Cover

Widmung

 

Dieses Buch widme ich all meinen treuen Leser und Leserinnen sowie allen, die mich dazu inspiriert haben dieses Buch zu schreiben. Ebenfalls widme ich dieses Buch allen Bandenmädchen und denen, die es im Herzen sind.

 

 

Wir sind zudem auch noch zu finden bei

- Instagram: die_rote_sieben

- Facebook: Die Rote Sieben

- YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=zNzLspHmDTU

Wieder daheim!

Am späten Abend mitten in den Sommerferien saßen die Familie ter Steegen und ein paar Freunde der Eltern auf der Terrasse und schauten sich die Bilder von ihrem Urlaub an. Rouven ter Steegen, der Vater von den Zwillingen Mathilda und Annemieke, zeigte bereits zum zigsten Mal die Bilder von der Italienreise auf Mathildas Laptop. „Ich glaube, ich schlafe gleich vor Langeweile ein. Die Erwachsenen reden sowieso über Dinge, die mich gar nicht interessieren“, gähnte Mathilda und machte sich auf der Liege lang. „Ich wünschte, wir wären noch in Italien“, murmelte Annemieke bedrückt, „Ich vermisse jetzt schon die netten Leute, die fröhliches Lebensart, das blaue Meer, die Berge, das schöne Wetter und das leckere Essen“ „Seitdem wir seit drei Tagen wieder zuhause sind, ist mir nur noch langweilig“, stöhnte Mathilda.

 

Mehr als zwei Wochen waren die Zwillinge mit ihren Eltern im Wohnmobil durch Italien gereist. Sie waren in Rom, in der Vatikanstadt, haben Florenz besichtigt, sind im Mittelmeer geschwommen und haben sogar den Vesuv bestiegen. Zudem hatten sie einen jungen Italiener namens Alessandro kennen gelernt, in den sich beide Schwestern verliebt hatten, allerdings sprach er kein Deutsch und nur sehr wenig Englisch, schnell hatte sich Annemieke ein paar Worte Italienisch angeeignet und konnte sich ein wenig mit ihm unterhalten. Zusammen mit ihm und seinen besten Freunden Luca und Rafael hatten sie schöne Momente erlebt. Dahingegen das Zuhausesein ziemlich langweilig, obwohl sie sich auf das Wiedersehen mit ihren Nymphensittichen Piet und Klaas gefreut hatten. Leider waren auch alle ihre Freundinnen im Urlaub oder besuchten Verwandten, selbst Kim und Janet, mit denen die Zwillinge außerhalb ihrer Bande befreundet waren, waren in den Ferien. Zudem fand in den Sommerferien kein Reitunterricht, kein Hockeytraining und noch nicht einmal Musikunterricht statt. 

 

Die Hitze des Tages wollte nicht weichen und hing immer noch in der Luft. „Könntet ihr eben was zu trinken holen?“, fragte ihre Mutter, Samantha ter Steegen, die von allen nur Sammy gerufen wurden. Schwerfällig stand Annemieke auf und kam mit einer Flasche Wasser und einer Flasche Rotwein wieder. „Danke, Schatz!“, bedankte sich ihre Mutter, „Wollt ihr beide euch zu uns setzen, sonst wird euch noch langweilig. Annemieke setzte sich zwischen ihre Mutter und Margrit auf die Bank, während ihre Schwester auf der Liege eingeschlafen war. „Wie alt seid ihr jetzt?“, fragte Ulla Schwegler neugierig, „Ihr seid in den letzten Jahren so groß geworden und dabei kenne ich euch schon als ihr Babys ward“ „Wir werden in einem Monat vierzehn“, antwortete Annemieke. „Dann kommt ihr sicher in die siebte oder achte Klasse“, meinte Peter Brosinski. „Nein, wir kommen in die achte Klasse“, entgegnete Annemieke. Die Erwachsenen unterhielten sich weiterhin über Annemiekes Kopf hinweg über Themen, die ziemlich langweilig waren.

 

Deshalb beschloss Annemieke früh ins Bett zu gehen. So müde wie sie war, schlief sie sehr schnell ein und träumte von einem weißen Strand mit Palmen. Am nächsten Morgen wurde sie schon ziemlich früh von ihrer Schwester wach gerüttelt. „Aufstehen, das Wetter wird heute total schön“, rief Mathilda gutgelaunt, „Lass uns jetzt ins Freibad gehen“ „Lass mich weiter schlafen“, grummelte Annemieke und drehte sich wieder um. „Du alte Spielverderberin!“, schmollte Mathilda und streckte ihr die Zunge raus. „Der frühe Vogel kann mich mal und jetzt lass mich bitte in Frieden!“, grummelte sie und verbarg ihr Gesicht in ihrem Schmusekissen. Annemieke schlief wieder ein, sie war im Gegensatz zu ihrer Schwester eine Langschläferin. Das war längst nicht der einzige Unterschied zwischen den Schwestern. Beide sahen auf den ersten Blick ziemlich gleich aus, obwohl Mathilda ein winziges Stück größer und etwas kräftiger war als ihre Schwester. Auch ihre Charaktere unterschieden sich eindeutig voneinander. Annemieke war die ruhigere und sanftere von den Zwillingen, während Mathilda quirlig war, anderen Leuten unverblümt ihre Meinung sagte und einen großen Bewegungsdrang hatte.

 

Ihre Mutter beömmelte jedes Mal darüber, dass die Schwestern so unterschiedlich waren. „Mädels, es sind drei Karten für euch angekommen!“, rief ihre Mutter aus der Küche. Jetzt war sogar Annemieke hellwach und rannte mit ihrer Schwester die Treppe hinunter. „Lass uns mal sehen!“, sagte Mathilda neugierig, „Da ist eine Karte von Lotta, sie ist wohl gerade mit ihrer Familie auf Gran Canaria“ Die zweite Karte kam von Kiki, die mit ihren Vater und ihrem Bruder eine Kanutour in Schweden machte. Plötzlich schrie Annemieke vor Freude auf, „Das ist ja eine Karte von Alessandro, wie schön, dass er uns nicht vergessen“ „Gib mal her!“, rief ihre Schwester. „Nein, ich lese sie zuerst“, setzte sich Annemieke gegen ihre selbstbewusste Zwillingsschwester durch. „Wollt ihr nicht frühstücken?“, fragte ihre Mutter, „Ich habe euch extra einen Obstsalat gemacht und Brötchen aufgebacken“ „Gerne doch“, rief Mathilda und langte zum Brötchenkorb, „Selbst Schlafen macht bärenhungrig“ Ihre Mutter musste herzhaft lachen, „Du hast natürlich immer einen Bärenhunger“

 

 Den restlichen Tag verbrachten die Zwillinge im Freibad. „Warum musst du immer gebräunter sein als ich, Schwesterherz?“, murrte Mathilda, die sich schon eine halbe Stunde auf der Liegewiese sonnte und zupfte an ihrem blauen Bikini herum. Zwar wurden beide Schwestern im Sommer schnell braun, aber Annemieke war immer ein Tick dunkler als Mathilda und stahl ihrer Schwester die Show. „Tja, ich habe wohl mehr Durchhaltevermögen beim Sonnen in Italien gehabt, während du die ganze Zeit mit Alessandro geschwommen bist“, erwiderte Annemieke neckend und nippte an ihrem Eistee. „Ich finde dieses Schwimmbad ist nichts gegen das Mittelmeer“, seufzte Mathilda, „Ich will am liebsten zurück nach Italien, ich vermisse Alessandro schon richtig doll“ „Hast du dich etwas schon über beide Ohren in ihn verliebt?“, stichelte ihre Schwester. „Aber du!“, gab Mathilda schnippisch zurück.

 

„Lasst uns eine Runde schwimmen gehen!“, schlug Annemieke vor, „Wenn ich mich noch länger braten lasse, kriege ich noch einen Hitzekollaps“ Das Wasser war viel kälter als Luft. „Aaahh, ist das kalt“, quietschte Annemieke und traute sich erst nur mit den Füßen ins Wasser. „Hast du Angst, dass hier Krokodile im Wasser schwimmen könnten“, neckte Mathilda. „Nein, das Wasser ist so schrecklich kalt!“, bibberte Annemieke. „Hab dich nicht so, Schwesterlein“, erwiderte Mathilda vorlaut und spritzte Wasser nach ihrer Schwester. „Lass das!“, protestierte Annemieke, „Meine Haare werden sonst nass“ „Meine Haare sind schon längst nass“, antwortete Mathilda prompt und tauchte ihren Kopf kurz unter Wasser. Ihre Haare hingen ihr wie Spagettis auf die Schultern herunter. Wenig später veranstalten beide ein Dauerschwimmen und sprangen mehrmals vom Sprungturm. Danach hatten sie Hunger und holten sie sich Pommes und Eis vom Kiosk. Gerade als sie sich wieder auf ihre Handtücher legten und einen Moment dösten, kam ihren Freundin Aylin bei ihnen vorbei.

 

 „Hallo Zwillingsmäuse“, rief Aylin fröhlich, die vor ihnen stand. „Hallo Aylin, wo kommst du her?“, rief Annemieke überrascht, „Wir haben gedacht, du wärst bei deinem Cousin“ „Ich war nur ein paar Tage bei ihm in Lübeck und nicht mehrere Wochen“, antwortete Aylin, „Wisst ihr, dass Emily jetzt mit Lennart und Michael befreundet ist?“ „Was!“, rief Mathilda entsetzt und riss ihre Augen weit auf. „Sie haben zusammen an einem Ferienprojekt teilgenommen und haben gemerkt, dass sie doch gut miteinander können“ „Das heißt doch nicht, das Emily auf die Seite der Jungs gewechselt ist?“, stammelte Annemieke verdutzt. „Nein, das nicht“, fuhr Aylin fort, „Aber momentan haben wir uns mit den Piranhas eh einigermaßen vertragen“ „Da haben wir etwas nicht mitbekommen!“, rief Mathilda laut.

 

„Ihr ward auch schon im Urlaub“, sagte Aylin, „Aber am dritten Ferientag bin ich mit Fianna, Kiki und Emily Fahrrad zum Bandenquartier gefahren. Wir haben Jannis auf der Straße liegend gefunden, der mit seinem Skateboard gestürzt ist und sich am Kopf verletzt hatte. Sofort haben wir uns um ihn gekümmert und einen Krankenwagen gerufen. Zum Glück ist ihm nichts Schlimmeres passiert, nur die Wunde an seiner Stirn musste genäht werden. Seitdem sind die Piranhas wie ausgewechselt. Einen Tag danach waren Emily, Kiki und ich mit Jannis und Sven Eis essen“ „Das ist ja unglaublich!“, hauchte Mathilda, „Ich glaube, ich bin im falschen Film“ „Nein, das bist du nicht“, entgegnete Aylin, „Dieses Mal ist es Realität. Aber was soll daran schlimm sein, einmal mit den Jungs abzuhängen?“ „Seid ihr richtig mit ihnen befreundet?“, fragte Annemieke. Aylin schüttelte den Kopf, „Freundschaft kann man das noch nicht nennen, aber wenigstens vertragen wir uns, ohne uns gegenseitig die Köpfe abzureißen“ 

 

Annemieke überlegte kurz, ob sie ihrer Freundin, von Alessandro aus Italien erzählten sollte, aber verwarf diesen Gedanken rasch. Nicht jeder sollte sehen, dass ihre Schwester und sie sich wie zwei verliebte Hühner verhielten, wenn sie von ihrem Schwarm sprachen. „Weißt, du wann Lotta, Emily und Fianna aus dem Urlaub zurück sind?“, fragte sie Aylin. „Ich glaube, sie kommen erst in den nächsten beiden Wochen wieder“ „Wie geht es eigentlich Hanni und Nanni?“, wollte Mathilda wissen. „Ihnen geht es hervorragend. Emily und ich waren fast jeden Tag zusammen im Schrebergarten, haben die Pflanzen gegossen, die Erdbeeren geerntet und die Kaninchen gefüttert“, erzählte Aylin. „Das ist prima!“, fand Annemieke, „Bestimmt können wir bald auch die Kirschen pflücken“ „Damit haben Emily und ich schon begonnen, aber das sind in diesem Jahr so viele, dass wir es noch nicht ganz geschafft haben“, meinte Aylin. Im nächsten Augenblick kamen Ömer mit Michael und Lennart vorbei. Die Jungs hatten alle ein Eis in der Hand, allerdings schmolzen die Eise in der Hitze ziemlich schnell und Michael tropfte bereits Schokoladeneis auf seine Badeshorts. Ömer begrüßte Aylin auf Türkisch und nickte den Zwillingen freundlich zu.

 

„Sind unsere holländischen Kaasköppe auch wieder an Land geschwommen?!“, neckte Lennart die Zwillinge, aber im Gegensatz zu sonst, meinte er es freundschaftlich. „Hat sich die Spargelstange im Urlaub einen Sonnenbrand geholt?!“, neckte Mathilda ihn zurück. Lennart betrachtete sein roten Arme und Beine. „Ja, ich habe gestern vergessen mich mit Sonnencreme einzureiben“, gestand er. „Wisst ihr, das Jannis nicht mit Jolanda zusammen ist? Jolanda hat jetzt statt ihm einen Typen aus der neunten Klasse, der schon sechzehn ist und immer ein Baseballkappy“, erzählte Michael. Die Mädchen schüttelten die Köpfe. „Ich finde, dass diese Ziege keinen Freund verdient hat“, war Mathilda der Meinung, „Sie beurteilt Andere nur danach wie sie aussehen und wenn sie Jemand findet, den sie hübscher findet als ihren jetzigen Freund, dann macht sie mit ihm Schluss“ „Hoffentlich hat er keinen Liebeskummer“, sagte Annemieke, ihr tat Jannis insgeheim leid.  Nach einer Weile gingen die drei Jungs zur Wasserrutsche weiter.

 

 „Wollen wir nicht eine Wasserschlacht machen, Mädels?“, schlug Mathilda mit leuchtenden Augen vor. „Von mir aus gerne“, rief Aylin begeistert, „Ich habe den Eindruck, dass ich bereits vor Hitze kocheund eine Abkühlung brauche und daher eine Abkühlung brauche“ „Wer als erstes im Becken ist, hat gewonnen!“, rief Mathilda und rannte los. Annemieke holte auf und überholte ihre Schwester kurz vor dem Ziel. Mit einem Schrei sprang sie in das Wellenbecken und hörte es neben sich platschen. Das war Mathilda, die kurz nach ihr ins Ziel kam und sich mit einer Arschbombe in die kalten Fluten stürzte. Aylin kam als Letzte an, da sie mit ihren kurzen Beinen nicht so schnell war und ließ sich langsam am Beckenrand ins Wasser gleiten. Jauchzend und lachend spritzten sich die Freundinnen gegenseitig nass und ließen sich von den Wellen tragen. Um sechs Uhr mussten die Zwillinge ihre Sachen packen und mit dem Fahrrad nach Hause fahren, da es bald Abendbrot gab.

 

 

Babysitten leicht gemacht

Samantha ter Steegen, die Mutter der Zwillinge, hatte beim Abendessen eine Neuigkeit für ihre ganze Familie. „Vorhin haben Freunde von mir angerufen, die nächste Freitag für zwei Wochen nach Brasilien fliegen“, erzählte sie mit ihrer ruhigen und sanften Stimme, „Ihre vierjährige Tochter Greta wird in dieser Zeit bei uns bleiben, da Papa und ich tagsüber arbeiten müssen, wäre es eine gute Aufgabe für euch Zwillinge, auf die Kleine aufzupassen“ Beinahe hätte sich Annemieke an einer Kirschtomate verschluckt, entrüstet schaute sie ihre Mutter an und zog ihre Stirn in Falten. „Warum schaust du so böse, Micky?“, fragte ihre Mutter und war sich keiner Schuld bewusst. „Du hättest uns ruhig einmal fragen können“, antwortete Annemieke etwas patzig, „Ich habe nämlich wenig Lust die ganze Zeit auf ein kleines Blag aufzupassen, ich habe mir auch entspannte Ferien verdient“ „Beruhig dich, Maus! Papa und ich werden abends auf Greta aufpassen, außer wenn wir ausgehen wollen“, beschwichtigte ihre Mutter sie. „Warum soll ich es einfach so hinnehmen, dass ihr alles über meinen Kopf hinweg entscheidet?“, regte sich Annemieke weiter auf, „Ich lasse mir nicht von einem kleinen Blag, das uns sowieso nur auf der Nase rumtanzt, die ganzen Ferien verderben“

 

„Reg dich ab, Schwesterherz!“, raunte Mathilda und grinste verschmitzt, „Es kann uns wenigstens nicht langweilig werden, wenn das kleine Mädchen da ist. Sie wird uns sicherlich auf Trab halten und so ein kleines Kind ist auch ganz niedlich“ Plötzlich fing ihre Mutter herzlich an zu lachen. „Was ist los, Sammy?“, fragte Rouven ter Steegen. „Ich finde es immer so lustig, wie unterschiedlich unsere Töchter reagieren“, sagte sie lachend, „Ich hätte erwartet, dass Mathilda murrt und Annemieke sich über das kleine Mädchen freut“ Annemieke sah sie immer noch mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck an. „Da hast du dich gewaltig getäuscht, Mama“, murmelte Annemieke und biss in ihr Käsebrot. Den ganzen Tag auf ein nerviges Blag aufpassen, das konnte bestimmt noch heiter werden! Nach dem Abendbrot suchten die Zwillinge nach ihren alten Spielsachen, die sie im Keller verstaut hatten. „Da ist ja mein alter Kinderwagen mit meiner Puppe Lisa“, rief Annemieke begeistert. „Nein, Lisa gehörte mir“, widersprach ihr Mathilda, „Deine Puppe hieß Sinje“ Die Mädchen fanden außer ihren Puppen noch viel mehr: ein altes Prinzessinnenkostüm, den alten Kaufmannladen, Schaufel und Eimerchen, alte Barbys, ein Schaukelpferd und ein Trampolin. „Hier wird sich Greta niemals langweilen“, war sich Annemieke sicher und wischte den Staub von einem Karton.

 

 Am Donnerstagabend klingelte es an der Tür, es waren die Herdmanns mit ihrer kleinen Tochter Greta. „Hallo Alexander und Anja, schön dass ihr da seid. Hallo Greta, ich hoffe du wirst ein paar schöne Tage bei uns verbringen“, begrüßte Samantha ter Steegen die Gäste freundlich, „Kommt herein, ich habe etwas zum Abendessen zubereitet. „Hallo, Mathilda“, sagte Frau Herdmann freundlich. „Hallo!“, grüßte Annemieke zurück, „Ich bin aber Annemieke, meine Schwester ist noch im Badezimmer“ „Mathilda soll sich aber beeilen, die Pizza ist gleich fertig“, meinte ihre Mutter und eilte in die Küche. „Hallo, Greta! Ich bin Annemieke ter Steegen“, sagte Annemieke freundlich und beugte sich zu dem kleinen Mädchen runter. Dass die Kleine so schüchtern war, damit hätte sie nicht gerechnet. Mit ihren großen blauen Augen sah Greta das große Mädchen schüchtern an. Wer war diese Person? Wenig später kam ein weiteres Mädchen um die Ecke, welches genauso aussah wie Annemieke. Greta war irritiert, warum gab es dieses Mädchen zweimal? „Zwei Annemiekes“, bemerkte Greta mit ihrer zuckersüßen Kinderstimme. Die Zwillinge fingen an zu lachen. „Nein, wir sind Zwillinge. Ich heiße Mathilda und das ist meine Schwester Annemieke“, versuchte Mathilda Greta zu erklären, „Wir waren zusammen in Mamas Bauch und wurden fast gleichzeitig geboren, nur ich bin wenige Minuten älter als meine Schwester“

 

„Die Pizza ist fertig!“, rief ihre Mutter aus der Küche. Alle gingen ins Wohnzimmer und setzten sich an den Tisch. „Was möchtest du trinken, Greta?“, fragte Samantha ter Steegen freundlich. „Apfelsaft! Ich will Apfelsaft“, erwiderte Greta strahlend und schob sich mit ihren kleinen Fingerchen ein Stück Pizza in den Mund. „Wenn wir mit Fingern essen würden, gäbe es garantiert Schimpfe“, dachte Annemieke. Die Mutter der Zwillinge ging in die Küche und kam mit einer Flasche Apfelsaft wieder. „Die Kleine wird ziemlich verwöhnt“, flüsterte Mathilda ihrer Schwester ins Ohr, „Wir müssen immer selber laufen, wenn wir etwas wollen“ „Die Pizza schmeckt hervorragend“, lobte Herr Herdmann, „Hast du sie selbst gemacht, Sammy?“ „Danke“, erwiderte Samantha, „Ja, ich habe ein tolles Rezept im Internet gefunden und das wollte ich unbedingt ausprobieren“ „Mama, darf ich noch ein Stück?“, bettelte Greta. „Nein Schatz, du hast gerade schon ein großes Stück gegessen und wenn du noch ein zweites Stück ist, wird dir bestimmt schlecht. Außerdem gibt es gleich sowieso Eis mit Erdbeeren zum Nachtisch“, sagte ihre Mutter.

 

 Nach dem Essen zeigten die Zwillinge ihrem kleinen Gast ihr ganzes Spielzeug. „Ihr habt so viel Spielzeug“, rief Greta begeistert und schob den Puppenwagen durch den Flur, „Sind eure Puppen auch Zwillinge?“ „Ja, das sind sie“, meinte Annemieke, „Lisa ist nur wenig älter als Sinje, weil wir sie zuerst aus dem Geschenkpapier gewickelt haben“ Greta nahm beide Puppen aus dem Puppenwagen und hielt sie nebeneinander. „Lisa hat über kürzere Haare als Sinje!“, bemerkte das kleine Mädchen und zupfte an Lisas kurzen Locken. „Meine Schwester hat ihr einmal die Haare geschnitten, als sie noch im Kindergarten war. Sie wollte, dass Lisa genauso aussieht wie sie“, erzählte Annemieke grinsend.

 

Das kleine Mädchen zog die Puppen aus, zog ihnen neue Kleider an, gab ihnen die Flasche und setzte sie zusammen mit dem Teddy in den Puppenwagen. „Ich schiebe Sinje und Lisa durch den Garten“, rief Greta fröhlich und verschwand. „Sie scheint wunderbar beschäftigt zu sein“, sagte Mathilda zufrieden und las in einem Buch weiter. „Wenn sie immer so ruhig spielt, haben wir nicht viel Mühe mit ihr“, erwiderte Annemieke, „Wir brauchen sie nur im Auge zu behalten und können nebenbei uns selber beschäftigen“ Am späten Abend, als Greta bereits im Bett lag, fuhren die Herdmanns wieder. Mitten in der Nacht wurde Annemieke plötzlich wach und richtete sich in ihrem Bett auf. Irgendein ein Geräusch hatte sie geweckt, aber was war es?

 

Ihre Schwester konnte es nicht gewesen sein, sie atmete ruhig und gleichmäßig. Jetzt hörte sie es wieder, jemand weinte ganz fürchterlich und das konnte nur Greta sein. Ohne Licht zu machen stand sie auf und schlich über den Teppich zur Tür. Leise drückte sie die Türklinke runter und öffnete die Tür. Wie eine Indianerin schlich sie über den Flur und schaffte es kein Geräusch zu machen. Gegenüber von ihrem Zimmer war das Gästezimmer. Wieder hörte sie das kleine Mädchen schluchzen. „Was ist denn los?“, flüsterte Annemieke und machte das Licht an. „Ich kann nicht einschlafen, ich vermisse Mama und Papa. Ich habe hier so eine große Angst“, weinte das kleine Mädchen. Annemieke nahm das kleine Mädchen auf den Arm. „Du brauchst nicht weinen“, tröstete Annemieke, „Du bist hier nicht alleine und bald siehst du deine Eltern wieder. Soll ich dir eine Geschichte vorlesen?“ „Oh ja! Lies mir die Geschichte vom kleinen Biber vor, das ist nämlich mein Lieblingsbuch“, Greta hörte auf zu weinen und nickte. Annemieke setzte sich auf den Sessel, nahm Greta auf ihren Schoß und begann aus dem Buch „Der kleine Biber“ vorzulesen. „Den Wolf mag ich nicht, weil er immer die andere Tiere ärgert“, sagte Greta. „Ich kann dich verstehen“, erwiderte Annemieke, „Früher habe ich wirklich gedacht, dass Wölfe gefährlich sind, nachdem Mama uns das Märchen vom Rotkäppchen vorgelesen hat“ „Ich werde niemals alleine in den Wald gehen“, murmelte Greta. „Glaube bloß nicht an böse Märchen! Erstens es gibt kaum noch Wölfe in Deutschland und zweitens Wölfe sind total ungefährlich“, meinte Annemieke und las weiter. Ihre ruhige und sanfte Stimme machte das kleine Mädchen schnell müde. Annemieke merkte, dass Gretas Kopf mitten in der Geschichte nach vorne fiel und das kleine Mädchen ruhig atmete. 

 

„Was ist hier los?“, fragte Annemiekes Mutter, die in ihrem Schlafhemd in der Tür stand. „Greta konnte nicht einschlafen, deshalb habe ich ihr eine Geschichte vorgelesen“, wisperte Annemieke. „Dann ist alles okay“, sagte ihre Mutter, „Leg sie am besten wieder ins Bett, damit sie weiter schlafen kann“ „Was war los?“, fragte Mathilda irritiert. Sie stand neben ihrer Mutter und rieb sich die Augen. „Nichts besonderes“, meinte Annemieke, „Die Kleine konnte nicht einschlafen und deswegen habe ich ihr eine Geschichte vorgelesen“ Vorsichtig legte sie das kleine Kind wieder zurück in sein Bettchen. „Du solltest später unbedingt Kinderkrankenschwester oder Erzieherin werden“, murmelte ihre Schwester als wieder in ihren Betten lagen, „Du kannst so gut mit Kindern umgehen, wenn du mit Leichtigkeit ein weinendes Kind beruhigen kannst“ „Ne, ich will nach der Schule studieren und lieber Tierärztin oder Biologin werden“, gähnte Annemieke und kuschelte sich wieder in ihre Decke. Schnell schlief sie wieder ein.

Babysitten ist doch gar nicht so leicht

„Aufstehen, Zwillingsmäuse!“, rief ihre Mutter und machte das Rollo hoch. „Muss das sein!“, gähnte Mathilda und drehte sich wieder um. „Papa und ich gehen gleich zur Arbeit und ihr müsst auf das kleine Mädchen aufpassen“ „Mama, wir haben Ferien“, stöhnte Annemieke genervt. „Ich komme um ein Uhr schon wieder und ab da passe ich auf die Kleine auf. Ihr braucht heute nicht kochen, das werde ich machen“, sagte ihre Mutter. Murrend zogen sich die Mädchen schnell und frühstückten. „Darf ich die Vögel fliegen lassen?“, fragte Greta, die die Nymphensittiche entdeckt hatte. „Nein, lass den Käfig zu!“, rief Mathilda und sprang auf. „Ich will aber sehen, wie sie fliegen!“, bettelte das kleine Mädchen trotzig. „Du kannst die Vögel nicht einfach fliegen lassen!“, rief Mathilda gereizt, „Du siehst doch, dass das Fenster offen ist und nachher können wir sie nicht wieder einfangen“ „Das ist total gemein von dir!“, plärrte Greta, „Deine Mama hat mir versprochen, dass ich die Vögel streicheln darf“ „Pass auf Greta, wenn wir mit dem Frühstück fertig sind, nehme ich Klaas auf die Hand, er ist zahm und lässt sich streicheln“, beschwichtigte Annemieke das kleine Mädchen, „Allerdings musst du ganz vorsichtig sein, Vögel haben ziemlich zerbrechliche Knochen und deshalb darfst du ihn nicht drücken“

Gretas Miene hellte sich auf und geduldig setzte sie sich zu ihren Aufpasserinnen an den Tisch. „Ich gehe eben einkaufen“, sagte Mathilda, „Wir brauchen noch ziemlich viel, Mama hat uns eine ellenlange Einkaufsliste geschrieben“ Annemieke seufzte und hörte wie die Haustür ins Schloss fiel. Warum musste Mathilda sie mit einem kleinen nervigen Kind alleine lassen?!

 

 „Jetzt nehmen wir Klaas aus dem Käfig“, sagte Annemieke zu Greta, „Piet können wir nicht rausnehmen, weil er nicht richtig zahm ist“ „Jetzt kann ich endlich den Vogel streicheln“, Greta strahlte über das ganze Gesicht. Annemieke pfiff eine Melodie und hielt Klaas ein Leckerli hin. „Klaas, komm auf meine Hand!“, zwitscherte sie. Der Nymphensittich gehorchte ihr und krabbelte auf ihre Hand. Vorsichtig streichelte Greta den Vogel über den Rücken. „Der hat ja ganz weiche Federn!“, schwärmte das kleine Mädchen und konnte nicht aufhören den Vogel zu streicheln. „Ich habe Klaas beigebracht, dass er seinen eigenen Namen und Hallo sagen kann“, erzählte Annemieke. „Hallo hallo hallo hallo hallo hallo“, krächzte Klaas, „Hallo Klaas!“ Greta fing an zu lachen. „Mach das noch mal, Klaas“, rief sie und klatschte. Erneut gab der Vogel alle Worte von sich, die er sagen konnte. „Ich glaube, wir tuhen ihn wieder in den Käfig zurück“, sagte Annemieke, „Es wird ihm sonst zu viel“

„Jetzt will ich Prinzessin sein“, rief Greta und hielt Annemieke ihr altes Prinzessinnenkleid hin. „Na gut, dann helfe ich dir es anzuziehen“, meinte Annemieke. „Jetzt sehe ich wie eine richtige Prinzessin aus“, sagte das kleine Mädchen gegeistert, während Annemieke Gretas rotblonde Locken zusammen band. „Dir fehlt nur noch die Krone. Warte ich hole sie aus dem Keller!“, rief Annemieke und rannte los. Da das Wetter sehr schön war, beschloss Annemieke mit Greta im Garten zu spielen. Aus einem Tisch zwei Stühlen, einer Liege und einem Tuch baute sich Greta ihr eigenes Schloss. „Du bist mein Einhorn, Annemieke!“, rief Greta. „Okay, dann steig auf meinen Rücken“, meinte Annemieke und nahm Greta Huckepack. „Hüa hüa“, rief Greta, „Die Prinzessin will durch ihr Blumenland fliegen“ Annemieke rannte eine Runde mit der kleinen Prinzessin durch den ganzen Garten, bis sie keuchend stehen blieb. Das kleine Mädchen war doch nicht so leicht, wie es aussah. „Dein Einhorn braucht einen Moment Pause“, sagte sie zu Prinzessin Greta. „Dann will ich jetzt ein Glas Limonade trinken“, rief Greta. „Wie heißt das Zauberwort?“, erwiderte Annemieke. „Bitte!“, schrie das kleine Mädchen fast. Annemieke rannte in die Küche und holte eine Flasche Limonade und zwei Gläser. „Mir gefällt es in Blumenland sehr gut“, sagte Greta Limonade schlürfend, „Jetzt brauche ich nur noch einen König. Willst du nicht mein König sein?“ „Ich bin doch schon dein Einhorn“, erwiderte Annemieke. „Du kannst ruhig beides sein“, sagte die kleine Prinzessin. „Na gut“, sagte Annemieke, „Dann bin ich dein König und dein Einhorn zugleich“ „Du kannst auch noch mein Diner, meine Katze und mein Hofhund sein“, rief Greta begeistert. „Na gut“, seufzte Annemieke und goss der Prinzessin erneut ein wenig Limonade ein. „Was kann ich für euch tun, Ihre Majestät?“, fragte der Diner, der gleichzeitig der König, das Einhorn, die Katze und der Hofhund war. „So die Prinzessin will noch eine Runde über das Blumenland fliegen“, befahl das kleine Mädchen. Annemieke seufzte und nahm die kleine Prinzessin auf ihren Rücken. „Die kleine Prinzessin lässt dich ganz schön viel hin und her laufen“, rief Mathilda aus dem Küchenfenster und musste lachen. „Kümmere du dich um die kleine Pascherin“, rief Annemieke gereizt und blieb abrupt stehen. Beinahe wäre Greta über ihre Schulter gefallen, wenn sie sich nicht an Annemiekes Locken festgehalten hätte. Aua!“, schrie sie, „Zieh nicht so doll an meinen Haaren, das tut mir weh!“

 „Micky, soll ich übernehmen?“, bot ihre Schwester an, „Schließlich habe ich dich mehr als eine Stunde mit ihr alleine gelassen“ „Gerne, ich bin schon total verschwitzt“, seufzte Annemieke erleichtert und machte sich auf dem Weg zum Badezimmer. Sie ließ das kühle Wasser über ihren Rücken laufen und sang einen Song mit, den sie gerade im Radio hörte. Es gab nichts Schöneres als eine Abkühlung in Form von Wasser bei diesem schweißtreibenden Wetter. Wie neu geboren stieg sie aus der Dusche, trocknete sich ab und zog ihren Bademantel an. Pfeifend ging sie in ihr Zimmer und ging zu ihrem Kleiderschrank. Sie entschied sich für ein hellgrünes Tanktop und einen dunkelblauen kurzen Rock, zog sich in Windeseile an und hopste die Treppenstufen runter. „Matti, solltest du nicht auf die Kleine aufpassen!“, sagte sie als sie die Tür zur Terrasse öffnete und zog ihre Augenbrauen hoch. „Was hast du, Schwesterchen?“, entrüstete sich Mathilda und schleckte an ihrem Eis, „Die Kleine spielt ganz wunderbar in unserem alten Sandkasten“ „Hat sie immer noch ihr Prinzessinnenkleid an?“, fragte Annemieke scharf. „Darauf habe ich noch geachtet“, sagte Mathilda lässig und lehnte sich zurück, „Ich habe ihr nur unser altes Sandspielzeug gegeben und sie zum Spielen geschickt, damit sie beschäftigt ist“ „Wollt ihr einen meinen Sandkuchen probieren?“, hörten sie Greta rufen. Die Schwestern gingen zu ihr. „Gerne, ich esse unheimlich gerne Sandkuchen, die unsere Prinzessin gebacken hat“, sagte Annemieke und tat so, als ob sie den Sandklumpen essen würde. Erst einen Moment später fiel ihr auf, wie dreckig das Kleid war. „Ich glaube, du tickst nicht mehr ganz richtig!“, herrschte sie Mathilda an, „Wie kannst du sie mit diesem Kleid in der Sandkiste spielen lassen?!“ Mathilda starrte ihre wütende Schwester sprachlos an. „Diese Flecken werden wir wahrscheinlich nie wieder aus diesem Kleid heraus bekommen“, fuhr Annemieke fort, „Darüber hinaus war es mein Kleid, das ich vom Kindergarten bis zur zweiten Klasse zum Fasching getragen habe!“ „Reg dich endlich ab!“, rief Mathilda beschwichtigend, „Das Kleid kannst du längst nicht mehr tragen“ „Mich regt es auf, dass ich für dich dauernd mitdenken muss“, versuchte Annemieke ihrer Schwester geduldig zu erklären, „Oft denkst du nicht von hier bis zur Tür und dann muss ich deine Fehler ständig ausbügeln“ „Ich gestehe, du bist die bessere Babysitterin von uns“, sagte Mathilda mit niedergeschlagenen Augen. „Mögt ihr eine Abkühlung?“, fragte Greta und beendete die Auseinandersetzung der Zwillinge, indem sie den Wasserschlauch auf Mathilda richtete. „Aaahh, du machst mich ganz nass!“, kreischte Mathilda und rannte wie ein Kaninchen durch den Garten. „ Jetzt hält die kleine Prinzessin dich auf Trab und nicht mich“, Annemieke konnte ihr Lachen nicht mehr halten. „Du blöde Kuh!“, rief Mathilda in Annemiekes Richtung und versuchte dem Wasserstrahl auszuweichen. Plötzlich hatte Annemieke doch Mitleid mit ihrer Schwester und drehte den Wasserhahn zu. „Jetzt muss ich mich wegen der kleinen Kröte umziehen“, empörte sich Matilda. „Eine kleine Abkühlung hast du dir aber verdienst!“, neckte Annemieke und musste sich vor einer Wäscheklammer bücken, die ihre Schwester nach ihr warf. Greta kicherte und warf Annemieke einen verschwörerischen Blick zu. 

Etwas später saßen die Zwillinge, ihre Mutter und Greta beim Mittagessen, heute gab es Spagetti. „Ich finde Tomatensoße toll!“, rief Greta begeistert, „Das spritzt so schön!“ „Igitt, lass das!“, schimpfte Mathilda, „Ich kriege deine Tomatenspritzer sonst ab und ich habe mich gerade eben wegen dir schon umziehen müssen“ „Man kann auch Spagetti essen, ohne zu spritzen“, wandte ihre Mutter ein, „Warte ich zeige es dir“ Die Mutter der Zwillinge zeigte dem kleinen Mädchen, wie man die Spagetti auf die Gabel aufwickelt. „Sie soll nicht so schmatzen, das ist total ekelig!“, angewidert verzog Mathilda das Gesicht. „Stell dich nicht so an, Matti!“, zischte ihre Schwester, „Als kleines Kind hast du genauso gegessen und damals lag die halbe Portion auf dem Fußboden!“ Peinlich berührt schwieg Mathilda und konzentrierte sich selber auf das Essen, bis jetzt hatte sie kaum etwas von ihren Nudeln gegessen und langsam wurden sie kalt. „Was habt ihr heute Vormittag gemacht?“, wollte ihre Mutter wissen, „Seid ihr ohne mich zurecht gekommen?“ „Das ging ganz gut“, meinte Mathilda. „Wir haben den ganzen Vormittag draußen gespielt“, ergänzte Annemieke. „Annemieke war mein Einhorn, mein Diner, mein Kätzchen, mein König und mein Hofhund“, erzählte Greta stolz, „Natürlich war ich die Prinzessin“ „Das Kleid hast du auch erfolgreich dreckig gemacht!“, wandte Mathilda ein. „Ach, das ist nicht so schlimm“, meinte ihre Mutter, „Das Kleid können wir gleich in die Waschmaschine tuhen und dann gehen die Flecken wieder raus. Außerdem kenne ich auch jemanden, der früher gerne seine Kleider dreckig gemacht hat, weil diejenige gerne in Pfützen gesprungen ist. Da brauche ich keinen scharf angucken, Matti!“ Mathilda wurde rot im Gesicht. „Wir können heute Nachmittag zum Badesee fahren. Was hält ihr davon?“, schlug ihre Mutter vor. „Super Idee, Mama!“, riefen die Zwillinge gleichzeitig.

 Die Zwillinge waren froh, dass sie für den Rest des Tages nicht mit dem kleinen Mädchen alleine gelassen wurden. Abwechselnd sonnten sie sich auf der Wiese gingen schwimmen. „Zwillinge, könnt ihr mir die kleine Maus abnehmen?“, bat ihre Mutter, „Ich will mich einen Moment in die Sonne legen und mich ausruhen“ „Das machen wir“, antwortete Annemieke träge. In diesem Moment bekam Mathilda eine SMS von Kiki. „Kiki kommt morgen wieder!“, jubelte sie, „Das heißt wohl für mich, dass es in den Ferien nicht mehr langweilig sein wird!“ „Ich will Ball spielen!“, rief Greta und warf den aufgeblasenen Wasserball in die Luft. Zum Spielen gingen die drei Mädchen ins Wasser, so dass Greta bis Brust im Stand und den Zwillingen das Wasser bis zu den Oberschenkeln stand. „Hol ihn dir!“, rief Mathilda und warf den Ball weit über Gretas Kopf, sodass er an Land flog und über die Wiese rollte. Greta rannte dem Ball wie ein Jagdhund hinterher. „Du hättest den Ball nicht hoch werfen sollen!“, tadelte Annemieke ihre Schwester. „Du neunmalkluge Ziege! Du musst alles immer besser wissen und deiner älteren Schwester immer Ratschläge erteilen, dabei habe ich einen eigenen Verstand“, raunte Mathilda und zog Annemieke fast das Bikinioberteil weg. Wenig später hörte man Matilda kreischen, ihre Schwester drückte ihren Kopf unter Wasser und kitzelte sie durch. Nach einer kurzen Rangelei sahen sich die Zwillinge keuchend an. „Du bist die Beste!“, meinte Mathilda, „Mit dir kann man am meisten Spaß haben“ Auf einmal merkten sie, dass Greta nicht mehr da war. „Wo ist Greta?“, rief Annemieke und hielt vor Schreck die Luft an. „Das kann nicht wahr sein, sie war vor einer Minute noch hier!“, stöhnte ihre Schwester und suchte mit ihren Adleraugen den Strand ab. „Ich sehe sie nicht“, sagte Annemieke leise und versuchte die Ruhe zu bewahren. „Ich gehe in diese Richtung und du in die Andere“, ergriff Mathilda die Initiative, „Wenn wir sie nicht finden, treffen wir uns wieder hier“ Annmieke ging in ihre Richtung, hielt Ausschau nach einem kleinen rothaarigen Mädchen und fragte sogar einige Leute. „Ich kann dir leider nicht sagen, wo das Kind ist“, sagte eine ältere Frau, „Frag am besten die Familie dort hinten“ Annemieke ging weiter, mittlerweile war ihr richtig flau im Magen und ihr Puls raste. „Annemieke!“, schrie ihre Schwester von weitem und winkte sie zu sich rüber. „Ich habe sie nicht gefunden. Weißt der Teufel, wo sie steckt!“, seufzte Mathilda niedergeschlagen. „Wir müssen es Mama sagen“, rief Annemieke panisch. „Was ist mit euch los?“, fragte ihre Mutter, als sie die aufgelösten Mädchen sah. „Mama, Greta ist weg!“, quetschte Mathilda aus sich heraus. „Greta sollte den Ball wiederholen, aber sie kam einfach nicht wieder und wir suchen sie schon seit einigen Minuten“, erzählte Annemieke atemlos. „Macht euch nicht verrückt!“, versuchte ihre Mutter sie zu beruhigen, „Wir suchen sie noch mal und irgendwo wird sie wohl sein, das ist keine Frage“

Zu dritt suchten sie den ganzen Strand ab und Mathilda schwamm den gesamten Badebereich ab. Das kleine Mädchen tauchte nicht wieder auf. Langsam merkte Annemieke, dass ihre Mutter nervös wurde. „Ich kann sie nicht finden!“, rief Mathilda verzweifelt, „Vielleicht liegt sie mitten im See auf dem Grund und ist ertrunken“ Dieser Gedanke trieb Annemieke Tränen in die Augen, einen Augenblick hielt sie die Luft an und schaute in den Himmel, weil sie nicht weinen wollte. „Mathilda, red nicht so ein dummes Zeug! Greta kann nicht schwimmen und käme nie auf die Idee mit ihren Schwimmflügelchen auf den See hinaus zu schwimmen“, entgegnete ihre Mutter. „Ihr sucht ein kleines Mädchen mit roten Haaren“, sagte ein kleiner Junge mit Taucherbrille, der plötzlich neben ihnen stand. „Ich habe eins unter der Seebrücke sitzen sehen“, fuhr er fort. „Danke, dass du uns den Hinweis gegeben hast“, sagte ihre Mutter zu dem Jungen und atmete vor Erleichterung tief durch, „Wir schauen sofort nach, ob sie da ist“

 Tatsächlich Greta saß auf einem Stein unter der Brücke und heulte wie ein Schlosshund. „Greta!“, rief ihre Mutter, „Wir haben dich gerade schon gesucht, du kannst doch nicht einfach so weglaufen und dich verstecken“ Greta schluchzte noch heftiger. „Was hast du denn?“, fragte Annemieke mitleidig. „Ich bin hingefallen, als ich den Ball holte und habe ihn dabei kaputt gemacht“, schniefte das kleine Mädchen, „Jetzt sind nur noch Fetzen von ihm übrig. Ich habe mich versteckt, weil ich Angst hatte, dass Mathilda heftig mit mir schimpft. Sie ist öfter böse zu mir“ Mathilda legte ihren Arm um Greta. „Ich bin nicht sauer, weil du den Ball kaputt gemacht hast. Sowas kann jedem Mal passieren, das hätte auch mir passieren können. Aber du hast uns gerade eben ganz schön in Angst versetzt, weil du dich versteckt hast und wir gedacht hätten, dir sei etwas Schlimmes passiert“, redete sie ruhig auf das kleine zitternde Mädchen ein. „Den Ball haben wir sowieso irgendwann geschenkt bekommen und daher ist es nicht so wild“, meinte ihre Mutter, „Wollen wir nach dem Schreck nicht ein Eis essen?“ Die drei Mädchen nickten gleichzeitig. Wenig später standen sie am Kiosk und schleckten ein Eis. Greta hatte sich wieder beruhigt und spielte mit einem neuen Wasserball, den sie gekauft hatten. Das Lächeln in ihrem niedlichen Kindergesicht wollte nicht weichen. „Du läufst uns aber nicht noch einmal weg“, redete ihre Mutter Greta ins Gewissen, „Heute war schon Aufregung genug“ Greta nickte und entschuldigte sich kleinlaut, während die Mutter der Zwillinge sie abtrocknete und anzog.

 

 

Die kleine Ausreißerin

Die Zwillinge gewöhnten sich schnell daran, dass sie auf das kleine Mädchen aufpassen mussten und nahmen es sogar zu einem Bandentreffen mit. Zum Glück verhielt sich Greta viel artiger als am ersten Tag und fütterte mit Eifer die beiden Kaninchen, die die lebendigen Bandenmaskottchen der Roten Sieben waren. Normalerweise kümmerten sich die Eltern der Zwillinge abends um das kleine Mädchen, aber am Mittwochabend wollten sie ins Kino und deshalb mussten die Zwillinge auf Greta aufpassen. Annemieke war ziemlich genervt, schon wieder mussten sie das kleine Mädchen mitnehmen, da sie sich mit Kiki und Emily in der Eisdiele treffen wollten und auf keinen Fall wollte sie deswegen die Verabredung absagen. „Wir gehen jetzt Eis essen und du kannst gerne meinen alten Roller nehmen“, versprach Annemieke Greta und die Augen des kleinen Mädchens fingen an zu strahlen. „Deinen Roller finde ich toll“, rief Greta, „Ich will auch so einen rosa Roller mit Blumen haben“ Das kleine Mädchen schnappte sich den Roller und probierte ihn aus. „Hui hui hui! Mit dem kann ich ganz schnell fahren“, rief sie begeistert, während sie die Straße hin und her flitzte. „Warte auf uns!“, rief Annemieke, „Mathilda und ich müssen uns die Schuhe anziehen“ Greta beachtete sie nicht und sauste mit Schwung die Straße entlang. Das Schönste war, dass man mit dem Roller viel schneller unterwegs war, als zu Fuß.

 

 Annemieke entschied sich für ihre roten Ballerinas, die sie sonst selten trug, während ihre Schwester wie immer Sneakers trug. „Greta!“, hörte Annemieke ihre Schwester brüllen, „Greta, wo steckst du? Komm auf die Stelle zurück“ „Mist, ist sie wirklich verschwunden?“, fragte Annemieke mit klopfenden Herzen. „Ja, vielleicht ist sie nur hinter der Hecke“, vermutete Mathilda, „Oder sie hat sich hinter den Mülltonnen versteckt, um uns einen Streich zu spielen“ Die Zwillinge riefen unterbrochen ihren Namen und suchten die ganze Straße nach ihr ab. Das Mädchen war nicht aufzufinden. „Es hilft nichts!“, keuchte Mathilda, „Wir müssen sie überall suchen, lass uns auf dem Spielplatz nebenan schauen, vielleicht wollte sie da unbedingt hin“ Annemieke fühlte sich elend und hatte einen dicken Kloß im Hals. „Wir sind nur zwei blöde Versagerinnen, die zu doof sind, um auf ein Kind aufzupassen. Wie kann ein Mädchen, das fast zehn Jahre jünger ist als wir, uns so alt aussehen lassen“, dachte sie niedergeschlagen und hakte sich bei ihrer Schwester unter.

 

„Na toll, auf dem Spielplatz ist natürlich niemand. Ich habe fest damit gerechnet, dass sie entweder auf der Schaukel sitzt oder rutscht“, sagte Mathilda enttäuscht. Annemieke ließ ihren Blick über die Rutsche, die Wippe, den Spielturm und die Schaukel schweifen, aber es war dort kein Mensch zu sehen. Bedrückt gingen die Schwestern weiter und suchten jetzt in den Seitenstraßen, dort war auch keine Spur von Greta. Nur ein Hund bellte die Mädchen böse an, als sie bei der alten Witwe Hauswald vorbei liefen. „Verdammt, es ist meine Schuld“, jammerte Annemieke und biss sich vor Wut auf ihre Lippe, „Ich hätte ihr diesen bescheuerten Roller nicht geben dürfen, wenn sie damit so schnell wird“ „Das war ziemlich leichtsinnig von dir“, meinte ihre Schwester. „Greta, wo bist du?“, brüllte Annemieke solange, bis sie langsam heiser wurde.

 

„Wir suchen sie jetzt auf dem Spielplatz vor unserer alten Grundschule“, beschloss Mathilda und zog ihre Schwester mit sich her. Der Weg zu ihrer alten Grundschule dauerte ungefähr zehn Minuten, auf dem Spielplatz waren nur zwei Jungs und von Greta war nichts zu sehen. „Scheiße, wir haben unsere Aufsichtspflicht verletzt und jetzt müssen wir es ausbaden, dass die Kleine uns weggelaufen ist“, fluchte Mathilda und wurde vor Aufregung puterrot im Gesicht. Annemieke fing an schwitzen und bekam wackelige Knie. „Ich muss mich hinsetzen, meine Beine sind wie Wackelpudding“, klagte sie und setzte sich auf eine Bank. Mittlerweile taten ihr von der vielen Lauferei die Füße weh, da sie in Ballerinas unterwegs war, die ziemlich heftig scheuerten. „Was machen wir jetzt?“, stöhnte Mathilda hoffnungslos und wischte sich über schweißnasse Stirn.

 

„Wir müssen wohl die Polizei rufen“, erwiderte Annemieke, „Etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Mein Handy ist leider zuhause, das es aufladen muss. Hast du dein Handy dabei?“ Ihre Schwester nickte, „Ich habe es in der Hosentasche, aber leider ist da kein Guthaben mehr drauf“ „So ein verdammter Mist!“ „Wir werden sie wohl weiter suchen müssen“ „Wir können noch mal in die andere Richtung gehen, dort waren wir noch nicht“ „Das ist eine gute Idee, dort gibt es eine Bäckerei. Vielleicht steht sie vor dem Schaufenster und sieht sich die vielen Torten an“ „Das glaubst du wohl nicht im Ernst, Matti! Sei endlich realistisch und schalte dein Hirn ein. Wir müssen uns zusammen reißen und das Kind suchen“ „Ich weiß notfalls werden wir es bis in die Nacht suchen“ „Hoffentlich finden wir sie, bevor es dunkel wird. Im Dunkeln ist die Chance gering, dass wir sie finden“

 

 Die Mädchen gingen jetzt an der Bäckerei und dem alten Bauernhaus vorbei. Sie befragten einige Passanten, die ihnen entgegen kamen, aber keiner konnte ihnen eine Antwort geben. „Sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben“, jammerte Mathilda, „Greta ist ein Mädchen und kein Geist“ „Lass uns kurz hinsetzen, ich kann nicht mehr“, stöhnte Annemieke, „Meine Beine brechen gleich unter mir weg“ „Nein, wir müssen sie erst finden“, beharrte Mathilda und zog ihre Schwester so heftig, dass sie stolperte und fast hinfiel. „Wegen dir wäre ich fast hingefallen“, beschwerte sich Annemieke und rieb sich ihren schmerzenden Fuß. „Komm schon! Wir haben nicht ewig Zeit“, rief Mathilda. Schweigend suchten die Zwillinge weiter, von Minute zu Minute sank ihre Hoffung und ihre Stimmung sank ebenfalls in den Keller. „Wir sind bestimmt über eine halbe Stunde zu spät zur Verabredung“, bemerkte Annemieke und zeigte auf ihre Armbanduhr. „Das ist mir doch egal!“, rief Mathilda mit Tränen in den Augen, „Diese kleine Kröte hat uns den Abend eh schon verdorben. Von mir aus können wir die Verabredung abblasen. Ich will nur noch ins Bett"

 

Nur mit Mühe konnte sie verhindern, dass sie völlig ausrastete. „Wir werden sie weiter suchen, basta! Mir tuhen gerade verdammt die Füße weh, aber das ist jetzt nicht wichtig. Du darfst nicht aufgeben und mich alleine lassen“, redete Annemieke auf ihre Schwester ein. Es fiel ihr sehr schwer ruhig zu wirken, da in ihr der Vulkan der Angst und der Verzweiflung brodelte. „Verdammt, diese kleine Göre ist weg und wir werden von unseren Eltern einen riesigen Einlauf kriegen. Bestimmt kriegen wir drei Wochen Hausarrest und uns wird das Taschengeld gestrichen“, rief Mathilda außer sich und fing an zu heulen. Annemieke standen ebenfalls die Tränen in den Augen und ihr war auch zum Weinen zumute. Jedoch war sie besonnener als ihre Schwester und zwang sich zu beherrschen, obwohl es in dieser Situation nicht einfach war.

 

Tröstend umarmte sie Mathilda, während ihre eigene Ohnmacht sie fast lähmte. „Ich weiß nicht, wo wir das Biest suchen sollen“, schluchzte Mathilda und wischte ihre Tränen weg. Plötzlich klingelte ihr Handy. „Hallo, hier spricht Mathilda“, meldete sie sich mit tränenerstickter Stimme, „Wer ist da?“ Annemieke sah, dass sich die Miene ihrer Schwester sich aufhellte während sie telefonierte und sie plötzlich einen Jubelschrei ausstieß. „Sie ist im Eiscafé bei Kiki und Emily. Oh mein Gott, wir sind blöd, warum haben wir nicht im Eiscafé gesucht?“, schrie Mathilda ihrer Schwester ins Ohr und fasste sie an den Händen. Vor Freude und Erleichterung hüpften sie die Straßen entlang. Annemiekes Fußschmerzen waren wie weggeblasen und mit Leichtigkeit hüpfte sie von einem Bein auf das Andere.

 

 „Hey, Zwillinge! Da seid ihr endlich!“, wurden sie von Kiki begrüßt, „Greta war im Gegensatz zu euch sehr pünktlich gewesen“ Das kleine Mädchen saß mit ihren Freundinnen am Tisch und sah die Zwillinge mit großen unschuldigen Augen an. „Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen, du kleine Ausreißerin!“, sagte Mathilda streng zu Greta. „Wieso? Ihr wolltet doch Eisessen und ich bin mit dem Roller schon einmal vorgefahren“, antwortete Greta unschuldig dreinschauend und schleckte ihr Erdbeereis. „Ihr habt der kleinen Ausreißerin ein Eis spendiert“, bemerkte Annemieke tadelnd. „Wir wollten nur nett sein“, verteidigte sich Emily, „Allerdings hätten wir euch früher bescheid sagen können, aber wir sind erst nach einer halben Stunden darauf gekommen. Das tut uns leid, dass ihr deswegen so eine Panik geschoben habt“ „Stimmt, ihr seht rattenfertig aus, Zwillinge“, fügte Kiki hinzu. Die Bedienung kam an den Tisch. „Guten Abend, habt ihr schon entschieden, welches Eis ihr nehmt?“, fragte sie. Die Zwillinge bestellten sich beide einen großen Bananensplit, da sie keine große Lust hatten, stundenlang die Eiskarte zu studieren.

 

Normalerweise liebte Annemieke Joghurteis mit Früchten, während ihre Schwester den Haselnussbecher und Schokoladeneis bevorzugte. „Was machen eigentlich Lotta und Fianna?“, fragte Mathilda und ließ ein Stück Banane in ihrem Mund verschwinden. „Lotta wird übermorgen wiederkommen und Fianna ist bis Samstag bei ihren Großeltern in Irland“, wusste Kiki genau. „Juhuu, ab nächster Woche sind wir wieder komplett“, freute sich Annemieke. „Wie waren eure Ferien?“, fragte Emily. „Genial! Wir waren zwei Wochen mit dem Wohnwagen in Italien, Kroatien, in der Schweiz und in der Vatikanstadt. Es war jeden Tag sonnig und daher konnten wir oft im Mittelmeer schwimmen. Das Beste war jedoch das Eis, es schmeckte fantastisch“, schwärmte Mathilda. „Außerdem haben wir einen total süßen Jungen kennen gelernt, der Alessandro heißt und schon sechzehn ist“, ergänzte Annemieke, „Ich habe ihm erst gestern eine Email auf Englisch geschrieben“ „Kann er kein Wort Deutsch?“, fragte Emily. Annemieke schüttelte den Kopf, „Leider nein, er kann nur ein wenig Englisch“

 

„Wie ihr wisst haben wir mit den Piranhas Bandenfrieden vereinbart“, wechselte Kiki das Thema. Sie redete ungern darüber, welchen Jungen sie nun süß fand oder wen sie hässlich findet. Zugegebenweiser hatte sie noch nie einen Schwarm. Gerade als die Freundinnen über die Piranhas sprachen, kamen auch schon Lennart und Max auf ihren Skateboards um die Ecke. „Hey, Mädels!“, rief Lennart, „Seid ihr auch wieder an Land?“ „Das seht ihr doch! Oder habt ihr Tomaten auf den Augen?“, neckte Kiki die Jungen freundlich. „Ne, wir wollen uns auch ein Eis holen“, meinte Max und warf Annemieke einen freundlichen Blick zu. „Auch Piranhas essen gerne Eis, am liebsten Karamell- und Schokoladeneis“, betonte Lennart. Nachdem die beiden Jungs ihr Eis in der Waffel bestellt hatten, rauschten sie wieder auf ihren Brettern davon. Die Zwillinge und ihre Freundinnen genossen den Abend, die schlechte Stimmung und die Aufregung hatte sich aufgelöst, wie ein Tropfen Tinte in einer Pfütze. Doch um kurz vor zehn fielen Greta fast die Augen zu. Es war höchste Zeit für die Zwillinge nach Hause zu gehen und Greta ins Bett zu bringen.

 

 Am nächsten Tag gingen Annemieke und Mathilda mit Greta im Wald spazieren, nachdem sie kurz die Kaninchen im Schrebergarten versorgt hatten. Es war auch nicht mehr so heiß wie in den letzten Tagen, daher konnte man sich draußen wieder einigermaßen bewegen. „Da ist ein Vogel, da ist ein Eichhörnchen und gerade eben habe ich ein Kaninchen gesehen“, rief Greta fröhlich und hüpfte den Waldweg entlang. Über ihren Köpfen zwitscherten einige hundert Vögel, Waldameisen krochen über den Boden und eine Heerschar von Bienen war unterwegs, um Nektar zu sammeln. „Greta, nicht so schnell!“, rief Annemieke. Doch das kleine Mädchen verschwand hinter einer Tanne und war nicht mehr zu sehen. Hastig rannten die Zwillinge Greta nach. Einen Moment lang passte Annemieke nicht auf und merkte benommen, dass sie auf dem harten Waldboden lag. „Mist, ich bin über einen Ast gefallen!“, fluchte Annemieke und rappelte sich wieder auf. Mathilda konnte das kleine Mädchen stellen und packte es fest am Arm. „Du haust uns nicht noch mal ab und bleibst mir an der Hand“, knurrte sie. „Aber da ist ein großes Haus!“, rief Greta und zeigte in die Richtung eines Baumes. Erst beim genaueren Hinsehen, erkannte Mathilda, dass zwischen den Bäumen wirklich ein altes Haus stand. Es sah sehr alt und mysteriös aus. „Ich will es mir genauer ansehen“, bettelte Greta. „Das ist zu gefährlich!“, meinte Mathilda, „Du weißt nicht, ob es in diesem Haus vielleicht spukt“ „Gespenster spuken aber nur nachts“, wusste das neunmalkluge Mädchen. „Na gut, wir können es uns von außen angucken. Aber wir gehen nicht hinein“, gab Mathilda nach.

 

Eine interessante Entdeckung

Zuerst wunderte sich Annemieke, warum Greta und ihre Schwester so aufgeregt waren. „Was ist in euch gefahren? Seid ihr verrückt geworden, dass ihr einfach so durch das Unterholz prescht?“, rief sie leicht verärgert. „Schau es dir selber an, dahinten steht ein altes Haus mitten im Wald“, rief Mathilda zurück. So schnell es mit einem blutigen Knie ging, humpelte Annemieke zu ihnen hinüber. „Du hast Recht!“, hauchte Annemieke voller Ehrfurcht, „Das Haus sieht aus wie bei Hänsel und Gretel, nur die Lebkuchen fehlen“ Staunend näherten sich die Mädchen dem alten Gebäude, an dem Efeu rankte. Mathilda ging neugierig die Stufen zur Eingangstür hoch und probierte den schweren Türklopfer, ein Löwenkopf aus Messing, aus.

 

Erschrocken zuckte sie zusammen und kehrte wieder um, obwohl die Wahrscheinlichkeit sehr gering war, dass dort noch eine Person wohnte. Annemieke nahm Greta an die Hand und ging mit ihr um das Haus herum. „Warum gibt es keine Fensterscheiben mehr?“, fragte Greta. „Das Haus ist bestimmt hundert oder zweihundert Jahre alt“, sagte Annemieke, „Der Besitzer hat jahrelang nichts am Haus gemacht und deswegen zerfällt es langsam. Wenn ich mir das Häuschen so anschaue, scheint es mir so, dass hier niemand mehr wohnt“ „Das Häuschen wirft viele Rätsel auf!“, rief Mathilda mit leuchtenden Augen und kam um die Ecke gerannt, „Die Eingangstür ist ziemlich morsch, beinahe hätte ich sie heraus gebrochen, ohne dass ich mich dagegen gestemmt habe“ Annemieke warf einen Blick auf ihre Uhr, „Wir müssen nach Hause, ist gleich ein Uhr und Mama wollte mit uns um halb zwei Mittag essen“

 

 Die Zwillinge erzählten all ihren Freundinnen am Telefon von ihrer Entdeckung und konnten kaum abwarten, bis es Samstag war. Samstags mussten sie nicht auf Greta aufpassen, da ihre Eltern zuhause waren. Heute wollten sie mit Greta in einen Kinderfreizeitpark fahren. Die beiden Schwestern waren sehr früh aufgestanden, da sie in aller frühe noch einen Kirschkuchen für die Erkundungstour gebacken hatten, damit sie und ihre Freundinnen nicht im Laufe des Tages verhungerten. Annemieke musste bei ihrer Schwester ziemlich viel Überzeugungsarbeit leisten, da Mathilda am liebsten noch eine Stunde länger liegen geblieben wäre. „Der Kuchen bäckt sich nicht von allein!“, hatte sie schließlich zu ihr gesagt und sie aus dem Bett gekitzelt. Nach anderthalb Stunden war der Kuchen endlich fertig, sodass sie aufbrechen konnten. „Ich bin so froh, dass wir heute die kleine Göre vom Hals haben“, sagte Mathilda, als sie sich auf ihre Fahrräder schwangen und los fuhren. „Ich auch“, stimmte Annemieke zu, „Greta kann manchmal ziemlich schwierig sein, sie ist uns mehrmals weggelaufen und am Montag werde ich eine Hundeleine für sie kaufen“ An diesem Morgen war das Wetter sehr schön und die Luft roch angenehm nach Wald und Wiese, dennoch war es schwül und die Luft schien so dick zu sein, dass man sie hätte schneiden können. Annemieke liebte diesen Geruch und atmete die Luft tief ein. „Könnte nicht immer Sommer sein?“, dachte sie, „Sonst könnte man immer durch den Tag schweben, sich von der Sonne wärmen lassen und die schönsten Gerüche einatmen“

 

Im Wohnwagen wartete bereits der Rest der Roten Sieben, nur Fianna fehlte, da sie erst heute aus dem Urlaub zurück kam. Aylin und Lotta nippten an ihrem Eistee, als die Zwillinge herein kamen. „Hola, die Zwillinge sind da!“, rief Lotta und klatschte in die Hände, „Das Abenteuer kann nun endlich beginnen“ „Hallo Lotta!“, riefen die Zwillinge fröhlich, „Du siehst ganz schön braungebrannt aus!“ „Kein Wunder, ich war zwei Wochen auf Gran Canaria und da gab es jeden Tag Sonne satt. Ich war jeden Tag am Strand und bin geschwommen“, erzählte Lotta. Mit ihrem Piratenkopftuch und ihrem kurzen Pferdeschwanz sah sie bereits aus wie eine Abenteuerin. Die Freundinnen fingen an sich angeregt über ihre Ferien zu unterhalten, bis es Kiki genug wurde. „Wir können uns ein anderes Mal über unsere Ferien unterhalten“, unterbrach sie ihre Freundinnen, „Jetzt will ich endlich das alte Haus sehen. Auf geht’s!“ Sechs Mädchen fuhren mit ihren Fahrrädern in einem hohen Tempo den Waldweg entlang. „Ab hier müsst ihr absteigen!“, rief Mathilda, „Der Weg wird immer unzugänglicher“ Die Freundinnen folgten ihr und plötzlich wisperten sie aufgeregt.

 

„Seht ihr es auch?“, raunte Emily, „Dahinten zwischen den Bäumen“ „Natürlich!“, erwiderte Lotta und spähte durch die Bäume hindurch. Einige Meter vor dem alten Haus stellten die Freundinnen ihre Fahrräder ab und gingen die Steintreppe zur Eingangstür hinauf. „Oh nein!“, bemerkte Lotta auf einmal. „Was hast du?“, fragte Kiki irritiert, während sie mit Mathilda an der Tür ruckelte. „Habt ihr nicht die schwarzen Wolken am Horizont gesehen?“, erwiderte Lotta und schaute skeptisch drein, „Es wird bald einen richtigen Guss geben“ „Wir werden gleich eh drinnen sein“, meinte Kiki, „Daher kann es uns ganz egal sein ob es draußen ein Gewitter gibt oder nicht“ Mathilda, Emily und Lotta stemmten sich zu dritt gegen die Tür, allerdings war sie schon ziemlich morsch.

 

Im nächsten Moment gab die Eingangstür krachend nach. Ein Mädchen nach dem Anderen betrat vorsichtig die große und verstaubte Eingangshalle. Lotta und Emily mussten husten. „Da ist eine Treppe“, flüsterte Annemieke. „Wir durchsuchen erst die Eingangshalle“, sagte Kiki bestimmt. „Aber hier gibt es nichts außer Staub“, protestierte Aylin. „Gibt es hier einen Lichtschalter?“, fragte Lotta und tastete die Wand ab. „Ich glaube nicht. Das Haus ist bestimmt schon zweihundert Jahre alt“, schüttelte Mathilda den Kopf. „Wollen wir nicht erst ein Picknick draußen machen?“, schlug Emily vor, „Ich habe Hunger und danach können wir mit voller Tatendrang auf Entdeckungstour gehen“ Die Mädchen fanden ihren Vorschlag nicht schlecht. Annemieke und Mathilda breiteten ihre Decke draußen auf der Rasenfläche vor dem Haus aus, während ihre Freundinnen ihr Essen und Trinken aus den Rucksäcken herausholten. 

 

Die Zwillinge priesen ihren Freundinnen ihren selbstgebackenen Kuchen an. „Himmlisch und so schön saftig!“, lobte Lotta. „Mhmm, ich liebe Kirschkuchen und lauwarmer Kirschkuchen ist ein Gedicht“, schwärmte Emily. „Ich könnte glatt zehn Stücke davon essen, aber ich bin ja nicht dreist. Matti wäre das am ehesten zuzutrauen“, nahm Kiki sich ein zweites Stückchen und warf Mathilda einen neckenden Seitenblick zu. „Ey, das habe ich gehört!“, begann Mathilda ihre beste Freundin auszukitzeln. Dabei warf Kiki aus versehen Aylins Trinkbecher um. „Na toll, jetzt habe ich die Plörre auf meinem Teller!“, beschwerte sich Lotta und verzog ihr Gesicht zu einer angeekelten Miene. „Ihr übertreibt es wirklich manchmal mit euren Neckereien!“, wies Annemieke ihre Schwester und Kiki zurecht. 

 

 Langsam wurde es windiger und der Himmel zog sich zu. In der Ferne grollte leise ein erster Donner, aber die Mädchen waren so tief in ihr Gespräch versunken, dass sie offenbar nicht merkten, was um sie herum geschah. Es wurde dunkler und dunkler. Erst ein greller Blitz, der über den Himmel zuckte und schlagartig folgender Donnerschlag riss sie aus ihren Gedanken. Sofort fing es an aus allen Eimern zu schütten und Hagel prasselte auf sie herab. „Aaahh, verdammt!“, rief Annemieke, „Los lasst uns unterstellen!“ Wieder blitzte es mehrere Male innerhalb weniger Sekunden und der Donner zerriss sekundenlang die Atmosphäre. „Lauft!“, schrie Kiki in den strömenden Regen hinaus. Hastig packten die Mädchen ihre Sachen zusammen und rannten in das Haus. „Ich bin ganz durchnässt“, keuchte Mathilda, deren Haare platt am Kopf klebten. Mehrere Blitze erhellten für Bruchteile von Sekunden die sonst dunkle Eingangshalle und der Wind pfiff durch die kaputten Fensterscheiben. Normalerweise fürchtete Annemieke sich nicht vor Gewittern, aber der Gedanken, in einem verlassenen Haus zu sein, jagte ihr einen Schauer über ihren Rücken. Nur Aylin fürchtete sich noch mehr, sie hielt sich ihre Augen und ihre Ohren zu. „Das Gewitter ist bestimmt gleich vorbei“, tröstete Emily ihre Freundin und legte ihr die Hand auf die Schulter. Das Gewitter zog schnell weiter, aber der Regen wurde nicht schwächer.

 

Bald waren keine Blitze mehr zu sehen und der Donner wurde allmählich schwächer, bis er nicht mehr zu hören war. Die Freundinnen begannen ihre Entdeckungstour in die Küche. „Das ist ja ein richtiger Steinherd“, rief Kiki begeistert, „So einen hatte meine Oma früher auch noch gehabt“ Während ihre Freundinnen den Herd bestaunten, öffnete Annemieke die Kommode neben der Tür. Dort fand sie mehrere Hefte und alte Bücher, deren Schrift teilweise unlesbar war, vor und blätterte interessiert in einem alten Kochbuch. Plötzlich stieß Lotta einen Schrei aus, „Seht nur was ich in diesem Topf gefunden habe!“ Fünf Köpfe beugten sich über Lottas Schulter. „Ich glaube, ich bin im falschen Film“, rief Kiki fassungslos, „Wenn mich das nicht täuscht, sind das getrocknete Hanfpflanzen“ „Woher weißt du das?“, fragte Mathilda, „Ich hätte nicht erkannt, dass es Hanf ist“ „Mein Cousin hat mir letztens eine getrocknete Hanfpflanze gezeigt, schließlich raucht er Cannabis“, erzählte Kiki und sah in die leuchtenden Augen ihrer Freundinnen. Aylin holte ihr Handy aus der Umhängetasche und machte mehrere Photos. „Wofür soll das gut sein?“, fragte Emily. „Ich schicke die Photos an Fianna, sie soll auch eingeweiht werden“, sagte Aylin, „Außerdem habe ich ein Beweisphoto von dem Topf mit den Pflanzen gemacht“ Vorsichtig stellten die Mädchen den Topf zurück, wo sie ihn gefunden haben und gingen wieder in die Eingangshalle zurück.

 

 „Wir teilen uns in zwei Gruppen auf“, schlug Kiki vor, „Lotta, Aylin und ich erkunden weiter das Erdgeschoss, während ihr oben in den Schlafräumen nachschaut“ Die Zwillinge und Emily stiegen die knarrende Treppe hinauf. „Hier liegt sogar noch mehr Staub als unten“, hustete Emily. „Kommt, worauf wartet ihr?“, zischte Mathilda ungeduldig und öffnete die Tür zum Kinderzimmer. Ein Kinderbett stand unter der Dachschräge und auf der anderen Seite entdeckten sie ein Gitterbettchen. Mitten im Raum stand ein Schaukelpferd aus Holz, welches bestimmt seit einigen Jahrzehnten nicht mehr angerührt wurde. „Hier haben bestimmt zwei kleine Kinder gelebt“, flüsterte Annemieke, „Seht mal her, ich habe ein Taschentuch gefunden, auf dem der Name Ada gestickt ist. Das ist der Name des ersten Kindes“ Behutsam nahm sie das Taschentuch in die Hand und reichte es ihrer Schwester. „Das ist bestimmt Seide“, fuhr Mathilda mit den Fingern über den glatten Stoff und steckte es in ihre Hosentasche. In einer Kommode fanden sie ein kleines Heftchen.

 

Neugierig schlugen die Mädchen es auf und begannen zu lesen. „Liebes Tagebuch! Heute war ein schöner Tag, Oma Frieda kam zu Besuch und hat meiner Schwester, meinem Bruder und mir jeweils fünf Mark geschenkt. Mama hat einen Erdbeerkuchen gebacken und zusammen haben wir auf der Terrasse getrunken. Dein Friedrich (28.08.1886)“, schrieb der kleine Junge. Die Mädchen blätterten eine Seite um und Annemieke las vor, „Liebes Tagebuch! Heute ist mein achter Geburtstag. Mama hat einen großen Kuchen für mich gebacken, Albert hat eine Figur für mich geschnitzt, Ada hat mir ein Bild gemalt und mein Vater hat mir einen Hund geschenkt, den ich schon immer haben wollte. Von meinen Großeltern bekam ich Blechspielzeug und von Onkel Georg eine Trommel. Für den Nachmittag habe mir sieben Klassenkameraden und Hermine, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, eingeladen. Wir haben den ganzen Nachmittag Kavallerie, Cowboy und Indianer gespielt, bis es endlich den Kuchen gab und meine Freunde danach nach Hause gehen mussten. Es war ein wunderschöner Tag, den ich nie vergessen werde. Dein Friedrich! (02.10.1886)“

 

Annemieke blätterte weiter und übersprang mehrere Seiten, bis sie zum letzten Eintrag kam. Dieses Mal las ihre Schwester ihn vor, „Liebes Tagebuch! Vorgestern ist etwas ganz schreckliches passiert. Meine erst sechsjährige Schwester Ada ist an Lungenentzündung gestorben. Mein Vater starb erst wenige Wochen zuvor bei einem Arbeitsunfall und nun sind Mama, Albert und ich nur noch zu dritt. Seit einigen Tagen geht es mir auch schlecht, ich liege mit Fiber und einer Grippe im Bett und bin zu schwach um aufzustehen. Mama ist auch krank. Meine Tante und mein großer Bruder kümmern sich um uns. Hoffentlich werde ich schnell gesund. Dein Friedrich (15.02.1888)“ Mathilda, die nicht dafür bekannt war, dass sie besonders zart besaitet war, musste immer kurz pausieren, während sie vorlas. Annemieke konnte ihr deutlich ansehen, dass es ihrer Schwester nahe ging und ihr fast zum Weinen zumute war. „Warum brechen die Tagebucheinträge plötzlich ab?“, fragte Emily und blätterte weiter, allerdings kamen nur noch leere Seiten.

 

„Wahrscheinlich ist der kleine Bub auch gestorben“, sagte Annemieke traurig und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. „Es muss fürchterlich gewesen sein“, seufzte ihre Schwester, „Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn unsere Eltern sterben oder du nicht mehr lebst“ Schweigend und betroffen sahen sich die Mädchen an. „Warum trödelt ihr so rum?“, hörten sie Kikis Stimme und plötzlich standen Kiki, Lotta und Aylin in dem Zimmer. „Wir haben ein Tagebuch von einem kleinen Jungen gefunden, dessen kleine Schwester und Vater gestorben sind“, antwortete Emily, „Wir waren so gespannt, dass wir die Zeit vergessen haben“ „Wir haben auch etwas Interessantes nebenan im Arbeitszimmer gefunden“, erzählte Lotta, „In der Schubblade des Schreibtisches haben wir einen alten Familienstammbaum gefunden. Die Familie hieß Vilnius und lebte über mehrere Generationen in diesem Haus“

 

„Unsere Schrebergartennachbarin heißt auch Vilnius, Josephine Vilnius! Wisst ihr das noch?“, fiel Emily schlagartig ein. „Stimmt!“, rief Mathilda, „Das ist die nette alte Frau, die uns oft selbst geerntete Früchte vorbei bringt“ „Außerdem hat sie mir geholfen, unsere Kaninchen einzufangen“, ergänzte Emily. „Mein Vater hat erzählt, dass die Familie Vilnius aus dem Adel stammte und eine alteingesessene Familie in Freudenburg ist!“, fügte Kiki hinzu. „Glaubt ihr, dass Josephine Vilnius mit ihnen verwandt ist?“, fragte Aylin. „Den Namen Vilnius gibt es in Freudenburg und in der Umgebung sehr selten“, meinte Annemieke, „Von daher ist das gut möglich, dass sie mit ihnen verwandt ist“ „Nichts wie hin zum Schrebergarten!“, wurde Mathilda vor Aufregung nervös und hüpfte von einem Bein auf das Andere. Auch ihre Schwester spürte dieses Kribbeln im Bauch, wenn ihnen ein Abenteuer bevorstand. Draußen regnete es immer noch leicht, aber es war wenigstens nicht mehr so schwül. Die Freundinnen schwangen sich auf ihre Fahrräder und brausten davon. Vor den Schrebergärten stellten sie ihre Fahrräder ab und klopften an das Tor von Josephines Garten.

 

 

Einem interessanten Rätsel auf der Spur

Die Rote Sieben hatte großes Glück, Josephine Vilnius war gerade dabei ein paar Kirschen zu ernten. „Hallo Mädchen, was gibt es Neues?“, begrüßte sie die Bande und öffnete das Gartentor. „Hallo Josephine, wir müssen mit dir reden“, begann Kiki. „Wieso? Ist etwas Schlimmes passiert?“, fragte Josephine verwundert. „Nein, wir waren in einem alten Haus im Wald und haben es erkundet“, fügte Emily hinzu. „Ihr wollt mir wohl nicht sagen, dass ihr in der alten Villa der Vilnius ward“, erwiderte Josephine und zog ihre grauen Augenbrauen hoch. „Doch, doch! Das waren wir!“, bekräftigte Mathilda mit einem kräftigen Nicken, „Wir haben sogar ein altes Kindertagebuch und einen Stammbaum mitgenommen“ „Kommt mit rein, lass uns eine Schüssel rote Grütze mit Vanillesoße essen und dabei könnt ihr mir die Sachen zeigen“, sagte die alte Frau schmunzelnd und bat die Mädchen in ihre Gartenhütte zu gehen.

 

Zu siebt nahmen sie an einem gedeckten Tisch in der Gartenhütte platz, es war sehr eng, aber gemütlich. „Wie habt ihr die alte Villa entdeckt?“, fragte Josephine neugierig, „Sie liegt abgelegen von allen Spazierwegen mitten im Wald, wo kaum ein Mensch sie findet“ „Die Zwillinge haben sie vor wenigen Tagen entdeckt“, antwortete Lotta und zeigte auf ihre beiden Freundinnen. „Besser gesagt unser Babysitterkind hat sie entdeckt“, fügte Annemieke augenzwinkernd hinzu, „Wir sind bei einem Spaziergang vom Weg abgekommen, da unser Babysitterkind plötzlich durch das Unterholz gepest ist und dann standen wir vor diesem Haus“ „Nun zeigt mir mal den Stammbaum und das Tagebuch“, forderte Josephine die Mädchen auf, während sie ihre rote Grütze löffelten.

 

 Kiki legte die Sachen auf den Tisch und Mathilda holte das Stofftaschentuch aus ihrer Hosentasche. „Das ist ein Tagebuch von meinem Großonkel Friedrich!“, stieß Josephine atemlos hervor und begann zu erzählen, „In diesem Haus wurde mein Großvater Albert im Jahr 1872 geboren, er war das älteste von drei Kindern. Er hatte dort eine schöne Kindheit und Jugend verbracht, die abrupt endete. Zuerst starb sein Vater am zweiten Weihnachtstag 1887, als er von einem Ast erschlagen wurde und dann wurden seine Geschwister sehr krank. Friedrich und Ada bekamen wegen des kalten Wetters Lungenentzündung, niemand konnte ihnen mehr helfen. Sie starben bei im Februar 1888 und seine Mutter ist einen Monat später gestorben. Daraufhin zog er zu seiner Tante“ Die Mädchen hatten dicke Tränen in den Augen. „War das Haus danach für immer verlassen?“, fragte Annmieke mit zittriger Stimme und blinzelte eine Träne weg. „Du kannst dir wohl vorstellen, dass mein Großvater nie wieder zu diesem Haus zurück kehren wollte, in dem er so viel Unheil erlebt hat“, sagte Josephine, „Er hat mir als kleines Kind erzählt, dass dieses Haus Unglück bringt und deshalb wollte ich, nachdem ich es einmal gesehen habe, dort nie wieder hin und habe es aus meinem Gedächtnis verbannt. Allerdings gibt es laut meinem Großvater einen Familienschatz“

 

„Ein Familienschatz?“, die Augen der Mädchen wurden vor Neugierde ganz groß. „Ernst der Vater meines Großvaters hat in einem Wandtresor Geld und Schmuck versteckt, damit sie auch in schlechten Zeiten über die Runden kamen“, fuhr Josephine fort, „Allerdings gerieten das Haus und der Schatz immer mehr in Vergessenheit“ „Wir müssen den Schatz finden und ihn dir zurück geben, Josephine!“, rief Kiki und ihre Freundinnen schlugen bei ihr ein. Während Josephine noch weitere Gesichten aus ihrer Kindheit erzählten, schrieb Aylin eine lange SMS an Fianna. Ihre beste Freundin musste auf dem Laufenden gehalten werden, damit sie über ihre Entdeckungen bescheid wusste. Ein Moment später vibrierte Aylins Handy. „Hallo Rote Sieben, es ist wirklich total aufregend, was ihr entdeckt und ich werde ab Montag dabei sein. Hab euch ganz lieb und viele Grüße. Sorry ich habe nicht länger Zeit, weil wir gerade auf dem Flughafen sind und gerade kommt unser Gepäck. Lg eure Carrot J“, schrieb Fianna zurück. Um halb sieben mussten die Zwillinge nach Hause fahren, ihre Eltern hatten ihnen versprochen, dass es heute Abend Pizza gibt. „Kommt Montag um neun Uhr zum Wohnwagen“, rief Kiki ihnen hinterher, „Wir wollen den Rätseln der Villa unbedingt auf die Spur kommen!“ „Das werden wir!“, riefen die Zwillinge ihren Freundinnen hinterher und winkten.

 

 Zuhause duftete es im Flur verlockend nach Pizza und den beiden Schwestern lief das Wasser im Mund zusammen. Außer zwei Toasts zum Frühstück und einem Picknick, hatten sie noch nichts Vernünftiges gegessen. „Papa, hast du für mich Pizza Thunfisch mitgebracht?“, rief Mathilda. „Klar, habe ich das und für deine Zwillingsmaus gibt es Pizza Hawaii. Ich weiß doch was meine Zwillingsmäuse am liebsten essen!“, erwiderte ihr Vater schmunzelnd. Greta saß schon am Tisch und aß eine kleine Pizza Salami. „Warum hast du einen Verband an der Hand, Greta?“, fragte Annemieke, während sie aßen. „Greta hat sich bei der Rückfahrt vom Freizeitpark die Hand in der Autotür geklemmt und danach mussten wir mit ihr zur Notaufnahme fahren, weil sie vor Schmerzen geschrieen hat und ihre Hand immer dicker wurde“, erzählte ihre Mutter, „Gott sei dank, hat sie sich nur die Hand verstaucht und es nichts gebrochen“ „Der Doktor hat mir sogar einen Lolli geschenkt!“, rief Greta. „Wie habt ihr heute den Tag verbracht?“, wollte ihre Mutter wissen, „Hoffentlich habt ihr euch nicht den ganzen Tag gelangweilt und nur vor dem Fernseher gesessen“ „Nein Mama, das haben wir nicht“, schüttelte Mathilda den Kopf. Annemieke baute darauf, dass ihre Schwester nichts von der alten Villa erzählte, die sie vorhin durchsucht hatten. „Wir haben mit unseren Freundinnen einen langen Bandentag in unserem Wohnwagen gemacht“, fuhr Mathilda fort, „Kiki und Emily haben uns heute ihre neuen Kochrezepte ausprobiert und es hat total lecker geschmeckt“

 

Innerlich seufzte Annemieke vor Erleichterung, ihre Schwester war eine gute Geschichtenerzählerin und niemand merkte es ihr an, wenn sie log. Das Geheimnis ihrer Bande war streng geheim und niemand außer ihnen und der alten Josephine durfte es wissen. „Zwillinge, wir haben eine Überraschung wir euch!“, rief ihr Vater. Annemieke legte ihre Gabel auf den Teller und sah ihren Vater mit großen Augen an. „Vorhin hat meine Schwester Rentje angerufen und will am Montag kommen und sich um die Kleine kümmern. Ihr habt euren Job zwar echt super gemacht, aber wir finden, dass ihr euch auch Erholung verdient habt“, fuhr er fort und erntete ein dankbares Lächeln seiner Töchter. „Hoffentlich ist Rentje genauso nett und lustig wie die Zwillinge“, sagte Greta. „Das wird sie auf jeden Fall sein!“, versicherte Mathilda dem kleinen Mädchen, „Sie hat immer gute Laune, singt während der Arbeit und wird dir ein paar Worte auf Niederländisch beibringen“ Greta schmunzelte und fragte, „Wie geht denn Niederländisch?“ „Matti, macht es dir einmal vor. Sie spricht Niederländisch besser als ich“, versprach Annemieke. „Hallo, mijn naam is Matilda en ik ben op de leeftijd van dertien. Na de zomervakantie, ik kom met mijn tweelingzus in de achtste graad“, sagte ihre Zwillingsschwester. „Was heißt das?“, fragend sah Greta Mathilda an, die die Alles noch mal auf Deutsch wiederholte.

 

 Am Montagmorgen trafen sich die Freundinnen pünktlich in ihrem Bandenquartier, in Emilys Wohnwagen. Zuerst stärkten sie sich mit Tee, frisch geernteten Erdbeeren und Emilys Marmorkuchen. Die Freude, dass sie nun wieder vollzählig waren, konnte man den Mädchen ansehen. Aufgeregt schwatzten sie über ihre Ferienerlebnisse und neckten sich gegenseitig. „Du siehst immer noch ganz blass aus, Carrot“, meinte Kiki, „Hast du nicht genug Sonne bekommen?“ „Nein, sie hat Urlaub bei Graf Dracula im Spukschloss in Transsilvanien gemacht, wo sie als bleiches Gespenst auch hingehört. Dort wurde sie nur in der Nacht an die frische Luft gelassen. Ihr wisst doch das Geister, sich im Sonnenlicht auflösen“, scherzte Mathilda. „Pö, fangt bloß nicht an, mich zu verhöhnen!“, erwiderte Fianna gespielt beleidigt und zog einen Schmollmund.

 

„Na gut, in ihr Irland regnet es sowieso dauernd. Da macht es keinen Unterschied, ob man sich tagelang unter die Dusche oder ob man seinen Urlaub in Irland verbringt“, meinte Annemieke neckend. „Jetzt fängst du auch noch an, über meine Heimatland zu lästern, Annemieke ter Steegen“, erwiderte Fianna empört. „Meine Güte, bei dir regnet es anscheinend auch ständig, Fianna O’Hara“, stichelte Mathilda, „Du machst ein Gesicht, als wäre es sieben Tagen Regenwetter, dabei haben wir so schönes sonniges Wetter draußen“ Fianna streckte ihren Freundinnen frech die Zunge raus und fing an zu lachen. Nach und nach lachten ihre Freundinnen auch mit. Wie hatte sie die Neckereien und die Späßchen unter ihren Bandenfreundinnen im Urlaub vermisst!

 

„Wollen wir nicht langsam aufbrechen?“, fragte Lotta in die Runde. „Ne, ich muss meinen Kuchen erst aufessen und danach esse ich noch ein paar Erdbeeren“, rief Mathilda mit vollem Mund. „Man spricht nicht mit vollem Mund, Schwesterherz!“, tadelte Annemieke ihre Schwester kopfschüttelnd. Obwohl sie einen Tag jünger als Mathilda war, war sie von den Zwillingen eindeutig die Vernünftigere und wies nicht selten ihre Schwester zurecht. „Erst muss ich mich aber genügend gestärkt haben“, steckte sich Mathilda einen Keks und zwei Erdbeeren gleichzeitig in den Mund. „Du alter Fresssack!“, puffte Lotta sie in die Seite. „Ich finde, wir sollten langsam in die Gänge kommen, sonst löst sich der Schatz auf, bevor wir aufschlagen“, meinte Kiki und stand auf. Die Mädchen schwangen sich auf ihre Fahrräder und fuhren in Windeseile los, besonders Fianna trat vor Neugier in die Pedale und überholte ihre Freundinnen. Schließlich war sie die Einzige, die die Villa Vilnius noch nicht gesehen hatte.

 

 In der alten Villa teilte sich die Bande in mehrere kleine Gruppen auf. Emily und Lotta suchten die Küche und Wohnzimmer ab, während Mathilda und Kiki in der Eingangshalle blieben und einen Blick in das Arbeitszimmer warfen. Annemieke ging mit Aylin und Fianna in den ersten Stock und suchte dort nach Hinweisen für den Familienschatz der Vilnius. Auf Zehenspitzen schlich Fianna ihren Freundinnen hinterher. „Los, beeil dich doch, Fianna!“, drängte Annemieke, die schon im Elternschlafzimmer war. „Ich hasse es, wie diese alten Holzbalken knarren“, wisperte Fianna. „Du hast Recht, das hört sich echt bedrohlich an und macht mir auch ziemlich Angst“, fand Aylin und ihre Stimme klang ein wenig verängstig. „Quatsch!“, murrte Annemieke, „Das ist ein altes Haus und es ist normal, dass alte Holzbalken knarren“ Aylin und Fianna folgten ihrer Freundin ins Elternschlafzimmer, aber Annemieke kam ihnen kopfschüttelnd entgegen. „Ich habe hier nichts Interessantes entdeckt. Lasst uns in das Kinderzimmer von Friedrich und Ada gehen, vielleicht gibt es dort einen geheimen Safe oder eine versteckte Tür hinter dem großen Schrank“, sagte sie. „Ich höre Schritte!“, raunte Fianna und sah sich panisch um. „Ach, das sind nur welche von uns“, versuchte Annemieke ihre Freundin zu beruhigen, obwohl ihr in diesem Moment das Herz bis zum Hals schlug. Hoffentlich waren es ihre Freundinnen und niemand anders.

 

 Erst als Matildas hellblonden Locken im Türrahmen auftauchten, atmete sie erleichtert auf. „Wir sind fündig geworden, Mädels!“, rief Kiki und kam aufgeregt in den Raum gestürmt. „Zeig mal her!“, rief Annemieke mit großen Augen. „Wir haben ein kleines Büchlein eines gewissen Alfred Vilnius im Schreibtisch des Arbeitszimmers gefunden. Es enthält mehrere interessante Notizen über den Familienschatz. Es soll zwischen dem Kinder- und Elternschlafzimmer einen Tresor geben, in dem der Schatz versteckt ist“, Kikis Stimme überschlug sich vor Aufregung. Jetzt verstand Annemieke warum Kiki und Mathilda so aufgedreht waren. „Wo sind Lotta und Emily?“, fragte Aylin und drehte sich beunruhigt zu ihren Freundinnen um. „Sie sind noch unten in der Küche“, sagte Mathilda, „Soll ich sie eben mit dem Handy anrufen?“ Sie holte ihr Handy aus ihrer Hosentasche und starrte missmutig auf das Display.

 

„Mist, hier gibt es keinen Empfang“, murrte sie. „Sie werden sicher schon alleine kommen“, meinte Kiki und stieß einen Pfiff aus. Einen Moment später hörten sie, wie zwei Personen die Treppe hoch gelaufen kamen. „Wie das knarrt! Ich hasse dieses Geräusch, ich glaube immer, dass im nächsten Moment die Treppe zusammenbricht“, bemerkte Fianna und verzog dabei das Gesicht. „Bei diesem Geräusch wird mir auch immer ein wenig mulmig“, bestätigte Annemieke. „Was gibt es neues und warum hast du gerade eben gepfiffen, Kiki?“, fragte Lotta irritiert und platzte mit Emily herein. „Wir haben ein kleines Buch gefunden, in dem drin steht, wo die Reichtümer des Hauses versteckt sind. Allerdings müsste laut dem Lageplan der Tresor hinter diesen schwerem Schrank liegen“, meinte Kiki und ließ Lotta auf die vergilbte Karte schauen. Die Freundinnen stöhnten leise auf, als sie den massiven Schrank aus Eichenholz ins Visier nahmen. „Wie sollen wir diesen schweren Schrank bewegen?“, fragte Emily ratlos. „Ich meine im Elternschlafzimmer ist die zweite Tür zum Tresor. Das heißt, dass sich der Tresor zwischen der Wand von Kinder- und Elternschlafzimmer befindet“, raunte Kiki mit gedämpfter Stimme, um nicht zu viel Krach zu erzeugen. 

 

Psst, wer kommt denn da?

Während sich die Rote Sieben angeregt über die Lage der beiden Tresore im oberen Stockwerk und im Wohnzimmer unterhielten, hörten sie Schritte und Stimmen. Aber in diesem Fall konnte es niemand der Roten Sieben sein, alle Mitglieder waren im Kinderzimmer versammelt und schauten auf einen alten Lageplan. „Hilfe, was machen wir?!“, zischte Aylin und riss vor Angst ihre Augen weit auf. „In Deckung! Versteckt euch!“, wisperte Kiki und verschwand mit Lotta unter einem Bett, während Emily unter das andere Kinderbett kroch. Aylin setzte sich auf die Fensterbank und wickelte sich in die Gardine ein. Mathilda und Fianna schlichen auf Zehenspitzen in das Nachbarzimmer, um sich dort zu verstecken. Nur Annemieke wusste so schnell nicht, wo sie sich verstecken sollte.

 

Im letzten Augenblick schlüpfte sie in den alten Kleiderschrank. Im Schrank war es nicht nur sehr dunkel, sondern auch sehr staubig. Die Stimmen wurden immer lauter und nun war es deutlich, dass es die Stimmen der Piranhas waren. „Wie kommen die Fischköpfe hier hin?“, grübelte Annemieke und musste gleichzeitig die Luft anhalten, damit sie den Staub nicht einatmete. Länger als eine halbe Minute konnte sie nicht den Atem anhalten und schnappte nach Luft. Der Staub bewirkte, dass sie niesen musste und leider konnte sie es nicht unterdrücken. Sie nieste nicht nur einmal, sondern es kam gleich dreimal „Hatschi, Hatschi, Hatschi“ aus dem Schrank. Annemieke war wütend auf sich selber und hätte am liebsten geheult, dass wegen ihr sie und ihre Freundinnen aufgeflogen waren. Geschockt merkte sie, wie die Schranktür geöffnet wurde und sie schreckensstarr in Jannis leuchtend grüne Augen schaute. „Wen haben wir da?“, zischte er leise und packte Annemieke am Arm. Noch immer raste ihr Herz und sie war unfähig zu reagieren, deshalb fing sie vor Schreck an zu schreien. „Lasst Annemieke los!“, rief Kiki und huschte aus ihrem Versteck.

 

„Wir wollen euch gar nichts Böses!“, rief Jannis beschwichtigend, „Nur wir sind total geplättet, dass ihr auch hier seid“ „Was macht ihr im Haus meiner Vorfahren?“, fragte Michael erstaunt. „Was? Haben deine Vorfahren hier wirklich gelebt?“, fragte Lotta erstaunt und kam aus ihrem Versteck. „Hier hat früher mein Ururopa gelebt“, sagte Michael. „Wir wissen, dass der Opa von Josephine Vilnius hier gelebt hat“, platzte es aus Emily heraus, „Das hat sie uns vor kurzem erzählt“ „Woher kennst du bitteschön meine Oma, Emily?!“, rief Michael verblüfft. „Sie hat einen Schrebergarten direkt neben unserem“, erwiderte Emily. Die Piranhas starrten die Mädchen an, als wäre außer ihnen noch ein Raumschiff gelandet. „Nicht zu fassen!“, sagte Michael mehrmals leise vor sich hin. Plötzlich fiel Jannis auf, dass nur vier Mädchen der Bande anwesend waren. „Ihr seid doch eigentlich zu siebt, wo ist denn der Rest von euch?“, fragte er. Als erstes kam Aylin hinter der Gardine hervor und danach kamen Fianna und Mathilda ins Zimmer hinein geschlichen. „Aha, die Rote Sieben ist vollständig“, bemerkte Ömer. „Fehlen bei euch nicht auch zwei Mitglieder?“, fragte Mathilda. „Lennart und Max warten noch unten, ich rufe sie jetzt“, antwortete Michael.

 

Die beiden Banden saßen sich auf den Kinderbetten gegenüber, die Mädchen hockten auf Adas früherem Bett und die Jungs saßen auf Friedrichs Bett. Für einen Augenblick sagte niemand etwas, die Mitglieder beider Banden schauten sich ahnungslos an. „Ich mache euch ein Angebot, liebe Rote Sieben“, begann Jannis, „Wie wäre es, wenn ausnahmsweise zusammenarbeiten?“ „Wie meinst du das mit dem Zusammenarbeiten?“, fragte Kiki. „Ganz einfach, wir werden den Schatz gemeinsam suchen und die Prämien untereinander aufteilen, wenn wir den Familienschatz von Michis Vorfahren finden“ „Okay, wir arbeiten gerne mit euch zusammen, aber nur unter einer Bedingung und zwar nur, wenn wir gleichberechtigt sind“ „Was meinst du mit gleichberechtigt?“ „Aus jeder Bande wird einen Anführer für unsere Mission bestimmt“ „Dann wäre ich der Chef von den Piranhas und du bist die Anführerin der Roten Sieben. Zusammen sind wir das Anführerduo. Habe ich das richtig verstanden?“ „Genauso, habe ich es gemeint“ „Okay, dann arbeiten wir unter dem Decknamen „Die Wilde Dreizehn“ zusammen“ „Okay, abgemacht!“

 

Jannis hielt seine Hand in die Mitte und Kiki schlug ein. Die Mädchen und die Piranhas reichten sich gegenseitig die Hände, um die Zusammenarbeit zu besiegeln. „Wir müssen gleich nach Hause, es ist schon ein Uhr und wir kriegen Ärger, wenn wir zu spät zum Mittagessen nach Hause kommen. Treffen wir uns um acht Uhr abends vor dem Haus?“, fragte Jannis. „Wir werden um acht Uhr da sein“, sagte Kiki, „Darauf könnt ihr euch verlassen!“ „Ich bringe für den Notfall Hammer und Meißel mit“, sagte Max. „Ich werde ein Kletterseil mitbringen“, fügte Lennart hinzu, „Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob wir es wirklich brauchen werden“ „Ich habe ein tolles Taschenmesser“, meinte Ömer und holte es aus seiner Jackentasche.

 

„Gut, gut! Habt ihr Mädchen auch etwas Sinnvolles außer Schminke, Schuhe, Schmuck und Nagellack?“, fragte Jannis. „Selbstverständlich!“, rief Kiki entrüstet, „Sind wir etwa das Tussenkomitee oder haben uns in den Club der Topmodels umbenannt?“ Kiki funkelte ihn wütend an und holte ebenfalls ein Schnitzmesser aus ihrer Jackentasche. „Ich wusste gar nicht, seit wann du bewaffnet bist!“, bemerkte Jannis. „Sicher ist sicher!“, erwiderte Kiki, stemmte selbstbewusst ihre Arme in die Seiten und schaute dem Anführer der Piranhas direkt in die Augen. „Ich habe noch zwei Walkietalkies“, fiel Fianna auf einmal ein, „Das ist zwar eher Kinderspielzeug, aber es könnte trotzdem nützlich sein, weil die Handys hier keinen Empfang haben“ „Sowas ist sehr nützlich“, meinte Jannis, „Bringe deine Walkietalkies auf jeden Fall heute Abend mit“ „Wir treffen uns um kurz vor acht vor dem Haus“, sagte Jannis, „Sollte etwas sein, werden wir euch anrufen“ „Wir machen einfach eine Telefonkette“, schlug Sven vor. „Gute Idee, Sven!“, meinte Jannis, „Habt ihr bei euch in der Bande auch eine Telefonkette?“ „Auf jeden Fall“, sagte Kiki, „Oder haltet ihr uns für einen unorganisierten Chaoshaufen?“ „Immerhin bleiben wir immer mit unseren Handys in Kontakt“, zeigte Lotta allen ihr topmodernes Smartphone.

 

Nach der Besprechung fuhren die Zwillinge mit ihren Fahrrädern so schnell nach Hause, wie sie konnten. „Verdammt, wir sind beinahe eine halbe Stunde zu spät!“, keuchte Annemieke und trat noch heftiger in die Pedale. „Mach dir keine großen Sorgen. Du weißt, dass Tante Rentje nie mit uns schimpft, wenn wir zu spät kommen. Sie sieht Vieles gelassener als unsere Mutter“, rief ihre Zwillingsschwester, die ein paar Meter vor ihr fuhr. Wäre ihre Mutter anstatt Tante Rentje zuhause, müssten sich die Zwillinge auf ein Donnerwetter gefasst machen, da ihre Mutter sehr auf Pünktlichkeit achtete. Aber trotzdem hasste Annemieke es, zu spät zu kommen. Deshalb konnte manchmal die Sorglosigkeit ihrer Schwester überhaupt nicht verstehen. Außerdem hatte sie einen enormen Kohldampf, da seit dem Frühstück im Wohnwagen nichts mehr gegessen hatte. „Wo ward ihr denn gewesen?“, fragte Tante Rentje. Ihr niederländischer Akzent war nicht zu überhören. „Unser Bandentreffen im Wohnwagen hat ein bisschen länger gedauert“, meinte Mathilda und schob sich eine Tortellini in den Mund. „Sorry, es wird nicht wieder vorkommen, dass wir zu spät kommen“, entschuldigte sich Annemieke. „Kein Ding, Anni! Das passiert bestimmt jedem einmal“, meinte Rentje gelassen und brachte Greta ins Bett, während die Zwillinge aßen.

 

 Die Mittagspause verbrachten Annemieke und Mathilda auf unterschiedliche Weise. Annemieke lutschte ein Schokoladeneis und sonnte sich auf der Terrasse im Liegestuhl. Mathilda war in ihren Zimmer, hörte Musik und diskutierte angeregt mit Kiki im Chat über die bevorstehende Mission. Annemieke wollte sich für einige Stunden entspannen und Kräfte sammeln. Sie dachte an das autogene Training, vor den Sommerferien hatten sie und ihre Mutter dort bei einem Kurs mitgemacht, wo sie gelernt hatten, wie man sich gezielt entspannt. Annemieke begann mit einer Körperreise und ließ alle Muskeln kontrolliert anspannen oder entspannen. Sie hatte die Augen geschlossen und fühlte sich bald federleicht. Dieses Training half gut, um Kräfte zu sammeln. Als sie fast eingeschlafen war, kam ihre Schwester auf die Terrasse gestürmt.

 

„Was ist denn los, Schwesterherz?“, fragte Annemieke erschrocken und richtete sich auf. „Na hör mal, die Mission wurde für heute abgeblasen“, sagte Mathilda enttäuscht. „Was?!“, rief Annemieke entsetzt. „Kiki hat mich gerade angerufen, Aylin liegt mit Migräne im Bett, Michael muss zur Geburtstagsfeier seiner Tante und Max muss auf seine kleine Schwester aufpassen. Entweder alle oder keiner!“, rief Mathilda, „Wir haben heute einen freien Abend und ich werde mich bestimmt zu Tode langweilen“ „Irgendwie bin ich auch ziemlich enttäuscht“, seufzte Annemieke, „Ich habe mich schon so dermaßen auf diese Mission gefreut“ „Die Mission wird auf morgen Abend verlegt. Ich habe gerade Emily bescheid gesagt und die wird gleich Lotta anrufen“, erzählte Mathilda und legte sich neben ihrer Schwester auf eine Liege.

 

Abends chillten die beiden Schwestern in ihrem Zimmer und hörten sich nebenbei die neue CD mit den Bravo-Hits an, die Mathilda kürzlich von ihrem Taschengeld gekauft hatte. Gerade als ihr Lieblingslied lief, klingelte Annemiekes Handy. „Hi, hier ist Annemieke“, meldete sie sich. „Hi, ich bin’s, Aylin“, vernahm sie Aylins Stimme. „Was gibt es?“, fragte Annemieke, die sich wunderte, wieso ihre Freundin jetzt noch anrief. Damit sie Aylin besser verstehen konnte, stand sie auf und machte die Musik leiser. „Ich wollte nur sagen, dass ich morgen mit einer Freundin, die ich lange nicht mehr gesehen habe, ins Kino gehen werden“, hatte Aylin ihr mitzuteilen. „Heißt das etwa, dass du bei der Exkursion in der alten Villa nicht dabei bist?“, schlussfolgerte Annemieke rasch.

 

„Genau“, bestätigte ihre Freundin und fügte hinzu, „aber ich denke, ihr werdet es auch alleine schaffen, immerhin habt ihr die Piranhas dabei“ „Sag mal, mit wem telefonierst du da?“, stand Mathilda auf einmal direkt vor ihrer Schwester. „Mit Aylin. Wieso willst du das wissen?“, erwiderte Annemieke. „Gib mal das Handy her!“, forderte Mathilda und hielt es kurz darauf an ihr Ohr. Annemieke rollte leicht genervt mit den Augen. Es war nicht immer einfach mit so einer dominanten Zwillingsschwester wie Mathilda, die ständig den Ton angeben wollte. Auch jetzt schien Mathilda das Gespräch mit Aylin an sich zu reißen. „Du kannst doch wann anders ins Kino gehen. Sag deiner Freundin bescheid, dass du morgen keine Zeit hast und ihr euch für die Verabredung einen anderen Tag suchen müsst“, redete sie auf Aylin ein.

 

„Hast du Aylin doch noch überreden können?“, kam Annemieke wieder, nachdem sie kurz auf Toilette gewesen war. „Ja, sie wird wohl doch kommen“, nickte ihre Schwester und fügte hinzu, „Trotzdem hörte sich Aylin so an, als wollte sie sich davor kneifen und unsere Bande hängen lassen“ „Ich kann sie aber irgendwie verstehen“, erwiderte Annemieke, „Unser Vorhaben in der alten Villa ist nicht ganz ohne und ich habe ehrlich gesagt auch Bammel davor. Es kann immer etwas passieren. Stell dir vor, ein Teil des Daches oder der Treppe stürzt ein“ „Meine Güte, seid ihr Schisshasen. Es sieht nicht so aus, als würde das Haus zeitnah in sich zusammen fallen“, rollte Mathilda mit den Augen und fügte hinzu, „Du und Aylin, ihr solltet echt eine Angsthasenbande aufmachen. Ihr seid ängstlicher als die Polizei erlaubt. Selbst Greta hat mehr Mut als ihr beide zusammen“ In Annemieke begann es zu brodeln, da sie sich von ihrer Zwillingsschwester nicht ernst genommen fühlte. „Was starrst du mich so zickig an?“, wunderte sich Mathilda. „Weil du meine Sorgen und Ängste eh nicht ernst nimmst und mir höchstens einen hohlen Spottkommentar an den Kopf wirfst“, zischte Annemieke in ihre Richtung.

 

„Meine Güte, du bist aber eine beleidigte Leberwurst“, gab ihre Schwester zurück und machte die Musik wieder lauter. In diesem Moment drehte sich Annemieke um und verließ das Zimmer. Es gab Momente, in denen es unmöglich war mit ihrem Zwilling zu reden. Lieber gesellte sie sich zu ihren Eltern und Tante Rentje unten auf die Terrasse. Zwar redete die über ihre Erwachsenenthemen wie z.B. die lästigen Arbeitskollegen oder die nächste Steuererklärung, aber wenigstens gingen sie ihr gerade nicht auf die Nerven. „Willst du auch etwas trinken, Liebes?“, fragte Rentje. „Gerne!“, nickte sie und holte sich einen Stuhl. Rentje goss ihr Traubenschorle ein, während die Erwachsenen an ihren Rotweingläsern nippten. „Was macht eigentlich deine Schwester?“, fragte ihr Vater. „Ach, die hört oben in ihrem Zimmer Musik“, versuchte Annemieke so beiläufig wie möglich zu klingen und musste sich kurz zusammenreißen, damit sie nichts von der kleinen Verstimmung zwischen ihr und Mathilda erzählte. Denn die Erwachsenen durften nicht einmal kleinste Details von ihrem morgigen Vorhaben erfahren. 

 

Eine halbe Stunde später ging sie doch wieder nach oben, um sich bettfertig zu machen, da ihr einerseits kalt war und andererseits konnte sie vor Müdigkeit keinem Gespräch mehr folgen. „Tut mir leid, dass ich gerade so fies. Es ist einfach unüberlegt aus mir heraus gerutscht. Ich muss in Zukunft lernen mich besser zu beherrschen. Ich freue mich schon auf morgen und hoffe, dass die Schatzsuche ein Erfolg wird“, kam ihre Schwester auf dem Flur entgegen und nahm sie kurz in den Arm. „Egal, Schwamm drüber! Jeder schießt mal über das Ziel hinaus“, nahm Annemieke ihrer Schwester den Ausrutscher nicht weiter krumm und schloss sich ins Bad ein. 

 

Rote Sieben – Jetzt wird es gefährlich!

Am nächsten Abend saßen Greta, Tante Rentje und die Familie ter Steegen pünktlich um halb sieben am Abendbrottisch. „Warum habt ihr plötzlich überhaupt keinen Hunger, Zwillinge?“, fragte Frau ter Steegen etwas besorgt, „Sonst esst ihr immer wie die Scheuendrescher“ „Oh Mama, wir haben vorhin zu viele Chips und Süßigkeiten gegessen“, stöhnte Mathilda theatralisch und presste ihre Hand auf ihren Bauch. „Das ist gar nicht gut“, meinte ihre Mutter, „Hast du denn richtige Bauchschmerzen?“ „Nein, das nicht“, erwiderte Mathilda, „Aber ich kann momentan nichts essen, sonst wird mir richtig schlecht“ „Ihr hättet vor dem Abendbrot nicht so viel naschen dürfen“, machte ihre Mutter ihnen einen Vorwurf, „Ich sage euch das dauernd, aber das kriege ich nicht mehr in diesem Leben in eure Köpfe rein“ Annemieke versuchte ein Kichern zu unterdrücken, sie wusste, dass ihre Schwester ihrer Mutter einen Bären aufband. Mathilda hatte ein riesiges Talent sich aus jeder Angelegenheit heraus zu reden und noch nie ist ihr ein Geheimnis gegenüber rausgerutscht, der davon nichts wissen durfte. Sie hielt jedes Mal dicht, selbst ihren eigenen Eltern erzählte sie kein Ton von der bevorstehenden Mission. „Würden Mama und Papa davon erfahren, dass wir in einem alten Haus nach einem Schatz suchen, würden sie uns in unser Zimmer einsperren“, dachte Annemieke und zwang sich ein Käsebrötchen und ein Stück Paprika zu essen.

 

Ihre Schwester bekam außer einer Scheibe Toast und einem Glas Milch nichts herunter. „Wollt ihr heute Abend noch irgendwo hin?“, fragte ihre Mutter. „Ja, wir wurden zu einer Party der Piranhas eingeladen“, sagte Mathilda. „Sind das nicht eure Feinde?“, stutzte ihre Mutter. „Nicht mehr, das war einmal als wir vor einem Jahr auf Klassenfahrt waren“, erwiderte Mathilda. Anhand ihrer Tonlage gab sie ihrer Mutter zu verstehen, dass sie längst nicht mehr auf dem neusten Stand war. „Na gut, ihr seid spätestens um halb elf wieder zuhause“, meinte ihr Vater. Um halb acht stiegen die Zwillinge auf ihre Fahrräder und fuhren los. Annemieke war beinahe schlecht vor Aufregung. Wird heute Abend alles gut gehen? Werden sie als Schatzsucher in die Geschichte der Stadt eingehen? Viele Fragen schossen durch ihren Kopf. Manchmal war sie neidisch auf ihre Schwestern, weil Mathilda viel unbeschwerter an Aufgaben heran ging und nicht mal halb so viel grübelte.

 

Zudem fühlte sich Annemieke schuldig, da sie ihre Eltern nach Strich und Faden belogen hatten. „Hoffentlich wird diese Lüge niemals auffliegen?“, dachte sie und bei diesem Gedanken wurde ihr wieder flau im Magen. Ihre Eltern konnten ziemlich böse werden, wenn man sie belügt oder ihnen die Wahrheit vorenthält. Wegen einer Lüge hatten sie und ihre Schwester vor zwei Jahren eine Woche Hausarrest bekommen. Am Haus warteten bereits schon Emily, Kiki, Lotta, Max, Lennart, Ömer und Jannis. „Hallo Kaasköppe! Endlich habt ihr es auch hier hingeschafft“, begrüßte sie Jannis neckend. Mathilda konnte es nicht unterlassen, dem Anführer der Piranhas die Zunge rauszustrecken. Aber in diesem Fall handelte es sich um Neckereien, doch noch während der Klassenfahrt in der sechsten Klasse waren gegenseitige Beschimpfungen und Streiche an der Tagesordnung gewesen. „Nun fehlen nur noch Fianna, Aylin, Sven und Michael“, stellte Lennart fest.

 

Im nächsten Moment kam Michael keuchend mit seinem Mountainbike vorgefahren. „Nun hat es der Michi doch noch geschafft“, spottete Lennart. „Danke, du Penner!“, erwiderte Michael, „Ich habe mich gerade verdammt abgemüht, durch den Wald zu hetzen“ Da Michael ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen hatte, hatten seine Freunde ihn gerade eben abgehängt und Michael musste sich ein paar Minuten auf eine Bank setzen, um zu verschnaufen. „Da kommen endlich Aylin und Fianna“, rief Kiki und winkte ihre beiden Freundinnen zu sich rüber. Auf den ersten Blick hatte Annemieke Fianna nicht erkannt. Fianna war ganz in schwarz gekleidet und hatte sogar ihre roten Haare unter einer schwarzen Mütze versteckt. „Du siehst aus wie Kim Possible!“, rief Lotta begeistert. Fianna strahlte, da sie jetzt einen neuen Spitznamen sicher hatte. „Wo bleibt eigentlich Sven?“, fragte Jannis nervös, „Der Idiot muss kommen, sonst ist unsere Mission im Eimer“ „Der kommt noch, er muss erst seine Eltern rumkriegen“, versicherte ihm Lennart. Mit zehn Minuten Verspätung parkte Sven sein Fahrrad vor dem Haus. Er sah, dass seine Freunde einen Lageplan des Hauses studierten. „Hey, habt ihr schon eine neue Idee, wo der Schatz sein könnte?“, fragte er neugierig und nahm den Plan an sich. „Ich bin mir sicher, im Keller ist auch ein Teil des Schatzes versteckt“, murmelte Sven, „Seht ihr dort die Markierung?“ „Ja, im Keller sollen angeblich teure Vasen und wertvolles Porzellan gelagert sein“, sagte Jannis zu seinen Freunden.

 

„Wir müssen uns in Gruppen aufteilen“, rief Kiki und bat um ihre Aufmerksamkeit, „Oder wie wollen wir es sonst machen, Jannis?“ „Wir werden uns in vier Gruppen aufteilen“, bestimmte Jannis, „Eine Gruppe geht in das Kinderzimmer, die zweite in das Elternschlafzimmer, eine andere Gruppe sucht im Wohnzimmer und die letzte Gruppe geht in den Keller“ „Ich gehe auf keinen Fall in den Keller“, rief Aylin sofort. Fianna war das einzige Mädchen, welches bereit war, in den Keller zu gehen. Dass ausgerechnet die sonst zimperliche und eigenwillige Fianna freiwillig in den Keller ging, damit rechnete niemand. Lennart und Ömer gingen mit Fianna mit. Diese Gruppe verschwand als erstes im Haus. „Sven, Aylin, Emily und ich werden das Wohnzimmer absuchen“, entschied Jannis. Lotta, Kiki und Michael waren für das Elternschlafzimmer zuständig. Max und die Zwillinge stiegen die Treppe hinauf zum Kinderzimmer. Annemieke war heilfroh, dass sie ihre Zwillingsschwester dabei hatte, da die alte Villa gerade abends noch furchteinflößender wirkte als am Tag. Da sie ein wenig Angst hatte, hakte sie sich bei Mathilda unter. „Wo soll dieser Tresor sein?“, fragte Max. „Ich glaube, er soll hinter diesem Schrank sein“, vermutete Mathilda, „Wir müssen ihn ein Stück zur Seite schieben“

 

Das war leichter gesagt als getan. Zu dritt drückten und warfen sie sich mit ihrem vollen Gewicht gegen den Schrank, aber er bewegte sich keinen Zentimeter. „Wir versuchen es noch einmal!“, stöhnte Max, „Wir rennen alle gleichzeitig gegen den Schrank und werfen uns mit unserem Gewicht dagegen. Dann wird es bestimmt klappen“ Annemieke, Mathilda und Max versuchten es noch einige Male, doch der Schrank bewegte sich nur wenige Millimeter zur Seite. „Es bringt nichts“, keuchte Mathilda, „Wir müssen der Gruppe im Nebenraum bescheid sagen, dass sie uns helfen sollen“ „Das keine schlechte Idee“, gab Max zu, „Wir mühen uns bestimmt schon eine Viertelstunde ab, diesen verdammten Schrank zu verschieben“ „Ich gehe kurz und sage ihnen Bescheid“, sagte Annemieke und huschte hinaus. Das Elternschlafzimmer lag direkt daneben. „Habt ihr schon etwas gefunden?“, fragte sie die Gruppe. „Wir haben hinter einem Wandteppich einen Tresor entdeckt, aber leider lässt sich nicht öffnen. Michael versucht mit einer Feile das Schloss aufzubekommen“, erzählte Kiki. „Wir brauchen dringend eure Hilfe“, bat Annemieke, „Wir müssen den schweren dunkelbraunen Schrank verschieben und zwar schaffen wir es nicht alleine. Ihr müsst uns helfen“ Lotta, Kiki und Michael folgten Annemieke in das Nachbarzimmer.

 

„Die Hilfe ist da!“, sagte Annemieke zu Mathilda und Max, die sich bereits auf die Betten gesetzt hatten. Zu sechst konnten sie den Schrank ohne Probleme ein Stück verschieben und an der Wand kam ein blaues Holztürchen zum Vorschein. „Das ist der Tresor!“, wisperte Kiki und ihre schwarzen Augen fingen an zu leuchten. Ohne Probleme konnte Max mit einem Schraubenzieher und anderem Werkzeug das blaue Türchen öffnen. Gebannt starrten sechs Augenpaare auf Max geschickten Hände. „Das Türchen kann geöffnet werden“, sagte Max zu seinen Freunden. Zur Enttäuschung der Freunde verbarg sich kein Schatz im Tresor, sondern ein paar getrocknete Büschel Cannabis. „Ui, wie kommt der Cannabis hier rein?“, rief Max erstaunt, „Haben deine Vorfahren etwa Drogen geschmuggelt, Michi?“ „Halt deine Klappe, sonst gebe ich dir gleich meine Faust!“, erwiderte Michael beleidigt. „Wir hätten uns die ganze Arbeit sparen können!“, rief Mathilda enttäuscht und schüttelte den Kopf. Lotta, Kiki und Michael gingen wieder in das Nachbarzimmer zurück. „Was machen wir jetzt?“, fragte Annemieke. Die Enttäuschung in ihr saß so tief wie ein Stachel. „Ich weiß nicht, wo wir noch suchen könnten?“, zuckte Max mit den Schultern. „Ich schaue jetzt in jede Schubblade und unter dem Teppich. Vielleicht finden wir dort etwas“, meinte Mathilda optimistisch und begann jedes Fleckchen des Zimmers abzusuchen.

 

 Niemand rechnete damit, dass jederzeit noch Jemand anderes kommen könnte. Jede einzelne Gruppe war so tief in ihre Schatzsuche vertieft, dass sie nichts mehr in ihrer Umgebung wahrnahm. Fünf Männer, die sich unterhielten und Waffen bei sich trugen, gingen durch die offene Haustür in die Eingangshalle. Als Annemieke zufällig mitbekam, dass fünf Männer das Haus betraten, war es schon zu spät. „Leute, es kommt jemand!“, zischte sie aufgebracht, „Ich muss die Gruppe im Nachbarzimmer warnen“

Mit klopfenden Herzen schlich sie leise auf den Flur hinaus, aber die Männer standen bereits unten in der Eingangshalle und plötzlich schrie ein Mann mit einer tiefen Bassstimme, „Man ist in unser Quartier eingebrochen! Wenn wir diese Ratten kriegen, machen wir sie kalt“ „Ich habe gerade zwei dieser Blagen gesehen“, sagte ein Mann mit einer sehr hohen Stimme, „Ein rothaariger Junge und ein großes Mädchen mit braunen Haaren“ „Bring sie her zu mir und ich mache sie kalt“, rief der Mann mit der tiefen Stimme. „Ich habe sie bereits gefangen“, erwiderte der Mann mit der hohen Stimme. „Im Keller sind bestimmt auch noch irgendwelche Blagen“, sagte ein Typ mit einer rauen Stimme. Annemieke bekam panische Angst und bebte am ganzen Körper, sodass ich kaum in der Lage war zu atmen.

 

„Mario, schau nach ob im ersten Stock auch irgendwelche doofen Kinder rumlungern“, rief der Mann, der anscheinend der Chef dieser Bande war. „Ich gehe jetzt hoch und wenn ich eine dieser Ratten sehe, wird sie kalt gemacht“, rief ein anderer Mann. Annemieke wurde fast ohnmächtig und spürte, wie ihre Beine nachgaben. Sie musste sich schleunigst verstecken, sonst wäre sie dem Typen schutzlos ausgeliefert. Gott sei dank stand neben ihr eine hölzerne Standuhr, in der sie sich verstecken konnte. Sie öffnete die Tür der Standuhr, zwängte sich in den Holzkasten und verschloss die Tür so fest sie konnte. Im Holzkasten war es eng und das Pendel nahm auch ein wenig Platz weg. Leise atmete sie ein und aus. Ein Mann kam die Treppe hoch gerannt und ein zweiter folgte ihm. „Stellt euch oder ihr erlebt euer blaues Wunder“, schrie ein Mann. „Was habt ihr hier verloren, ihr kleinen Kröten?“, brüllte ein anderer Typ. Im nächsten Augenblick hörte Annemieke wie eine Tür zerbarst und zwei Mädchen vor Angst aufschrieen. Das waren Lotta und Kiki. „Oh nein, hoffentlich passiert ihnen nichts“, dachte Annemieke unglücklich und zitterte noch heftiger als gerade eben.

 

 Im nächsten Augenblick brach im ganzen Haus ein großer Tumult aus, Annemieke hörte wie die Männer und ihre Freunde schrieen und wie mehrere Sachen zu Bruch gingen. „Lassen Sie mich los!“, brüllte Kiki einen Mann an. Einen Augenblick später schrie ein Mann vor Schmerzen auf, „Diese schwarzhaarige Bestie hat mir in die Hand gebissen! Fesselt sie und führt sie ab!“ Für den kräftigen Mann war es kein Problem das zierliche Mädchen zu fesseln und es wegzutragen. Kiki schrie wie am Spieß und strampelte mit ihren Beinen, als der Mann mit den vielen Tattoos sie die Treppe runter trug. „Das Mädchen mit den blonden Haaren ist eindeutig harmloser und der dicke Junge auch. Ich passe auf, dass sie nicht abhauen können“, rief der eine Mann. „Josip, du musst du Tür zum Kinderzimmer aufbrechen“, rief sein Kumpan Mario, „Sie ist fest verriegelt“ „Notfalls werde ich einmal schießen müssen, damit ich die Tür öffnen kann“, meinte Josip und brüllte, „Macht die Tür auf oder ich schieße!“ Niemand antwortete ihm und er wiederholte, „Na gut, wenn ihr nicht freiwillig die Tür öffnet, werde ich schießen“ Im nächsten Augenblick knallte es zweimal. „Mist, sie haben eine große Barrikade gebaut“, rief Josip wütend, „Ich muss eine Axt nehmen, um mir den Weg frei zu schlagen. Mario, hol sofort die Axt von Tiago!“ „Ich kann nicht, ich muss auf die beiden Kinder aufpassen“, erwiderte Mario. „Mit den beiden Blagen werde ich selber fertig!“, rief Josip, „Du gehst sofort zu Tiago und holst dir die Axt!“ „Wird gemacht, bin gleich wieder da!“, antwortete Mario.

Alarmstufe Rot!

Wenig später hörte Annemieke wie der Mann mit der Axt die Tür und mehrere Möbel zerschlug. „Jetzt habe ich zwei weitere Blagen, die ich mich packen werde“, triumphierte Josip. „Schlepp sie zu mir in das Elternschlafzimmer!“, rief Mario. Mathilda und Max rannten ipanisch m Kinderzimmer hin und her und versuchten dem dicken Mann zu entkommen. Mathilda entkam dem Mann mit einer geschickten Körpertäuschung und rannte durch die Tür auf den Flur. „Verflucht noch mal, dieser hellblonde Lockenkopf ist mir entwischt!“, fluchte Josip. „Kein Problem, Joe! Ich habe die Ratte gefangen“, rief Mario und warf sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf Mathilda drauf. „Lassen Sie die Finger von mir! Aua, Sie tun mir weh!“, schrie Mathilda und heulte vor Schmerzen. „Kein Widerstand, du kleines Goldlöckchen! Ich kann mit dir kurzen Prozess machen“, rief Mario und hielt Mathilda eine Pistole an den Kopf. „Sie wollen mich doch nicht erschießen oder? Ist das Ihr ernst? Was soll das bringen, wenn Sie unschuldige Kinder ermorden?“, fragte Mathilda und ihre Stimme war plötzlich wieder ganz ruhig. Annemieke konnte von ihrem Versteck aus jedes Wort verstehen und fing leise an zu weinen. Noch nie hatte sie so eine Angst um ihre eigene Schwester gehabt. Um Himmels Willen, Mathilda durfte nichts passieren!

 

„Ich werde nicht fliehen und Sie können mich als Geisel nehmen, aber dafür nehmen Sie Ihre Pistole weg“, sagte Mathilda ruhig und bestimmt. „Lassen Sie auf der Stelle das Mädchen in Ruhe!“, schrie Max außer sich vor Wut und riss sich von Josip los. „Halt die Klappe, du Grünschnabel!“, brüllte Josip den Jungen an und gab ihm eine Ohrfeige. Im nächsten Moment boxte Max Josip so heftig ins Gesicht, dass dieser bewusstlos zu Boden sank. Mario zielte auf Max, aber Michael stürmte aus dem Elternschlafzimmer und entriss Mario die Pistole. Im nächsten Augenblick ertönte ein nächster Schuss und Mario sank schreiend zu Boden. „Pavel, dieser Fettsack hat mir ins Bein geschossen“, rief Mario vor Schmerzen weinend. „Ich bringe eben zwei weitere Kinder nach oben“, rief der Mann mit der tiefen Stimme, „Dann werde ich oben ordentlich Klarschiff machen. Wir lassen uns von diesen kleinen Blagen nicht die Butter vom Brot nehmen!“ 

 

Annemieke bekam mit, wie ein laut weinendes Mädchen die Treppe hinauf getragen wurde. Das war sicher Aylin oder Emily, aber genau  wusste sie es auch nicht. Ihr liefen immer noch die Tränen über ihr Gesicht und sie wagte es kaum zu atmend, um nicht in laute Schluchzer auszubrechen. Sonst würden die Männer sie auch finden und gefangen nehmen. „Wir haben jetzt sieben Kinder gefangen, aber ich bin mir sicher, das waren mehr als zehn Kinder. Ein paar dieser Ratten müssten uns entkommen sein. Tiago wird sie gleich suchen fuhren, sie sind bestimmt nicht weit von hier entfernt und verstecken sich im Wald“, sagte Pavel mit seiner tiefen Stimme, „Das freche Mädchen haben wir ins Auto gebracht und ich fahre ich sie ganz woanders hin, um sie schön kalt zu machen“ „Ich hoffe, dass Ihnen sobald wie möglich der Prozess gemacht wird und Sie lebenslang hinter Gittern sitzen“, brüllte Jannis den Chef der Bande an. „Über dich lache ich, du kleiner Pumuckl!“, höhnte Pavel, „Lerne du erstmal, dass man vor Älteren Respekt hat, sonst bist du der erste Kandidat für eine Kugel im Kopf“

 

Annemieke horchte auf, sie hörte mehrere ihrer Freundinnen weinen und auch Jannis fing an zu schluchzen. „Wo ist dein Kumpel mit den blonden Haaren?“, fragte Pavel und schlug Jannis ins Gesicht. „Ich weiß es nicht!“, schrie Jannis heulend. „Lüg nicht, er war die ganze Zeit bei dir und er lungert hier garantiert irgendwo rum!“, brüllte Pavel den Jungen an. Jannis blieb stumm und sagte kein Wort. „Was kann ich tun, Pavel?“, fragte der Mann mit der hohen Stimme. „Pass mit Tiago auf die Blagen auf, während ich die anderen Kinder suchen gehe, Aaron!“, befahl Pavel und ging mit schweren Schritten die Treppe herunter. Sieben Teenager hockten eingeschüchtert auf dem Bett im Elternschlafzimmer und wurden von Tiago und Aaron bewacht. Die Mädchen kauerten sich zusammen und weinten leise, während Michael und Max vor Wut kochten. „Wagen Sie es auf uns zu schießen, kann ich zurück schießen!“, drohte Michael mit zitternder Stimme. „Halt die Fresse!“, knurrte Tiago und richtete seine Waffe auf den Jungen, „Du kannst froh sein, dass du noch lebst. Wir hätten dich genauso erschießen können, nachdem du Mario ins Bein geschossen hast“ „Wir geben euch eine Stunde Zeit, damit ihr euch outen könnt, warum ihr in diesem Haus herum geschnüffelt habt“, sagte Aaron ruhig, „Wenn ihr nichts sagt, werden wir euch verschleppen und eure Eltern werden euch leider nicht mehr wieder sehen“

 

Aylin und Lotta begannen erneut zu weinen und Mathilda starrte die Männer wütend an. Nur Emily regte sich nicht und schaute mit glasigen Augen die Männer an. „Wir wollten den Schatz meiner Vorfahren suchen“, gestand Michael. „Hahahaha, da hättet ihr wochenlang suchen können, denn der so genannte Familienschatz hat schon neue Besitzer gefunden“, lachte Tiago hämisch. „Wir werden sehen, ob Sie immer noch so dreckig lachen, wenn Sie eines Tages hinter Gittern sitzen“, rief Michael zornig. „Stell dir es nicht zu einfach vor, uns ins Gefängnis zu bekommen. Das haben schon Hundertschaften von Polizeistreifen versucht und bislang sind die daran erbärmlich gescheitert“, meinte Aaron. Wieder war es für mehrere Minuten mucksmäuschenstill.

 Sven, Fianna, Ömer und Lennart waren aus dem Haus entkommen und rannten durch den Wald. „Wir müssen die Polizei rufen!“, rief Lennart aufgebracht, „Aber hier gibt es keinen Empfang“ „Doch jetzt habe ich Empfang“, meldete sich Fianna zu Wort und wählte die 110. „Lass mich sprechen!“, sagte Sven, aber Fianna reichte ihm freiwillig ihr Handy. Es knackte mehrmals und eine tiefe männliche Stimme meldete am anderen Ende der Leitung, „Guten Abend, hier ist die Polizei Freudenburg. Was können wir für Sie tun?“ „Guten Abend, hier spricht Sven Leitner. In der früheren Villa der Familie Vilnius werden mehrere Geiseln zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren gefangen gehalten und akut bedroht“, begann Sven. „Wie viele seid ihr und wie seid ihr in die Villa der Vilnius gekommen? Dieses alte zerfallene Haus liegt mitten im Wald und dort kommt man nicht so ohne weiteres hin“, meinte der Polizist.

 

„Wir sind dreizehn Jugendliche und wir haben in der Villa nach einem alten Familienschatz gesucht. Es wurden neun Leute von uns als Geiseln genommen, aber drei Personen und ich sind in den Wald geflüchtet“ „Von wie vielen Personen werden die Geiseln gefangen gehalten?“ „Es sind fünf Männer. Ein Mann ist groß, ziemlich dick und trägt einen Bart. Ein anderer Mann ist ziemlich klein und hat eine hohe Stimme. Der dritte Mann hat ein auffälliges Tattoo am Unterarm. Die anderen beiden Männer sind ziemlich jung und athletisch“ „Tragen sie Waffen bei sich?“ „Ja, die Männer sind mit Pistolen, Messer und einer Axt bewaffnet“

„Sag ihm, dass wir Cannabis gefunden haben!“, zischte Fianna. „Wie ich gerade mitbekommen habe, wurde Cannabis im Haus gefunden“, sagte Sven. „Wir werden sofort mit einem Sondereinsatzkommando und Spürhunden auftauchen“, sagte der Polizist und legte auf. „Super, Sven!“, lobte Ömer, „Du bist total cool geblieben. Ich glaube, niemand wäre in so einer brisanten Situation so ruhig geblieben wie du“ Fianna und die drei Jungen trauten sich nicht einen Schritt auf das Haus zu zugehen.

 

Plötzlich traten Fianna Tränen in die Augen und sie schniefte leise. „Was ist los?“, flüsterte Lennart und legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Meine Freundinnen, ich habe so eine große Angst um sie! Ich weiß nicht, was mit ihnen passiert ist“, brach Fianna in Tränen aus, „Bestimmt haben diese Männer sie entführt oder erschossen“ „Das glaube ich nicht“, meinte Ömer, „Warum sollen sie deine Freundinnen erschießen? Die Männer spüren doch, dass von ihnen keine ernst zu nehmende Gefahr ausgeht und deswegen brauchen sie niemand zu erschießen“ „Außerdem haben die Männer uns mit ihren Drohungen schnell ruhig gekriegt“, fügte Sven hinzu, „Als erstes wurden Aylin und Emily gefesselt, weil sie sich sofort ergeben. Jannis hat eine ganze Zeit lang mit diesem kleinen und hageren Aaron gekämpft. In der Zwischenzeit bin ich aus dem Fenster geklettert und habe die Reifen des Geländewagens zerstochen, damit sie nicht mit dem Auto fliehen können“

 

Fianna atmete tief durch und versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass gleich die Polizei auftauchen wird. Von weitem waren die Sirenen der Polizeiautos zu hören und zwischen den Bäumen konnten sie das Blaulicht blinken sehen. „Sie sind endlich da!“, flüsterte Fianna erleichtert. „Wir werden hier bleiben, bis die Gefahr vorbei ist!“, entschied Sven. Mindestens fünf Polizeiautos hielten vor der Villa und mehr als fünfzehn Polizisten umstellten das alte Gebäude. Fünf Polizeimänner gingen durch die offene Haustür in die Eingangshalle. „Die Männer sind oben“, sagte ein Polizist, „Im Wohnzimmer und in der Küche ist niemand mehr“ Zu fünft gingen sie die Treppe hoch.

„Verdammt die Bullen sind da und unser Chef hat sich aus dem Staub gemacht!“, fluchte Tiago. „Was machen wir jetzt?“, wimmerte Aaron. „Hör auf rumzuheulen“, zischte Tiago, „Sondern helfe mir dabei, das Zimmer zu verrammeln“ Zu zweit schoben sie einen großen Schrank vor den Türrahmen. „Lassen Sie uns rein, hier ist die Polizei!“, hörten sie Jemand rufen. „Mist!“, fluchte Tiago. „Ergeben Sie sich“, rief ein Polizist. „Verdammt, sie haben uns und wir sind im Arsch!“, schrie Tiago und sprang aus dem Fenster. „Er ist wirklich aus dem Fenster gesprungen“, wisperte Jannis. „Er ist mit Sicherheit tot“, meinte Max, „Einen Sturz aus dieser Höhe überlebt man nur, wenn man viel Glück hat“ Da Tiago aus fünf Metern Höhe gesprungen ist, lag er schwer verletzt auf dem Boden und war bewusstlos. Aaron stellte sich der Polizei und ließ sich in Handschellen abführen. Josip und Mario konnten sich nicht wehren, da sie verletzt waren und wurden von den Polizisten die Treppe herunter getragen. „Das ist die Drogendealerbande, nach der schon deutschlandweit gefahndet wurde“, sagte ein Polizist zu seinem Kollegen, „Erstaunlicherweise gehen die Gauner uns ins Netz“ „Wir haben vier Männer, aber von dem Drogenboss fehlt jede Spur“, meinte sein Kollege. „Donnerwetter, wir haben gerade eben mindestens zwei Kilo Cannabis gefunden!“, sagte ein dritter Polizist, „Die Bande muss hier wohl schon über Jahre ihre Drogen gelagert haben und dann ins Ausland verkauft haben“

 

 Wenig später fuhr ein Krankenwagen vor, um den Schwerverletzten Tiago und Mario, der eine Schusswunde am Bein hatte, ins Krankenhaus zu bringen. In der Zwischenzeit wurden die Geiseln befreit und in einen Mannschaftswagen der Polizei gebracht. Kiki lag immer noch im Kofferraum des Geländewagens, ihre Hände und Füße waren zusammengebunden und sie hatte einen Knebel im Mund. Verzweifelt versuchte sie zu schreien, aber bekam keinen Ton aus sich heraus. Vorhin hatte der Bandenboss versucht den Wagen wegzufahren, aber jemand hatte die Reifen aufgeschlitzt und die Motorhaube mit einer Axt zertrümmert. Kiki richtete sich auf und rammte ihren Ellenbogen mehrmals heftig gegen die Scheibe. Es tat zwar weh, aber es war die einzig Möglichkeit für sie auf sich aufmerksam zu machen. „Sitzt jemand im Auto der Bande?“, fragte eine Polizistin, „Ich höre, wie jemand gegen die Scheibe haut“

Zwei Kollegen gingen hin und schauten nach. „Da ist eine Geisel im Kofferraum!“, rief ein Polizist und öffnete die Heckklappe, die nicht verschlossen war. Er löste Kikis Fesseln und nahm ihr den Knebel aus dem Mund. Kiki nickte dankbar und wischte sich erleichtert die Tränen aus ihrem Gesicht. „Du kannst dich zu deinen Freunden in den Polizeibus setzen“, sagte Polizist und stützte Kiki, da sie immer noch sehr doll zitterte. „Kiki, du bist wieder da!“, jubelte Lotta und schloss ihre Freundin in die Arme. „Weiß jemand, wo Fianna ist?“, fragte Aylin ängstlich, „Ich will nicht, dass ihr etwas Schlimmes passiert ist“ Wenig später kam ein weiterer Polizist und öffnete die Tür vom Mannschaftsbus. Sven, Ömer, Lennart und Fianna stiegen ein. „Fianna!“, schrieen Emily, Lotta und Aylin überwältigt.

 

Nur Mathilda blieb ruhig. Wo war ihre Schwester? „Haben wir jetzt alle Kinder?“, fragte eine Polizistin. „Ich weiß nicht wo meine Schwester ist“, rief Mathilda und ihre Stimme überschlug sich vor Angst. „Wann hast du deine Schwester zuletzt gesehen?“, fragte die Frau. „Vorhin als wir in diesem Haus waren“, antwortete Mathilda mit einem Kloß im Hals. „Wie heißt sie und wie sieht sie aus?“, fragte die Polizistin weiter. „Sie heißt Annemieke ter Steegen und sieht genauso aus wie ich, weil wir Zwillinge sind“, sagte Mathilda und merkte, dass ihr Mund beim Sprechen immer trockener wurde. „Willst du mitkommen und sie suchen?“, fragte die Polizistin. Mathilda nickte schniefend und stand auf. „Ich gehe auf mit. Annemieke ist meine beste Freundin“, rief Emily plötzlich und folgte Mathilda. „Du kannst auch ruhig mitkommen“, sagte ein Polizist zu Emily. Mathilda war kurz davor wieder in Tränen auszubrechen. Emily spürte wie angespannt ihre Freundin war, schließlich war Mathildas Zwillingsschwester verschwunden. „Wir werden sie auf alle Fälle finden, auch wenn wir die ganze Nacht nach ihr suchen müssen“, raunte Emily und legte ihren Arm um Mathildas Schulter.

 

 Verwirrt öffnete Annemieke ihre Augen, aber sie konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. „Wo bin ich?“, dachte sie panisch, stieß sich am Pendel und rieb sich die schmerzende Stelle am Hinterkopf. Ab diesem Moment war ihr wieder bewusst, dass sie im Uhrenkasten hockte und sich vor den Gangster versteckte. „Ich muss wohl einen Moment weggetreten sein“, sagte sie leise zu sich selber. Sie hörte wieder Geräusche, es waren Schritte und Stimmen. Vor Angst begann ihr Puls zu rasen, ihre Beine zitterten und kalter Schweiß rann ihr den Rücken hinunter. „Annemieke, Annemieke, Annemieke! Annemieke, wo bist du?“, hörte sie mehrere Personen ihren Namen rufen und spitzte ihre Ohren. „Sie suchen mich“, dachte Annemieke erleichtert, aber gleichzeitig hatte sie große Angst ihr Versteck zu verlassen. Sie war sich nicht sicher, ob die Männer immer noch im Haus waren. „Ich bin hier!“, krächzte Annemieke leise und plötzlich musste sie kräftig husten, da ihr Mund sehr trocken war und sie den Staub einatmete. Ein Polizist riss die Tür von der Standuhr auf. Zuerst zuckte Annemieke erschrocken zusammen und hätte fast vor Angst geschrieen, aber es war nur ein Polizist, der vor ihr stand. „Wir haben die Vermisste!“, rief er seinen Kollegen zu. „Annemieke!“, rief Mathilda jubelnd und stürmte auf sie zu. Statt zu antworten, schluchzte Annemieke etwas Unverständliches und ließ sich in die Arme ihrer Schwester fallen. So dermaßen überwältigt und erschöpft hatte sie sich noch nie in ihrem Leben gefühlt. Ein Polizist stellte ihr ein paar Fragen, aber Annemieke nahm ihre Umwelt nur noch wie durch Watte wahr und verstand nur noch Bahnhof. „Sie können ihr gerade keine Fragen stellen“, antwortete Mathilda ruhig, „Sie scheint halb bewusstlos und ziemlich müde zu sein“ Die Polizisten brachten Emily und die Zwillinge in den Mannschaftswagen der Polizei zurück. Annemieke saß zwischen ihrer Schwester und Lennart, aber sie war vor Müdigkeit schnell eingeschlafen und bekam von der zwanzigminütigen Fahrt nichts mit. Erst durch einen sanften Rippenstoß von Mathilda wurde sie geweckt, aber sie nickte vor Erschöpfung wieder ein.  

 

 

 

 

 

Der Verhör

Zuerst wurden die Kinder in ein Krankenhaus gebracht, um zu schauen ob sie wirklich unverletzt waren. Nur Jannis, Michael, Kiki und Lotta hatten leichte Blessuren erlitten, die behandelt werden mussten. Dennoch musste nur Annemieke über Nacht zur Beobachtung  im Krankenhaus bleiben, da sie über Schwindel und Kreislaufprobleme klagte und im Krankenhausflur fast zusammen gebrochen war. Mathilda konnte sie noch gerade rechtzeitig auffangen und auf einen Stuhl setzen. Sie war so müde, dass sie nicht einmal mitbekam, dass eine Krankenschwester ihr einen Venenzugang für eine Infusion legte. Obwohl sie normalerweise die erste Nacht in fremden Betten sehr schlecht schlief, war sie sofort vor Erschöpfung fest eingeschlafen und bekam nicht mit, wie die Krankenschwestern rein und raus liefen und wie ein Kind im Nachbarbett die ganze Zeit leise weinte. Ihre Freunde wurden zur Polizeiwache zurückgebracht, wo bereits die Eltern der Kinder warteten.

 

Viele Eltern, besonders die Mütter, waren total aufgeregt und es wurde Erleichterung ein paar Tränen vergossen. Die Familien wurden nach Hause geschickt, da der Verhör erst am nächsten Vormittag stattfinden wird und die Kinder sich ausruhen sollten. Am nächsten Morgen wurde Annemieke davon geweckt, dass sie am Arm berührt wurde. Erst als sie ihre Augen öffnete, erkannte sie ihre Mutter. „Guten Morgen, Mäuschen! Wie geht es dir?“, fragte ihre Mutter. „Guten Morgen, Mama! Mir geht es inzwischen wieder richtig gut“, erwiderte Annemieke und richtete sich im Bett auf. „Das beruhigt mich“, erwiderte ihre Mutter, „Deine Schwester erzählte mir gestern Abend, dass du vor Erschöpfung zusammengebrochen bist und die Ärzte dich zur Beobachtung da behalten wollten“ „Wenn ich ehrlich bin, möchte ich gar nicht mehr hier bleiben. Ich bin wieder fit“, sagte Annemieke, „Ich will unbedingt wieder nach Hause“

 

Im nächsten Moment kam der Arzt ins Zimmer. „Wie geht es unserer jungen Patientin?“, fragte er. „Mir geht es hervorragend“, strahlte Annemieke, „Ich glaube, ich kann wieder nach Hause gehen“ „Einen Moment, wir müssen dich noch einmal untersuchen und dann entscheiden wir, ob wir dich entlassen“, erwiderte er und eine Krankenschwester fing an, bei Annemieke die Körpertemperatur und den Blutdruck zu messen. Annemieke ließ die Untersuchung über sich ergehen, ohne zu murren und hoffte, dass sie grünes Licht bekam. „Es ist alles in Ordnung“, sagte der Arzt zu ihrer Mutter, „Die gemessenen Werte sind im grünen Bereich und Ihrer Tochter geht es wieder viel besser. Wir können sie jetzt entlassen“ Zum Abschied gab der Arzt Annemieke und ihrer Mutter die Hand. „Wir werden jetzt zur Polizeiwache fahren“, sagte ihre Mutter im Auto, „Um zehn Uhr sollt ihr vernommen werden und es werden einige Zeitungen und Fernsehteams dabei sein, da die Bande seit über acht Jahren europaweit gesucht wird“ „Was? Wir werden im Fernsehen und auf den Titelblättern der Zeitungen sein!“, hauchte Annemieke und riss vor Neugierde ihre Augen auf. „Ihr werdet zwar im Fernsehen sein, aber ihr werdet höchstens nur von den Zeitungen interviewt. Nur der Polizeisprecher wird Fernsehinterviews geben“, meinte ihre Mutter. „Werden wenigstens unsere Namen genannt?“, fragte Annemieke. „Nein, ich glaube nicht“, schüttelte ihre Mutter den Kopf, „Das tut man allgemein aufgrund des Opferschutzes nicht“ Annemieke wurde von Minute zu Minute aufgeregter. „Sind Mathilda und Papa auch schon da?“, fragte sie. „Ja, sie sind allerdings schon im Verhörssaal“, antwortete ihre Mutter und fuhr über eine Kreuzung.

 

Vor der Polizeiwache standen viele Autos hinter einer Absperrung. „Was für ein Trubel!“, staunte Annemieke, „Es stehen mindestens hundert Leute vor der Polizeiwache“ „Das sind zum Teil die Medienleute“, sagte ihre Mutter und parkte den Wagen am Straßenrand. Annemieke und ihre Mutter wurden von einem Kamerateam gefilmt, als sie in das Polizeigebäude hinein gingen. Drinnen empfing sie Mathilda und ihr Vater. „Hallo Schwesterherz! Wie geht es dir?“, freute sich Mathilda und fügte hinzu, „Hast du gestern noch mitbekommen, dass sich der Bandenboss sich das Leben genommen hat, indem er sich vor einen Zug geworfen hat?“ Annemieke schüttelte ungläubig den Kopf, „Wann ist es genau passiert?“ „Es passierte gestern am späten Abend, aber wir haben es erst gerade eben mitbekommen“, antwortete Mathilda. „Hey, Zwillinge! Kommt rein, der Verhör beginnt in wenigen Minuten“, sagte ihr Vater und schob seine Töchter vorwärts in den großen Saal. Kiki und Fianna winkten sie zu sich rüber. Die Schwestern setzten sich neben ihre Freundinnen und warteten den Verhörsbeginn ab.

 

 Kiki, Jannis, Sven, Lotta und Michael wurden verhört. „Wir haben nach einem Schatz gesucht, der angeblich noch in der Villa meiner Vorfahren sein sollte“, erzählte Michael, „Wir haben keinen Schatz gefunden, stattdessen wurden überall Drogen gelagert. Auf einmal kamen die Männer der Drogendealerbande und haben uns bedroht, gefangen gehalten und manche von uns geschlagen“ „Wie konntet ihr trotzdem Hilfe holen?“, fragte der Polizist. „Ich konnte den Männern entkommen, indem ich aus dem Fenster gesprungen bin“, sagte Sven, „Im Wald bin ich auf Ömer, Lennart und Fianna gestoßen. Mit Fiannas Handy habe ich die Polizei informiert“ „Wie seid ihr aus dem Haus heraus gekommen?“, fragte er und richtete sich an Lennart. „Fianna, Ömer und ich waren im Keller, als die Männer kamen. Wir konnten ungestört die Treppe hinauf rennen und entkamen nach draußen. Im Wald haben wir Sven getroffen, wir wollten Hilfe holen und nicht selber aktiv ins Geschehen eingreifen, sonst hätten uns die Männer auch gefangen genommen“, antwortete Lennart.

 

Danach richtete sich der Polizist an Annemieke, „Soweit wir mitbekommen haben, wurdest du erst gerade eben aus dem Krankenhaus entlassen. Kannst du uns schildern, wie du die Situation erlebt hast?“ „Ich habe es als Erste mitbekommen, dass fremde Männer in das Haus kamen und habe Alarm geschlagen. Ich wollte meine Freunde im Nachbarzimmer warnen und bin auf den Flur hinaus geschlichen. Die Männer kamen bereits die Treppe hoch und ich habe mich in einer Standuhr versteckt. Ich war einen Moment nicht bei Bewusstsein, da die Luft darin so stickig war und ich so eine große Angst hatte“, berichtete Annemieke und fuhr fort, „Als ich wieder zu Bewusstsein kam, war es im Haus ganz still, aber ich hatte trotzdem Angst das Versteck zu verlassen. Schließlich habe ich mitbekommen, dass mein Name gerufen wurde und ich habe ihnen geantwortet. Meine Schwester hat mich gefunden und ich bekam nur noch mit, dass wir zum Auto gegangen sind“

 

„Ihr wolltet den Familienschatz deiner Vorfahren suchen, Michael“, begann der Polizist,"Habt ihr etwas gefunden oder war der Schatz nicht mehr da?“ „Wir haben leider keinen Schatz gefunden“, sagte Michael, „Der Tresor war leider leer, nur ein paar Hanfpflanzen wurden darin gelagert. Wahrscheinlich wurde der Schatz zuvor gestohlen“ Die Mitglieder der Roten Sieben, Jannis und Max machten lange Gesichter.

Plötzlich hielt Lennart ein kleines Holzkästchen in die Höhe und öffnete es. „Wo hast du dieses Schmuckkästchen gefunden?“, fragte eine Polizistin. „Wir haben es im Keller unter der Treppe neben einer Keramikvase gefunden“, erzählte Lennart und holte eine goldene Rosenbrosche aus dem Schmuckkästchen heraus. Die Polizisten machten große Augen und begutachteten den Inhalt des Schmuckkästchens. „Der Schmuck ist bestimmt ein paar tausend Euro wert“, vermutete ein Polizist und fügte hinzu, „Wir werden dieses Schmuckkästchen eine Weile als Indiz da behalten“ Die Mutter von Michael meldete sich, „Werden wir dieses Kästchen bekommen, schließlich gehörte es meinen Vorfahren. Der Großvater meiner Mutter Josephine Vilnius hat schließlich in dieser Villa gelebt“ „Wir brauchen erstmal die Beweise von Ihnen, in wie fern Sie mit der Familie Vilnius verwandt sind. Wir glauben Ihnen, dass Ihre Vorfahren in dieser Villa gelebt haben, aber wir brauchen dafür einen Beweis“, erwiderte der Polizist. 

 

Als nächstes wurden Tiago und Aaron von der Drogendealerbande verhört, zwei ihrer Komplizen lagen verletzt im Krankenhaus und ihr Bandenchef Pavel war tot. Tiago verweigerte seine Aussage und sagte während des Verhörs kein einziges Wort. Nur aus Aaron bekamen die Polizisten einige Sätze heraus. „Pavel hatte große Angst, als er gesehen hat, dass unser Versteck entdeckt wurde und wir haben die Kinder als Geiseln genommen, damit sie unser Versteck nicht auffliegen lassen. Pavel hat uns zu allem gezwungen, zuerst wollte er die Kinder tot schießen, aber Tiago und ich haben ihn davon abgehalten“, erzählte Aaron stockend und langsam. Beinahe klang es so, als wollte er seine Schuld auf seinen übrigen Kumpanen lenken, die gerade nicht anwesend waren. Danach schwieg er, weil ihm Tränen in die Augen stiegen. Annemieke konnte ihren Blick nicht von dem jungen drahtigen Mann mit den blauen Augen abwenden, obwohl sie sich vor ihm fürchtete. Aaron sah auf den ersten Blick harmlos aus, aber in seinen Augen versteckte sich die Hinterhältigkeit. Er machte ihr immer noch Angst, genauso wie Tiago.Zum Glück wurden sie von mehreren Sicherheitskräften bewacht, so konnten ihnen nichts mehr passieren. Nach dem Verhör wurden Aaron und Tiago in Handschellen aus dem Saal geführt, beide Männer sahen niedergeschlagen aus und schauten auf den Boden. „Wer sündigt, der muss auf eine Strafe ertragen können“, flüsterte Mathilda ihrer Schwester ins Ohr. 

 

Später saßen die Zwillinge bei sich zuhause faul auf dem Sofa, stopften sich mit Süßigkeiten voll und zappten sich durch das Fernsehprogramm. „Das ist ein riesengroßer Wahnsinn!“, rief Mathilda erstaunt, „Beinahe auf jedem Sender wird von unserer Geiselnahme berichtet, sie nur da ist wieder die alte Villa zu sehen und jetzt suchen sie mit Drogenspürhunden weiter nach Drogen“ „Jetzt wird wohl jeder wissen, wo Freudenburg liegt“, erwiderte Annemieke und griff in die Chipstüte. Auf dem nächsten Kanal war zu sehen, wie Annemieke und ihre Mutter das Polizeigebäude betraten. „Mama, wir sind im Fernsehen“, schrieen die Zwillinge aus vollem Hals. „Was ist los?“, fragte Samantha ter Steegen und kam ins Wohnzimmer gelaufen. „Ihr ward gerade im Fernsehen“, sagte Mathilda, „Du und Annemieke“ „Es kommt bestimmt heute Abend noch mal in den Nachrichten“, meinte ihre Mutter gelassen, „Hört auf zu naschen, es gibt gleich euer Lieblingsgericht“ „Was denn?“, riefen die Zwillinge neugierig. „Lasagne!“, antwortete ihre Mutter und ging zurück in die Küche.

 

 Obwohl sie gerade viel genascht hatte, schaffte Annemieke ohne Probleme ihr Stück Lasagne, schließlich war es eines ihrer Lieblingsgerichte. „Mädchen, hört ein mal her“, plötzlich wurde ihre Mutter ziemlich ernst und schaute ihre Töchter streng an, „Ihr habt uns gestern Abend, bevor ihr gegangen ward, uns einen großen Bären aufgebunden“ „Nicht nur das, ihr habt euch selber in Gefahr gebracht“, mischte sich ihr Vater ein, „Es ist gefährlich, ein altes und verfallenes Haus zu betreten“ „Ich habe euch angelogen, aber nicht Annemieke. Sie hat nur neben mir gesessen und nichts gesagt“, rechtfertigte sich Mathilda, „Ich habe euch erzählt, dass wir bei einer Party von den Piranhas eingeladen sind. Wir haben uns mit den Piranhas getroffen, aber vor dem alten Haus. Hätte ich euch die Wahrheit gesagt, hättet ihr uns nicht erlaubt, aus dem Haus zu gehen“

 

„Aber seid ihr überhaupt kein bisschen stolz darauf, dass wir den Schatz der Familie Vilnius gefunden haben und an der Gefangennahme der Drogenbande beteiligt sind?“, rief Annemieke und sah ihre Eltern an. „Natürlich, sind wir stolz auf euch, obwohl wir auch etwas wütend auf euch sind. Wir hatten eine immense Angst um euch. Es hätte längst nicht so glimpflich ausgehen können“, sagte ihre Mutter. „Sorry, unsere Abenteuerlust ist mal wieder mit uns durchgegangen“, klang Mathilda geknickte. „Das hat man wohl gemerkt“, sah ihre Mutter sie eindringlich an. Die Zwillinge entschuldigten sich ausführlich bei ihren Eltern, dass sie gelogen und sich in Gefahr begeben hatten. „Dieses Mal können wir auf Hausarrest und Taschengeldpfändung verzichten, da ihr daran beteiligt ward, die Drogenbande aufzuspüren“, meinte ihr Vater, „Wenn ihr das nächste Mal uns so dermaßen anlügt, müssen wir uns härtere Strafen einfallen lassen“ „Wir lügen euch nie wieder an“, beschwichtigte Annemieke ihn. „Ehrenwort, Papa! Wir werden euch nicht noch einmal anlügen“, fügte ihre Schwester hinzu. Annemieke sah ihre Schwester erleichtert an und drückte unter dem Tisch ihre Hand.

 

 

Die große Gartenparty

Die nächsten Tage ließen Annemieke und ihre Schwester es ruhig angehen, entweder sahen sie fern, hörten Musik oder lasen. Montagabend bekam Annemieke mit, wie das Telefon im Flur klingelte und rannte die Treppe runter. „Guten Abend, hier spricht Annemieke ter Steegen“, meldete sie sich. „Guten Abend, Annemieke!“, sagte eine Frauenstimme, „Ich bin Sylvia Nienberg, die Mutter von Michael und ich möchte deine Schwester und dich zu unserer Gartenparty am Freitagabend einladen“ „Warum ausgerechnet uns?“, entfuhr es Annemieke. „Ihr habt uns geholfen, unseren Familienschatz wieder zu finden“, meinte Frau Nienberg, „Dafür müsst ihr belohnt werden. Die Party beginnt um 19 Uhr bei uns im Garten und ihr braucht nichts mitzubringen, da ihr eingeladen seid“ „Vielen Dank, Frau Nienberg“, erwiderte Annemieke, „Meine Schwester und ich werden bestimmt kommen. Sind auch Kiki, Lotta und unsere anderen Freundinnen da?“ „Auf alle Fälle, wir haben die Bande von Michael eingeladen und eure Bande auch“ Wenig später legte Annemieke auf und rannte wie von der Tarantel gestochen in den Garten.

 

„Warum bist du so aufgeregt?“, fragte Mathilda neugierig, die sich es auf der Liege bequem gemacht hatte und in einem Jugendmagazin blätterte. „Du wirst es nicht glauben, Schwesterherz!“, rief Annemieke, „Wir sind Freitagabend bei Michael zu einer Gartenparty eingeladen“ „Was?!“, ihrer Schwester entglitten alle Gesichtszüge, „Das meinst du wohl doch nicht im Ernst. Michael würde uns nie im Leben zu einer Party eingeladen“ „Nein, seine Mutter hat uns gerade eben angerufen“, erklärte Annemieke ihrer Schwester, „Wir müssen um 19 Uhr bei ihnen sein“ „Ach so, das ist ja sehr interessant. Bis vor kurzem hatten wir uns ständig mit den Jungs in den Haaren gehabt und jetzt kann man beinahe schon sagen, dass wir Freunde sind“, murmelte ihre Schwester und wandte sich wieder ihrer Zeitschrift zu.

 

Am Freitagabend überlegten sich die Zwillinge genau, was sie sich anziehen sollten. „Es wäre total witzig, wenn wir heute Abend genau gleich aussehen“, schlug Mathilda vor. „Gute Idee!“, rief Annemieke begeistert, „Wozu hat man denn sonst eine Zwillingsschwester“ Normalerweise kleideten sich die Schwestern sehr unterschiedlich. Annemieke hatte eine Vorliebe für bunte Tops, geblümte T-Shirts, Flipflops, Röcke und Kleider. Mathilda kleidete sich eher sportlich und jungenhafter, daher verabscheute sie besonders Farben wie Pink und Lila. „Oma hat uns zum dreizehnten Geburtstag uns zwei Matrosenkleider geschenkt“, fiel Annemieke ein. „Super!“, rief Mathilda.

 

Nachdem sie sich umgezogen hatten, betrachteten sie sich im Spiegel. Die blau-wei gestreiften Kleider standen ihnen ziemlich gut. Sie sahen beinahe gleich aus, nur ihre Haare waren unterschiedlich zurecht gekämmt. Annemieke trug einen Seitenscheitel, während ihre Schwester einen Mittelscheitel trug. Um noch ähnlicher auszusehen, steckten sie mit unzähligen Spangen ihre Haare hoch. Danach schminkten sie sich gegenseitig. Zufrieden betrachteten sie sich im Spiegel. Mit ihren geschminkten Gesichtern, ihren hochgesteckten Haaren und den Perlenohrsteckern sahen sie nicht aus wie dreizehn, sondern wie sechzehn oder siebzehn. Aus zwei Kindern waren in wenigen Minuten zwei junge Damen geworden. Sogar Mathilda trug heute Ohrringe, obwohl sie normalerweise nie welche drin hatte. „Oh lala, meine Damen!“, erschrak ihr Vater, der seine Töchtern beinahe nicht wieder erkannte, „Wo wollen Sie hin?“ „Papa, hast du etwa vergessen, dass wir heute eingeladen sind?“, nahm ihn Mathilda hoch. „Wo seid ihr denn eingeladen?“, wollte er wissen. „Bei Michael Nienberg, er geht auch in unsere Klasse“, sagte Annemieke und spielte mit ihrer Kette. „Wo wohnt er?“, fragte ihr Vater. „Beethovenstraße 19“, antwortete Mathilda. „Was hält ihr davon, wenn ich euch fahre?“, schlug er vor, „Zwei feine Damen brauchen einen Chauffeur“ Die Zwillinge nickten begeistert. „Danke, Paps! Ich glaube, es wäre ziemlich schwierig für uns gewesen mit unseren Kleidern und den Heighheels Fahrrad zu fahren“, bedankte sich Annemieke. 

 

Schon vor Michaels Haus hörten sie die laute Musik, die aus dem Garten kam und es roch herrlich nach Bratwürstchen und Fleisch. „Wenn ich das schon rieche, bekomme ich sofort Hunger“, wisperte Mathilda. „So Mädels, ich fahre jetzt wieder zurück“, rief ihr Vater, „Ich werde euch um elf Uhr abholen“ Die Zwillinge umarmten ihren Vater zum Abschied und klingelten dann an der Haustür. „Guten Abend, Annemieke und Mathilda! Ich freue mich, dass ihr da seid“, begrüßte sie Michaels Mutter und gab beiden die Hand, „Kommt mit, die anderen Gäste sind schon im Garten“ Im Wohnzimmer begegneten sie Josephine Vilnius. „Hallo Zwillinge, ihr seht heute Abend klasse aus“, begrüßte sie die alte Frau, „Geht schon mal in den Garten, ich muss eben Sylvia in der Küche helfen“

 

Im Garten brannten mehrere Fackeln und eine Lichterkette hing über ihren Köpfen. Die Mitglieder der Piranhas und der Roten Sieben hatten sich bereits auf der Terrasse vor dem großen Gartenofen hingesetzt und buken Stockbrot. Aus den Boxen kam amerikanischer Rap. „Hallo Zwillingsmäuse, wie seht ihr denn heute aus!“, rief ihnen Emily entgegen, „Ihr seid komplett gleich und seht aus, als wärt ihr erwachsen. Wie soll ich euch unterscheiden?“ „Ganz einfach“, erwiderte Mathilda keck, „Schau auf unsere Freundschaftsbänder. Meins ist orange und rot, während Mickys hellrot und dunkelrot ist“ „Ich hätte nie gedacht, dass ihr euch so zurecht macht“, bemerkte Lotta. Niemand außer ihnen hatte sich so fein zurecht gemacht, alle Jungs trugen noch ihre Fußballshorts, nur Michael trug eine Jeans.

 

Lotta trug eine kurze karierte Hose, Fianna hatte sich eine Baseballkappe aufgesetzt und Kiki trug einen kurzen Rock. Die Zwillinge kamen sich beinahe verloren vor, da sie um einiges älter wirkten als ihre Freunde. „Hallo Annemieke und Mathilda, kommt zu uns auf die Bank, dort ist noch Platz“, sagte Michael und zeigte auf einen Platz neben Lennart. Nachdem sich die Zwillinge gesetzt hatten, servierte Michels Vater jedem Gast eine Bratwurst und Weißbrot. „Ich hasse Lippenstift“, stöhnte Mathilda und griff nach einer Servierten, „Er verwischt immer so schnell“ „Macht nix, du kannst dir mein Lipgloss drauf machen“, meinte Annemieke und griff in ihre Handtasche. Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, ging die Party erst richtig los. Michaels älterer Bruder Felix legte Tanzmusik und die neusten Charts auf. Nachdem die Zwillinge eine Stunde getanzt hatten, taten ihnen die Füße weh. „Wir hätten uns andere Schuhe anziehen müssen. Ich kann mit Heighheels nun mal gar nicht tanzen“, meinte Mathilda und kickte ihre Schuhe weg. Annemieke entschied sich kurzerhand auch, barfuss weiter zu tanzen. „Könnt ihr mal andere Musik auflegen außer Rap und Techno?“, fragte Lotta. Wenig später dröhnte der neuste Hit aus den Boxen. „Lass uns tanzen!“, rief Lotta und zog Aylin und Fianna auf die Tanzfläche, nach und nach reihten sich auch die anderen Freundinnen in den Tanzkreis. Wenig später stoppte die Musik und Frau Nienberg trat auf die Bühne.

 

„An diesem Tag habe ich euch allen zu danken, ganz besonders den beiden Banden. Das sind einmal die Piranhas und dann die Rote Sieben“, begann sie und es wurde Beifall geklatscht, „Ich habe beiden Banden eine große Prämie versprochen, da sie gemeinsam unseren Familienschatz wieder gefunden haben“ Wieder wurde geklatscht, die Piranhas stellten sich links von Frau Nienberg auf und die Rote Sieben rechts von ihr. „Jede Bande bekommt von uns 500€“, fuhr die Mutter von Michael fort. Plötzlich holte Mathilda das Stofftaschentuch, auf dem Ada stand, aus ihrer Tasche und hielt es hoch. „Ich wollte es nur zurückgeben“, sagte sie. Josephine, die Oma von Michael, stand auf und nahm das Taschentuch entgegen. „Ich habe auch noch etwas“, rief Annemieke laut und hielt das alte Tagebuch von Josephines Großvater hoch. „Ich danke euch tausendmal“, sagte Josephine gerührt und hatte Tränen in den Augen.

 

„Jetzt machen wir von euch allen ein Gruppenbild“, rief Michaels Vater, „Rückt alle ein Stück weiter zusammen, damit jeden auf das Bild bekommen“ Zuerst wurde ein Bild von beiden Banden gemeinsam gemacht. „Mädchen kniet euch vor den Jungs hin“, bat Michals Mutter. „Sagt alle Cheese!“, rief Herr Nienberg und drückte auf den Knipser. Es blitzte, aber zur Sicherheit wurde noch ein Photo gemacht. Danach wurden beide Banden einzeln fotografiert. „Das wird unser neues Gruppenbild!“, rief Kiki begeistert. „Dürfen wir sehen, wie das Photo geworden ist?“, fragte Mathilda interessiert, „Ich befürchte beinahe, dass ich wieder die Augen geschlossen habe“ „Wir können uns gleich die Photos angucken, wenn sie auf dem Computer eingelesen sind, dort kann man viel besser erkennen, ob daraus etwas geworden ist“, sagte Michaels Vater.

 

„Ich habe etwas vergessen!“, rief Josephine aufgeregt und kam auf die Terrasse gestürmt. „Michaels Oma hat für jedes Bandenmitglied ein Glas Erdbeer- bzw. Himbeermarmelade gekocht“, versuchte Michaels Mutter sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wieder waren die Teenager schnell ruhig und Josephine kam mit einem großen Korb wieder. Freundlich bedankten sich die Kinder bei Josephine, die Erwachsenen setzten sich wieder auf die Bänke und die Kinder eroberten wieder die Tanzfläche. „Lass uns mit den Mädchen tanzen!“, schlug Sven vor. „Gute Idee, aber wir haben einen Jungen zu wenig“, sagte Jannis. „Kein Problem, ich bin auch noch da!“, rief Michaels großer Bruder Felixund fragte als erstes Emily. Jannis forderte Lotta zum Tanz auf, Kiki wurde von Lennart gefragt, Sven steuerte auf Mathilda zu und Annemieke tanzte mit Max. Insgesamt sieben Tanzpaare bewegten sich zu Pop- und Kuschelrock über die Terrasse. Michaels Eltern, Josephine, Michaels Tante und sein Onkel klatschten begeistert Beifall.

 

„Wartet, tanzt noch einmal“, rief Michaels Vater, „Ich will ein Video von euch machen“ „Aber jemand muss die Anlage bedienen!“, rief Felix, „Ich kann nicht, ich bin schon im Einsatz“ „Das kann ich ruhig machen“, bot sein Onkel an und stand auf. „Seid ihr bereit für den nächsten Tanz?“, rief Michaels Vater laut. „Ja!“, lautete die Antwort und die Musik ertönte. Max und Annemieke gerieten in der Mitte des Liedes aus dem Takt. Annemieke versuchte Max hinter Kiki und Lennart zu drängen, damit es nachher nicht auf dem Video zu sehen war, wie verkehrt sie tanzten. Max trat ihr aus Versehen auf den Fuß. Aua, das tat weh! Mit schmerzverzehrten Gesicht biss sich Annemieke auf die Lippe und verlor im nächsten Moment das Gleichgewicht. „Hilfe!“, schrie sie, weil sie im ersten Moment dachte, dass sie in eine der vielen Fackeln gefallen wäre. Max packte sie noch im letzten Moment am Arm und bewahrte sie vor einem Sturz. Erleichtert atmete sie. „Danke Max“, hauchte sie leise und in diesem Moment war das Lied zuende. „Wie peinlich, ich habe mich voll blamiert!“, zischte Annemieke und schlug die Augen nieder. „Das ist doch nicht schlimm, das hätte mir auch passieren können“, wurde sie von ihrer Schwester getröstet. 

 

„Jetzt will ich lieber mit euch tanzen!“, zog Mathilda Kiki und Aylin auf die Tanzfläche. „Juhuu, tanzen bis der Arzt kommt!“, frohlockte Fianna. Hand in Hand hüpften die Mädchen übermütig umher. Nun wollten auch die anderen Bandenmädchen mitmachen und bildeten einen großen Tanzreigen. „Guckt mal, wie die tanzen?“, lachte Ömer. „Darf ich auch mitmachen?“, fragte Sven mit einem zuckersüßen Lächeln. „Na gut, ausnahmsweise sind Fischköppe bei uns erlaubt“, nickte Emily. „Wie nett von euch!“, zwinkerte Sven ihr zu und drängte sich zwischen Mathilda und Aylin in den Tanzkreis. „Sven, jetzt werde mal nicht selbst zu so einem albernen Huhn!“, spottete Jannis. „Immerhin habe ich jetzt sieben Hühner für mich alleine“, grinste sein Kumpel. „Und er ist der Hahn im Korb“, fügte Lotta hinzu.

 

Nach dem Tanzen hatten sie keine Lust mehr auf Party und laute Musik, deshalb setzten sie sich vor den Gartenofen und brieten Marshmallows. „Wisst ihr, dass bald wieder die Schule beginnt“, fragte Michael seine Freunde. „Beginn bloß nicht damit!“, stöhnte Ömer, „Das heißt für mich, dass ich mich ordentlich reinhängen muss. Ich habe so gerade eben die siebte Klasse bestanden und die achte Klasse wird sicher noch schwieriger“ „Aber einen Vorteil hat es“, bemerkte Jannis, „Die neue Fußballsaison beginnt wieder, in der ersten Augustwoche haben wir bereits unser erstes Training und zwei Wochen später unser erstes Spiel“ „Außerdem beginnt die neue Bundesligasaison“, fiel Michael ein, „Borussia Dortmund soll unbedingt wieder deutscher Meister werden“ „Haha, das wird schwer für sie werden, da ihre besten Spieler zum FC Bayern wechseln“, mischte sich Mathilda ein. „Wow, das Mädel hat Ahnung von Fußball“, bemerkte Jannis erstaunt. „Können wir das Thema wechseln?“, fragte Aylin, „Ich habe von Fußball nicht besonders viel Ahnung“ „Ich finde es toll, dass wir heute Abend quasi ein Klassentreffen mit der halben Klasse haben“, fand Kiki. „Ach, da fehlen noch vierzehn Schüler“, sagte Sven, „Aber es gibt welche, die müssen wir nicht unbedingt alle dabei haben“ „Ich weiß ganz genau, wenn du meinst“, fügte Jannis hinzu, „Das sind zum einen unsere Klassenstreberin Pauline und Lehrersliebling Freya“

 

 „Pauline soll nicht gleich bei jeder Gelegenheit ihren Wasserhahn aufdrehen“, lästerte Sven. „Ach, die heult schon los, wenn sie mal keine Eins geschrieben hat“, warf Lennart ein.Kiki, Lotta, Sven, Lennart, Mathilda und Jannis fingen an über die unbeliebten Mitschüler aus ihrer Klasse her zu ziehen. „Ich finde es ziemlich gemein so über andere Leute zu reden, die gerade nicht anwesend sein“, ging Annemieke dazwischen, „Wollt ihr, dass man so über euch redet? Also ich möchte sowas nicht und ihr wollt es garantiert auch. Deshalb hört auf mit euren Lästereien. Ich mag bestimmte Mitschüler auch nicht besonders, aber das ist für mich kein Grund, sie hinter ihren Rücken schlecht zu machen“ „Annemieke hat Recht“, unterstützte Emily ihre beste Freundin, „Über mich wurde auch jahrelang gelästert und daher weiß ich, wie verletzend sowas ist“ Sofort waren ihre Freunde wieder ruhig. 

 

 Um halb elf wurden Aylin und Fianna als erste von Fiannas Vater abgeholt. Schließlich kam die Mutter von Jannis und nahm neben ihren Sohn Sven mit, da er in der gleichen Straße wie Jannis wohnte. Langsam wurde die Party immer leerer, nachher schauten sich die letzten Partygäste sich die Photos und das Video auf Michaels Laptop an. „So schlimm sehe ich auf den Photos gar nicht aus“, sagte Mathilda erleichtert. „Ganz im Gegenteil“, fand Kiki, „Das ist bestimmt das beste Bild von dir, noch nie hat jemand von uns gesehen, dass du etwas aus deinem Aussehen machst. Wenn du das öfter machst, bist du nicht mehr lange Single“ „Typisch Mädchengehabe“, erwiderte Lennart spöttisch und mimte eine Diva, „Sehe ich auch gut genug aus? Aaahh, verdammt eine Strähne ist aus dem Zopf und der Reisverschluss von meinem Kleid ist auf, scheiße!“ „Hast du Lust auf eine Coladusche?“, fragte Mathilda und ihr hielt Glas bedrohlich über Lennarts Kopf. „Wenn du mir eine Coladusche verpasst, verpasse ich dir im Gegenzug eine Fantadusche“, wehrte sich Lennart. „Hört auf mit dem Blödsinn, sowas ist Kindergartenniveau“, unterbrach Kiki sie. Mathilda und Lennart hörten sich auf zu necken und schauten sich wieder die Bilder an. „Können wir die Bilder auch bekommen?“, fragte Emily. „Trag deine E-Mailadresse hier ein und ich werde dir morgen die Bilder mailen“, sagte Michael und schob einen Block zu ihr rüber. 

 

Um elf Uhr wurden die Zwillinge von ihrem Vater abgeholt. „Ich weiß noch gar nicht, was wir mit so viel Geld, das wir für unsere Detektiv- und Schatzsucherarbeit bekommen haben anfangen sollen“, sagte Mathilda auf dem Rückweg. „Ich finde das Geld gar nicht mal so wichtig“, entgegnete ihr Annemieke, „Zwar ist es ganz nett, keine Geldprobleme zu haben. Doch gegen wahre Freundschaft ist Geld ziemlich wertlos“ „Du hast Recht, Schwesterchen!“, meinte ihre Schwester, „Freunde kann man sich nicht kaufen und ich habe zum Glück die besten Freundinnen der Welt“ „Da hast du Recht, das denke ich auch“, fand Annemieke, „Allerdings finde ich auch, dass die Piranhas ziemlich nett geworden sind, das ist kein Vergleich zu den letzten Monat“ Ihre Schwester nickte müde, in ihrem Inneren war Annemieke hyperglücklich tolle Freunde, eine tolle Schwester, liebe Eltern und Großeltern zu haben. Plötzlich hörte sie den SMS-Ton ihres Handys.

 

„Ich habe euch vergessen zu sagen, dass wir das Geld in unsere Bandenkasse tuhen, damit wir zusammen als Bande Ausflüge unternehmen und unseren Wohnwagen dekorieren können“, schrieb Kiki. Die Zwillinge waren von ihrem Vorschlag begeistert. "Wirklich cool, dass wir mit dem Geld demnächst öfter ins Kino gehen, Eis essen oder das neue Spaßbad besuchen können", rieb sich Mathilda sie Hände. „Ich finde wir sollten einen Großteil des Geldes in die Bandenkasse tun, falls wir mal etwas an unserem Wohnwagen oder im Schrebergarten reparieren müssen“, sagte Annemieke gähnend und legte ihren Kopf auf Mathildas Schulter. Einen Moment später war sie eingenickt und wurde von ihrer Schwester sanft wach gerüttelt, als sie auf der Auffahrt vor ihrem Haus standen.

Extra: E-Mail von Annemieke an ihre Cousine Maren

Hallo Maren :)

Nun hast du von mir und Matti bestimmt seit Wochen nichts mehr gehört. Zu Beginn der Ferien sind wir mit dem Wohnmobil nach Italien gefahren, dort konnten wir jeden Tag schwimmen gehen und Eis essen. Das Beste war allerdings, dass wir dort Alessandro kennen gelernt haben, meine Schwester und ich haben uns beide in ihn verknallt. Wir haben immer noch Kontakt, weil wir uns E-Mails schreiben und Matti hofft, dass sie mit ihm eines Tages zusammen sein wird. Ich glaube nicht, dass das etwas wird, da Fernbeziehungen oft nicht lange halten. Dass wir in Freudenburg eine Drogenbande aufgespürt und in der alten Villa einen Schatz gefunden haben, brauch ich dir bestimmt nicht weiter zu erzählen. Du wirst es sicherlich im Radio, im Fernsehen und in der Zeitung mitbekommen haben. Dabei haben nicht wir die alte Villa gefunden, sondern unser Babysitterkind Greta, die uns mehrmals abgehauen ist. Nun hatten wir doch ziemlich viel Trubel, nun wollen wir die letzten Ferientage genießen. Leider beginnt in drei Tagen die Schule und ich habe keine Lust jeden Tag so früh aufzustehen und jeden Nachmittag bis abends an den Hausaufgaben zu sitzen. Im Endeffekt fand ich diese Sommerferien total klasse, es kam kaum Langweile auf. Zudem habe ich mit meinen Freundinnen aus meiner Bande unser erstes Bandenabenteuer bestanden und bin darauf immer noch sehr stolz. Aber ich darf die Jungenbande „Die Piranhas“ nicht außen vor lassen, sie haben mit uns nach dem Familienschatz gesucht und wurden ebenfalls als Geiseln gefangen gehalten. Aber auf so einen Nervenkitzel kann ich in Zukunft sehr gut verzichten. In den letzten Ferientag werde ich viel chillen, lesen und fernsehen. An dieser Stelle muss ich aufhören, Mama will mit mir neuen Schulsachen für das nächste Schuljahr einkaufen gehen. 

Lg deine Annemieke <3

Ps 1: Viele Grüße auch von meiner Schwester, die gerade beim Zahnarzt sitzt, weil sie zu viele Süßigkeiten genascht hat.

Ps 2: Du bist zu unserem 14. Geburtstag eingeladen, der in wenigen Wochen sein wird. 

 

                                  Unser Ausflug ins Freibad gestern

Rezept: Saftiger Kirschkuchen

 Zutatenliste

  • 200g Butter
  • 200g Zucker
  • 200g Mehl
  • 40g Speisestärke
  • 5 Eier
  • 1 Päckchen Vanillezucker
  • 400g entkernte Kirschen für das Blech

 

So geht’s

Ihr heizt den Backofen auf 180 Grad. Ihr entkernt die Kirschen, nachdem ihr sie davor gewaschen habt. Anschließend trennt ihr die Eier und das Eiweiß wird in einem Extragefäß steif geschlagen und die Hälfte des Zuckers dazugemischt. Die Butter leicht erwärmen, sodass ihr sie mit dem Eigelb, dem Vanillezucker und dem restlichen Zucker verrühren könnt. Mehl und Speisestärke miteinander vermischen. Nun alle Komponenten vorsichtig verrühren und den Eischnee erst zum Schluss vorsichtig unterheben. Last but not least verteilt ihr den Teig auf dem Blech und verteilt darauf die Kirschen. Nun wird der Kuchen ungefähr 13-16 Minuten gebacken, je nachdem wie dunkel er sein soll. Wer mag, kann den Kuchen mit Puderzucker oder Schokoraspeln verschönern.

Euch einen guten Appetit!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /