Dieses Buch widme ich meinen treusten Lesern und Leserinnnen sowie den Menschen, die mich dazu inspiriert haben, dieses Buch zu schreiben. Gleichzeitig widme ich es auch gern all den Mädchen, die selbst ein Bandengirl sind oder es im Herzen sind. Außerdem möchte ich mich bei meinem guten Freund Lennard Nörtemann für das wunderschöne Cover bedanken.
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Rrrrrrriiiiinnnnggggg! Verschlafen stellte Emily ihren Wecker aus, dass sie ausgerechnet um acht Uhr aufstand hatte einen Grund: Heute Morgen war sie mit ihrem Vater zum Brunch verabredet. Seitdem ihre Eltern getrennt waren, hatte sich Emilys Leben komplett verändert. Sie sah ihn fast nur noch am Wochenende. Einerseits liebte sie ihn, aber andererseits hasste sie ihn dafür, dass er sie und ihre Mutter verließ. Seitdem er ausgezogen war, fehlte Jemand und die Drei-Zimmerwohnung kam ihr beinahe schon leer vor. Wenn ihre Mutter von morgens bis abends arbeitete, war sie ganz alleine zuhause. Zum Glück gab es noch ihre Katze Enya, die ihr nach der Schule immer Gesellschaft leistete.
Emily stand auf und zog die roten Gardinen zur Seite. Die Sonne schien in ihr helles und freundliches Zimmer, welches sie über alles liebte. Es war ihr Reich: hell, groß und gemütlich! An den Wänden hingen Poster von Bands wie One Direction oder Sunrise Avenue, von Twilight, Harry Potter und von Pferden, die seitdem sie denken konnte ihre Lieblingstiere waren. Über der Tür war ein goldenes Hufeisen angebracht. Ihr Bett stand unter Dachschräge, ihr Schreibtisch am Fenster und an der gegenüberliegenden Seite befand sich ein großes gemütliches Sofa mit einem Couchtisch. Schnell zog Emily sich an, bürstete ihre dicken braunen Haare und überprüfte ihr Aussehen im Spiegel. Für ihren Vater wollte sie sich nicht extra schön machen und verzichtete deshalb ganz auf Schminke und Schmuck. Sie trug lediglich ein Paar einfache goldene Ohrstecker.
Emily fuhr gemütlich die Straße vor ihrem Haus entlang, die fast wie ausgestorben war und bog nach einigen hundert Metern in den Stadtpark ein. Um halb neun war kaum kein Mensch auf den Beinen. Ihr kam nur ein Hundebesitzer mit seinem Terrier entgegen. Auf der Parkbank saß eine ältere Frau, die die Enten mit trockenem Brot fütterte. Als sie an ihr vorbei fuhr, grüßte diese freundlich. Emily sog die warme Frühlingsluft tief ein, genoss das Zwitschern der Vögel, beobachte ein hoppelndes Kaninchen und ließ sich die Sonne auf ihren Rücken scheinen.
„Könnte jeder Tag so doch schön sein!“, dachte sie und fuhr weiter. Den Stadtpark ließ sie kurz darauf hinter sich und wenige Minuten später stellte sie ihr Rad vor dem Café ab. Ihr Vater wartete schon vor dem Cafe auf sie. Zum Glück war seine rothaarige Flamme nicht dabei. Emily mochte die neue Freundin von ihrem Vater nicht besonders.
„Hallo Lily-Liebling!“, rief er laut und nahm seine Tochter in den Arm. „Frohe Ostern!“
„Danke Paps, dir auch frohe Ostern“, antwortete Emily außer Atem.
„Wie ist es letztens in der Schule gelaufen?“, erkundigte er sich, als er die Tür zum Cafe aufstieß.
„Naja, Schule halt, da ist nie etwas Besonderes“, sagte Emily achselzuckend. „Ich habe höchstens die Mathe- und die Englischarbeit verhauen.“
Emily und ihr Vater gingen zum Büfett und kehrten mit vollen Tellern zu ihrem Platz zurück.
„Wo ist Patricia geblieben?“, fragte Emily. Nicht dass sie unbedingt gewollt hätte, dass die neue Freundin ihres Vaters mitkam, dennoch wollte sie nur höflich sein.
„Sie löst mit zwei Freundinnen ihren Welnessgutschein ein, den sie von mir zu ihrem Geburtstag bekommen hat“, sagte er und widmete sich seinem Rührei. Emily hatte sich nur ein Brötchen, ein Glas Orangensaft und ein Schälchen Müsli mit Obst genommen. In letzter Zeit hatte sie wieder drei Kilo zugenommen, weil sie den Scheidungsschmerz ihrer Eltern mit Süßigkeiten und Fastfood vernichten wollte.
„Du kannst doch ruhig ein bisschen mehr essen“, meinte ihr Vater.
„Ich habe vor ein paar Kilo abzunehmen“, meinte sie. „Es ist total schlimm, wie ungesund ich in letzter Zeit gegessen habe. Dauernd war ich bei McDonalds oder habe Schokolade gefuttert.“
„Aber nicht jedes Mädchen muss gertenschlank wie eine Bohnenstange sein“, entgegnete er ihr.
„Aber ich will im Sommer unbedingt meinen Lieblingsbikini tragen“, sagte Emily. „Aber so kann ich mich noch nicht mal im Badeanzug blicken lassen.“
Zum Glück wechselten sie schnell das Thema. Ihr Vater fragte sie nach ihren Freundinnen und ihrer Bande.
„Wie läuft es eigentlich in eurer Bande, Lily?“
„Seit der Klassenfahrt haben wir uns nur noch ein paar Male getroffen, weil wir einfach nicht wissen, wo wir uns treffen können. Sonst sehen wir uns jedes Mal in der Schule und freitags in der Reitstunde.“
„Ihr habt noch kein Bandenquartier?“
Emily schüttelte den Kopf: „Leider nicht.“
„Wo habt ihr euch denn dann getroffen?“
„Zweimal haben wir in der Stadt zusammen Eis gegessen, zuvor waren wir auf der Kirmes und dann waren wir einmal bei Carlotta zuhause. Du musst dir vorstellen, dass ihre Mutter bei sieben Mädchen fast einen Nervenzusammenbruch gekriegt hat.“
„Dann habe ich eine große Überraschung für dich und deine Freundinnen.“
„Was denn für eine Überraschung?“
„Das zeige ich dir nachher.“
„Das kannst mir auch jetzt sagen.“
„Warte nur ab, du wirst es gleich sehen!“, schüttelte ihr Vater den Kopf.
Vor Neugier wurden ihre Augen größer und größer. Wann hatte ihr Vater zum Letzten Mal eine Überraschung in Petto gehabt? Das war schon lange her. Dieses Mal war garantiert nichts anderes, als dass Patricia schwanger war. Emily und ihr Vater sahen sich schweigend an. Ihr Handy vibrierte. Wer von ihren Freundinnen mochte es wohl sein oder war es ihre Mutter. Sie fischte es aus ihrer Jackentasche.
„Eine Nachricht von Micky“, stand auf dem Display.
„Frohe Ostern, kommst du nachher auch zum Osterfeuer?“, schrieb ihre beste Freundin Annemieke. Schnell tippte sie eine Antwort in ihr Handy und ließ es wieder verschwinden in der Hosentasche verschwinden.
„Wie geht es deiner Mutter?“, fragte ihr Vater.
„Es geht so“, sagte Emily. „Heute Abend geht sie mit drei oder vier Freunden aus.“
Bewusst verschwieg sie, dass ihre Mutter immer noch an Liebeskummer litt und sehr schlecht auf ihn zu sprechen war. Außerdem redete sie selber überhaupt nicht gerne über dieses heikle Thema.
„Ich gehe mit Patricia zuerst ins Kino und dann essen wir bei unserem Stammitaliener“, erzählte ihr Vater.
Um halb eins fuhren Emily und ihr Vater durch eine Schrebergartensiedlung, die rund einen halben Kilometer hinter dem Stadtpark lag.
„Was willst du mir hier zeigen?“, rief Emily und fuhr ihrem Vater hinterher. „Hier gibt es doch nur Schrebergärten."
„Warte nur ab!“, antwortete er ihr. Sie kamen an mehreren hübschen Gärtchen vorbei, in denen wunderschöne Blumen blühten und Gartenzwerge ihnen freundlich zuwinken zu schienen. Ihr Vater klingelte und hielt an.
„Da sind wir!“, rief er. Beide stellten ihre Fahrräder neben einer zwei Meter hohen Dornenhecke ab.
„Ich habe dir vorhin etwas versprochen, Emily“, erinnerte ihr Vater sie.
„Du willst mir ...“, begann Emily stockend und brach den Satz schließlich ab.
„Willst du mir einen total verwilderten Garten schenken?“, setzte sie erneut an.
„Warte es doch erst einmal ab!“, sagte ihr Vater. „Du hast bis jetzt nur die Hecken gesehen.“
Ihr Vater legte den Arm um ihre Schulter und öffnete das verrostete Gartentor.
„Ein Wohnwagen!“, rief Emily überrascht. Mitten auf der Rasenfläche des verwilderten Gärtchens stand ein Wohnwagen, den ihr Vater rot angestrichen hatte.
„Danke, Papa, du bist der Beste“, rief Emily außer sich und fiel ihm in die Arme.
„Der Wohnwagen gehörte ursprünglich meinem Bruder, aber er hat sich vor kurzem einen moderneren Wohnwagen gekauft und wollte den alten Wohnwagen zuerst verkaufen. Als ich mich bei ihm gemeldet habe, hat er gesagt, dass er mir den Wohnwagen schenkt und jetzt schenke ich ihn dir. Du wirst sehen, er ist riesig. Mein Bruder und ich haben schon mal dort mit acht Mann übernachtet. Solche übergroßen Wohnwagen gibt es zur heutigen Zeit kaum noch und zudem habe ich ihn zusammen mit meinem Bruder erweitert, sodass ihr mit sieben oder acht Personen auf jeden Fall genug Platz habt und euch nicht wie Sardellen in einer Büchse fühlt", erzählte ihr Vater. Bevor sie den Wohnwagen besichtigten, zeigte er seiner Tochter den Garten. Es gab vier Beete, einen Apfelbaum und zwei Kirschbäume. Ganz hinten standen zwei hohe Tannen und rechts begrenzte ein Holzzaun den Garten.
„Warum steht dahinten ein roter Holzstall?“, fragte Emily und deutete mit ihrer Hand Richtung Zaun.
„Ich habe mir gedacht, dass ihr euch vielleicht ein lebendiges Bandenmaskottchen haltet könnt“, sagte ihr Vater. „Das könnten Kaninchen oder Meerschweinchen sein.“
„Meerschweinchen sind aufgrund ihrer Kälteempfindlichkeit nicht für die Außtenstallhaltung geeignet“, meinte Emily. „Kaninchen hingegen können zu jeder Zeit draußen gehalten werden.“
„Besprich das besser mit deinen Freundinnen“, meinte ihr Vater. Schließlich besichtigten sie den Wahnwagen.
„Ganz schön muffig hier drin“, meinte Emily und bekam so viel Staub in die Nase, sodass sie prompt niesen musste.
„Ich glaube, ihr habt in den nächsten Tagen noch einiges zu tun“, sagte ihr Vater und machte das Fenster neben der Spüle auf. Neben fünf Schlafkojen im hinteren Zimmer, gab es ein winziges Badezimmer und einen großen Wohnraum.
„Können hier auch wirklich sieben Personen übernachten?“, fragte Emily ihren Vater.
„Na klar, das geht locker“, bejahte ihr Vater. „Euch stehen fünf Schlafkojen zur Verfügung und im Wohnraum könnten zwei Personen auf Luftmatratzen schlafen.“
„Dann können wir im Sommer unsere eigenen Übernachtungsparties feiern“, jubelte Emily. „Und draußen könnten wir grillen und chillen.“
Erst gegen Nachmittag kam Emily wieder nach Hause und wollte mit ihrer Mutter einen Film schauen. Ein schlechtes Gewissen hatte sie schon, dass sie stundenlang fort war, denn ihre Mutter saß mit geröteten Augen vor dem Fernseher. Als ihr Emily mit strahlenden Augen von dem Wohnwagen und dem Schrebergarten erzählte, den ihr Vater ihr geschenkt hatte, nickte diese schwach und putzte sich geräuschvoll die Nase.
„Was hast du, Mama?“, fragte Emily besorgt und ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder.
„Liebeskummer“, schniefte sie. „Es ist ein widerliches Gefühl verlassen zu werden.“
Plötzlich tat es Emily furchtbar leid, dass sie sich den halben Tag mit ihrem Vater amüsiert hatte.
„Es tut mir Leid“, begann Emily reuevoll.
„Ach, dir braucht es nicht leid tun“, sagte ihre Mutter mit belegter Stimme. „Deinem Vater muss es leid tun, schließlich hat er sich seit über einer Woche kein einziges Mal mehr bei mir gemeldet.“
„Aber er hat sich heute morgen nach dir erkundigt.“
„Dieser Feigling traut sich gar nicht mehr mich anzuschreiben oder gar anzurufen.“
„Du glaubst mir gar nicht, was für ein tolles Geschenk er mir gemacht hat.“
„Seit wann macht er seiner Tochter Geschenke?“
„Er hat mir einen roten Wohnwagen geschenkt, der in einem Schrebergarten steht.“
„Und wofür brauchst du einen verdammten Wohnwagen?!“, regte sich ihre Mutter auf und schnäuzte erneut in ihr Taschentuch. Einen Moment lang schaute Emily sie an.
„Es ist das neue Bandenquartier für mich und meine Freundinnen“, versuchte sie ihrer Mutter schließlich zu erklären und rutschte dabei auf dem Sofa hin und her.
„Ausgerechnet mit Geschenken versucht er es wieder gut zu machen“, rief ihre Mutter mit Tränen in den Augen. „Weißt du gar nicht, was er uns angetan hat!“
Plötzlich hatte Emily keine Lust mehr nachher zum Osterfeuer zu gehen und ihre Freundinnen dort zu treffen.
„Mama, ich bleibe heute Abend hier!“, beschloss sie. „Ich will nicht, dass du den ganzen Abend alleine bist.“
„Du brauchst wegen mir nicht zuhause bleiben“, entgegnete ihre Mutter. „Ich gehe nachher sowieso mit ein paar Freunden essen. Mach dir auch einen netten Abend mit deinen Freundinnen. Ich gebe dir Geld mit, damit du dir etwas zu Essen und zu Trinken kaufen kannst.“
Emily legte die DVD von „Fluch der Karibik“ ein und schon war der Liebeskummer ihrer Mutter wie weggeblasen. Ihre Mutter stellte Chips und Salzstangen auf den Couchtisch, aber davon wollte Emily nichts. Sie trank stattdessen lediglich ein Glas Mineralwasser.
Kurz bevor es dunkel wurde, schwang Emily sich auf ihr Fahrrad. Der Reitverein, wo das Osterfeuer statt fand, war nicht weit weg. Sie musste nur zweimal abbiegen und die gesamte Bochumer Straße entlang fahren. Bald kamen die ersten Felder und Wiesen in Sicht und in der Ferne stieg eine Rauchsäule auf. Vorfreude in ihr machte sich breit und Emily trat noch schneller in die Pedale. Vor der Scheune stellte sie ihr Fahrrad ab und folgte dem Bratwurstgeruch, der Musik und dem lauten Reden der Besucher. Kurz bevor sie die große Wiese betrat, kamen ihr Jannis, Sven und Lennart von den Piranhas entgegen. Sie schnitten gemeine Grimassen, als ihnen Emily entgegen kam.
„Schaut mal her, da kommt unsere Biogurke auf zwei Beinen!“, sagte Jannis halb laut. Seine Freunde fingen an zu lachen und zu feixen.
„Dauernd versucht sie Diäten zu machen, aber nachher ist sie genauso dick wie vorher“, flüsterte Lennart in Jannis Richtung, sodass es Emily noch hören konnte. Wütend schluckte sie eine passende Bemerkung runter und zeigte den Piranhas die kalte Schulter.
„Von diesen Fischköpfen lasse ich mich nicht mehr auf die Palme bringen!“, schwor sie sich selbst und suchte die Wiese nach ihren Freundinnen ab. Das war schwieriger als sie dachte und zudem wurde es von Minute zu Minute dunkler. Ein kleiner Junge, der ungefähr vier oder fünf sein musste, plärrte ohrenbetäubend laut. Seine Eltern hatten ihm verboten, Steine und Stöcke in das Osterfeuer zu werfen.
„Ich will aber!“, heulte er und versuchte sich von seiner Mutter loszureißen.
„Benni, du weißt doch, dass es gefährlich ist, zu nah an das Feuer heran zu gehen“, rief seine Mutter.
Nach einer Weile bekam Emily riesigen Durst, weshalb sie sich am Getränkewagen anstellte.
„Hallo, was möchtest du trinken?“, fragte ein junger Mann freundlich.
„Ich hätte gerne eine Fanta“, antwortete Emily und reichte ihm ein Zweieurostück. Mit fast einem Zug lehrte sie das ganze Glas. Als sich umdrehte, sah sie ein Mädchen mit einer blauen Strickmütze, deren hellen Locken darunter hervorlugten.
„Hey Micky, du bist es! Frohe Ostern!“, rief Emily glücklich und umarmte ihre beste Freundin erleichtert.
„Danke, ich wünsche dir ebenfalls frohe Ostern“, erwiderte Annemieke und stellte mehrere leere Gläser auf dem Tresen ab.
„Bist du alleine da?“, fragte Annemieke.
„Ja, meine Mutter geht mit Freunden essen und mein Vater ist mit seiner neuen Flamme im Kino", erwiderte Emily und fragte: „Bist du nur mit Matti hier oder mit deiner gesamten Familie?“
„Ich bin mit meiner ganzen Familie da, aber meine Eltern stehen mit unseren Nachbarn am Eingang des Festzeltes“, erwiderte ihre Freundin.
„Wo ist der Rest von uns?“, fragte Emily und trank schnell ihr Glas leer.
„Sie stehen dahinten am Feuer“, deutete Annemieke mit ihrer Hand in die Richtung.
„Ich muss dir etwas erzählen“, begann Emily aufgeregt, aber sie wusste nicht wie sie anfangen sollte. Die ganzen Ereignisse des Tages schwammen plötzlich in einem großen Durcheinander in ihrem Kopf hin und her.
„Warte doch, bis wir bei unseren Freundinnen sind! Dann brauchst du es nur einmal erzählen“, meinte Annemieke und hakte sich bei Emily unter. Aus zehn Meter Entfernung sahen sie eine Gruppe von drei Mädchen, die ziemlich eng zusammen standen. Annemieke winkte ihnen zu und jetzt erkannte Emily, dass Kiki und Mathilda zurückwinkten.
„Aylin und Lotta sind eben zur Toilette, aber sie kommen sofort wieder“, rief ihnen Mathilda entgegen. Gut gelaunt umarmte Emily ihre Freundinnen zur Begrüßung und wartete noch einen Augenblick ab, bis die Bande wieder vollzählig war.
„Mein Vater und ich waren zum Frühstücken im Stadtcafe, wir haben uns über die Schule und über unsere Bande unterhalten. Auf einmal sagte er mir, dass er eine Überraschung für mich hätte. Aber er wollte mir zuerst nichts Genaueres darüber sagen. Ich bin vor Neugier beinahe geplatzt und bekam keinen Bissen mehr runter. Nach dem Frühstück fuhr ich meinem Vater auf dem Fahrrad hinterher und ich wusste nicht, wieso wir in der Schrebergartensiedlung unsere Räder abstellten. Aber dann zeigte er mir seine Überraschung, Mädels ihr werdet es mir nicht glauben! Es ist ein roter Wohnwagen in einem kleinen Schrebergarten“, erzählte Emily voller Elan. Ihre Freundinnen jubelten und sprangen umher wie neugeborene Osterlämmchen.
„Endlich ein Bandenquartier für die Roten Tulpen!“, jubelte Kiki und fasste Emily an den Händen. Beiden tanzten vor Freude Ringelreihen.
„Gott sei Dank“, mischte sich Lotta erleichtert ein. „Meine Mutter wird nie wieder einen Herzinfarkt kriegen, weil sechs meiner Freundinnen in ihr Wohnzimmer einfallen.“
„Pah! Was hat deine zimperliche Mutter gegen Gesellschaft!“, rief Mathilda gespielt empört. „Hat sie Angst, dass wir eine ihrer teuren Keramikvasen umwerfen oder einen ihrer orientalischen Teppiche vollkrümeln?“
„Pff! Das musst du mich nicht fragen“, erwiderte Lotta achselzuckend.
„Lasst uns dieses Ereignis gebührend mit Pommes und Bratwurst feiern!“, rief Fianna überschwänglich. „Ihr könnt ruhig sitzen bleiben! Matti und ich gehen schon.“
„Warum denn ich?“, brummte Mathilda augenrollend und lief ihrer Freundin nach.
„Wir sind gleich wieder da!“, rief Fianna und verschwand mit Mathilda in den Menschenmassen. Die restlichen Mitglieder der Roten Sieben setzten sich auf ein paar Strohballen und warteten auf das Essen. Mit Klatschspielen vertrieben sie die Wartezeit.
„Euer Pommesservice ist da!“, rief Mathilda laut, sodass Annemieke und Emily erschrocken erstarrten.
„Meine Güte war an der Pommesbude eine lange Schlange!“, rief Fianna, die ein Tablett voller Bratwürste in der Hand hielt.
„Bitte nehmt mir die Pommes ab, sonst lasse ich gleich alle Pommesrutschen in den Dreck fallen!“, bat Mathilda.
Beim Essen spürte Emily, wie hungrig sie inzwischen wieder war, seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen.
„Wie läuft deine Diät, Emily?“, fragte Mathilda mampfend. Wieder bekam Emily ein schlechtes Gewissen, sie hätte lieber Vollkornbrot mit Frischkäse essen sollen und dazu einen Erdbeerjoghurt. Aber Pommes und Bratwurst galten in jeder Modezeitschrift als Schlanksheitskiller Nummer Eins.
„Was macht denn deine Diät, Matti?“, fragte Annemieke, der nicht entgangen war, dass Emily sich wegen dieser Frage unwohl fühlte.
„Welche Diät?“, erwiderte Mathilda und tat so als verstünde sie nur Bahnhof.
„Mathilda wollte ursprünglich auch ein paar Kilos abnehmen, da sie Angst hat, dass im Sommer nicht mehr in ihren Lieblingsbikini passt“, offenbarte Annemieke vor ihren Bandenfreundinnen.
„Blöde Kuh!“, schnaubte Mathilda und verpasste ihrer Schwester einen Rippenstoß.
„Jedenfalls geht sie jeden dritten Tag mit unserem Vater joggen. Ich habe mich ihnen angeschlossen, da sie mich dazu überredet hat“, fuhr Annemieke unbeirrt fort. Emily verstand überhaupt nicht, warum die Zwillinge plötzlich auch auf dem Abnehmetripp waren, beide hatten eine etwas kräftigere Figur, aber keine von ihnen war annähernd zu dick.
„Wollen wir uns morgen unser neues Bandenquartier anschauen?“, schlug Fianna vor, als sie sich am Feuer wärmten. Die Zwillinge schüttelten synchron die Köpfe: „Das geht leider nicht. Wir fahren morgen nach Enschede, weil unsere Großeltern uns eingeladen haben und wir dort übernachten werden.“
„Es ist irgendwie unfair, wenn die Zwillinge nicht bei der Einweihung unseres neuen Bandenquartiers dabei sind“, fand Aylin. „Lass uns den Wohnwagen Mittwoch einweihen, wenn der erste Tag nach den Ferien ist.“
Der Vorschlag traf auf allgemeine Zustimmung. Einen Moment später kamen die Eltern der Zwillinge auf die Mädchenbande zu.
„So Mädels, wir gehen jetzt nach Hause“, sagte Herr ter Steegen zu seinen Töchtern.
„Manno, schon so früh!“, nörgelte Mathilda. „Es ist erst halb zehn.“
„Wir fahren morgen sehr früh los“, erwiderte ihre Mutter. „Deshalb sollt ihr ausgeschlafen sein.“
Die Zwillinge machten lange Gesichter, als ihre Eltern sie in Richtung Parkplatz schoben. Lange winkten sie ihren Freundinnen hinterher und stiegen mit ihren Eltern ins Auto. Ein wenig später mussten auch Fianna und Aylin nach Hause gehen. So blieben nur noch Lotta, Kiki und Emily übrig, die sich im Festzelt eine Cola holten.
„Du kannst mir den Wohnwagen ruhig schon morgen zeigen“, sagte Lotta zu Emily. „Einweihen tuhen wir ihn nicht, bloß weil ich ihn schon gesehen habe.“
„Nein, so geht das nicht!“, mischte sich Kiki ein. „Gleiche Rechte für Alle. Entweder alle oder keine.“
„Na gut, dann warte ich eben", gab sich Lotta geschlagen.
Gleich in der ersten Stunde am Mittwoch hatten die 6a Englisch bei Herrn Heinen.
„Good morning, children!“, begann er mit seiner durchdringenden Stimme, sodass er auch die lautesten und frechsten Jungs einschüchterte.
„Good morning, Mr. Heinen“, antwortete ihm ein Chor von fast dreißig Schülern. Emily rückte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Sie fühlte sich in diesem Moment überhaupt nicht wohl in ihrer Haut.
„Wir kriegen garantiert die Englischarbeit zurück!“, flüsterte sie ihrer Tischnachbarin Annemieke ins Ohr. Ihre Freundin nickte gequält.
„I give you your exams back“, sagte der Lehrer. „In my eyes your results are a disaster.“
Emily spürte instinktiv, dass nichts Gutes auf sie zukam. Herr Heinen schrieb den Notenspiegel an die Tafel.
„Oh nein, es gibt keine Eins und auch keine Zwei“, wisperte Jolanda, die vor ihr saß, entsetzt.
„Ja, eure Ergebnisse haben mich in der Tat wirklich sehr enttäuscht“, meinte Herr Heinen. „Wir werden in den nächsten Stunden mehr Grammatik machen müssen.“
Ein paar Schüler stöhnten genervt, darunter auch Jannis und Sven von den Piranhas.
„Was hilft es!“, rechtfertigte sich der junge Lehrer. „Ich sag nur: Learning by doing!“
Er ging von Tisch zu Tisch und verteilte die Hefte. Mit zittrigen Fingern öffnete Emily ihr Heft. Mehr als die Hälfte war mit Rot unterstrichen. Eine dicke rote Fünf minus prangte unter ihrer Arbeit.
„Verdammter Mist!“, fluchte Emily innerlich. „Mom wird überhaupt nicht begeistert sein. Sie wird mir einen Nachhilfelehrer besorgen.“
Annmieke hatte die beste Arbeit der Klasse wieder bekommen, doch zufrieden schien sie trotzdem nicht zu sein.
„Verdammt, mir fehlt nur noch ein Punkt zur Zwei minus“, sagte diese enttäuscht.
„Wenigstens bist du um einiges besser als ich“, knurrte Emily und legte ihr Heft zur Seite.
„Ich bin gespannt, was Matti hat. Ich glaube, sie hat kaum für diese Arbeit gelernt“, fuhr Annemieke fort und ging nicht weiter auf Emilys Bemerkung ein. Mathilda saß zwischen Thomas und Saskia am anderen Ende des Klassenraums, weshalb Annemieke ihre Schwester nicht sofort fragen konnte.
Nach einer Doppelstunde Grammatik brummte Emilys Schädel und die unterschiedlichen Zeiten schwirrten unsortiert in ihrem Kopf herum.
„Ich werde niemals wissen, wann ich das Simple Past und wann das Past Perfect anwenden muss“, sagte sie zu Annemieke, die mit einer der Besten in Englisch war. Endlich klingelte es zur großen Pause, fluchtartig stürmten die Schüler aus dem Klassenraum.
„Hey, bleibt sitzen!“, rief ihnen Herr Heinen hinterher. „Es gibt noch reichlich Hausaufgaben für euch!“
Doch es war zu spät, die Schüler waren alle schon aus dem Raum gestürmt. Die Roten Tulpen traf sich vor der großen Mauer auf dem Schulhof. Beinahe alle Mädchen machten ein langes Gesicht.
„War die Englischarbeit wenigstens bei euch okay?“, fragte Lotta. „Meine Mutter wird mich wegen der Vier minus zur Nachhilfe schleifen.“
„Ich habe sogar eine Fünf“, gab Mathilda zu.
„Warum hast du für diese Arbeit nicht gelernt?“, fragte ihre Zwillingsschwester vorwurfsvoll und senkte ihren Blick.
„Ich habe es doch versucht“, klagte Mathilda. „Aber diese verdammten Zeiten bleiben einfach nicht in meinem Gedächtnis haften. Ich hätte viel lieber Niederländisch an der Stelle von Englisch, das fällt mir viel leichter.“
„Meine Verwandten in Irland werden sich schlapp lachen, wenn ich ihnen gestehen, dass ich eine Vier geschrieben habe“, meinte Fianna. „Mein Vater spricht ab und zu Englisch mit mir und Tom.“
„Mensch, müssen wir die ganze Zeit über unsere verkorkste Englischarbeit reden? Mein Ergebnis ist nicht besser als euers!“, rief Kiki verärgert. „Das verdirbt mir richtig die Laune. Lasst uns lieber über unser Bandentreffen am Nachmittag reden.“
Aylin nickte zustimmend und sagte: „Ich finde wir sollen Tee und Kekse mitnehmen, damit wir unsere Einweihung feiern können.“
„Ich bringe Stroopwaffeln und einen Teekocher mit“, rief Annemieke begeistert.
„Ich schaue nach, ob wir zuhause Kekse und Süßigkeiten haben“, fügte Fianna hinzu.
„Bringt einfach alles mit, was ihr zuhause finden könnt“, schlug Kiki vor. „Wir treffen uns um drei Uhr hier auf dem Schulhof und wichtig ist, dass ihr alle eure Fahrräder dabei habt. Ich glaube, der Schrebergarten ist nicht gleich um die Ecke.“
Fianna stellte währenddessen sicher, dass sie nicht ausspioniert wurden.
„Die Piranhas spielen am anderen Ende des Schulhofes Fußball und bekommen nicht mit, was wir planen“, sagte sie zu ihren Freundinnen. Wenig später klingelte es zum Pausenschluss.
Obwohl sie heute nur sechs Stunden hatten, zog sich der Schultag wie ein Kaugummi in die Länge. In der dritten und vierten Stunde hatten sie Biologie.
„Ich will nicht schon wieder eine Fünf kassieren!“, flehte Emily leise und kritzelte mit ihrem pinken Gelstift eine Rose auf ihre Mappe.
„Pah, das ist doch nur ein kleiner Test gewesen“, sagte Mathilda neben ihr. Erleichtert atmete Emily auf, als sie auf den Testbogen schaute. Immerhin noch eine Drei minus. Mathilda hatte immerhin eine Drei plus.
„Hätte ich mir den Sehvorgang noch genauer angeschaut, hätte ich noch eine Zwei gehabt“, murmelte sie. Es stimmte, Mathilda hatte zwar ein helles Köpfchen, aber dennoch war sie ziemlich faul. Mit Leichtigkeit hätte sie mit zu den besten Schülern der Klasse gehören können wie ihr Zwilling, wenn sie sich nur ein wenig mehr anstrengte und die Hausaufgaben nicht kurz vorher in kurzen Stichpunkten erledigte. Ihre Schwester hatte natürlich mit Pauline zusammen den besten Test der Klasse.
Vor der Mathearbeit hatte Emily ebenfalls Angst, Annemieke versuchte sie vergeblich aufzumuntern.
„Kopf hoch, Emily!“, meinte sie. „So schlimm kann es doch nicht gewesen sein.“
„Annemieke hat immer gut Reden“, dachte Emily bei sich. „Sie ist so fleißig, dass sie immer gute Noten schreibt."
„Die Arbeit ist eher mittelmäßig ausgefallen“, kündigte Frau Schellhardt an, während sie den Notenspiegel anschrieb.
„Dennoch ist mir aufgefallen, dass einige von euch richtig gut sind, während wiederum andere Schüler enorm Probleme haben“, fügte sie hinzu und fing an die Hefte auszuteilen. Annemieke jubelte leise. „Und was hast du?“, flüsterte Emily.
„Eine Zwei plus!“, erwiderte ihre Freundin und fragte: „Willst du gar nicht in deine Arbeit hineinschauen?“
Emily schüttelte den Kopf und schob Annemieke ihr Heft hin: „Bitte schau du nach!“
„Wenigstens keine Fünf und keine Sechs“, meinte Annemieke. „Es ist eine Vier minus.“
Wieder seufzte Emily: „Meine Mutter wird mich mit Nachhilfe eindecken, wenn sie meine Arbeiten sieht.“
„Liegt es nicht eher daran, dass sich deine Eltern getrennt haben?“, fragte ihre Freundin und legte ihre Hand auf die von Emily. „Das muss wohl ganz schön schlimm für dich und deine Mutter sein. Ich bin mir sicher, dass du deinen Vater bestimmt sehr vermisst.“
Damit hatte Annemieke wieder voll ins Schwarze getroffen.
Sie hatte ein gutes Gespür dafür, wie es ihren Freundinnen ging, während ihre Zwillingsschwester eher ein ungestümer Wildfang war. Emily mochte die Zwillinge beide sehr gerne, doch Annemieke mochte sie dennoch ein wenig lieber.
„Yeah, ich habe auch eine Zwei geschrieben“, rief Mathilda ihrer Schwester zu.
„Manchmal gibt es auch Noten im Zwillingspack“, lachte Emily und Annemieke fing an zu kichern.
„Erst besprechen wir die Arbeit“, sagte die Klassenlehrerin. „In der sechsten Stunde können wir uns die Bilder von der Klassenfahrt anschauen.“
Pauline, die die beste Arbeit der Klasse geschrieben hatte, wurde an die Tafel gebeten und stellte ihre Ergebnisse vor. Angestrengt versuchte Emily ihr zu folgen, obwohl ihr es schwer fiel, sich zu konzentrieren. Ständig versuchte sie den drehenden Zahlenstrudel zu stoppen und die Zahlen neu zu ordnen, aber es wollte ihr gerade gar nicht gelingen. Erst als Lotta eine Aufgabe an der Tafel vorrechnete, war ihr Verstand wieder so scharf wie der eines Fuchses. In der letzten Stunde konnten sich die Roten Tulpen beim Bildergucken zurücklehnen und über ein paar lustige Photos der Piranhas lachen.
Kurz vor drei traf Emily etwas zu früh am Treffpunkt ein, der Schulhof war wie leer geputzt. Nur der Hausmeister ging mit einer Zange über den Schulhof und sammelte den von Schülern weggeworfenen Müll ein. Emily setzte sich auf eine Bank und ließ die Sonne in ihr Gesicht scheinen. Gerade als sie in Träume versank, begann hinter ihr ein Fahrradklingelkonzert. Emily drehte sich erschrocken um und entdeckte Kiki, Fianna und die Zwillinge auf ihren Fahrrädern.
„Aylin kommt ungefähr zehn Minuten später. Ihre Mutter hat sie vorhin beauftragt, einkaufen zu gehen“, sagte Fianna außer Atem.
„Und Lotta muss auf ihren Bruder aufpassen, bis ihr Vater wiederkommt“, fügte Kiki hinzu.
Insgeheim war Emily froh, dass sie keine kleinen Geschwister hatte und ihre Mutter sie nicht mit Aufgaben bombardieren konnte, da sie bis halb sechs auf der Arbeit war und anschließend selber zum Einkaufen fuhr.
Fianna und Kiki setzten sich neben sie, während sich die Zwillinge ein Wettrennen lieferten.
„Gewonnen!“, schrie Mathilda ihrer Schwester entgegen.
„Nein, du hast eine Abkürzung genommen“, entgegnete Annemieke. „Also gut. Auf ein neues Rennen!“
Diesmal kamen beide gleichzeitig über die Ziellinie. Keuchend stützten sie sich gegenseitig und setzten sich neben ihren Freundinnen auf die Bank. Etwa gegen viertel nach drei kamen Aylin auf ihrem rosa Mädchenfahrrad und Lotta auf ihrem Mountainbike um die Ecke.
„Es tut mir leid, aber ich konnte meinen kleinen Bruder nicht alleine zuhause lassen“, japste Lotta und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Dafür habe ich gerade noch einen Schokoladenkuchen gekauft. Nehmt ihr das als Entschuldigung an?“
„Klar, das ist kein Thema“, meinte Kiki und stieg auf ihr Fahrrad.
Emily fuhr ihren Freundinnen vorweg und zeigte ihnen den Weg zu ihrem neuen Bandenquartier. Mit ihrem Schlüssel öffnete Emily das leicht verrostete Schloss der Gartentür.
„Tada!“, stolz zeigte sie mit ihren rechten Arm auf den großen roten Wohnwagen. Ihre Freundinnen bekamen große Augen und schwärmten in alle Richtungen aus, um den Garten zu erkunden.
„Warum steht da ein leerer Holzkäfig am Zaun?“, wollte Lotta wissen.
„Mein Vater hat gemeint, wir könnten darin unser eigenes lebendiges Bandenmaskottchen halten“, meinte Emily.
„Au fein!“, rief Mathilda begeistert.
„Schaut mal, wir haben ein paar Beete!“, freute sich Annemieke. „Aber wir müssen es unbedingt pflegen und täglich bewässern sonst vertrocknen die Tomaten.“
„Ich finde die Obstbäume viel besser!“, rief Fianna und kletterte auf den Apfelbaum.
„Wollen wir nicht lieber in den Wohnwagen gehen und gemütlich Tee trinken“, schlug Kiki vor. „Arbeiten können wir später immer noch.“
Die Freundinnen folgten ihr und Emily voller Neugierde in den Wohnwagen.
„Hier muss dringend geputzt werden!“, stellte Aylin fest und schnappte sich einen Stofflappen.
„Halt, Aylin, putzen können wir später“, rief Kiki, aber Aylin ließ nicht beirren und putzte weiterhin den Boden, die Arbeitsflächen und die Spüle.
„Ein bisschen Sauberkeit muss sein“, bestand sie darauf und Lotta stellte in diesem Moment ihren großen Schokoladenkuchen auf den Tisch.
„Lotta, bitte nimm deinen Kuchen wieder runter“, rief Aylin hastig. „Erst wird der Tisch geputzt und dann kann gegessen werden.“
Lotta grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und räumte ihren Kuchen beiseite.
„Ich finde schon wichtig, dass wenigstens der Tisch sauber sein muss, von dem wir essen“, stärkte Emily ihrer Freundin den Rücken und Aylin wischte mit einem feuchten Tuch den großen Holztisch blitzeblank. Derweil setzte Annemieke heißes Wasser für den Tee auf.
„Welchen Tee wollt ihr trinken?“, fragte sie.
„Ostfriesentee, Dschungelfeuer, Early Gray, Erdbeertraum“, riefen die Mädchen durcheinander und es dauerte einen Moment, bis sie sich auf einen Früchtetee einigen konnten. Nachdem der Tisch, die Bänke und die Stühle sauber genug waren breiteten die Mädchen ihre Leckereien aus. Die Zwillinge hatten einen Teekocher, Stroopwaffeln und einen Honigkuchen mitgebracht, während Aylin ein türkisches Gebäck ihrer Mutter anpries.
„Wir kriegen niemals im Leben alles auf“, meinte Kiki und biss erneut von ihrem Butterkuchen ab.
„Wenn wir so weiter fressen, werden wir so rund, dass wir nach Hause rollen können“, scherzte Mathilda.
Während sie über wichtige Bandenthemen sprachen, knüpften sie sich gegenseitig Freundschaftsbänder, die in Zukunft ihr Bandenzeichen sein sollten und hörten nebenbei die neuste CD der Flowergirls. Jedes Freundschaftsband sah anders aus, da jedes der Mädchen ganz unterschiedlich war. Emilys Freundschaftsband war rot und blau, während Aylins nur aus roten und violetten Fäden bestand.
Mathilda knüpfte für ihre beste Freundin Kiki ein Freundschaftsband, das sehr bunt war und mit den Farben Rot, Grün, Gelb und Blau einen indianischen Touch hatte. Zum Schluss bekam jedes Freundschaftsband zwei kleine Anhänger: einen gelben Smiley und einen Anhänger in Form einer roten Tulpenblüte. Strahlend und voller Stolz hielten die Freundinnen ihre Handgelenke mit ihren farbenfrohen Armbändern in die Mitte, während Lotta ein Foto mit ihrem Handy schoss.
„Ich finde, wir sollten eine Bandenkasse einführen“, schlug Lotta vor. „Dann können wir gemeinsame Grillabende, Ausflüge und Kinonachmittage finanzieren.“
„Das machen wir auf jeden Fall“, sagte Kiki begeistert. „Jeder zahlt pro Bandentreffen zwei Euro.“
„Das ist viel zu umständlich, Kiki!“, mischte sich Mathilda ein. „Es ist besser, jede von uns zahlt pro Monat einen bestimmten Beitrag.“
„Ich könnte pro Monat 15 bis 20 Euro zahlen“, meldete sich Lotta zu Wort. „Ich kriege pro Monat alleine schon 50 Euro Taschengeld.“
„Das ist viel zu viel!“, protestierte Aylin. „Hör mal, Lotta, meine Familie ist nicht so reich wie deine Familie.“
„Seid ihr zufrieden, wenn ihr fünf Euro pro Monat zahlt?“, fragte Kiki. „Das Geld ist wirklich dazu da, dass wir uns etwas anschaffen können oder wir die Möglichkeit haben eine Bandenparty zu feiern.“
Die Mädchen nickten diesmal einstimmig.
„Genau, wer mehr zahlen will, kann es von mir aus auch tun. Ich überlege sogar 8 Euro pro Monat zu zahlen“, meinte Fianna. Auch Lotta, Kiki und die Zwillinge wollten mehr als 5 Euro monatlich in die Bandenkasse einzahlen. Lotta holte ein großes Sparschwein aus ihrer teuren Umhängetasche und stellte es auf die Kommode neben dem Sofa.
„Wer hat heute alles sein Geld schon dabei?“, fragte sie. Kiki holte ihr Portemonnaie aus ihrer Jackentasche und steckte einen Zehneuroschein in den Schlitz. Lotta und Emily steckten ebenfalls ihr Geld ins Sparschwein.
„Wisst ihr, wir haben uns vorhin schon kurz darüber unterhalten, dass wir uns lebendige Bandenmaskottchen anschafften wollen. Von dem Geld in der Kasse könnten wir uns beinahe schon ein Kaninchen oder ein Meerschwein kaufen“, meinte Emily.
„Wer ist für ein Meerschweinchen und wer will lieber ein Kaninchen?“, fragte Kiki in die Runde. Außer Annemieke und Fianna meldeten sich alle für ein Kaninchen.
„Es ist besser wir kaufen zwei Kaninchen, als eins“, warf Lotta ein. „Kaninchen sind soziale Wesen und sollten mindestens zu zweit gehalten werden.“
„Wir müssen dafür mindestens 100 Euro zusammen bekommen“, rief Kiki. „Wir müssen auch noch bedenken, dass wie die ganze Ausrüstung kaufen müssen“
„Ich stecke 25 Euro extra ins Sparschwein“, meinte Lotta.
„Lotta, willst du nicht unsere Bandenkasse verwalten?“, fragte Kiki und fuhr fort: „Ich bin die Anführerin und Aylin ist die Hüterin unseres Bandenbuches. Aber die anderen brauchen auch noch eine Aufgabe.“
„Wenn ihr wollt, sorge ich auch dafür, dass der Wohnwagen immer schön sauber und ordentlich bleibt“, meldete sich Aylin freiwillig.
„Ich will gerne um die Beete kümmern“, rief Annemieke mit leuchtenden Augen.
„Und ich möchte für unsere Kaninchen sorgen“, warf Fianna kurzerhand ein.
„Hey, das wollte ich machen!“, rief Mathilda protestierend und sprang dabei auf.
„Um die Kaninchen werden wir uns alle kümmern“, sagte Kiki bestimmt. „Allein aus dem Grund, weil sie uns allen gleich viel gehören werden.“
„Was wollt ihr machen?“, fragte Kiki und sah Mathilda, Fianna und Emily an.
„Ich weiß es doch auch nicht!“, rief Mathilda gereizt. „Ich wollte mich eigentlich um die Kaninchen kümmern, aber das tun wir jetzt doch eh alle.“
„Wir könnten noch einen professionellen Spion gebrauchen“, schlug Lotta vor. „Eine von uns muss die Piranhas und andere Feinde ausspionieren.“
Fiannas grünen Augen fingen an zu leuchten: „Das ist die perfekte Aufgabe für mich.“
„Ich habe auch noch eine Idee“, meldete sich Emily zu Wort. „Ich würde gerne so eine Art Streitschlichter oder Vertrauensperson sein, ich meine, wenn es mal Streit gibt oder Jemand ein persönliches Problem hat.“
„Keine schlechte Idee, eine Vertrauensperson brauchen wir unbedingt“, sagte Kiki. „Dennoch finde ich, dass ihr beide, Lilly und Micky, ihr solltet miteinander tauschen.“
„Heißt es, dass ich die Vertrauensperson bin und Emily die Gärtnerin“, fragte Annemieke.
Kiki bejahte und fragte: „Seid ihr beide einverstanden, dass ihr tauscht?“
Emily und Annemieke nickten.
„Matti hat noch keine Aufgabe“, sagte Aylin.
„Ich habe überhaupt keine Idee, was ich tun könnte“, maulte Mathilda.
„Du sorgst dafür, dass immer genug Essen und Trinken im Wohnwagen ist“, bestimmte Kiki.
„Okay“, nickte Mathilda.
Aylin schrieb in das Bandenbuch:
Aufgaben der Roten Tulpen
Anführerin: Kiki
Schriftführerin und Putzfrau: Aylin
Gartenpflege: Emily
Kassenwart: Lotta
Essen und Trinken: Mathilda
Vertrauensperson: Annemieke
Spion: Fianna
Kaninchen: Alle
Bomm bomm bomm! Plötzlich klopfte es laut an die Wohnwagentür, sodass die Mädchen erschraken. Voller Angst griff Aylin nach Fiannas Arm.
„Hoffentlich, sind das nicht die Piranhas!“, wisperte Fianna. „Bitte nicht!"
„Aufmachen, aber sofort!“, rief eine laute Männerstimme. Mit klopfenden Herzen schlich Emily zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
„Guten Tag, wieso sind Sie hier?“, sagte Emily schüchtern und starrte einen dicken grauhaarigen Mann mit den buschigen Augenbrauen an.
„Räumt sofort eure Fahrräder vom Weg!“, sagte er und fügte unfreundlich hinzu: „Sonst entsorge ich sie eigenhändig auf dem Schrottplatz.“
„Warten Sie kurz, wir machen das gleich“, mischte sich Kiki ein. „Wir essen eben zu ende und dann machen wir das schon.“
Die dunklen Augen des Mannes verengten sich zu zwei engen Schlitzen.
„Nein, das macht ihr auf der Stelle, sonst könnt ihr eure Fahrräder auf dem Schrottplatz suchen gehen!“, donnerte der Mann los und die Mädchen erstarrten.
„Wie sollen andere Leute noch durchkommen, wenn eure Fahrräder den Weg blockieren“, schimpfte der Kerl weiter. Die Freundinnen standen auf, folgten dem Mann und rollten ihre Fahrräder in den Garten. Der Mann verschwand wieder, ohne sich zu bedanken und sich zu verabschieden. Schweigend gingen sie wieder in den Wohnwagen zurück.
„Das war der alte Griesgram“, sagte Mathilda leise.
„Oh je mine“, seufzte ihre Schwester. „Er hat mir echt noch gefehlt!“
„Woher kennt ihr ihn?“, fragte Kiki erstaunt.
„Er wohnt bei uns in der Straße“, erzählte Mathilda. „Jedes Mal wenn Kinder an seinem Haus vorbei gehen oder spielen, dann öffnet er ein Fenster und schreit, dass sie auf der Stelle verschwinden und ihre Klappe halten sollen.“
„Heißt der Griesgram wirklich so?“, zog Lotta ungläubig die Augenbrauen hoch.
Annemieke schüttelte den Kopf: „Nein, er heißt eigentlich Herbert Jäger, aber alle Kinder nennen ihn bloß Griesgram.“
„Letztens hat er einen Nachbarjungen geohrfeigt, weil er einen Ball in seinen Garten geschossen hat und ihn wieder holen wollte“, erzählte ihre Schwester.
„Scheint ja ein Kinderhasser zu sein", kommentierte Kiki trocken und aß ihr Kuchenstück auf.
„Ganz wohl ist mir bei diesem Nachbarn wirklich nicht“, wurde Emily ganz mulmig.
„Er wird sicherlich nicht immer da sein, wenn wir auch da sind“, versuchte Fianna sie aufzumuntern.
„Ich gebe euch einen Tipp“, warnte Mathilda ihre Freundinnen. „Betretet niemals seinen Garten oder seid ihm zu laut, er kann noch lauter werden als gerade eben.“
„Wenn das so ist, habe ich keine Lust mehr auf den Garten und auf den Wohnwagen“, ließ Emily den Kopf hängen.
„Was bist du für eine Bangebüchs!“, rief Kiki verächtlich. „Wir lassen uns nicht von einem grauhaarigen Griesgram den Spaß verderben!“
„Punktgenau!“, riefen ihre anderen Freundinnen und streckten kämpferisch ihre Arme nach oben.
„Hey, da wäre noch was“, kam Kiki auf und lief zum kleinen Kühlschrank neben der Spüle, nachdem sie ihre Fahrräder in ihren Garten geschoben hatten.
„Was hast du vor?“, sah Lotta sie überrascht an.
„Warte es eben ab, Lotta“, kam Kiki mit einer Flasche Apfelsaft wieder.
„Also jetzt will ich es auch wissen“, reckte Fianna neugierig den Kopf nach vorne.
„Ich habe Apfelsaft und Mineralwasser“, begann die Bandenanführerin. „Und noch ein selbstgepflückte Waldmeisterblätter.“
„Oh schön, willst du eine Waldmeisterbrause machen?“, klang Annmieke begeistert.
„Doch nicht einfach so eine popelige Waldmeisterbrause“, lachte Kiki kurz auf. „Jetzt brauche ich eure Mithilfe.“
„Aber wofür denn, Kiki?“, begann sich nun auch Mathilda zu wundern.
„Ganz einfach, wir mischen uns einen Zaubertrank, damit wir für ewig jung bleiben und die Roten Tulpen für immer bestehen bleiben.“
„Au ja!“, jubelten die Zwillinge.
„Dann mal an die Arbeit“, zwinkerte Kiki ihren Freundinnen zu. „Im Garten haben wir Kräuter wie zum Beispiel Zitronenmelisse und Minze.“
„Aber ich kenne mich nicht mit diesen Pflanzen aus“, klang Aylin etwas verunsichert.
„Nicht wild, frag Micky oder Lily, die wissen was man pflücken kann oder auch nicht“, meinte Kiki. Die Freundinnen pflückten eifrig Kräuter, die zu ihrem Trunk passen könnten.
„Jetzt haben wir auch wirklich genug“, stellte Emily fest.
„Dann können wir mit dem Ansetzen der Brause beginnen“, sagte Lotta zufrieden.
„Du meinst wohl Zaubertrank“, verbesserte Kiki sie.
„Hurra, für immer jung!“, machte Mathilda zusammen mit ihrer Schwester einen übermütigen Luftsprung.
„Glaubt ihr wirklich daran?“, gab Lotta einen leicht hämischen Kommentar von sich.
„Immerhin ist es schön daran zu glauben“, schmunzelte Emily.
Der Zaubertrunk musste eine Stunde lang ziehen und Kiki bestand darauf, dass dieser im dunklen Kühlschrank stehen musste, damit sich die magischen Kräft entwickeln konnten.
„Jetzt kommt der Moment!“, trommelte Kiki mit ihren Fingern auf die Tischplatte.
„Mal gucken wie unsere wilde Brause schmeckt“, war Fianna ganz neugierig. Kiki goss jeder Freundin etwas aus der gläsernen Kanne ein.
„Mit diesem Trunk schwöre ich auf ewige Kindheit und unsere nimmer endende Freundschaft. Auf dass wir immer jung bleiben!“, erhob sie ihr Glas. Gut gelaunt prosteten sich die Freundinnen zu.
„Schmeckt in der Tat sehr erfrischend“, nahm Lotta noch mal nach.
„Ich fühle mich auch schon um ein paar Jahre jünger“, strahlte Annemieke.
„Nicht nur du!“, fand ihre Zwillingsschwester.
„Als ob ihr mit euren zwölf Jahren so alt wie Omas wärd!“, giggelte Emily los.
„Immerhin werden wir so niemals erwachsen, Mädels!“, klang Kiki siegesgewiss.
„Und wir werden die Piranhas für ewig hassen“, schwor sich Mathilda.
„Und nie im Leben unsere Freundschaft mit irgendwelchen Jungs rumknutschen“, fügte Annemieke hinzu.
„Ich sehe uns schon in zwanzig Jahren, wie wir hier sitzen und wir noch kein Stück älter geworden sind“, exte Fianna ein ganzes Glas auf einmal und musste rülpsen, worauf die anderen Mädchen zu kichern begannen.
„Wenn das in Erfüllung geht, melde ich unseren Trank als Patent an“, scherzte Lotta.
„Oh ja, das werden sicherlich viele Kinder kaufen“, spann Aylin den Faden weiter.
„Und wir machen ordentlich Kohle damit, sodass wir uns zusammen einen Ponyhof kaufen können“, ergänzte Emily.
Als Emily am Abend wieder nach Hause kam, erstarrte sie für einen Augenblick zur Salzsäule. Ihr Vater war aus heiterem Himmel gekommen und wahrscheinlich war er nur deshalb da, um irgendwas mitzunehmen, was ihm gehörte. Emilys Herz pochte, als sie mitbekam, wie sich ihre Eltern in der Küche angifteten.
„Ich habe die richtige Entscheidung getroffen, dass ich hier ausgezogen bin. Mit dir hält man es wirklich nicht unter einem Dach aus!“, brüllte ihr Vater.
„Du bist ein mieser Hund, der die ganze Familie zerstört hat. Ist dir gar nicht bewusst, wie sehr du mich und Emily verletzt hast? Du verstehst es eh nicht und dir ist es egal. Mach, dass du raus kommst!“, bebte die Stimme ihrer Mutter vor Zorn. Es war Gewohnheit, dass die Fetzen flogen, sobald sie sich sahen.
Rasch verzog sich Emily in ihr Zimmer, schloss die Tür ab und machte sofort laut Musik an, damit sie das Geschrei von draußen nicht weiter ertragen musste. Zitternd saß sie auf ihrem Bett und kämpfte die aufsteigenden Tränen an.
„Ich hasse Trennungen!“, sagte sie leise zu sich selbst und begann in diesem Augenblick zu weinen.
Ihre gute Laune, die sie aus dem Wohnwagen mitgebracht hatte, war mit einem Mal verpufft. Am liebsten hätte sie in diesem Augenblick ihre beste Freundin Annemieke angerufen, aber sie hatte keine Lust sich mit tränenerstickter Stimme zu melden. Einen Moment später fiel die Wohnungstür krachend ins Schloss. Erleichtert atmete Emily auf. Ihr Vater musste gerade gegangen sein. Endlich konnte sie die Musik wieder viel leiser drehen. Trotzdem fühlte sich immer noch sehr bedrückt. Nichts half besser als eine Tafel Nussschokolade, die sie in ihrem Nachtschrank als Notfallmedizin gegen Kummer verstaut hatte.
Entschlossen schob sie die Schubblade auf und griff nach der Tafel. Genüsslich schob sie das erste Stück in den Mund, nachdem sie das Papier entfernt hatte. Mmhhh, tat das gut. Erst als nur noch die Hälfte übrig war, fühlte sich Emily wieder ein wenig besser. Ein paar Gewissensbisse machten sich dann doch wieder in ihr breit, als ihr einfiel, dass sie eigentlich auf Diät war und ihr einfiel, dass sie wieder anderthalb Kilo zugenommen hatte.
Direkt nach der Reitstunde am Freitagnachmittag fuhren die Freundinnen zum Zoofachgeschäft.
„Guten Tag! Wie kann ich euch weiterhelfen?“, fragte eine kleine Frau mit taillenlangen dunklen Haaren.
„Guten Tag, wir würden uns gerne die Kaninchen anschauen“, sagte Kiki freundlich.
„Moment, ich zeige sie ihnen euch“, sagte die Frau und forderte die Mädchen auf, ihr zu folgen. Hinten im Laden stand ein großer Käfig mit Meerschweinchen und Kaninchen.
„Wollt ihr Weibchen oder Männchen?“, fragte die Verkäuferin und deutete auf zwei voneinander getrennte Käfige.
„Weibchen“, sagte Lotta kurzenentschlossen. „Man kann sie einfach besser zusammenhalten, als zwei Männchen.“
„Schaut mal, das Kaninchen mit den Schlappohren ist total süß“, rief Fianna. „Das möchte ich unbedingt haben!“
„Ich finde das schwarze Kaninchen sogar noch niedlicher“, meinte Emily. Die Roten Siebenerinnen konnten sich kaum entscheiden, jede von ihnen hatte bereits ihr Lieblingskaninchen gefunden.
„Langhaarige Kaninchen sind schwerer zu pflegen“, gab ihnen die Verkäuferin den Tipp.
„Wir nehmen auf jeden Fall ein normales Kaninchen“, bestimmte Kiki. „Ein normales Kaninchen kostet nur 26 Euro, während ein Schlappohrkaninchen 38 Euro kostet und ein Langhaariges schon 44 Euro kostet.“
„Das ist ja voll mies!“, rief Fianna empört. „Ich habe zuerst gesagt, welches Kaninchen ich haben möchte!“
„Hast du vergessen das wir eine Bande sind!“, wurde Kikis Stimme leise und sie zog Fianna an sich. „Wir entscheiden zusammen, aber nicht jede alleine. Wir sind zu siebt und wir sind uns natürlich nicht immer einer Meinung.“
„Können wir nicht einmal eine Ausnahme machen?“, bettelte Fianna. „Wir können dieses Schlappohrkaninchen mitnehmen und eines mit kurzem Fell. Das ist nur ein Unterschied von zwölf Euro.“
„Nein, das können wir nicht. Es ist zu teuer“, fiel ihr Kiki rigoros ins Wort.
„Bitte, ich habe mich sofort in dieses kleine niedliche Ding verliebt“, flehte Fianna.
„Wollen wir nicht lieber das schwarz weiß gescheckte Kaninchen mitnehmen?“, schlug Mathilda vor. „Das ist genauso süß wie deins, Fianna.“
„Was habt ihr denn?“, rief Fianna irritiert. „Ich habe mich immer fair verhalten, meine Versprechen gehalten und habe euch noch nie im Stich gelassen. Darüber hinaus habe ich meine eigenen Interessen immer schön zurückgehalten.“
„Ich weiß“, seufzte Kiki genervt. „Aber jetzt suchen wir die Kaninchen gemeinsam aus.“
Wütend bis sich Fianna auf die Lippe und funkelte ihre Freundinnen wütend an.
„Ich habe nur einmal einen Wunsch und ihr gönnt mir wirklich gar nichts!“, zischte sie und blinzelte eine Träne weg. „Kaum habe ich einen eigenen Willen, werde ich von euch fertig gemacht!“
„Nein, das wollen wir gar nicht!“, rief Annemieke beschwichtigend. „Es darf bloß nicht zu teuer werden. Wir müssen Stroh, Heu, die Tränke und das Futter auch noch bezahlen und das wird ziemlich viel kosten.“
Fianna versetzte Annemieke einen Stoß, sodass sie fast ihr Gleichgewicht verlor und sich an einem Regal fest hielt.
„Bist du noch ganz bei Trost?!“, schimpfte Annemieke.
„Halt deine Schnauze, Annemieke!“, rief Fianna.
„Pass auf was du sagst, Fianna!“, rief Kiki wütend.
„Mir doch egal!“, zischte Fianna wütend. „Jetzt sieht es aus, als ob du alles bestimmst und deine blöden Gänse dir hinterher laufen, Kristina Morawski!“
„Jetzt übertreibst du es ganz gewaltig, Fianna! Langsam geht uns allen dein kindisches Gehabe ganz gewaltig auf die Nerven“, verteidigte Mathilda ihre beste Freundin. Fianna fing an zu zittern.
„Muss ich mir gefallen lassen, wie ihr mich behandelt!“, blaffte Fianna die Mädchen an. „Ich habe gedacht, ihr seid meine Freundinnen. Doch gerade merke ich davon überhaupt nichts mehr! Ich spüre gerade eure giftigen Blicke gegen mich. Ihr alle gegen mich.“
„Weißt du eigentlich wie sehr dein Egoismus mir auf die Nerven geht!“, schrie Kiki ihre Freundin an. „Wenn du weiterhin meinst, dich wie ein Kleinkind zu verhalten, geh doch in den Kindergarten und spiele mit den Schnullerkindern im Sandkasten. So wie du dich hier verhälst, können wir uns noch nicht einmal mit dir in der Öffentlichkeit sehen lassen!“
„Ihr könnt mich mal! Ich habe sowieso keinen Bock mehr auf eure affige Bande. Ich wünsche euch noch ganz viel Spaß mit euren hässlichen Kaninchen, aber ohne mich!“, brüllte Fianna zurück und Tränen mischten sich unter ihre Stimme. Hastig rannte sie aus dem Laden.
„Fianna, warte auf mich!“, rief Aylin den Tränen nahe und rannte ihrer Freundin hinterher.
„Könntet ihr bitte etwas leiser sein?“, ermahnte ein junger Verkäufer sie. „Die Tiere mögen es nicht, wenn Jemand laut schreit und Unruhe stiftet. Geht nach Draußen, wenn ihr euch streiten wollt!“
Die übrigen Mitglieder der Roten Sieben schüttelten die Köpfe über Fiannas Verhalten.
„Absolut kindisch!“, zischte Mathilda verächtlich. Emily stand schweigend daneben und ratlos daneben. Vor Schreck wusste sie nichts zu sagen.
„Wollen wir bis Weihnachten warten, bis wir unsere Kaninchen ausgesucht haben!“, wurde Lotta ungeduldig. Sie entschieden sich für das gescheckte und das schwarze Kaninchen. Schließlich besorgten sie das Streu, das Futter, eine Tränke, einen Futternapf und ein Häuschen.
„Ob sich Fianna schon beruhigt hat?“, fragte Annemieke an der Kasse und sah besorgt aus.
„Mach dir darüber keine Gedanken, Micky! Den Streit hat die blöde Kuh selber verbockt“, sagte ihre Schwester und legte ihr den Arm um die Schulter.
„Puh, das Geld hat gerade so ausgereicht! Alles zusammen hat 78 Euro gekostet und wir hatten nur 85 Euro dabei“, sagte Kiki und zeigte ihren Freundinnen den Bon.
„Fiannas Wusch hätten wir eh nicht erfüllen können“, meinte Emily.
„Eben und zudem sind wir jetzt auch noch pleite“, fügte Lotta hinzu.
„Aber das macht das nichts“, meinte Kiki. „Wir haben erst einmal genug Heu und Futter für die Kaninchen.“
Wo war eigentlich Fianna? Die Freundinnen hielten nach ihr Ausschau, aber sie war nirgends auf dem Parkplatz zu sehen. Nur Aylin kam ihnen niedergeschlagen entgegen.
„Warum habt ihr euch so streiten müssen?“, rief Aylin vorwurfsvoll und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Keine der Freundinnen antwortete ihr.
„Ihr habt Fianna provoziert und nun ist mit ihrem Fahrrad davon gefahren“, schluchzte Aylin. „Gerade du, Kiki, du hättest ihr nicht so fiese Sachen an den Kopf werfen dürfen. Fianna hat so heftig geweint, dass selbst ich sie nicht trösten konnte.“
„Ich habe ihr doch nur meine Meinung gesagt“, verteidigte sich Kiki.
„Wisst ihr, wir sind jetzt ein Mitglied weniger“, schniefte Aylin und hielt ihren Freundinnen Fiannas Freundschaftsband hin.
„Was? Ist sie völlig eingeschnappt?!“, rief Lotta geschockt. „Ich werde ihr heute nicht nachgehen. Ich fand es unmöglich, wie sie Micky gegen das Regal geschubst hat.“
„Ich bringe mit Kiki und Lotta die Kaninchen zum Schrebergarten. Ich will ihnen endlich ihr tolles Zuhause zeigen“, sagte Mathilda und hakte sich auf dem Weg zum Fahrradständer bei Kiki ein. Emily nahm Aylin kurz in den Arm, damit sich diese wieder beruhigte.
Bedröppelt blieben Annemieke, Aylin und Emily vor der Ladentür zurück.
„Ich muss mit Fianna sprechen und zwar sofort“, sagte Aylin aufgewühlt.
„Ruf sie doch an!“, schlug Annemieke vor. Aylin wählte ihre Nummer.
„Mist, sie geht nicht an ihr Handy!“, fluchte sie.
„Es hilft nichts, wir müssen zu ihr nach Hause fahren“, beschloss Emily. „Und Micky, du musst auch mit, du bist schließlich unsere Vertrauensperson.“
Annemieke und Emily fuhren Aylin hinterher, denn sie war die Einzige, die genau wusste, wo Fianna wohnte. Aylin hielt vor einer Doppelhaushälfte und stellte ihr Fahrrad ab.
„Hier wohnt sie“, sagte sie. Die drei Freundinnen klingelten an der Haustür und Fiannas Mutter öffnete ihnen.
„Hallo, wollt ihr etwas von Fianna?“, fragte diese und ließ die Mädchen herein.
„Hallo Frau O'Hara, ich muss unbedingt mit Fianna sprechen“, sagte Aylin.
„Fianna kam gerade weinend nach Hause und ich weiß nicht, was passiert ist“, sagte ihre Mutter ratlos. „Sie ist sofort auf ihr Zimmer gerannt und hat sich dort eingeschlossen.“
„Wir müssen trotzdem zu ihr“, beharrte Annemieke. „Wir müssen uns wegen einem Referat am Montag absprechen.“
Fiannas Mutter nickte nur und die drei Freundinnen gingen die Treppe hinauf zu Fiannas Zimmer. Vorsichtig klopfte Aylin an ihre Tür.
„Wer ist da?“, rief Fianna mit belegter Stimme.
„Hier ist Aylin“, antwortete ihre beste Freundin. Im nächsten Moment hörten sie, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte und Fianna ihnen die Tür öffnete. Sie wirkte ein wenig versteinert und verunsichert, als sie Emily, Annemieke und Aylin gegenüberstand.
Einen Moment lang sagte niemand etwas, bis Aylin Fianna in den Arm nahm.
„Ich war einfach so wütend auf Kiki, wie sie mich behandelt hat“, schluchzte Fianna los und putzte sich die Nase.
„Ich weiß, Kiki war auch nicht sehr freundlich zu dir“, tröstete Aylin sie.
„Kann ich mich überhaupt noch bei euch sehen lassen?“, heulte Fianna.
„Genau, deshalb sind wir gekommen“, begann Annemieke ruhig. „Das war ein doofer Streit und im Endeffekt haben wir alle Schuld daran, dass es so heftig eskaliert ist.“
Fianna lächelte auf einmal und hörte auf zu weinen.
„Ich wollte euch sagen, wie peinlich ich mich verhalten habe und dafür will ich mich bei euch entschuldigen“, sagte sie ruhig und putzte sich noch mal ihre Nase.
„Selbstverständlich bist du unsere Freundin“, sagte Emily und legte ihre Hand auf Fiannas Schulter. „Wir haben vorhin nur 85 Euro mitgehabt und der gesamte Einkauf hat bereits 78 Euro gekostet. Dein Wunschkaninchen wäre zu teuer gewesen.“
„Ach so, jetzt verstehe ich, wieso Kiki dieses Kaninchen nicht haben wollte. Sorry, ich war so hitzig und habe komplett dicht gemacht“, sagte Fianna erleichtert.
„Vergesse diesen blöden Streit“, munterte Annemieke Fianna auf. „Selbst ich streite mich manchmal ziemlich heftig mit meiner eigenen Schwester, aber danach vertragen wir uns meist schnell. Hier ist dein Freundschaftsband. Ich binde es dir schnell wieder um, sonst verlierst du es noch.“
Fianna strahlte wieder und umarmte ihre Freundinnen der Reihe nach.
„So Mädels, wir können jetzt zum Wohnwagen fahren und uns die Kaninchen anschauen“, meinte Emily.
„Ich würde gerne mitkommen, aber zuerst muss ich meine Mutter fragen“, rief Fianna. „Mama, darf ich eben mit meinen Freundinnen weggehen?“
„Fianna, es gibt gleich Abendbrot!“, antwortete ihre Mutter aus der Küche.
„Es dauert auch nicht lange“, versicherte Fianna ihr und fügte hinzu: „Außerdem kann ich später essen.“
„Sie bitte wieder um halb Neun wieder zurück!“, rief ihr ihre Mutter nach.
Schnell schwangen sich die vier Freundinnen auf ihre Fahrräder und rasten los. Sie fuhren über eine Kreuzung, an ihrer Schule vorbei, sausten durch den Stadtpark und bogen in den Schrebergarten ein.
„Mit euch habe ich gar nicht mehr gerechnet“, rief Mathilda überrascht und fragte: „Ist die Sünderin auch dabei?“
„Hör auf, so von Fianna zu reden!“, verteidigten Annemieke und Aylin ihre Freundin.
„Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe“, sagte Fianna und gab Matilda zur Versöhnung die Hand.
„Kommt rein!“, lächelte Kiki freundlich. Fianna ging direkt auf Kiki zu und entschuldigte sich bei ihr.
„Beruhig dich, Carrot“, meinte Kiki gelassen. „Ich habe den Streit schon längst wieder vergessen und mach dir keine Gedanken mehr darüber! Wir sind wieder zu siebt!“
Beinahe wäre Fianna erneut in Tränen ausgebrochen, aber dieses Mal vor Erleichterung.
„Kommt mit, ich zeige euch die Kaninchen"“, rief Lotta und kam ihnen entgegen. „Seht nur, wie wohl sie sich in ihrem Stall fühlen.“
Fianna pflückte ein Löwenzahnblatt und steckte es durch das Käfiggitter.
„Oh, sie sind doch ganz niedlich!“, schwärmte Fianna und fragte: „Haben sie auch schon einen Namen?“
„Kiki, Matti und ich dachten, dass Hanni und Nanni tolle Namen wären“, erwiderte Lotta. Ihre Freundinnen nickten voller Zustimmung und somit waren die Namen für ihre Bandentiere gebongt.
Wenig später saßen die Mädchen im Wohnwagen, tranken Tee, aßen den restlichen Kuchen von Mittwoch auf und unterhielten sich über die heutige Reitstunde.
„Ich finde Fianna und Aylin machen echt gute Fortschritte im Sattel“, meinte Kiki anerkennend.
„Und dabei habe ich heute erst zum dritten Mal auf dem Pferd gesessen“, sagte Aylin stolz. „Das nächste Mal versuche ich eine ganze Runde zu traben und irgendwann werde ich auch alleine reiten können, so wie ihr.“
„Kiki und Emily können bald sowieso Springstunden nehmen“, war Mathilda der Meinung. „Aber Micky und ich könnten es in Prinzip auch, aber wir müssten mehr üben.“
„Fianna ist im Reiten ein richtiges Naturtalent“, fand Kiki. „Mich wundert es, dass sie nie zuvor geritten ist.“
Fianna saß freudestrahlend zwischen Lotta und Kiki auf der Bank und war so froh, wie nie zuvor.
„Echte Freundinnen kann man wirklich nicht schnell verlieren“, sagte sie ganz leise zu Emily. „Selbst Kiki und Mathilda sind gute Freundinnen, da sie immer offen die Wahrheit sagen und mir die Augen geöffnet haben.“
Plötzlich läutete ihr Handy.
„Ich muss nach Hause, meine Mutter hat gerade angerufen“, rief sie und verabschiedete sich.
„Wer kümmert sich am Wochenende um die Kaninchen?“, fragte Kiki.
„Ich mache es freiwillig“, meldete sich Emily. „Meine Mutter will morgen Vormittag mit ihrer besten Freundin ins Schwimmbad und da möchte ich nicht unbedingt mit.“
Als Emily am Montagabend von einem Bandentreffen wieder kam, saß ihre Mutter schon am gedeckten Wohnzimmertisch und wartete auf ihre Tochter.
„Hallo, Mama!“, rief Emily, schloss die Wohnungstür hinter sich und zog ihre Schuhe aus.
„Hallo, Lily! Wie war dein Tag?“, begrüßte ihre Mutter sie.
„Soweit ganz gut“, antworte sie und fragte: „Hast du etwas zu Essen gemacht? Ich habe einen tierischen Hunger.“
„Nein, ich habe gerade etwas Leckeres vom Italiener kommen lassen“, meinte ihre Mutter und zählte auf: „Salat, Pizzabrot, Tortelliniauflauf mit Schinken und Panna Cotta zum Nachtisch.“
Emily setzte sich an den Tisch, goss sich Wasser ein und nahm sich ein Stück Pizzabrot.
„Vorhin hat Frau Schellhardt bei mir angerufen“, erzählte ihre Mutter beim Essen. „Sie macht sich Sorgen wegen deiner Schulnoten und hat mir geraten, dich bei der Nachhilfe anzumelden. Du hast in der letzten Englisch- und auch in der Physikarbeit eine Fünf geschrieben.“
„Ich weiß“, seufzte Emily. „In Mathe war ich auch nicht viel besser.“
„Du wiederholst gerade die sechste Klasse“, sagte ihre Mutter eindringlich. „Noch einmal wiederholen kannst du nicht. Schaffst du dieses Schuljahr nicht, müssen wir dich auf einer Realschule anmelden.“
„Um Himmels willen! Das will ich auf keinen Fall!“, rief Emily geschockt. „Ich fühle mich in der Klasse so wohl, weil ich dort zum allerersten Mal so gute Freundinnen gefunden habe. Ich will auf gar keinen Fall nach den Sommerferien auf eine Realschule gehen und dort schon wieder neue Freunde suchen müssen!“
„Frau Schellhardt hat mir erzählt, dass die Nachhilfestunden im Lerninstitut am Donnerstag und Freitag von jeweils drei Uhr bis halb fünf stattfinden“, fuhr ihre Mutter fort.
„Freitags geht nicht!“, rief Emily entschlossen. „Du weißt ganz genau, dass Freitag um halb vier der Reitunterricht stattfindet und danach haben wir immer Bandennachmittag.“
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern: „Tja, manchmal muss man für die Schule leiden.“
„Hast du mich schon beim Lerninstitut angemeldet?“, fragte Emily eindringlich.
„Noch nicht, aber ich werde es in den nächsten Tagen machen“, erwiderte ihre Mutter.
„Ich gehe meinetwegen an jedem x-beliebigen Tag freiwillig zum Lerninstitut, aber Freitag ist Bandentag und dabei bleibt es!“, brauste Emily auf.
Emily und ihre Mutter diskutierten so heftig, dass langsam das Essen kalt wurde.
„Ich gebe nicht so einfach nach, wie du denkst!“, rief Emily sauer.
„Sei doch endlich vernünftig!“, regte sich ihre Mutter auf. „Du willst doch später Tierärztin werden und dafür brauchst du ein Abitur, damit du studieren kannst. Wirst du nicht in die siebte Klasse versetzt, besuchst ab Herbst eine Realschule und deine Freundinnen kannst du nicht mehr regelmäßig sehen.“
„Annemieke kann mir genauso gut Nachhilfe geben, sie ist in fast allen Fächern ziemlich gut.“
„Daran zweifle ich, denn wenn sie da ist, quatscht ihr hauptsächlich.“
„Da unterschätzt du sie aber, sie kann sehr gut erklären.“
„Ein professioneller Nachhilfelehrer ist besser für dich.“
„Für mich nicht unbedingt!“
Beide sahen sich minutenlang schweigend an.
„Ich habe keinen Hunger mehr!“, knurrte Emily, schob ihren Teller weg und rannte in ihr Zimmer. Sie nahm ihr Handy vom Nachtisch. Erst vor kurzem hatte Kiki eine WhatsApp-Gruppe für die Roten Tulpen gegründet. Da sie sich gerade ihr Frust von der Seele schreiben musste, fing sie an in ihr Handy zu tippen.
Emily: Hi, jemand on?
Fianna: Ja hier!
Black Beauty: Hi Carrot!
Kiki: Hallo ihr Zwei!
Emily: Kiki, ich habe ein großes Problem: Mom will mich freitags zur Nachhilfe schicken!
Kiki: Wie bitte! Das geht gar nicht! Freitags ist fester Bandentag!
Emily: Mom besteht darauf, kann leider nichts machen :’(
Fianna: Da werden wir garantiert eine Lösung finden
Lotta: Kann nicht Annemieke dir Nachhilfe geben, Lily?
Emily: Mom will das nicht, sie glaubt, wir würden eh nur tratschen!
Annemieke: Das stimmt nicht! Wir können super zusammenarbeiten. Nicht wahr, Lily? J
Emily: Davon musst du erst meine Mutter überzeugen, Micky!
Mathilda: Niemand kann besser erklären, als meine Schwester!!!
Emily: Das Problem ist, dass Frau Schellhardt meine Mutter angerufen hat und ihr empfahl, dass sie mich beim Lerninstitut anmelden soll
Mathilda: Was!!!!!
Kiki: Das geht schon mal gar nicht, wenn der Termin auf unseren heiligen Bandentag fällt und du nicht mehr kommen kannst! L
Lotta: Entweder alle oder keine!!!
Fianna: Genau =)
Aylin: und was jetzt? Müssen wir unseren Bandentag an einen anderen Tag verlegen?
Mathilda: Das ist schwierig! Dienstags sind Micky und ich in der Musikschule und mittwochs haben wir haben wir beide Hockeytraining.
Fianna: Dienstags spiele ich Tennis und donnerstags bin ich beim Ballett ;)
Lotta: und ich schwimme montags und donnerstags im Verein
Kiki: Ich werde bald einen Kletterkurs belegen, der dienstags stattfindet
Aylin: Montags bin ich immer beim Bauchtanz
Annemieke: Da haben wir ein Problem!!!
Mathilda: Unser Bandentag ist und bleibt der Freitag!
Kiki: Auf alle Fälle!!!!!!
Lotta: Lily, wenn du Probleme in Mathe, Chemie und Biologie hast, komm zu mir J
Emily: Danke, das ist echt lieb von dir <3
Lotta: Kein Ding J
Kiki: Der Freitag bleibt unser Bandentag
Fianna: Wer ist morgen mit den Kaninchen dran?
Emily: Dientags ist Aylin dran
Aylin: Oh, ich weiß nicht, ob ich das schaffe! Ich muss mein Referat in Erdkunde fertig stellen und noch ein Geschenk für meine Schwester kaufen, sie hat bald Geburtstag
Lotta: Ich kann morgen nach der Schule die Kaninchen versorgen!
Aylin: Okay J
Annemieke: Ich glaube, ich gehe off. Ich muss noch ein Plakat für Geschichte machen. Gute Nacht J
Mathilda: Du kleine Streberin xD Es ist erst 20:34!
Emily: Mist, ich habe vergessen meine Hausaufgabe in Deutsch zu machen. Tschüss, ich gehe ebenfalls off. Ciao J
Lotta: Gute Nacht J
Mathilda: Bis morgen in der Schule =)
Kiki Wir reden morgen darüber! Bye J
Emily legte das Handy beiseite und begann die Hausaufgaben im Fach Deutsch zu machen. Zum Glück war dies eines ihrer stärksten Fächer und Gedichte mochte sie auch gerne. Auf einen Zettel schrieb sie alle Wörter, die ihr für ihr Gedicht einfielen: Freundschaft, nah, sah, Zeit, Streit, Hand, Band, Sterne, Ferne, teilen, feilen, lachen, entfachen, vertrauen und bauen. Mit einem dunkelblauen Filzstift schrieb sie Freundschaft auf ein sauberes Blatt Papier. Sofort begannen die Ideen in ihr lebendig zu werden und ihre Ideen strömten aus ihrem Kopf, in ihren Stift und landeten auf dem Papier.
„Das muss ich unbedingt in der Klasse vorlesen“, dachte sie stolz. „Ich habe wirklich die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann. Ich will mit ihnen auch nach den Sommerferien in eine Klasse gehen.“
Plötzlich erinnerte sie sich an ihre alte Klasse, in der sie zwei Jahre lang von ihren Mitschülern geärgert, ausgelacht, beschimpft und ausgegrenzt wurde. Damals hatte sie kaum Freunde und fühlte sich meistens miserabel. Doch als sie vor fast einem Jahr in Kikis Klasse kam, änderte sich ihre Situation sofort und sie freundete sich sofort sehr eng mit Kiki und den Zwillingen an. Ihre alten Klassenkameraden ließen sie endlich in Ruhe. Seit der Klassenfahrt gehörten auch Fianna, Aylin und Lotta zu ihren Freundinnen. Zusammen waren sie die Roten Tulpen und unschlagbar!
Freundschaft
Schon als ich Dich das erste Mal sah
Fühlte ich mich Dir sehr nah
Schnell fing ich an dir zu vertrauen
Denn ich kann immer auf dich bauen
Zusammen können wir wunderbar lachen
Und ein Freudenfeuer entfachen
Manches Mal haben wir leider Eiszeit
Sehr oft nach einem bösen Streit
Trotzdem will ich dich nicht lange vermissen
Der Streit macht uns beiden ein schlechtes Gewissen
Deswegen wollen wir uns schnell vertragen
Das ist viel besser, als eine Last auf den Schultern zu tragen
Gemeinsam gehen wir Hand in Hand
Und somit knüpfen wir unser Freundschaftsband
Auch wenn du nicht bei mir bist, seh ich in die Ferne
Denn beste Freunde sind wie Sterne
Hätt ich dich nicht, wär ich nicht ganz
Da fehlte mir mein wichtigster Glanz
Du bist mir immer wichtig
Zusammen liegen wir immer richtig
„Bravo, dein Gedicht ist der Hammer“, war ganz begeistert Annemieke, nachdem Emily ihr Gedicht vor der ganzen Klasse vorgetragen hat.
„Wollen wir das Gedicht nicht im Wohnwagen aufhängen?“, flüsterte Aylin, die eine Reihe hinter Emily saß. Auch Frau Brand fand das Gedicht super und trug ihr für diese Stunde für die mündliche Mitarbeit sogar ein "sehr gut" ein.
„Emily, willst du dein Gedicht nicht auf dem kommenden Schulfest vortragen?“, fragte sie.
„Das musst du machen. Unbedingt!“, versuchte Annemieke ihre Freundin zu überreden.
„Annemieke, dich habe ich nicht gefragt“, sagte die Deutschlehrerin streng.
„Na gut, wenn ihr mein Gedicht so toll findet, werde ich es vorlesen“, sagte Emily zögernd und erntete breite Zustimmung ihrer Klassenkameraden.
In der Pause bekam Emily überraschend einen Anruf von ihrer Mutter.
„Ja, Mom, was ist los?“, fragte Emily.
„Ich habe es mir doch anders überlegt“, sagte ihre Mutter. „Und zwar habe ich mit meiner Arbeitskollegin gesprochen und sie meinte, dass ihr Sohn, der gerade Englisch und Mathe auf Lehramt studiert, dir Nachhilfe geben kann. Das wäre viel günstiger als das Lerninstitut.“
„Am welchen Tag ist das?“, fragte sie. „Er kann nur mittwochs und donnerstags“, erwiderte ihre Mutter.
„Das ist gut“, sagte Emily. „Ich muss jetzt auflegen, es klingelt zur dritten Stunde, Tschüss!“
„Wer war das?“, fragte Lotta neugierig.
„Meine Mutter, sie hat es sich doch anders überlegt“, jubelte Emily. „Ich habe freitags wieder frei!“
„Au fein! Der Bandentag ist gerettet“, rief Kiki überschwänglich. „Schlagt alle ein!“
„Der Bandentag ist gerettet!“, grölte Jannis hämisch und zog eine Fratze.
„Halt deine Klappe! Du stinkst aus deinem Mund nach Fisch!“, riefen die Mädchen dem Piranha-Boss hinterher.
„Kaum zu glauben, dass sieben unterschiedliche Mädchen wie ihr eine Bande seid“, rief Sven.
„Ihr werdet bald eh euer blaues, ehm rotes Wunder erleben, ihr Fischköpfe!“, rief Kiki ihm lautstark hinterher.
Das blaue Wunder erlebten allerdings die Mädchen nach der Sportstunde. Emily und ihre Freundinnen verließen als Letzte die Umkleidekabine und gingen zum Fahrradparkplatz.
„Bah, wer hat Schuhcreme an den Lenker meines Fahrrads geschmiert?“, schimpfte Fianna und wischte ihre dreckige Hand an einem Taschentuch ab. Außerdem wurde aus allen Fahrrädern die Luft herausgelassen.
„Damit kann ich niemals nach Hause fahren!“, empörte sich Lotta.
„Das können wohl nur die Fischköpfe gewesen sein“, schnaubte Mathilda und putzte ihren Sattel mit einem Taschentuch sauber.
„Mein Fahrradkorb fehlt!“, rief Aylin entsetzt.
„Schau mal in den Busch, was da liegt!“, rief Emily und holte Aylins Fahrradkorb hervor. Plötzlich stellte Annemieke fest, dass die Bremse ihres Fahrrads nicht mehr funktionierte. „Diese Arschgeigen haben die Bremszüge meines Rades durchgeschnitten, damit ich wohlmöglich einen gefährlichen Unfall baue“, rief sie verärgert. „Sowas ist total gefährlich!“
Die Mädchen machten sich auf die Suche nach möglichen Hinweisen bezüglich der Täter. Die Zwillinge gingen um die Sporthalle. Emily und Lotta durchforsteten die Büsche. Die anderen Bandenmädchen tigerten vor der Sporthalle auf und ab. Schnell wurde Fianna fündig und trommelte ihre Freundinnen herbei.
„Hier liegt ein Schlüsselbund“, klang sie ganz aufgeregt.
„Wer kann ihn verloren haben?“, rätselte Lotta. Ihre Freundinnen zuckten alle ahnungslos mit der Schulter.
„Wir geben den Schlüssel einfach bei Frau Schellhardt ab“, meinte Kiki. Die Mädchen gingen wieder in das Schulgebäude und klopften am Lehrerzimmer.
„Können Sie diesen Schlüssel bei Frau Schellhardt ins Fach legen?“, fragte Fianna.
„Wie ist dein Name?“, fragte der Lehrer.
„Fianna O’Hara“, antwortete sie.
„Okay, ich sage ihr, dass du den Schlüssel gefunden hast“, sagte der Lehrer.
„Wenn es wirklich die Fischköpfe gewesen sind, wir es eine dicke Rache geben“, fasste Kiki einen Entschluss, als sie wieder draußen waren.
„Wir müssen unsere Räder schnellst möglich in Reparatur geben“, meinte Fianna. „Denn wie sollen wir sonst zur Schule, zum Wohnwagen und zum Reitunterricht kommen.“
Solange ihr Fahrrad in der Werkstatt war, musste Emily mit dem Bus zur Schule fahren. Zum Schrebergarten konnte sie trotzdem zu Fuß gehen, da dieser nur in etwas mehr als ein Kilometer von ihrer Wohnung entfernt lag. Donnerstags war ein spontanes Bandentreffen von Kiki angesetzt, da sie sich um den Schrebergarten kümmern und eine Rache für ihre kaputten Fahrräder überlegen wollten. Allerdings fand das Treffen ohne Lotta und Fianna statt. Zuerst Emily pflegte das Gemüsebeet, rupfte Unkraut und goss die Rosen, wobei ihr Annemieke half. Aylin wischte währenddessen im Wohnwagen Staub und putzte die Fenster mit einem feuchten Tuch. Kiki hingegen knöpfte sich gerade Mathilda vor, da die Kaninchen in einem dreckigen Käfig saßen und kein Wasser mehr hatten.
„Matti, hättest du dich nicht in den letzten beiden Tagen um die Kaninchen kümmern sollen?“, sah Kiki ihre beste Freundin streng an.
„Kann sein“, murmelte Mathilda bedrückt. „Dienstags war ich in der Musikschule und danach habe ich total lange an den Hausaufgaben gesessen. Zudem musste ich Mama dabei helfen ein Bücherregal zusammen zu bauen. Gestern war ich bis halb acht Uhr abends beim Hockeytraining und schließlich war ich so müde, dass ich sofort nach dem Abendbrot ins Bett ging.“
„Das kann keine Ausrede sein, du bist genauso für Hanni und Nanni verantwortlich wie wir und du hättest wenigstens Bescheid sagen können, wenn du keine Zeit hast!“, erwiderte Kiki und ihre dunklen Augen verengten sich zu engen Schlitzen.
„Sorry, dass ich dies verpeilt habe, aber ich habe momentan viel um die Ohren!“, entschuldige sich Mathilda.
„Trotzdem! Die armen Tiere haben wegen dir zwei Tage nichts zu essen bekommen“, warf Kiki ihr vor.
„Ach, ich habe es einfach vergessen“, jammerte Mathilda.
„Das darf dir nicht noch einmal passieren“, drohte ihre beste Freundin. Mathilda machte ein langes Gesicht und lehnte sich gegen den Holzzaun. Plötzlich schoss Aylin wie von der Tarantel gestochen aus dem Wohnwagen.
„Wir haben Kellerasseln in der Spüle, Igitt!“, schrie sie.
„Na super!“, stöhnte Kiki. „Ich komme und beseitige sie.“
Die Stimmung wurde auch nicht besser, als sie im Wohnwagen am Tisch saßen. Es waren keine Kekse, keine Süßigkeiten und keine Getränke mehr da. Die Mädchen brauchten den restlichen Tee auf, aber sie konnten diesen nicht einmal süßen, da kein Zucker da war.
„Mathilda, du hättest schon längst dafür sorgen müssen, dass genügend Vorräte im Wohnwagen sind“, meckerte Kiki.
„Das finde ich auch!“, mischte sich Aylin ein. „Wir machen unsere Aufgabe und du lässt uns einfach hängen, Mathilda. Das finden wir nicht in Ordnung!“
„Ich habe euch nicht hängen lassen. Ich habe zurzeit viel zu tun und kann mich nicht um Gott und die Welt kümmern. Hört auf mich Vorwürfen zu bombardieren, das finde ich nicht fair!“, wurde Mathilda laut und schlug mit ihrer Faust auf den Tisch.
„Hör mal zu!“, knöpfte sich Kiki Mathilda wie ein kleines Kind vor. „Wir sind eine Bande, hast du das schon vergessen? Jeder hat seine Pflichten und trägt somit seine eigene Verantwortung für alle Anderen.“
„Ja, ich habe es verstanden“, murrte Mathilda. „Aber hör auf mich, wie ein Kleinkind zu behandeln. Schließlich bin ich zwölf!“
„Du hättest wenigstens heute ein paar Kekse mitbringen können, Matti!“, mischte sich Emily ein.
„Wie ich sehe, denkst du kein bisschen mit!“, hackte Kiki weiter auf Mathilda rum. „Ist dir die Bande noch wichtig oder hast du bessere Hobbies?“
„Beides“, sagte Mathilda und biss sich auf die Lippe: „Ich habe meine Bande und mein eigenes Leben, falls euch das interessiert, ihr Bandenkühe!“
„Schön für dich!“, sagte Aylin schnippisch. „Wir erledigen auch unsere Bandenaufgaben, obwohl wir unser eigenes Leben haben.“
„Du hast in deinem zwölfjährigen Leben noch nie gelernt, Verantwortung zu übernehmen“, zischte Kiki. „Du kleine Egoistin glaubst, die Welt dreht sich nur noch um dich."
Mathilda wurde vor Zorn rot im Gesicht und hielt einen Moment die Luft an. Emily saß sprachlos zwischen den Freundinnen, einerseits war sie auch von der Vergesslichkeit ihrer Freundin genervt, aber andererseits regte sie Kikis Tonfall derbe auf. Auch Annemieke, die Streit nicht ausstehen konnte, war anzumerken, dass sie sich in diesem Moment nicht wohlfühlte.
Die Luft im Wohnwagen wurde zunehmend schwüler und stickiger. Ein Gewitter lag in der Luft und zwar kein Kleines. Kiki und Mathilda waren beide kein bisschen zimperlich und konnten sich kaum beherrschen, wenn sie wütend waren.
„Jetzt kommt noch eine fiese Bemerkung und das Fass läuft über“, dachte Emily besorgt und beobachtete, wie Mathilda und Kiki sich böse Blicke zuwarfen. Beide saßen sich wie zwei Raubkatzen gegenüber und verharrten einen Moment lang.
„Bevor du dich nicht richtig einfügst, kann unsere Bande auch nicht richtig funktionieren“, raunte Kiki und sah Mathilda fest in die Augen. „Denk daran, du bist unsere zweite Anführerin und gleichzeitig das schlampigste Mitglied der Roten Tulpen!“
„Weißt du was, Kristina Morawski?“, geriet Mathilda außer sich, sprang auf und warf dabei ihren Stuhl um. „Weißt du was du bist? Eine blöde Ziege und ein abscheulicher Feldwebel, der alle anderen herum kommandiert. So eine Freundin brauche ich nicht! Tschüss! Habt einen schönen Abend ohne mich und mein Freundschaftsband könnt ihr gerne behalten!"
Sie öffnete den Knoten ihres organgeroten Freundschaftsbandes und warf es Kiki ins Gesicht.
Mathilda knallte die Wohnwagentür hinter sich und rannte davon, so schnell sie konnte.
„Warte auf mich!“, schrie Annemieke, so laut sie konnte und Aylin hielt sich vor Schreck die Ohren zu. Geschockt blieben die anderen Bandenmädchen zurück.
„Ich habe einen entsetzlichen Fehler gemacht“, begann Kiki stockend, aber weiter kam sie nicht, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. Plötzlich traten dicke Tränen in ihre schwarzen Augen. Emily hatte bis jetzt noch nie gesehen, dass Kiki Tränen in den Augen hatte oder offen weinte. Bis jetzt hatte sie jeder ihrer Freundinnen mindestens einmal weinen gesehen, gerade bei Aylin kam das manchmal vor. Kiki und weinen? Keine der Freundinnen hätte jemals gedacht, dass dies möglich war. Doch gerade passierte es, Kiki schluchzte leise und versteckte ihr Gesicht in den Händen. Emily reichte ihr ein Taschentuch.
„Nein, lasst mich einfach in Ruhe!“, schniefte Kiki. „Lasst mich einfach in Ruhe. Ich will ein paar Minuten alleine sein!“
Aylin beschloss nach Hause zu gehen, während Emily beschloss sich auf die Suche nach den Zwillingen machen.
„Annemieke! Mathilda! Wo seid ihr?“, rief sie mehrmals, aber niemand antwortete ihr und deshalb ging sie alleine weiter. Minutenlang streifte sie durch die Schrebergartenkolonie, ohne überhaupt einen anderen Menschen anzutreffen.
„Wäre dieser fürchterliche Streit nicht gewesen“, dachte sie bedrückt. Es war der zweite heftigere Streit innerhalb einer Woche, erst letzte Woche Freitag waren Kiki und Fianna im Tiergeschäft heftig aneinander geraten.
„Emily!“, kam Annemieke wie aus dem Nichts hinter einer meterhohen Hecke hervor und blieb vor Emily stehen.
„Deine Schwester ist nirgends aufgetaucht oder?“, hakte Emily nach.
„Natürlich nicht! Ich irre hier schon seit fünf Minuten durch das Labyrinth aus dutzenden Schrebergärten, aber sie ist nicht wieder aufgetaucht“, klang ihre beste Freundin sehr bedrückt. Emily nahm sie aufmunternd in den Arm.
„Mach dir keine Sorgen, wir finden deine Schwester schon und falls nicht, dann ist sie bestimmt bereits zuhause", sprach sie ihr Mut zu.
Emily hängte sich bei Annemieke ein. Gemeinsam gingen sie in Richtung des Picknickplatzes im Wald, bis plötzlich eine kleine Gestalt im Halbdunklen auftauchte, die einsam auf einer Bank saß und den Kopf hingen ließ. Erst beim näher kommen erkannten sie, dass es Mathilda war. Ihre hellen Locken waren unverwechselbar, genauso wie die ihrer Zwillingsschwester. Leise liefen sie auf Mathilda zu, da sie auf gar keinen Fall wollten, dass diese aufsprang und vor ihnen davon rannte.
„Bestimmt weint sie bitterlich“, flüsterte Annemieke Emily zu. Bei diesem Gedanken fühlten sich die beiden Freundinnen unbehaglich. Sie wussten, dass Mathilda nicht oft weinte, aber wenn sie einmal weinte, konnte sie sehr lange und heftig weinen.
„Matti, weinst du etwa?“, flüsterte Annemieke leise. Mathilda schaute auf, ihr Gesicht war immer noch tomatenrot.
„Nein, nein! Ich weine überhaupt nicht“, sagte diese ernst.
„Dieser Streit war total unnötig“, meinte Annemieke und seufzte tief.
„Nimm es mir nicht übel, aber ich habe keine Lust auf diese Bande und trete aus“, begann Mathilda und senkte ihre Stimme. „Ich bin es leid von Kiki wie ein Hund herumkommandiert zu werden. Ich bin in der Lage, selber zu denken und stattdessen muss ich mir die unglaublichsten Vorwürfe von ihr. Sogar Aylin hat Kiki die ganze Zeit unterstützt. Du glaubst gar nicht, dass mich das tief verletzt hat.“
„Wegen einem Streit, brauchst du nicht gleich aus der Bande auszutreten!“, rief Annemieke entsetzt und krallte sich am Arm ihrer Schwester fest.
„Aua, lass dass!“, rief Mathilda verärgert. „Ich bin zwar deine Zwillingsschwester, aber wir sind seit mehr als zwölf Jahren zwei völlig verschiedene Menschen.“
„Na gut, wenn du alleine sein willst, dann sei gefälligst alleine“, warf ihr Annemieke an den Kopf.
„Ich habe in der Hockeymannschaft immerhin noch Janet und Kim“, rief Mathilda. „Du kannst nicht sagen, dass ich außerhalb dieser Bande keine Freunde hätte, mit denen ich gut zurecht käme.“ Annemieke schlug die Augen nieder und seufzte mehrmals. Ihre Schwester konnte manchmal der größte Sturkopf der Welt sein.
Plötzlich stürzte sie sich auf Mathilda und kitzelte sie von oben bis unten durch. „Lass das!“, rief sie laut lachend. „Nicht solange, bis du dich ergeben hast“, erwiderte ihre Schwester und kitzelte sie noch heftiger. Mathilda quietschte und bekam vor Lachen kaum noch Luft. Sie rollte auf den Boden und Annemieke warf sich erneut auf sie drauf. Mathilda warf ihr ein Büschel Gras ins Gesicht.
„Das zahle ich dir heim!“, rief Annemieke lachend und riss ein Büschel Gras aus.
„Bäh, ich habe einen Käfer im Mund“, schrie Mathilda und spukte das kleine Tier wieder aus. Ihre Schwester bekam eine neue Ladung Gras von ihr ins Gesicht. Voller Belustigung sah Emily der kleinen Kabbelei zu und konnte dabei ein Kichern nicht unterdrücken
Einen Moment später lagen beide Schwestern keuchend nebeneinander im Gras.
„Schwesterherz, du bist die Beste!“, lobte Mathilda und wischte sich über ihre verschwitzte Stirn.
„Du aber auch“, lächelte ihre Schwester. „Ich kenne keine Person, mit der man mehr Spaß haben könnte, als mit dir.“
„Ich überlege mir bis morgen, ob ich wieder eine Rote Tulpe werde“, meinte Mathilda. „Ich muss eine Nacht darüber schlafen.“
„Es steht dir frei, wie du dich entscheidest“, sagte Annemieke. „Du bist alt genug, um selbst zu denken und Entscheidungen zu treffen.“
„Jetzt fängst du schon an, wie die Erwachsenen zu reden“, lachte ihre Schwester und griff nach Annemiekes Hand. Dann verabschiedete sich Emily von den Zwillingen, da sie in einem anderen Stadtteil wohnte als ihre beiden Freundinnen. Beschwingt lief sie in Richtung Sonnenuntergang und war erleichtert darüber, dass es den beiden Schwestern wieder einigermaßen gut ging.
Am Freitagmorgen warteten die Schüler der 6a vor dem Musikraum, bevor die erste Stunde begann. Kiki, Lotta und Emily waren von den Roten Tulpen zuerst da und setzten sich auf einen Tisch. Während Kiki Lotta von dem fürchterlichen Streit erzählte, hörte Emily nur mit einem halben Ohr zu. Sie beobachtete stattdessen, wer als Nächstes die Treppen hinauf kam.
„Hoffentlich werden Kiki und Mathilda sich wieder vertragen“, dachte sie und im nächsten Moment standen die Zwillinge auch schon vor ihnen.
„Mathilda hat sich anders entschieden“, teilte Annemieke Kiki mit. „Sie hat eine Nacht darüber geschlafen und jetzt ist sie wieder eine von uns.“
„Ich habe noch etwas für dich, Matti“, sagte Kiki und lächelte plötzlich: „Du hast dein Freundschaftsband vergessen.“
Lächelnd nahm Mathilda das Bändchen entgegen und lies es sich von Kiki wieder um ihr Handgelenk binden.
„Danke“, murmelte sie und fügte kleinlaut hinzu: „Entschuldigung wegen gestern! Es war echt peinlich, wie ich ausgerastet bin!“
„Nein, es muss mir leid tun“, widersprach ihr Kiki. „Schließlich habe ich dauernd auf dir herumgehackt und dich dabei ziemlich verletzt. Ich habe mehr von dir erwartet, da du die zweite Anführerin bist, aber ich mag dich trotzdem total gerne.“
Beide Mädchen umarmten sich zur Versöhnung.
„Na, sind die größten Streithennen wieder Best Friends?“, fragte Aylin, die gerade die Treppe hinauf kam. Ihre Freundinnen nickten. Obwohl ein großer Streit aus dem Weg geräumt war, gab es eine andere Sache, die sie bedrückte und zwar der Schaden an ihren Fahrrädern. Inzwischen hatte Frau Schellhardt Lennart den verlorenen Schlüssel wieder gegeben und somit war für die Mädchen eindeutig, dass die Piranhas für ihre kaputten Fahrräder verantwortlich waren. Die Roten Tulpen planten eine dicke Rache, aber das war gar nicht so leicht. Zwar kamen ein paar der Jungs mit ihren Fahrrädern zur Schule, aber Max und Ömer gingen immer zu Fuß. Außerdem fanden die Mädchen es ziemlich einfältig den gleichen Streich noch einmal zu spielen.
Nachmittags traf Emily früher beim Reitstall ein als sonst und zog sich in der Umkleidekabine alleine um. Im Spiegel kontrollierte sie flüchtig, ob ihr Reithelm und ihre neue Reithose richtig saßen. Schließlich schloss sie ihre Schuhe und Wertsachen in einen Spind und ging zur Tür. Auf dem Stallgang traf sie ihre Tante Rachel.
„Hallo Emily, Wie geht es dir?“, begrüßte sie ihre Nichte. „Kannst mir helfen Smilla aus der Box zu holen und sie zu striegeln? Ich habe alle Hände voll zu tun, da Sarah und zwei Freundinnen auch in dieser Stunde mitreiten wollen.“
Sarah war Emilys erst achtjährige Cousine, die ihr ganz schön auf die Nerven gehen konnte. Als Emily nach hinten schaute, kam Sarah mit ihrem Pony auf sie zu.
„Bringst heute auch deine ganze Horde von Freundinnen mit, die teilweise noch nicht richtig sattelfest sind?“, fragte Sarah frech und grinste Emily schief an.
„Das geht dich nichts an“, sagte Emily zerknirscht. Plötzlich tauchten zwei weitere Mädchen neben ihrer kleinen Cousine auf.
„Das sind meine beiden Freundinnen Jenny und Kim“, stellte Sarah die Mädchen vor. „Zusammen sind wir auch eine Bande.“
„Ihr macht uns bloß nach“, erwiderte Emily genervt. „Kaum habe ich etwas, was du nicht hast und schon willst du es auch haben.“
„Dazu habe ich mein Recht“, rief Sarah selbstbewusst und fügte frotzelnd hinzu: „Außerdem freue ich mich schon darauf zu sehen, wie einige deiner Freundinnen wie nasse Säcke vom Sattel hängen werden.“
„Halt einfach die Klappe!“, zischte Emily und holte Diego aus seiner Box. Sorgfältig kratzte sie seine Hufen aus und striegelte sein Fell, bis es glänzte. Inzwischen teilte Rachel die Pferde unter den Reitschülerinnen auf.
„Darf ich Katinka reiten?“, bettelte Kim.
„Frag am besten Annemieke“, sagte Rachel und fuhr fort: „Carlotta reitet Caruso und Kimberly bekommt Diego.“
Im Hintergrund machten sich Sarah und Jenny über Aylin lustig, die zwischen den großen Pferden ziemlich unsicher und verloren wirkte. Emily ärgerte sich, dass sie ausgerechnet ihrer frechen Cousine dabei helfen musste, ihr Pony zu satteln.
Auf der anderen Seite des Ganges hörte sie viele Stimmen. Als sie sich umdrehte, sah sie ihre ihre Freundinnen am Eingang der Sattelkammer.
„Annemieke, darf ich heute Katinka reiten?“, rief Kim und rannte auf sie zu.
„Wie wäre es, wenn du etwas höflicher zu uns bist?“, antwortete Kiki barsch.
„Hallo Annemieke, dürfte ich heute bitte Katinka reiten?“, begann Kim erneut, aber Annemieke nickte nur und wandte sich wieder ihrer Schwester zu.
„Annemieke, du bekommst in dieser Stunde Anton, wenn dir das Recht ist“, sagte die Reitlehrerin.
„Das macht mir nichts aus“, meinte Annemieke.
Die Reitlehrerin führte Tybalt, einen großen braunen Wallach in die Halle und machte ihn an einer Longe fest. Aylin, Fianna und Jenny bekamen heute eine weitere Longenstunde, da sie erst Reitanfängerinnen waren und noch nicht in der Abteilung mitreiten durften. Anika, Sarahs große fünfzehnjährige Schwester und Emilys ältere Cousine, machte mit den fortgeschritteneren Reiterinnen den Unterricht. Emily führte die Abteilung an, da sie die erfahrenste Reiterin von allen war. Hinter ihr kam Annemieke mit Anton, die dieses Mal Probleme hatte, da ihr Pferd dauernd an den Zügeln riss.
„Annemieke, lass die Zügel ruhig etwas lockerer!“, gab ihr Anika den Tipp. Während die Abteilung ihr Tempo verlangsamte, trieb Sarah ihr Pony energisch an und ritt zu dicht auf Mathildas Pferd Lanzelot auf. Vor Schreck begann Lanzelot zu scheuen.
„Spinnst du, du kannst doch nicht so dicht aufreiten!“, empörte sich Mathilda. „Ich wäre gefallen, wenn ich nicht rechtzeitig reagiert hätte.“
Sarah war leicht eingeschnappt und streckte dem Mädchen mit den hellblonden Locken die Zunge raus.
„Beruhigt euch, Mädels!“, rief Anika. „Konzentriert euch lieber auf das Reiten und das gilt ganz besonders für dich, Sarah!“
Zwischendurch beobachtete Emily die Reitanfängerinnen, die auf der anderen Seite der Halle, an der Longe ritten.
„Aylin, du brauchst dich nicht so krampfhaft festzuhalten“, riet ihr die Reitlehrerin, als sie Tybalt antraben ließ. „Du musst einfach mit den Bewegungen des Pferdes mitgehen! Pferd und Reiter müssen eine Symbiose bilden. Verstehst du?“
Aylin wurde zwar immer noch auf dem Pferderücken hin und her geschüttelt, aber sie bemühte sich nicht mehr so verkrampft zu sein. Fianna hingegen war ein richtiges Naturtalent, Rachel forderte sie zum Leichttraben auf und gab den Takt vor.
„Willst du eine Runde galoppieren?“, fragte die Reitlehrerin und ließ Tybalt schneller werden. Fianna nickte begeistert und Tybalt galoppierte an.
„Super, machst du das!“, lobte Rachel. „Ich glaube, du brauchst nicht viel länger Longenstunden. Ab nächster Woche kannst du in der Abteilung mitreiten.“
Fianna strahlte über das ganze Gesicht und ließ sich langsam aus dem Sattel gleiten. Nun kam Jenny an der Reihe, die auf dem ersten Blick sehr im Sattel sitzen zu schien und auch den Trab mit Bravour meisterte.
„Soll ich Tybalt angaloppieren lassen?“, fragte die Reitlehrerin.
„Von mir aus“, nickte das kleine Mädchen zaghaft.
„Versuchen wir es doch einmal!“, ermunterte Rachel Jenny. „Man lernt nur, wenn man sich etwas Neues zutraut.“
Die Reitlehrerin trieb Tybalt mit der Peitsche an und sofort fiel er in einen flotten Galopp. Auf einmal fing Jenny an wie am Spieß zu schreien.
„Was ist denn hier los?“, fragte sich Lotta irritiert. „Es hört sich so an, als hätte Tybalt einen dieser kleinen Quälgeister abgeworfen“, sagte Emily zu ihrer Freundin hinter ihr.
„Jennifer, ist alles in Ordnung mit dir?“, rief Rachel besorgt und half dem Mädchen aus dem Sattel. Selbst als Jenny auf dem Boden saß, zitterte sie immer noch.
„Fianna, kannst du eben Jennifer zur Bank bringen?“, fragte Rachel.
„Ihr seid eine richtige Bande?“, fragte Kim nach der Reitstunde, als sich die Mädchen in der Umkleidekabine umzogen und baute sich vor Kiki auf.
„Das geht dich und deine nervigen Freundinnen nichts an!“, fuhr ihr Kiki den Mund.
„Neuerdings sind wir auch eine Bande!“, verkündete Sarah und legte ihre Arme um ihre beiden Freundinnen.
„Anna-Lena gehört auch noch dazu“, rief Jenny laut. „Und so sind wir sogar zu viert, aber Anna-Lena konnte heute leider nicht kommen.“
„Habt ihr überhaupt einen Bandennamen?“, bohrte Lotta nach. „Das gehört zu einer Bande unbedingt dazu.“
Die drei kleinen Mädchen sahen sich gegenseitig an.
„Bis jetzt haben wir keinen richtigen Namen“, gab Kim zu.
„Wie wäre es, wenn wir uns die Horse-Girls nennen?“, schlug Sarah vor.
„Das klingt total albern!“, rief Emily und tippte sich lachend gegen die Stirn.
„Ihr wollt wohl nicht eure Bande vor unseren Augen gründen?“, meinte Lotta verächtlich. „Eine Bande wird im Geheimen gegründet. Offensichtlich habt ihr überhaupt keine Ahnung, was eine Bande ist!“
Sarah erwiderte darauf nichts und streckte den großen Mädchen bloß frech die Zunge raus.
Nach der Reitstunde ging das Bandentreffen im Wohnwagen weiter. Annemieke machte einen grünen Tee und ihre Schwester hatte heute daran gedacht, Kekse und Schokolade mitzubringen.
„Unsere To-Do's für heute: Die Kaninchen versorgen, die Beete gießen, den Rasen mähen und uns eine Rache für unsere kaputten Fahrräder überlegen“, las Kiki den Tagesplan vor. Eine gelungene Rache zu planen war nicht gerade einfach. Kekse knabbernd zerbrachen sie sich die Köpfe. Fast eine halbe Stunde verging, ohne dass sie sich auf einen Streich einigen konnten.
„Wisst ihr zufällig, ob die Piranhas ein Bandenquartier haben?“, fragte Aylin.
„Ich meine, ich habe einmal zufällig mitgekriegt, dass sie ein Baumhaus in Jannis Garten haben“, antwortete Kiki.
„Ich werde sie Montag ausspionieren“, rief Fianna und trommelte vor Begeisterung auf den Tisch.
„Super Idee!“, rief Emily triumphierend. „Wir werden ihr Revier richtig auf den Kopf stellen!“
„Seid erstmal ganz ruhig!“, bremste Annemieke den Elan ihrer Freundinnen, „Wir müssen erst heraus finden, wo sie sich überhaupt treffen.“
„Lasst uns mit der Gartenarbeit beginnen!“, schlug Kiki vor. „Den Streich heben wir uns für später auf.“
Kaum waren die Mädchen im Garten beschäftigt, sprangen drei kleine Mädchen über den Zaun und fingen an schreien. Erschrocken ließ Annemieke ihre Schaufel auf ihren Fuß fallen und verzog vor Schmerzen das Gesicht.
„Sarah, was hast du hier verloren?“, rief Emily böse und packte ihre Cousine an den Schultern.
„Wir wollten uns nur ein paar Bandentipps von euch abholen“, sagte Sarah unschuldig und ihre beiden Freundinnen grinsten unbeholfen.
„Habt ihr uns nachspioniert?“, rief Mathilda zornig. „So etwas ist das Letzte!“
„Es wird dringend Zeit, dass ihr verschwindet“, sagte Kiki bestimmt. Die kleinen Mädchen rührten sich nicht und grinsten immer noch.
„Soll ich deine Mutter anrufen und ihr sagen, dass sie kommen und dich nach Hause bringen soll, Sarah?“, baute sich Emily drohend vor ihrer kleinen Cousine auf.
„Ich zähle bis zehn“, raunte Lotta drohend leise. „Seid ihr immer noch nicht verschwunden, erlebt ihr euer blaues Wunder!“
„Wir lassen uns von sieben albernen Ziegen, die nur ein paar Jahre älter sind als wir, nichts sagen!“, rief Sarah laut und trotzig.
„Willst du im Komposthaufen baden, du kleines Blag?“, drohte Matilda und packte das kleine Mädchen. Sarah fing an zu schreien und trat um sich. Sie hatte gegen die große und kräftige Mathilda keine Chance, die ihr ihre Hände fest hielt.
„Ruhe, ihr Blagen!“, brüllte Jemand wütend. Am Zaun stand der alte Griesgram.
„Seid leise oder ich werde die Polizei wegen Ruhestörung benachrichtigen“, rief er böse. Sarah riss sich von Mathilda los. So schnell sie konnten, flitzten die jüngeren Mädchen in Ricthung Gartentor.
„Griesgrams lautes Organ hat gewirkt“, flüsterte Annemieke Emily ins Ohr. Der alte Griesgram machte sich wieder an die Arbeit, als der Tumult beendet war.
„Wir scheinen immer mehr Quälgeister und Feinde zu haben!“, jammerte Fianna, als sie wieder im Wohnwagen saßen. „Die Piranhas, der alte Griesgram, das Tussenkomitee und jetzt auch noch Sarah und ihre Freundinnen.“
„Meine kleine Cousine war schon immer rotzfrech“, schnaubte Emily. „Ich weiß noch, dass sie einmal zwei Ferienkinder mehrmals um die Scheune gejagt hat, weil sie ihr Pony gefüttert haben."
„Ich finde ein paar Feinde gar nicht schlecht“, sagte Mathilda mit halbvollem Mund. „So wird uns nie langweilig, wir werden immer auf Trab gehalten und können ihnen die lustigsten Streiche spielen.“
„Aber auf den alten Griesgram könnten wir trotzdem verzichten“, meinte ihre Schwester. „Ich habe echt ein wenig Angst vor ihm.“
Aylin setzte neuen Ostfriesentee auf und füllte die Zuckerdose wieder auf. Lotta nahm sich ihr zweites Stück Kuchen und legte es sich auf ihren Teller. Im nächsten Moment, als die Mädchen aus dem Fenster schauten, hoppelte ein schwarzes Kaninchen über den Rasen.
„Das ist Hanni!“, schrie Fianna aufgeregt und berührte mit ihrem Zeigefinger die Fensterscheibe.
„Wer hat den Stall nicht richtig zu gemacht?“, rief Annemieke. Mathilda sprang auf und stürzte in den Garten hinaus und ihre Freundinnen folgten ihr. Annemieke versuchte das Kaninchen mit Löwenzahn anzulocken und schnalzte mit der Zunge.
„Ein Kaninchen ist leider kein Pferd“, bemerkte Lotta. „Wir müssen es richtig einfangen.“
Lotta, Fianna und Emily kesselten das Kaninchen ein und versuchten es zu packen, aber schließlich entwich Hanni aus Aylins Händen.
„Verflixt, es ist in Griesgrams Garten gehoppelt!“, fluchte Emily leise. „Mathilda und ich gehen eben in den Nachbargarten rüber.“
„Hast du es gesehen?“, flüsterte Kiki.
„Es hockt unter der Hecke“, wisperte Mathilda. Beide Mädchen schlichen sich unauffällig an das Kaninchen heran und Mathilda packte zu. Hanni fing an zu zappeln, aber Mathilda ließ nicht locker. Ein dunkler Schatten bedeckte die beiden Mädchen. Bei den Freundinnen brach Panik aus: Es war der alte Griesgram. Er baute sich bedrohlich vor den beiden verängstigten Mädchen auf und schaute wütend auf sie hinab.
„Verschwindet sofort aus meinem Garten!“, schrie er die Mädchen an.
„Wir haben nur unser Kaninchen gesucht“, erklärte Mathilda stotternd.
„Mathilda, ich kenne deine Eltern nur zu gut“, rief der Griesgram zornig. „Ich werde ihnen nachher sagen, dass du mein Beet zertrampelt hast!“
„Das haben wir nicht mit Absicht gemacht“, verteidigte Emily ihre Freundin.
„Spart euch eure dummen Ausreden!“, fuhr der alte Mann sie an. „Sonst könnt was erleben! Ich gebe euch eine Minute Zeit und wenn ihr immer noch hier rumlungert, versohle ich euch den Hintern!“ Schweigend gingen die beiden Mädchen in ihren eigenen Garten zurück und setzten das Kaninchen in den Stall. Niedergeschlagen betrachtete Mathilda die blutigen Kratzer auf ihren Unterarmen.
„Das Vieh hat mich ziemlich zerkratzt!“, jammerte sie.
„Das ist nicht so schlimm!“, tröstete sie ihre Zwillingsschwester. „Dank dir haben wir jetzt Hanni wieder.“
Emily blieb länger im Wohnwagen als ihre Freundinnen und räumte auf. Ihr Vater hatte sich heute Abend angekündigt und wollte kurz bei ihnen vorbei zu kommen, um seine Computerzeitschriften zu holen, die er vergessen hatte. Emily wollte auf keinen Fall mitbekommen, wie sich ihre Mutter und ihr Vater wieder zofften. Vorsichtshalber rief sie um kurz nach halb sieben Zuhause an.
„Hi Schatz, was gibt es?“, fragte ihre Mutter.
„Ich wollte nur wissen, ob Papa schon bei uns war“, sagte Emily.
„Die Luft ist rein. Er war gerade für fünf Minuten hier, da er seine Zeitschriften holen wollte und danach habe ich ihn wieder rausgeschmissen“, erwiderte ihre Mutter. „Wollen wir heute Abend nicht beim Chinesen essen gehen?“
„Keine schlechte Idee, denn ich kriege wieder Hunger“, rief Emily begeistert. „Ich komme sofort nach Hause."
Am Samstagmorgen fuhr Emily schon relativ früh zum Schrebergarten, um die Kaninchen zu füttern und ein paar Blumen zu pflanzen. Sie hatte extra ein paar Möhren und ein großes Salatblatt für Hanni und Nanni in ihre Jackentasche gesteckt. Der Himmel war mit dicken grauen Wolken bedeckt, die so schwer wie Blei waren und ein leichter Sprühregen wehte ihr ins Gesicht. Kein besonders angenehmes Wetter! Um diese Uhrzeit war noch kein Mensch draußen und die Straßen waren noch ziemlich leer, nur ein alter Mann kam ihr auf seinem Fahrrad entgegen. Als Emily ihren Garten betrat, traf sie der Blitz. Wie angewurzelt blieb sie stehen und schnappte entsetzt nach Luft. Was war hier um Himmels Willen geschehen? Das Blumenbeet glich einem Schlachtfeld, die meisten Tulpen, die Annemieke gepflanzt hatte, waren entweder aus der Erde heraus gerissen oder umgeknickt. Das Gemüsebeet sah auch nicht viel besser aus.
Es war das reinste Chaos. Die Fußabdrücke waren der Beweis, dass vor kurzem jemand auf dem Beet herumgetrampelt war.
„Das sind sicher Fußabdrücke von Sport- oder Fußballschuhen“, war sie sich sicher. Noch gestern, war die Welt in Ordnung gewesen, als sich Emily und ihre Freundinnen zum Letzten Mal getroffen hatten. Zwar war ihnen ein Kaninchen kurz ausgebüchst, aber Kiki und Mathilda konnten es im Garten des Griesgrams wieder einfangen.
„Der Täter muss wohl in spätabends oder in der Nacht gekommen sein“, dachte Emily zornig. Im nächsten Moment blieb ihr wirklich kurz das Herz stehen, die Tür vom Kaninchenstall stand weit offen.
„Hanni und Nanni, seid ihr noch da?“, flüsterte Emily heiser und ging auf den Stall zu.
Panisch durchwühlte sie das Stroh, aber es herrschte gähnende Leere. Der Futternapf und das Häuschen standen an ihrer gewohnten Stelle, aber wo waren die Kaninchen? Mit klopfenden Herzen suchte sie den ganzen Garten ab und spähte in Griesgrams Garten. Fehlanzeige! Auch dort weit und breit keine Kaninchen. Emily schaute sogar unter der Tanne nach, zerstach sich ihre Finger am Brombeerbusch, warf einen Blick in die Regentonne und kroch schließlich unter den Wohnwagen. Hanni und Nanni waren immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Vor Wut und Verzweiflung schossen ihr Tränen in die Augen.
„Was soll ich nur tun? Meine Freundinnen verdächtigen mich eventuell, das getan zu haben“, jammerte sie und begann leise zu weinen.
Im ersten Moment dachte sie daran ihre Freundinnen anzurufen, aber ausgerechnet jetzt hatte sie ihr Handy zuhause vergessen. Niederschlagen setzte sie sich auf die Stufen des Wohnwagens und ließ vor Hoffnungslosigkeit den Kopf hängen.
„Guten Morgen, ist das vielleicht dein Kaninchen?“, fragte eine ältere Frau, die am Gartentor stand und ein Kaninchen auf dem Arm hielt. Ja, es war Nanni. Emilys Herz machte einen Sprung, aber diesmal vor Erleichterung. Schnell wischte sie ihre Tränen weg und öffnete der fremden Frau das Tor zu ihrem Garten.
„Vielen Dank!“, rief Emily erleichtert. „Wo haben Sie das Kaninchen entdeckt?“
„Es saß in meinem Gemüsebeet“, erzählte die Frau. „Plötzlich entdeckte ich zwei Kaninchen, eins konnte ich fangen, aber das andere entwich mir und hoppelte in den Nachbargarten.“
Sie überreichte Nanni an Emily, die das Kaninchen in seinen Stall zurücksetzte und dieses Mal sehr darauf achtete, dass die Tür richtig geschlossen war.
„Jetzt fehlt mir noch ein Kaninchen“, sagte Emily zu der Frau. „Könnten Sie mir bitte zeigen, wo Sie es zuletzt gesehen haben?“
„Ich helfe dir gerne dabei dein Kaninchen zu suchen“, sagte die Frau und nahm Emily mit in ihren eigenen Garten.
„Hier haben die kleinen Racker gesessen, aber das schwarze Kaninchen ist leider in den Garten von Herrn Radke gehüpft“, die alte Frau deutete auf einen angeknabberten Salatkopf. Herr Radke, ein kleiner dürrer Mann mit grauen Haaren, erlaubte Emily und der alten Frau, das Kaninchen in seinem Garten zu suchen.
„Vorhin hat ein schwarz-weißes Kaninchen in meinem Buchsbaum gesessen“, sagte der Mann. „Ob es da noch sitzt, weiß ich nicht.“
Emily und die Frau gingen sofort nachschauen, aber von einem Kaninchen war nichts zu sehen.
Sie suchten weiter, Herr Radke half ihnen sogar dabei. Plötzlich erkannte Herr Radke Spuren auf dem Kartoffelbeet des Nachbargartens.
„Könnten das Spuren von einem Kaninchen sein?“, fragte der kleine, grauhaarige Mann.
„Auf alle Fälle“, nickte die alte Frau . „Das Kaninchen sitzt jetzt bestimmt in Herrn Schmitz Garten.“
Zu dritt kletterten sie über den Zaun zu dem Nachbargarten, allerdings war Herr Schmitz nicht da. Seelenruhig graste Hanni auf dem Rasen und ließ sich nicht stören.
„Da ist es!“, rief Emily aufgeregt.
„Nur mit der Ruhe!“, meinte die alte Dame gelassen. „Kaninchen fängt man Ruhe und Geduld, aber nicht mit Hast.“
In Zeitlupentempo schlich sie sich an, sie berührte das Kaninchen sanft und hob es hoch.
„Wie machen Sie das nur, dass das Kaninchen nicht vor Ihnen abhaut?“, rief Emily voller Bewunderung.
„Man muss nur eine gewisse Geduld haben und Ruhe ausstrahlen, dann fangen die Tiere an dir zu vertrauen“, sagte sie und lächelte. Dabei überreichte sie Emily das weiße Kaninchen mit den schwarzen Flecken.
„Bald wird es spüren, dass du ihm nichts Böses willst und dann wird es von selbst zahm“, meinte die Frau.
Anschließend wurde Emily von der älteren Dame zu einer Tasse Tee eingeladen.
„Ich heiße übrigens Josephine Vilnius“, stellte sich die alte Frau vor. „Du kannst mich gerne bei meinem Vornamen nennen.“
„Ich heiße Emily Heuberger, bin dreizehn Jahre alt und gehe in die sechste Klasse des Altstädtischen Gymnasiums“, stellte sich Emily ebenfalls vor.
„Früher war ich ebenfalls auf dem Altstädtischen Gymnasium“, erzählte Josephine begeistert. „Mir hat die Schulzeit da sehr gut gefallen, besonders Französisch, Turnen und Literatur mochte ich sehr gerne und zudem hatte ich dort sehr nette Lehrer.“
Emily ließ den Honig in Zeitlupe von ihrem Löffel in den Tee tropfen.
„Bist du nicht immer mit deinen Freundinnen hier?“, fragte Josephine.
„Genau, immer wenn wir uns verabreden und unsere Bandentreffen haben“, antwortete Emily. „Es kommt täglich Jemand und schaut nach den Kaninchen.“
„Ein Glück, dass wir die kleinen Ausreißer wieder haben“, sagte Josephine schmunzelnd.
„Die Kaninchen können nicht ausgerissen sein“, überlegte Emily laut. „Wir haben gestern die Tür vom Kaninchenstall ganz fest zu gemacht und heute morgen stand sie offen.“
Josephine hörte ihr zu und sagte schließlich: „Ich habe gestern Abend drei Jungen gesehen, die gestern vor deinem Garten standen. Da es halbdunkel war konnte ich sie nicht genau sehen. Ich meine, einer hatte rote Haare und trug ein Baseballkappy, aber die anderen beiden Jungen habe nicht so deutlich sehen können.“
„Die Piranhas!“, zischte Emily.
„Piranhas? Ich habe noch nie Piranhas an Land gesehen“, lachte Josephine.
„Nein, das ist eine Gruppe von Jungs, die uns seit Jahren ärgert“, erklärte Emily ihrer neuen Freundin. „Vor wenigen Monaten haben wir mit ein paar Freundinnen eine Gegenbande gegründet, um den Jungs ihre Grenzen aufzuzeigen.“
„Wie viele Mitglieder hat eure Bande?“, fragte Josephine neugierig. „Ihr scheint wohl eine ziemlich große Bande zu sein.“
„Momentan sind wir zu siebt“, erwiderte Emily. Josephine nickte und goss sich erneut Tee ein.
„Ich kenne Banden noch zu gut aus meiner eigenen Kindheit“, begann sie zu erzählen. „Damals waren die Jungs auch schon ziemlich frech und haben uns Mädchen Streiche gespielt. Meine Freundinnen Anne, Jaqueline, Gisela, Frieda, Hanna und ich haben den Jungen ebenfalls tolle Streiche gespielt. Aber ab einem bestimmten Alter hört das auf, dann fangen sich Mädchen an für die Jungen zu interessieren, das war bei uns auch so und so verliebte ich mich in den größten Angeber überhaupt. Das war damals Friedrich, der von seinen Freunden nur Fritz genannt wurde.“
„Ich würde sagen, die Jungen und wir sind eher Gegner als Freunde“, sagte Emily.
„Aber nicht mehr lange. Irgendwann fangt ihr an, euch für das andere Geschlecht zu interessieren“, prophezeite ihr Josephine und Emily zuckte nur nichtswissend mit den Achseln.
Zuhause schnappte sich Emily ihr Handy. Groß und deutlich schrieb sie „Bandenalarm!!!“ in die Gruppe, doch es antwortete ihr sehr lange niemand. Zwischendurch las Emily in einem Buch weiter und knabberte ein paar Salzstangen. Plötzlich hörte sie den Signalton des Chats, es muss ihr jemand geantwortet haben.
Mathilda: Bandenalarm, was ist passiert???
Emily: Heute Morgen waren die Kaninchen verschwunden, weil die Tür vom Stall offen stand und unsere Beete wurden verwüstet. Mit einer älteren Frau, die Josephine heißt, habe ich Hanni eingefangen. Zuvor hatte sie Nanni gefangen und zu mir gebracht. Außerdem hat sie mir erzählt, dass sie am Vorabend drei Jungen gesehen hat, einer von ihnen hatte rote Haare und trug ein Kappy
Mathilda: Das können nur die Fischis gewesen sein und ihm traue ich sowas zu. Diese Idioten können sich auf etwas gefasst machen!!! Wie haben sie herausgefunden, wo unser Wohnwagen ist? Das schockiert mich richtig!!! :O
Emily: Keine Ahnung! Ich weiß es auch nicht? Gestern hat uns meine Cousine nachspioniert, aber ich glaube nicht, dass sie die Piranhas kennt. Daher wird sie niemals im Leben den Jungs verraten haben können, wo unser Bandenquartier ist. Wollen wir uns nachher im Wohnwagen treffen?
Mathilda: Sry, das geht nicht :/
Emily: Wieso nicht?
Mathilda: Meine Schwester und ich haben einen Auftritt mit dem Kinderorchester in der Musikschule und danach gehen wir mit unseren Großeltern essen
Emily: Schade!
Mathilda: Mach dir nichts draus, wir sehen uns Montag in der Schule und dann können wir Rachepläne schmieden J
Fianna: Eine Rache wird es definitiv geben! Zum Glück sind die Kaninchen wieder da J
Mathilda: Mir fallen spontan einige lustige Streiche ein
Fianna: Halt! Wir müssen erst herausfinden, wo die Jungs ihr Bandenquartier haben
Emily: Wir werden die Jungs aushorchen müssen
Mathilda: Aber wenn wir alle zusammen den Jungs hinterher spionieren, fällt es zu sehr auf
Fianna: Ich tue es freiwillig alleine!
Kiki: Super, Carrot, du bist unsere Spionin vom Dienst J
Lotta: Wenn ihr eine Rache plant, bin ich dabei J
Mathilda: Ich muss jetzt off gehen, das Konzert findet um halb zwölf statt
Lotta: Dann wünsche ich euch viel Glück für das Konzert
Mathilda: Vielen Dank <3 Ich habe trotzdem etwas Angst, dass ich meinen Part nicht hinkriege. Seitdem wir die Bande haben, übe ich nicht mehr so viel Querflöte
Kiki: Du wirst das schaffen! Viel Glück, Matti!
Mathilda: Bedankt! Tot ziens J
Emily: Ich habe zuhause noch eine Stinkbombe gefunden!
Lotta: Super, Ich werde ein paar Farbbomben machen
Fianna: Viel lustiger finde ich es, wenn wir die Tür von ihren Bandenquartier pink anmalen :D
Kiki: Seid nicht zu voreilig, wir müssen erst ihr richtiges Bandenquartier herausfinden und dann planen wir alles gemeinsam, aber meine Stinkbombe setzen wir 100% ein. Hahaha, das wird ein Spaß xD
Lotta: Ich muss weg, Mama hat mich gerufen. Ciao, macht euch noch einen schönen Samstag
Fianna: Bye, ich muss los, ich habe mich mit Aylin zum Bummeln in der Stadt verabredet
Emily: Richte ihr aus, was heute Morgen passiert ist!
Fianna: Klar tue ich das J
Kiki: Ich gehe jetzt auch off, ich habe noch gar nichts gegessen und jetzt kriege ich gerade richtig Hunger
Emily: Ciao
Am Montagabend versammelten sich alle Bandenmädchen spontan im Wohnwagen.
„Wir können das nicht auf uns ruhen lassen! Wäre Emily nicht noch rechtzeitig gekommen, hätten wir unsere Kaninchen nie wieder gefunden. Das schreit ordentlich nach Rache!“, war Kiki so erbost, dass die aufstand und mit ihren Händen herumfuchtelte.
„Ja genau, das lassen sich die Roten Tulpen niemals gefallen!“, stand Mathilda ebenfalls auf und legte Kiki den Arm um die Schulter. Die Augen der beiden Freundinnen, die auf die anderen Bandengirls gerichtet waren, sprühten förmlich Funken.
„Aus dem Stehgreif weiß ich gerade nichts Gutes, was wir planen können. Ich bin in der Hinsicht ein bisschen einfallslos“, zuckte Aylin mit den Schultern.
„Das kann ich mir bei dir gut vorstellen, du bist einfach zu brav und zu lieb. Hast du zu viele rosarote Märchenfilme mit braven Prinzessinnen gesehen? “, sah Mathilda spottend auf sie herab.
„Manchmal wäre es gut, wenn du ein bisschen wie Aylin wärst, dann würden dir nicht dauernd irgendwelche unnötigen Kommentare herausrutschen“, nahm Fianna ihre beste Freundin in Schutz.
„Jetzt bleibt mal bei der Sache! So kommen wir unserem Racheplan keinen Zentimeter näher“, rollte Kiki leicht genervt mit den Augen.
„Ich weiß gerade auch nicht, wie wir uns an den Fischköppen rächen können. Mein Kopf ist gerade wie leer radiert“, meldete sich Emily zu Wort. Schweigend tauschten die Freundinnen eine Weile lang ideenlose Blicke aus.
„Ausnahmsweise habe ich auch gerade keinen guten Streich auf Lager“, starrte Mathilda die Decke an.
„Wenn ich mal nicht weiter weiß oder mich nicht mehr konzentrieren kann, dann mache ich immer einen Spaziergang mit meinem Hund“, wandte Lotta ein.
„Spaziergang klingt gut, dann können wir unsere Umgebung ein wenig mehr kennen lernen“, war Annemieke sofort von der Idee angetan.
„Genau, lasst uns die Umgebung erkunden“, sprang Fianna auf.
„Wir haben wirklich noch nicht viel von diesem schönen Wald gesehen, dabei hört man hier so viele Vögel und es riecht wunderbar nach Tanne“, schwärmte Annemieke, die sich zufrieden bei Emily einhängte.
„Man könnte schon meinen, wir wären zu Kaffeeklatschweibern verkommen“, bemerkte Lotta leicht neckend.
„Du meinst wohl Teeschwestern“, verbesserte Aylin sie.
„Egal, wie wir es nennen, wir stopfen uns immer richtig viel mit Kuchen voll“, grinste Emily halb.
„He schaut mal, den Weiher dort habe ich noch gar nicht gesehen“, schnippte Mathilda auf einmal und zeigte ein Gewässer, das halb vom Tannenwald und halb von der Wiese am Wegrand umgeben war. Quak! Quak!
„Leute, da sind bestimmt ein Dutzend Frösche“, begannen Kikis Augen zu leuchten.
„Lasst uns nachschauen gehen!“, griff Mathilda Kikis Hand und zog sie mit sich.
„Ich komm auch mit!“, lief Fianna ihnen hinterher.
„Da hat der Forschergeist sie gepackt“, ließ Lotta einen trockenen Kommentar ab.
„Du meinst wohl Froschgeist. Bestimmt versucht Matti einen dieser süßen Frösche zu catchen", wurde sie sogleich von Emily korrigiert, wobei diese sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen konnte. Mathilda und Fianna balancierten vorweg auf einem umgefallenen Baumstamm, der zu zwei Dritteln in die Gewässerfläche ragte.
„Mädels, hier gibt es ganz viel Laich“, rief Mathilda aufgeregt.
„Ich komme auch!“, folgte Annemieke ihnen.
„Kiki, du hast doch ein Einmachglas mit, wo du vorhin das Studentenfutter drin hattest“, rief Mathilda ihre beste Freundin herbei.
„Klar“, nickte diese und gesellte sich zu den anderen Dreien auf dem Stamm. Belustigt sahen Emily, Lotta und Aylin ihren Freundinnen zu, wie sie voller Eifer alle möglichen Tiere aufzählten, die sie im und am Wasser sahen.
„Ich habe schon mindestens 20 Frösche gesehen“, krähte Mathilda und zählte voller Eifer weiter.
„Mädels, wie lange braucht ihr noch? Es ist schon fast halb sieben“, sah Emily auf ihre Armbanduhr.
„Wartet kurz, ich fülle eben ein bisschen Froschlaich in das Glas“, beugte sich Annemieke vor. Platsch! Kurz darauf war ein Aufkreischen zu vernehmen und Emily entdeckte vier ihrer Freundinnen im Wasser.
„Der Stamm hat sich plötzlich bewegt“, rief Fianna keuchend, die am schnellsten wieder auf den Stamm zurückgeklettert war.
„Ich wurde plötzlich hineingestoßen“, empörte sich Kiki, wobei sie halb lachte. Die Zwillinge kabbelten sich im Eifer des Übermutes.
„Du hast mich mit hineingezogen!“, spritzte Mathilda ihrer Schwester mit vorgetäuschter Empörung eine Handvoll Wasser ins Gesicht.
„Hey sorry, das war keine Absicht“, sagte Annemieke halb gickernd. Lachend rangelten die Schwestern miteinander.
„Ohh nooooo! So ein Mist, jetzt ist das Glas weg“, kreischte Annemieke.
„Dann hol es dir wieder!“, schubste Mathilda sie unsanft.
„Könnt ihr endlich mal mit dem Kinderkram aufhören?“, verdrehte Lotta die Augen.
„Ganz genau, mir wird schon ganz kalt“, nickte Kiki, die bereits mit Fianna wieder an das Ufer gelangt war. Sie begann mit den Zähnen zu klappern und wrang ihre lilafarbene Strickjacke aus.
Wieder spritzten sich die Zwillinge gegenseitig nass und gickerten dabei.
„Geht schon mal vor zum Wohnwagen!“, wandte sich Lotta an Kiki und Fianna. „Ich habe letztens ein altes Kleid, Röcke, ein paar alte Sweatshirts, eine Jacke und zwei Leggins dort im Schrank verstaut, die ich ausrangiert habe.“
Das ließen sich die beiden Freundinnen nicht zweimal sagen und flitzten los.
„Das sieht aus, als würden die beiden ein Wettrennen veranstalten“, grinste Aylin belustigt. Tatsächlich war Fianna einen Tick schneller und überholte Kiki nach etwas mehr als 100 Metern.
„Ich glaube, ich koche ihnen erstmal einen heißen Tee“, beschloss Aylin wieder zurück zum Bandenquartier zu gehen. Nun wandte sich Emily wieder den Zwillingen zu.
„Ihr kommt sofort aus dem Wasser raus, sonst könnt ihr was erleben!“, schimpfte sie.
„Ja, Mama-Emily!“, grinste Mathilda frech.
„Mädels, ihr werdet noch krank. Es ist nicht mehr so warm, wie vorhin“, appellierte Lotta an die Vernunft ihrer beiden Freundinnen.
„Ich kann das Glas einfach immer noch nicht finden“, jammerte Annemieke.
„Guck mal, was ich hier habe!“, hielt Mathilda ihr kichernd das mit Laich gefüllte Glas unter die Nase.
„Du blöde Kuh!“, Annemieke war nun mehr verärgert als belustigt. Sie riss ihrer Zwillingsschwester das Glas aus der Hand und drückte kurz ihren Kopf unter Wasser.
„Jetzt reicht es, raus mit euch!“, Emily erschrak selbst, als sie sich dabei ertappte, wie sie losbrüllte.
Die Zwillinge krabbelten an Land und schüttelten synchron das Wasser aus ihren Haaren, die nun glatt und wie dünne Spagetti auf ihren Schultern klebten.
„Hey, jetzt macht ihr mich auch noch ganz nass, obwohl ich mit dieser Schwachsinnaktion nichts zu tun habe!“, empörte sich Lotta.
„Was wollt ihr mit einem Glas voller Froschlaich?“, fragte Emily die Zwillinge.
„Wir wollen diesen in den Teich am hinteren Ende unseres Gartens tun und schauen, ob wir dann bald auch Frösche am Teich haben“, offenbarte Annemieke ihnen ihr Vorhaben.
„Seid ihr wirklich scharf auf nächtliche Froschkonzerte?“, verdrehte Lotta leicht die Augen, aber musste dabei auch ein wenig grinsen. Dann zeigte sie Emily leise glucksend das Video, welches sie gerade von den kabbelnden Zwillingen aufgenommen hatte. Kurz darauf stürzten sich die Zwillinge auf sie und kitzelten sie durch, sodass Lotta losquietschte.
„Tja Lotta, das kommt davon, wenn man ungefragt Leute filmt“, bemerkte Emily trocken und ergänzte vor Ironie triefend: „Und wir sind unserem Racheplan auch so viel näher gekommen.“
„Naja, das eilt auch nicht!“, hakte sich Lotta bei ihr unter.
Zwei Tages später lehnten sich Emily, Lotta, Kiki und Aylin während der ersten großen Pause gegen eine Mauer auf dem Schulhof und schauten den Jungs zu, wie sie entweder Fußball oder Basketball spielten. Nur die beiden Zwillinge und Fianna fehlten.
„Ich bin gespannt, ob Fianna uns nachher etwas zu erzählen hat“, sagte Aylin und biss von ihrem Brötchen ab.
„Sie muss unbedingt bald Neuigkeiten bringen“, meinte Kiki. „Sie spioniert schon seit Tagen den Jungen hinterher und bis jetzt hat sie keine interessanten Details über ihr Bandenquartier erfahren.“
„Die Rache wird langsam dringend“, sagte Lotta und kniff ihre Augen zusammen. „Ich hätte schon ein paar Ideen, was für mit ihrem Bandenquartier anstellen können.“
„Psst!“, machten ihre Freundinnen nur. „Das regeln wir nach der Schule und nicht mitten auf dem Schulhof.“
Fianna schlich unauffällig Jannis, Sven und Lennart hinterher.
„Ihr werdet es mit kaum glauben", kam Fianna einige Minuten später aufgeregt zurück zu den Roten Tulpen. „Jetzt weiß ich, wo sie ihr Banden..."
„Halt, Carrot, bewahre es erstmal für dich. Wir wissen nicht, ob jemand mithört. Du weißt, der Schulhof hat viele Ohren. Schreibe es lieber in unsere Gruppe, okay?!“, hielt Kiki sie zurück.
„Die Jungs können uns aber nicht hören!“, meinte Emily. „Sie stehen am anderen Ende des Schulhofes. Wir müssten ziemlich laut schreien, damit sie uns hören.“
„Schau mal, wer gerade nah an uns vorbei läuft“, wisperte Lotta und zeigte auf Ömer, der unauffällig alleine an den Freundinnen vorbei lief. Emily schwieg wieder.
„Sie haben wohl auch einen Spion“, raunte Aylin leise.
Nach dem Mittagessen und entdeckte Emily viele ungelesenen Nachrichten auf ihrem Handy. In ihrer Bandengruppe war schon eine wilde Diskussion im Gange.
Emily: Was ist hier los?
Kiki: Fianna hat uns gerade mitgeteilt, dass die Piranhas haben ihr Bandenquartier in Svens Garage haben. Jetzt wissen wir wo wir den Anschlag verüben müssen!!!
Emily: Juhuu jetzt gibt es für sie eins auf die Mütze
Fianna: Lotta ist gerade dabei Farbbomben zu bauen!
Kiki: Alle mal aufgepasst! Übermorgen ist Freitag, dort treffen wir uns nach dem Reiten bei mir und nicht im Wohnwagen. Wir werden bei mir übernachten und um Mitternacht den Plan in die Tat umsetzen. Sven wohnt ein paar Minuten von mir entfernt, dort kommen wir sehr schnell hin!
Emily: Super, ich komme auf alle Fälle J
Fianna: Schade, wir fahren über das Wochenende weg L
Aylin: Meine Eltern verbieten es mir, dass ich bei Kiki übernachten darf. Das ist richtig mies :’(
Kiki: Das tut mir leid für dich L
Annemieke: Ich wünsche euch viel Glück, leider haben Mathilda und ich uns einen schweren grippalen Infekt eingefangen und müssen das Bett hüten. Langsam regt das total auf, aber meine Schwester hustet noch viel doller als ich und hatte heute Morgen fast 40 Grad Fieber. Schade, dass wir nicht dabei sein können :( LG Micky
Kiki: Schade ist es wirklich, dass ihr beide nicht mitmachen könnt, wobei deine Schwester doch so viele gute Ideen hat.
Fianna: Ist deine Schwester auch online?
Annemieke: Nein, sie schläft gerade und ich gleich gehe ich auch wieder ins Bett. Ich fühle mich total schlapp und mir ist schwindelig. Hoffentlich können wir montags wieder zur Schule gehen.
Kiki: Ich wünsche euch beiden gute Besserung
Fianna: Ich auch!
Emily: Von mir auch gute Besserung <3 Werdet schnell gesund, ich vermisse euch schon
Annemieke: Thanks <3 Ciao
Lotta: Kiki, ich darf morgen zu dir kommen. Ich habe gerade meine Mutter gefragt. Sollen wir um 18.00 Uhr bei dir sein?
Kiki: Okay, dann können wir vorher Abendbrot essen. Lotta, hast du deine Farbbomben fertig?
Lotta: Ay Ay Käpt’n, ich habe alles soweit vorbereitet.
Kiki: Gut, ich bringe ein paar Mehlwürmer mit. Abgemacht, Mädels?
Lotta: Abgemacht!
Emily: Abgemacht!
Am Freitagabend saßen die Mädchen in Kikis Zimmer, futterten Knabberzeug in sich rein und versuchten mit Fernsehgucken die Zeit zu vertreiben. Plötzlich klopfte Kikis Mutter an die Tür.
„Wollt ihr noch etwas zum Naschen haben?“, fragte sie.
„Nein, Danke! Wir haben vorhin genug zum Abendbrot gegessen“, lehnte Kiki ab.
„Gute Nacht!“, wünschte Kikis Mutter den Freundinnen und schloss die Tür hinter sich. Es war mittlerweile fünf Minuten vor elf.
„Wir müssen sehr leise sein, wenn wir nach draußen gehen“, flüsterte Kiki. „In unserer Wohnung hört man beinahe alles und meine große Schwester bekommt sowieso alles mit. Die Wohnungstür werde ich gleich hinter uns schließen.“
Emily und Lotta nickten.
„Wann könnten wir überhaupt nach draußen gehen?“, fragte Lotta.
„Warte ab, bis Mitternacht vorbei ist“, wisperte Kiki. Bis Mitternacht schlugen die Mädchen mit Kartenspielen die Zeit tot. Aber sie hörten immer noch den Fernseher aus Mirjas Zimmer.
„Meine blöde Schwester soll nicht so lange Fernsehen gucken“, zischte Kiki. „Sonst können wir nicht los gehen!“
„Das ist unsere Chance!“, wisperte Lotta. „Wenn ihr Fernseher so laut ist, hört sie uns nicht, wie wir das Haus verlassen.“
„Genau, guter Einfall, Lotta!“, raunte Emily.
Zehn Minuten nach Mitternacht schlichen sich die drei Freundinnen aus dem Haus. Draußen war es im Vergleich zum Tag ziemlich kalt. Lotta zog ihre Jacke enger und trippelte auf der Stelle.
„Dahinten ist das Haus, in dem Sven wohnt“, flüsterte Kiki und zeigte in die Richtung. Der Fußweg dauerte höchstens fünf Minuten. Vorsichtshalber schauten die Mädchen, ob in Svens Haus noch Licht brannte und versteckten sich in einem Busch. Erst als der Mond hinter einer Wolke verschwand und Kiki ihnen ein Zeichen gab, kamen sie leise hervor und schlichen zur Garage. Ein jämmerliches Schild, auf dem in schwarz „Die Piranhas“ stand, hing über dem Garagentor. Voller Wucht warf Lotta ihre erste Farbbombe gegen das Tor und dann noch eine zweite. Rosa und rote Farbe lief am Tor herunter. Kiki und Emily schlichen um die Ecke. Emily zeigte auf ein kleines Fenster, welches auf kipp stand.
Langsam holte Kiki die Stinkbombe hervor.
„Das wird ein tolles Dufterlebnis für die Idioten“, wisperte sie und warf die Stinkbombe durch das offene Fenster. Schnell verbreitete sich der Geruch von verfaulten Eiern, bei dem auch Kiki und Emily übel wurde. Kiki warf zudem eine handvoll Mehlwürmer durch das Fenster in den Clubraum und winkte Lotta zu sich hinüber.
„Gib mir eine Farbbombe“, zischte sie. Lotta kam wie eine Katze um die Ecke geschlichen.
„Was ist los?“, flüsterte sie ängstlich.
„Ich brauche eine deiner tollen Farbbomben!“, raunte sie. Wenig später zerplatzte eine pinke Farbbombe am Fenster.
„Die Fischköpfe werden sich richtig über ihr neues Bandenquartier freuen!“, grinste Emily. Die Mädchen mussten ihr Lachen unterdrücken, schnell machten sie sich davon. Erst als sie weit genug entfernt waren, trauten sie sich richtig zu lachen, sodass sie sich gegenseitig festhalten mussten.
„Geschafft!“, Kiki hielt ihren Freundinnen ihre Hand zum Einschlagen hin.
Zuhause schrieb Kiki als erstes in die Gruppe, um so schnell wie möglich mitzuteilen, dass ihr Racheplan in Erfüllung gegangen war. Doch von den anderen Bandenmädchen schien niemand mehr wach zu sein.
„Wisst ihr, ich finde es doch ganz gut, dass wir nur zu dritt waren“, sagte Lotta plötzlich. „So sind wir wenigstens unauffällig geblieben, denn zu siebt wären wir bestimmt mehr aufgefallen.“
„Wahrscheinlich hätten Annemieke und Matilda einen ihrer berühmten Lachanfälle gekriegt“, meinte Emily.
„Und Aylin hätte in der Dunkelheit panische Angst gehabt“, fügte Kiki hinzu. „Außerdem bin ich gespannt, was die Fischköppe Montag erzählen werden.“
Emily gähnte lange und schlief wenig später in ihren normalen Klamotten im Sessel ein.
Die Piranhas witterten einen Verdacht, wer ihr Bandenquartier verwüstet haben könnte. Emily bekam zufällig mit, wie sie sich die Jungs vor dem Klassenzimmer unterhielten.
„Das waren garantiert die Schnitten“, sagte Jannis zu seinen Freunden, der die Mädchen neuerdings so nannte.
„Natürlich waren das die Tulpen!“, nickte Lennart. „Ich kenne niemanden, der mit uns so auf Kriegsfuß steht wie sie.“
„Wir werden ihnen keine Sekunde Ruhe mehr gönnen, wenn wir in der Schule sind. Wer unser Bandenquartier zerstört, muss dafür büßen!“, erzürnte sich Ömer.
„Ich freue mich wenn ihre Gesichter vor Wut rot werden, genauso wie ihre Bandenfarbe“, fügte Sven mit einem sarkastischen Unterton hinzu.
„Wir werden sie so lange triezen, bis sie zugeben haben, dass sie es waren. Erst wenn sie nach Vergebung flehen, lassen wir sie in Ruhe“, meinte Max.
Den ganzen Montagvormittag ließen die Piranhas kein gutes Haar an den Mädchen. Max schnitt im Kunstunterricht ein kleines Stück von Mathildas Locken ab, wofür sie ihm Eistee über den Pullover goss. Daraufhin gab es eine Standpauke und die Kunstlehrerin gab beiden eine saftige Strafarbeit auf.
„Die Jungs sind so schlimm wie noch nie!“, beschwerte sich Aylin bei Emily und Kiki.
„Urwaldzwerg, Urwaldzwerg, Urwaldzwerg!“, riefen Ömer und Lennart abwechselnd und streckten ihr dabei frech die Zunge raus.
„Warum bist du aus deinem Zwergenland ausgebüchst? Ich fürchte, wir müssen dich dorthin zurückbringen, weil du dahin gehörst“, spottete Michael und warf ihr einen zusammengeknütten Zettel an den Kopf. De Piranhas lächten hämisch. Tränen begannen der sensiblen Aylin über das Gesicht zu laufen. Emily und Annemieke trösteten sie und legten ihr die Arme um die Schultern.
„Mach dir nichts aus diesen dämlichen Fischköppen!“, riet ihr Mathilda.
„Aber ich hasse es trotzdem, wenn ich wegen meiner Größe verspottet werde“, schniefte Aylin. Fianna wirbelte ihre Jacke über ihren Kopf und stülpte sie Michael von hinten über den Kopf.
„Hurra, ich habe einen stinkenden Fischkopp im Netz“, rief sie ihren Freundinnen zu.
„Bravo! Du zeigst endlich, wie man Fischköppe fängt, Carrot!“, triumphierte Lotta. Wütend befreite sich Michael aus Fiannas Jacke und schlug in ihre Richtung, aber das rothaarige Mädchen wich ihm schnell aus.
In Religion saß Emily ausgerechnet neben Jannis. Leider war keine ihrer Freundinnen in diesem Kurs, da sie parallel entweder Werte und Normen, Philosophie oder Evangelische Religion hatten. So saß Emily mit ein paar Piranhas alleine in Katholischer Religion.
„Fette Kuh! In deinen ollen Pferdepullis siehst du abartig hässlich aus!“, flüsterte er mehrmals unauffällig in ihre Richtung. Hinter ihr begannen Jolanda und Saskia zu kichern. Offenbar fanden die beiden Klassenzicken es sehr lustig, dass Jannis sie am laufenden Band beleidigte. Jolanda wieherte und wieder begannen Saskia, Jannis und Lennart zu lachen.
„Pferdetussi! Sag mal, hast du dir heute als Verpflegung Pferdeäpfel mitgebracht?“, raunte Jannis. In Emily sträubte es sich, als sie den Finger heben wollte, um sich bei Frau Maris zu beschweren und ließ es bleiben. Jannis konnte sie so viel ärgern wie er wollte, aber Petzen war nun mal das Allerletzte.
Lieber vermied sie es in seine Richtung und ganz besonders in seine fiesen grünen Augen zu schauen.
„Jannis, sagst du noch ein einziges Wort, bist du vor der Tür und kannst währenddessen eine Strafarbeit erledigen!“, ermahnte ihn Frau Maris.
„Ich habe doch gar nichts gemacht!“, unschuldig riss er die Augen weit auf.
„Das war’s jetzt! Pack deine Sachen und setz dich nach draußen an den Tisch. Dort erarbeitest du dir ein kleines Referat zum Thema Hinduismus“, schimpfte die Religionslehrerin und ließ ihre Faust auf den Tisch sausen. Es hatte gewirkt, nun hatte Emily wieder ihre Ruhe und konnte zugleich ein Grinsen nicht unterdrücken.
„Der Kerl hat es echt verdient aus dem Unterricht zu fliegen“, meinte Veronika aus der 6b, die links neben ihr saß. Emily nickte nur und richtete ihre Augen auf den Text im Schulbuch. Die Doppelstunde konnte nicht schnell genug vorbei gehen und sie sehnte ihre Freundinnen herbei, ohne die sie sich manchmal hilflos und verlassen fühlte.
„Voll gemein, dass die sich wegen deines Pferdeticks über dich lustig machen! Dabei sind Pferde toll und ich selbst voltigiere und reite auch seit Jahren. Diese blöden Jungs und Zicken haben gar keine Ahnung“, sagte Veronika kurz nachdem es zur Pause geklingelte hatte.
„Guck mal, ich zeige dir ein paar Fotos!“, holte sie ihr IPhone aus ihrer Jackentasche. Das Mädchen mit den taillenlangen blonden Haaren redete ununterbrochen weiter.
„Wo reitest du eigentlich?“, schaffte es Emily sie in einer kurzen Redepause zu fragen.
„Beim Freudenburger Reitclub“, erwiderte Veronika und schilderte darauf, wie schön es dort sei. Emily war der Freudenburger Reitclub nur eher mittelmäßig sympathisch, da der Reitstall hypermodern war, den Reitsport dominierte und in gewisser Weise auch in Konkurrenz zu dem Hof von ihrer Tante stand. Außerdem waren viele der Reiter ziemlich arrogant und hielten sich für etwas Besseres.
Leicht genervt blieb Emily stehen.
„Komm schon, was ist denn? Lass uns in die Cafeteria gehen. Ich gebe dir auch eine Milchschnitte aus oder auch zwei wenn du magst. Weißt du, ich finde dich wirklich mega nett und wir beiden könnten auch echt gut befreundet sein“, hakte sich Veronika bei ihr unter. Wieder nickte Emily, obwohl ihr Veronikas Aufdringlichkeit ihr gerade zuwider war.
„Einmal vier Milchschnitten bitte“, bestellte Veronika, als sie an der Reihe waren.
„Hier, da hast du zwei!“, drückte sie Emily zwei Milchschnitten in die Hand.
„Nein danke, eine reicht mir! Ich versuche gerade ein paar Kilo abzunehmen“, erwiderte Emily und gab ihr eine Milchschnitte wieder.
„Aber wirklich dick bist du nicht“, fand Veronika.
„Du musst dir auch nicht ständig irgendwelche Schmähungen anhören“, entgegnete ihr Emily.
„Weißt du, ich finde es fies, dass es einige Jungs und Mädchen gibt, die dich hänseln. Dabei bist du doch voll okay und mega nett“, sagte ihre Kurskameradin.
„Ich weiß“, nickte Emily.
„Sag mal, erzähl doch auch etwas aus deinem Reitstall!“, stieß Veronika sie an. Die beiden Mädchen unterhielten sich über das Reiten und ihre Lieblingspferde, ehe Veronika aufsah und ihre beiden Klassenkameraden Maja und Carolin begrüßte. Nun kam Kiki in die Cafeteria gelaufen.
„Wo warst du, Lily?“, fragte sie leicht außer Puste.
„Ich bin nur kurz mit Veronika in die Cafeteria gegangen“, antwortete sie.
„Komm!“, zog Kiki sie vom Stuhl hoch und verließ mit ihr die Cafeteria.
„Du weißt doch, dass wir uns immer jede Pause an der alten Eiche draußen treffen“, raunte Kiki leicht gereizt und fuhr fort: „Sag mal, diese merkwürdige Veronika ist wirklich eine lästige Klette oder? Ich habe schon mehrmals gesehen, wie die einfach nicht von dir ablassen konnte. Mir würde es stinken, wenn mich jemand so zutextet.“
„Ja, sie ist eine Quasselstrippe, aber eigentlich ganz nett“, meinte Emily.
„Findest du nicht, dass sie ein bisschen zu sehr Schickimicki rum läuft? Sie trägt richtig teuere Marken. Bestimmt ist sie so eine oberflächliche Modetussi“, merkte Kiki an.
„Soweit ich weiß, ist ihr Vater Arzt und ihre Mutter arbeitet bei einem Modemagazin. Bestimmt haben die viel Geld“, sagte Emily.
„Hm, Leute mit Geld beeindrucken mich nicht wirklich. Mich nervt eher ihre Arroganz“, verdrehte Kiki die Augen.
„Aber Lottas Eltern scheinen auch gut Geld zu haben“, hielt ihr Emily dagegen.
„Aber Lotta lässt sich das nicht so anmerken und außerdem bezahlt sie Aylins Reitstunden von ihrem sehr üppigen Taschengeld“, meinte ihre Freundin.
„Diesen Idioten! Sie haben meinen Block unter den Wasserhahn gehalten“, mit einem hochroten Kopf stürmte Lotta auf die beiden Freundinnen zu.
„Hä, wer?“, horchte Emily auf.
„Na, Max und Sven gerade kurz nach dem Ende der Werte-und-Normen-Stunde“, schnaubte Lotta.
„Langsam nehmen Angriffe der Fischis echt überhand“, gab Kiki einen bissigen Kommentar ab. „Entweder sind wir eine echte Bande und wehren uns oder wir sind Weicheier und gehen petzen.“
„Oh noo, ich traue meinen Augen nicht!“, fassungslos gesellte sich Fianna dazu. „Die Jungs machen gemeinsam Jagd auf unsere Zwillinge!“
„Was?“, fragten Kiki und Lotta aus einem Mund.
„Seht doch!“, Fianna zeigte in die Richtung des Cafeteriaeinganges.
„Kaasköppe, Kaasköppe, Kaasköppe! Kaasköppe stinken nach Schimmelkäse!“, grölten die Piranhas und schubsten die Zwillinge vor sich her.
„Klappe halten, ihr Fischköppe!“, drehte sich Annemieke zornig zu ihren Verfolgern um.
„Was sind Holländer mit einem Spieß im Rücken?“, lachte Jannis.
„Ein Käsehäppchen!“, grölte Sven.
„Wie viele Holländer braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?“, setzte Lennart einen weiteren Witz oben drauf.
„Sechs, einen der die Glühbirne hält und fünf Personen, die den Wohnwagen drehen“, rief Sven.
„Haha, eure Witze über Holländer sind so witzig, dass ich mich eigenhändig auf den Mond schießen kann“, genervt verdrehte Mathilda die Augen.
„Wie nennt man bei der Oranje Elfmeterschießen? Vorbei schießen!“, spottete Jannis ungerührt weiter.
„Halt die Klappe, bei der letzten WM sind die Niederlande weiter gekommen als Deutschland“, wehrte sich Mathilda. Erst als die Pausenaufsicht um die Ecke kam, verzogen sich die Jungs wieder und ließen die Zwillinge in Ruhe.
Dienstag in der Sportstunde platzte die Bombe, Herr Loh ließ die Klasse Fußball spielen.
„Fußball ist Sport und Sport ist Mord. Das heißt, Fußball ist auch Mord“, ächzte Emily.
„Ich laufe keinen Schritt extra, um mir wegen so einem blöden Ball die Zunge aus dem Leib zu rennen“, stur blieb Aylin in der Mitte der Halle stehen, während sich die Teams aufstellten. Auch die anderen Bandenmitglieder waren nicht sehr begeistert, dass sie mit den Jungs Fußball spielen sollten. Die Zwillinge rührten sich nur, wenn der Ball ihnen vor die Füße fiel und Lotta postierte sich direkt vor das gegnerische Tor. Nur Fianna spielte richtig aktiv mit, sie jagte den Jungs öfter den Ball ab und schoss das erste Tor.
„Bravo, Carrot!“, jubelten ihre Freundinnen. Ömer, Sven und Jannis, die in der gegnerischen Mannschaft spielten warfen sich gegenseitig böse Blicke zu.
„Ömer, du Schnecke, du darfst doch den Karottenkopf nicht einfach so bis zum Tor durchlassen!“, bekam Emily mit, wie sich Jannis aufregte. Ömer schnaubte und konzentrierte sich wieder auf das Spiel. Schon wieder tauchte Fianna wieder vor ihm auf, von dieser rothaarigen Bestie wollte er sich nicht noch einmal blamieren. Er setzte zu einer Grätsche an, aber Fianna gab den Ball schnell an Mathilda ab. Diese gewann einen Zweikampf gegen Sven und spielte einen langen Pass zu ihrer Schwester.
„Los Micky, schieß den dicken Michi ab!“, feuerte Mathilda ihren Zwilling an. Ömer sah das Unheil auf sich zukommen, er sprintete in den Strafraum.
„Diese Göre darf kein Tor schießen!“, bekam Emily mit, wie er dies halblaut sagte. Annemieke ließ Emily und Sina stehen und hatte nur noch den Torwart vor sich. Ömer sah sich gezwungen, sie umzugrätschen.
Annemieke fiel hin. Doch sie versuchte mit schmerzverzehrten Gesicht wieder aufzustehen. Noch bevor das passieren konnte, trat Ömer ihr heftig auf ihre linke Hand.
„Aaahh!“, ein spitzer Schrei des Mädchens hallte durch die gesamte Turnhalle.
„Spinnst du? Wie kannst du nur sowas mit meiner Schwester machen?“, brüllte Mathilda und rannte rot vor Wut auf Ömer zu. Sie holte aus und verpasste ihm eine heftige Ohrfeige. Ömer ließ sich die Ohrfeige nicht gefallen und stürzte sich auf seine Feindin. Herr Loh blies energisch in seine Trillerpfeife.
„Aufhören und zwar sofort!“, rief er und rannte zu den beiden Streithähnen hin.
„Mathilda und Ömer, ihr geht euch beide sofort umziehen und setzt euch für den Rest der Stunde auf die Bank!“, bestimmte er.
„Haben Sie nicht gesehen, dass Ömer Annemieke absichtlich auf die Hand getreten ist?“, mischte sich Emily ein.
„Ich habe nur gesehen, wie sich Mathilda und Ömer geprügelt haben“, wiederholte Herr Loh.
„Ich habe nur meine Schwester verteidigen wollen, nachdem Ömer ihr auf die Hand getreten ist“, versuchte Mathilda dem Sportlehrer mit Wuttränen in den Augen zu erklären.
„Mitschüler zu ohrfeigen ist auch keine Lösung“, sagte Herr Loh. „Ömer, ich werde diesen Vorfall dem Schulleiter und eurer Klassenlehrerin melden.“
Lotta und Emily kümmerten sich um die am Boden liegende Annemieke.
„So eine Frechheit von Ömer!“, schimpfte Emily.
„Kannst du deine Hand noch bewegen, Micky?“, fragte Lotta. Annemieke biss sich auf ihre Lippe und versuchte jeden einzelnen Finger zu bewegen.
„Ja, aber ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie weh das tut“, schluchzte sie. Nachdem Herr Loh Mathilda und Ömer zum Umziehen geschickt hatte, wandte er sich der verletzten Schülerin zu.
„Annemieke, bist du ernsthaft verletzt?“, fragte er und versuchte ihr aufzuhelfen.
„Es geht so“, sagte sie mit erstickter Stimme.
„Ich sehe, dass deine linke Hand angeschwollen ist, halte sie am besten einige Minuten unter kühles Wasser“, sagte er. „Falls die Schmerzen nicht besser werden oder noch schlimmer werden, sagst du mir bitte bescheid!“
Annemieke nickte und wurde von Emily in die Umkleidekabine begleitet. Fünf Minuten lang hielt sie die Hand unter kaltes Wasser.
„Tut es immer noch so weh, Micky?“, kam Mathilda besorgt hineingestürmt.
„Ja und es wird nicht besser“, wimmerte Annemieke.
„Ich gehe Herrn Loh bescheid sagen“, antwortete ihre Schwester. Emily legte ihrer Freundin tröstend die Hand auf die Schulter. Sie war ebenfalls wütend und entsetzt.
„Wäre Ömer vierzehn, könnte man ihn wegen Körperverletzung anzeigen", sagte sie empört. Kurz darauf kam Mathilda zurück.
„Herr Loh sagt, dass du mit deiner Verletzung zum Arzt gehen sollst und ich habe gerade Papa angerufen. Er kommt gleich und wird dich zum Arzt fahren“, sagte sie.
„Oh Matti, ich finde es so schlimm, dass du auch einen Klassenbucheintrag bekommen hast, dabei wolltest du mich bloß verteidigen“, schniefte Annemieke und wischte sich mit deinem Taschentuch über die feuchten Augen.
„Ich habe wohl etwas zu heftig reagiert und mir ist die Hand ausgerutscht. Leider!“, meinte ihre Schwester. „Ich muss jetzt gehen, Herr Loh hat mich und Ömer ins Klassenzimmer geschickt, damit wir den Streit in allen Details aufschreiben. Gute Besserung, Schwestermaus!“
Annemieke schaffte es einen kurzen Moment zu lächeln, obwohl die Schmerzen immer noch ziemlich heftig waren.
„Ich hoffe, deine Hand ist nicht gebrochen“, sagte Emily und half ihrer besten Freundin beim Umziehen.
Für Donnerstag war ein Talentspäher angekündigt, der beim Training der Unterstufen-Fußballmannschaft zuschauen wollte. Die Piranhas waren deshalb sehr aufgeregt, so dass es bei ihnen kein anderes Thema mehr gab.
„Ich habe gehört, der Talentscout sucht sich ca. drei bis fünf Spieler von uns für die U15-Stadtauswahl“, sagte Max, während er und seine Freunde in der ersten großen Pause neue Fußballtricks übten.
„Ich werde auf jeden Fall dabei sein!“, stolz klopfte sich Jannis auf die Brust.
„Das meinst du!“, Sven kniff die Augen zusammen. Wenn es darum ging wer besser Fußball spielte, waren Sven und Jannis knallharte Konkurrenten. Einige Meter abseits standen die Roten Tulpen, Annemiekes Hand ging es zwar wieder besser. Trotzdem musste sie einen Streckverband tragen, auf dem all ihre Freundinnen unterschrieben hatten. Während die Bandengirls die Jungs beobachteten, konnte sich Emily plötzlich ein Grinsen nicht mehr verkneifen.
„Was ist denn los?, fragte Fianna irritiert. „Lily, warum grinst du so?“
„Mir ist gerade eingefallen, dass die Jungs in der siebten Stunde Fußballtraining haben“, äußerte Emily ihre Idee. „ Nach der sechsten Stunde haben wir sowieso fünfundzwanzig Minuten Mittagspause und da gehen fast alle Schüler in die Cafeteria zum Mittagessen. Das wäre die perfekte Gelegenheit für einen Streich."
„Bravo Lily, seit wann trittst du in Mattis Fußstapfen?“, lobte Kiki.
„Wie sieht dein Plan konkret aus?“, fragte Aylin.
„Ich weiß, wo die Jungs ihre Fußballsachen haben, in einem Nebenraum der Turnhalle. Wir könnten den Jungs die Schnürsenkel von den Fußballschuhen entfernen“, Emilys Augen funkelten vor Elan.
„Nicht nur das, wir müssen ihnen Regenwürmer in die Schuhe legen und die Luft aus den Bällen herauslassen“, Mathilda grinste schelmisch.
„Und ihre Shorts müssen geduscht werden, damit sie nicht mehr so stinken“, meldete sich Lotta zu Wort.
Nach der sechsten Stunde schlüpften Emily und ihre Freundinnen schnell aus dem Klassenraum. Sie gingen durch den Hintereingang in die Turnhalle und von dort aus schlichen sie in den Nebenraum, in dem die Sachen der Fußballmannschaft lagen. Aylin und Fianna hielten auf dem Gang Wache, während ihre Freundinnen sich ans Werk machten. Die Zwillinge fädelten zuerst die Schnürsenkel aus den Schuhen der Piranhas und ließen sie in ihren Hosentaschen verschwinden. Lotta und Kiki sammelten die Hosen, Stutzen und Trikots der Piranhas ein und packten sie unter die Dusche. Emily versuchte aus jedem Ball soviel Luft wie möglich raus zu lassen. Mathilda legte kleine Käfer, die sie vorhin auf dem Schulhof gesammelt hatte, in ihre Schuhe.
„Jetzt wird der Spaß perfekt werden“, schmunzelte Annemieke. „Das wird die gerechte Rache dafür sein, was sie uns angetan haben.“
„Vor allem was sie dir angetan haben, Ömer hätte dir locker die Hand brechen können“, wandte sich Emily an Annemieke.
„Psst, schnell! Es kommt jemand!“, Fianna und Aylin kamen aufgeregt in den Raum geschlichen. Leise wie die Indianer huschten die Mädchen durch den Gang nach draußen.
„Puh, geschafft!“, erleichtert wischte sich Lotta über die Stirn und gab allen einen Highfive.
„Jetzt müssen wir uns nur noch hinter dem Busch beim Sportplatz verstecken und das Training kann beginnen“, meinte Kiki zufrieden.
Zu siebt hockten sich die Mädchen hinter eine Hecke. Zuerst liefen sich Christian, Paul und Simon auf der Tartanbahn warm. Wenig später kam der Trainer mit dem Talentspäher. Finn, Thomas und Patrick wurden ebenfalls zum Warmlaufen geschickt. Bald war die Mannschaft fast komplett, nur die Piranhas fehlten komplett.
„Wo sind Jannis und seine Freunde? Sie sind jetzt schon fast zehn Minuten zu spät“, fragte der Trainer streng. „Nils, geh in die Umkleidekabine zurück und hole diese Jungs, wenn du sie siehst!“
Wenig später standen die Piranhas in normaler Straßenkleidung vor ihrem Trainer.
„Warum seid ihr nicht umgezogen und habt keine Bälle mitgebracht?“, schimpfte der Trainer mit Jannis. „Heute ist der Talentscout da und nun haben wir schon eine Viertelstunde vertrödelt.“
„Sorry, die Bälle waren alle platt und unsere Trikots sind nass“, sagte Jannis kleinlaut. „Außerdem lagen Käfer in unseren Schuhen und wir haben keine Schnürsenkel mehr.“
„Papperlapapp, rede nicht so ein dummes Zeug!“, fuhr der Trainer ihm wütend über den Mund.
„Kommen Sie doch mit, dann kann ich es Ihnen beweisen“, Jannis kam langsam in Erklärungsnot. Schnaubend folgte der Trainer ihm. Gerade als sie gegangen waren, schleppten Michael und Max zwei volle Ballnetze heran.
„Uff, das hat ganz schön lange gedauert, bis wir die Bälle wieder aufgepumpt hatten“, stöhnte Michael.
„Es wäre schön, wenn ihr euch wenigstens mit den Bällen warm spielen könntet. Jetzt sind inzwischen mehr als zwanzig Minuten vorbei“, sagte der Talentscout zu den Jungen, die sich bereits aufgewärmt hatten. Einige Zeit später erschienen der Trainer und Jannis wieder.
„Ich lasse euch in Straßenkleidung nicht mittrainieren, so könnt ihr nach Hause gehen!“, stauchte der Trainer die sechs Jungs zusammen. „Das nächste Mal, braucht ihr auch nicht beim Training erscheinen, da wir wegen euch eine halbe Stunde Verspätung haben!“
Mit hängenden Köpfen schlichen die Piranhas davon.
„Die Talentsichtung ist nun für sie gelaufen“, grinste Mathilda schelmisch und ihre Zwillingsschwester kicherte hinter vorgehaltener Hand. Emily riss eine Tüte Gummibärchen auf und ließ sie einmal rum gehen.
„Endlich Pause!“, streckte sich Lotta auf ihrem Stuhl und holte einen Apfel aus ihrer Tasche.
„Ich kann mir gar nichts mehr merken. Ich kann das Wort „Römisches Reich“ langsam wirklich nicht mehr hören“, stöhnte Mathilda.
„Die letzte Stunde vor der Klassenarbeit ist wirklich vollgestopft bis zum Abwinken und hoffentlich kriegen wir nach der Arbeit endlich ein neues Thema“, bestätige Annemieke, die eine Butterbrotdose mit zwei Käsebroten öffnete und ein Brot an ihren Zwilling abtrat.
„Komm, dann lass uns wenigstens eine Viertelstunde frische Luft tanken!“, blies Kiki zum Aufbruch und hängte sich bei Lotta ein.
„Ich muss eben aufs Klo“, rief Emily ihr hinterher.
„Moment! Ich komm mit“, folgte Aylin ihr.
„Hallo Emily, schön dich zu sehen!“, trafen sie Veronika auf der Mädchentoilette. „Ich warte einen Moment und dann können wir zusammen auf den Schulhof gehen.“
„Von mir aus können wir einen kurze Runde drehen, aber wir wollten uns eigentlich mit unseren Freundinnen treffen“, erwiderte Emily nach einem kurzen Moment. Sie war allerdings skeptisch, wie die Anderen reagierten, wenn sie auch noch Veronika im Schlepptau hatten.
„Wer bist du noch mal? Ich kenne dich zwar vom Sehen, aber ich weiß nicht, wie du heißt. Ich bin übrigens Veronika aus der 6b“, wandte sich Veronika an Aylin.
„Hi, nett dich kennen zu lernen, ich bin Aylin und gehe mit Emily zusammen in die Klasse“, gab Aylin ihr die Hand.
„Ja, das weiß ich. Schließlich sehe ich euch mit euren Freundinnen ständig zusammen durch die Schule gehen. Ich warte eben vor der Tür auf euch“, lächelte Veronika freundlich zurück.
„Das ist okay, wir kommen gleich“, antwortete ihr Aylin freundlich.
„Hey, wollt ihr ein paar Schokobons?“, hielt ihnen Veronika die volle Tüte hin.
„Vielen Dank!“, lächelte Aylin.
„Ach, nimm dir gleich zwei drei oder auch vier“, sagte Veronika. „Und was ist mit dir, Emily?“
„Einen nehme ich mir wohl“, griff Emily in die Tüte.
„Aber eigentlich müsste ich es einmal schaffen auf diesen ganzen Süßkram zu verzichten“, dachte sie insgeheim. Auf einmal ertönten bei ihrem und bei Aylins Handy zeitgleich zwei unterschiedliche Nachrichtentöne. Aylin hatte ihr pinkfarbenes Handy schon in der Hand, während Emily ihres noch aus der Schultasche kramte.
„Wer war das?“, fragte Veronika neugierig.
„Das war nur Kiki, die wissen will, wo wir bleiben“, antwortete Aylin.
„Genau, sie hat uns beiden die gleiche Nachricht geschickt“, fügte Emily hinzu.
„Diese Kiki kenne ich glaube ich auch oder? Heißt sie nicht eigentlich Kristin, Kristiane oder Kristina? Das ist doch die mit den ellenlangen schwarzen Zöpfen, die immer eine handvoll Freundinnen um sich herum hat“, wollte Veronika wissen.
„Ja genau, das ist Kristina“, nickte Aylin.
„Kommt Mädels, wir gehen jetzt zu den Anderen, sonst fängt Kiki gleich an zu meckern“, legte Emily einen Zahn zu.
„Gartenzwerg, Gartenzwerg! Wo ist unser Gartenzwerg?“, hörten sie hinter sich auf der Treppe jemanden mit fipsiger Stimme singen.
„Jannis!“, mit bitterbösem Blick drehte sich Emily um.
„Aylin Gartenzwerg, du brauchst mit deinen zwölf Jahren immer noch einen Kindersitz im Auto oder?“, spottete Max.
„Seid doch nicht so gemein!“, sagte Aylin verletzt, der um ein Haar die Tränen in die Augen schossen.
„Seid doch nicht so gemein!“, äffte Jannis sie nach.
„Jetzt reicht es aber! Denkt ihr, dass ihr cool seid, nur weil ihr andere beleidigt und mobbt?“, knöpfte sich Veronika die beiden Jungs vor.
„Genau, unten in der Pausenhalle steht eine Pausenaufsicht“, fügte Emily hinzu.
„Ok, wir wollen ja gar nichts gesagt haben“, war sich Jannis offenbar keiner Schuld bewusst.
„Feiglinge!“, murmelte Veronika wütend und flüsterte Aylin etwas ins Ohr, die ihr ein dankbares Lächeln zuwarf.
„Kommt, wir gehen jetzt nach draußen zu euren Freundinnen!“, stieß sie die schwere Glastür auf. „Bestimmt fragen sie sich, wo wir bleiben."
Wie immer standen die Bandenmädchen in der Nähe der alten Eiche. Lotta zeigte Annemieke und Fianna ein Handyvideo, während Mathilda und Kiki kichernd einen Fechtkampf mit ihren Plastikflaschen ausfochten.
„Meine Güte, ihr habt aber zehn Jahrhunderte gebraucht!“, verharrte Kiki mitten in der Bewegung und kassierte dabei noch einen Schlag auf den Unterarm.
„Wir mussten uns auch erst gegen ein paar dumme Jungs aus eurer Klasse verteidigen, die Aylin gehänselt haben“, antwortete Veronika prompt und stellte sich in den Mittelpunkt der Mädchengruppe, als wäre sie schon mehrere Jahre eine von ihnen.
„Hey, wer bist du?“, fragte Annemieke überrascht.
„Ich bin Veronika aus der 6b und seit kurzem Emilys Freundin“, stellte sie sich vor. „Ihr seid Emilys Freundinnen, wie ich sehe und wie ich weiß reitet ihr auch.“
„Ja, das tun wir“, antwortete Lotta leicht reserviert.
„Cool, dann werde ich mit euch allen sicherlich prima klarkommen“, fuhr Veronika enthusiastisch fort.
„Wir wissen schon eins über dich und zwar dass du pausenlos am plappern bist“, rutschte es prompt aus Mathilda heraus, die nicht davor scheute ihre Meinung lautstark kundzutun.
„Na und? Ich gebe zu, dass ich gerne rede. Aber ist das in euren Augen verkehrt?“, klang das Mädchen aus der Parallelklasse leicht beleidigt.
„Naja, merkst du vielleicht, dass du gerade das Wort an dich reißt?“, räusperte sich Fianna.
„Oh, das passiert mir schnell“, entschuldigte sich Veronika. „Bitte sagt mir das, wenn das zu extrem wird!“
„Veronika und ich sitzen in Reli nebeneinander und haben schon öfter miteinander geredet. Sie kann den Fischköppen ziemlich Paroli bieten und gerade hat sie Jannis und Max in die Schranken verwiesen, als sie Aylin geärgert haben“, klärte Emily ihre Freundinnen auf.
Veronika erzählte den Mädchen, dass sie eine genauso große Leidenschaft für Pferde hatte wie sie und versuchte in ein Gespräch über das Reiten zu verwickeln. Ohne Vorwarnung hakte sich Kiki bei Fianna und Lotta unter, drehte sich um und zehrte sie von Veronika weg. Die Zwillinge folgten ihnen Hand in Hand.
„Was ist mit denen los? Wieso hauen die einfach ab und lassen uns einfach so stehen?“, wunderte sich Veronika.
„Ich glaube, die Pause ist gleich rum“, sagte Emily nur.
„Okay, dann gehe ich auch! Oh shit, wir schreiben gleich eine Klassenarbeit und da darf ich nicht zu spät kommen. Ciao, Emily und Aylin!“, verabschiedete sie sich von den beiden Mädchen.
„Viel Glück!“, wünschte ihr Emily.
„Veronika und unsere Freundinnen passen wirklich überhaupt nicht zusammen“, bemerkte Aylin, als sie zu zweit waren. „Hast du gesehen, wie eifersüchtig Kiki reagiert hat? Zwar hat sie keine blöde Bemerkung gemacht, aber ihre Blicke sagten einfach alles.“
„Ja, sie sah wirklich nicht begeistert aus“, nickte Emily. „Und Matti rollte die ganze Zeit mit den Augen.“
„Ich finde Veronika eigentlich gar nicht mal so verkehrt, aber sie sollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen“, sagte Aylin dazu.
„Nett ist sie schon, aber sie drängt sich richtig derbe bei uns auf“, fand Emily.
„Warum schleppst du ausgerechnet diese Veronika zu uns?“, empfing Kiki Emily vor dem Klassenraum mit leicht verärgerter Miene.
„Wir konnten nichts tun, sie hängte sich einfach an uns und wir wollten sich auch nicht wegschicken, nach dem Motto: Hau ab!“, entschuldigte sich Emily.
„Oh doch, das hätte ich ihr schon gesagt. Dieses komische Mädel ist uns sogar noch ein Stück gefolgt“, erhob Mathilda ihre Stimme. „Wahrscheinlich rennt sie uns absichtlich hinterher.“
„Hat sie in ihrer eigenen Klasse keine Freundinnen?“, fragte Annemieke.
„Ich glaube, sie hängt manchmal mit drei Mädchen aus ihrer Klasse ab“, erwiderte Emily. „Aber ich glaube, dass sie mit denen nicht so ganz dicke ist. Jedenfalls wirkt es so, dass Veronika sich auch denen dranhängt.“
Mitten in der fünften Stunde traf Emily ein Papierflieger am Kopf.
„Hey, was soll das?“, schimpfte diese. Die Mädchen entdeckten die Piranhas zwischen ihren Mitschülern, die feixend in Deckung gingen. Annemieke bückte sich, hob das Flugobjekt auf und entfaltete den Zettel. Allerdings ließ sie diesen schnell in ihrem Federmäppchen verschwinden und zeigte ihn ihren Freundinnen erst nach Schulschluss.
„Schaut mal, die Fischköppe wollen uns drohen!“, raunte sie leise, als die sieben Freundinnen ihre Köpfe zusammen steckten und las die Botschaft im Flüsterton vor: „Wir wissen ganz genau, wer das mit den nassen Fußballsachen und den widerlichen Insekten war, ihr dummen Ziegen. Sollen wir eure Kaninchen noch einmal freilassen? Dann hoffen wir aber, dass sie dann ihr Leben lang in Freiheit leben!“
„Lasst uns die Blödmänner einfach ignorieren. Ich habe auf diese ganzen Kabbeleien einfach keinen Bock mehr! Dass wir uns ständig mit den Hohlköpfen weiter streiten, geht mir gewaltig auf die Nerven!“, zischte Aylin.
„Aber wir müssen die Situation schon im Auge behalten und uns verteidigen, wenn wir attackiert werden“, äußerte sich Kiki dazu und sagte: „Gegebenfalls müssen wir eine Überwachungskamera für den Schrebergarten anschaffen.“
„Oder uns einen Wachhund zulegen“, kam Fianna die Idee, worauf die Zwillinge los kicherten.
„Erstmal abwarten, ob das eventuell eine leere Drohung ist“, sagte Emily. „Ich werde Papa beauftragen, dass er uns demnächst einen höheren Zaun setzt, damit die Jungs nicht mehr so einfach drüber klettern können.“
Am übernächsten Morgen traf Emily Veronika vor dem schwarzen Brett an, als sie einen Blick auf den Vetretungsplan werfen wollte.
„Guten Morgen! Alles klar bei dir?“, hielt sie direkt auf Emily zu.
„Hi!“, grüßte Emily freundlich zurück.
„Voll blöde, dass die erst ganz plötzlich ankündigen, dass die erste Stunde ausfällt! Ich hätte noch länger schlafen können oder wenigstens meine Chemiemappe zum Lernen mitbringen können“, regte sich das Mädchen aus ihrer Parallelklasse auf.
„Tja, ist halt blöd für dich gelaufen“, zuckte Emily mit den Achseln.
„He Emily!“, plötzlich wurde sie von hinten angetickt. Hinter ihr standen die Zwillinge.
„Hey, ihr beiden!“, begrüßte Veronika sie. „Wie heißt ihr noch einmal? Sorry, ich vergesse so schnell die Namen, weil eure Clique so groß ist.“
„Hanni und Nanni“, antwortete Mathilda prompt.
„Das ist nicht euer Ernst. So heißt ihr nie und nimmer“, schüttelte Veronika den Kopf.
„Lass dich von den denen nicht veräppeln, Veronika! Das sind Annemieke und Mathilda“, wandte sich Emily an das Mädchen aus der Parallelklasse.
„Genau, ich bin Annemieke“, lächelte Annemieke zuckersüß.
„Hä ne, ich bin Annemieke!“
„Ähm ne, das bin immer noch ich.“
„Ja okay, dann bin ich Mathilda.“
„Ne, dann musst du Annemieke sein.“
„War ich nicht Annemieke?“
Kichernd wandten sich die beiden Schwestern von ihr ab. Veronika wusste zuerst nicht, was sie sagen sollte und meinte schließlich: „Ihr glaubt wohl, dass ihr das ganz witzig findet.“
„So sind die Zwillinge halt. Sie treiben gerne mit jedermann ihre Scherze“, sagte Emily.
„Merkt man“, erwiderte Veronika leicht genervt.
„Emily, komm jetzt, es klingelt gleich!“, hakte Mathilda sie unter und zog sie in Richtung Treppe.
„Hä, es klingelt doch erst in zwölf Minuten!“, wunderte sich Emily.
Mitten auf der Treppe holten sie Kiki ein.
„Ich habe euch gerade zusammen mit der Nervensäge gesehen“, sagte diese zu ihren Freundinnen.
„Ja, die fängt einen regelrecht ab und an Emily klebt sie schon seit letzter Woche. In den letzten drei Pausen drängte sie sich auch konsequent bei uns auf“, beklagte sich Annemieke halb, die ihren Arm unter den von Kiki schob.
„Irgendwann müssen wir der Klette zu verstehen geben, dass wir die Schnauze voll haben, da sie uns dauernd hinterher dackelt“, drehte sich Mathilda zu ihnen um.
„Es ist auch mega respektlos, dass sie sich einfach so zwischen uns drängen will, obwohl sie schon gemerkt haben müsste, dass wir allein wegen ihrer Aufdringlichkeit nicht mit ihr befreundet sein wollen. Eigentlich will ich nicht fies werden, aber auf andere Art und Weise versteht es Veronika nicht“, erzürnte sich Kiki.
„Vielleicht gehen wir in der nächsten Pause einfach mal in die Schülerbücherei. Bestimmt rechnet Veronika nicht damit, dass wir dort sind“, schlug Annemieke vor.
„Eigentlich bin ich lieber draußen, aber es ist trotzdem vielversprechend, wenn man nicht von Veronika oder den Piranhas genervt wird“, nickte Mathilda.
„Trotzdem müssen wir auf dem Weg zur Bücherei aufpassen, dass sie uns nicht sieht“, gab Annemieke zu bedenken.
Vor ihren Klassenraum trafen sie Lotta und Fianna.
„Ratet mal, wer uns vorhin angeplappert hat?“, eröffnete Fianna ihren Freundinnen.
„Bestimmt Veronika oder? Das ist wohl keine schwere Frage“, verengten sich Kikis dunklen Augen zu einem messerscharfen Blick.
„In der Tat, war das eine einfache Frage“, bestätigte Fianna. „Wusstet ihr, dass Veronika seit diesem Halbjahr auch in der Theatergruppe ist und auch schon ziemlich am rumnerven ist. Sie ist zu blöde, um ihre Texte auswendig zu lernen und will nur mitmachen, damit sie am Ende Applaus ernten kann. Zum Glück kenne ich Sophie aus der 5c und mit ihr zusammen gehe ich diesem aufmerksamkeitssüchtigen Geschöpf aus dem Weg.“
„Aufmerksamkeitssüchtiges Geschöpf – Du sagst es!“, nickte Annemieke.
„Wir müssen der es mal so richtig zeigen und zwar auf direktem Wege!“, schlug sich Mathilda mit der geballten Faust in die Handfläche ihrer anderen Hand.
„Es reicht schon, wenn wir sie einfach ignorieren“, wandte Lotta ein. „So haben es meine Clique und ich an meiner alten Schule auch gemacht. Man geht einfach der Nervensäge aus dem Weg und über kurz oder lang verliert sie das Interesse an uns."
„Kommt schon, so schlimm ist sie eigentlich gar nicht!“, mischte sich Aylin ein. „Nur sie passt nicht so richtig zu unserer Bande.“
„Du meinst wohl gar nicht!“, zischte Kiki. „Ihr seid immer noch meine Freundinnen und nicht die von Veronika!“
„Aber natürlich, Kiki!“, umarmte Mathilda ihre beste Freundin innig und zusammen wirbelten sie kurz umher.
„Alberner Hühnerhaufen!“, baute sich Jolanda vor ihnen auf. „Ihr denkt, dass ihr die Größten seid, nur weil ihr andere schlecht macht und über sie lästert?“
„Was geht dich das an? Musst du dich immer in die Angelegenheit anderer einmischen?“, fuhr Annemieke sie an.
„Uns ist schon länger aufgefallen, dass ihr andere ausgrenzt“, gesellte sich Tanja zu ihrer Freundin.
„Was heißt ausgrenzen?“, erwiderte Lotta. „Wir müssen doch wohl nicht mit jedem befreundet sein! Ihr seid doch auch nicht mit jedermann befreundet oder?“
„Sagt mal, wie blöde seid ihr eigentlich, dass ihr nicht versteht, worauf ich hinaus will. Ich will doch nur sagen, dass man wenigstens in der Schule auch mal mit anderen Personen reden kann als mit seinen besten Freunden und sie nicht gleich komplett abweisend behandeln muss. Werdet endlich mal ein bisschen reifer und lernt euch in der Schule zu benehmen“, rollte Tanja mit den Augen.
„Nur weil du zwei Jahre älter bist, musst du nicht denken, dass du klüger und reifer bist“, raunzte Kiki sie an.
„Eben! Ihr seid doch aber keinen Deut besser“, schritt Mathilda auf sie zu. „Ihr hänselt mich und meine Schwester, weil wir euch nicht stylisch genug gekleidet sind und Aylin, weil sie so klein ist.“
„Im Gegensatz zu euch ist Veronika echt nicht verkehrt“, sagte Saskia.
„Im Grunde ist sie das auch nicht, immerhin hat sie mich einmal vor Jannis und Max in Schutz genommen“, stellte sich Aylin plötzlich gegen ihre Bande. Nun waren ihre Freundinnen einen Moment lang sprachlos.
„Aylin!“, fauchte Kiki ungehalten.
„Wieso, ich habe doch nur gesagt was ich denke“, verteidigte sich ihre Freundin.
„Ich finde, was ihr hier manchmal treibt, grenzt an Mobbing“, fand Neele.
„Ihr mobbt doch selber andere Mitschüler!“, warf Kiki ihr an den Kopf. „Was sich meine Freundinnen von euch anhören mussten, ist unter aller Sau! Ihr benehmt euch ständig, wie die schlimmsten Zicken und euch müsste man irgendwo hin abfeuern, wo ihr nicht mehr so schnell wieder kommen könntet, ihr dummen Gänse!“
„Man müsste dich auch mal auf eine einsame Insel mitten im Nirgendwo schießen, du olle Zigeunerin!“, rutschte es ungehalten aus Saskia heraus.
„Ziiigeeeeuuuurin! Ziiiiiigeeeuuunerin!“, wie aus dem Nichts unterstützten Lennart und Max das Tussenkomitee.
„Habt ihr eine eklige und stinkende Zigeunerin gesehen, die sich nie wäscht?“, spottete Jannis, der sich zu seinen Freunden gesellte.
„Igitt, die breiten sich wie eine Insektenplage über unseren Kontinent aus!“, rümpfte Jolanda die Nase und Neele machte ein Geräusch, als müsste sie sich übergeben.
„Hat wer ein Anti-Zigeunerspray?“, setzte Jannis scherzend drauf, der den Arm um Jolanda legte. Wütend bahnte sich Kiki den Weg aus der Schülermenge, schubste dabei ein paar Mitschüler zur Seite und sprintete davon.
„Saskia, Lennart, Jolanda, Jannis und Max – Eure Namen werde ich dem Schulleiter melden, weil ihr es gewagt habt meine Freundin rassistisch zu beleidigen!“, schrie Fianna ihre Mitschüler an. Ihr Gesicht war fast so rot wie ihre Haare.
„Was seid ihr nur für Widerlinge, die andere wegen ihrer Herkunft beleidigen!“, trat Mathilda vor.
„Kiki kann nichts dafür, dass ihr Vater ein Sinti ist“, kam Lotta an Mathildas Seite.
„Wir haben das nur zu ihr gesagt, weil Kristina ihre eigene Medizin zu schmecken bekommen soll“, rechtfertigte sich Saskia.
„Trotzdem habt ihr sie schwer rassistisch beleidigt und das war schlimmer, als das was sie zu euch gesagt hat“, warf Emily ihr vor.
„Warum hat sich Kiki nicht selbst gewehrt?“, fragte Jolanda verwundert.
„Vielleicht weil ihre Herkunft ein sehr sensibles Thema für sie ist“, raunzte Annemieke sie an.
Als sich Emily kurz umdrehte, bekam sie einen kleinen Schrecken. Mit einem verheulten Gesicht stand Veronika hinter ihnen.
„Bist du uns nachgeschlichen?“, giftete Lotta sie an. Veronika atmete stockend ein, wobei ihr wieder Tränen über das Gesicht liefen.
„Ich habe mitgekriegt, wie ihr über mich gelästert habt und das ihr mich mobben wollt, um mich loszuwerden“, schniefte sie.
„Du hast unsere Frage nicht beantwortet: Warum stehst du direkt hinter uns?“, fuhr Mathilda sie barsch an.
„Mein Klassenzimmer ist auch auf diesem Flur, falls ihr das noch nicht bemerkt haben solltet. Ich wollte schauen, ob ein paar Mitschüler vor dem Raum warten und dann habe ich gehört, wie ihr meinen Namen erwähnt habt und bin ich auf der Stelle stehen geblieben. Es ist schon das zweite Gymnasium, wo mich niemand bei sich in der Clique haben will, weil ich angeblich nerve und arrogant bin“, schluchzte sie.
„Na super, wegen euch Bandenziegen weint sie jetzt. Habt ihr wirklich toll gemacht!“, funkelte Jolanda die Roten Tulpen böse an.
„Wenn die anderen dich ablehnen, dann komm doch zu uns in der Pause“, nahm Tanja Veronika in den Arm.
„Weißt du was, sei doch unsere Freundin!“, streichelte ihr Saskia über den Arm.
„Ihr Bandengirls könnt euch von Jolanda und co eine Scheibe abschneiden, immerhin sind sie sozialer als ihr“, sagte Jannis zu den Roten Tulpen.
„Wisst ihr, was überhaupt nicht sozial ist, dass niemand nach Kiki geguckt hat“, warf Annemieke ein.
„Da hat Micky vollkommen Recht“, pflichtete Emily ihrer besten Freundin bei. „Wir müssen sie jetzt suchen gehen!“
Emily und die Zwillinge mussten nicht lange suchen, Kiki stand am Waschbecken der Mädchentoilette wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und rubbelte es mit einem Papiertuch trocken.
„Kiki!“, tippte Annemieke sie von hinten an. Die drei Mädchen erschraken sich, als sie ihr puterrotes Gesicht und ihre verquollenen Augen sahen.
„Sag mal, weinst du etwa?“, fragte Mathilda fassungslos.
„Nein und jetzt geht bitte wieder! Ich will in Ruhe gelassen werden, bis ich wieder normal bin“, blaffte Kiki.
„Aber Kiki...", setzte Mathilda an.
„Raus mit euch!", fauchte Kiki. „Was ist daran nicht zu verstehen, dass ich allein sein will?"
„Hey, ganz ruhig! Atme fünfmal tief ein und wieder aus“, legte Annemieke ihrer Freundin sanft die Hand auf den Unterarm. Kiki tat wie ihr gesagt wurde und entspannte sich, wobei sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste, die sie schnell wegwischte.
„Ja, ich habe geweint“, gab sie schließlich zu. „Ich habe sonst ein dickes Fell, aber nicht bei meiner Herkunft, da bin ich wirklich sensibel.“
„Das kann ich so gut verstehen“, umarmte Mathilda sie. „Du bist wirklich eine einzigartige und tolle Freundin. Deine Herkunft spielt keine Rolle, was für ein Mensch du bist.“
„Und wir haben den Idioten gerade ordentlich die Meinung gegeigt“, fügte Emily hinzu.
„Ihr müsst euch vorstellen, dass mein Vater in Rumänien keine Zukunft hatte. Als er nach Deutschland kam, hatte er wenigstens einen Führerschein und konnte als Taxifahrer arbeiten und so hat er auch Mama kennen gelernt. Er hat sich langsam hochgearbeitet und eine Ausbildung zum Elektriker absolviert. Glaubt mir, wie sehr er diskriminiert wurde und wie lange er sich bewerben musste, damit er endlich einen Job fand und das nur wegen seiner Herkunft. Sinti und Roma hatten es noch nie leicht, ganz besonders im dritten Reich, wo sie verfolgt und ermordet wurden. Noch immer werden Sinti und Roma in vielen Ländern an den Rand gedrängt und so behandelt, als wären sie nichts wert. Dabei sind wir doch Menschen, wie wir alle“, geriet Kikis Stimme wieder ins Weinerliche. Rasch drehte sie den Wasserhahn auf und hielt ihr Gesicht drunter.
„Komm Kiki, wir müssen jetzt zum Unterricht!“, klopfte ihr Mathilda auf die Schulter.
„Nein, wartet noch einen Moment und ich will nicht, dass jeder sieht, dass ich mir wegen einer Beleidigung die Augen aus dem Kopf geheult habe“, wollte Kiki noch einen Moment auf der Mädchentoilette bleiben.
„Das war nicht nur irgendeine Beleidigung, das war eine schwere ethnische und menschenverachtende Beleidigung und an deiner Stelle hätte ich auch geheult“, meinte Annemieke, die Kikis Hand nahm und sie mit sich zog.
„Genau, ich hätte die Piranhas und die Zicken am liebsten dafür verprügelt“, sagte Mathilda.
„Guten Morgen! Setzt euch auf eure Plätze, ich weiß schon, was vorgefallen ist“, begrüßte ihre Deutschlehrerin Emily und ihre Freundinnen, als sie zehn Minuten zu spät zum Unterricht erschienen. Zu Emilys Überraschung saß Veronika auf einem Stuhl neben dem Lehrerpult.
„Diejenigen, die Kristina rassistisch beleidigt haben, wurden von mir zum Schulleiter geschickt. Generell sehe ich einen nötigen Grund über Mobbing, Ausgrenzung und auch über Rassismus zu reden. Es kann nicht sein, dass ich hier weinende und total verstörte Schüler antreffe. Die Schule ist ein Ort, wo sich unterschiedlichste Menschen begegnen und natürlich gibt es auch Konflikte. Wegen der hohen Diversität eckt man auch öfter an, das passiert sogar unter uns Lehrern. Aber ist gibt gewisse Regeln der Toleranz und des Respekts. Wir können hier nicht tolerieren, dass Schüler gemobbt, rassistisch beschimpft oder gar Gewalt erleben. Ihr seid nicht nur hier, um Lehrinhalte aus Schulbüchern zu lernen, sondern auch um als Menschen zu reifen und Konflikte angemessen zu lösen“, hielt Frau Brand der Klasse einen Vortrag.
Nun richtete sich die Deutschlehrerin an die Bandenmädchen: „Wisst ihr, wie sehr ihr Veronika mit eurem Verhalten verletzt habt? Ich sehe ebenfalls, dass ihr zu siebt eine enge Freundschaftsgruppe bildet, aber es nicht hinzunehmen, dass ihr andere Mitschüler auf dem Gelände der Schule mobbt und ausgrenzt.“
„Frau Brand, Sie wissen gar nicht, wie sehr sie sich aufgedrängt hat“, zeigte Lotta auf.
„Nun muss ich mich mal wehren“, hob Veronika an. „Ich habe mich lediglich in der Pause dazugestellt und wollte mich mit euch unterhalten, aber ihr habt mich bereits beim ersten Mal abblitzen lassen. Ich wollte mich nur dazustellen und mehr nicht.“
„Ich habe beiden Klassenlehrerinnen und der Beratungslehrerin bereits gerade eben bescheid gesagt. Es wird in der siebten und achten Stunde ein Interventionsgespräch mit allen Beteiligten geben“, teilte ihnen Frau Brand mit.
Es wurde ein langer Tag, der sich wie ein Kaugummi in die Länge zog. Erst um drei Uhr war das Interventionsgespräch beendet.
„Toll, jetzt können Micky und ich das Hockeytraining sausen lassen, weil es in einer halben Stunde anfängt“, ärgerte sich Mathilda.
„Grandios, dass Kiki, Emily, Fianna, die Zwillinge und ich zu einer Stunde Hausmeisterdienst verdonnert wurden“, schnaubte Lotta wütend. „Wenigstens haben diejenigen, die Kiki beschimpft haben, einen Tadel bekommen und ihre Eltern wurden informiert und immerhin ist Aylin verschont geblieben, weil Jolanda gerade für sie in die Bresche gesprungen ist.“
„Und wir müssen alle einen ein- bis zweiseitigen Bericht dazu schreiben, weil wir angeblich alle eine Person gemobbt haben“, kickte Fianna eine leere Müllermilchflasche beiseite.
„In gewisser Weise haben wir das auch, Mädels, und wir dürfen uns das nicht noch einmal zu Schulden kommen lassen“, mahnte Aylin ihre Freundinnen.
„Wie sollen wir anderen klarmachen, dass wir eine Bande sind?“, seufzte Kiki. „Stellt euch vor, wir würden noch zehn weitere Mädchen aufnehmen!“
„Aber dürfen wir nicht auch außerhalb der Bande Freunde haben?“, wandte Emily ein. „Ich habe noch zwei Freundinnen, die ihr nicht kennt und die wohnen bei meiner Oma in der Straße.“
„Na klar, jeder hat doch noch andere Freunde oder?“, warf Lotta in die Runde, worauf alle einstimmig nickten.
„Hey, seht mal!“, deutet Lotta auf ein buntes Plakat an der Feuerschutztür. „Bis nächsten Freitag kann man sich für den Talentwettbewerb des Schulfestes anmelden.“
„Na und? Ich wüsste nicht, wofür ich mich anmelden sollte“, zuckte Mathilda desinteressiert mit den Schultern.
„Aber Aylin kann mitmachen, sie kann grandios gut singen“, schlug Fianna vor.
„Ich! Warum ich?“, machte Aylin entsetzt einen Satz nach hinten. „Never ever!"
„Das ist wirklich keine schlechte Idee. Du kannst wirklich toll singen und wir waren alle hin und weg, als du im Musikunterricht „Moonlightshadows“ gesungen hast“, munterte Kiki sie auf und tätschelte ihre Schulter.
„Los trau dich!“, begann Emily sie zu kitzeln.
„Ahhhh, ja äh nein“, quietschte Aylin kichernd.
„Aber du hast ja noch ein paar Tage Zeit um dich zu entscheiden“, zwinkerte ihr Lotta zu. „Aber ein wenig enttäuscht wären wir, wenn du dem eine Absage erteilst.“
„Könnt ihr mich eine Nacht darüber schlafen lassen?“, sah Aylin ihre Freundinnen leicht überrumpelt an und fragte: „Was kriege ich denn von euch, wenn ich mich doch dafür anmelde?“
„Hm, vielleicht meine alte Gerte“, stellte ihr Lotta in Aussicht.
„Ihr habt doch sicher schon mitbekommen, dass am siebzehnten Mai unser Schulfest stattfindet“, sagte Herr Heinen zu der Klasse. „Eventuell können wir gemeinsam als Klasse ein englisches Volkslied vortragen.“
„Nein, Herr Heinen, das schaffe ich nicht!“, rief Julian in die Klasse. „Ich muss die ganze Zeit einen Stand für die Chemie-AG betreuen.“
In der ganzen Klasse brach ein großer Protest los.
„Wir haben gleich zwei Tanzauftritte“, mischte sich Jolanda ein. „Das wird einfach zu viel.“
„Wir haben zudem eine Stunde lang Schautraining bei der Fußball-AG“, meinten einige Jungen, zu denen auch die Piranhas gehörten.
„Überlegt es euch noch mal. Wir werden es nächste Woche entscheiden, ob wir ein Lied vortragen oder nicht“, gab sich der junge Englischlehrer beinahe geschlagen.
Emily bekam mit, wie sich Fianna ärgerte, dass das kommende Schulfest ausgerechnet auf ihren Geburtstag fiel. Leider musste sie an diesem Tag anwesend sein, da sie mit der Theater-AG ein paar Sketche aufführte.
„Wir haben Donnerstag wegen Christi Himmelfahrt frei“, munterte Lotta sie nach der Englischstunde auf. „Wir können donnerstags feiern.“
„Das ist keine schlechte Idee“, rief Kiki begeistert. „Wir könnten grillen und im Wohnwagen übernachten. Aber erstmal gehen wir alle zusammen zum Schulfest.“
„Bitte Carrot! Frage deine Eltern, ob wir in unserem Bandenquartier feiern dürfen“, bettelte Mathilda. „Das wäre so mega nice!“
„Ich werde sie heute sofort fragen, wenn sie von der Arbeit wieder da sind“, versprach Fianna und fügte hinzu: „Allerdings weiß ich nicht, ob sie mir das erlauben."
„Bettel so lange, bis sie in Ohnmacht fallen!“, rief Mathilda und zog an Fiannas Arm.
„Ich weiß es noch nicht!“, erwiderte Fianna genervt und riss sich von Mathilda los. „Ich kann es noch nicht sagen und bitte höre auf zu betteln!"
Während der Rest der Roten Tulpen über Fiannas kommenden Geburtstag diskutierten, stand Emily ein Stück abseits von ihnen und las sich die neue Nachricht ihres Vaters bereits zum dritten Mal durch. Die Worte brannten sich immer mehr und mehr in ihren Kopf ein.
„Liebe Emily, ich weiß nicht, ob dich diese Nachricht dich eher schockt oder freut. Im Sommer werden Patricia und ich heiraten. Einen genauen Termin haben wir noch nicht, aber die Hochzeit soll stattfinden, wenn du Ferien hast. Demnächst wollen wir in unser neues Haus am Stadtrand ziehen. Pat und ich haben noch viel gemeinsam vor: ideal wären Kinder, ein Hund und gemeinsame Reisen. Selbstverständlich informiere ich auch deine Mom über die bevorstehende Hochzeit. Wenn sie mag, kann sie ebenfalls kommen, sie ist auch eingeladen. Pat und ich freuen uns sehr, wenn ihr kommt. Wir müssen uns bald wieder treffen! Lg Grüße dein Paps“, schrieb er.
Emily wusste nicht, ob sie sich freuen wollte. Vor nicht einmal einem Vierteljahr ließ er Emily und Mutter im Stich. Oft kam er tagelang nicht nach Hause oder meldete sich. Mit Schaudern erinnerte sie sich an die Abende, an denen sie weinend im Bett lag und sich große Sorgen um ihn machte. Zuerst dachten ihre Mutter und sie, dass er verunglückt sei, doch es kam kein Anruf von der Polizei. Als ihre Mutter an einem Abend die Polizei anrief, stand ihr Vater plötzlich in der Wohnung. Anstatt sich zu freuen, fing sie an ihn anzuschreien und mit Vorwürfen zu bombardieren.
„Ich habe sowieso eine Neue“, sagte ihr Vater seelenruhig. Emily traf das wie einen Schlag in den Magen, mit tränenüberströmtem Gesicht schloss sie sich in ihrem Zimmer ein und hoffte, dass der nächste Tag ein besserer sein würde. Im Februar als Emily auf Klassenfahrt war, erfuhr sie, dass ihre Eltern sich trennten und ihr Vater zu seiner neuen Flamme zog.
Es dauerte fast zwei Monate bis sie ihrem Vater ansatzweise verzeihen konnte, obwohl sie ihm immer noch nicht ganz verziehen hatte. Ihre Mutter litt immer noch an Liebeskummer und heulte sich abends vor dem Fernseher die Augen aus dem Kopf. Emily war sich ziemlich sicher, dass ihre Mutter zu hundert Prozent die Einladung zur Hochzeit ablehnen wird, schließlich musste es ziemlich heftig schmerzen den Ex-Ehemann mit seiner neuen Braut zu sehen. Aus Loyalität zu ihrer Mutter war sich sie nicht sicher, ob sie die Hochzeit doch absagen wollte.
„Was ist los mit dir? Du siehst so nachdenklich“, riss Annemieke Emily aus den Gedanken.
„Nichts besonderes, nur eine langweilige SMS“, murmelte sie gleichgültig. Zwar war Annemieke ihre beste Freundin, doch im Moment konnte sie nicht einmal mit ihr darüber sprechen. Trotzdem hätte Emily am liebsten aus Dankbarkeit, dass ihre Freundin sich nach ihrer Gefühlslage erkundigte, fest umarmt.
Die Tage bis zum Schulfest gingen wie im Flug. Es wurden ziemlich viele Klassenarbeiten geschrieben und die 6a verbrachte den Wandertag an der Irmgau-Talsperre, sodass nicht mehr viel Zeit für Bandenaktivitäten übrig blieb. Schnell hatten die Freundinnen das Gefühl, dass sie über ihren Schularbeiten verrotteten. Selbst Annemieke, die sonst sehr fleißig war und viel arbeitete, stöhnte genervt und legte resigniert ihr Schulbuch zur Seite, als sie zusammen mit Emily für einen Vokabeltest übte.
Ein Test jagte den nächsten und zum Glück fühlte sich Emily gut vorbereitet, da sie zweimal pro Woche mit ihrem neuen Nachhilfelehrer Malte Englisch, Mathe und Physik paukte. Zudem sagte sie jeden Abend vor dem Schlafengehen ihr selbstgeschriebenes Freundschaftsgedicht auf, da von von ihrer Deutschlehrerin dazu überredet wurde, ihr Gedicht vor der ganzen Schule beim Schulfest vorzutragen. Bald darauf gab es eine positive Neuigkeitig: Fiannas Eltern gaben grünes Licht, sodass Fianna ihren Geburtstag im Wohnwagen feiern und auch dort übernachten durfte. Für die größte Überraschung sorgte allerdings Aylin, als diese verkündete, am Talentwettbewerb des Schulfestes teilzunehmen. Allerdings hielt sie vor allen Freundinnen geheim, welches Lied sie dort singen wird.
Am Tag vor Fiannas Geburtstag ging Emily mit Aylin nach Hause, um einen Geburtstagskuchen für Fianna zu backen. Emilys Mutter war noch immer auf der Arbeit und hatte für die Mädchen eine Reispfanne auf dem Herd stehen lassen, die nur noch aufgewärmt werden musste.
„Ich habe gestern Abend endlich meine Mutter überreden können, dass ich zu Fiannas Geburtstagsparty kommen darf“, erzählte Aylin. „Jetzt muss nur noch meinen Vater zustimmen. Sollte er es mir nicht erlauben, werde ich mich heimlich davon schleichen.“
„Warum soll er es dir nicht erlauben? Meine Mutter hat überhaupt kein Problem damit, dass ich eine Nacht woanders schlafe“, erwiderte Emily achselzuckend und rührte die Zutaten für den Teig in einer Schüssel zusammen.
„Du hast doch überhaupt keine Ahnung, wie streng meine Eltern sind“, sagte Aylin schnippisch und band ihre schwarzen Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen.
„Sie wollen mir sogar zuerst das Reiten verbieten“, fuhr sie fort. „Dabei wissen sie heute immer noch nicht, dass ich reite. Wüssten sie es, würden sie mir Hausarrest geben. Ich sage ihnen immer, dass ich jeden Freitag bei Fianna bin und mit ihr für die Schule lerne.“
Erst seit zwei Monaten nahm Aylin am Reitunterricht teil, allerdings bezahlten ihre Freundinnen ihre Reitstunden und liehen ihr die Reitkleidung. Alleine von Lotta bekam sie die Reitkappe, eine Gerte und die Reithose.
„Wären meine Eltern bloß so reich wie Lottas oder Fiannas Eltern! Dann könnten sie die Reitstunden für mich ohne Probleme bezahlen und ich müsste nicht dauernd etwas vor ihnen verschweigen “, seufzte Aylin. „Seitdem wir unsere Bande haben, verschweige ich dauernd etwas."
„Hör mal, reich sein ist nicht alles!“, widersprach ihr Emily. „Weißt du warum wir sieben beste Freundinnen sind? Garantiert nicht wegen materiellen Dingen, sondern weil wir wie Pech und Schwefel zusammenhalten.“
„Du hast Recht“, murmelte Aylin. „Freundschaft ist viel mehr wert als Geld. Weißt du was die Anderen Fianna schenken werden?“
Emily überlegte einen kurzen Moment lang: „Wir beide backen ihr einen großen Kuchen, Kiki strickt eine Mütze für sie, die Zwillinge schenken ihr eine Reitgerte und was Lotta ihr schenken wird, weiß ich noch nicht.“
Die Mädchen schoben den Kuchen in den Ofen und ließen ihn eine halbe Stunde backen. Anschließend verzierten sie den Kuchen mit Schokoladenguss, Süßigkeiten und zwölf Kerzen. Aylin legte zudem noch eine Flasche Nagellack obendrauf.
Am Nachmittag des nächsten Tages fand das Schulfest statt. Vor ihren Auftritten waren Emily und Aylin ziemlich aufgeregt, da beide am Talentwettbewerb teilnahmen, der von der Oberstufe organisiert wurde.
„Herzlich willkommen meine Damen und Herren, liebe Schüler und Schülerinnen!“, hielt Regina, die Schulsprecherin die Eröffnungsrede. „Für den heutige Tag haben viele Schüler entweder ein Lied, ein Gedicht oder eine andere Nummer einstudiert, die sie euch heute mit Begeisterung präsentieren wollen.“
Eugenia und Marcel, die Moderatoren des Talentwettbewerbes, übernahmen die Leitung.
„Als erstes kommt Emily Heuberger aus der 6a auf die Bühne. Sie wird uns ihr selbst geschriebenes Gedicht präsentieren, für welches sie im Deutschunterricht die Note Eins bekommen hat“, moderierte Marcel Emilys Auftritt an. Eltern, Lehrer, Schüler und übrigen Besucher fingen an eifrig Beifall zu klatschen. Marcel gab Emily sein Mikrofon und der Spot wurde auf sie gerichtet. Plötzlich wurde ihr im Scheinwerferlicht ganz heiß und sie begann etwas zu schwitzen. Mit ihren Augen scannte sie das Publikum. Sie sah alle ihre Freundinnen, die ihr zujubelten und ihren Vater mit Patricia. Emily holte tief Luft und begann langsam mit Gefühl ihr Gedicht vorzutragen.
Als sie merkte, dass es gut klappte, fühlte sie sich federleicht. Dennoch hakte es kurz an einer Stelle, wie aus dem nichts kam Aylin auf die Bühne gerannt und hielt ihre Hand.
„Gemeinsam gehen wir Hand in Hand und knüpfen somit unser Freundschaftsband“, fuhr Emily fort und konnte den Rest auch noch ohne Probleme aufsagen.
„Sehr gut gemacht, Emily!“, lobte Eugenia. „Dieses Gedicht hat uns wirklich tief berührt, denn Freundschaft ist einfach echt wichtig!“
Das Publikum klatschte begeistert, während sich Emily und Aylin kurz verbeugten und von der Bühne abtraten.
„Danke, Aylin! Du bist genial“, bedankte sich Emily und umarmte ihre Freundin. „Ohne dich, hätte ich mich vor der ganzen Schule blamiert.“
„Kein Ding!“, zwinkerte Aylin. „Das gleiche würdest du bestimmt auch bei mir machen.“
Gut gelaunt mischten sich die beiden Freundinnen Hand in Hand unter die Zuschauer.
Nun kam eine Siebtklässlerin an die Reihe, die perfekt turnen konnte. Auf der Bühne schlug sie mehrere Purzelbäume, Saltos und Räder hintereinander. Ihren Auftritt krönte sie zum Schluss mit einem Handstand.
„Alexandra, du hast uns vom Hocker gerissen!“, jubelte Eugenia. Die Zuschauer hörten nicht auf zu applaudieren und verlangten eine Zugabe.
„Ich glaube, du hast jetzt schon ernstzunehmende Konkurrenz“, wisperte Aylin und Emily nickte nur. Sie beobachtete wie eine Fünftklässlerin namens Claire verzweifelt ihren Hund zu Kunststücken animieren wollte.
„Nein, Sam!“, rief sie. „Das Leckerli gibt es erst, wenn du den Parcour durchlaufen hast!“
Der Hund ging keinen Schritt weiter und das kleine Mädchen zog wütend an seinem Halsband.
„Du blöder Hund!“, schimpfte sie und war außer sich. Durch die Lautsprecher wurde der Schall über das ganze Schulgelände getragen.
„Mir tut das kleine Mädchen leid“, bemerkte Emily. „Dieser dämliche Köter ruiniert ihr den ganzen Auftritt.“
Mittlerweile hatte Sam die Leckerlis gerochen, die sein Frauchen in der Hosentasche versteckt hatte.
„Aaahh, hör auf meinen Hintern abzulecken!“, schrie Claire außer sich und wurde knallrot im Gesicht. Wenig später rannte das Mädchen in Tränen aufgelöst von der Bühne.
Bald war Aylin an der Reihe. Emily hüpfte auf und ab, winkte Aylin zu und jubelte laut. Offensichtlich wirkte das auf die anderen Zuschauer ansteckend. Noch bevor Aylin anfing zu singen, tobte der ganze Schulhof.
„Vielleicht haben wir hier den neuen Superstar von morgen: Hier ist Aylin Yilmaz aus der 6a!“, moderierte Marcel und die Menschenmenge jubelte erneut. Selbstbewusst und locker schritt Aylin auf die Bühne und warf ihre langen Haare über die Schulter. Die Musik ertönte, Aylin wippte gelassen im Takt mit und begann zu singen. Emily tanzte mit und winkte Aylin zu. Wie ein richtiger Superstar tanzte sie und ließ ihre langen Haare fliegen. Sie wirkte längst nicht mehr wie ein kleines schüchterndes Schulmädchen, welches sie sonst immer war.
„Bestimmt kann sie sich bald mit Lady Gaga, Beyonce und Katy Perry messen“, dachte Emily begeistert. Als das Lied zu Ende war, schrieen die Menschen vor Begeisterung und der Applaus wollte nicht abbranden. Aylin musste sich mehrmals verbeugen.
„Super Aylin, du hast die ganze Schule gerockt!“, lautete Eugenias Statement und wieder brandete Beifall auf. Direkt nach Aylins Auftritt kam Elias, ein Jongleur aus der achten Klasse, an die Reihe.
„Er wird sicher eine ernstzunehmende Konkurrenz für mich und Aylin sein“, dachte Emily und steuerte lächelnd mit Aylin auf ihre Freundinnen zu.
„Ihr seid klasse gewesen!“, rief Kiki begeistert und fiel beiden Freundinnen gleichzeitig um den Hals.
„Aylin, du kannst die Schule ruhig noch einmal rocken!“, jubelte Lotta. „Hast du gesehen, wie wir zu deinem Song getanzt haben?“
„Na klar!“, nickte Aylin. „Ich habe auf der Bühne gestanden und gesungen, aber trotzdem hatte ich euch alle sehr gut im Blick.“
„Du musst heute unbedingt noch mal singen“, meinte Annemieke. „Du hast so eine schöne Stimme!“
„He Lily, schau mal, wer hinter dir steht!“, zupfte Mathilda Emily am Ärmel. „Ist das nicht dein Vater?“
Emily drehte sich um.
„Hallo Liebling!“, rief ihr Vater und umarmte sie. „Dein Gedicht war einfach weltklasse!“
„Danke!“, murmelte Emily.
„Da kann ich deinem Vater nur zustimmen. Das Gedicht hat mir auch sehr gut gefallen“, meldete sich Patricia zu Wort. „Könnte ich dein Gedicht haben? Ich bin nämlich Deutschlehrerin an der Wirtschaftsschule im Nachbarort.“
Es war das allererste Mal, dass Patricia persönlich mit ihr sprach.
„Meinetwegen, können Sie es gerne haben“, erwiderte Emily überrascht. „Ich habe sogar eine Kopie, die ich Ihnen geben kann.“
„Vielen Dank! Du brauchst mich nicht siezen, sag ruhig Patricia zu mir“, sagte die Freundin ihres Vaters und lächelte freundlich. Plötzlich spürte Emily, dass sie doch Patricia gar nicht so blöd fand. Papas neue Freundin mochte zwar der Grund gewesen sein, weshalb ihr Vater sie und ihre Mutter verließ, aber trotzdem war seine neue Freundin freundlich und angenehm. Sie unterhielt sich einen weiteren Moment mit Patricia, bis sie zusammen mit ihren Freundinnen in die Aula gingen, um Fiannas Auftritt mit der Theater-AG nicht zu verpassen.
„Du hast wirklich die Freundin deines Vaters richtig gehasst?“, fragte Annemieke im Treppenhaus ungläubig.
„Ja, das habe ich schon“, gab Emily zu. „Aber ich habe sie zuvor nur aus der Ferne gesehen und noch nie mit ihr geredet.“
„Sie scheint auf dem ersten Blick ganz nett zu sein“, war Annemieke der Meinung.
Als Emily mit ihren Freundinnen sich in die erste Reihe der Aula setzen wollte, stürmte Fianna freudestrahlend auf ihre Bandenschwestern zu.
„Gott sei Dank! Ihr seid noch gekommen!“, sagte sie erleichtert. „Ich dachte, ich müsste ohne euch auftreten.“
„Aber dafür hast du die tollen Auftritte von Aylin und Emily verpasst“, sagte Mathilda.
„Das macht nichts!“, warf Lotta ein. „Ich habe beide Auftritte mit meinem Handy gefilmt.“
„Da bin ich aber erleichtert!“, rief Fianna, „Ich muss hinter die Kulisse, wir sehen uns nachher! Unser Auftritt fängt in wenigen Minuten an.“
Fianna verschwand hinter der Bühne. Die Theater-AG zeigte einen bekannten Sketch, in dem Fianna einen traurigen Clown spielte, der seinen unsichtbaren Hund suchte.
„Carrot hat echt Talent“, fand Aylin lachend. „Sie sollte später Komikerin werden und im Fernsehen auftreten.“
Emily nickte und auch sie war der Meinung, dass es Fianna wirklich drauf hatte.
„Wollen wir nicht nächstes Jahr auch in die Theater-AG eintreten, wenn sie so tolle Sachen machen?“, schlug Annmieke mit leuchtenden Augen vor.
„Hm… Theater und ich? Da treffen zwei Welten aufeinander“, meinte ihre Zwillingsschwester. „Aber Emily sollte unbedingt der Theater-AG beitreten, denn sie kann echt gut frei sprechen!“
„Ich werde bestimmt auch beitreten“, meinte Lotta. „Schließlich habe ich in meiner alten Schule ein Jahr lang Theater gespielt.“
„Du wärst echt eine gute Verstärkung, Lily“, fand Fianna. „Wir brauchen noch unbedingt ein paar Schauspieler, wir sind gerade mal fünf Leute und das ist echt zu wenig.“
„Hey, Leute warum wartet ihr solange?“, fragte Mathilda ungeduldig. „Die Siegerehrung für den Talentwettbewerb fängt gleich an.“
Hastig eilten die sieben Freundinnen auf den Schulhof. Sie waren sogar wenige Minuten zu spät.
„Schön, dass ihr hier seid! Ihr seid bestimmt schon gespannt, wer unseren Talentwettbewerb gewonnen hat“, rief Marcel in sein Mikrofon. Die Zuschauer jubelten und klatschten was das Zeug hielt.
„Wir beginnen mit Platz fünf“, fuhr Eugenia fort. „Den fünften Platz belegt Ismael Petrov aus der Klasse 10a.“
Ein großer kräftiger Junge kam auf die Bühne und bekam eine Urkunde überreicht.
„Der vierte Platz geht an Elias Heinemann aus der Klasse 8c“, verkündete Marcel und gab dem Jungen eine Urkunde.
„Jetzt wird es spannend“, sagte Eugenia und machte eine kleine Pause: „Nun fragt ihr euch sicherlich, wer es auf die ersten drei Ränge geschafft hat?“
„Alex, Alex, Alex!“, schrie der siebte Jahrgang.
„Dritte ist Emily Heuberger aus der 6a und somit hat sie die Bronzemedaille gewonnen“, rief Marcel.
Emilys Freundinnen fingen an zu jubeln und schlossen sie in eine Gruppenumarmung ein.
„Wir können gleich weiter feiern“, sagte Emily zu ihren Bandenschwestern. „Ich muss eben auf die Bühne!“
Sie drängelte sich durch die Menschenmassen und trat neben Eugenia auf die Bühne. Marcel hängte ihr die Bronzemedaille um den Hals.
„Die Silbermedaille geht an Alexandra Meinert aus der 7b“, verkündete Eugenia.
„Die Siegerin und die Goldmedaillengewinnerin ist Aylin Yilmaz aus der 6a“, rief Marcel. Das Publikum tobte und klatschte pausenlos Beifall.
„Willst du deinen Song noch einmal präsentieren, Aylin?“, fragte Eugenia und Aylin nickte. Die Musik ertönte und Aylin sang ihren Song noch einmal.
„Zugabe, Zugabe, Zugabe, Zugabe, Zugabe!“, johlte das Publikum und hörte nicht auf zu klatschen. Aylin verbeugte sich ziemlich oft, aber trotzdem applaudierten die Menschen lange weiter.
„Du hast zurecht den Wettbewerb gewonnen, Aylin. Ich kann lange nicht so gut und betont singen wie du“, sagte Fianna begeistert. „Du musst diesen Song auf meiner Geburtstagsfeier noch einmal singen!“
„Das werde ich auf jeden Fall tun“, nickte Aylin. „Versprochen ist versprochen!“
„Wer will diesen Doppeltriumph mit einer großen Eiswaffel feiern?“, fragte Mathilda gutgelaunt in die Runde.
„Das haben wir uns jetzt alle verdient, obwohl ich immer noch auf Diät bin“, fand Emily.
„Ich glaube, du kannst deine Diät für heute vergessen, Lily!“, sagte Annemieke kichernd. „Später auf Fiannas Geburtstagsparty wird es sowieso noch ordentlich was zu essen geben.“
Die Zwillinge hakten sich bei Emily und Aylin unter. Während Lotta, Kiki und Fianna es ihnen gleich taten. Gemeinsam schlenderten sie zum Eisstand und bestellten sich dreimal ein großes Schokoladeneis und vier Vanilleeise. Hinter ihnen stand Veronika zusammen mit Jolanda, Saskia und einem Mädchen aus der Parallelklasse an, dessen Namen Emily entfallen war. Als Veronika die Bandenmädchen bemerkte, warf sie ihnen einen abschätzigen Blick zu, aber sagte sonst nichts.
„Lasst uns auf den Doppelsieg anstoßen!“, triumphierte Kiki und als die Mädchen mit ihren Eiswaffeln anstießen wurde gekichert, da es ziemlich ulkig aussah. Emily war kein bisschen enttäuscht, dass sie nicht gewonnen hatte, sondern sie war sehr stolz auf Aylin und konnte sich selber über ihren dritten Platz freuen.
Emily war nicht die erste, die ihr Fahrrad hinter dem Gartentor abgestellt hatte. Es standen mindestens ein Dutzend Fahrräder neben der Dornenhecke und schon vom weitem war die Musik zu hören. Nach dem Schulfest war sie schnell nach Hause geradelt, um ihre Zahnputzsachen, ihren Pyjama, ein Kissen und einen Schlafsack mitzunehmen. Nun war sie etwas zu spät, obwohl sie sich auf ihrem Fahrrad gesputet hatte. Der Geruch von Holzkohle stieg in ihre Nase und sie hörte die Stimmen ihrer Freundinnen, allerdings erkannte sie auch vier Jungs.
„Der letzte Gast ist da, die Party kann beginnen!“, rief Mathilda laut und rannte einmal quer durch den Garten.
„Wer sind die Jungs?“, fragte Emily verwirrt.
„Ich habe meinem Bruder und seinen Freunden versprochen, dass sie an der Party teilnehmen dürfen“, meinte Fianna und begann die Jungs vorzustellen: „Das ist mein Zwillingsbruder Tom. Der große Junge mit der Brille ist Moritz, daneben steht Paul und der Junge mit den hellblonden Haaren heißt Jannik.“
Tom hatte kein bisschen Ähnlichkeit mit seiner Schwester, er ein Stück größer als sie und hatte keine roten, sondern dunkelblonde Haare.
„Wir sind zwei zweieiige Zwillinge, wie ihr euch denken könnt“, erklärte Tom seinen Freunden.
„Die Würstchen sind fertig!“, riefen Paul und Moritz. „Ihr könnt euch hinsetzen!“
Die Kids setzten sich auf drei große Picknickdecken, da es nicht genügend Stühle für alle gab.
„Hach! Könnte nicht jeder Tag so ein Schöner sein?“, schwärmte Fianna, lehnte sich gegen Emilys Schulter und schaute in den wolkenlosen Himmel. Es war noch immer ziemlich warm und die Partygäste liefen immer noch in T-Shirts und kurzen Hosen durch die Gegend.
„Kann ich bitte die Cola haben?“, fragte Lotta beim Essen.
„Bitteschön!“, grinste Mathilda und prompt kam Lotta eine Colafontäne entgegen, als sie die Flasche öffnete.
„Aaahh, wer hat die Cola geschüttelt?!“, kreischte Lotta und tupfte sich mit einer Servierte trocken.
„Ich jedenfalls nicht, Lotta“, erwiderte Mathilda mit engelssanfter Stimme.
„Soll ich dir das wirklich glauben?!“, fragte Lotta leise und bedrohlich.
„Nein, glaub ihr das nicht!“, mischte sich Annemieke ein. „Sie hat schon einen ganzen Augenblick darauf gewartet, bis sie ein Opfer findet.“
Für diese Bemerkung bekam sie von ihrer Schwester so einen heftigen Rippenstoß, dass sie ihre Bratwurst in ihr Getränk fallen ließ.
„Mathilda, du bist der größte Honk, den ich kenne!“, schimpfte Annemieke und fischte mit einem angeekelten Blick die Bratwurst aus ihrer Fanta.
„Seid ihr eigentlich alle so frech und habt so eine große Klappe?“, fragte Jannik.
„Pass auf, was du sagst!“, knurrten Kiki und Mathilda gleichzeitig. „Nein, nein! Er wollte euch nicht provozieren“, beschwichtigte Paul die Mädchen. „Wie ich sehe, seid ihr eine echt lebhafte und coole Mädchenbande. Habt ihr schon richtige Abenteuer erlebt?“
„Auf unserer Klassenfahrt im Februar sind Mathilda und Lotta bei einem Ausflug, in eine Felsspalte gefallen. Zuerst hat sich Mathilda unerlaubterweise von der Gruppe entfernt und ist dabei in eine Felsspalte gestürzt. Schließlich bekam Lotta Platzangst und ist in die Richtung gelaufen, aus der wir kamen. Ich bin ihr gefolgt, weil ich nicht wollte, dass sie sich alleine verirrt. Plötzlich hörten wir eine Person verzweifelt nach Hilfe schreien. Auf einmal rutschte Lotte aus und fiel in die Tiefe. In der gleichen Höhle saß auch Mathilda. Beide hatten panische Angst und ich wusste zuerst nicht, wie ich ihnen helfen sollte. Ich habe selber laut nach Hilfe gerufen, bis ich unseren Sportlehrer Herr Loh gefunden habe. Er hat mit ein paar Jungs unsere beiden Freundinnen gerettet“, erzählte Kiki den Jungs mit leuchtenden Augen.
„Du hast noch gar nichts von der Fehde zwischen uns und den Piranhas erzählt“, warf Fianna ein. „Wir mögen diese Jungs nun mal gar nicht und deshalb spielen wir ihnen gerne Streiche. Doch leider ärgern sie uns auch gerne. Letztens haben sie unsere Kaninchen freigelassen.“
„Das traue ich den Spackos zu“, rief Moritz.
„Jannis ist sowieso der größte Angeber auf der Welt“, meinte Tom. „Letztens haben wir gegen seine Mannschaft gewonnen, wobei er prophezeit hat, dass sein Team haushoch gewinnt.“
„Alleine ich habe gegen diese Idioten zwei Tore geschossen und insgesamt haben wir sieben Treffer erzielt und die nur drei“, erzählte Jannik. „Dieser Michael, der bei denen im Tor steht, ist so fett, dass er rein gar nichts hält. Wenn er mal einen Schuss hält, prallt er entweder von seinem Pferdehintern oder seiner dicken Wampe ab.“
Die Mädchen fingen an zu lachen.
„Du findest genau die richtigen Worte, um Michael zu beschreiben“, kicherte Lotta.
„Max ist das neuste Mitglied bei denen“, fiel Kiki ein. „Er ist zwar groß und stark, aber hat dafür keinen Funken Verstand.“
Nach dem Essen überreichten die Freundinnen Fianna ihre Geschenke, die das Geburtstagskind mit leuchtenden Augen auspackte. Lottas Geschenk sparte sie sich bis zum Schluss auf.
„Wow, sieben Tischsets mit unseren Gesichtern drauf“, rief Fianna begeistert. „Cool, jetzt haben wir alle ein eigenes Set. Danke Lotta!"
„Das ist ja mein Set!“, griff sich Mathilda ihres. „Alerdings sehe ich auf diesem Photo ziemlich blöd aus. Manno, ich grinse da so schief.“
„Was ist mit uns?“, fragte Tom mit großen Augen. „Gehen wir leer aus?“
„Na, du hast deine Geschenke schon gehabt!“, knuffte ihn seine Schwester in die Seite. Langsam wurde es dunkel und der Mond ging auf. Kiki und Tom zündeten ein paar Fackeln und mehrere Lampions, die an einer Schnur hingen, an. Der Garten sah im Fackelschein ganz anders aus als sonst. Fianna fand, dass der Garten viel gemütlicher und abenteuerlicher aussah, als bei Tag und außerdem passte das Zirpen der Grillen perfekt zu dieser frühsommerlichen Nacht.
„Wollt ihr noch eine Runde tanzen?“, rief Paul und drehte die Musik lauter.
„Jaaaa!“, riefen die Partygäste begeistert und begannen wild zu tanzen.
„Machen wir nicht zu viel Lärm?“, fragte Aylin besorgt.
„Mach dir mal keine Sorge“, meinte Kiki. „Es ist sowieso außer uns niemand anwesend und deshalb dürfen wir richtig die Sau raus lassen.“
Jannik merkte nicht, dass er auf einem der Beete tanzte.
„Vorsichtig, du läufst gerade durch unser Gemüsebeet!“, rief Annemieke warnend.
„Sorry, das wollte ich echt nicht“, entschuldigte sich Jannik ehrlich. „Ich habe in der Dunkelheit nicht gesehen, dass hier das Gemüsebeet ist.“
„Das macht nichts!“, drehte sich Emily zu dem Jungen um. „Die Piranhas haben dieses Beet schon viel schlimmer verwüstet und um die paar Pflänzchen, die du zertreten hast, ist es auch nicht schade.“
„Da bin ich aber beruhigt“, sagte Jannik erleichtert.
„Es ist kurz vor Mitternacht“, bemerkte Kiki plötzlich. „Wer geht mit mir noch eine Runde durch die Schrebergartensiedlung? Vielleicht sehen wir ja Glühwürmchen.“
Sofort meldeten sich Lotta, Emily, Annemieke und Fianna. Auch Paul und Jannik wollten mitmachen, aber Aylin und Moritz hatten keine große Lust dazu.
„Wo ist meine Schwester geblieben?“, fragte Annemieke etwas besorgt. „Hoffentlich ist sie nicht auf die blöde Idee gekommen, alleine durch die finstere Schrebergartensiedlung zu irren.“
„Ich kann es dir leider nicht sagen“, zuckte Lotta mit den Achseln. In der Dunkelheit fiel Emily nicht auf, dass sich zwei der Kinder sich in den Wohnwagen zurückgezogen hatten. Kiki führte ihre Freunde aus dem Garten hinaus und ging mit ihnen den Weg auf und ab.
„Nur noch eine Minute“, flüsterte Kiki. „Und die Schrebergartengeister tauchen auf. Macht euch auf etwas gefasst!“
„Ich kann ihnen meinen Flummi an den Kopf werfen“, scherzte Paul.
„Haha, davor hat doch kein Gespenst Angst“, knuffte Jannik seinen Kumpel in die Seite.
„Psst! Seid leise!“, flüsterte Kiki und legte den Zeigefinger auf ihren Mund.
„Achtung, da kommen sie!“, wisperte Lotta. „Macht euch zum Angriff bereit!“
Emily leuchtete mit ihrer Taschenlampe auf zwei Gestalten, die in weißen Gewänder eingehüllt waren und schaurig heulten. Im ersten Moment lief Emily ein kalter Schauer über den Rücken. Die Geister sahen in der Dunkelheit täuschend echt aus.
„Die Geisterjagd ist eröffnet!“, rief Kiki laut und ihre Freunde stürzten sich auf die beiden Gestalten.
„Macht sie kalt!“, feuerte Emily ihre Freunde an und betrachtete das Geschehen aus der Entfernung. Schnell rissen die Kinder den Geistern die Gewänder vom Leib und hielten sie fest. Paul, Jannik und Fianna hielten Tom als ersten Geist fest. Lotta, Annemieke und Kiki rissen mit aller Macht dem zweiten Geist das Gewand herunter. Plötzlich begann Annemieke laut zu lachen: „Ach, du warst das Gespenst, Schwesterherz! Ich habe gedacht, du erkundest auf eigene Faust die Schrebergartensiedlung.“
„Ne, im Dunkeln kann ich darauf verzichten“, meinte Mathilda. „Dafür habe ich mich nett mit Tom unterhalten. Er ist ein total freundlicher Junge.“
„Seit wann findest du mal einen Jungen "nett"?“, fragte Kiki spitz. „Muss ich mich Sorgen um dich machen?"
„Öhm…Ich weiß es selber nicht“, überlegte Mathilda.
„Bestimmt hat Matti vor Verlegenheit ne knallrote Birne", raunte Lotta Emily zu.
Nach der Geisterjagd verabschiedeten die Mädchen Tom und seine Freunde. Lotta und Kiki löschten alle Fackeln und Kerzen, die noch brannten.
„Wer will eure sensationellen Auftritte sehen?“, fragte Lotta. „Ich habe auf dem Schulfest die Auftritte von Aylin und Emily gefilmt.“
Sofort beugten sich sieben Köpfe über das Smartphone.
„Sie hat zurecht den ersten Platz beim Talentwettbewerb gemacht“, sagte Mathilda und seufzte: „Wenn ich bloß halb so gut singen könnte!“
„Du und singen? Ich kriege schon Ohrenkrebs, wenn ich dich unter der Dusche singen höre“, neckte Annemieke ihre Schwester. Mathilda war zu müde, um ihrem Zwilling eine passende Bemerkung an den Kopf zu werfen.
„Ich glaube, wir sollen lieber ins Bett gehen!“, gähnte Fianna. „Mir fallen jetzt schon die Augen zu.“
„Ich will unbedingt rein, hier draußen ist es ganz schön kalt geworden“, murmelte Lotta zitternd. Schnell zogen die Freundinnen ihre Pyjamas an und legten sich zum Schlafen hin. Es war allerdings sehr eng und stickig in dem kleinen Schlafraum, sodass die Mädchen das Fenster aufreißen mussten, damit sie überhaupt atmen konnten.
Emily war froh, dass sie sich mit Lotta eine breite Luftmatratze im Wohraum teilte. Dort war es nicht so eng wie in dem Schlafzimmer, in dem es fünf Schlafkojen gab. Die Tür zwischen Schlaf- und Wohnraum war einen Spalt breit geöffnet, damit sich die Freundinnen ohne Probleme unterhalten konnten.
„Wenn mich eins stört, dann ist es die harte Matratze und die schlechte Luft hier drinnen“, klagte Aylin. „Ich weiß nicht, ob ich hier ein Auge zu bekomme.“
„Ich finde es hier jedenfalls sehr gemütlich“, murmelte Kiki zufrieden.
„Mädels, könnt bitte etwas lauter reden!“, rief Lotta. „Ich verstehe kein einziges Wort von dem was ihr sagt und dadurch fühlen Emily und ich uns ausgeschlossen.“
„Jaaaaa!“, rief Mathilda so laut, dass die Mädchen erschrocken zusammenzuckten.
„Schrei nicht so laut, sonst falle ich noch aus dem Bett!“, hörte Emily Annemieke sagen. Die Freundinnen unterhielten sich noch lange, bis sie eine Kirchturmuhr in der Ferne drei Uhr schlagen hörten. Emily rollte sich zusammen und kuschelte sich in ihren Schlafsack, aber einschlafen konnte sie trotzdem nicht. Immer wieder versuchte sie es mit Schäfchenzählen und Zehengymnastik, aber davon wurde sie auch nicht müde. Lotta lag fest schlafend neben ihr und atmete regelmäßig.
Plötzlich lief Jemand durch den Wohnraum. Emily erkannte, dass es Fianna war.
„Wohin gehst du?“, flüsterte Emily.
„Ich kann nicht einschlafen“, wisperte Fianna. „Wir haben eine Mücke im Schlafzimmer, die immer um meinen Kopf kreist und mich nervt.“
„Ich kann auch nicht schlafen“, flüsterte Emily. „Ich finde es hier irgendwie viel zu eng.“
Emily und Fianna zogen sich ihre Jacken und Schuhe an. Sie setzten sich auf die kleine Bank hinter dem Wohnwagen und unterhielten sich leise.
„Ich bin überglücklich, dass ich endlich so viele tolle Freundinnen gefunden habe“, sagte Fianna zu Emily. „Zuvor hatte ich eigentlich nur Aylin als richtige Freundin und habe dafür viel mehr mit Tom und seinen Jungs gemacht. Zugegeben mochte ich Kiki früher nicht besonders, sie ging mir immer auf die Nerven, weil sie immer das letzte Wort hatte. Mathilda war mir immer etwas zu vorlaut, genauso wie ihre Schwester manchmal auch. Mittlerweile mag ich sie trotzdem sehr gerne. Lotta mochte ich schon von Anfang an, aber bei dir hätte ich nie gedacht, dass du so viele coole Ideen hast.“
„Dass ausgerechnet wir mal eine Bande gründen, hätte ich nie im Leben gedacht“, flüsterte Emily. „Wir sind sieben total verschiedene Mädchen. Sogar die Zwillinge sind in bestimmten Dingen unterschiedlich wie Tag und Nacht.“
„Bloß weil man Zwilling ist, muss man nicht gleich sein“, erwiderte Fianna. „Mein Bruder und ich sind auch total unterschiedlich. Mich hat es sogar aufgeregt, wenn uns die Lehrer in der Grundschule uns nur die Zwillinge genannt haben, aber später bin ich auf das Gymnasium gegangen und mein Bruder eine Realschule, ab da hat sich das geändert. Seitdem fühle ich mich mehr wie ein eigenständiges Mädchen. Einfach Fianna, die ihre eigenen Freundinnen hat.“
Nach dem sich die beiden Mädchen eine Weile unterhalten haben, gingen sie wieder rein und kuschelten sich in ihre Schlafsäcke. Diesmal schlief Emily ziemlich schnell ein und träumte von neuen Abenteuern den Roten Tulpen.
Eintrag vom 21. Mai: Ich habe gute Chancen in die 7.Klasse versetzt zu werden!
Ich werde sehr wahrscheinlich in die siebte Klasse versetzt. Zumindest ist Frau Schellhardt da sehr zuversichtlich und teilte mir dies am Freitag mit. Sie verriet mir auch, dass ich im letzten Mathetest eine Zwei plus geschrieben habe. Eine Zwei plus! Das muss man sich mal vorstellen! Aber eigentlich ist es Maltes Verdienst, genauso wie von Micky. Seit Malte mir Nachhilfe gibt, komme ich im Unterricht viel besser mit und für das Physikreferat habe ich sogar eine Eins bekommen. Micky und ich machen jeden Montag zusammen die Hausaufgaben und sie erklärt mir Mathe sogar noch besser als Malte. Juhuu, ich kann weiterhin mit meinen besten Freundinnen die Schule besuchen und ich werde mich nächstes Schuljahr ziemlich reinhängen. Schließlich will ich später mit Kiki und den Zwillingen zur Uni. Zwar werde ich in wahrscheinlich Englisch und Geographie eine Vier kriegen, aber das ist nicht so schlimm, da ich in den anderen Fächern Zweien und Dreien habe. In Deutsch und Religion stehe ich gerade sogar auf Eins und daher wird mein Zeugnis doch nicht ganz so schlecht.
Ich bin richtig erleichtert, dass ich es geschafft habe, wovon ich nicht zu träumen wagte. In der letzten Zeit hatte ich immer wieder mit meinen ganzen Problemen zu kämpfen: die Trennung von meinen Eltern, schlechte Noten und geringes Selbstwertgefühl wegen meiner überflüssigen Pfunde. Ich wurde in meiner alten Klasse ziemlich gehänselt, weil ich pummelig und schüchtern war, deswegen hatte ich für eine gewisse Zeit keine Freunde. Erst als ich in diese Klasse kam, fand ich endlich gute Freundinnen und fühle mich endlich pudelwohl. Auf keinen Fall würde ich diese Klasse freiwillig verlassen und auf eine Realschule gehen. Dort müsste ich neu anfangen und neue Freunde finden, ob die mich dort akzeptieren, ist halt so eine Frage. Gott sei Dank, ich bin immer noch da, wo ich hingehöre!
Hätte ich nicht meine Mutter, meine Katze Enya und meine besten Freundinnen gehabt, wüsste ich nicht, ob ich die Versetzung geschafft hätte und jemals einigermaßen glücklich geworden wäre. Die Trennung meiner Eltern und mein geringes Selbstwertgefühl haben mir doch ziemlich zugesetzt. Deswegen bin ich mehr als dankbar, dass ich meine Bandenschwestern habe, die alle auf ihre Weise verdammt klasse sind.
Meine allerbeste Freundin ist aber immer noch Annemieke, da sie die beste Zuhörerin der Welt ist und man ihr jedes Geheimnis anvertrauen kann, ohne dass sie es gleich weiter erzählt. Nur ihr habe ich erzählt, dass mein Papa und Patricia heiraten werden. In den Sommerferien fahre ich alleine mit meinem Vater für eine Woche nach Ameland, dort wollen wir eine Inselrundfahrt mit dem Fahrrad machen. Ich hoffe, dass ich dort meinen neuen supercoolen Bikini einweihen kann. Gestern war ich mit Aylin und Lotta in der Stadt und dort habe ich ihn mir gekauft, vor allem auf Lottas stylistische Beratung kann man sich echt gut verlassen. Ich habe in den letzten Monaten einige Kilos verloren und bin nur zwei Kilo über dem Normalgewicht. Die Sommersaison kann ruhig eröffnet werden!
Hier nochmal ein Foto von Aylins sensationellen Auftritt beim Schulfest. Ich muss sagen, dass ich immer noch mega stolz auf sie bin und sie zurecht den Talentwettbewerb gewonnen hat.
Zutatenliste:
So geht’s
Zuerst mischt ihr den Apfelsaft mit dem Mineralwasser, zu empfehlen ist ein Mischverhältnis 1:1. Dann gibt ihr entweder die Zitronenscheiben oder ein paar Spritzer Zitronensaft hinzu. Beim Waldmeister die Stiele entfernen und genauso wie die gepflückten Kräuter vorher unter fließendem Wasser kurz abwaschen. Die Waldmeisterblätter und die Kräuter in ein Teesieb (oder Filter) geben, dieses wird in die Kanne mit der Apfelsaftschorle gehängt. Wer mag, kann noch einen Schuss Holunderblütensirup hinzugeben. Nun muss der Zaubertrank ca. 1-2 Stunden (am besten im Kühlschrank) ziehen, damit dieser seine volle Wirkung entfalten kann.
Auf ewige Jugend, Prost!
Hinweis: Der Waldmeister muss gepflückt werden, bevor er blüht, da sich nach der Blüte schwache Giftstoffe entwickeln. Ihr könnt den Waldmeister im Frühjahr (ca. Ende Februar bis März) pflücken und danach einfrieren, sodass ihr den Zaubertrank auch im Sommer ansetzen könnt.
Wichtig ist es, dass sich einer von euch gut mit Pflanzen und Kräutern auskennt, wenn ihr die Kräuter pflückt. Manchmal sind einige Kräuter nur schwer von giftigen Pflanzen zu unterscheiden. Wenn ihr euch nicht sicher seid, kauft euch einen Topf mit Pfefferminze, Salbei oder Zitronenmelisse. Diese gibt es in Gartencentern, einigen Super- und Baumärkten.
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2013
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