fünf von euch. Wo sind die anderen beiden?“ „Die Zwillinge kommen erst heute“, erzählte Fianna. „Sie heißen Annemieke und Mathilda. Du wirst sie auch gleich kennenlernen, sie sind meist sehr fröhlich und unternehmungslustig. Wie sehr habe ich ihre lustige Art und ihre Späßchen zwischendurch vermisst“ „Ich bin schon mal sehr gespannt, wie sie sein werden“, sagte er. Lukas hatte eine Thermoskanne Tee mitgenommen, genau das Richtige für Fiannas rauen Hals. „Schau mal, da sind zwei Rehe“, flüsterte sie. Die Rehe kamen erstaunlich nah ran, nur der Bach trennte sie von ihnen. „Die Rehe hier sind beinahe schon zahm. Sie wissen, dass weder mein Opa noch mein Vater einen Jagdschein besitzen“, meinte er. Je später es wurde, desto nebeliger wurde es und das Tageslicht wich der Dunkelheit. Der Reiterhof, in vierhundert Metern Entfernung war kaum noch zu erkennen. Bald wurde es Zeit zurückzukehren, denn um halb sieben gab es für die Ferienkinder Abendbrot. Fianna war etwas enttäuscht, als sie von Katla absteigen musste. Lukas half ihr dabei und fing sie auf. „Du kannst gleich nach dem Abendbrot nach draußen kommen. Ich muss sowieso noch nach den Ziegen und nach den Hühnern gucken, meinte er.

 „Wo um Himmels willen bist du gewesen?“, zischte Kiki, als Fianna etwas zu spät den Gemeinschaftsraum betrat, „Wir haben dich wie verrückt gesucht und waren sogar bei Henriette im Büro.“ Fianna zögerte kurz, aber dann beschloss sie ihren Freundinnen die Wahrheit zu erzählen. „Aha, du bist mit Lukas ausgeritten und hast uns kein Wort davon erzählt. Wie nett von dir!“, Lottas Stimme klang beinnahe schneidend. Fianna schwieg und fragte, wo die Zwillinge geblieben waren. „Sie sind immer noch nicht da“, seufzte Emily, „aber vorhin, kurz nachdem du weg warst, haben sie mir eine SMS geschickt, dass sie seit Stunden im Stau stecken.“ „Na toll, dann können wir bis Ostern warten, bis sie endlich hier sind!“ Kiki verdrehte genervt die Augen. „Was haltet ihr davon, wenn wir draußen auf dem Hof auf sie warten?“, schlug Aylin vor, die den Freundinnen zuvor kauend zugehört hatte. „Ich glaube mir ist zu kalt“, meinte Lotta. „Du kannst dich doch wärmer anziehen und zudem kannst du ihre Ankunft filmen“, argumentierte Emily und hatte ihre Freundin sofort überzeugt.

Direkt nach dem Essen zogen sich ihre wärmsten Mäntel an und gingen hinaus auf den Hof. Lukas kam ihnen entgegen. „Was macht ihr im Dunkeln auf dem Hof?“, fragte er und sah die Mädchen ungläubig an. „Wir warten auf zwei Freundinnen von uns“, erzählte Kiki und leuchtete ihm mit ihrer Taschenlampe ins Gesicht. „Oh man, du blendest mich!“, schnell guckte er in eine andere Richtung und ging weiter. Fianna überlegte kurz, ob sie hinter ihm hergehen sollte. Schließlich hatte er sie vorhin gefragt, ob sie Lust hätte, mit ihm zu den Ziegen und Hühnern zu gehen. „Gehst du jetzt deinem Schwarm hinterher oder nicht?“, fragte Lotta spitz. „Ausnahmsweise gehe ich ihm nicht hinterher, du alte Gans!“, zischte Fianna wütend. Seit dem Abendbrot ließ Lotta die Spitze gegen sie raushängen. War Lotta auch in Lukas verliebt? Aber nein, das konnte nicht sein. Sie war doch schon mit Max zusammen. „Lotta, musst du immer so schnippische Kommentare machen?“, ging Kiki dazwischen und verhinderte eine größere Auseinandersetzung. Ein Auto näherte sich dem Hof und fuhr unter dem großen Torbogen hindurch. „Ich wette das sind sie!“, Kiki hüpfte vor Aufregung auf und ab.

Endlich wieder komplett!

Das Auto hielt mit quietschenden Reifen und zwei Türen gingen auf. In der Dunkelheit erkannten die Bandenfreundinnen nur zwei Umrisse von zwei etwa gleichgroßen Mädchen mit wilden Locken. „Micky! Matti!“, riefen Kiki, Aylin und Emily laut. „Seid ihr das?“, hörten sie Mathildas Stimme näher kommen. Die Freundinnen rannten jubelnd aufeinander zu. Mathilda und Kiki hielten sich so lange fest, als hätten sie sich zehn Jahre nicht mehr gesehen. Annemieke fand sich in einer Umarmung zwischen Emily, Fianna und Aylin wieder. Lotta stand ein wenig abseits und filmte die Begrüßung.

„Zwei Tage nach unsere Ankunft sind endlich unsere letzten Bandenmitglieder an Land gekommen und nach langem Warten sind wir endlich wieder komplett“, sprach Lotta in die Kamera und drückte sie Aylin in die Hand, damit sie die Zwillinge umarmen konnte. Die Eltern der Zwillinge kamen hinterher. „Wo geht es hier ins Haus?“, fragte Herr ter Steegen. „Kommen Sie ruhig mit rein“, sagte Lotta freundlich, „Wir zeigen ihnen den Weg zu Henriettes Büro“ Zu neunt gingen sie durch die geräumige Diele. Henriettes Büro lag ganz am Ende des Flures. Leise klopften sie an. „Guten Abend! Schön, dass ihr den Weg zu uns doch noch gefunden habt“, Henriette gab den Zwillingen und ihren Eltern die Hand. „Sorry, dass wir zu spät sind, wir standen in einem kilometerlangen Stau und haben uns auf den letzten Kilometern dutzend Male verfahren“, entschuldigte sich die Mutter der Zwillinge. „Das ist kein Problem“, winkte Henriette ab. Sie klärte noch einige Dinge mit den Eltern. „Wir müssen gleich wieder los, sonst kommen wir nicht mehr rechtzeitig zum Hotel“, meinte Frau ter Steegen. Die Zwillinge umarmten ihre Eltern zum Abschied und ließen sich von ihren Freundinnen das Haus zeigen.  

 „Ich will unbedingt die Pferde sehen, egal ob es zu spät ist oder nicht“, rief Mathilda ungeduldig. Nur Lotta und Fianna wollten mit den Zwillingen zum Weidezaun gehen, der Rest ihrer Bande war müde und wollte sich ins Bett legen. Zu viert tapsten sie im Dunkeln über den Hof, keiner von ihnen hatte eine Taschenlampe dabei. Am Weidezaun angekommen, schnalzte Lotta mit ihrer Zunge und drei Pferde kamen. Der Mond brach durch die Wolken und spendete ein wenig Licht. „Kennt ihr die Pferde?“, fragte Annemieke neugierig und tätschelte ein Pferd, dessen Fell im Mondschein silbrig glänzte. „Fianna, seid ihr mit den neuen Gästen hier?“, rief eine Mädchenstimme. „Wer war das?“, Annemieke, die die Stimme nicht kannte, klang ein wenig verängstigt. „Tessa, wir sind am Weidezaun“, antwortete Fianna. „Hallo, seid ihr die Zwillinge?“, fragte Tessa und stand vor zwei Mädchen, die ein Stückchen größer waren als sie. Sie hatten beide helle halblange Locken, soviel konnte Tessa im fahlen Licht erkennen. „Ja, das sind wir“, nickten die Zwillinge. Tessa schüttelte zur Begrüßung ihre Hände und stellte sich vor. „Ich glaube den Hof werdet ihr morgen genauer kennen lernen, eure Freundinnen werden euch bestimmt alles zeigen“, meinte Tessa und fügte hinzu, „Mama hat darum gebeten, dass ihr rein kommt. Gleich ist Bettruhe“ „Moment mal, wie heißen die Pferde, die hier am Gatter stehen?“, wollte Annemieke wissen. „Das sind Katla, Fafnir und Arnaldur“, erwiderte Tessa und drängte die Mädchen ins Haus zu gehen.

Annemieke und Mathilda waren begeistert, als sie ihr Zimmer zum ersten Mal sahen. „Das ist hier aber gemütlich schwärmte Annemieke und warf sich auf das freie Bett links von Fiannas. „Ich werde jetzt schlafen gehen, die Reise war doch ziemlich anstrengend“, gähnte sie. Ihre Schwester war bereits zum Duschen die Treppe zum ersten Stock hinunter gegangen. Fianna und Aylin beschlossen ebenfalls duschen zu gehen und schnappten sich ihre Bademäntel und ihr Duschgel. Bereits auf dem Flur hörten sie lautes Geschimpfe aus dem Duschraum. Es war eindeutig Mathilda. „Was hat sie bloß?“, fragte Aylin erschrocken. „Diese Idioten! Ich drehe ihnen die Hälse um und hänge sie am Materpfahl auf, wenn ich sie kriege“, fluchte ihre Freundin in den höchsten Tönen.

Fianna öffnete die Tür zu den Duschen, Mathilda saß mit schmerzverzehrtem Gesicht in ihrem Bademantel auf dem Boden und rieb sich ihr Knie. „Was ist um Himmels willen passiert?“, schnappte Fianna erschrocken nach Luft. „Ich bin ausgerutscht, weil irgendwelche Honks den Boden mit Duschgel eingeschmiert haben“, schimpfte ihre Freundin. „Hast du dir richtig wehgetan?“, Aylin kniete sich besorgt neben ihr hin. „Nein, es geht schon, obwohl ich mir mein Knie aufgeschrammt habe“, Mathilda biss sich auf die Unterlippe und zog sich am Handtuchhalter wieder hoch. „Aaahh!“, quietschte Fianna und verlor fast selber das Gleichgewicht auf dem glitschigen Boden. Sie konnte sich gerade noch an der Tür festhalten. „Das waren bestimmt wieder die kleinen Zwerge!“, vermutete Aylin und hob eine leere Packung Shampoo mit Erdbeerduft auf. „Ich hätte mein Shampoo für so einen dämlichen Kinderstreich nicht hergegeben“, schüttelte Fianna den Kopf. In dieser Nacht konnte Fianna besonders gut schlafen, sie lag zwischen den Zwillingen, die bereits schliefen, bevor Kiki das Licht ausmachte.

 Pünktlich um neun Uhr traf die Rote Sieben zum Frühstück im Gemeinschaftsraum ein. Die Stallpiraten bemerkten schnell, dass am Nebentisch zwei neue Mädchen saßen, die fast gleich aussahen. „Ricky, schau mal, sind das etwa Zwillinge?“, fragte Svenja, Rickys beste Freundin, aufgeregt und zeigte auf die beiden Lockenköpfe, die sich lebhaft mit ihren Freundinnen unterhielten. „Natürlich habe ich es schon gemerkt, Svenni!“, zischte Ricky, „Hör auf damit, die ganze Zeit auf sie zu zeigen! Sie gucken uns schon ziemlich blöd an.“ „Wie es scheint, sind sie nun in Überzahl“, bemerkte Bob, Tessas kleiner Bruder. „Sollen wir uns deshalb in die Hose machen?“, fragte Ricky spöttisch, „Wir werden ihnen zeigen, wer hier das Sagen hat.“ „Ich wette mal, dass sie keine echte Bande sind, sie sind garantiert zu alt für sowas“, vermutete Maxi, Rickys Zwillingsbruder. Ricky und Maxi ließen ihre Brötchen liegen und gingen zum Nachbartisch.

„Was wollt ihr, ihr kleinen Zwergnasen?“, Kiki senkte ihre Stimme bedrohlich. „Wir wollen wissen, ob ihr überhaupt eine richtige Bande seid? Wir hätten euch für einen Haufen chaotischer Quasseltanten gehalten“, sagte Ricky und konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken. Kikis Miene verdüsterte sich, aber sie wollte sich von der Anführerin der Zwergnasen nicht provozieren lassen. „Passt mal auf, ihr Sattelfurzer!“, rief Fianna und zeigte auf ihr Freundschaftsarmband, „Das ist der Beweis, dass wir wie Pech und Schwefel zusammenkleben, während ihr nur ein alberner Haufen zurückgebliebener Plagen seid!“ Alle Bandenmädchen zeigten stolz ihr Bandenabzeichen, welches sie um ihre Handgelenke trugen. Ricky war neidisch auf die älteren Mädchen, aber sie versuchte es nicht offen zu zeigen. Ihr Blick blieb bei den Zwillingen haften, sie und ihr Bruder waren auch Zwillinge, aber diese Mädchen glichen sich wie ein Ei dem anderen. Beide hatten kinnlange hellblonde Locken, identische Gesichtszüge, blaugraue Augen und unzählige Sommersprossen im Gesicht. Ricky und Maxi sahen sich auch ähnlich, aber niemand hatte Probleme sie voneinander zu unterscheiden. „Na, seid ihr auch Zwillinge?“, fragte Maxi, die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Was für eine dumme Frage! Das sieht sogar ein Blinder mit dem Krückstock“, erwiderte Mathilda nassforsch und widmete sich wieder ihrem Müsli.

„Übrigens, Maxi und ich sind auch Zwillinge“, sagte Ricky stolz und legte den Arm um ihren Zwilling. „Aha! Das freut mich für euch!“, Annemieke zog genervt ihre Augenbrauen hoch. Ricky zerriss eine Servierte, die sie in der Hand hielt und formte daraus kleine Kügelchen. Heimlich schnippte sie die Kügelchen in Richtung der Zwillinge, die in ihren Locken perfekt hängen blieben. „Lasst diesen Quatsch!“, fuhr Mathilda das freche Zwillingspaar an und schüttelte die Kügelchen aus ihren Haaren. Fianna zupfte Annemieke die Kügelchen aus den Haaren, die gerade genüsslich einen Erdbeerjoghurt löffelte. Tessa tauchte als rettender Engel im Gemeinschaftsraum auf und wies Ricky und Maxi auf ihre Plätze zurück. „Hilfe noch mal! Sie haben es auf Micky und Matti abgesehen!“, stöhnte Lotta, „Bestimmt können diese beide Plagen es nicht verknusen, dass es noch ein zweites Zwillingspaar gibt.“

 Vormittags war ein Ausritt an den Strand angesetzt, doch diesmal sollte in drei Gruppen geritten werden. Henriettes Gruppe bestand aus Dora, Melanie, Fianna, Aylin und Svenja. Fianna war etwas enttäuscht, dass sie nicht bei Lukas Gruppe mitreiten durfte. Sie warf den Zwillingen und Kiki einen neidischen Blick zu, als sie mit Lukas auf die Koppel gingen. „Sei doch froh, dass wir nicht mit Ricarda und Maximilian in einer Gruppe sind“, raunte Aylin und hakte sich auf dem Weg in den Stall bei ihr ein. Fianna bekam Arnaldur zugeteilt, während Aylin wieder Fafnir reiten durfte. „Guter alter Fafnir!“, Aylin tätschelte sanft den dunkelbraunen Hals des Wallachs, sie war froh ihn reiten zu dürfen. Fafnir eignete sich gut für Reitanfänger, da er ein ruhiges Gemüt hatte und extrem geduldig war. „Dora, brauchst du Hilfe?“, fragte Svenja. Dora nickte, sie bekam alleine den Sattel nicht auf Lagsis Rücken gehievt. „Wie nett Svenja ohne ihre Freunde doch sein kann“, flüsterte Aylin Fianna ins Ohr. „Das stimmt!“, erwiderte sie und kratzte Arnaldur die Hufen aus.

Wenig später versammelte sich die Gruppe auf dem Hof und Henriette gab das Startzeichen zum Aufbruch. Fianna musste Arnaldur ständig treiben, damit er nicht am Straßenrand stehen blieb und Gras zupfte. „Los, Fianna, sei ein weniger energischer mit ihm!“, rief Henriette, „Lass ihm nicht alles durchgehen!“ Mit der Gerte versetzte sie ihm einen Klaps und Arnaldur beschleunigte seine Schritte wieder. Hinter den Koppeln bogen sie in einen Waldweg ein, der zum Strand führte. Fianna genoss es wieder einen weicheren Untergrund unter sich zu haben, denn auf der Straße wurde sie ziemlich heftig durchgeschaukelt. „Dahinten ist das Meer! Könnt ihr es schon sehen?“, rief Melanie aufgeregt. Zwischen den Bäumen sah Fianna ein Glitzern und Glänzen, es war zweifelsfrei die Ostsee. Gerade als sie auf einem schmalen Pfad zum Strand ritten, schob die Sonne die Wolken zur Seite und ließ die Ostsee noch mehr funkeln. „Henriette, dürfen wir hier galoppieren?“, fragte Svenja. „Warte, gleich kommt eine Stelle, an der ihr ausgezeichnet galoppieren könnt“, meinte sie. Fianna schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich nur auf das Kreischen der Möwen und das Meeresrauschen.

„Fianna, wo bist du eigentlich mit deinen Gedanken?“, rief Aylin, die einige Meter vor ihr im flachen Wasser ritt. Erschrocken fuhr sie herum und trieb den trägen Arnaldur ins Wasser. Die anderen Reiter ließen ihre Pferde angaloppieren, sogar Aylin traute sich zum ersten Mal im Galopp durch das Flachwasser zu jagen. Arnaldur brauchte mehrere Hiebe mit der Gerte, bevor er in einen müden und langsamen Galopp verfiel. Einige Tropfen des Salzwassers spritzen ihr ins Gesicht und die steife Briese pustete ihre Haare nach hinten. Dennoch fand es Fianna viel angenehmer, als sich von Moala fast abwerfen zu lassen. Heute ritt Melanie Moala, sie war so weit vorweg galoppiert, dass Fianna sie nicht mehr sehen konnte. Henriette stieß einen lauten Pfiff aus und die Reiterinnen warteten auf die Nachzügler. Auf der Höhe der Seebrücke kam ihnen Tessas Reitgruppe entgegen. „Huhu!“, rief Lotta und richtete ihre Videocam auf sie. Fianna ging der Kameratick ihrer Freundin langsam auf die Nerven. Egal wo Lotta war, ihre Cam war ihr ständiger Begleiter. Henriette bemerkte sehr wohl, dass Lotta filmte und wies sie nach dem Ausritt zurecht, dass das beim Reiten zu gefährlich sei.

 Nach dem Ausritt saß die Rote Sieben auf dem Gatter. Die Mädchen erzählten sich aufgeregt, was sie gerade auf dem ersten Strandausritt erlebt hatten. „Mathilda hat sich ein Wettrennen mit Ricky und Maxi geliefert, dabei wäre sie fast in die Ostsee gestürzt, weil Kraki einmal fast sein Gleichgewicht verloren hat“, erzählte Annemieke. „Ich musste dem Grünzeug schließlich zeigen, wer hier Chef im Ring ist“, rechtfertigte sich Mathilda. „Warum musst du dich sofort provozieren lassen und jeden Mist mitmachen?!“, schimpfte ihre Schwester, die meist die Vernünftigere von den Zwillingen war. „Ihr hättet froh sein können, dass ihr nicht in unserer Gruppe gewesen seid!“, meinte Kiki, „Ricarda, Bob, Max und Miriam hatten dauernd einen Grund gehabt sich über uns lustig zu machen, unsere Zwillinge hat es am schlimmsten getroffen“ „Oh ja, das stimmt. Sie sehen uns höchstwahrscheinlich als Konkurrenz und wollen austesten, welches Zwillingspaar Herr im Ring ist“, meinte Mathilda. „Ich habe keine Lust mehr auf irgendwelchen Kindereien und albernen Machtspielchen“, mischte sich Annemieke ein. „Wir hatten in der Schule genug Ärger mit den Piranhas und irgendwelchen Zicken. Dazu kommt, dass Emilys kleine Cousine uns ständig nervt, wenn wir Reitstunde haben. Jetzt bin ich langsam müde dauernd Bandengefechte auszutragen und mich über Idioten zu ärgern.“

„Micky hat eindeutig Recht!“, fand Aylin, „Ich möchte hier auch ein paar ruhige Tage verbringen, anstatt einen neuen Bandenkrieg zu beginnen. Es bringt uns überhaupt nichts, wenn wir uns die Ferien vermiesen, nur weil wir uns die ganze Zeit grün und blau ärgern“ Die Bandenfreundinnen waren sich einig, sie wollten die Zwerge so lange ignorieren, bis diese den Spaß am Ärgern verloren.

Beim Mittagessen stellten sie ihre Ohren auf Durchzug, als Ricky immer wieder stichelte und den Bandenmädchen die Zunge raus streckte. Erst als ein zusammengefalteter Zettel den Mädchen in die Nudelschüssel flog, baute sich Kiki vor den Zwergen am Nachbartisch auf. „Könnt ihr eure dämlichen Streiche nicht lassen? Als ob wir Angst vor eurer Drohung hätten! Wir lachen uns eher kaputt darüber. Haha, die Stallpiraten, das klingt echt gefährlich, sogar lebensbedrohlich! Ich versuche mir vorzustellen, wie ihr versucht uns mit der Mistgabel aufs Korn zu nehmen“, Kikis Stimme triefte vor Spott. Danach setzte sie sich wieder an ihren Tisch und aß weiter, bevor die Spagetti kalt wurden.

 Nach dem Mittagessen suchte Fianna Lukas auf dem ganzen Hof, aber er war nirgendwo auffindbar. Enttäuscht schlich sie wieder ins Haus, in der Diele kam ihr Tessa entgegen. „Weißt du wo Lukas ist?“, fragte sie Tessa. „Er ist gerade los zum Fußballtraining und kommt heute erst sehr spät wieder, weil er mit ein paar Kumpels noch einen Trinken will“, antwortete sie.

Fianna sah enttäuscht aus, als sie den Gemeinschaftsraum betrat. „Hey Carrot, was ist los mit dir?“, fragte Annemieke besorgt, „Du siehst total niedergeschlagen aus“ „Ich habe mindestens eine Dreiviertelstunde nach Lukas gesucht und gerade hat mir seine Schwester gesagt, dass er beim Fußball ist“, erzählte Fianna. „Ihr wisst bestimmt schon, dass sie sich Hals über Kopf in Lukas verschossen hat“, rief Lotta so laut, dass es der ganze Gemeinschaftsraum mitbekam.

Fianna warf Lotta einen vernichtenden Blick zu. Wie konnte diese blöde Kuh in aller Welt bekannt machen, dass sie sich ausgerechnet in ihn verliebt hatte. Manchmal war Lotta wirklich eine Klatschtante, besonders wo sie ständig ihre Kamera dabei hatte und die Moderatorin mimte. „Willst du dich mit mir an den Kamin setzen und einen heißen Kakao trinken?“, fragte Annemieke und legte Fianna den Arm um die Schulter. Die feinfühlige Annemieke merkte meistens, wenn ihre Freundinnen Kummer hatten. Da es ein kalter Oktobertag war, brannte in der hintersten Ecke im Gemeinschaftsraum ein Feuer im Kamin. Aylin, Fianna und Annemieke schoben ein braunes Ledersofa zum Kamin und schlürften gemütlich warmen Kakao, den Ira für die Ferienkinder gekocht hatte.

Eine herbe Enttäuschung für Fianna

Abends luden die Bandenmädchen Tessa in ihr Zimmer ein. Annemieke und Aylin zündeten Kerzen auf den Fensterbänken an, hängten ein rotes Seidentuch vor den Schrank, knipsten Aylins Lavalampe an und machten das Licht aus. So sah es richtig behaglich im Zimmer aus und zudem prasselte der Regen auf das Dach. Pünktlich um Neun klopfte Tessa mit einem Tablett in der Hand an der Tür. Anstatt einer Reithose und einer dunkelblauen Weste, trug sie eine Jogginghose und ein rotweiß gestreiftes Top. Sie setzte sich zu den Freundinnen, die sich es in den Betten in der Mitte des Raumes bequem gemacht hatten. Lotta hatte wieder nichts Besseres zu tun, als mit ihrer Cam ein neues Video aufzunehmen. Die Zwillinge zogen synchron witzige Grimmassen und führten einen Clownstanz vor dem Schrank auf, ihre Gestalten warfen riesige schwarze Schatten an die Wand. „Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt so gelacht habe“, gluckste Lotta und erstickte beinahe an ihrem Lachen.

Das Pantomimenspiel trug merkbar an der Aufheiterung bei. Selbst die meist ernsthafte Tessa bog sich vor Lachen und wischte sich immer wieder die Lachtränen weg. „Ich glaube, ich breche gleich zusammen, wenn ihr so weitermacht, Zwillinge!“, japste sie nach Luft. „Ne Extraportion kannst du immer bekommen“, grinste Mathilda und ließ sich zwischen Tessa und Fianna auf ihr Bett fallen. Lotta holte ein Kartenspiel aus ihrer Tasche bevor Langweile aufkommen konnte. Nach dem Emily zweimal hintereinander verloren hatte, hatte sie keine Lust mehr auf Karten. Stattdessen tranken die Freundinnen Tessas Hibiskustee und verputzten zwei Packungen Schokoladenkekse.

 Tessa erzählte den Bandenmädchen, dass sie am Mittwoch Geburtstag hat und eine große Fete auf dem Dachboden geben will. „Cool, wie viele Leute lädst du ein?“, fragte Mathilda mit leuchtenden Augen. „Ich werde meine beste Freundin Judith einladen, dann noch drei Freundinnen aus meiner Klasse und Robin, Lars und Ben aus der Nachbarschaft“, zählte Tessa auf, „Übrigens, ihr seid auch herzlich eingeladen“ „Das ist ja klasse!“, rief Lotta, „Was wünscht du dir?“ „Wenn ich ehrlich sagen soll, weiß ich es nicht“, erwiderte Tessa verlegen. „Macht nichts, wir finden schon eine Kleinigkeit für dich“, meinte Kiki. „Was ist mit den kleinen Nervensägen? Kommen sie auch zu deiner Party?“, fragte Annemieke. Anhand ihrer Stimme war heraus zu hören, dass sie diese Frage nicht ernst meinte. „Ich fürchte, meine Mutter möchte, dass ich Miriam und Julian auch einlade. Sie sind ja meine Cousins und dann darf Bob auch nicht fehlen, er ist schließlich mein Bruder. Wenn sie da sind, sind die anderen Zwerge auch da. Ob Lukas dabei sein wird, weiß ich noch nicht“, antwortete Tessa ernst. Der gemeinsame Mädelsabend ließ Lukas kurz aus Fiannas Gedächtnis verschwinden, stattdessen lachte sie über die Späße der Zwillinge und unterhielt sich mit Tessa über das Reiten. Um kurz nach elf gähnte sie bei jedem zweiten Wort und schmiegte sich eng an ihre Freundinnen, die neben ihr saßen. Sie nahm ihre Stimmen nur noch wie durch Watte wahr. „Ich glaube Fianna ist gerade eingeschlafen“, bemerkte Tessa, „Ich sollte lieber selbst gehen, morgen muss ich mit Mama früh raus.“                            

 Mitten in der Nacht wachte Fianna plötzlich auf. Sie hörte den Regen auf das Dach prasseln und den Wind um den Schornstein pfeifen. Wovon sie wach wurde, war ihr zunächst nicht klar. Sie wusste nur noch, dass Lukas in ihrem Traum vorkam, aber was genau geträumt hatte, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern. Nun machte sich Lukas, der zwei Jahre ältere Bruder von Tessa, wieder in ihren Gedanken breit. Sie sah in ihrem inneren Auge sein hübsches Gesicht und seinen athletischen Körper vor ihr. Das Herzklopfen kam erneut und in diesem Moment ganz besonders heftig. „Wann kann ich eine Sekunde lang leben, ohne an ihn zu denken“, dachte sie. Um ein wenig zur Besinnung zu kommen, schlich sie zum Fenster und öffnete es. Sofort blies ihr der Sturm nasskalte Herbstluft und schwere Regentropfen ins Gesicht. Draußen in der Finsternis tanzten die Bäume im Wind und ganz weit in der Ferne blinkte entweder ein Windrad oder ein Leuchtturm. Von der Weide drang ein leises Wiehern. Wie mochte es den Pferden wohl bei diesem Wetter gehen, wenn es dunkel war und es heftig stürmte. Anscheinend machte es ihnen nicht viel aus, Isländer hatten ein dickes Fell und konnten sogar im Winter draußen bleiben, dies hatte ihnen Tessa gleich am ersten Tag erzählt. Schnell schloss sie das Fenster, zog die Vorhänge zu und tapste fröstelnd wieder zu ihrem Bett zurück. Die Zwillinge, die neben ihr lagen, atmeten friedlich. Nur Kiki in ihrem Hochbett wälzte sich ständig und warf im Schlaf ihr Lieblingskuscheltier herunter. Fianna versuchte mit den Zehen zu wackeln und Schafe zu zählen, aber sie lag wenig später trotzdem hellwach in ihre Bettdecke gekuschelt.

 Am nächsten Morgen regnete es genauso heftig wie in der Nacht, Henriette ließ das Reiten am Vormittag komplett ausfallen. Stattdessen bereitete Tessas Tante Hildegard spontan eine Hausrallye mit mehreren Fragen und Aufgaben vor. Im Haus, in der Scheune, in der Sattelkammer und im Schulungsraum gab es mehrere Stationen. Henriette teilte die Kinder in dreier Teams ein, Fianna bildete ein Team mit Julian und Andrea. Emily hatte besonders großes Pech, da sie mit Miriam und Ricarda in einer Gruppe war. Kein Bandenmitglied hatte keine große Lust auf die Rallye, besonders Fianna stand die meiste Zeit neben sich und bekam keinen vernünftigen Gedanken zusammen. Lukas hier und Lukas da! Sie hatte keine Chance ihn für eine Sekunde aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Obwohl er sehr freundlich zu ihr war, hatte sie das Gefühl, dass er ihre Liebe nicht richtig erwiderte. Gestern ließ er sich nicht einmal bei ihr blicken oder fragte nach ihr.

Beim Zielwerfen flog eine ihrer Kastanie sogar an die Fensterscheibe anstatt in den Korb. Julian stand kopfschüttelnd daneben. „Konzentrier dich vernünftig, sonst machen wir noch den letzten Platz!“, rief er. „Mir ist es wirklich egal welchen Platz wir machen“, Fianna stampfte gereizt auf. „Deinetwegen sind wir auf dem drittletzten Platz“, schimpfte Julian. „Mir doch egal!“, Fianna verschränkte ihre Arme vor der Brust. Andrea holte beim nächsten Spiel in der Sattelkammer die maximale Punktzahl. „Wenigstens eine, die die Rallye ernst nimmt“, bemerkte Julian anerkennend. Als die Gruppe wieder zum Haupthaus ging, regnete es immer noch in Strömen. Am Boden bildeten sich kleine Rinnsale, in denen goldbraune Blätter in Richtung Gully schwammen. Die Kinder sprinteten im Höchsttempo über den Hof, aber dennoch wurden sie klatschnass. Drinnen wartete Tessa im Gemeinschaftsraum mit einem Pferdequiz auf sie, dort konnte Fianna besonders gut punkten. Am Ende stand Emilys Team mit Miriam und Ricarda als Sieger fest. Sie bekamen von Henriette eine große Tüte Gummibärchen als Preis. „Wartet, ich habe noch einen Preis für euch, aber diesmal für jedes Ferienkind“, rief Henriette die Kinder auf ihre Plätze zurück und ließ einen roten Samtbeutel herum gehen. Mit leuchtenden Augen hielt jedes Kind ein kleines silbernes Hufeisen in der Hand. „Man darf es nur nicht falsch aufhängen, sonst bringt es Unglück!“, schmunzelte Emily und rieb ihr Hufeisen über ihren Pullover.

 „Weißt du, wo Lukas ist?“, fragte Fianna Tessa nach dem Mittagessen. „Ich habe ihn vorhin draußen gesehen, da hat er sich im Stall um ein krankes Pferd gekümmert“, sagte Tessa und fügte beim Gehen hinzu, „Aber ich weiß nicht, wo er jetzt ist.“ Inzwischen war der Regen schwächer geworden, sodass Fianna nicht mehr nass geregnet wurde, als sie zum Stall ging. „Lukas!“, rief sie leise und öffnete die knarrende Stalltür. Nur ein krankes Pferd, welches alleine in der Box stand, schnaubte antwortend. „Soll ich auf den Heuboden klettern“, überlegte sie. Auf dem Heuboden raschelten nur zwei Mäuse herum, aber von ihrem Schwarm war keine Spur. Selbst im Hühnerstall war Fehlanzeige. Nun reichte es Fianna, enttäuscht und traurig schlich sie wieder zurück zum Haus.

Kurz hinter dem Ziegenstall entdeckte sie ihn, aber offensichtlich war er nicht alleine dort. Ein Mädchen mit langen honigblonden Haaren, welches ein Stück kleiner war als er, stand neben ihm. Fiannas Herz begann immer schneller zu schlagen. Sie ging noch ein Stückchen näher heran, um das Mädchen besser erkennen zu können. Das Mädchen trug eine dunkelblaue Röhrenjeans, karierte Chucks, ein neonfarbenes Halstuch und schwarze eng geschnittene Jacke. Sie war bestimmt ein oder zwei Jahre älter als Fianna. Lukas umschlang ihren zierlichen Körper und dann küssten sie sich beinahe endlos lange. Fianna drohte ohnmächtig zu werden und hielt sich an der Regenrinne fest. „Lukas hat eine Freundin, Lukas hat eine Freundin, Lukas hat eine Freundin!“, jagte ihr durch den Kopf. Unglaublich, aber leider wahr! Als sie ihre Sinne wieder beisammen hatte, sprintete sie wieder zum Haus zurück. Tränen brannten in ihren Augen, als sie über die Diele spurtete und auf die breite Holztreppe zusteuerte. Sie versuchte ihre Tränen zurück zu beißen, niemand durfte sie weinen sehen, ganz besonders die Zwergnasen nicht. Zum Glück hatte sie den Zimmerschlüssel, den Kiki ihr vorhin ausgehändigt hatte. In ihrem Zimmer angekommen, schloss sie die Tür hinter sich ab und warf sich auf ihr Bett. Endlich konnte sie ihre Emotionen ungestört herauslassen. Leise schluchzend lag sie mit ihrem Gesicht auf ihrem Kissen und rührte sich nicht. Wie konnte ihr Lukas so viele Hoffnungen machen, obwohl er schon eine Freundin hatte?!

Fianna fühlte sich betrogen und musste noch mehr weinen. Es war ihre erste richtige Liebe, aber gleichzeitig auch ihr größter Herzschmerz. Hätte sie gewusst, dass er bereits vergeben war, wäre sie nie im Leben mit ihm ausgeritten. Es klopfte an der Tür, aber Fianna bekam es nicht richtig mit. Wieder klopfte es, aber ihr war es egal. „Hey, mach endlich die Tür auf!“, hörte sie eine gedämpfte Stimme rufen. Fianna richtete sich schniefend auf und wischte sich über ihr tränennasses Gesicht. „Bitte mach die Tür auf, ich muss mir dringend eine andere Hose anziehen!“, rief eine ihrer Freundinnen vor der Tür. Endlich stand Fianna auf und steckte den Schlüssel in das Schloss. Die Tür öffnete sich und Annemieke stand im Raum. „Was ist mit dir los?“, fragte sie schockiert und legte Fianna den Arm um die Schulter. Fianna antwortete nicht, stattdessen rollten ihr erneut Tränen die Wangen hinunter. „Setz dich erstmal auf dein Bett“, sagte Annemieke beruhigend, „Ich bringe dir ein Paket Taschentücher und mache dir einen Tee.“

 Während ihre Freundin verschwand, um Tee zu kochen, schniefte Fianna drei Taschentücher voll. Liebeskummer tat viel mehr weh als eine Wunde am Kopf oder eine Schramme am Bein. „Hier bin ich wieder!“, Annemieke kam mit einem Tablett durch die Tür, „Ira hat mir sogar noch Lebkuchen mitgegeben.“ „Sorry, aber ich habe gerade keinen Hunger“, schniefte Fianna. Annemieke setzte sich neben sie auf ihr Bett und strich ihr sanft über den Rücken. „Erzähl ruhig!“, sagte sie sanft. Fianna griff nach einer der beiden Teetassen und nachdem sie die Hälfte ihres Tees getrunken hatte, konnte Fianna ihre Geschichte erzählen. „Was für ein blöder Hund! Er hätte dir nicht solche Hoffnungen machen dürfen“, Annemiekes hellen Augen wurden einen Tick dunkler, offensichtlich war sie ziemlich empört. „Wahrscheinlich ist seine Freundin viel hübscher als ich, deshalb habe ich keine Chance“, Fianna begann von neuem zu schluchzen. „Bestimmt ist sie das nicht! Ich finde, dass du sogar ziemlich hübsch bist mit deinen karottenroten Haaren“, Annemieke sah ihr fest in die Augen und umarmte ihre Freundin. „Ich hasse meine Haarfarbe wie die Pest“, stieß Fianna angeekelt hervor, „Mit roten Haaren kann niemand etwas werden, außer vielleicht Hexen.“ Annemieke schwieg peinlich berührt, offensichtlich hatte sie Fiannas wunden Punkt erwischt, ohne es zu wollen.

 Plötzlich schwang die Tür auf und Lotta stand mit ihrer Kamera vor ihrem Bett. Filmte sie Lotta wirklich, wie sie sich die Augen aus dem Kopf weinte? Fianna wurde von einer unbeschreiblichen Wut gepackt. „Mach deine bescheuerte Kamera aus, bevor ich sie aus dem Fenster werfe!“, schrie sie und stürzte sich auf die überraschte Lotta. „Hey, was ist denn los?“, rief Lotta erschrocken. „Das weißt du ganz genau. Du willst nur festhalten, wie ich mir wegen Lukas die Seele aus dem Leib heule!“, giftete sie und riss Lotta die Cam aus der Hand. „Du bist wohl total übergeschnappt! Was um alles in der Welt ist nur los mit dir?“, nun wurde auch Lotta wütend und schubste Fianna gegen den Schrank. Gerade als Fianna zu einer kräftigen Ohrfeige ausholten wollte, hielt Annemieke ihre Hand fest.

„Hört auf der Stelle auf zu streiten!“, ging sie dazwischen und trennte die Streithennen voneinander. „Ich weiß immer noch nicht, was in Fianna gefahren ist“, sagte Lotta ahnungslos, „Ich bin nur hier auf das Zimmer gegangen, weil ich euch gesucht habe und wollte filmen, wie ich euch nach einer langen Sucherei finde. Dass ich hier Fianna weinend antreffe, damit habe ich nicht gerechnet.“ „Lotta, langsam übertreibst du es mit deiner Filmerei. Wir möchten nicht in jeder Situation gefilmt werden und das nächste Mal musst du uns vorher fragen“, wies Annemieke ihre Freundin zurecht. Lotta nickte kleinlaut und entschuldigte sich bei Fianna. „Soll ich dir nun erzählen, was mir gerade passiert ist?“, Fianna schniefte und begann zu erzählen. Lotta hockte auf ihrem Bett und hörte aufmerksam zu. „Diesem Arschloch müssen wir es heimzahlen. Wie konnte er es nur wagen, dich so zu verletzen!“, Lottas Stimme klang ziemlich aufgebracht.

„Tata! Wir haben euch einen leckeren Kuchen gebacken! Ihr müsst nur schnell genug unten sein, sonst werden die Zwerge über ihn herfallen“, gutgelaunt riss Mathilda die Tür auf. Emily und sie standen in Küchenschürzen im Türrahmen. „Was ist hier los?“, Emily merkte die bedrückte Stimmung sofort. „Fiannas Liebhaber hat ihr falsche Hoffnungen gemacht, dabei hat er schon eine Freundin“, erzählte Lotta. „Wie bitte? Was?“, fragte Aylin, die nun auch zu Tür hinein drängte. „Fiannas Schwarm ist bereits vergeben“, wiederholte Lotta noch lauter. „Schluss jetzt! Ich möchte heute nicht mehr darüber reden!“, rief Fianna entschieden und konnte nicht verhindern, dass ihr neue Tränen in die Augen traten. „Wo ist eigentlich Kiki?“, fragte Annemieke auf einmal. „Ich glaube, sie hatte Tessa versprochen, ihr im Stall zu helfen“, antwortete ihre Zwillingsschwester. Einen Moment später ging die Tür erneut auf und Kiki stand in nass geregneter Kleidung vor ihnen. „Ihr werdet es mir nicht glauben, ich habe gerade gesehen, wie Svenja und Bob mit Heugabeln durch den Stall patrouillieren und den Eingang zu ihrem Bandenquartier auf dem Heuboden bewachen“, erzählte sie, während sie sich aus ihrer Jacke schälte. Die Bandenfreundinnen begannen schallend zu lachen. „Ihr Name, die Stallpiraten, passt wirklich super zu ihnen!“, giggelte Lotta.

 Nach dem Abendessen verbrachte die Roten Sieben einen ruhigen Abend in ihrem Zimmer. Lotta saß an dem kleinen Tisch vor dem Fenster und lud die ersten Filme von ihrer Cam auf ihren Laptop. Annemieke und Aylin lasen in ihren Büchern weiter. Mathilda hockte auf ihrem Bett und spielte ein Spiel mit ihrem Handy. Emily hörte leise Musik und Kiki strickte eine Mütze. Es war ungewöhnlich, dass kein Wort geredet wurde. Normalerweise war immer fröhliches Geschnatter und Lachen zu hören, wenn die Bande zusammen war, aber in diesem Augenblick war jedes Bandenmädchen mit sich selbst beschäftigt.

Fianna genoss die Ruhe, sie lag dösend auf ihre Bettdecke und schaffte es sogar, Lukas für kurze Zeit zu vergessen. 

Eine große Überraschung

 

Am nächsten Morgen hatte Henriette einen Überraschungsausflug für die Ferienkinder organisiert. Direkt nach dem Frühstück hielt ein Bus auf dem Hof und brachte die Kinder zu einem kleinen Bootsanleger. Tessa, Lukas und ihr kleiner Bruder Bob waren ebenfalls mit von der Partie, genauso wie Tante Hildegard und Ira, die sich einen freien Tag gönnten. Zum Glück war das Wetter besser als gestern. Zwar blies ihnen eine kräftige Seebriese entgegen, aber die Herbstsonne wärmte dennoch ein wenig. Über einen Steg ging die Gruppe zu  einem kleinen Schiff. Besonders die Zwerge waren hibbelig vor Aufregung. „Wohin geht es?“, fragte Svenja bestimmt zum zehnten Mal. „Lass dich überraschen!“, meinte Henriette. „Bitte, Henriette, mir macht es Angst, wenn ich nicht weiß, wo es hingeht!“, bettelte Ricarda. „Wer lesen kann, ist eindeutig im Vorteil“, Lukas tippte dem kleinen Mädchen auf die Schulter und zeigte auf ein Schild „Ostseerundfahrt nach Dänemark“. Ricarda drehte sich wieder zu ihren Freunden um. „Wir fahren nach Dänemark“, rief sie ihren Freunden entgegen.

Fianna versuchte Lukas so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen, deshalb harrte sie die meiste Zeit über mit ihren Freundinnen an Deck aus und genoss die salzige Meeresluft. Das trübe Wasser schlug in kleinen Wellen gegen die Schiffswand. Kleine Wolken jagten über den Himmel. Der Wind blies ihre Haare nach hinten und rüttelte an ihren Jacken. Lotta holte ihre Kamera raus und lehnte sich gegen die Reling. „Schiff Ahoi! Ferien Ahoi! Rote Sieben Ahoi!“, rief sie gegen den Wind und wurde beinahe vom Kreischen der Möwen übertönt. „Roten Sieben Ahoi!“, antwortete die Rote Sieben im Chor. „Hey, was macht ihr da?“, rief Ricarda laut und drängte sich mit auf das Bild. „Verzieh dich, du kleine Ratte!“, zischte Mathilda und schubste das jüngere Mädchen unsanft zur Seite. „Es sieht für uns so aus, als würdet ihr gerade euren Bandenschwur ablegen“, antwortete Ricarda frech. „Unsere Bande gibt es schon viel länger als euren Chaotenverein“, meinte Kiki und versuchte gelassen zu klingen. „Wir sind kein Chaotenverein!“, beleidigt zog das kleine Mädchen die Mundwinkel nach unten. „Aber natürlich seid ihr das!“, widersprach ihnen Lotta, „Ihr habt schon genug angestiftet und für Chaos gesorgt“

 

Wenig später wurde die Bandenfreundinnen Zeugen, wie Ricarda ihre Freunde in einem Kreis um sich versammelte. „Auf die Stallpiraten!“, riefen sie nach jedem Vers ihres Schwurs, den Fianna und ihre Freundinnen aufgrund des Windes nicht verstehen konnten. „Eine Bande gründet man nicht in aller Öffentlichkeit!“, gab Kiki den Zwergen mit auf den Weg. „Das interessiert uns nicht!“, rief Maximilian. „Kümmert euch um euren eigenen Bandenscheiß!“, giftete Ricarda die großen Mädchen an. „Wir wollten euch nur einen guten Rat geben“, meinte Annemieke. „Wir brauchen keinen Rat von Älteren, Lockenkopf!“, sagte Miriam verächtlich. Bald wurde es den Stallpiraten zu kalt, deshalb verzogen sie sich in die Kabine. „Von wegen Stallpiraten!“, spottete Mathilda, „Wenn sie keine zehn Minuten an der frischen Luft verbringen können, sollen sie sich lieber in die kleinen Stubenhocker umbenennen!“

„Ist euch noch gar nicht kalt?“, Tessa gesellte sich zu den Freundinnen. „Wir finden es hier sogar ausgezeichnet an der frischen Meeresluft!“, rief Mathilda gegen den Wind und ihre hellblonden Locken wehten ihr zur Seite. „Wie heißt die Freundin von deinem Bruder?“, fragte Lotta Tessa. Fianna hätte Lotta am liebsten ihren Ellenbogen in die Rippen gestoßen. „Sie heißt Inka“, sagte Tessa, „Sie ist sechzehn und geht in seine Parallelklasse“ „Wie lange ist er mit ihr zusammen?“, nun wurde auch Emily neugierig. Fianna hatte keine große Lust sich am Gespräch zu beteiligen und ging die Treppe hinunter in die Kabine. „Hallo, Fianna!“, Lukas kam ihr entgegen. „Hallo“, erwiderte sie ohne aufzuschauen. Einen Moment lang wusste sie nicht, wohin sie ihm entfliehen konnte, aber dann beschloss sie sich für einen Moment auf dem Bordklo einzuschließen. Die Hauptsache war, dass sie Lukas nicht mehr all zu oft begegnete. Obwohl sie immer noch dieses Kribbeln im Bauch hatte, wenn sie ihn sah, schwor sie sich, ihn für den Rest der Ferien zu ignorieren. Schließlich war er für ihren größten Herzschmerz in ihrem Leben verantwortlich.

 Nach einer halben Stunde machte das Schiff einen Zwischenstopp an einem kleinen Bootsanleger, kurz hinter der dänischen Grenze. Eine Gruppe Jungs wartete am Kai. Je näher sie kamen, desto besser konnten sie die Gruppe erkennen, die ihnen bekannt vorkam. „Da brat mir mal einer einen Storch!“, rief Lotta voller Überraschung und riss aufgeregt ihre Augen auf. „Wie bitte? Was?“, neugierig reckte Mathilda ihren Kopf in Lottas Richtung. „Na, rate mal, wer da am Kai steht“, Lotta zeigte auf die Jungs. „Himmel und Hölle, mit denen hätte ich hier niemals gerechnet!“, entfuhr es Emily, die genauso überrascht war wie ihre Freundinnen. „Was für ein Zufall, die Piranhas im Urlaub anzutreffen!“, bemerkte Fianna. „Wollen wir ihnen zuwinken oder nicht?“, fragte Aylin leise. „Nein, wir wollen, dass den Fischköppen gleich die Augen aus dem Kopf fallen“, wisperte Annemieke und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das Schiff legte an und immer mehr Leute kamen an Bord. Eine Familie kam zu ihnen an Deck, aber die Piranhas ließen sich zuerst noch nicht blicken. „Ihnen ist bestimmt zu kalt“, frotzelte Kiki.

Doch wenig später, als sie wieder mitten auf dem Meer waren, kamen die Piranhas nach und nach ans Deck. „Halleluja! Wer hat sie hier hingezaubert?“, entfuhr es Michael, seine Augen waren vor Staunen beinahe so groß wie Teller. „Wie um alles in der Welt seid ihr hier hingekommen?“, fragte Jannis. Annemieke und Mathilda brachen in schallendes Gelächter aus. Die Piranhas schauten sich untereinander weiterhin blöd und ungläubig an. Das verleitete die Zwillinge dazu, so heftig zu lachen, dass sie sich gegenseitig festhalten mussten, um nicht hinzufallen. Ihre Freundinnen wurden ebenfalls von ihrem Lachen angesteckt. „Da haben wir mitten auf der See einen originellen Fischfang gemacht!“, Lotta richtete kichernd ihre Cam auf die Jungenbande. „Hey, wieso filmt ihr uns?“, rief Michael empört. „Damit wir für die Ewigkeit festhalten können, wie ihr wie die Ölgötzen dasteht und euch die ganze Zeit blöd anschaut.“

Mathilda konnte sich die spöttische Bemerkung nicht länger verkneifen“ „Pass auf, was du sagst, Lockenkopf!“, knurrte Sven. Es stellte sich heraus, dass die Piranhas und der Rest ihrer Fußballmannschaft heute einen spielfreien Tag hatten und ihr Trainer, der Vater von Sven, ihnen einen Schiffsausflug wegen dem Einzug in das Halbfinale geschenkt hatte. Nachdem sich all die Aufregung gelegt hatte, ging Lotta mit Max nach unten in die Kabine und Emily setzte sich mit Lennart an das andere Ende des Decks. Fianna war es klar, dass junge Liebespärchen unter sich sein wollten. Gerade in diesem Augenblick sehnte sie sich nach einem Freund. Der einzige Trost für sie war, dass Kiki, Aylin und die Zwillinge auch noch keine Freunde hatten. Ricarda und Svenja kamen von hinten angeschlichen und jagten den fünf Freundinnen einen riesigen Schrecken ein. „Kann es sein, dass zwei von euch schon einen Freund haben?“, fragte Svenja neugierig, aber zugleich spielte sie nervös mit ihren langen Zöpfen.

Keins der Bandenmädchen befand es für notwendig auf diese Frage zu antworten. „Der große Junge hat das blonde Mädchen geküsst!“, rief Miriam und kam aufgeregt über das Deck gerannt. „Habt ihr noch nie gesehen, wie sich zwei Personen küssen, ihr Gartenzwerge?“, entfuhr es Fianna. „Doch natürlich! Aber wir wollten euch nur fragen, wie lange ihr schon auf dem Liebestrip seid und ob ihr alle schon einen Freund habt“, lächelte Ricarda zuckersüß und fuhr sich durch ihre weißblonden winderzausten Haare. „Was geht dich das an?“, Mathilda brachte ihr Gesicht bedrohlich nah an das des kleinen Mädchens heran. „Ricky und ich sind halt neugierig, ob ihr diese Jungs besonders gut kennt“, Svenja kam ihrer Freundin zur Hilfe. „Wer sind diese kleinen frechen Gören?“, fragte Jannis und drehte sich zur Roten Sieben um. „Das sind auch Ferienkinder von uns, aber sie sind höchsten nur halb so alt wie wir und besuchen noch die Krabbelgruppe“, antwortete Annemieke schlagfertig. „Das stimmt überhaupt nicht!“, riefen Ricarda und ihr Zwillingsbruder Maximilian empört. „Ricky und Maxi sind neun Jahre alt, ich werde bald auch neun und wir gehen zusammen in die dritte Klasse“, verteidigte Svenja ihre Freunde. „Für uns ist das trotzdem noch Kindergarten“, Sven lächelte spöttisch. Die Stallpiraten streckten ihm die Zunge raus und verschwanden wieder in der Kajüte.

 Henriette erlaubte den älteren Ferienkindern in kleinen Gruppen alleine durch die Einkaufsstraße zu gehen. Der Mannschaftstrainer des 1. SV Freudenburg, der zugleich auch Svens Vater war, lud die Mannschaft und sogar die Rote Sieben zum Eisessen in das nächste Straßencafe ein. „Wie heißen denn eure Freundinnen?“, fragte er. Kiki trat vor ihre Bande, „Mein Name ist Kristina Morawski, aber ich werde meistens nur Kiki genannt. Hinter mir stehen meine Freundinnen Lotta, Annemieke, Mathilda, Aylin, Emily und Fianna“ „Geht ihr in die gleiche Klasse wie mein Sohn?“, wollte Svens Vater wissen. Kiki und ihre Freundinnen nickten. „Mensch Paps, wie oft habe ich dir schon von der Roten Sieben erzählt!“, Sven verdrehte die Augen und fuhr fort, „Diese Mädchen haben vorletztes Schuljahr eine Bande gegründet, um uns zu bekriegen. Doch spätestens seit den Sommerferien ist das Kriegsbeil zwischen uns begraben und wir haben zusammen unser erstes richtiges Abenteuer in der alten Villa überstanden.“

Svens Vater erlaubte jedem sich einen kleinen Eisbecher mit drei Kugeln Eis auszusuchen. Fianna entschied sich für eine Kugel Rote Grütze und zwei Kugeln Zimteis. Gegenüber von ihr saßen drei Jungs, die sie nicht kannte. „Bist du die Zwillingsschwester von Tom?“, fragte ein Junge mit gestylten schwarzen Haaren und olivfarbener Haut. Fianna nickte, aber sie wusste nicht woher der Junge sie kannte. „Wundere dich nicht, Fianna! Ricardo hat mehrere Jahre lang mit deinem Bruder in einer Mannschaft gespielt, bevor zu uns wechselte“, meinte Sven und legte seinem Mannschaftskameraden die Hand auf die Schulter. „Dein Bruder hat schon viel über dich erzählt und er meinte, du würdest auch gerne Fußball spielen“, wandte sich Ricardo an Fianna. „Das ist wahr, aber ich spiele nicht im Verein“, sagte sie und auf einmal spürte sie ein Gefühl in ihrem Bauch, welches sie nur zu gut von Lukas kannte. Noch nie hatte sie schon schöne dunkelbraune Augen gesehen, die im Sonnenlicht glänzten. Ricardo stellte Fianna weitere Fragen und bald kamen sie in ein langes Gespräch. „Wie alt bist du?“, fragte sie ihn. „Ich werde im November schon fünfzehn“, sagte er, „Ich bin anderthalb Jahre älter als du“ Kiki stupste Fianna an, „Komm lass uns gleich gehen, wenn wir fertig sind, Tessa wartetet auf uns“

 Nachdem Svens Vater bezahlt hatte, bummelte die Rote Sieben mit Tessa durch die Innenstadt. Aylin und Emily staunten über die unzähligen roten Fähnchen, die überall über ihren Köpfen hingen. „Tja, die Dänen sind sehr patriotisch“, erklärte Tessa den Bandenmädchen. Die Piranhas und das restliche Fußballteam verabschiedeten sich, da sie bis zum Mittagsessen zurück in ihrer Herberge sein mussten. Dafür hatten sie den Mädchen besprochen, sie mittwochs auf dem Reiterhof zu besuchen. Tessa hatte nichts dagegen, dass die Piranhas an ihrem Geburtstag vorbei kommen werden. „Solange sie keinen Unfug machen, sind sie herzlich willkommen“, meinte Tessa. „Ach was! Die Jungs sind in den letzten Monaten um einiges vernünftiger geworden“, beruhigte Annemieke sie.

„Aber das war vor einem halben Jahr noch ganz anders“, mischte sich Mathilda ein, „Wir haben uns in den ersten Monaten gegenseitig nur Streiche gespielt“ „Gott sei dank, dass es sich gegeben hat“, sagte Lotta, „In der siebten Klasse waren wir noch richtige Kinder, die dumme Ideen im Kopf hatten. Jetzt können wir uns mit damals nicht mehr vergleichen“ „Aha und jetzt würdest du dich als erwachsen bezeichnen?!“, spottete Mathilda. „Matti, halt deine Klappe!“, zischte ihre Zwillingsschwester, „Du wurdest nicht nach deiner eigenen Meinung gefragt!“ Lotta nickte Annemieke dankend zu. Mathildas spitze Zunge konnte ab und zu selbst ihre besten Freundinnen verletzen. „Wollen wir nicht einen Hotdog essen?“, schlug Tessa vor, „Hier in Dänemark schmecken sie besonders lecker“ „Wir haben zwar gerade ein Eis gegessen, aber für einen Hotdog hätten wir noch Platz“, meinten die Zwillinge begeistert. „Soso, die verfressenden Zwillinge!“, spottete Fianna und bekam einen leichten Rippenstoß von Mathilda. Die Hotdogs schmeckten tatsächlich richtig gut, einige Bandenmädchen verdrückten zwei oder sogar drei Hotdogs. Danach hatten sie noch zwei Stunden Zeit, erst am Nachmittag ging es wieder zum Schiff zurück.

Schon wieder Zwergenärger!

 

Am Sonntag nach einem langen Ausritt am Strand fand ein Grillfest im „Wikingerdorf“ am Rykjabach statt. Nachdem die Kinder ihre Pferde geputzt und versorgt hatten, machten sie sich voller Vorfreude mit Henriette und Ira auf den Weg. Es wurde bereits dunkel und Rickys Freunde, die an der Spitze vorweg liefen, waren kaum noch zu erkennen. „Lukas kommt nachher übrigens auch noch, aber er bringt Inka mit“, wandte sich Tessa an die Rote Sieben. Fiannas Lust auf das Grillen verschwand binnen weniger Sekunden, aber sie wollte es ihren Freundinnen nicht offen zeigen. Schließlich war sie nicht scharf drauf, die beleidigte Leberwurst zu spielen und für gedrückte Stimmung zu sorgen. Nur Aylin merkte, dass sie leicht geknickt war.

„Mach dir nicht so einen Kopf wegen Lukas, du wirst den richtigen Freund noch finden“, munterte sie ihre Freundin auf. Fianna nickte stumm und kickte einen Kieselstein vor sich her. Aylin war ratlos wie sie ihre beste Freundin glücklich machen konnte, seit einigen Tagen drehte es sich fast ausschließlich um Fiannas Liebeskummer, den sie noch nicht bewältigt hatte. „Überfall!“, Mathilda stürzte sich von hinten auf Fianna und fing an, sie mit ihrer Zwillingsschwester durchzukitzeln. Ihre Freundin quietschte vor Lachen und versuchte sich aus Mathildas Griff zu lösen, aber die Zwillinge ließen nicht locker. „Bitte, lasst mich los, ihr Kaasköppe!“, japste Fianna und erstickte fast vor Lachen. „Hast du uns Kaasköppe genannt? Das gibt zehnmal extra Kitzeln!“, Mathilda versuchte empört zu klingen. „Wenn ihr Fianna nicht gleich loslasst, kitzele ich euch solange, dass euch hören und sehen vergeht!“, mischte sich Kiki ein und stürzte sich mitten in die Schlacht. Nach und nach mischten Emily, Lotta und Aylin auch mit. Als sie am Wikingerdorf ankamen, hatten sie Lachtränen in den Augen und waren außer Puste. „Wenigstens lacht Fianna wieder“, bemerkte Annemieke zufrieden und hakte sich bei Fianna und ihrer Schwester ein.

 Zwischen den kahlen Bäumen, im Zentrum des Wikingerdorfes, wurde ein großes Lagerfeuer entzündet. Erst qualmte es stark, aber einen Moment später schlugen die Flammen lodernd in den Nachthimmel. Die Kinder setzten sich auf Baumstämme rings herum und wärmten sich ihre kalten Hände auf. Das Feuer war ein ziemlicher Kontrast zum kühlen Abend. Ricky und ihre Freunde saßen der Roten Sieben direkt gegenüber, doch sie verhielten sich friedlich, anstatt blöde Bemerkungen von sich zu geben. Ira händigte Plastikbecher aus und ließ eine Kanne warmen Kakao und eine Kanne mit rotem Tee herum gehen. „Auf die Rote Sieben!“, Lotta stieß zusammen mit ihren Freundinnen an. Tessa hielt ihre Cam in der Hand, Lotta hatte sie beauftragt, ein Video zu drehen. „Darf ich auch noch einmal aufs Bild?“, fragte Tessa. „Aber klar doch!“, erwiderte Lotta und nahm ihr die Kamera aus der Hand.

„Auf die Stallpiraten!“, rief Ricarda laut. „Nachmacher!“, antwortete Kiki spöttisch und zog ihre Augenbrauen hoch. Die Bombe platzte erst einen Moment später, als Miriam aufstand, um ihren Becher aufzufüllen. Sie stolperte dabei über eine Baumwurzel und fiel Kiki in den Rücken. Kiki goss sich ihren Tee auf ihre Jacke und auf Emilys Hose. „Sag mal, spinnst du!“, rief sie entrüstet. Miriam starrte sie entsetzt an. „Das habe ich doch nicht mit Absicht getan!“, erwiderte das kleine Mädchen mit den roten Locken. „Von wegen Absicht, wir wussten doch ganz genau, dass ihr uns wieder einen blöden Streich spielt!“, explodierte Kiki und packte die schreckensstarre Miriam an den Schultern.

„Hey, was ist hier los?“, ging Henriette dazwischen. „Sie beschuldigt mich, dass ich sie extra angerempelt habe, damit sie sich ihren Tee über ihre Kleidung gießt.“ Miriam biss sich auf die Lippe, um nicht in Tränen auszubrechen. Noch bevor Jemand etwas sagen konnte, meldete sich Ricarda zu Wort. „Miri hat es nicht mit Absicht getan, ich habe gesehen, wie sie über diese Wurzel gefallen ist“, behauptete sie. „Das stimmt, sie ist wirklich über die Wurzel gestolpert!“, bestätigte Julian, Miriams Bruder. „Das kann passieren, aber trotzdem solltest du dich bei Kristina entschuldigen, auch wenn es dir aus Versehen passiert ist“, meinte Henriette. Miriam gab Kiki ihre kalte Hand und murmelte ein kaum hörbares „Tschuldigung!“.

Als die Würstchen gebraten und Stockbrot gebacken wurde, ging es friedlicher zu. Der Streit war für diesen Abend beigelegt. Hildegard kam mit ihrem Hund und zeigte ihr Talent auf der Gitarre. Kiki setzte sich besonders nah an das Feuer und hoffte, dass dadurch ihre Hose schneller trocknete. Lotta ließ ihr erstes Stockbrot in die Glut fallen und erntete dafür spöttisches Gekicher der Stallpiraten. Bald darauf teilte Henriette die Würstchen aus, die sie auf Stöcken aufgespießt über dem Feuer grillten.

 Um kurz nach Neun kam Lukas doch noch. Das Laub raschelte unter seinen Füßen. In der einen Hand hielt er eine Taschenlampe und in der anderen seiner Freundin. Im Feuerschein sah Inka noch besser aus, als aus der Ferne im Tageslicht. Fianna sank inmitten ihrer Freundinnen zusammen und fühlte sich nicht einmal halb so schön wie Inka. Emily legte ihr den Arm um ihre Schulter. „Du bist mindestens genauso schön wie Inka!“, flüsterte sie Fianna ins Ohr. „Ich wünschte, sie sähe aus wie ein kuhäugiges Schaf“, erwiderte Fianna leise. „Mögt ihr etwas essen?“, fragte Henriette, „Wir haben noch ein paar Würstchen und Stockbrotteig übrig“ „Nein danke, wir waren gerade eben Hamburger und Pommes essen“, lehnte Lukas ab und setzte sich hin. Inka ließ sich neben ihm nieder und rieb ihre klammen Finger aneinander.

„Ach herrje, es ist richtig kalt geworden!“, jammerte sie leise und klapperte mit den Zähnen. Sie versteckte ihr Gesicht bis zu ihrer Nase unter einem dicken Wollschal. „Setz dich näher ans Feuer, schließlich beißt es nicht“, meinte Lukas. Fianna vermied es konsequent in die Richtung des Paares zu schauen. „Was sucht dein Blick die ganze Zeit auf dem Boden?“, fragte Annemieke. „Nichts!“, erwiderte sie melancholisch. „Sie will bloß nicht in Lukas Richtung schauen. Das ist Alles!“, entlarvte Lotta ihre Freundin. Am liebsten hätte ihr Fianna einen Tritt gegeben, aber sie hatte keine große Lust schon wieder einen Streit mit ihr anzufangen.

„Bald ist wieder Halloween“, fiel es Kiki ein und es gelang ihr ein neues Thema anzustoßen. „Halloween ist eine geniale Gelegenheit, um den Zwergen einen gruseligen Streich zu spielen“, flüsterte Mathilda. „Sind wir an Halloween noch hier?“, fragte Emily. „Ja, das wird unsere letzte Nacht sein“, sagte Fianna. „Um dieses abgebrühte Fischgemüse zu erschrecken, müssen wir uns etwas Geniales einfallen lassen“, wisperte Lotta, „Bestimmt erschrecken sich die Kleinen nicht vor Plastikkürbissen und Luftballons in Gespensterform“ „Hey, lass es uns besprechen, wenn wir unter uns sind!“, zischte Annemieke, „Der Wald hat Ohren, genauso wie wir“ „Micky hat Recht!“, meinte ihre Schwester. „Wir dürfen kein Bandengeheimnis verschenken, denn wir verschenken niemals etwas an Unbefugte.“

 Richtigen Ärger gab es am nächsten Vormittag, als die Rote Sieben von einem Ausritt wieder kam. „Habt ihr meine Cam gesehen?“, fragte Lotta und wühlte zum x ten Mal in ihrem Koffer herum. Ihre Freundinnen horchten auf. „Nein, deine Videocam habe ich nicht gesehen“, schüttelte Fianna den Kopf und suchte im Schrank nach einem frischen Paar Socken. „Wann hast du sie zuletzt gehabt?“, fragte Aylin. Über Lottas Kopf bildeten sich kleine Grübelwölkchen. „Ich weiß nur noch, dass du gestern am Lagerfeuer gefilmt hast“, fiel es Mathilda ein, „Ich hoffe, dass du sie dort nicht vergessen hast!“ „Nein, ich habe sie dort nicht liegen lassen“, erwiderte Lotta. „Aber wenn du sie nicht vergessen hast, muss sie doch irgendwo sein!“, rief Kiki, „Ich kann in meinem Koffer suchen, aber da wird sie bestimmt nicht sein.“

Jedes Mädchen schaute in seinem Koffer nach, aber Lottas Cam fand sich nicht wieder an. „Merkwürdig, sie muss doch hier irgendwo sein.“ Lottas Stimme klang nun ziemlich verzweifelt. „Wir können unten im Gemeinschaftsraum suchen gehen!“, schlug Annemieke vor. Nach dem Lotta und die Zwillinge nach unten gegangen waren, stellten die restlichen Bandenmitglieder das gesamte Zimmer auf den Kopf. Bald lagen Kleider, Schuhe, Zahnputzbecher, Zeitschriften, Aufladegeräte und Süßigkeitenverpackungen auf dem Boden verstreut. „Hilfe, dieses Chaos können wir bis zum Mittagessen nicht mehr beseitigen!“, verzweifelt schlug Kiki ihre Hände über den Kopf zusammen. „Tja, weiß der Geier wo Lottas Kamera ist!“, zuckte Emily mit den Schultern. Kiki und Aylin warfen sich ebenfalls ratlose Blicke zu. „Bestimmt hat sie ihre Kamera auf dem Ausritt verloren“, mutmaßte Fianna. „Nein, sie hatte sie auf keinen Fall dabei“, widersprach ihr Kiki sofort. „Macht es überhaupt noch Sinn hier zu suchen?“, fragte Aylin, „Wir suchen mindestens eine halbe Stunde nach dem Ding und unser Zimmer sieht aus, als hätte hier der Maulwurf gewütet!“

Die Zimmertür wurde ruckartig aufgerissen und Annemieke steckte ihren Kopf hinein. „Ich soll euch ausrichten, dass ihr sofort zum Essen kommen sollt“, sagte sie, „Lotta und Matti warten schon unten.“ „Habt ihr Lottas Cam gefunden?“, fragte Emily, aber ihre beste Freundin schüttelte den Kopf. Lotta saß völlig aufgelöst auf ihrem Platz, Mathilda legte ihr die Hand auf die Schulter und versuchte sie zu beruhigen. „Wir haben schon überall gesucht, aber sie ist nirgendwo“, jammerte Lotta. „Habt ihr schon im Stall gesucht?“, fragte Kiki. „Ja, dort ist sie auch nicht!“, Lotta schossen Tränen in die Augen und in diesem Moment fiel es ihr schwer das Weinen zu verkneifen. Nie und nimmer würde sie vor diesen Zwergen in Tränen ausbrechen, Ricky hielte sie sonst für eine jämmerliche Heulsuse und würde sich über sie lustig machen.

In Fianna stieg ein schlimmer Verdacht auf. „Bestimmt haben sich die Zwergnasen die Kamera geliehen, ich sehe wie sie sich am Nachbartisch gegenseitig angrinsen und das ist der beste Beweis, dass sie etwas ausgeheckt haben“, warf sie in die Runde. „Das traue ich diesen frechen Biestern zu!“, zischte Kiki und ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Aber wie wollen ihr es beweisen?“ Lottas Stimme überschlug sich beinahe. „Wir könnten Tessa nach dem Essen fragen, ob wir eine Zimmerdurchsuchung vornehmen dürfen“, schlug Annemieke vor. „Genialer Einfall, Micky!“, lobte Kiki. „Bestimmt hat Henriette für jedes Zimmer einen Ersatzschlüssel und vielleicht kann Tessa uns die für die Zwergenzimmer aushändigen“, fuhr Annemieke fort.

 Gesagt, getan! Nach dem Essen fragten die Mädchen Tessa nach dem Ersatzschlüssel und sie war sofort bereit, der Roten Sieben zu helfen. Die Bande stellte Aylin und Emily als Wachposten an die Treppe, falls die Zwergnasen doch noch auf ihr Zimmer gehen wollten. Lotta drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür. „Aha, hier schlafen anscheinend Julian und Maximilian“, murmelte sie leise und trat ein. Fianna und Kiki folgten ihr.

Die Zwillinge schlossen das Zimmer von Ricarda, Svenja und Miriam auf. „Ich habe noch nie so ein Chaos gesehen!“, verächtlich zog Lotta die Augenbrauen hoch. Zu dritt ließen sie ihre Blicke durch den Raum schweifen, aber von einer Kamera war keine Spur. „So ein Mist! Wenn wir meine Cam nicht wieder finden, werden mir meine Eltern vorwerfen, dass ich mit teuren Sachen nicht verantwortungsvoll umgehen kann und dann werden sie mir nie wieder so etwas schenken!“, schniefte Lotta den Tränen nahe. Noch bevor sie weinen konnte, stürzten die Zwillinge in das Zimmer.

„Tada!“, rief Mathilda, „Seht her, was wir gefunden haben!“ Lotta fielen fast die Augen aus dem Kopf, ihre Freundin hielt ihre Kamera hoch. „Danke, Zwillingsmäuse!“, Lotta fiel beiden Zwillingen gleichzeitig um den Hals. „Die Cam haben wir natürlich hinter Ricardas Nachtisch gefunden“, erzählte Annemieke leise. „Wusste ich es doch, dass diesen Plagen so eine Unverschämtheit zuzutrauen ist“, zischte Lotta und wurde knallrot vor Wut. Als die Mädchen in ihrem Zimmer saßen, schauten sie sich die Videos an, die Ricky und ihre Freunde mit ihrer Cam gedreht hatten.

Die Zwergnasen zogen auf dem Video freche Grimassen, alberten herum und bogen sich vor Lachen. „Ich werde diese bescheuerten Videos von den kleinen Affen löschen“, sagte Lotta. „Hey Stopp!“, versuchte Mathilda sie zu bremsen, „Lass die Videos drauf. Es ist ein schöner Beweis, wie sich die Winzlinge blamiert haben und das müssen wir nachher unbedingt Tessa zeigen“ „Von mir aus!“, brummte Lotta, „Aber du hast Recht. Wir können uns immer wenn wir das sehen, über die kleinen Idioten lustig machen.“

Es riecht nach Rache

Die Mädchen waren sich einig, nun gab es genug Ärger mit den Zwergnasen und sie hatten große Lust, ihnen ebenfalls einen Streich zu spielen. Tessa ließ sich nach dem Kaffeetrinken einen Ausritt zum Strand mit der Roten Sieben von ihrer Mutter genehmigen. Zu zweit ritten sie nebeneinander den sandigen Pfad entlang, Emily und Tessa führten die Gruppe an und die Zwillinge bildeten das Schlusslicht.

„Tessa, könntest du uns heute Nacht den Schlüssel für die Zwergenzimmer noch einmal leihen?“, bat Kiki. Tessa drehte sich zu ihr um. „Ich tue es gerne für euch, aber Mama darf es bloß nicht mitbekommen“, sagte sie. „Kiki, hast du schon einen konkreten Plan für den Streich?“, fragte Lotta, die neben ihr ritt. „Mir fallen einige Dinge ein, zum Beispiel könnten wir ein Behältnis mit Bohnen füllen und Wasser darüber gießen. Die Bohnen quellen auf und es gibt ein schauriges Geräusch, wenn sie aus dem Behältnis fallen. Natürlich müssen wir das Behältnis gut verstecken, am besten im Schrank oder in einer Kommode“, schilderte Kiki ihre Idee für einen Streich. „Von mir aus, können wir unsere Wecker stellen und bei ihnen in den Schränken verstecken!“, rief Mathilda von hinten. „Ich weiß, dass die Kleinen jeden Abend bis zehn Uhr Gesellschaftsspiele im Gemeinschaftsraum spielen“, sagte Tessa, „Ihr müsstest euren Streich nach dem Abendbrot vorbereiten.“

„Ich habe noch eine viel lustigere Idee!“, meldete sich Fianna zu Wort, „Wir könnten die Koffer der Mädchen mit den Koffern der Jungs vertauschen.“ „Wow, ihr sprudelt nur so von Ideen!“, staunte Tessa, „In eurer lustigen Bande wäre ich auch gerne Mitglied, aber leider fahrt ihr bald wieder und Freudenburg ist auch nicht gerade um die Ecke. Ich hatte noch mit so viel Spaß mit Feriengästen wie mit euch.“ „Wir könnten dich quasi zum Ehrenmitglied ernennen, alleine da du es uns ermöglicht hast, Lottas Kamera wieder zu finden“, meinte Emily.

 Nach dem Abendessen schlichen sie unauffällig in den ersten Stock. „Ich stelle mich als Wachposten an die Treppe, wenn eine Person kommt, gebe ich ein Signal!“, flüsterte Tessa. Die Rote Sieben machte sich ans Werk. Die Zwillinge vertauschten die Koffer der Mädchen und Jungen. Kiki versteckte in beiden Zimmern zwei Wecker, die auf zwei Uhr nachts gestellt waren. Lotta holte zwei leere Dosen und ein Pfund Bohnen aus der Küche und begoss die Bohnen mit Wasser. Sie versteckte die Dosen mit den Bohnen in den hintersten Winkel der Schränke. „Jetzt müssen sie nur noch aufquellen und dann wird es ein Spektakel geben!“, grinste Lotta und gab Kiki einen Highfive. „Eigentlich sind wir zu alt für Streiche, aber diese frechen Plagen haben es alle Male verdient, dass ihnen einer die Grenzen aufzeigt“, meinte Emily. Fianna blies kleine Luftballons auf, die sie in den Betten versteckte. „Bestimmt wird es ordentlich krachen, wenn sie sich in ihre Betten werfen“, gickerte sie hinter vorgehaltener Hand. Aylin öffnete die Fenster, damit es lausig kalt wurde. Zu guter Letzt drehten die Mädchen alle Birnen aus den Lampen und legten sie in Ricardas Nachttischschublade. „Ricarda wird ein Licht aufgehen, wenn sie zehn Birnen in ihrer Schubblade findet!“, kicherte Annemieke. „Kommt endlich! Ich muss die Schlüssel zurückbringen, bevor Mama merkt, dass zwei der Ersatzschlüssel fehlen“, zischte Tessa.

Zu acht schlichen sie die Treppe hinunter und hängten die Schlüssel an das Schlüsselboard in Henriettes Büro. „Noch einmal vielen Dank, Tessa“, sagte Kiki, „Ohne deine Hilfe wäre die Revanche nicht möglich gewesen.“ „Kein Ding, Kiki!“, meinte Tessa, „Schließlich bin ich froh, wenn die kleinen Plagen ihr Fett weg bekommen.“ „Eigentlich hatten wir vorgehabt die Zwerge zu ignorieren, aber Lottas Cam zu stehlen, ging doch eindeutig zu weit“, fand Emily. Während des ganzen Abends amüsierten sich die Bandenfreundinnen über ihren Streich. Die Zwillinge kicherten und prusteten immer noch in ihre Kissen, als die Mädchen bereits in ihren Betten lagen. „Hört auf zu lachen, ich will endlich in Ruhe einschlafen!“, zischte Aylin genervt. „Sorry, das geht gerade nicht!“, gickerte Annemieke, „Wir versuchen uns gerade vorzustellen, wie die Zwergnasen in Panik wie die Hühner durch ihre Zimmer flitzen und sich dann mit einem Knall auf ihre Betten schmeißen“ Fianna bekam das Gekicher nicht mehr mit, sie lag in ihre Decke eingerollt und schlief bereits.

 Am nächsten Morgen erschienen Ricarda und ihre Freunde eine Stunde zu spät zum Frühstück. Auffällig war, dass sie kaum ein Wort sagten und Ringe um die Augen hatten. „Wo kommt ihr denn her?“, fragte Ira überrascht. „Entschuldigung, dass wir verschlafen haben“, sagte Maximilian gähnend, „Wir haben heute Nacht sehr schlecht geschlafen.“ „Das ist wirklich wahr!“, entrüstete sich seine Zwillingsschwester, „Es lagen Luftballons in unseren Betten, die zerplatzt sind, als wir in unsere Betten stiegen. Dann ging das Licht nicht mehr an und mitten in der Nacht klingelte ein Wecker, den wir zehn Minuten suchen mussten.“ „Nicht nur das, wir haben plötzlich die Koffer der Mädchen in unseren Zimmern stehen“, mischte sich Julian ein. „Ich habe die ganze Zeit gedacht, es spukt ein Geist durch das Haus und deswegen habe ich kein Auge zu bekommen“, jammerte Svenja.

„Haha, Svenni glaubt immer noch an Gespenster!“, bemerkte Maximilian spöttisch. „Das war aber ein Gespenst, ich habe die ganze Zeit diese merkwürdigen Geräusche gehört!“, rief Svenja. „Das waren sicher die Böhnchen!“, flüsterte Lotta am Nebentisch ihren Freundinnen zu. „Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen!“, bemerkte Mathilda nebenbei und biss wieder von ihrem Käsebrötchen ab. Die Bandenmädchen mussten sich zwingen, um nicht in ein verdächtiges Kichern auszubrechen. „So Kinder, setzt euch hin und esst erstmal. In einer halben Stunde räume ich ab“, sagte Ira. „Irgendwie will sie uns die Geschichte nicht glauben“, ärgerte sich Ricarda, nachdem die Köchin gegangen war. Svenja und Miriam fielen fast die Augen zu und bekamen kaum einen Bissen herunter. „Ich gehe gleich wieder ins Bett“, gähnte Miriam und stützte ihr Gesicht auf ihre Hände. Selbst die quirlige Ricarda sagte kaum ein Wort und kaute träge auf ihrem Brötchen herum.

Eine Stallfete und drei Vermisste

Die Zeit auf dem Reiterhof verging wie im Flug. Die Rote Sieben war bereits seit mehr als einer Woche hier und jedes Mädchen hatte bereits sein eigenes Lieblingspferd. Fianna hatte besonders Kraki und Moala lieb gewonnen, aber Katla mochte sie dennoch am allerliebsten. Mittwoch nach der Reitstunde lehnten die Mädchen am Zaun und fütterten ihre Lieblingspferde mit Gras und trockenem Brot. „Wie öde wird es sein, wenn wir wieder nach Hause fahren und dann wieder die Schulbank drücken müssen!“, seufzte Emily wehmütig, „Ich fühl mich hier richtig zuhause und möchte bis zu meinem Lebensende an diesem Ort bleiben.“ „Sei nicht so traurig, Lily!“, munterte Lotta sie auf, „Wir können garantiert bald wiederkommen. In den Osterferien hätte ich noch nichts vor.“ „Ich werde leider nicht mehr so schnell wiederkommen können!“, rief Aylin. „Aylin hat Recht“, fand Kiki, „Der Urlaub hier hat uns ein wahres Vermögen gekostet und ohne Bandenkasse wäre es gar nicht möglich gewesen, dass wir alle hier sind.“ „Jetzt schiebt doch nicht so eine große Trauer, heute Abend wird Tessas Geburtstagsfete in der Scheune steigen“, versuchte Mathilda ihre Freundinnen glücklicher stimmen. „Matti hat Recht“, nickte Annemieke, „Wenn ihr die ganze Zeit mit hängenden Köpfen herum läuft, vermiest ihr euch die letzte Zeit hier und gerade diese sollten wir am meisten genießen.“ Dem Sinn für Fröhlichkeit und Optimismus der Zwillinge hatte niemand etwas entgegen zu setzen.

 Direkt nach dem Essen wurde Tessas Fete vorbereitet, die Rote Sieben und Lukas halfen dabei. Strohballen wurden als Sitzgelegenheit hinauf auf den Dachboden geschleppt. Tessa hängte mit Aylin und Annemieke Girlanden und Lichterketten auf. Lukas installierte mit einem Kumpel seine Anlage und drehte zur Probe die Musik kurz auf. Robin, ein Nachbar der Klaasens, brachte eine große Discokugel an einem Dachbalken an. Die Rote Sieben schleppte Getränkekisten und Boxen mit Speisen hinauf. Bald sah es auf dem Heuboden wie in einer Disco aus, nur die Gäste mussten noch kommen. Tessa saß auf einem Strohballen und tippte mit ihrem Fuß auf den Boden.

„Bist du aufgeregt?“, fragte Mathilda und setzte sich neben sie. „Es geht, aber ich habe Bedenken, dass mir einer dieser Zwerge heute Abend wieder Unfug treiben wird“, meinte sie. „Von mir aus, können wir uns als Türsteher vor die Leiter stellen und Alarm schlagen, wenn sie kommen“, bot Mathilda an. „Die Piranhas sind da!“, rief Lotta aufgeregt und kletterte die Leiter hoch. Sofort standen die Mädchen auf und folgten ihrer Freundin. Zu sechst standen die Jungs nebeneinander auf dem Hof und grinsten cool. „Ehrlich gesagt, von Pferden habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung“, gestand Jannis grinsend. „Aber dafür weißt du jetzt, wie Pferdemist riecht!“, neckte ihn Sven. „Hey Fischköppe, ich habe euch schon schmerzlich vermisst!“, aus Mathildas Stimme war die eindeutig die Ironie herauszuhören, aber sie wollte die Piranhas nur freundschaftlich necken. „Hey Kaaskopp, wir haben dich so doll vermisst, dass wir fast eine Suchanzeige aufgegeben haben“, gab Sven zurück. „Wollt ihr uns nicht ein bisschen herum führen?“, fragte Max und griff nach Lottas Hand.

„Ja, eure Hoheit, wir haben die Ehre euch eine Führung anzubieten“, hauchte Kiki und verbeugte sich ironisch. Die Freundinnen brachen in ein leises Kichern aus. „Blöde Gänse!“, schnaubte Jannis, aber dennoch ging er seinen Freunden und den Mädchen hinterher. Zuerst zeigte die Roten Sieben den Piranhas das Haus. Im Gemeinschaftsraum lief der Fernseher. „Für heute Abend und für die kommende Nacht sind besonders heftige Unwetter mit orkanartigen Sturmböen an Nord- und Ostsee zu erwarten, dabei wird die Temperatur um zehn Grad fallen“, kündigte der Nachrichtensprecher an. „Nen Sturm ist das letzte was wir brauchen!“, brummte Lennart. „Aber die Party findet drinnen statt, da kann uns ein Sturm geflissentlich egal sein“, widersprach Emily ihrem Freund und fuhr sich durch ihre kurzen Haare. Tessa kam in den Gemeinschaftsraum, sie hatte ein kleines dunkelhaariges Mädchen untergehakt. „Das ist meine beste Freundin Judith“, stellte sie das Mädchen der Roten Sieben vor und stutzte, als sie die fremden Jungen sah. „Seid ihr nicht die Freunde der Roten Sieben?“, fragte sie und musterten jeden von ihnen einzeln. „Freunde ist zu viel gesagt“, Jannis wurde vor Verlegenheit rot im Gesicht. „Machen wir es kurz, das ist unsere Gegenbande. Wir lagen monatelang im Clinch, aber jetzt können wir nicht mehr ohneeinander, obwohl ich manchmal echt Lust hätte den Fischköppen einen lustigen Streich zu spielen“, erklärte Mathilda kurz.

„Matti!“, genervt verdrehte Lotta die Augen, Mathildas Großspurigkeit ging ihr manchmal ziemlich auf die Nerven. „Aus meiner Sicht sind die Piranhas ganz nette Kumpels, mit ihnen haben wir schon ein großes Abenteuer erlebt“; meinte Emily und Lennart legte ihr den Arm um die Schulter. „Wie wäre es, wenn wir uns erst einmal vorstellen?“, Jannis trat vor seine Kumpels, „Der Große mit dem Kappy heißt Max, er ist gleichzeitig der Älteste von uns. Der Junge mit den Stoppelhaaren, das ist Lennart. Sven ist der Junge mit den wuscheligen blonden Haaren und unser Pummelchen heißt Michael, genannt Michi. Ömer, der Junge mit den schwarzen Haaren, ist der Türke unter uns.“ „Und der Karottenkopf vor deiner Nase ist Jannis“, vollendete Sven frech grinsend und kassierte einen Rippenstoß von seinem Chef. „Sind noch mehr von ihnen da?“, fragte Judith schüchtern. „Dich scheinen die Massen von Bandenkids beinahe zu erschlagen“, meinte Tessa, „Aber die sechs Jungs, die sich die Piranhas nennen, sind nur heute Abend da und ich lerne sie heute Abend auch erst kennen.“

 Es trafen am frühen Abend immer mehr Gäste ein. Lukas sorgte vorweg für guter Stimmung, in dem er die neuen Hits auflegte und die Anlage aufdrehte. Fianna konnte nicht ein einziges Wort von Aylin verstehen, so laut wummerten die Bässe. Die Zwillinge zogen ihre Freundinnen in die Mitte zur Tanzfläche und bald bewegte sich die ganze Partygesellschaft ausgelassen zur Musik. Tessa kam mit zwei neuen Mädchen, die Antonia und Maya hießen, zurück. „Ich bin gleich wieder da!“, rief Tessa, „Mama sagt, es gibt gleich warme belegte Baguettes.“ Sven schaute dem Mädchen sehnsüchtig hinterher, Tessa hatte in seinen Augen wirklich etwas Reizendes an sich. Ihren langen glänzenden Haare, ihre leuchtend blauen Augen und ihre selbstbewusste Art, all das faszinierte ihn. „Gleich werde ich sie ansprechen!“, nahm er sich vor. Es dauerte einen Moment bis sie und ihre Mutter mit großen Boxen zurückkamen. Es duftete lecker nach Essen und Sven lief das Wasser im Mund zusammen. Sofort strömten die meisten Jugendlichen zu den Strohballen und setzten sich hin. Sven schaffte es  gerade so, einen Platz gegenüber von Tessa zu ergattern.

„Wir brauchen noch Hilfe, um die Getränkekisten nach oben zu tragen!“, rief Henriette gegen die laute Musik an. Fianna, Jannis, Lennart, Emily und ein weiterer Junge beschlossen beim Tragen zu helfen. Draußen war es bereits stockduster, der Wind fegte mit einer ungeheuren Kraft über den Hof und peitschte ihnen den Regen ins Gesicht. Fianna und die anderen beeilten sich, so schnell wie möglich wieder ins Trockene zu kommen. „Bah, ist das ein ekeliges Wetter!“, Emily schüttelte wie ein Hund das Wasser aus ihren gestylten Igelhaaren.

 „Ist dir auch schon aufgefallen, dass Sven mit Tessa flirtet?“, stupste Lotta Fianna an. „Ich habe ehrlich gesagt, noch nicht darauf geachtet“, gab sie zu und biss von ihrem Salamibaguette ab. Es schmeckte köstlich! Tessa und Sven schienen in ein angeregtes Gespräch vertieft zu sein, nach dem Essen stiegen sie zusammen die Leiter hinunter. Die Piranhas und auch die Rote Sieben warfen sich vielsagende Blicke zu. „Kümmert euch nicht um irgendwelche Beziehungsstories, lasst uns doch lieber tanzen!“, meinte Mathilda mit einem verächtlichen Seitenblick auf ihre Freunde und stürmte alleine die Tanzfläche. „Irgendwie ist Matti gerade angefressen“, stellte Emily fest. „Na klar, sie ist schon seit einiger Zeit in Sven verknallt und sie waren beinahe schon ein Paar, aber nun versucht Sven sich Tessa zu angeln“, erklärte Annemieke, die ihren Zwilling am besten kannte.

„Ich verstehe nicht, wieso Matti zuvor keine richtige Beziehung mit ihm wollte. Sie hätte sich ihn schon wesentlich früher schnappen können. Schließlich hat Sven lang genug um sie geworben, aber sie hat seine Liebe nicht richtig erwidert“, sagte Fianna. „Tja, versuch einer mal meine Schwester zu verstehen!“, seufzte Annemieke und stützte ihr Kinn auf ihre Hand. Mathilda ließ sich ihre Eifersucht nicht anmerken, stattdessen tanzte sie ausgelassen und zog Kiki mit auf die Tanzfläche. „Alle auf die Tanzfläche, Mathilda und Kiki machen es vor! Jetzt gibt es eine Polonäse“, rief Lukas in sein Mikro. Bald marschierte ein langer Lindwurm zur Musik über den Heuboden, sogar die fremden Gäste und die Schüchternen schlossen sich an. Judith, die zuletzt aufgestanden war, bildete das Schlusslicht und hielt sich an Antonias Schulter fest.

 Die Party nahm ein abruptes Ende. Einen Moment später tauchte Henriette mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck vor den tanzenden Jugendlichen aus. „Lukas mach bitte die Musik aus“, rief sie, „Ich muss euch etwas sagen“ Die Musik verstummte, nur das Heulen des Wind drang in die Stille. „Robert, Ricarda und Maximilian sind verschwunden, mit ihnen auch drei unserer Pferde“, sagte Henriette. „Ach du meine Güte!“, entfuhr es Tessa, die vor Schreck bleich wurde. „Ich suche sie seit einer Viertelstunde, aber sie scheinen nirgendwo auf dem Hof zu sein, sogar der Reitplatz ist menschenleer“, fuhr Henriette mit Sorgenfalten auch der Stirn fort. „Die Zwergnasen sind verrückt“, zischte Kiki leise, „Wie können sie nur bei diesem Wetter nach draußen gehen? Das ist viel zu gefährlich!“ „Miriam, weißt du wo sie sein könnten?“, fragte Tessa mit zittriger Stimme. „Nein, ich habe sie zuletzt vor einer Stunde gesehen“, schüttelte ihre Cousine den Kopf. „Ich habe mitbekommen, dass sie ausreiten heute Abend wollten“, meldete sich Svenja zu Wort, die neben Miriam auf dem Strohballen saß. „Die Drei haben sich bei mir nicht abgemeldet und ich hätte ihnen bei diesem Unwetter nie und nimmer eine Ausreiterlaubnis erteilt“, rief Henriette. „Welche Pferde fehlen?“, fragte Tessa. „Stina, das Pferd von Bob ist weg. Dann fehlen auch noch Lagsi und Arnaldur“, antwortete ihre Mutter.

„Was machen wir denn nur?“, Tessas Stimme klang so, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. „Wir müssen sie suchen, da hilft nichts“, sagte ihre Mutter. Hildegard, Tessas Tante, kam die Leiter hinauf geklettert. „Ich habe sie im Haus nirgendwo gefunden“, sagte sie. „Passt einmal auf! Wir werden jetzt mehrere Suchtrupps bilden. Gibt es Freiwillige unter euch oder welche, die auf gar keinen Fall mitgehen wollen?“, fragte Henriette. Vier Freundinnen von Tessa, Aylin, zwei Jungs, Miriam und Svenja verweigerten sofort ihre Mithilfe bei der Suche. Sogar Michael, der ziemlich heftige Kopfschmerzen hatte, bevorzugte es da zu bleiben. „Frau Klaasen, wir würden Ihnen auch gerne helfen“, sagte Jannis, „Aber leider können wir nicht reiten.“ „Am besten bildet ihr mit Robin, der sich hier gut auskennt einen Suchtrupp zu Fuß“, meinte Henriette. Robin bekam zwei große Taschenlampen und zog mit fünf Piranhas los. Drei weitere Partygäste schwangen sich auf ihre Fahrräder um die verschollenen Reiter zu suchen. Zum Schluss wurden zwei Suchtrupps zu Pferd eingeteilt. Mathilda, Lotta, Emily und Kiki ritten mit Henriette in die Dunkelheit hinaus. Fianna und Annemieke ritten zuletzt mit Tessa und Lukas vom Hof.

 „Wir müssen nur Hufabdrücke von vorigen Reitern ausfindig machen“, meinte Tessa und leuchtete mit ihrer Taschenlampe den Boden ab. „Das könnte genauso gut Henriettes Suchtrupp gewesen sein“, brummte Annemieke. Der starke Wind, der anscheinend immer kräftiger wurde, rüttelte  an Fiannas Jacke und die Regentropfen fühlten sich wie kleine Nadelstiche an. Der Hof in der Ferne war kaum noch zu erkennen, die beleuchten Fenster sahen aus wie verirrte gelbe Pünktchen, die nicht zu der düsteren Nacht passten. Bald entdeckten sie Hufabdrücke, die in den Wald hineinführten. Ein Ast knackte bedrohlich. In Fianna stieg die Angst hoch, auch Tessa und Annemieke zitterten vor Angst, aber auch vor Kälte. „Verdammt, wären die kleinen Quatschköpfe bloß nicht auf diese bescheuerte Idee gekommen! Sie haben mir den Geburtstag total versaut!“, Tessa weinte beinahe vor Wut. „Wollen wir wirklich in den Wald hineinreiten?“, fragte Annemieke ungläubig. „Wenn wir die Kröten finden wollen, dann müssen wir“, rief Lukas gegen den Wind.

Fianna merkte, dass Moala unruhig wurde, ihr war das Knarren der Äste nicht ganz geheuer. Annemieke trieb Kraki vorwärts und ihr Pferd merkte, dass sich seine Reiterin im Sattel verkrampfte und blieb auf der Stelle stehen. „Wo ist Annemieke?“, fragte Tessa beinahe panisch. „Micky!“, riefen sie zu dritt im Chor. „Ich bin hier, ich komme schon“, hörten sie Annemieke laut rufen, „Nur Kraki scheut vor herabstürzenden Zweigen.“ „Eigentlich ist es lebensgefährlich bei so einem Wetter im Wald zu reiten“, bemerkte Fianna und wärmte ihre klammen Finger an Moalas warmen Hals. Plötzlich war Wimmern zu hören, welches kurz darauf wieder verstummte. „Psst, seid kurz leise!“, raunte Lukas. Wieder hörten sie ein Geräusch, was sich nach einer Mischung aus Weinen und Rufen anhörte. Die vier Reiter riefen unterbrochen die Namen der Vermissten in den Wald hinein. „Hallo, wir sind hier am umgestürzten Baumstamm!“, rief ein dünnes Stimmchen aus der Finsternis zurück. „Bob, seid ihr es?“, brüllte Lukas gegen den Wind an. „Ja, bitte kommt und holt uns“, schrie sein Bruder. Langsam kamen die Stimmen näher. Aus der Distanz konnten sie sehen, wie einer der Vermissten mit einer Taschenlampe wedelte und wirre Muster in die Nacht hineinmalte. „Beeilt euch, Ricky ist vor einer halben Stunde gestürzt!“, schrie Maxi. „Ist sie verletzt?“, fragte Tessa besorgt. Es war nicht einfach den Weg durch das Baumlabyrinth zu finden.

 Schließlich tauchten die drei jüngeren Kinder vor ihnen auf. Tessa und Lukas stiegen ab und schritten auf Maxi und Bob zu. Annemieke und Fianna hielten ihre Pferde an den Zügeln fest. „Wo ist Ricky?“, fragte Tessa. „Wir haben sie dort auf einen Baumstamm gesetzt“, antwortete Bob. Im Lichtkegel von Lukas Taschenlampe erschien eine kleine Kreatur, die zusammengesunken auf dem Stamm saß. „Ricky, ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Tessa und legte dem kleinen Mädchen die Hand auf dem Rücken. Ricarda hob schniefend den Kopf. „Ich habe einen Zweig auf den Kopf bekommen und Lagsi hat vor Schreck einen Satz gemacht. Ich konnte mich nicht halten und bin gestürzt“, schluchzte das kleine Mädchen. „Wo tut es denn weh?“, fragte Tessa. Ricarda zeigte wimmernd auf ihren rechten Knöchel. „Kannst du auftreten?“, wollte Lukas wissen. „Nein, es tut so weh“, schniefte Ricarda. „Versuche deinen Fuß, damit wir ausschließen können, dass er gebrochen ist!“, befahl Tessa. Mit schmerzverzehrtem Gesicht bewegte Ricarda ihren Fuß in alle Richtungen. „Anscheinend ist er nur verstaucht“, stellte Tessa fest. „Wie kommen wir mit Ricarda zurück?“, fragte Fianna. „Wir müssen sie auf eines unserer Pferde hieven“, meinte Lukas und hob das kleine Mädchen hoch.

Tessa rief währenddessen ihre Mutter an, dass sie die Vermissten gefunden hatten. „Meine Mutter ist am Handy vor Erleichterung fast in Tränen ausgebrochen“, erzählte sie und half Lukas Ricarda in den Sattel seines Pferdes zu heben. Lukas nahm die Zügel in die Hand und führte das kleine Mädchen. Tessa schnappte sich Lagsis Zügel und führte den jungen Wallach, während sie auf Katla ritt. „Wie konntet ihr nur so leichtsinnig sein und bei diesem Wetter ohne Erlaubnis ausreiten?“, warf Tessa den Kindern vor. „Die Zwillinge haben mich zu einer Wette aufgefordert, ob ich mich trauen würde im Dunkeln und bei Sturm durch den Wald zu galoppieren“, berichtete Bob. „Das war ganz schön leichtsinnig von euch!“, schimpfte Lukas.

Auf dem Rückweg wurde kaum ein Wort geredet. Fianna fühlte sich vor Kälte steif wie ein Ast und war kaum in der Lage sich zu bewegen. Auch Annemieke fiel es vor Müdigkeit sehr schwer sich im Sattel zu halten. Bald tauchten die Lichter des Hofes auf. Fianna sehnte sich sehr nach ihrem warmen Bett. Bald kam die Straße und das Ziel rückte langsam näher. Auf dem Hof standen viele Leute, die aufgeregt durcheinander redeten. „Da seid ihr endlich!“, rief Kiki und eilte ihre Freundinnen zu. „Wir waren bestimmt eine halbe Stunde vor euch da“, sagte Lotta. „Wo sind eigentlich die Piranhas? Wollten sie sich nicht von uns verabschieden?“, fragte Annemieke. „Svens Vater kam gerade eben und hat sie abgeholt“, antwortete Mathilda. „Hey, nicht träumen, wir müssen unsere Pferde absatteln und putzen“, rief Tessa Fianna zu. „Robert, Ricarda und Maximilian, ihr steigt ab und macht euch sofort auf den Weg in eure Betten“, Henriette trat vor die drei kleinen Ausreißer, „Wir werden eure Pferde wegbringen, aber die Standpauke gibt es morgen und denkt bloß nicht, dass das Donnerwetter ausfällt.“

„Ich kann nicht laufen, ich habe mir den Fuß verknackst als ich gestürzt bin“, Ricardas Stimme zitterte. Henriette half ihr aus dem Sattel und setzte sie auf die nächste Bank. Fianna schaffte es gerade noch, Moala zu putzen und sie wieder auf die Koppel zu bringen. Beinahe fielen ihr im Gehen die Augen zu. „Ich werde morgen garantiert Muskelkater haben! Mir tut jeder Knochen und jeder Muskel weh“, jammerte Annemieke und lehnte sich erschöpft gegen die Stalltür. „Soll ich dich in unser Zimmer tragen?“, bot ihre Zwillingsschwester an. „Nein, nicht nötig! Ich kann noch selber laufen, Schwesterherz!“, erwiderte Annemieke gähnend.

 Es war bereits kurz vor Mitternacht als die sieben Freundinnen in ihren Betten lagen und sich in ihre warmen Decken kuschelten. Die Zwillinge und Fianna schliefen innerhalb von wenigen Minuten wie Murmeltiere. Auch Kiki schlief ziemlich schnell ein. Lotta, Aylin und Emily unterhielten sich leise. „Ich kann bei diesem Geheule nicht schlafen!“, wisperte Emily. „Mir kommt es auch beinahe so vor, als käme gleich ein Geist durch die Decke geschwebt“, flüsterte Aylin und ihre Stimme nahm einen gruseligen Ton an. „Aylin, hör auf mit so einem Kinderkram. Ist es möglich in unserem Altern noch an sowas zu glauben?“, stöhnte Lotta genervt. „Dass du immer so schnell Angst haben musst, bleibt mir ein Rätsel!“ „Aylin hat Recht, morgen ist Halloween“, meinte Emily. Der Sturm war im Vergleich zum Abend noch stärker geworden. Der Regen prasselte auf das Dach und der Wind heulte wie eine Heerschar von Gespenstern. Aylin und Lotta taten sich schwer in Ruhe einzuschlafen, erst als sich das Unwetter draußen beruhigte, lagen sie genauso friedlich schlummernd in ihren Betten wie ihre Freundinnen. Es war ihre vorletzte Nacht und kein Bandenmädchen hatte Lust bald wieder abzureisen, gerade wo es so schön war.

Eine gute Nachricht für Emily

 

Beim Frühstück klingelte Emilys Handy. „Ich gehe kurz vor die Tür, bin gleich wieder da“, sagte sie zu ihren Freundinnen und eilte mit schnellen Schritten zur Tür hinaus. Ricarda saß bedröppelt auf ihrem Stuhl und rührte lustlos in ihren Cornflakes. Ihr Zwillingsbruder und Bob sahen nicht viel glücklicher aus. Svenja und Miriam versuchten ihre Freunde aufzumuntern, aber offensichtlich ohne Erfolg.

„Wahrscheinlich haben die Zwerge gerade ihren verdienten Einlauf bekommen“, vermutete Mathilda und musste unwillkürlich grinsen. „Das könnte man meinen“, nickte Fianna. Tessa gesellte sich zu ihnen und setzte sich auf Emilys Stuhl. „Die Kleinen mussten sich gerade eine Standpauke von Mama über sich ergehen lassen und haben bis zum Ende ihres Aufenthaltes hier Reitverbot bekommen. Aber Ricarda kann mit ihrem verstauchten Knöchel sowieso nicht reiten. Bob hat insgesamt eine Woche Stallarbeit aufgebrummt bekommen“, erzählte sie. Die Rote Sieben war zufrieden, endlich hatten die kleinen Nervensägen ihre gerechte Strafe bekommen. „Es war auch mal Zeit, dass ihnen einer zeigt, wo es lang geht“, fand Kiki und biss von ihrem Brötchen ab. „Ich fand es toll, dass ihr den Plagen die Grenzen aufgezeigt habt. Zuvor hat es sich noch kein Ferienkind getraut sich gegen diese Bestien zu wehren“, sagte Tessa voller Anerkennung und goss sich ein Glas Orangensaft ein. „Aber ohne deine Hilfe hätten wir es auch nicht geschafft“, meinte Lotta und zwinkerte ihr freundschaftlich zu.

Vor Freude rot im Gesicht kam Emily wieder zurück an ihren Tisch gestürzt. Mit großen Augen guckten ihre Freundinnen sie an. „Ich bin seit wenigen Stunden große Schwester, Papas Freundin Pat hat heute Nacht einen kleinen Jungen namens Johann zur Welt gebracht“, verkündete Emily. Nach und nach gratulierten ihr ihre Freundinnen und freuten sich mit ihr. „Nun bist du kein Einzelkind mehr“, bemerkte Mathilda. „Ich kann es nicht abwarten wieder zuhause zu sein und den Kleinen zu sehen, egal wie schön es hier ist“, rief Emily strahlend. Tessa verschwand kurz in die Küche und kam mit einem Teller Plätzchen wieder. Die Geburt von Emilys Halbbruder musste gefeiert werden.

 Am Vormittag verteilte Henriette Aufgaben an die Ferienkinder, nur Bob, Ricarda und Maxi mussten im Bett bleiben, da sie sich gestern bei ihrem nächtlichen Ritt verkühlt hatten. „Das ist ganz schöner Luxus für sie, wenn sie auch noch im Bett liegen können und Tee mit Honig serviert bekommen“, schnaubte Kiki und schob mit ihrer schweren Mistgabel einen großen Haufen Stroh beiseite. Fianna suchte mit den Zwillingen, Svenja und Miriam im Hühnerstall nach Eiern und gab dem Federvieh ihr Futter. „Ohne Ricarda sind sie viel netter“, flüsterte Mathilda ihrer Schwester ins Ohr. „Wollt ihr euch heute Abend wenigstens mit uns vertragen?“, bot Fianna an. „Wir hätten nichts dagegen“, meinte Svenja, „Ich fand es sowieso ätzend sich die ganze Zeit neue Streiche und Gemeinheiten auszudenken.“

„Heute ist Halloween“, fiel es Miriam mit leuchtenden Augen ein, „Es wäre genial eine Gruselparty auf dem Heuboden zu feiern, das wäre der perfekte Rahmen dafür.“ „Die Idee ist toll, aber wie soll Ricky mit ihrem Fuß die Leiter zum Heuboden hinaufklettern?“, lenkte Svenja ein. „Es ist ganz einfach, Svenni!“, meinte Miriam, „Es wird bestimmt einen kräftigen Jungen geben, der sie hinauftragen kann“ „Und der heißt Lukas“, brachte Mathilda den Satz fertig. „Aber wenn ihr wollt, dass Lukas das für Ricarda tut, müsst ihr heute sehr freundlich zu ihm sein“, meldete sich Annemieke zu Wort. „Keine Sorge, Ricky hat vor dem Schlafen hoch und heilig versprochen den Rest der Ferien brav wie ein Lamm zu sein. Schließlich habt ihr sie aus dem Wald gerettet“, sagte Svenja.

Beim Mittagessen schlossen die Zwerge mit der Roten Sieben Frieden und die großen Mädchen erkannten ihren Bandennamen „Die Stallpiraten“ offiziell an. „Ich weiß nicht, ob ich zur Halloweenparty kommen kann“, sagte Ricarda geknickt. „Mein Fuß tut immer noch so doll weh, dass ich kaum auftreten kann.“ „Wir fragen Lukas, ob er dich die Leiter zum Heuboden hinauftragen kann“, sagte Kiki tröstend. „Versprochen?“, fragte das kleine Mädchen mit dünner Stimme. „Versprochen!“, antwortete die Rote Sieben im Chor.

 Am Nachmittag ließ sich die Sonne zum ersten Mal blicken, pünktlich zum großen Strandritt. Tessa macht Fianna ein großes Geschenk und ließ sie Katla reiten. Katla war Fiannas Lieblingspferd. „Ich weiß, dass ich sie als allererstes vermissen werden, wenn wir wieder nach Hause fahren werden“, dachte sie  wehmütig und versuchte den Gedanken der Abreise aus ihrem Kopf zu verdrängen. Fianna schloss ihre Augen und fing die warmen Strahlen der Herbstsonne ein, aber die Luft war dennoch ziemlich kühl. Das Meer war vom Sturm der letzten Nacht immer noch ziemlich aufgewühlt und weißer Schaum wurde an den Strand gespült. Zudem lag viel Geröll, das letzte Nacht angeschwemmt wurde und ein toter Vogel, im Sand.

Lotta hatte ausnahmsweise wieder ihre Cam dabei und filmte, wie Fianna, Tessa, Aylin und Svenja durch das Wasser ritten. Die Tage waren wirklich wie im Fluge vergangen, fand Fianna. Sie sog die salzige Luft tief ein und konzentrierte sich nur auf das Schreien der Möwen. Es wurde ein fröhliches Lied angestimmt und bald sang die ganze Reitgruppe mit. Aylin mit ihrer glockenhellen und schönen Stimme war kaum zu überhören. „Lasst Aylin alleine singen!“, rief Annemieke, „Sie hat im letzten Schuljahr sogar den Talentwettbewerb an unserer Schule gewonnen.“ Aylin sang das Lied, mit dem sie den Preis vor ein paar Monaten abgeräumt hatte. Alle lauschten gebannt und kein Wort wurde gesagt. „Bravo!“, rief Sabrina, „Das Lied kenne ich auch und ich liebe es!“ Die übrigen Reiter klatschten Beifall. „Vielleicht kann Aylin heute Abend ein paar Halloweenlieder singen“, schlug Miriam vor. „Aber ich kann kein Halloweenlied auswendig“, gab Aylin zu und schaute unsicher in Fiannas Richtung. „Keine Panik, Aylin!“, beruhigte Fianna ihre beste Freundin, „Ich habe zufällig ein Buch dabei, in dem einige Halloweenlieder drin stehen.“

„Ich könnte meine Halloweenlaternen aufhängen, die ich gebastelt habe“, mischte sich Dora begeistert ein. „Offenes Feuer auf dem Heuboden ist wirklich keine gute Idee“, lehnte Tessa ab, „Nachher fackelt uns noch der ganze Stall ab.“ Dora ließ ihre Mundwinkel nach unten hängen. „Wir haben doch noch Teelichter, die mit Batterie betrieben werden“, lenkte Lukas ein, „Die sind ganz ungefährlich und somit können wir doch Doras Laternen aufhängen.“ Das kleine Mädchen strahlte wieder und tätschelte Artorkas Hals. Tessa fiel ein, dass sie zuhause Girlanden und schwarzorange Luftschlangen noch vom letzten Jahr hatten. „Warum trödelt ihr so, wir müssen um sieben Uhr wieder zuhause sein!“, rief Henriette aus der Ferne. Die Reitgruppe bog in einen Weg ein, der in den Wald führte. „Könnten wir die Zeit nicht wieder zurückdrehen!“, seufzte Mathilda und gab Svalur einen sanften Klaps. „Du bist nicht die Einzige, die länger bleiben will. Ich werde Kraki schrecklich vermissen“, meinte ihre Zwillingsschwester und fügte hinzu, „Aber dennoch sollten wir dem Abschied nicht entgegentrauern und die letzten Augenblicke aus vollem Herzen genießen.“ „Oh verdammt, mir fällt gerade ein, dass ich nur zweimal in meine Bücher geschaut habe“, fiel es Emily ein, „Mama wird mich umbringen, wenn ich genauso dumm bin wie vorher.“ „Mach dir nichts draus, wir können in Zukunft zweimal pro Woche zusammen lernen und dann wirst du Mathe und Englisch auch aus dem FF beherrschen“, munterte Annemieke sie auf. Emily strahlte, auf ihre beste Freundin war immer Verlass. In der Ferne kam der Hof in Sicht, Fianna spürte, wie schwermütig sie wurde und wollte nie wieder von Katla absteigen. 

Traurig brachte Fianna Katla auf die Weide und schmuste einige Minuten mit dem Pferd, bevor es zu den anderen Pferden trottete. Ihre Freundinnen halfen dabei, die Scheune für die Party herzurichten. Es fing leicht an zu nieseln und Aylin zog sich mit sich ins Haus. Nachdem sie sich umgezogen hatten, gab es Abendessen. Ira hatte das Lieblingsessen aller Ferienkinder zubereitet und im ganzen Erdgeschoss roch es nach Pizza. Die Rote Sieben gingen geschlossen zu ihrem Tisch. „Ich werde doch zur Halloweenparty kommen“, rief ihnen Ricarda entgegen, „Wenn ich schon nicht am Ausritt teilnehmen konnte, werde ich zumindest bei der Party dabei sein.“ „Das freut uns“, sagte Lotta. „Ich habe noch eine Überraschung für euch und die anderen Kinder. Als ihr ausreiten wart, standen Maxi, Bob und ich mit Ira in den Küche, aber die Überraschung bekommt ihr erst nach dem Abendessen zu sehen“, fuhr Ricarda fort und pustete sich eine helle Locke aus ihrem Gesicht.

Das Abendessen schmeckte allen sehr gut und manche Ferienkinder nahmen sich so oft nach, bis ihnen beinahe schlecht wurde. Gegen halb Neun wurden Kisten mit Leckereien und Getränken auf den Heuboden geschleppt. Die Strohballen standen noch genauso wie gestern. Als die anderen Kinder hineingelassen wurden, drang leise Musik aus dem CD-Player und der Heuboden wurde nur von Doras Laternen und zwei Plastikkürbissen matt beleuchtet. Lotta war dabei ihre Cam zum filmen einzustellen, als Ricarda von Lukas die Leiter hinauf getragen wurde. „Macht einmal den großen Pappkarton auf“, sagte sie zu ihren Freunden und den anderen Ferienkindern. Svenja öffnete den Karton und lauter Halloweenmuffins mit Schokoglasur kamen zum Vorschein. Obwohl die meisten noch satt vom Abendbrot waren, schaffte Jeder mindestens einen Muffin.

Die beiden Zwillingspärchen und Julian lieferten sich ein Wettessen. Annemieke gab nach zweieinhalb Muffins auf. Sie hatte noch zu gut in Erinnerung, wie unangenehm es sein konnte sich zu überfressen. Damals auf der Klassenfahrt wurde ihr von drei Tellern Tortellini ziemlich schlecht und das gleich auch noch am ersten Tag. Ricarda schaffte es fünf kleine Muffins zu verdrücken und verrenkte sich dabei ihren Magen. „Aaahh, eine Ratte!“, quiekte Andrea und zog ihre Beine hoch. „Ach, das war nur eine Maus!“, sagte Lukas lässig. „Soll ich euch noch eine Gruselgeschichte erzählen?“, fragte Melanie, die zuvor noch nichts gesagt hatte. „Eine Gruselgesichte passt gut, dass würde ein bisschen für Stimmung sorgen“, nickte Mathilda und grinste spitzbübisch. Schon als kleines Kind liebte sie es, sich zu gruseln und schrieb bis sie zehn Jahre alt war selbst gerne Gruselgeschichten.

Fianna bekam, als sie Melanies dunkler Stimme lauschte tatsächlich eine Gänsehaut. Seit sie in der dritten Klasse war, glaubte sie nicht mehr an Gespenster, aber Melanie schien den Geist aus ihrer Geschichte direkt auf den Heuboden neben sich zu zaubern. Auch Aylin, Lotta, Tessa, Bob und Sabrina trugen ihre Gruselgeschichten vor, aber niemand schaffte es Melanie zu toppen. „Was ist das?“, panisch zeigte Dora in Richtung Leiter. „Seid mal alle ganz leise!“, flüsterte auch Sabrina. Ein leuchtendes Gewand kam den Heuboden hinaufgeklettert. Einige jüngere Kinder schrieen entsetzt auf und versteckten sich im Stroh. Aylin hielt Fiannas Hand fest, obwohl sie versuchte gelassen zu wirken. Das Gespenst streifte sein Gewand ab und Hildegard kam zum Vorschein. In der Hand hielt sie eine Taschenlampe. „Ich wollte schauen, ob es mir gelingt euch einen Schrecken einzujagen. Aber in Wirklichkeit wollte ich nur nach dem Rechten gucken. Die Kleinen müssen um halb Zehn ins Bett“, lachte Hildegard. „Das hast du gut gemacht, Tante!“, bemerkte Lukas anerkennend.

 Nun trat Emily nach vorne und bat um Aufmerksamkeit. „Da heute Morgen mein Halbbruder geboren wurde, möchte ich zur Freude des Tages Schokobonbons austeilen“, sagte sie und ließ die Tüte rum gehen. Jedes Kind nahm sich zwei Bonbons und einige kamen zu ihr, um zu gratulieren. Sogar Ricarda fand freundliche Worte. „Maxi und ich haben auch eine kleine Schwester. Sie heißt Nora, aber sie ist erst zwei“, erzählte sie. „Sie geht noch nicht einmal in den Kindergarten.“ „Habt ihr noch Geschwister?“, fragte Maxi Annemieke und Mathilda. Die beiden Schwestern schüttelten die Köpfe. „Wir haben nur uns, aber das reicht auch“, meinte Mathilda, „Schließlich kann selbst der eigene Zwilling einen ziemlich auf den Zeiger gehen.“

„Das will ich nicht gehört haben?“, rief Annemieke empört. „Was soll ich dann zu deiner Unvernunft und zu deinem losen Mundwerk sagen?!“ „Ich habe auch einen Zwilling, aber einen Zwillingsbruder! Er heißt Tom, aber leider ist er nicht hier“, rief Fianna dazwischen. „Wow, irgendwie hat hier fast jeder einen Zwilling“, lachte Miriam. Um kurz vor zehn kam Henriette, um die Kleinen einzusammeln. Die Rote Sieben hatte keine Lust alleine weiter zu feiern und ging ebenfalls auf ihr Zimmer. Es klopfte an der Tür und Tessa stand in einem Jogginganzug vor ihnen. „Hoffentlich habt ihr nichts dagegen, dass ich mich noch einen Augenblick zu euch geselle. Leider fahrt ihr Morgen schon wieder, was ich jammerschade finde“, meinte sie und schlüpfte durch die Tür. Sie setzte sich auf das Sofa, welches an der gegenüberliegenden Wand stand und von den Mädchen nur als Kleiderablage genutzt wurde. Die Zwillinge setzten sich sofort neben sie. „Hey, macht noch ein bisschen Platz!“, rief Lotta. „Passen wir hier auf noch drauf?“, fragte Kiki.

Sie schafften es doch, sich zu acht auf das alte Ledersofa zu quetschen, allerdings musste Kiki auf Emilys Schoß sitzen und Aylin saß auf Fianna. „Tessa, ich habe noch ein Geschenk für dich. Wenn du die Augen schließt, öffnet sich meine Hand“, Kiki hielt ihr die geschlossene Faust hin. „Ui, das ist vielleicht ein tolles Armband“, Tessa hielt es in der Hand, als wäre es für sie Millionen wert. Annemieke half ihr dabei das Freundschaftsband um ihr Handgelenk zu binden. „Du bist ab sofort Ehrenmitglied der Roten Sieben. Dieses Armband ist unser Bandenzeichen“, fuhr Kiki fort. „Das ist für mich eine große Ehre! Ich werde es als Andenken an euch tragen“, verlegen und fröhlich zugleich lächelte Tessa die sieben Bandenmädchen an. Sie hatte nie im Leben damit gerechnet, dass sie als Ehrenmitglied aufgenommen wurde, aber in den letzten Tagen bekam sie immer mehr das Gefühl, dass die sieben Bandenmädchen zu ihren Freundinnen geworden waren. „Leider ich kann doch nicht zu euren Bandentreffen kommen“, bemerkte Tessa.

„Gib mir deine E-Mail-Adresse und ich füge dich zu unserem Bandenchat hinzu“, sagte Kiki. „Dann kann ich in Zukunft doch noch mit euch in Kontakt bleiben“, strahlte Tessa. „Aber ich werde Mama überreden, dass sie euch nächstes Jahr noch einmal einlädt.“ „Wir müssen unbedingt wiederkommen!“, rief Mathilda, „Notfalls würde ich sogar mein ganzes Konto räumen, damit wir hier noch einmal hinfahren können.“ „Nein, ich werde das Geld, was mir meine Großeltern geben pro Monat auf ein Extrakonto tun und davon finanziere ich uns den nächsten Reiturlaub hier“, funkte Lotta dazwischen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, Montag wieder zur Schule zu gehen“, stöhnte Emily. „Ich schließe mich dir an, die Tage ohne blöde Lehrer, Hausaufgaben, Klassenarbeiten und nervigen Zicken  waren ziemlich erholsam“, meldete sich Aylin zu Wort.

 Die Freundinnen packten schnell einige ihrer Sachen in ihre Koffer und gingen um Mitternacht ins Bett. Fianna konnte in dieser Nacht sehr schlecht schlafen, da sie ununterbrochen an die Abreise denken musste. Am liebsten hätte sie sich ein Leben lang mit ihren Freundinnen hier auf dem Dachboden eingemietet. Vor Müdigkeit schlief sie doch noch ein, träumte von langen Ausritten mit Katla am Strand. Zuhause gab es kein Meer, keinen Strand, keine schreienden Möwen und vor allem keine Katla. Fianna wurde wach, kurz bevor ihr Wecker klingelte und fing an eilig ihre Sachen in ihren Koffer und in ihren Rucksack zu stopfen. Ihre Freundinnen schienen immer noch zu schlafen, Mathilda atmete mit offenem Mund und Emily schnarchte leise. Hastig zog sich Fianna an und schlüpfte aus dem Zimmer. Sie wollte im Morgengrauen alleine an den Zaun gehen und nach den Pferden Ausschau halten.

Abschied nehmen ist schwer

Im Gemeinschaftsraum herrschte Todesstille, niemand war glücklich darüber, dass der Reiturlaub vorbei war. Ricky knabberte lustlos an ihrem Knäckebrot mit Frischkäse und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Nur Dora freute sich, ihre Mutter nach knapp zwei Wochen wieder zu sehen. Fianna schaffte es, nur ein halbes Brötchen an diesem Morgen herunter zu würgen, ihren Freundinnen ging es nicht anders. Fast überall blieben die Brotkörbe bis zur Hälfte gefüllt. Nur Julian und zwei andere Mädchen hatten richtig Appetit. An einem Tisch musste Andrea von Henriette und Tessa getröstet werden.

„Bevor wir gehen, müssen wir uns unbedingt von den Pferden verabschieden und sie mit Äpfeln verwöhnen“, sagte Mathilda und nahm noch einen Schluck Multivitaminsaft. „Ich bin dafür, dass wir uns von allen Hoftieren verabschieden, schließlich hatten wir auch mit der Hofkatze, den Ziegen und den Hühnern unseren Spaß“, meinte ihre Zwillingsschwester. Fianna brachte ihr Geschirr weg und rannte in ihr Zimmer, um sich die Haare zu kämmen und sich die Zähne zu putzen. Schnell zog sie sich ihre dicke Jacke und ihre Schuhe an und sprintete wieder nach unten. Ira gab den Mädchen einen Eimer voller Äpfel mit auf den Weg.

 Kiki und Lotta kamen als Letzte aus dem Haus gestürzt und rannten zu ihren Freundinnen, die am Zaun standen und die Namen ihrer Lieblingspferde riefen. Sie blieben eine Weile ruhig stehen und ließen ihren Blick über die Weide schweifen. Die Sonne stach durch den Nebel und hüllte die Weide in ein magisches Licht ein. Zwei Rehe tauchten auf und verschwanden schnell wieder in den Nebelschwaden. „Ich wäre hier so gerne bis zum Ende meines Lebens“, seufzte Annemieke. Obwohl ihr zum Heulen zumute war, brachte sie ein Lächeln über ihre Lippen. Endlich kamen vier Pferde näher.

Aus dem Dunst heraus konnte Fianna Katla, Kraki, Fafnir und Svalur erkennen. Kiki streckte ihre Hand mit einem Apfel aus und schnalzte mit ihrer Zunge. Fafnir registrierte es blitzschnell, das Mädchen Leckereien dabei hatten und holte sich den Apfel von Kikis Hand. Es kamen immer mehr Pferde, jedes Mädchen suchte sich sein Lieblingspferd und nahm persönlich von ihm Abschied. Fianna gab Katla gleich drei Äpfel und bald war der ganze Eimer leer. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, nicht mehr hier zu sein“, sagte sie leise und musste fast weinen. Mathilda riss ein paar Witze, um ihre Freundinnen zum Lachen zu bringen. Aber ihre Witze schlugen in dem Moment nicht an.

„Hey, wollen wir uns nicht von den anderen Tieren verabschieden?“, fragte Annemieke und streckte Kraki ein letztes Grasbüschel hin. Sie drehten eine Runde über den Hof und sagten den Ziegen und allen anderen Tieren Lebewohl, bevor sie wieder am Zaun ankamen. „Ach, da seid ihr?“, Tessa kam schnaufend auf sie zu gerannt. „Mama sagt, dass ihr euch beeilen müsst, in zehn Minuten müssen wir losfahren“, sagte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. Fianna und sogar die taffe Kiki verdrückten ein paar Abschiedstränen, als sie die Pferde zum letzten Mal streichelten. Freya, Arnaldur und Tjara steckten ihre Köpfe in das dichte Gras und musterten die Mädchen gleichgültig, als wäre ihnen ihr Abschied egal.

 Die Bandenmädchen sahen wie Andrea in das Auto ihrer Mutter stieg und davon fuhr. Als nächstes kamen die Eltern von Maxi und Ricarda in einem großen schwarzen Mercedes auf den Hof gerollt. Eine Frau mit blonden Locken öffnete den Kofferraum und ein großer Hund, der Annemieke fast zu Tode erschreckte, sprang heraus. „Kommt Mädchen, wir müssen sofort los. Die Koffer liegen im Bulli!“, rief Henriette laut. Die Mädchen verabschiedeten sich kurz von Lukas und den Ferienkindern, die noch da waren. Tessa bettelte so lange, bis sie doch noch im Bulli mitfahren durfte. Hildegard übernahm die Rolle als Verabschiedungskommando, solange Henriette nicht da war.

Lange schauten sie den Pferden und dem Hof nach. Es tat weh Abschied vom Klaasenhof zu nehmen, auf dem sie die besten Ferien ihres Lebens verbracht hatten. „Wir kommen wieder! Aber dann vielleicht im Frühling oder im Sommer“, schwor sich Mathilda und strich eine Locke aus ihrem Gesicht. „Aber zuvor schreiben wir Tessa, Henriette und Lukas eine Karte aus Freudenburg.“ „Und ich werde sie auf jeden Fall in den Osterferien einladen“, sagte Fianna. „Tessa, du musst unbedingt unseren Wohnwagen sehen“, meinte Emily, „Mein Vater hat ihn mir vor einem halben Jahr geschenkt und seitdem ist er unser Bandenquartier.“

„Hm, das klingt sehr interessant“, murmelte Tessa. Auf jeden Fall werde ich euch nächstes Jahr besuchen kommen, auch wenn ich über 700 km fahren muss, bis ich bei euch bin.“ „Uns steht auch eine Bahnfahrt bevor, die über sieben Stunden dauert“, seufzte Kiki, „Aber trotzdem war die Reise hier hin ein echt tolles Erlebnis und hat mir die besten Ferien meines Lebens beschert.“ 

Am Bahnsteig wischte sich Tessa schnell die Tränen von der Wange und versuchte zwanghaft zu lächeln. „Macht’s gut und hoffentlich hören wir bald voneinander“, sagte sie mit belegter Stimme und umarmte jedes Bandenmädchen zum Abschied. „Achtung, bitte halten Sie Abstand von den Bahngleisen! Der Regionalexpress 401 nach Hamburg rollt ein! Wir wünschen Ihnen eine gute Reise“, ertönte eine Ansage. Wenig später hielt der Zug mit quietschenden Bremsen. Die Türen gingen auf und bevor die Mädchen einsteigen konnten, mussten sie viele andere Reisende aussteigen lassen. Henriette half ihnen beim Schleppen ihrer Koffer und verließ eilig das Abteil.

Mathilda öffnete das Fenster und lehnte sich nach vorne. „Auf Wiedersehen! Vielen Dank für die fantastischen Ferien!“, rief sie Henriette und Tessa zu, die auf dem Bahnsteig standen. Bald guckten sieben Bandenmädchen aus dem Fenster und winkten heftig. Sie winkten solange, bis beinahe ihre Hände abfielen. Der Zug setzte sich in Bewegung, der Fahrtwind zerzauste ihre Haare.

„Tschüüüüüsssss!“, riefen sie laut im Chor. Bald waren Tessa und ihre Mutter nicht mehr zu sehen. Sie setzten sich auf ihre Plätze und schlossen das Fenster. Fianna war immer noch ein wenig traurig, aber jedes Mal, wenn sie an die schöne Zeit zurück dachte, stieg in ihr unbändige Freude hoch. „Greift rein!“, Emily öffnete eine Tüte Gummibärchen und ließ sie herum gehen.

Extra: Fiannas Tagebucheintrag vom 3. November

Liebes Tagebuch!

Heute Nachmittag am letzten Ferientag waren wir bei Lotta eingeladen, um den Film von unserem Reiturlaub zu gucken. Als ich in das Wohnzimmer kam, hatten sich bereits die Zwillinge und Emily auf den teuren Polstermöbeln breit gemacht. Ich machte es mir zwischen den Zwillingen bequem. Lottas Mutter bekam diesmal keinen Herzinfarkt, als wir zu siebt ihr Wohnzimmer enterten. Ganz im Gegenteil sie brachte uns sogar zwei Tüten Chips, einen Eimer voll Popkorn und eine Kiste Limonade. Nur manchmal störte Lottas kleiner Bruder, aber wir warfen ihn raus, sobald er Krach machte und Legosteine in unsere Richtung warf. Lottas Film ist echt brillant, ich fühlte mich für fast anderthalb Stunden wieder auf den Reiterhof zurück versetzt. Besonders lustig waren die Szenen, die die Zwerge gedreht hatten, als sie ihre Cam „geborgt“ hatten. Wir bogen uns vor Lachen und hatten Lachtränen in den Augen. Mir machte es nichts aus, dass ich einmal mit rot geweinten Augen zu sehen war, als ich Liebeskummer wegen Lukas hatte. Aber am besten haben mir dennoch die Ausritte an den Strand und das Zusammensein mit vielen tollen Leuten gefallen. Die Ausritte, die Partys auf dem Heuboden, die Pferde, die ganzen Streiche, den Bandenkrieg mit den Kleinen und die nächtliche Suchaktion werde ich nie in meinem Leben vergessen. Kiki versprach ein Erinnerungsplakat mit vielen Fotos zu machen, welches sie im Wohnwagen aufhängen wollte.

Am späten Abend telefonierte ich eine Stunde mit Tessa, die direkt nach dem Abendbrot anrief. Sie erzählte mir, dass sie uns sehr vermisste und es auf dem Hof ohne Ferienkinder sehr ruhig war. Sie musste genauso wie wir morgen wieder zur Schule und hat darauf genauso wenig Lust wie ich. Bevor sie auflegte, versprach sie mir bald eine Karte zu schicken. Kurz bevor ich Schlafen ging, packte ich meine Tasche und warf einen Blick auf meine Bücher, denen ich seit zwei Wochen keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Trotz allem war ich mehr als glücklich die besten Freundinnen dieser Welt zu haben, mit denen man alles erleben konnte.

 

Gez. Fianna  

 

Rezept: lustige Halloweenmuffins mit Kürbisfratzen

Für 12 Stück

Zutatenliste:

  • 150g weiche Butter
  • 125g Zucker
  • 1 Päckchen Vanillezucker
  • 3 Eier
  • 50g Schokotropfen
  • Halbes Päckchen Backpulver
  • 200g Schmand

Zum Verzieren der Muffins

  • orange und grüne Lebensmittelfarbe
  • 1 EL Aprikosenmarmelade oder andere gelbe Marmelade
  • 100g Puderzucker
  • 1 TL Zitronensaft
  • Etwas Wasser
  • Braune oder rote Zuckerschrift (Dr. Oetker)

 

So geht’s

Zuerst trennt ihr die Eier und dann schlagt ihr Butter, Zucker, Vanillezucker und 1 Eigelb in einem hohen schmalen Gefäß schaumig. Nun das Eiweiß und die anderen beiden Eigelbe dazu geben und gut umrühren. Anschließend kommen nach und nach der Schmand, das Mehl, das Backpulver und die Schokotropfen dazu. Nun rührt ihr den Teig geschmeidig und füllt ihn in die vorher gefetteten Förmchen, die zu ¾ befüllt werden sollen. Die Muffins nun bei 170-180 Grad (Umluft) für 30 Minuten backen.

In der Zwischenzeit könnt ihr die Glasur ansetzen, indem ihr Puderzucker und Zitronensaft mit ein wenig Wasser vermischt. Den Großteil der Glasur färbt ihr mit oranger Lebensmittelfarbe ein, den kleineren Teil mit grüner Lebensmittelfarbe. Die Marmelade macht ihr ein wenig in der Mikrowelle warm und bestreicht damit hauchdünn die Muffins. Dann bepinselt ihr die Muffins mit dem orangenen Zuckerguss und malt mit dem grünen Guss die Stielansätze. Mit brauner oder roter Zuckerschrift aus der Tube könnt ihr den Muffins schauriglustige Fratzen malen.

Happy Halloween und eure Halloweenparty kann kommen!

 

 

Widmung

 

Dieses Buch widme ich all meinen treuen Leser und Leserinnen sowie allen, die mich dazu inspiriert haben dieses Buch zu schreiben. Ebenfalls widme ich dieses Buch allen Bandenmädchen und denen, die es im Herzen sind.

 

Wir sind zudem auch noch zu finden bei

-Instagram: die_rote_sieben

-Facebook: Die Rote Sieben

-YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=zNzLspHmDTU

Impressum

Texte: © Svenni Ja 2013
Bildmaterialien: Svenni Ja 2013
Tag der Veröffentlichung: 04.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /