Cover

Aller Abschied fällt schwer

„Daddy, hast du etwas zu essen vorbereitet?“, fragte ich nervös, „Meine Gäste kommen in einer Viertelstunde“ „Nein, das habe ich nicht geschafft, ich war nach der Arbeit im Fitnisstudio“, rief mein Vater aus dem Wohnzimmer. „Super, was sollen meine Gäste jetzt essen und trinken?“, fragte ich angefressen und wickelte mir nervös eine Haarsträhne um meinen Daumen, „Wir haben seit Freitag nicht mehr eingekauft“ Mein Dad vergaß immer, wenn ich etwas vorhatte. Bestimmt hätte er auch vergessen, dass wir morgen mit dem Auto nach Irland fahren, wenn ich nicht dauernd davon gesprochen hätte. „Mausi, beruhig dich, ich rufe gleich den Pizzaservice“, brummte mein Dad und saß mit einer Zeitung auf dem Sofa. Heute Abend wollte ich für meine besten Freunde Jamsey, Rebecca, Jill und Neela eine Abschiedsparty geben, weil ich auf ein berühmtes Sportcollage in Irland gehen werde. Es hieß Saint Malory und war bekannt für seine Reitausbildung. Meine Mutter ging dort auch zur Schule und machte ihren Abschluss. Sie war eine bekannte Reiterin und nahm an den olympischen Spielen teil. Leider lebte sie seit zehn Monaten nicht mehr, im letzten Herbst starb sie bei einem Reitunfall im Gelände. Ihr Pferd wurde panisch und trat sie zu Tode. Seitdem war ich besessen in die Fußstapfen meiner Mutter zu treten. Seit ihrem Tod war nichts mehr wie vorher. Mein Vater und ich zogen in eine Penthousewohnung in die Innenstadt von London, weil wir in unserem alten Haus nicht mehr leben konnten. In den ersten Wochen musste ich immer neben Dad schlafen, weil mich Alpträume und Wahnvorstellungen quälten. Ich ging wochenlang nicht zur Schule und wurde aus dem Grund immer schlechter. Nur das Reiten konnte mir Freude bereiten, aus dem Grund meldete mein Vater mich auf dem Internat an. Für die Aufnahmeprüfung musste ich durch einen einfachen Pacour reiten, 100 m schwimmen, weitspringen, Kugelstoßen und 100 m sprinten, am Ende wurde ich aufgenommen. 

Es klingelte, erschrocken sprang ich von meinem Bett auf und rannte zur Wohnungstür, fast ich über einen Hausschuh gestolpert. „Hallo Emily, das habe ich für dich mitgebracht“, es war Jamsey, mein Nachbarsjunge. Er hielt mir eine Rose und ein neues Tagebuch hin. Ich bedankte mich höflich und bat ihn, an dem Tisch auf unserer Dachterrasse Platz zu nehmen. Er kam immer zu früh, aber er wohnte direkt unter mir. „Was gibt es zu essen und zu trinken?“, fragte er interessiert. „Wir rufen gleich den Pizzadienst, wenn meine anderen Gäste auch da sind“, murmelte ich und setzte mich neben ihn. Ein Augenblick später klingelte es noch mal. „Warte!“, rief ich und rannte zur Tür. Es waren meine Schulfreundinnen Neela und Rebecca, sie überreichten mir ein besticktes Kissen und einen Traumfänger. „Es ist schade, dass du gehst“, sagte Rebecca bedrückt, „Wir hatten in der Schule so viel Spaß zusammen“ „Wir werden in den Pausen nur noch zu zweit sein“, bedauerte Neela. Neelas Eltern kamen aus Indien, weshalb ihre Haut rehbraun und ihre Haare pechschwarz waren. „Ihr werdet bestimmt einige andere nette Jungs und Mädchen kennen lernen. Außerdem werde ich euch bei Facebook schreiben“, tröstete ich sie. Mittlerweile waren wir fast vollzählig, nur Jill fehlte. Sie war seit meiner Kindheit meine allerbeste Freundin und ließ immer etwas länger auf sich warten. Jill erschien zehn Minuten zu spät und wieder suchte sie nach einer Ausrede. „Es tut mir schrecklich leid, ich bin mit dem Fahrrad gekommen und jede Ampel stand auf Rot, als ich kam“, japste sie und strich über ihre kurzen hellblonden Haare. „Das macht nichts“, sagte ich zur ihrer Beruhigung.

 

Zu sechst saßen wir am Tisch auf der Terrasse, Dad machte das Radio und die Lichterkette an. Er bestellte sechs Pizza und drei große Flaschen Limonade, damit war der Abend gerettet. „Ich habe ganz vergessen dir mein Geschenk zu geben“, sagte Jill und reichte mir eine Tüte. Ich zog eine Schmusedecke, auf der ein Fohlen abgebildet war, heraus. „Das war noch nicht alles“, fuhr sie fort. Ich rollte die Decke aus und fand eine Pferdeskulptur, die aus einem violettfarbenen Edelstein geschnitzt wurde. „Das ist genial“, rief ich mit leuchtenden Augen, „Vielen Dank, ich werde eure Geschenke mit ins Collage nehmen“

Im nächsten Augenblick klingelte es und unsere Pizzas waren da. Ich habe wie immer „Pizza Ocean“ mit Thunfisch, Paprika und Sardellen bestellt, während meine Freunde Pizza Salami oder Pizza Schinken bevorzugten. „Auf Emilys Zukunft! Zum Wohl!“, rief mein Vater und hob sein Glas zum Anstoßen. Sechs Gläser klirrten. „Wie lange wirst du auf das Internat gehen?“, fragte Jamsey. „Für vier Jahre“, antwortete ich, „Ich bin jetzt sechzehn und werde bei meinem Abschluss zwanzig sein“ „Du wirst du erstmal sehr einsam sein“, meinte Neela mitleidig, „Du kennst dort niemand“ „Sie lernt schneller Leute kennen, als man gucken kann“, fiel ihr Jill ins Wort. „Ich glaube auch, dass das ihr kleinstes Problem ist“, stimmte Rebecca zu, „Nur die Lehrer können manchmal ein großes Problem sein. Erinnert ihr euch an unsere Physiklehrerin Mrs. Doktor Harms“ Neela und ich nickten. „Wir hatten einen Englischlehrer, der hat die ganze gesungen, auch wenn wir eine Klausur geschrieben haben“, erzählte Jill und verdrehte die Augen. Wir mussten lachen. „Bei verrückten Lehrern kann ich auch mitreden“, warf mein Vater ein, „Unsere Klasse mochte unsere Religionslehrerin nicht, weil sie sehr streng war und die Streber bevorzugte. Vor der Stunde haben William und Mike die Schrauben an ihrem Pult und an ihrem Stuhl gelöst. Nach dem sie uns begrüßt hat und sich setzen wollte, brach sie mit allem zusammen“ Diesmal lachten wir noch lauter, wir versuchten uns mit verrückten Schulgeschichten zu übertrumpfen. Mein Vater legte Musik auf und drehte die Anlage auf, wir tanzten zu Lollipop, Macarena, Waka Waka und Ai se tu pego. Jamsey wackelte mit seiner Hüfte und zog Grimassen, sodass wir uns das Lachen nicht verkneifen konnten. Rebecca tanzte noch schräger und wilder, bis sie ihr Gleichgewicht verlor und in die Rabatten fiel. Mit Blütenblättern in den Haaren stand sie wieder auf und stimmt in unser Lachen ein.

 Schon wieder läutete es. „Haben wir einen Gast vergessen?“, fragte Daddy irritiert. Ich schüttelte den Kopf und ging trotzdem zur Tür. Es waren Grace und Bob, ein älteres Ehepaar von nebenan. „Guten Abend, wir haben mitbekommen, dass du auf ein anerkanntes Sportinternat in Irland gehen wirst“, sagte Grace, „Deshalb wollten wir dir ein Geschenk mitgebracht“

Bob drückte mir einen Blumenstrauß und fünf Ponds in die Hand. „Vielen Dank, wollen Sie reinkommen und etwas trinken?“, fragte ich höflich. „Nein Danke. Wir müssen gleich zum Tanzen. Grüße deinen Vater freundlich von uns. Sonst wünschen wir dir eine gute Zukunft, Emily“, erwiderte Grace und wir verabschiedeten uns wieder. „Wer war das?“, wollte Dad wissen. „Das waren Bob und Grace von neben an“, sagte ich. „Es ist schon ein Wunder, dass sie an dich gedacht haben. Sonst grüßen sie einen nicht einmal auf der Straße“, meinte er, „Aber eine nette Geste ist das schon, ich werde sie noch mal darauf ansprechen und mich bedanken“ „Das habe ich schon getan“, warf ich ein.

Der Abend verging sehr schnell um zehn Uhr mussten meine Gäste gehen, weil wir morgen sehr früh aufstehen müssen. Wir fahren mit dem Auto und der Fähre nach Irland, wir werden eine Nacht im Hotel übernachten, bevor ich in Saint Malory eingeschult werde. Ich lag fast die ganze Nacht wach, diese Nacht hörte ich den Verkehr viel intensiver als sonst. Ich war jetzt schon aufgeregt, was mich erwarten wird. Bis jetzt war ich nur einmal wegen der Aufnahmeprüfung dort und mir kam das Gelände unendlich riesig vor. Ich hatte jetzt schon Angst, dass ich mich dort verlaufen werde.

 

Willkommen in Saint Malory

Die steinerne Kapelle des Internates war brechend voll, vorne standen die Lehrer und überall wuselte es vor Neuankömmlingen wie mir. Ein Streichorchester stimmte sich ein. Dad und ich wollten uns gerade auf eine leere Bank setzen, als eine feine Dame hinter uns stand und sich räusperte. „Entschuldigen Sie, diese Bank ist für die Familie Wendworth reserviert“, sagte sie und ihr Federhut verrutschte ihr. „Reserviert? Wer hat das festgelegt?“, fragte mein Vater barsch. „Können Sie lesen, da hängt ein Schild mit unserem Namen“, sagte die Dame schnippisch. Neben ihr stand ein Mädchen, sie trug ihre hellblonden lockigen Haare halboffen mit einem Blumengesteck verziert und war ein Stück größer als ich. Auch sie schaute auf uns hinab. Mein Vater wurde wütend und zog mich weg. „Solche eingebildeten Schnösel“, schimpfte er. „Es werden bestimmt freundlichere Mitschüler dabei sein“, meinte ich. Die meisten Neuankömmlinge wirkten schüchtern und verloren. Ein Junge neben mir erregte meine Aufmerksamkeit, er war etwas größer als ich, hatte gegelte dunkelblonde Haare und leuchtende grüne Augen. Er wirkte selbstbewusst und versuchte seine Familie durch die Menschenmenge zu lotsen. Papa und ich setzten uns neben ein schwarzhaariges Mädchen mit einem weißen Kleid.

 Das Orchester brauste auf und es wurde ein langes Stück gespielt. Dann trat der Schulleiter auf die Bühne und hielt die Begrüßungsrede, „Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Schülerinnen und Schüler, ich begrüße euch herzlich in Saint Malory. Mein Name lautet Mrs. Scott und ich habe die Ehre euch, die neuen Schülerinnen und Schüler zu begrüßen. Ihr habt die Aufnahmeprüfung bestanden, das bedeutet ihr werdet einen neuen Lebensabschnitt beginnen und die meisten von euch verlassen ihre Heimat. Ihr werdet an diesem Ort mit offenen Armen empfangen und willkommen geheißen. In den nächsten vier Jahren erlangt ihr neues Wissen, lernt Verantwortung zu übernehmen, zeigt eure Bestleistung und schließt Freundschaften mit euren Kameraden. Am Ende seid ihr junge Frauen und Männer, ihr werdet unser Collage mit Stolz und guten Zukunftschancen verlassen. Der eine oder andere wird ein bekannter Sportler werden oder ein Studium an einer Eliteuniversität aufnehmen. Diese Zeit an dieser Schule soll euch prägen und reifen, ihr werdet viel mitnehmen und euch von dem Geist von Saint Malory inspirieren lassen. Diese Zeit wird nicht immer leicht für euch sein, bei Problemen werdet ihr Hilfe von uns erfahren und wir werden gegenseitig für uns da sein. Es lebe der Geist von Saint Malory für euch“

Ein lang anhaltender Applaus brandete auf, zunächst ging es mit einer Bühnenshow weiter. Kunstturner und andere Sportler zeigten ihr atemberaubendes Können, das Clownstheater brachte die Zuschauer zum Lachen und ein Gesangschor verzauberte die ganze Kapelle. Danach trat der Schulleiter wieder auf die Bühne, „Nun werde ich die Namen der neuen Klasse von Mr. O’Connor vorlesen. Zuerst die Mädchen und dann die Jungen“ Er holte eine Liste hervor. Natascha Aimakov, das Mädchen neben uns wurde zuerst aufgerufen, danach kam Stella Crumbell und als Dritte wurde ich aufgerufen. Ich ging mit meinem Vater nach vorne und hielt seine Hand, ich fühlte mich in der Fremde sehr unsicher. Als letztes Mädchen wurde Arabella Wendworth aufgerufen, das war das hochnäsige Mädchen von vorhin. In ihrem kurzen cremefarbenen Kleid und auf ihren hohen Absätzen stolzierte sie nach vorne. Nun kamen die Jungs an die Reihe. Als erstes wurde ein Fintan Oliver Bentley aufgerufen, das war der Junge der mir vorhin schon einmal aufgefallen ist. Seine Eltern standen neben ihn. Seine Augen funkelten noch mehr als vorhin und er nahm stolz den Blumenstrauß entgegen, den jeder neue Schüler bekam. Dave Trash wurde als letzter Schüler aufgerufen. Das Orchester spielte zu unserer Ehre noch ein Stück. Mr. Connor forderte uns am Ende auf, ihm zu folgen. Ich trottete unscheinbar hinter Natascha her.

 Der neue Klassenraum war relativ groß und modern eingerichtet. Die Tische standen wie ein großes U mit Seitenflügeln nach innen. Auf jedem Tisch standen Namensschilder. Ich brauchte einen Moment bis ich die Orientierung wieder fand. „Emily, du sitzt neben mir“, sagte ein freundlich aussehendes Mädchen mit langen welligen braunen Haaren und blauen Augen. Dankbar zwinkerte ich ihr zu. „Ich bin Margareta, bitte nenn mich nur Greta“, sagte sie leise. „Okay, das mach ich“, nickte ich. „Mein Name ist Steven O’Connor und ich bin für die nächsten beiden Jahre euer neuer Klassenlehrer. Ich unterrichte euch in Englisch, Chemie und Biologie. Wir werden nicht lange sitzen bleiben, ich werde euch das ganze Schulgelände zeigen, es ist ziemlich groß und ihr werdet euch in der ersten Zeit manchmal verlaufen. Habt ihr sonst noch Fragen?“, sprach unser Klassenlehrer zu uns. „Gibt es hier Klos?“, fragte Tiago, ein kleiner Argentinier und erntete einige Lacher. „Selbstverständlich haben wir Toiletten, sie sollten während den Pausen benutzt werden“, antwortete Mr. O’Connor ernst. Danach begaben wir uns auf einen Rundgang durch das ganze Collage Gelände. „Mir tun schon Füße weh“, jammerte Arabella in ihren Heighheels, „Kann diese Schule nicht kleiner sein?“ Wir liefen am Schwimmbad, an den Sportplätzen und den Reitställen vorbei. „Nun kommen wir zu eurem Haus, dort werdet ihr wohnen“, sagte Mr. O’Connor, „Ihr bekommt Zweierzimmer mit einem eigenen Bad. Im ersten Stock schlafen die Jungen und im Dachgeschoss die Mädchen“

Mr. O’Connor las die Namenspaare vor, die sich ein Zimmer teilten. Ich teilte mir mit Olivia Ada Lindquist das Zimmer. „Hoffentlich schnarchst du nicht“, wisperte sie. „Nein, das tue ich nicht“, beruhigte ich sie. „Der Gemeinschaftsraum befindet sich im Erdgeschoss, die Küche auch und die Hausmutter hat ihr Zimmer auch unten“, erklärte Mr. O’Connor. Nach dem der Rundgang vorbei war, durften wir uns von unseren Familien verabschieden. Arabella schluchzte heftig, auch die kleine Rosanna und Darcy vergossen Tränen. Tiago gab seiner Mutter mehrere Küsschen und Fintan nahm seine Eltern und seine kleine Schwester in den Arm. „Bitte vergesse mich nicht, Dad“, schniefte ich und wischte mir eine Träne weg. „Sei nicht traurig, Darling“, tröstete er mich und nahm mich in den Arm, „Wir können morgen Abend skypen, um acht Uhr bin ich zuhause“ Er küsste mich zum Abschied und verschwand. Um sieben Uhr gab es Abendbrot im Gemeinschaftsraum, ich hatte gar keinen Appetit und aß nur eine Scheibe Brot mit Käse. Darcy, Olivia und Natascha saßen mit mir am Tisch, es wurde kaum gesprochen, nur wenn jemand die Milch oder die Butter brauchte. Der Jungentisch neben uns mit Fintan, Marc, Lars und Tom war in ein Gespräch verwickelt. Soweit ich es mitbekam, ging es um internationalen Fußball und Topclubs. „Niemand kann Real den Christiano Ronaldo abkaufen“, behauptete Tom. „In einigen Jahren schon, wenn er älter wird und nicht mehr so stark ist, dann wird sein Marktwert geringer und andere, kleinere Vereine können sich ihn kaufen“, hielt ihm Fintan entgegen, „Das Geschäft ist sehr schnelllebig. Du weißt doch, was mit Ronaldinho passiert ist, vor einigen Jahren gefragt und jetzt raus aus den Medien“

Nach dem Abendbrot gingen Olivia und ich auf unser Zimmer. „Jetzt bin ich ganz schön geschafft“, meinte Olivia und ließ sich auf ihr Bett fallen, „Hattest du auch einen langen Anreiseweg, so wie ich?“, fragte sie. Ich nickte, „Dad und ich sind gestern mit dem Auto von London nach Bude gefahren, wir sind mit der Fähre übergesetzt und haben in Cork übernachtet“ „Ich bin gestern mit meinen Eltern und meinem Bruder von Stockholm nach Dublin geflogen, es dauert nur zwei Stunden. Die Nacht haben wir in einem Hotel in Dublin verbracht“, erzählte sie. Nach einigem Schweigen fragte sie mich, „Warum war nur dein Vater da?“ „Ich habe keine Geschwister, meine Großeltern leben in Altersheimen und meine Mutter lebt nicht mehr“, sagte ich. „Das ist schrecklich“, meinte Olivia, „Ich könnte mir das gar nicht vorstellen. Warum ist sie gestorben?“ „Im Oktober verlangenden Jahres wurde sie von ihrem eigenen Pferd zu Tode getreten, sie erlag ihren Verletzungen in der Klinik“, erzählte ich und war kurz davor wieder loszuweinen. „Ich wollte dir nicht wehtun, es war unhöflich von mir dich auszufragen“, sagte Olivia und klopfte mir auf die Schulter. „Finde ich gar nicht“, erwiderte ich, „Dann weißt du jetzt, warum ich in bestimmten Situationen traurig werde. Ich werde schon traurig, wenn ich eine Mutter mit ihren Kindern sehe“ „Das kann ich verstehen“, meinte Olivia, „Wenn du traurig bist, ich bin für dich da“ Nach und nach füllte sich unser Zimmer mit Leben. Es war modern und mit neuen und hellen Möbeln eingerichtet, aber es war schöner, wenn es nicht mehr so kahl war. „Du bist offensichtlich Harry Potter und Twilight Fan“, meinte Olivia, während ich beschäftigt war meine Poster an die Wand zu hängen. Ich nickte. „Hast du Lust mit mir zu den Pferden zu gehen?“, fragte sie. „Sehr gerne“, stimmte ich ihr zu und zog meine einfachen Schlappen an. „Wenn man an der frischen Luft ist, vergisst man seinen Kummer und Stress“, meinte Olivia und band ihre langen hellblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Du hast Recht“, sagte ich, „Jetzt sind meine Angst und meine Aufregung wieder weg“ „Ich war sehr traurig, als ich mich von meinen Klassenkameraden und meiner Heimat verabschiedete. Kurz vorher habe ich meine Freunde auf eine Abschiedsparty eingeladen“, meinte sie. Ich nickte, „Ich auch, ich habe für meine Freunde eine Abschiedsfeier gegeben“ 

Bamms! Fast bekamen wir einen Ball an den Kopf. „Entschuldigung“, riefen Tiago und Fintan. „Das ist nächste Mal, Augen offen halten“, rief Olivia ihnen hinterher. Olivia rupfte ein Grasbüschel raus. „Olivia, wir dürfen die Pferde nicht füttern“, wandte ich ein. „Oh bitte, keiner nennt mich Olivia, nenn mich Oli. So nennen mich alle meine Freunde und auch meine Verwandten“, sagte sie und ließ das Grasbüschel fallen. „Okay, dann heißt du bei mir auch Oli“, sagte ich und pustete einen Grashalm weg. Olivia war ab jetzt Oli. Das passte zu dem großen, freundlichen Mädchen mit der Himmelfahrtsnase, den Sommersprossen, den hellen Haaren und den blaugrauen Augen viel besser als Olivia. Ich schnalzte mit der Zunge und hoffte, dass einige Pferde an den Zaun kommen. „Ich glaube, sie sind faul“, gähnte Oli, „Ich bin jetzt auch faul und träge, es ist halb zehn und um zehn Uhr ist Nachtruhe. Ich muss langsam auch schlafen“ „Wollen wir in unser Zimmer gehen?“, fragte ich. Sie nickte und gähnte noch einmal.

 Die halbe Nacht lag ich wach, warum wusste ich auch nicht. Vielleicht lag es daran, dass heute Nacht Vollmond war. Aber sonst schlief ich bei Vollmond einwandfrei. Mir kam die neue Umgebung immer noch fremd vor. Olis gleichmäßiger Atem beruhigte mich etwas, ich dachte besonders an Dad, er war jetzt ganz alleine. Bei dem Gedanken wurde ich wieder traurig und drückte mein Plüschpferdchen Conny an mich. Nach Mitternacht war ich doch so müde, dass ich plötzlich weg war.

 

Das alltägliche Chaos

Um halb sieben am nächsten Morgen riss das Klingeln von Olis Wecker mich aus den Träumen. „So früh?“, gähnte ich und drehte mich wieder um. „Es ist besser, wenn wir heute früher aufstehen, weil ich am ersten Tag auf keinen Fall zu spät sein will“, behauptete Oli, „Wir müssen uns duschen und fertig machen“ Ich war bereits wieder halb eingeschlafen, als Oli aus der Dusche kam und mich wach rüttelte. Mit halb verschlossenen Augen schlich ins Bad und ließ lauwarmes Wasser über mich laufen. Meine rotblonden Haaren hingen wie Spagetti an meinem Rücken hinunter als ich sie trocken fönte und auch meine Sommersprossen waren zu sehen, ich hatte davon auf jeden Fall mehr davon als Oli. „Vergesse nicht deine Schuluniform anzuziehen“, mahnte mich Oli als ich nach meinem lila Top griff. „Sehen wir nicht spitze aus?“, hauchte ich. „Nur die Haare müssen gemacht werden“, meinte Oli und steckte ihre Haare zu einem Knoten hoch. Ich band meine Haare locker mit einem Haargummi zusammen und steckte meinen halblangen Pony mit einer Haarnadel fest. 

Wir waren die ersten im Gemeinschaftsraum, die Hausmutter richtete gerade das Frühstücksbuffet her, es roch fantastisch nach warmen Brötchen, Rührei und frischem Obst. „Guten Morgen, ich habe noch nie Schüler gesehen, die zu früh kommen, schmunzelte die Hausmutter. Im nächsten Moment standen Greta und May im Türrahmen. „Guten Morgen, ihr Zwei. Habt ihr gut geschlafen?“, fragte Greta fröhlich. „Ausgezeichnet“, rief Oli sofort. „Ging so“, wägte ich ab. Greta und ihre kleine vietnamesische Freundin May setzten sich an ihren Tisch. Nach und nach trudelten unsere Mitschüler ein. „Fintan und Lars haben bis Mitternacht Krach gemacht, sodass ich nicht einschlafen konnte“, beschwerte sich Matthew, ein Junge mit blonden Stoppelhaaren und Brille, bei seinem Tischnachbarn Dave. Fintan und Lars kamen eine Viertelstunde zu spät. „Es macht keinen guten Eindruck, gleich am ersten Tag zu spät zu kommen. Beim nächsten Mal räume ich den Tisch ab ohne, dass ihr etwas gegessen habt“, bekamen sie eine Abfuhr von der Hausmutter. „Lars hat unseren Zimmerschlüssel so verlegt, dass wir ihn erst einmal suchen mussten. Wir haben über die Nacht abgeschlossen, ohne Schlüssel wären wir da nicht raus gekommen“, versuchte Fintan ihr deutlich zu machen. Die Hausmutter nickte besänftigt. Oli und ich ließen uns das Frühstück mit warmen Brötchen, Obstsalat, Orangensaft und Rührei schmecken. Tiago kam als Letztes in den Gemeinschaftsraum, er trug immer noch seine karierte Shorts und sein Adidas T-Shirt. Nur niemand schien es zu bemerken, hastig belud er seinen Teller mit einem Zimtcroissant und füllte sein Schälchen mit Cornflakes.

 Mr. O’Connor holte uns nach dem Frühstück ab, „Wir gehen in die Aula, dort findet eine Informationsveranstaltung zur Wahl eurer Sportfächer statt“, sagte er. Es ging um die Sportmannschaften, in die man beitreten konnte. Die Mannschaftskapitäne stellten nacheinander ihre Sportarten vor. „Was würdest du nehmen?“, fragte ich Oli leise. Sie zuckte mit den Schultern, „Ich habe mich noch nicht entschieden, aber wahrscheinlich Hockey“ Die Jungs konnten sich zwischen Handball, Fußball, Rugby, Tennis und Judo entscheiden. Für die Mädchen gab es Tennis, Hockey, Kunstturnen/Ballett und Judo zur Auswahl. Olivia, Greta und ich kreuzten Hockey an. Gretas Überredungsversuche bei May brachten nix, sie wollte lieber zum Kunstturnen. Als zweites mussten wir eine Reitsportart wählen, es gab Springen, Dressur und Reitrennen im Angebot. Auch hier waren Oli und ich uns einig, wir kreuzten Springreiten an. Fintan, Tiago und Patrick wollten lieber zum Reitrennen und Arabella entschied sich für Dressur. 

Ab der dritten Stunde hatten wir regulären Unterricht. „Weißt du wo unser Klassenraum war?“, fragte ich Greta. „Ungefähr“, sagte sie wage, „Aber können zusammen dort hingehen“ Zu viert mit May und Oli irrten wir durch die unzähligen Gänge des Schulgebäudes. Es klingelte. „Verdammt, wir wissen immer noch nicht, wo wir sind“, schimpfte Oli. „Mach dir keine Sorgen, wir finden es schon raus“, ermunterte Greta sie und legte ihren Arm auf Olis Schulter. Greta riss die Tür neben sich auf, im Raum saßen viel ältere Schüler und arbeiteten mit Staffeleien. „Es wäre höflich, vorher anzuklopfen“, sagte eine Lehrerin, „Bestimmt habt ihr euch verlaufen“

Greta nickte. „Daisy geh mit und zeig den Mädchen den Klassenraum der ersten Klasse“, forderte die Lehrerin eine junge Dame mit kurzen Haaren auf. Eilig gingen wir neben dem großen Mädchen her. „Die zweite Tür links, da müsste eure Klasse sein“, sagte sie und zeigte auf eine Tür. „Vielen Dank!“, riefen wir ihr nach. Drinnen herrschte Chaos, die Schüler waren dabei sich hinzusetzen. „Aha, der erste Tag und gleich zu spät!“, warf uns eine streng aussehende Madame vor, „Na gut, es ist der erste Tag und das lasse ich euch noch durchgehen, aber danach nicht mehr“ Erleichtert suchten wir unsere Plätze. „Tiago, du Schlumpf, du trägst immer noch deine normale Straßenkleidung“, zischte Fintan. Tiago zuckte hilflos mit seinen Schultern, „Jetzt kann ich es auch nicht mehr ändern“

„Bonjour, mes filles und garcons. Braucht ihr immer so lange, bis ihr eure Plätze gefunden habt?“, schimpfte die Lehrerin und schlug ein Buch auf den Tisch. Die Klasse wurde ruhig. „Mein Name ist Madame Irene Noire und ich werde eure Französischlehrerin sein. Meinem Nachnamen nach könnt ihr entnehmen, dass ich aus Frankreich komme, aus Paris“, stellte sie sich kurz und knapp vor, „Wir werden jetzt schnell mit dem Unterricht beginnen, ihr werdet nicht alle gleichauf sein, aber das wird sich im Laufe der Zeit geben. Bitte schlagt eurer Buch auf Seite drei auf“ „Ich habe das Buch nicht“, zeigte Fintan auf. „Ich auch nicht“, riefen vielen meiner Klassenkameraden. „Was ist das denn?“, rief Mme Noire entrüstet, „Ihr hattet einen ganzen Tag eure Bücher aus dem Sekretariat abzuholen. Alle die das Buch nicht haben, holen es sich sofort, sonst können wir nicht mit dem Unterricht starten. Wegen der Verzögerung sehe ich mich gezwungen, euch viele Hausaufgaben aufzugeben. Kurz später fiel ihr Blick auf Tiago. „Oh mon dieu, wie läufst du rum?“, tadelte sie ihn, „Zieh gefälligst deine Uniform an und hol dein Buch“ Tiago wurde ganz kleinlaut und nickte. Ich war eine der wenigen Schüler, die alle Bücher schon abgeholt hatte. Wir hatten mindestens zehn Minuten Leerlauf. Ich betrachtete Mme Noire genauer, der Name passte perfekt zu ihr. Sie trug einen schwarzen Rock, eine schwarz umrandete Brille und ihr schwarzes Haar war zu einem Bob geschnitten. „Sie sieht aus wie eine Hexe aus einem Bilderbuch“, wisperte Greta neben mir. „Nein, eher wie eine Schreckschraube“, verbesserte ich sie. Dem ersten Auftritt nach, war sie eine Schreckschraube. „Das kann nur besser werden“, meinte Tom neben mir, „Wahrscheinlich wird sie freundlicher, wenn sie uns länger kennt“ „Da bin ich mir nicht so sicher“, bemerkte Oli spitz. „Oh mon dieu, das geht wohl gar nicht“, äffte Greta Mme Noire leise nach. 

Mr. Sloane, unser Mathelehrer, kam zu spät zu fünften Stunde. „Guten  Morgen! Entschuldigung, dass ich zu spät bin, ich habe eine Kollegin auf dem Flur getroffen“, begrüßte er uns. Ein Raunen ging durch die Klasse. Mr. Sloane war ganz anders als Mme Noire, viel lockerer und fröhlich. Er erzählte in der ersten Stunde von sich und seiner Familie und bat uns, dass wir uns vorstellen. Die Mathestunden machte mir mehr Spaß als Französisch, Mr. Sloane konnte anschaulich erklären und lockerte die Atmosphäre durch Witze auf. Es klingelte zum Ende der sechsten Stunde, eilig packten die Schüler ihre Sache zusammen und stürmten aus dem Klassenzimmer. Es war Mittagszeit und alle hatten Hunger. Ich packte nur langsam meine Sachen ein und unterhielt mich mit Greta und May. „Wir sollten lieber gehen“, schlug May vor. „Die Tür ist verschlossen“, rief Greta und rüttelte an der Türklinke. „Das kann nicht sein“, sagte ich, „Die Jungs erlauben sich an einen Streich“ Nun stemmte May sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür. „Das bringt nichts“, rief Greta, „Mr. Sloane hat uns eingeschlossen“ „Prima“, stöhnte ich, „Was nun?“ „Wir könnten das Fenster öffnen und uns bemerkbar machen“, schlug May vor. Wir öffneten ein Fenster und machten uns durch lautes Rufen bemerkbar. Zufällig waren Tom und Marc auf dem Schulhof. „Wieso seit ihr noch im Klassenraum?“, rief Tom zu uns hinauf. „Weil wir eingeschlossen wurden“, schrie Greta. „Wir sagen Jemand bescheid, der den Klassenraum aufschließt“, sagte Marc. Beruhigt schlossen wir das Fenster. Einen Augenblick später hörten wir, wie die Tür aufgeschlossen wurde. „Es tut mir sehr leid“, entschuldigte sich Mr. Sloane bei uns, „Ich habe gedacht, alle Schüler wären draußen“ Zu dritt gingen wir zum Gemeinschaftsraum. „Ich habe mir Sorgen gemacht, wo ihr bleibt“, kam uns Oli entgegen. Schnell beluden wir unsere Teller mit Nudeln und Hackfleischsoße. „So ein Abenteuer müssen wir nicht noch einmal erleben“, meinte ich und wickelte eine Spagetti auf meine Gabel. „Ganz gewiss nicht“, lachte Greta. Am Nachmittag hatten wir frei, ich bevorzugte es, mich nach den Hausaufgaben ins Bett zu legen. Schließlich hatte ich letzte Nacht schlecht geschlafen und die Umstellung machte mich ganz müde.

 Am nächsten Tag fand Nachmittag das erste Springtraining statt. Unsere Reittrainerin hieß Miss Hanson und wirkte mit ihrem Dutt sehr ernst. „Ich habe einen Parcour aufgebaut, jeder darf ihn zweimal reiten. Ich will sehen, wie gut ihr schon seid. Bevor ihr springt, reitet ihr euch eigenständig warm“, sagte sie und führte uns auf den Platz. Insgesamt waren wir neun Schüler, davon sechs Mädchen. Natascha wurde als erstes aufgerufen, sie galoppierte mit ihrer Stute Sky an und nahm die ersten Hindernisse ohne Probleme, doch plötzlich stoppte ihr Pferd. „Macht nichts, du hast noch eine zweite Chance“, munterte Miss Hanson das enttäuschte Mädchen auf. Beim zweiten Mal durchquerte sie den Parcour fehlerlos. Danach musste ich ran, ich erhöhte meinen Schenkeldruck langsam und lockerte die Zügel. Erst am Ende der Bahn galoppierte Esparado an, das erste Hindernis riss er und ich merkte, wie unruhig er wurde. Er stoppte und wollte nicht weiter, ich trieb ihn an. „Emily, du musst härter mit ihm sein“, rief mir Miss Hanson zu, „Sonst macht er alles mit dir, lass dir das nicht bieten“ Ich ließ ihn meine Gerte spüren, ohne Erfolg. Er sprang auf die Hinterbeine und warf mich ab. „Ist dir etwas passiert?“, riefen Miss Hanson und Oli erschrocken. Ich lag benommen im Sand. „Alles in Ordnung“, murmelte ich und stellte sicher, dass ich mich nicht verletzt habe. Meine Reittrainerin half mir hoch, „Mach einen Moment Pause, du reitest später noch einmal“, sagte sie. Ich setzte mich auf eine Bank und sah meinen Kameraden zu. Die dicke Pamela fällt mehrmals vom Pferd und gibt heulend auf, während ihre Zimmergenossin Rosanna den Parcour mit Bravour meistert. Das kleine zierliche Mädchen mit den lockigen blonden Haaren hatte bis jetzt kein Wort gesagt und versuchte sich unsichtbar zu machen. Sie strahlte, als einige ihrer Mitschüler nach ihrem Ritt klatschten. Nach der Stunde kam Miss Hanson zu mir. „Möchtest du noch einmal reiten?“, fragte sie, „Wenn ja, dann kannst du Hermine, Olivias Pferd reiten“ Ich nickte und schwang mich in den Sattel. Ich spürte sofort, dass es mit Hermine besser klappte. Sie galoppierte an ohne, dass ich mit heftigem Schenkeldruck nachhelfen musste und nahm die Hürden ohne Probleme. Oli stand am Zaun klatschte. „Das sah schon viel besser aus, wahrscheinlich passt Hermine besser zu dir als Esparado“, meinte die Reittrainerin.

„Kommst du auch mit zum Swimmingpool?“, fragte mich Oli, „Die Hausaufgaben heben wir uns für den Abend auf“ Ich hatte nichts dagegen einzuwenden und holte meinen karierten Bikini aus dem Schrank. Beim Swimmingpool war ein Streit zwischen Pamela und Rosanna im Gange. „Raus aus meinem Liegestuhl“, herrschte Pamela sie an. „Hast du ihn gekauft oder reserviert?“, erwiderte Rosanna schnippisch, zum ersten Mal hörte ich sie sprechen. „Ich habe mein Handtuch auf die Lehne gelegt“, sagte Pamela bestimmt. „Das hast du erst gerade hingelegt, als ich hier gesessen habe“, fuhr Rosanna Pamela wütend an, sie stand auf und baute sich vor dem dicken Mädchen auf. So viel Selbstbewusstsein hatte ich ihr bis jetzt noch nicht zugetraut. „Warum treiben sie sich am Pool rum, wenn sie keine Badeklamotten tragen?“, lästerte Oli. Ich nickte. Im nächsten Moment stellte Pamela Rosanna ein Bein. Mit einem lauten Platsch, fiel Rosanna in das Becken, auch Pamela verlor ihr Gleichgewicht und fiel hinterher. Prustend tauchten beide aus dem Becken auf. Rosanna kletterte sofort aus dem Becken und rannte vor Wut heulend davon. Auch Pamela machte sich aus dem Staub, wir waren immer noch sprachlos. „Pamela ist ein ziemlich unverschämtes und faules Geschöpf, immer will sie andere Schüler unterdrücken, weil sie die Älteste ist“, sagte Oli empört. „Erst gestern hat sie damit angegeben, dass sie schon achtzehn ist. Ich mag diese fette Kuh auch nicht“, stimmte ich ihr zu. Im nächsten Augenblick kamen die Jungs, sie zogen ihre verschwitzten T-Shirts aus, sodass wir ihre durchtrainierten Körper sehen konnten. „Dave hing beim Renntraining wie ein nasser Sack vom Pferd und wurde in den Sand katapultiert“, lästerte Fintan. Lars und Marc hörten ihm zu. „Unser Springtraining war uns beide erfolgreich, Emily wurde von Esparado abgeworfen und durfte den Parcour mit Hermine noch einmal reiten. Beim zweiten Mal klappte es viel besser. Pamela hat schon nach dem zweiten Sturz aufgegeben und hat geheult“, berichteten Lars und Marc. Die drei Jungen nahmen Anlauf und platschten ins kühle Nass. „Dass sie immer so hohe Wellen machen müssen!“, prustete Oli und spukte Wasser. Auch ich bekam Wasser in Nase und Mund. „Seit ihr noch ganz dicht!“, schimpfte Matthew wie ein Rohrspatz, „Ihr habt mein Buch komplett nass gemacht“ Er sprang wütend aus seinem Liegestuhl und baute sich vor den Jungs. „Warum muss man sein Buch ausgerechnet am Pool lesen?“, höhnte Marc. „Ihr hättet auf der anderen Seite springen können und ich darf meine Bücher überall lesen, wo ich will“, schnaubte Matthew vor Wut. „Das war nicht unsere Absicht“, beteuerte Fintan und riss vor Unschuld die Augen weit auf. „Ihr werdet mein Buch ersetzen, falls ein Schaden entstanden ist“, sagte Matthew böse. Lars und Marc zeigten ihm einen Vogel. Beleidigt machte sich Matthew aus dem Staub.

 Jungs sind genauso kindisch wie Mädchen“, fand Oli. Ich stimmte ihr zu. Die Jungs tauchten unter uns durch. Lars erlaubte sich den Scherz Oli am Bein unter Wasser zu ziehen. „Du Idiot“, rief sie und drückte ihn unter Wasser. Ich konnte mir das Lachen nicht mehr verkneifen und verschluckte Wasser. Hustend und keuchend kletterte ich aus dem Becken. Oli lieferte sich eine Wasserschlacht mit den Jungs, wobei es sich nur um Spaß handelte. „Könnt ihr endlich mit dem Kinderkram aufhören, ich werde ganz nass“, rief Arabella schnippisch und stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Wer sich in der Nähe eines Pools aufhält, muss damit rechnen, dass man nass werden könnte“, bemerkte ich. „Wer nicht nass werden will, muss es nicht“, Arabellas Stimme klang noch zickiger. In ihren knappen roten Bikini, den langen blonden Haaren, der schmalen Taille und der Sonnenbrille konnte sie als Model durchgehen. Ich ging lieber auf Abstand, ich wollte keine neue Auseinander und schon gar nicht mit einer eingebildeten Zicke.

 

Fasst den Dieb!

An einem Montagmorgen kam Mr. O’Connor in unsere Klasse und hatte eine neue Sitzordnung im Gepäck. „Ich finde es sehr wichtig, dass jeder neben einen neuen Mitschüler sitzen muss, auf diese Weise lernt ihr euch besser kennen. Jetzt sind vier Wochen vergangen und in den nächsten vier Wochen ändern wir die Sitzordnung noch mal“, sagte er und warf mit einem Overheadprojektor den Sitzplan an die Wand. „Oh nein, ich muss neben Rosanna sitzen“, flüsterte ich Greta ins Ohr. Keiner mochte Rosanna, sie schottete sich immer von uns ab und redete kein Wort mit uns. Nur im Unterricht konnte sie mit ihrer Klugheit und ihrem Wissen glänzen, deshalb war sie als Streberin verschrien.

Wortkarg saß nun Rosanna neben mir, anstatt Greta. Greta hatte ebenso wenig glück und bekam einen Platz zwischen Arabella und dessen besten Freundin Stella. Oli saß mit Fintan schräg vor mir. „Als nächstes müssen wir einen Klassensprecher und stellvertretenden Klassensprecher wählen“, sprach unser Klassenlehrer, „Jeder von euch schreibt einen Namen auf einen Zettel und gibt ihn ab“ Tom ging durch die Klasse und sammelte alle Zettel ein.

Mr. O’Connor zählte die Stimmen aus. Insgesamt bekam Fintan sieben Stimmen und Arabella fünf, somit waren sie unsere Klassensprecher. Nun wurden drei weitere Schüler für den Klassenrat gewählt, sie und die Klassensprecher ergeben den Klassenrat. Ich bekam plötzlich acht Stimmen und war im Klassenrat, außerdem wurden auch Greta und Lars gewählt.

 „Kannst du mir erklären, wie die französische Revolution genau abgelaufen ist?“, fragte ich meine neue Banknachbarin in Geschichte. Rosanna gab mir eine knappe Antwort und wendete sich schnell von mir ab. Ihre langen Haare hingen ihr ins Gesicht und über die Schultern. „Mach dir doch einen Zopf, dann stören dich deine Haare nicht mehr“, schlug ich vor. Rosanna schüttelte stumm den Kopf. „Diese Rosanna ist stumm wie ein Fisch“, beklagte ich mich bei meinen Freundinnen in der Pause. „Oh je, wie willst du mit ihr zusammen arbeiten“, bekam ich Mitleid von Greta. „Das Einzige was dieses Mädchen kann, ist Reiten und gute Note schreiben. Sie hat im Englischaufsatz und in Chemie eine Eins zurückbekommen“, meinte Oli. „Ich habe dieses Mädchen fast gar nicht außerhalb des Unterrichtes sprechen hören“, sagte May. „Ich weiß überhaupt nicht, wie ich sie zum Sprechen kriegen soll“, sagte ich ratlos. May war das komplette Gegenteil von Rosanna, sie war vorwitzig, gutgelaunt und quirlig. Sie reichte mir nur bis zur Nase, sie trug ihre Haare in einem Zopf und lachte mit ihren mandelförmigen Augen in die Welt hinaus.

 Heute Nachmittag fand das Hockeytraining statt, unser Trainer Mr. Jenks schickte uns zum Aufwärmen zwei Runden über den Platz. Der Herbst machte sich richtig bemerkbar, die Blätter der Bäume verfärbten sich bunt und der Wind wurde rauer. Wir mussten uns Trainingsjacken anziehen, auch die Fußballer auf dem Nachbarplatz spielten in ihre Jacken eingemummelt. Nun setzte ein feiner Nieselregen ein. „Das ist genau das richtige Wetter für Outdoor-Sport“, sagte Oli mit einem ironischen Unterton und schob mit ihrem Schläger einen Ball vor sich her. Ich versuchte mich ebenfalls viel zu bewegen um das unangenehme Kältegefühl zu verjagen. Im Trainingsspiel versuchte ich Allie und Tracie, zwei älteren Schülerinnen, den Ball abzujagen. „Emily, du musst deine Gegenspielerinnen von innen decken, sonst kommen sie frei zum Schuss“, gab mir Mr. Jenks einen taktischen Hinweis. Ich bloggte mehrere Angriffe von meinen Gegenspielerinnen ab und konnte das Spiel nach vorne eröffnen. „Du bist eine super Verteidigerin, wenn du so weiter spielst kommst du in die Startformation“, lobte mich Debbie, die Spielführerin des Teams. Schon wieder kam ich in Bedrängnis als Rosanna vor mir auftauchte, aber ich konnte sie locker umdribbeln.

In der Pause gesellte sich Rosanna zu Oli, Greta und mir. Sie sprach kein Wort und schaute uns schüchtern an. Auf dem Platz nebenan trainierten die Fußballer, Fintan sollte die Ecken ausführen. „Fintan, nimm ein bisschen mehr Kraft aus deinen Schüssen, wie sollen deine Mitspieler sonst den Ball kriegen“, mahnte der Trainer. Beim nächsten Mal konnte ein anderer Junge seine Ecke in ein schönes Kopfballtor verwandeln. Meine Freundinnen und ich klatschten Beifall.

 Nach einer warmen Dusche fühlte ich mich wieder frisch. Oli saß auf ihrem Bett als hätte sie der Blitz getroffen. „Alles in Ordnung, Oli?“, fragte ich besorgt und setzte mich neben meine Freundin. „Ich weiß nicht, wo ich meinen MP3-Player hingetan habe“, jammerte sie, „Vorhin lag er auf dem Nachtisch. Hast du ihn genommen?“ Ich schüttelte den Kopf, „Warum soll ich ihn genommen haben?“ „Weil du mit mir in einem Zimmer schläfst“, rieb sie mir unter die Nase. „Willst du mich verdächtigen?“, fragte ich empört, „Ich würde dich nicht bestehlen, ich bin deine Freundin“ „Nein“, sie schüttelte den Kopf. „Vielleicht ist er runter gefallen und liegt auf dem Boden“, sagte ich. Wir durchsuchten unser ganzes Zimmer und wurden nicht fündig. „Hast du eigentlich vor dem Training unser Zimmer abschlossen?“, fragte ich sie eindringlich. Oli wurde auf einmal ganz kleinlaut und schüttelte den Kopf. „Olivia, du bist so bescheuert!“, rief ich wütend, „Kein Wunder, dass Diebe bei leichtes Spiel haben“ „Ich habe gedacht, weil heute alle Schüler ihre Sportfächer haben, wäre niemand mehr im Haus“, verteidigte sich Oli. „Du bist blauäugig und leichtsinnig wie ein kleines Kind. Mir hätte ebenfalls etwas gestohlen werden können. Ich habe gedacht, ich könnte mich auf dich verlassen“, fuhr ich sie wütend an, „Was ist mit denen, die heute nicht bei Sport waren und sich im Haus herum getrieben haben?“ Oli sah mich mit Tränen in den Augen an. „Du hast Recht, ist schon gut“, sagte sie mit bebender Stimme. „Gesteh dir, zu einem gewissen Teil hast du dir das selbst eingebrockt“, warf ich ihr vor. Oli brach in Tränen aus. Sie schniefte heftig und wischte sich die Tränen mit einem Taschentuch weg. „Ach, wir werden den Dieb schon finden. Ich werde alles daran setzen“, tröstete ich sie und nahm sie in den Arm. Schnell trockneten ihre Tränen, als ich ein paar Witze erzählte und sie lächelte wieder.

Beim Abendbrot herrschte große Aufregung. „Jemand hat meinen Schminkkoffer gestohlen“, beklagte sich Arabella unter Tränen. Ihre Freundinnen Stella, Natascha und Darcy mussten sie trösten. Auch die Jungen hatten einen Verlust zu beklagen, Patricks Wecker war verschwunden. Olis MP3-Player war kein Einzelfall. „Jemand hat meine Armbanduhr gestohlen“, rief Pamela empört. Wir waren ratlos, wir hatten niemand zugetraut, dass er so was tat. Niemand gestand, etwas gestohlen zu haben. Pamela schimpfte am lautesten. „Wer war nicht beim Sport?“, fragte Arabella laut. „Tiago war nicht beim Fußballtraining dabei“, sagte Patrick, „Ihm ging es nicht gut, er hatte starke Kopfschmerzen“ „Pamela war vorhin auch nicht beim Hockey“, pflichtete Rosanna bei. „Das stimmt überhaupt, ich musste nur kurz ins Haus, weil ich die falschen Schuhe dabei hatte“, entzürnte sich Pamela, sie wurde rot wie eine Tomate. „Die Sachen können uns nicht weglaufen, jemand muss sie genommen haben“, warf ich ein. „Ich kann es schon mal nicht gewesen sein, ich wurde selber bestohlen“, behauptete Pamela steif. Tiago traute ich den Diebstahl nicht zu, er war immer gutgelaunt und freundlich. Pamela traute ich es schon eher zu, sie war die Älteste und wollte immer den Ton angeben.

 Einen Tag vor meinem ersten Hockeyspiel ging ich nach dem Mittagessen in mein Zimmer. „Oli hast du meine Sporttasche und meinen Hockeyschläger gesehen?“, fragte ich unruhig. Oli zuckte mit den Schultern. „Mensch, ich war nur einen Moment draußen und jetzt sind meine Sachen nicht mehr da“, fluchte ich und stellte das ganze Zimmer auf den Kopf. „Das ist wirklich merkwürdig“, sagte Oli mit einem ratlosen Blick. „Wenn meine Sportsachen bis morgen nicht wieder auftauchen, kann ich das Hockeyspiel vergessen“, knurrte ich. Es klopfte bei uns an der Tür. „Herein!“, riefen wir. Fintan steckte seinen Kopf zur Tür hinein. „Habt ihr Jemanden gesehen, der mein Smartphone hat?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Nach dem Mittagessen lag es nicht mehr auf meinem Schreibtisch“, sagte er. „Meine Sportsachen sind seit kurzem auch verschwunden“, sagte ich schulterzuckend. Fintan ging wieder. Um halb vier war Teatime. Gerade als ich meinen Tee trinken wollte, platzte Pamela in den Raum. „Ich habe den Dieb entlarvt!“, rief sie laut triumphierend und hob wichtigtuerisch den Kopf, „Das Diebesgut befindet sich in Rosannas Schrank“ Von null auf jetzt war es still. „Das will ich sehen!“, platzte es aus Oli heraus. „Ich zeig es auch gerne“, sagte Pamela, „Folgt mir“ Oli, Greta, Arabella, einige Jungs und ich folgten ihr. „Das kann nicht wahr sein!“, rief Greta mit großen Augen, „Das habe ich ihr nicht zugetraut“ „Jetzt weißt du, wozu sie in der Lage ist“, meinte Pamela und schaute uns durch ihre Brille ernst an. Das ganze Diebesgut quoll aus Rosannas Schrank. Sofort griff ich nach meinen Sportsachen. „Wir werden kein Wort mit ihr reden“, meinte May, die sehr schockiert war. Natascha und Arabella nickten. Von Rosanna war keine Spur zu sehen. Oli und ich waren erleichtert, dass unsere gestohlenen Gegenstände wieder aufgetaucht sind. „Glaubst du wirklich, dass Rosanna uns bestohlen hat?“, fragte ich zweifelnd. Ich konnte dem kleinen Mädchen so etwas nicht zutrauen, obwohl ich es nicht besonders mochte. „Ich glaube schon, aber ganz sicher bin ich mir auch nicht“, murmelte Oli, „Es ist schlecht, wenn man den Falschen verdächtigt. Deshalb sollten wir alles daran setzen, den richtigen Übeltäter zu finden“ Greta kam in unser Zimmer und setzte sich auf mein Bett. „Ich habe einen Einfall, ich stelle mich morgen krank, ich will spionieren um eventuell den richtigen Dieb zu finden“, rief sie. „Daran habe ich auch gedacht“, meinte Oli. „Ich tue morgen so, als hätte ich eine dicke Erkältung. Wir können uns in den Zimmern und im Flur verstecken“, schlug Greta mit leuchtenden Augen vor. „Ich mache mit“, kam es von Oli. „Na gut, wir werden uns während des Hockeyspiels verstecken. Wenn wir den Dieb erspähen, knipsen wir Beweisphotos“, fuhr Greta fort. Während wir unseren Entlarvungsplan schmiedeten, dachte niemand an Rosanna. „Wollen Rosanna suchen gehen?“, fragte ich meine Freundinnen. „Besser wäre es“, fand Greta, „Ich habe Angst, dass sie verschwunden ist“ Zu dritt suchten wir im Garten, am Sportplatz und auf dem Schulhof. „Weiß der Teufel, wo sie steckt“, rief Greta hoffnungslos. „Lass uns bei den Pferden schauen“, schlug ich vor.

Neben der Pferdeweide saß ein schluchzendes Häufchen Elend im Gras und hielt sich die Hände vor das Gesicht. „Rosanna“, riefen wir aus einem Munde. Das Mädchen reagierte nicht, ich legte meinen Arm auf ihre Schultern. „Lasst mich in Ruhe!“, heulte sie, „Jetzt weiß es die ganze Schule“ „Wir wissen doch noch gar nicht, wer der wahre Dieb ist“, sagte ich beruhigend. „Natürlich, Pamela hat die gestohlenen Sachen in meinen Schrank getan und überall herum posaunt, dass das Diebesgut in meinem Schrank ist“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme, „Ich werde bald ehemalige Schülerin von Saint Malory sein und dass Schlimmste ist, ich kann mich nirgendwo mehr blicken lassen“ Rosanna weinte noch heftiger. „Wir haben den Lehrern noch nicht bescheid gesagt. Das tuhen wir erst, wenn wir genau gewissen, wer der Dieb ist“, meinte Oli. Greta erzählte ihr von unserem Entlarvungsplan. Ihre Tränen trockneten langsam. Wir gingen zurück, langsam war es Abendbrotzeit.

 „Wo bleiben Olivia und Margareta?“, fragte mich Mr. Jenks. „Sie haben sich stark erkältet und müssen im Bett bleiben“, antwortete ich. Ich nahm erstmal auf der Ersatzbank platz, aus dem ersten Jahrgang spielte nur Rosanna. Die Mädchen von der Collins Schule spielten sich schon warm, auch wir wurden zum Warmmachen geschickt. Wenig später standen sich die Teams gegenüber, unsere Schule in Rot und unsere Gegnerinnen in Blau. Der Schiedsrichter pfiff an. Die Mädchen bewegten sich über den Platz, unsere Gegnerinnen schienen stärker zu sein und wollten die Kontrolle über das Spiel zu gewinnen. Debbie und Allie mussten in der Abwehr sehr aufpassen, dass nichts anbrennt. „Daisy bleib bei deiner Gegenspielerin! Anna, du darfst keine Freiräume zum Tor öffnen! Mandy spiel den Ball vernünftig nach vorne! Rosanna beteilige dich mehr am Spiel“, rief unser Trainer und lief am Spielfeld entlang. Nach einer Viertelstunde bekamen wir das erste Gegentor nach einer Ecke. „Ich habe es kommen sehen“, stöhnte Mr. Jenks, „Ich muss mein Team doch umstellen“

Mit dem Beginn der zweiten Halbzeit wurde ich für Rosanna eingewechselt. Ich spielte in der Verteidigung und erspähte die Chance, meiner Gegnerin den Ball abzunehmen. Sie zögerte einen Augenblick zu lange vor unserem Tor und schon war mein Schläger dazwischen. Ich habe mir den Ball gesichert. Jetzt hatte ich freie Bahn und rannte so schnell, wie mich meine Beine trugen. „Abspielen, Gegenspielerin kommt von hinten!“, brüllte mein Trainer. Reflexartig passte ich zu Janny nach vorne, sie vollendete den Konter mit Erfolg. Ausgleich! Jubelnd bildeten wir eine Traube um unsere Torschützin. „Deine Vorarbeit war grandios!“, lobte mich Debbie und klopfte mir auf die Schulter. Die Collins Spielerinnen erhöhten das Spieltempo enorm und wollten unbedingt ihren Sieg einfahren. Mittlerweile verteidigten wir mit sechs Spielerinnen. Wütend rannten unsere Gegnerinnen gegen unsere Mauer an. Erleichtert ließen wir uns ins Gras fallen, als die Partie abgepfiffen wurde. „Das war ein hartes Spiel mit einem gerechten Ergebnis“, keuchte Allie und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Immerhin habt ihr gegen die Favoritinnen einen Punkt festgehalten“, meinte Mr. Jenks zufrieden. 

Nach dem Duschen wurde ich begeistert von Oli und Greta im Gemeinschaftsraum empfangen. „Wisst ihr jetzt, wer für die Diebstähle verantwortlich ist?“, fragte ich sie. Beide nickten mit leuchtenden Augen. „Wir haben schicke Beweisphotos von Pamela geknipst“, meinte Greta keck, „Das Mädel ist sehr fotogen“ „Es war so, Pamela war wieder auf Beutezug. Wir haben sie aus unseren Verstecken fotografiert und das Beweismaterial dem Direktor gezeigt. Nun bekommt die Kröte von ihm den Kopf gewaschen“, frohlockte Oli, sie legte lässig die Arme um Greta und mich. „Wir müssen sofort Rosanna bescheid sagen“, rief ich. Im Flur trafen wir sie an. Wir bestürmten sie mit den Neuigkeiten. Zum ersten Mal ging ein reines Strahlen über ihr Gesicht. „Ich könnte euch so dankbar sein“, sagte Rosanna mit Tränen in den Augen. „Wir haben sowieso nicht gedacht, dass du gestohlen hast“, meinte Greta und legte ihren Arm um Rosannas Schulter. „Ich muss euch irgendwie danken können“, überlegte Rosanna. „Du brauchst uns gar nicht danken“, fand Oli, „Kameraden sind da, um einen aus dem Mist zu ziehen“ „Wollt ihr nicht meine Freundinnen sein?“, fragte Rosanna zaghaft, als wollte sie die Frage rückgängig machen. „Selbstverständlich, Rosanna“, riefen wir. „Ach, nennt mich ruhig Rosy. So nennen mich alle meine Freunde und meine Familie“, bat das kleine Mädchen mit den Locken. „Rosy klingt toll“, fand Greta. Ab sofort hieß Rosanna auch bei uns Rosy.

 Beim Abendessen waren die Jungs merkwürdig, sie waren unruhig und hatten eine Hemmschwelle beim Essen. Sonst aßen sie immer wie Scheunendrescher. Nur Matthew und Dave ließen sich nichts anmerken und aßen normal ihre Brote. „Die Jungen haben heute Abend ihr erstes Fußballspiel“, erzählte May, „Tom darf von Beginn an in der Abwehr spielen, wahrscheinlich werden Fintan, Lars und Tiago auch eingesetzt“ „Wusstest ihr, dass die Brendan-Highschool letzte Saison irischer Collagemeister war?“, rief Marc. Seine Freunde schüttelten die Köpfe. Tiago traute sich nicht mehr als eine Scheibe Brot mit Käse zu essen, Lars ebenso. „Fintan, stopf dich nicht voll! Erinnere dich, was der Trainer gesagt hat. Du musst nachher spielen können. Du kannst nicht richtig laufen, wenn dein Magen zu voll ist“, ermahnte Tom seinen Freund. „Das tue ich doch gar nicht. Das ist erst mein zweites Brot“, wandte Fintan ein und bestrich sein Brot mit Butter. „Wollt ihr euch auch das Spiel anschauen?“, fragte ich meine Freundinnen. „Greta und ich sind krank, die Hausmutter lässt uns nicht aus dem Haus gehen“, sagte Oli und verließ mit Greta den Gemeinschaftsraum. Deshalb ging ich mit May und Rosy zum Sportplatz. Die Mannschaft von der Brendan-Highschool kam auf den Platz, um sich warm zu machen. Etwas später kam auch unsere Mannschaft und wurde zum Laufen geschickt.

 Ich gähnte und stützte meinen Kopf auf meinen Händen. Fast hätte ich den Anstoß verpasst, als mich May anstupste. Beide Mannschaften nahmen das Spiel sehr ernst und ließen nichts anbrennen. Von den Jungs aus meiner Klasse, sah ich nur Tom. Er war so groß wie die Schüler aus der obersten Klasse, auch in unserer Klasse war er der Größte. Er war dafür geeignet Kopfballduelle zu gewinnen, wie er es gerade schon einmal gezeigt hatte. Der Trainer feuerte die Jungs lautstark an. Die Schüler der Brendan-Highschool konnten so viel Druck ausüben, wie sie wollten, aber das Abwehrbollwerk unserer Spieler war nicht zu knacken. Die Gegner ließen ebenfalls keine Chancen zu. Nach der ersten Halbzeit war immer noch kein Tor gefallen. Am Anfang der zweiten Halbzeit kam Fintan für einen Spieler, der sich bei einem Sprintduell verletzt hatte. Ich schaute genauer hin, er trug die Nummer 14 und hatte im Gegensatz zu vielen anderen Spielen noch viele Kraftreserven. „Fintan, gib den Ball ab“, rief der Spielführer. Zu spät! Fintan verlor den Ball an einen Gegenspieler. Einen Augenblick später umdribbelte er zwei Verteidiger und setzte den Schuss gegen die Latte. Es krachte. Das wäre fast das 1:0 für unsere Schule gewesen. Die Zuschauer klatschten trotzdem. Kurz vor Schluss stand es immer noch 0:0. Tiago und Lars wurden eingewechselt. Tiago spielte mit einem temporeichen Dribbling seinen Freund Fintan frei. Ein Gegenspieler rauschte in Fintan rein, es gab für ihn die gelbe Karte und Freistoß für unser Team. Fintan wollte ihn selber schießen, er nahm Anlauf und im nächsten Augenblick zappelte der Ball im Netz. Die Zuschauer und seine Mitspieler jubelten. Fintan rutschte auf den Knien, Lars kam als Erster und warf sich auf seinen Freund. Bald warfen sich immer mehr Spieler auf den Haufen. Kurz darauf war die Partie zu Ende. Arabella trabte mit ihren Ballerinas auf das Spielfeld und gratulierte Fintan mit einem Küsschen. Ich kochte innerlich, wie konnte sie sich nur so an einen Jungen ranmachen. Ich ging näher an sie heran, sie überhäufte ihn geradezu mit Glückwünschen. Seine grünen Augen glänzten vor Freude und seine dunkelblonden Haare standen ihm zu Berge. Echt süß, der Kerl! Ich glaube ich habe mich in ihn verliebt! Doch das sollte erstmal mein Geheimnis bleiben.

 

Das erste Reitturnier

„Emily, galoppier mit Hermine noch einmal an, du brauchst noch mehr Schwung, um über die Hindernisse zu kommen“, riet mir Miss Hanson. Ich ritt mit Hermine um die Hindernisse herum und galoppierte erneut an. Diesmal flog Hermine über die Stangen ohne, dass ich nachhelfen musste. Keine einzige Stange wackelte oder klapperte. Meine Mitschüler klatschten Beifall. „So musst du das auf dem Turnier nächste Woche machen“, rief Oli, „und der erste Platz ist sicher“ Ich klopfte Hermine lobend auf den Hals. Die kalte Herbstluft trieb mir dennoch Tränen in die Augen. Nun war es mitten im Oktober im die Westwinde vom Meer wurden immer heftiger, häufiger fegten Herbststürme mit Regen über das Land. Nächste Woche am letzten Schultag vor den Herbstferien sollte das alljährliche schulinterne Reitturnier stattfinden, es handelte sich um eines der größten Events des Collages. Wir bereiteten uns schon seit einigen Wochen darauf vor. Unsere Trainerin erzählte uns, dass die Wertung für Jungen und Mädchen getrennt sei. Außerdem würden nur die fünf Besten in die Schulmannschaft kommen. „Es müsste generell für die Jüngeren eine geringe Chance geben, einen guten Platz zu machen“, sagte Greta zweifelnd. „Es kommt nicht auf das Alter an, sondern auf Pferd und Reiter“, sagte unsere Trainerin. Im Vergleich zum ersten Training haben sich alle Schüler ernorm gesteigert, das einzige Sorgenkind war Pamela. Sie fiel mindestens bei jedem zweiten Ritt vom Pferd. Auch gerade klopfte sie sich den Sand aus ihrer Kleidung. „Ich glaube unsere dicke Pamela hängt wie Mehlsack vom Pferd, sie ist fürs Springreiten nicht geeignet“, lästerte Oli halblaut, sodass es Pamela mitbekam. „Wage so etwas nicht noch einmal zu sagen“, schrie sie Oli an. „Was soll ich gesagt haben?“, tat Oli ganz unschuldig und grinste dreist. Das war zu viel für Pamela, sie holte aus und verpasste ihr die heftigste Ohrfeige des Lebens. Olis Nase fing an zu bluten. „Pamela, es reicht. Komm sofort hierher! Gleich geht es erstmal zum Rektor“, wurde Pamela von Miss Hanson zurecht gewiesen. Das dicke Mädchen mit der Brille folgte ihr ohne vor Scham rot zu werden.

 Das Saint Malory putzte sich für das Reitturnier richtig heraus. Das ganze Gelände wurde mit Fahnen, Bannern und Blumenkübeln geschmückt. Sogar die Wege wurden gefegt. Vor meinem Ritt holte ich Hermine aus ihrem Stall. Ich striegelte ihr schwarzes Fell und strich es mit einem Schwamm bis es glänzte. Die Mähne musste ich auch einflechten. Danach holte ich die weiße Satteldecke, ein Stalljunge half mir beim Aufsatteln. Nach einer halben Stunde war ich fertig, ich führte Hermine durch die Menschenmenge auf einen Nebenplatz. Die Familien und Freunde der Schüler waren anwesend. Lars, Marc und Greta ritten sich bereits schon warm. Ich schwang mich auf Hermines Rücken und ließ sie mehrere Runden im Schritt gehen. Langsam erhöhte ich den Schenkeldruck und ließ die Zügel etwas lockerer, Hermine trabte an. Nach einer Weile setzte sie zum Galopp über und sprang über mehrere niedrige Hürden. Miss Hanson kam und ging mit uns auf dem Hauptreitplatz. Sie ging mit uns über den Platz und zeigte, wie wir reiten mussten. Das war besonders wichtig, ein Pferd durfte nicht zu nah  oder zu weit vor dem Hindernis abspringen. Wir konnten einen Moment Pause machen, zuerst fand das Springen der Jungen statt. Kurze Zeit später wurde das Springen der Mädchen verkündete. Natascha startete als Erste. Ich konnte einen Moment in mich gehen. „Jetzt kommt Emily Sophia Dean auf Hermine mit der Startnummer zehn“, ertönte es aus den Lautsprechern. Beim Gong ließ ich Hermine angaloppieren, ich merkte, dass sie heute energiegeladen war. Sie bewegte sich fast von alleine. Vor dem ersten Hindernis drosselte ich lieber Tempo, sie sollte nicht zu überhastet springen. Die nächsten Hürden schaffte sie ohne große Mühe. Sie übersprang auch tadellos über den Wassergraben. Nach meinem Ritt schaute ich auf die Anzeigetafel. Wow, ich stand wirklich auf dem ersten Platz, aber nur vorläufig. Es starteten noch andere starke Reiterinnen. Am Ende der Vorrunde landete ich auf dem zweiten Platz und durfte beim Stechen teilnehmen. Den ersten fünf Teilnehmerinnen winkte ein heiß begehrter Platz in der Schulmannschaft. Aus meiner Klasse nahmen außer mir, auch Natascha, Rosy und Oli beim Stechen teil. Ab sofort wurde ich nicht mehr vom Glück verwöhnt, Hermine riss zwei Stangen und das kostete mir vier Strafpunkte. Ich fiel auf den sechsten Rang zurück. Ich hätte heulen können und biss mir auf die Unterlippe. „Die fünftplatzierte Alice Tower wird wegen Abkürzens der Strecke disqualifiziert“, wurde verkündet, „An ihrer Stelle rückt Emily Sophia Dean auf den fünften Rang“ Ich jubelte innerlich und versuchte große Freudensausbrüche zu unterdrücken. Ich sah Alice weinend auf einem Strohballen sitzen. Sie fühlte sich betrogen und vergoss aus diesem Grund einen Kübel voll Tränen. Ich schaute auf die Zuschauertribüne. Dad winkte mir wild zu und klatschte. Ich erwiderte sein Winken. Lucy Oriell gewann das Springen mit knappem Vorsprung vor Mischelle Bush, Rosy wurde dritte und Oli belegte den vierten Platz. Meine Freundinnen gratulierten mir. „Herzlichen Glückwunsch, ich euch dreien, dass ihr die Qualifikation für die Schulmannschaft geschafft habt. Ich bin leider schon in der Vorrunde ausgeschieden“, gratulierte uns Greta. Auch Alice kam zu. „Herzlichen Glückwunsch für den fünften Platz. Du hast ihn dir an meiner Stelle verdient, ich habe wirklich abgekürzt“, sagte sie. Danach mussten wir zur Ehrenrunde antreten, an Hermines Kopf wurde eine rote Schleife befestigt.

 „Daddy!“, rief ich glücklich und ließ mich in seine Arme fallen. „Herzlichen Glückwunsch, Maus. Du warst einfach großartig“, gratulierte mir Dad, „Du hast bestimmt Hunger, lass uns Fisch und Chips essen“ Ich nickte. Unterwegs trafen wir Fintan. „Wie ist es gelaufen?“, fragte er mich. „Ganz gut, ich habe den fünften Platz gemacht“, erzählte ich ihm. „Herzlichen Glückwunsch, das ist großartig“, gratulierte er mir und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. „Wir war dein Rennen?“, fragte ich ihn. „Ich wurde dritter“, sagte er stolz, „Ich konnte mit Felicitas vor der Ziellinie zwei andere Reiter überholen. Aus meiner Klasse bin ich einer der wenigen, die das Rennen bestanden haben. Tiagos Pferd ist über den Zaun gesprungen und Dave machte eine Bruchlandung im Sand“ „Herzlichen Glückwunsch, du gehörst auch zur Schulmannschaft“, meinte ich und verabschiedete mich von ihm. Dad kam mit zwei Tüten Fisch und Chips zurück. Wir schauten uns den Dressurwettbewerb an. „Schau mal, da ist May, eine Freundin von mir“, sagte ich zu Dad. „Das Mädchen mit den langen schwarzen Haaren?“, vergewisserte er sich. „Ja genau die, sie reitet gerade“, nickte ich. Ihr Pferd bewegte sich genau passend zur Musik über den Platz. Danach kam Arabella. Ein paar Jungs pfiffen laut. Sie hatte sich einen langen französischen Bauernzopf geflochten, trug eine weiße Reithose und ein schwarzes Jackett mit goldenen Knöpfen. „Ist das nicht das Mädchen aus der hochnäsigen Familie?“, fragte er mich. „Allerdings“, bejahte ich seine Frage, „Sie ist schrecklich eitel und denkt nur an ihr Aussehen, sie findet sich total wichtig. Sie stellt sich dauernd mit ihren Freundinnen in den Mittelpunkt der Klasse und macht sich an die Jungs ran“ „Sie könnte die anderen Reiterinnen nur mit ihrem Outfit toppen“, meinte Dad, „Die kleine Asiatin war viel besser als sie“ May gewann tatsächlich den Wettbewerb, niemand wunderte sich darüber. Arabella belegte den fünften Rang. Ich empfing May am Gatter. „Herzlichen Glückwunsch, May“, rief ich fröhlich und umarmte sie, „Das hast du großartig gemacht, wie du Arabella den Schneid abgekauft hast“ „Danke“, strahlte May mit ihren großen Augen. „Ich finde wir sollten nachher feiern gehen“, meinte Oli hinter mir. Rosy und Greta nickten zustimmend. Ich hakte mich zufrieden bei Oli und May ein. „Wisst ihr, dass Matthew den Dressurwettbewerb der Jungen gewonnen hat?“, rief Rosy laut. Wir schüttelten erstaunt die Köpfe, niemand hätte das von ihm gedacht. Mit erhobenem Haupt trat er die Ehrenrunde mit einer goldenen Schleife an. Am Nachmittag fand die Siegerehrung mit allen Siegern statt. An Mays Brust baumelte eine goldene Medaille und Rosy zeigte uns stolz ihre Bronzemedaille.

 Papa gab mir und meinen Freundinnen einen Drink aus. Oli stürzte sich mit einem Freudenschrei auf ihre Eltern. „Meine Eltern können mich erst morgen abholen, sie müssen noch arbeiten. Ich finde es sehr traurig, dass sie meinen Sieg verpasst haben“, sagte May betrübt. „In welcher Stadt wohnst?“, fragte mein Dad. „Wir wohnen in London“, antwortete sie. „Wir können dich mitnehmen“, schlug ich vor und schaute meinen Vater an. „Das müssten wir nur mit deinen Eltern“, meinte er, „Sonst hätte ich nichts dagegen“ „Ich rufe sofort Zuhause an“, rief May begeistert und zückte ihr Handy. „Juhuu, ich darf“, jubelte sie. „Allerdings fahren wir schon heute Abend, wir werden die Nacht durchfahren und morgen sind wir in London“, sagte mein Dad. „Dad, ich will unbedingt bis zur Party bleiben“, rief ich flehend. Im nächsten Moment ging das Licht aus und eine Band im Festzelt stimmte ein Lied an.

 

Ein Halloween Streich mit Folgen

„Habt ihr vergessen, dass Morgen Halloween ist?“, fragte Oli beim Tee. „Wie kommst du ausgerechnet da drauf?“, fragte May irritiert. „Ich habe auf den Kalender schaut“, sagte Oli beiläufig, „Ich dachte, es gäbe bestimmte Bräuche“ „Die Jungs haben einen Streich vorbereitet“, wusste Greta, „Sie wollen morgen unserer netten Madame Noire in der Französischstunde einen gehörigen Schrecken einjagen“ Im nächsten Moment standen Fintan und Marc an unserem Tisch. „Passt auf, wir haben uns für Morgen einen tollen Streich ausgedacht“, sagte Fintan, „Morgen will uns Mme Noire eine Gruselgeschichte auf Französisch vorlesen. Wir wollen überall in der Klasse Nylonschnüre anbringen, um Klapperdosen klappern zu lassen und um das Fenster zu öffnen. Außerdem gebe ich euch aufziehbare Mäuse und Insekten. Ihr werdet sehen, wie echt sie aussehen. Patrick versteckt sich als Gespenst verkleidet im Klassenschrank“ „Helft ihr uns, den Streich vorzubereiten?“, fragte Tiago. Greta und ich waren sofort Feuer und Flamme. „Wir müssen morgen in der Pause im Klassenraum bleiben, um die Schnüre zu befestigen“, schlug Greta vor. Ich konnte es kaum noch erwarten. Lars verteilte die aufziehbaren Mäuse an alle Klassenkameraden. May und Rosy bekamen jeweils aufziehbare Heuschrecken. „Ihr müsst eure Mäuse morgen zur Französischstunde mitbringen und ganz wichtig ist, haltet alle dicht. Erzählt niemanden von unserem Vorhaben“, redete Lars auf uns ein.

 Am nächsten Tag blieben Greta, Fintan, Patrick und ich während der ersten großen Pause im Klassenraum. Greta und Fintan befestigten die Nylonschnüre am Fenster, an Klapperdosen und an der Tür vom Klassenschrank. „Die Schnüre sind praktisch unsichtbar“, stellte Fintan zufrieden fest. Die Klapperdosen versteckten wir hinter der großen Landkarte. Patrick hängte eine große Plastikspinne an die Decke. „Sie wird fröhlich im Wind tanzen, wenn das Fenster geöffnet wird“, freute er sich. Wir lehnten das Fenster an, damit es sich nachher öffnen ließ. Patrick zog sich ein weißes Bettlaken mit Augenschlitzen über und versteckte sich im Schrank. „Alle raus hier“, raunte Fintan, „Gleich klingelt es, wir dürfen nicht auffallen“ Er schob mich und Greta aus dem Klassenzimmer, wir gingen unauffällig durch die Schulgänge. Der Gong ertönte, mit einem Trupp anderer Klassenkameraden ging ich zum Klassenzimmer zurück. Mme Noire kam mit uns gleichzeitig an. Wir setzten uns auf unsere Plätze und versuchten so normal wie möglich zu sein. Ich musste mich sehr anstrengen, um nicht zu grinsen. Tiagos und Fintans Augen funkelten vorwitzig. „Bonjour mes eleves, ich werde euch eine der bekanntesten französischen Gruselgeschichten vorlesen. Bitte holt einen Stift und ein Blatt Papier raus, ihr werdet eine Zusammenfassung schreiben, dessen was ich vorlese“, sagte sie. Es wurde ganz ruhig. Mme Noire fing an vorzulesen, ich zog an meiner Schnur. Es klapperte leise, ich zog noch heftiger an der Schnur und diesmal rappelte es richtig laut. Mme Noire stoppte, „Spukt es hier wirklich?“, fragte sie mit ängstlichem Unterton. Greta zog an ihrer Schnur und das Fenster flog auf. „Aaahh“, rief Mme Noire erschrocken. Die Beine der Plastikspinne zappelten im Wind. „Hilfe, eine riesige Spinne über meinem Kopf!“, schrie Pamela außer sich und rannte heulend aus der Klasse. Sie war die Einzige, die nicht in den Streich eingeweiht wurde. Mme Noire schrie noch lauter. Ich ließ wieder die Dosen klappern und rappeln. „Der Geist von Saint Malory ist wieder auferstanden“, schrie unsere Lehrerin. Fintan blinzelte mir zu, er zog seine Maus auf und ließ sie über den Boden flitzen. Oli und ich machten es ihm nach. Unsere Mäuse jagten seiner hinterher. „Mäuse“, brüllte Mme Noire und sprang auf den Tisch. Immer mehr Mäuse und Heuschrecken lieferten sich ein Rennen. Nur Matthew und Dave ließen ihre Mäuse nicht flitzen. Im nächsten Moment zog Fintan an seiner Schnur, die Tür vom Klassenschrank flog auf und Patrick, das Gespenst, tobte heulend durch das Klassenzimmer. Das war zu viel für Mme Noire, sie sprang vom Tisch und rannte heulend nach draußen. Mit ihrem linken Fuß blieb sie am Türrahmen hängen. Wir hörten sie vor Schmerzen schreien. Uns blieb das Lachen im Hals stecken. Arabella sprang auf, „Ihr habt den Spaß übertrieben, Fintan und Emily. Ich stehe nicht für diese Kindereien ein“, rief sie. Rosy und May schauten nach, ob sich Mme Noire ernsthaft verletzt hatte. Ich schlich ihnen hinterher. „Mon jambe, es tut so schrecklich weh“, stöhnte sie. „Haben Sie sich ernsthaft verletzt?“, fragte Rosy. May holte vorsichtshalber die Hausmutter. „Ich muss zurück in meine Klasse“, protestierte unsere Lehrerin, als ihr Fuß verbunden wurde. Vor Scham lief Mme Noire die eine oder andere Träne über die Wange. Wie konnte sie sich nur so blamieren lassen? „Das muss Konsequenzen haben“, dachte sie rachsüchtig. Humpelnd kehrte Mme Noire in die Klasse zurück.

 „Ihr seid impossible. Schämt ihr euch gar nicht, eine erwachsene Frau so zu behandeln? Ihr seid auf einem der besten Internate Irlands, ihr werdet bald erwachsen. Ich habe das Gefühl, ich bin im Kindergarten“, schimpfte Mme Noire mit ihrer donnernden Stimme, „Ich beschwere mich bei Monsieur Scott für euer Verhalten und werde durchsetzen, dass ihr bis zum Ende des Jahres Ausgehverbot bekommt“ Matthew sprang entsetzt auf, „Das ist nicht fair die ganze Klasse für das Fehlverhalten einzelner Schüler bestraft werden. Ich weiß wer es war“, rief Matthew entrüstet. „Halt deine Klappe“, fuhr ihm Tom über den Mund. „Du willst wohl nicht etwa petzen?“, meinte Tiago verächtlich. „Es ist mir doch egal ob ich petze oder nicht“, brüllte Matthew. „Ruhe“, donnerte Mme Noire und schlug ein Lineal auf den Tisch, sodass es zerbarst. „Das wievielte kaputte Lineal ist das?“, lästerte Oli. „Ich sage offen wer es war“, sagte Matthew mit erhobenen Kopf, „Hinter dem Streich stecken Fintan und Patrick, auch einige ihrer Freunde haben mitgemacht“ Fassungslos starrten wir Matthew an. Kameraden zu verpfeifen, war das Schlimmste was es gab. „Kein Wort werden wir mit der Petze reden“, platzte es aus Lars heraus. „Fintan Oliver Bentley, du bist der Klassensprecher. Komm sofort hierher“, rief Mme Noire, „So wie du dich verhalten hast, bist nicht als Klassensprecher geeignet. Du musst für die Klassengemeinschaft einstehen und Verantwortung übernehmen. Deine Klasse zu Streichen anstiften, das ist incroyable. Du bist zu alt für solche albernden Dummheiten“

Fintan musste sich vor die Klasse stellen, als ein heftiges Donnerwetter über ihn erging. Regungslos blieb er stehen und sah der Lehrerin starr in die Augen. Er wurde nur ein wenig rot, aber wirkte trotzdem geschockt. „Sie können ihn nicht alleine bestrafen, ich habe mich als Gespenst im Schrank versteckt“, meldete sich Patrick. Immer mehr Schüler zeigten auf. „Da ihr anscheinend alle mitgemacht habt, muss ich die ganze Klasse bestrafen. Ich werde durchsetzen, dass ihr bis zum Dezember nicht mehr das Schulgelände verlassen dürft. Außerdem lasse ich euch zur Strafe eine Klausur schreiben“, sagte Mme Noire spitz. Fintan konnte sich gerade eben noch beherrschen, am liebsten würde er Matthew verprügeln bis ihm schwarz vor Augen wird.

 Nach der Stunde nahm er sich Matthew vor. Matthew versuchte an ihm vorbei zu kommen. Doch als Vollblutathlet ließ Fintan einen Milchbubi namens Matthew nicht ziehen. Er packte Matthew fest an den Schultern und drückte ihn gegen die Wand. Matthews Kinnlade zitterte als er seine Standpauke bekam. „Bitte lass mich durch“, fing er an zu schluchzen. „Ohne dass ich mit dir ein Wort geredet habe, kommst du nicht ungeschoren davon“, sagte Fintan mit fester Stimme. „Ich habe mich bereits mehrmals bei dir entschuldigt“, heulte Matthew auf, „Ich habe dich verpetzt, weil du mich immer so mies behandelt hast. Du hast mich immer abwertend angeschaut oder einen blöden Spruch fallen gelassen, wenn ich kam“ „Bei dir ganz zu Recht“, meinte Fintan kühl. Es rollten mehr Tränen über Matthews Wangen und plötzlich wurde er ganz wütend. „Lass mich sofort gehen, ich werde dich anzeigen und dafür sorgen, dass du von der Schule fliegst“, schrie er Fintan an. „Du alte Jammersuse, wo holst du deine ganzen Tränen her?“, bemerkte Fintan verächtlich, „Na gut, bevor du dich ganz in Tränen auflöst, kannst du gehen“ „Fintan, du bist ein unsäglicher Fiesling“, griff ihn Dave an, „Es ist wirklich wahr, dass du manche Schüler ziemlich fies behandelst und ausgrenzt. Ich bekomme mit, dass du über mich lästerst. Du hältst dich wohl für den Hahn im Korb“ Nun versuchte der stämmige Dave Fintan an die Wand zu drücken. Fintan ließ sich das nicht bieten und drehte sich aus seinem Griff heraus. „Dave, du hast dich nicht in andere Angelegenheiten einzumischen“, raunzte er Dave an und ging. Die schlechte Stimmung beim Mittagessen vermieste uns den Appetit. Matthew war erst gar nicht erschienen, Patrick und Fintan stocherten lustlos in ihrem Mittagessen herum. 

Mr. Scott betrat den Gemeinschaftsraum, er tadelte unsere Klasse für das Verhalten von vorhin und verhängte uns vier Wochen Ausgehverbot. Er griff Fintan heraus, „Ich habe mitbekommen, dass du der Rädelsführer des ganzen Streiches warst und hinterher auf zwei deiner Klassenkameraden losgegangen bist. Du bist der Klassensprecher und musst deine Klasse würdig vertreten. Leistet du dir noch eine Dummheit, bist du dein Amt los“, stutzte der Direktor ihn zurecht. Fintan hätte am liebsten geheult, aber er biss sich auf seine Lippe und blieb hart. Sein sonstiges Selbstbewusstsein war wie weggeblasen und er wirkte jetzt sehr kleinlaut. „Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe“, entschuldigte er sich zerknirscht. Mehr wusste er nicht zu sagen. Stumm setzte er sich wieder hin und rührte seinen Teller nicht mehr an. „Manno Mann, dass ist hier eine Stimmung wie auf dem Friedhof“, stöhnte Oli und schob ihren Teller weg. „Nun werden wir eingesperrt, wie Nonnen in einem Kloster“, meinte Greta patzig.

 In der nächsten Französischstunde ließ Mme Noire ihre gefürchtete Klausur schreiben. Innerlich fluchte ich sehr laut, äußerlich schaute ich ratlos zum Fenster hinaus. Mamsell hatte die Klausur absichtlich so schwer gestellt wie möglich gestellt. Beinahe zerkaute ich meinen ganzen Bleistift.

Eine Woche später gab Mme Noire die Klausuren zurück. „Ich bin erstaunt, wie schlecht, sie ausgefallen ist“, sagte sie während sie die Hefte zurückgab. Mit klopfenden Herzen schlug ich mein Heft auf. Eine rote Vier prangte auf der letzten Seite, Glück gehabt! Fintan hatte eine Fünf und Tiago bekam sogar eine Sechs zurück. Rosy hatte mit einer Drei plus die beste Arbeit zurückbekommen. Fintan entschuldigte sich aufrichtig für den Halloween Streich und wollte freiwillig ein Referat halten. „Sowas hätte ich von dir nicht gedacht, mon garcon“, sagte Mme Noire überrascht.

 Am 18. November feierte Oli ihren siebzehnten Geburtstag. Sie lud Greta, May und Rosy in unser Zimmer ein. Ich machte Wasser im Wasserkocher warm, damit wir Tee trinken konnten. Zuvor haben wir viele Kerzen angezündet, das Zimmer geschmückt und die Lampen ausgemacht. So war es viel gemütlicher. May und Greta besorgten Schokolade, Kekse und Weingummi. Rosy hatte beim Konditor eine große Torte gekauft. „So eine große Torte bekommen wir nie auf“, sagte ich. „Woher hast du soviel Geld, dass du dir so eine große Torte leisten kannst, Rosy“, fragte Greta. „Ich bekomme von meinen Eltern wöchentlich 50€ Taschengeld“, erzählte Rosy und überreichte Oli ihr richtiges Geburtstagsgeschenk. Es war riesig. Was mochte sich in dem Paket verbergen? Olis Augen weiteten sich, als eine Pferdedecke zum Vorschein kam. „So eine schöne Pferdedecke, tausend Dank“, rief Oli bewundernd und fügte hinzu, „Sie muss wohl sehr teuer gewesen sein“ Ich schenkte ihr ein Hufeisen und ein Buch. Von May und Greta bekam sie Reitstrümpfe und ein Sammelarmband. Draußen auf dem Fenstersims saß ein miauendes Kätzchen. „Ich hole die Katze rein, ich kann ihr verzweifeltes Miauen nicht mehr ertragen“, sagte Greta und legte ihren Teller mit der Torte beiseite. Kalte Novemberluft drang in unser Zimmer, draußen regnete und stürmte es. „Mach das Fenster zu“, bibberte Rosy. Das Kätzchen war mit einem Satz im Zimmer. Ich wollte es fangen und auf meine Schmusedecke setzen, mit einer geschmeidigen Bewegung entglitt es meinen Händen und sprang ein Regal, das an der Wand hing. Entsetzt schrieen Oli und May auf. „Was ist passiert?“, fragte Rosy irritiert. „So ein Mist, die kleine Mieze hat eine Kerze umgeworfen“, schimpfte Oli, „Seht euch die Schweinerei an, das ganze Wachs tropft auf den Boden“ Beherzt griff ich die umgeworfene Kerze und löschte sie. Nun machten wir zu fünft Jagd auf das Kätzchen. „Oli und Rosy, ihr behindert mich“, beschwerte sich Greta, „Wir  stehen uns gegenseitig im Weg“ „Ich hab sie!“, brüllte Rosy und lag mit dem Oberkörper auf dem Tisch. May fing laut an zu lachen und krümmte sich. „Rosy, du liegst auf der Torte“, kicherte sie. „Wie bitte!“, rief Rosy entsetzt und hielt immer noch das Kätzchen am Schwanz fest. Das Kätzchen maunzte empört. Oli und ich bekamen nun ebenfalls einen heftigen Lachkrampf und hielten uns gegenseitig fest. „Ich kann nicht mehr“, stöhnte Oli und lehnte sich gegen meinen Rücken, „Mir tut vor Lachen mein ganzer Körper weh“

 Greta packte das Kätzchen und setzte es nach draußen. Erst jetzt realisierte Rosy, was ihr passiert ist. „Da habe ich eine schöne Schweinerei verursacht. Meinen Pulli muss ich morgen in die Reinigung bringen“, jammerte sie und versuchte mit einem Taschentuch die Sahne von ihrem Pullover zu wischen. Währenddessen kratzte ich die Wachstropfen vom Boden. „Wir müssen das Zimmer unbedingt wieder sauber bekommen, sonst gibt es riesigen Ärger mit der Hausmutter“, jammerte Oli. „Jetzt ist wohl Zimmerputz statt Budenzauber angesagt“, bemerkte Greta trocken und wischte den Tisch mit einem feuchten Lappen ab. „Seid froh, dass es wegen der Kerze keinen Brand gegeben hat oder Wachsflecken auf meiner Bettdecke“, meinte ich. May fegte mit einem Kehrblech die Krümel vom Fußboden. „Das Zimmer sieht wieder so aus wie es vorher war, die Arbeit hat sich gelohnt“, stellte ich zufrieden nach zwei Stunden Putzerei fest. „Es war wohl eher eine Putzfete, als eine Geburtstagsfete“, meinte Oli mit einem ironischen Unterton. Es war kurz vor Mitternacht. „Ich glaube, ich gehe jetzt rüber“, gähnte Rosy, „Gute Nacht“ Greta und May gingen auch in ihr Zimmer. „Die Katzenjagd werde ich niemals in meinem Leben vergessen“, sagte Oli als wir unseren Betten lagen. „Wahrscheinlich kannst du die Geschichte deinen Kindern und Enkelkindern weiter erzählen“, murmelte ich verschlafen und kuschelte mich in meine Decke

 

Der Adventsball

„Ich hasse Zeichnen wie die Pest“, stöhnte Greta neben mir, „Ich kann zum dritten Mal von Vorne anfangen, ich bekomme die Schattierungen nie hin“ „Du musst mit Bleistiften unterschiedlicher Härte arbeiten, damit kannst du viele Effekte erzeugen“, meinte ihre Banknachbarin Darcy. „Ich hab bloß nur einen Bleistift“, jammerte Greta. „Ich werde dir welche von meinen leihen“, schlug Darcy vor, „Emily kann sie ruhig mitbenutzen“ „Vielen Dank, Darcy“, sagte Greta dankbar und griff nach einem neuen Blatt. „Das sieht doch schon besser aus“, fand ich. „Tja, Darcys Bleistifte verleihen mir Flügel“, schmunzelte Greta.

„Legt eure Stifte kurz beiseite. Ich mache eine kurze Ansage“, rief unsere Kunstlehrerin Mrs. Brown, „Ich soll euch erinnern, dass in zwei Wochen der Adventsball unserer Schule stattfindet. Euer Klassenlehrer hat mich gebeten, euch die Liste zu geben, damit ihr eintragen könnt mit wem ihr tanzt. Tragt euch bitte zum dritten Dezember ein“ „Ich weiß nicht, mit wem ich tanzen soll“, stöhnte Greta, „Ich habe eigentlich keine Lust auf so etwas“ „Du meisten Mädchen wollen bestimmt Fintan tanzen“, mischte sich Rosy ein. „Ich werde später Lars fragen“, flüsterte mir Oli ins Ohr. Ich war mir noch gar nicht sicher, mit wem ich tanzen sollte. Am liebsten würde ich mit Fintan tanzen, aber Arabella versuchte ihn die ganze Zeit für sich zu gewinnen. Sie schwänzelte dauernd um ihn herum und sprach ihn ständig an. Wahrscheinlich würde sich Arabella mit ihm eintragen lassen. Am Ende des Tages hatte sich noch kein Paar eingetragen.

 Ein paar Tage später, als ich abends auf meinem Bett saß und einen Roman las, stürmte Oli aufgeregt in unser Zimmer. „Weißt du was, die ersten Tanzpaare haben sich eingetragen“, rief sie außer Atem. Sofort fuhr ich auf. „Arabella tanzt mit Fintan, Stella mit Marc, Natascha mit Patrick, Darcy mit Tiago und ich werde mit Lars tanzen“, berichtete Oli strahlend. „Das ist doch klar, dass Arabella sich Fintan schnappt. Sie muss eine besonders gute Figur machen“, sagte ich verächtlich und fügte bekümmert hinzu, „Nun haben schon sehr viele einen Tanzpartner und ich habe geschlafen“ Ich stand auf und ging in den Gemeinschaftsraum. „Tom hast du schon eine Tanzpartnerin?“, fragte ich nach einigem Zögern. „Ich habe mich vor 60 Sekunden mit Margareta eingetragen“, antwortete er platt, „Du hättest mich vorher fragen müssen“ Nun konnte ich nur noch Dave und Matthew fragen. Dave und Matthew saßen vor einem Schachbrett. „Darf ich euch stören“, begann ich zaghaft. „Ich weiß, was du fragen willst“, meinte Dave, „Du willst sicher mit mir tanzen“ Ich nickte. „Na gut, dann tragen wir uns in die Liste ein“, sagte er. Im nächsten Augenblick wurde Matthew von May gefragt, ob er mit ihr tanzen wollte. Rosy saß bedrückt in der hintersten Ecke des Gemeinschaftsraumes und starrte mit ihren grauen Augen die Decke an. „Rosy, stimmt mit dir etwas nicht?“, fragte ich sie und setzte mich neben sie. „Ach, ich habe ein großes Paket bekommen. Meine Eltern haben mir ein rotes Coursagenkleid, Ballerinas und Schmuck geschickt“, seufzte sie tief. „Das ist doch kein Grund um traurig zu sein“, sagte ich. „Eigentlich nicht“, fuhr sie fort, „Aber ich habe keinen Tanzpartner. Das schönste Outfit nützt nichts, wenn Alle sehen, dass man ein Außenseiter ist“ „Aber du bist doch längst kein Außenseiter mehr“, rief ich tröstend, „Du hast immerhin uns als Freundinnen“ „Das mag sein, aber auf dem Ball hilft mir das wenig“, sagte sie niedergeschlagen, „Am liebsten will ich an diesem Tag krank sein“ „Sei nicht so pessimistisch“, rief ich, „Wir finden garantiert eine Lösung“ 

Am Freitag, einen Tag vor dem Ball, bekam Natascha in Mathematik heftige Bauchschmerzen. „Willst einen Moment an die frische Luft gehen?“, fragte Mr. Sloane als er ihr schmerzverzerrtes Gesicht sah. „Ich weiß nicht, ob mir das hilft“, wimmerte Natascha, „Ich will es erstmal aushalten“ „Wie du willst“, meinte Mr. Sloane und wandte sich wieder der Formel an der Tafel zu. Besorgt sah ich die ganze Zeit zu Natascha hinüber, sie stöhnte und krümmte sich vor Schmerzen. Ich zeigte auf, „Mr. Sloane, bitte schicken Sie Natascha auf die Krankenstation, ihr geht es wirklich schlecht“ „Ich halte es nicht mehr aus, mir ist so übel“, schluchzte sie im nächsten Augenblick. Darcy und Stella mussten Natascha stützen, sie konnte nicht mehr alleine laufen“ „Wenn das mal keine Blinddarmentzündung ist“, bemerkte Fintan mit Sorgenfalten im Gesicht. „Nun können wir in Ruhe weiter machen“, sagte unser Mathelehrer, „Margareta, kannst du die Ableitung der Funktion an die Tafel zeichnen“ Greta stand auf und machte sich mühelos ans Werk. Mathematik war nie ihr Problem.

In der ersten großen Pause erfuhren wir von Arabella, dass Natascha ins Krankenhaus gebracht wurde. „Sie hat einen Verdacht auf Blinddarmentzündung“, berichtete sie erschüttert. Obwohl Natascha zu Arabellas hochnäsiger Clique gehörte, aber sie war neben Darcy die Einzige von Arabellas Freundinnen, die ganz okay war. Auf jeden Fall tat sie mir leid. Ich musste im Biologieunterricht dauernd an Natascha denken, ausgerechnet einen Tag vor dem Adventsball bekam sie eine Blinddarmentzündung, so ein Pech! „Ihr scheint sehr beunruhigt zu sein, ich werde in der Klinik anrufen und fragen, wie es um Natascha steht“, meinte unser Klassenlehrer und ging raus. Zehn Minuten kam er wieder. „Es hat sich bestätigt, dass Natascha eine Blinddarmentzündung hat. Sie wird in einer Stunde operiert“, berichtete Mr. O’Connor. Wir machten lange Gesichter, Arabella und Darcy waren den Tränen nahe.

 Nach der Schule rief Dad an. „Es tut mir sehr leid, dass ich morgen nicht kommen kann“, sagte er, „Ich habe von meinem Chef einen wichtigen Auftrag bekommen. Ich muss noch heute auf Geschäftsreise, mein Flieger nach Hamburg geht heute Abend“ „Das hättest du mir eher sagen können“, murrte ich enttäuscht. „Ich werde dich auf jeden Fall am letzten Schultag abholen“, versprach er mir. „Dad, ich muss aufhören, ich muss sofort zum Tee. Auf Wiedersehen“, sagte ich und legte auf. „Wisst ihr schon wie es Natascha geht?“, fragte ich in die Runde. „Wir warten genau wie du auf eine Antwort“, meinte Darcy achselzuckend. Inzwischen hatte es sich herausgestellt, dass Rosy morgen mit Patrick tanzen wird. Jetzt war Pamela die Einzige ohne Tanzpartner. „Mir geht es nicht gut, ich gehe auf die Krankenstation. Ich glaube ich habe Fieber und bekomme eine Grippe“, klagte Pamela und hüstelte. Wir schenkten ihr keine Beachtung, sie täuschte bestimmt ihre Krankheit wieder vor. Sie stellte sich dauernd krank, um sich vor unangenehmen Situationen zu drücken.

Einen Augenblick später erschien Mr. Sloane im Gemeinschaftsraum. „Ich kann euch beruhigen, Nataschas Blinddarmoperation ist erfolgreich verlaufen“, teilte er uns mit. Wir atmeten erleichtert auf. „Dürfen wir sie besuchen?“, fragten Stella und Arabella aus einem Munde. „Nicht vor Sonntag, sie muss sich erst einmal erholen. Ihre Eltern fliegen ihretwegen aus Russland ein und dürfen sie als Erste besuchen“, meinte Mr. O’Connor. 

Am nächsten Nachmittag hatte ich einen Friseurtermin. Die Friseuse schnitt die Spitzen meiner rotblonden Haare ab. „Dir würde sicherlich ein geflochtener Haarkranz stehen“, meinte sie und machte sich an die Arbeit. Sie flocht mir seitlich am Kopf zwei Zöpfe und steckte sie mir zu einem Krönchen hoch. „Zu deinen blauen Augen passen am Besten blaue und violette Spangen“, sagte sie zu mir. Am Ende betrachtete ich das Ergebnis zufrieden im Spiegel. Mit meinem schlichten dunkelblauen Kleid sahen meine Haare erstklassig aus. Meine Freundinnen scharrten sich um mich. „Du siehst wie eine irische Waldfee aus, Emmi“, rief May begeistert. Im nächsten Augenblick tauchte Arabella auf, sie trug ein kurzes weißes Cocktailkleid mit glitzernden Pailletten, eine silberne Haarspange und cremefarbene Heighheels. Ihre blonden Locken fielen im Takt ihrer Schritte auf ihren Rücken. „Sie wird heute Abend den Wettbewerb für den originellsten Rauschgoldengel gewinnen“, kicherte Greta. „Sei bloß vorsichtig, was du sagst“, zischte Arabella bedrohlich, „Du bist wohl eifersüchtig auf mich“ „Ganz im Gegenteil, ich kleistere mir nicht mein Gesicht mit Schminke voll und drehe mir keine goldene Locken“, Greta kicherte nur noch mehr. „Greta hat Recht, du kannst heute Abend als Rauschgoldengel auftreten, lass deine Stimme erklingen und hol deine Harfe“, bestärkte Oli. „Die Flügel fehlen ihr noch!“, wisperte May. „Ihr habt doch keine Ahnung vom Stylen, ihr armen Bauerntöchter. An eurer Stelle würde ich den Mund halten. Meine Eltern haben genug Geld, dass sie sich für mich einen Stylisten bezahlen können“, platzte Arabella der Kragen. Im nächsten Augenblick rauschte sie beleidigt davon. „Lasst den Engel bloß fliegen. Hoffentlich hebt sie nicht mit Fintan ab und fliegt mit ihm in den Himmel“, spottete ich. Kurz darauf gesellte sich Rosy zu uns. Sie sah in ihrem roten Coursagenkleid umwerfend aus. Ihre mittelblonden Locken waren hochgesteckt, eine Rose prangte in ihrem Haar und sie wirkte auf Heighheels viel größer. Sonst war Rosy immer das kleine graue Mäuschen, sie schämte sich wegen ihrer Locken und trug ihre Haare oft in einem langen geflochtenen Zopf. Dave kam auf mich zu. „Emily wir müssen uns aufstellen“, sagte er, „Wir werden gleich in die Aula einmarschieren“ Er griff meine Hand und zog mich durch die Menschenmenge. Drinnen spielte ein Orchester und die ganze Aula wurde fein hergerichtet. Hand in Hand marschierten wir herein. Sehr viele Menschen waren anwesend. Zuerst richtete Mr. Scott ein Grußwort an uns, bevor die Sponsoren und Förderer auf die Bühne traten.

Mr. Heaven ein grauhaariger Mann trat auf die Bühne und begann seine Rede. „Sehr geehrte Lehrer, sehr geehrte Schüler, Schülerinnen und Eltern. Ich bin stolz heute hier zu sein. Noch vor vierzig Jahren ging ich hier zu Schule. Ich muss sagen, ich genoss meine Zeit auf Saint Malory. Am liebsten verbrachte ich die Zeit bei den Pferden und mit Dressur. Leider ist aus mir kein erfolgreicher Dressurreiter geworden, dafür habe ich mir einen anderen Traum verwirklicht. Ich habe vor fünfunddreißig Jahren mein Unternehmen gegründet, mittlerweile ist es international erfolgreich. Am Ende muss ich sagen, Saint Malory war für mich das Sprungbett für den Erfolg, deshalb bin ich stolz Schüler dieses Collages gewesen zu sein und deshalb unterstütze ich Saint Malory heute immer noch“, sprach er zu uns und überreichte Mr. Scott einen Scheck. Die anwesenden Menschen klatschten Beifall. Nach einer Zeit kamen mir die Reden endlos vor. 

Endlich erklang das Orchester zum Wiener Walzer. Diesen Tanz beherrschten Dave und ich am besten. Oli tanzte mit Lars neben uns, sie hatte sich ihre langen Haare mit einer Spange hochgesteckt und einige lose Strähnen flatterten beim Tanzen. Danach wurden Discofox, Foxtrott, Tscha Tscha Tscha und Squaredance getanzt. Während eines irischen Volkstanzes schubste mich Dave ungeschickt gegen Arabella. „Könnt ihr Trottel nicht aufpassen!“, raunzte sie uns an. „Entschuldigung! Das war nicht unsere Absicht“, beteuerte Dave unsere Unschuld, „Ich habe euch nicht kommen sehen“ „Ihr seid nicht alleine auf der Tanzfläche, also haltet eure Augen offen“, erwiderte sie schnippisch. „Zum Kuckuck noch einmal, es war nicht unsere Absicht und dir ist nichts passiert“, griff ich ein. „Oh doch, meine Haarspange ist jetzt lose und meine Frisur ruiniert“, rief Arabella wütend. „Oh, es tut mir riesig leid, deine teure Engelsfrisur durcheinander gebracht zu haben“, bemerkte ich mit einem spöttischen Unterton. „Ich habe für meine Frisur einen Nachmittag beim Friseur verbracht, während du nicht einmal das Geld dafür hattest und deine Haare notdürftig hochgesteckt hast“, keifte sie. „Das nächste Mal passiert ihr besser auf und achtet darauf wo ihr hintretet, ihr seid nicht alleine“, sagte Fintan vorwurfsvoll zu uns und zog Arabella von uns fort. In Arabella brodelte es immer noch, Fintan legte seinen Arm um ihre Schulter und versuchte sie mit seiner warmen und einfühlsamen Stimme zu beruhigen. 

Fintans Kommentar hatte mich getroffen. „Nimm dir nichts von diesem blöden Kerl und seiner abgedrehten, hysterischen Tussi an“, meinte Dave tröstend und zog mich ein Stückchen nach rechts. Am späteren Abend spielte die Band neuere Songs aus den aktuellen Charts, die Tanzpaare lösten sich allmählich, Jungs stellten sich mit einem Bier vor die Bühne und die Mädchen wippten im Takt der Musik. „Lasst uns tanzen!“, rief Oli begeistert und griff nach meiner Hand. Rosy, Greta, May, Oli und ich bildeten einen Tanzkreis. „Ah, nicht so schnell. Ich kippe auf meinen hohen Absätzen um“, kicherte Greta und klammerte sich an meinem Arm fest. Fast verlor ich auch das Gleichgewicht und wurde von Rosy gestützt. Unser Ringelreigen endete mit einem heftigen Lachkrampf.  „Ich ziehe mir, wenn ich nicht muss, nie wieder freiwillig Schuhe mit hohen Absätzen an“, meinte Oli stöhnend. Arabella stand am Tresen und unterhielt sich mit jungen Männern aus den höheren Klassen, Fintan stand nicht mehr bei ihr. Lieber hing er mit seiner Boygroup ab. Er unterhielt sich lebhaft mit Tiago, Lars und Marc. Patrick und Tom lieferten sich ein Wetttrinken mit Bier. Pattrick konnte seine lauten Rülpser nicht mehr unterdrücken, wir mussten kichern. Nur Greta lachte geradeaus. Fintan schaute seinen Kumpel mahnend an, als wolle er ihm sagen, dass sein Verhalten langsam peinlich wird, dabei raufte er seine gegelte Haare. „Schaut mal, wie betrunken sie sind“, lästerte Rosy und kicherte, „Tom kann bereits nicht mehr vernünftig geradeaus gehen und Pattrick wird morgen nicht mehr normal reden können, wenn er so laut schreit“ Um zwei Uhr war die Veranstaltung vorbei und die Musik ebbte ab.

 

Feueralarm

„Rosanna, du musst viel lauter sprechen. Bei der Aufführung müssen dich die Zuschauer bis in die letzte Reihe verstehen. Emily, du darfst nicht wie eine Statur auf der Bühne stehen. Du musst dich authentisch bewegen während du sprichst“, ermahnte uns Mr. O’Connor und ließ die Szene erneut spielen. Heute in der Englischstunde probten wir, nachdem wir letzte Stunde unsere Englischklausur geschrieben haben, unser Weihnachtsstück „Christmas Carols“ zum ersten Mal in der Schulaula. Tiago versuchte seine Freunde hinter der Bühne mit schrägen Grimassen zu belustigen. Fintan und Tom brachen sofort in lautes Lachen aus. Matthew stand auf der Bühne, er spielte die Hauptrolle Ebennezer Scrooge. „Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn Fintan und Tom lachen“, beklagte er sich. „Tom und Fintan, es reicht! Hört auf zu lachen, sonst verpasst ihr gleich euren Einsatz“, ermahnte sie unser Klassenlehrer. Arabella prüfte noch einmal, ob ihr Kostüm richtig saß. „Dieser eitle Fratz“, zischte Oli. Zum Glück hatten Arabella und Mr. O’Connor diese Bemerkung nicht gehört. „Los, du musst auf die Bühne“, flüsterte May, sie hatte wieder für mich aufgepasst.

Es hakte immer noch an den gleichen Stellen. Rosy sprach zu leise, Fintan trat von der falschen Seite auf, Pamela konnte ihren Text nicht, Tiago bekam einen Lachkrampf, Oli wurde rot wie eine Tomate und Greta stolperte über die Enden ihres langen Kleides. „Es klappt hinten und vorne nicht“, unterbrach Mr. O’Connor die Probe, „In zehn Tagen muss es klappen, dafür müssen wir noch öfter proben“ Er ließ das Stück noch einmal von vorne proben. „Ich wäre nicht gerne Schauspielerin“, dachte ich.

 Nach der Stunde gingen Rosy und ich zu unserem Klassenlehrer. „Können Rosanna und ich die Rollen tauschen?“, fragte ich. „Warum ausgerechnet das?“, fragte er zurück. „Sie glaubt, ihre Rolle nicht so gut zu erfüllen“, sagte ich. „Außerdem könnte ich die Lieder viel besser auf meiner Harfe begleiten“, mischte sich Rosy ein. „Meinetwegen, wenn ihr das unbedingt wollt“, meinte Mr. O’Connor, „Emily, du übernimmst die Rolle der Belle und Rosanna, du trittst in zwei Szenen als eines der Fabelwesen auf und zwischendurch begleitest du ein Lied mit deiner Harfe“ „Ich fange heute an meine Rolle zu lernen“, pflichtete ich bei.

Abends saß ich mit einem Stapel Zettel in meinem Zimmer. „Spielst du eine Runde Karten mit mir?“, fragte Oli. „Ich kann nicht, ich muss meine neue Rolle auswendig lernen“, schüttelte ich den Kopf. „Da hast du dir eine ganz schön schwere Rolle ausgesucht“, meinte Oli, „Ich bin froh, dass ich nur ein Fabelwesen bin und dreimal zwei Sätze sagen muss“ „Ich habe mit Rosy getauscht“, bemerkte ich. „Ich glaube, du bist für diese Rolle besser geeignet als sie, Rosy wirkt immer zu verzagt“, murmelte Oli. „Hast du sie schon Harfe spielen hören?“, fragte ich sie. Oli nickte, „Damals als sie noch keiner mochte, ist sie häufiger heimlich in den Musikraum geschlichen und hat immer ein trauriges Lied gespielt. Einmal habe ich sie dabei beobachtet, sie hat mich nicht gesehen und spielte unbeirrt weiter“

Ich vertiefte mich wieder in meine Rolle. „Ach, wenn es nicht nur so viel wäre“, seufzte ich. Im Moment Augenblick kam Greta in unser Zimmer geplatzt. „Wie wäre es mit anklopfen“, murrte Oli und sah die ungestüme Greta eindringlich an. „Ich wollte euch nicht stören“, meinte Greta unschuldig, „Ich wollte euch bescheid sagen, dass ich am 16. Dezember meinen Geburtstag feiere. Es wird eine Mitternachtsparty. Ihr sollt punkt null Uhr mit ein paar Leckereien in meinem Zimmer erscheinen“ Unsere Augen glänzten vor Aufregung. Nach unserer anfänglichen Euphorie wurde ich skeptisch. „Das wird die Hausmutter bestimmt mitkriegen, eine Party geht normalerweise nie ohne Lärm vonstatten“, sagte ich. „Selbstverständlich machen wir keinen Lärm, Emmi“, widersprach mir Greta sofort, „Ich mache eventuell leise Musik an, sodass es außer uns niemand hört“ „Moment mal, an deinem Geburtstag ist das Theaterstück“, fiel Oli ein. „Davon lass ich mir meine Party nicht vermiesen“, fiel ihr Greta ins Wort, „Wir werden unsere Rollen schon hinbekommen, auch wenn wir zwei Stunden weniger Schlaf haben als sonst“ 

In den nächsten Tagen war ich damit beschäftigt meine Rolle zu pauken. „Jetzt doch mal eine Pause. Gleich fängt dein Kopf an zu rauchen“, sagte Oli, „Lass uns lieber in die Stadt gehen und ein Geschenk für Greta kaufen“ Das war eine willkommene Abwechselung. Wir sagten der Hausmutter bescheid und schlüpften aus dem Haus. „Beeil dich, in fünf Minuten kommt der nächste Bus“, drängte Oli. Heute war das Wetter besonders schmuddelig, der Wind jagte bleigraue Wolken über den Himmel aus denen dicke Regentropfen fielen. Wir erwischten den Bus gerade noch rechtzeitig. Mit hochroten Gesichtern nahmen wir Platz. Hinter uns plärrte ein kleines Kind, weil es unbedingt einen Keks haben wollte. Seine Mutter kümmerte sich um sein schlafendes Geschwisterchen im Kinderwagen. Eine alte Dame vor uns strickte einen Schal, ihr fiel das Garn auf den Boden.

In einer kleinen Ortschaft stiegen wir aus und gingen durch die Einkaufsstraße. Hier traf man wieder auf den Trubel, den ich aus London kannte. Überall prangte Werbung für Weihnachtsgeschenke, Straßenverkäufer priesen ihre Waren, kleine Kinder hielten Luftballons in ihren Händen und es duftete verlockend nach Essen. Überall konnten wir sehen, dass Weihnachten nicht mehr lange entfernt war, die ganze Straße war mit Tannenbäumen und einer weihnachtlichen Festbeleuchtung geschmückt. Oli kaufte für Gretas als erstes ein Halstuch aus blauen und weißem Stoff, welches sie selber hübsch fand. Ich entschied mich für ein Paar Kuschelsocken und eine Tasse mit ihrem Namen. Zwischendurch aßen wir eine Waffel und gingen zur Bushaltestelle zurück. Zwei Jungen attackierten eine ältere Dame, Oli baute sich drohend vor ihnen auf. Die Knirpse erschraken, Oli trat noch einen Schritt näher an sie heran. Die Jungen gingen lieber auf die andere Straßenseite. Die alte Dame lächelte uns dankbar an. Der Bus kam gerade rechtzeitig als ein Wolkenbruch nieder ging. „In dieser Jahreszeit ist es in Schweden genauso schlimm, entweder ist regnet pausenlos oder wir versinken im Schnee“, meinte Oli und rieb ihre klammen Finger.

In der Nacht zu Gretas Geburtstag rüttelte mich Oli wach. „Aufwachen, vier Minuten bis Mitternacht“, flüsterte sie. Verschlafen murmelte ich etwas Unverständliches und schlüpfte in meinen Morgenmantel. Mit unseren Geschenken und Leckereien schlichen wir auf Zehenspitzen die Gänge entlang. Rosy wartete bereits vor Gretas Zimmer, sie hatte eine kleine Harfe mitgebracht. Oli schaute auf ihre Armbanduhr und zählte leise den Countdown, „10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1“ Mit einem Schwung rissen wir die Tür auf, „Happy Birthday to you, Happy Birthday to you, Happy Birthday, liebe Greta! Happy Birthday to you“, sangen wir und Rosy begleitete das Lied mit ihrer Harfe. Greta gab leise Beifall. May zündete siebzehn Kerzen auf Gretas Geburtstagskuchen an. Wir legten alle Geburtstagsgeschenke auf ihr Bett. Greta pustete die Kerzen aus und strahlte vor Freude, „Lass uns die Kuchenschlacht beginnen“ Sie schnitt jedem von uns ein Stück ab. Wir ließen uns es schmecken. Greta packte lächelnd ihre Geschenke aus, jedes Geschenk legte sie sorgfältig auf ihre Kommode. May machte leise Musik an und wippte im Takt mit. „May, du hast mein Glas umgeworfen“, zischte Rosy und versuchte sich die Cola von ihrem großen Zeh zu lecken. Da sie sehr beweglich war, schaffte sie es fast. Im letzten Moment verlor sie das Gleichgewicht und fiel auf zwei Chipstüten. Es machte Bumm. Greta konnte sich das Lachen kaum verkneifen und verzog ihr Gesicht zu merkwürdigen Grimassen. Nun brach Olis lautes Lachen los, ich stimmte mit ein und am Ende lagen wir lachend am Boden. Es klopfte an der Tür. „Mist, versteckt euch“, flüsterte Greta und kroch in den Schrank. Oli und ich krochen unter Gretas Bettdecke. May verschwand in ihrem Bett und Rosy wollte sich gerade unter Mays Bett verkriechen.

 Die Tür öffnete sich. Ich hielt vor Schreck die Luft an. „Bitte, lass es nicht die Hausmutter sein!“, dachte ich reflexartig. „Hab ich mir gedacht, dass ihr eine Mitternachtsparty feiert. Das Lachen klang sehr verdächtig“, sagte eine männliche Stimme, es war nur Fintan. Wir krochen aus unseren Verstecken. Lars und Fintan standen nebeneinander unter dem Türrahmen. Sie gratulierten dem Geburtstagskind. „Macht die Tür zu“, wisperte Greta. „Wir haben euch gerade lachen und trampeln gehört. Euer Zimmer ist genau über unserem“, flüsterte Fintan. Greta reichte ihm und Lars einen Teller mit Sahnetorte, die Jungs fingen an schweigend zu essen. „Niemand darf von unserer nächtlichen Party erfahren“, sagte Greta zu den Jungs. „Wir werden es natürlich nicht petzen“, versicherte Lars und ließ das nächste Stück Kuchen in seinem Mund verschwinden. Bald verabschiedete sich der Jungenbesuch und wir waren wieder unter uns. Oli erzählte uns Gruselgeschichten, so viele sie kannte. Plötzlich heulte eine Sirene los, vor Schreck blieben unsere Münder offen stehen. „Raus, es ist Feueralarm!“, fand ich zuerst meine Sprache wieder. Hastig zogen wir unsere Schuhe an und rannten die Treppe runter. Oli und Rosy hielten sich verängstigt an den Händen fest. „Hier ist gar kein Qualm. Wo soll es brennen?“, stellte Darcy hinter uns fest. „Egal, geh weiter. Es kann woanders brennen“, fuhr ihre Freundin Stella sie an und schob sie weiter. Draußen versammelten sich schon viele mit unserer Mitschüler, auch Mr. O’Connor war da. May war dem Weinen nahe und blinzelte unauffällig ihre Tränen weg. Wir standen ratlos vor dem Haus, aber wo brannte es? Es gab keinen Qualm und keinen Feuerschein. Im nächsten Moment schoss die Hausmutter aus der Eingangstür, sie hielt ein Mädchen am Handgelenk fest. „Fehlalarm!“, teilte sie mit ihrer lauten rauchigen Stimme mit. Wir atmeten auf, vor Erleichterung wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. „Pamela, bekenne dich vor deiner Klasse, was du getan hast“, schimpfte die Hausmutter. „Ich wollte nur einen Spaß machen“, entwich es Pamela kleinlaut, „Ich bin auf den Flur gegangen und habe den Hausalarm ausgelöst, weil ich von dieser Schule fliegen wollte“ Pamelas Gesicht wurde immer blasser, nervös spielte sie mit ihren dunklen Haaren und starrte die Hausmutter unbewegt an. Aber es war trotzdem ein ehrliches Geständnis. Im nächsten Moment verpasste Mr. O’Connor ihr eine große Standpauke. „Zumindest hat sie morgen einen Termin beim Schulleiter sicher“, sagte Rosy zufrieden, „Wenn sie von der Schule fliegt, muss ich nicht mehr mit ihr das Zimmer teilen“ „Hast du Pamela von unserer Party erzählt“, fuhr Greta sie an. „Nein“, Rosy schüttelte entsetzt den Kopf, „Ich habe erfolgreich dichtgehalten, aber sie hat mich die ganze Zeit gebohrt, wieso ich aus dem Zimmer gehen wollte“ „Vielleicht ist Pamela Rosy gefolgt“, überlegte ich. „Das wird so sein“, meinte Greta.

 Am nächsten Morgen nach dem Frühstück wurde Pamela zum Direktor geschickt, ziemlich schnell verbreitete sich die Neuigkeit, dass sie nach Weihnachten die Schule verlassen musste. „Ich weine ihr keine Träne hinterher. Wenigstens spioniert sie mich nicht mehr aus und bestimmt über mich. In der Anfangszeit hat sie mir verboten mit euch zu reden und sie wollte, dass ich unfreundlich zu euch bin“, gestand Rosy. Das war ein schreckliches Geständnis. „Wieso hast du mit niemanden darüber gesprochen?“, fragte ich schockiert. „Ich habe gedacht, dass ihr mich nicht mögt“, meinte Rosy.

Am Vormittag probten wir unser Theaterstück zum letzten Mal, mittlerweile beherrschten wir unsere Rollen und ließen uns nicht wegen jeder Kleinigkeit ablenken. „Wird Pamela beim Theaterstück mitmachen?“, fragte Arabella. „Doch, auf alle Fälle“, sagte Mr. O’Connor und nickte, „Sie ist euch das schuldig, nach der Aufregung heute Nacht“ Im nächsten Augenblick erschien Pamela in der Aula, sie war blass und sagte kein Wort. Unsere Blicke durchbohrten sie. „Pamela wird nach den Weihnachtsferien auf ein anderes Internat wechseln. Ich möchte trotzdem nicht, dass ihr Pamela blöde Fragen stellt und blöde Kommentare über sie macht. Sie leidet genug unter ihrer Situation“, meinte unser Klassenlehrer und wandte sich wieder den Schauspielern auf der Bühne zu. Pamela ging hinter die Kulissen und zog sich um. „Tiago, du warst noch gar nicht an der Reihe“, pfiff Mr. O’Connor ihn zurück, „Jetzt hätte die Textstelle von Marc kommen müssen. Marc, du hast schon wieder deinen Einsatz verpasst. Also noch mal die ganze Szene von Vorne. Dann musste ich auf die Bühne, mit dem langen Kleid musste ich acht geben, nicht zu fallen. Die nächste Szene wurde mit Musik begleitete, May trat ihre Geige spielend auf die Bühne während Rosy sie auf der Harfe begleitete. Sie harmonierten wunderbar zusammen. Darcy ließ ihre hohe und klare Stimme erklingen. Ein paar Mitschüler klatschten hinter Bühne. „Wenn ihr heute so spielt, werden euch die Zuschauer in Grund und Boden klatschen“, prophezeite Mr. Connor zuversichtlich.

 Am Abend füllte sich der Saal mit Schülern, Lehrern und Familien der Schüler. Aufgeregt standen wir hinter der Bühne und verfolgten die Rede unseres Schulleiters mit. Anschließend trat unser Klassenlehrer auf die Bühne und kündigte unser Stück an. Matthew und Lars mussten zuerst auf die Bühne, auch hinter den Kulissen konnten wir jedes einzelne Wort hören. In der nächsten Szene kamen die Fabelwesen und Geister an die Reihe, zu ihnen gehörte auch Pamela. Würde Pamela die ganze Aufführung zum Platzen bringen? Hoffentlich nicht, sonst wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen. In der Mitte der Aufführung hatte ich meinen ersten Auftritt. Ich holte tief Luft um mich selber zu beruhigen. Gott sei Dank, ich konnte den Text und spielte angemessen. Ich war so konzentriert, dass ich das Publikum komplett ausblendete. „Super gemacht“, flüsterte Rosy als ich wieder hinter der Bühne stand und auf meinen nächsten Auftritt wartete. Zu meiner positiven Ansicht, machte niemand mehr die Fehler, die zuvor oft während der Proben gemacht wurden. Tom und Marc vergaßen ihre Texte nicht, Tiago leistete sich keinen Lachanfall, Fintan trat von der richtigen Seite auf und Oli wurde nicht rot. Am Ende wurden wir mit einem lang anhaltenden Applaus belohnt. Ich griff nach Mays und Gretas Händen. Wir mussten mehrmals auf die Bühne gehen und uns verbeugen. „Das war ein toller Auftritt“, lobte uns Mr. O’Connor, „Ihr zieht euch erstmal um und setzt anschließend in die erste Reihe. Schon von weitem winkte mir Dad zu, aber ich setzte mich doch lieber zu meinen Klassenkameraden.

 Im Foyer unseres Wohnhauses standen unzählige Koffer. Es lag Abschiedsstimmung in der Luft. Die Weihnachtsferien standen an. Freunde und Freundinnen verabschiedeten sich voneinander. Arabella schlang ihre Arme um Fintan und küsste ihn. „Tschüss, mein Darling! Ich wünsche dir ein frohes Fest und einen guten Rutsch“, sagte sie traurig. „Sei nicht traurig, du siehst ihn zwei Wochen wieder“, tröstete ihre beste Freundin Stella. „Emily, wir müssen uns beeilen, damit wir unsere Fähre bekommen“, drängte Dad und nahm meinen Koffer. Ich umarmte schnell alle meine Freundinnen und rief ihnen ein paar lustige Wünsche und Bitten zu, „Oli, lass dich nicht deinen Brüdern ärgern. Greta, denk dir ein paar Streiche aus. May, bring mir ein paar asiatische Süßigkeiten mit. Rosy, bleib so fröhlich wie du bist“ „Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch, Emmi“, riefen mir meine Freundinnen hinterher.

Auf zur Europameisterschaft

Die Ferien waren vorbei und das neue Jahr hatte begonnen. Ich war wieder in Saint Malory und räumte meine Kleider in den Schrank. Oli war noch nicht da, sie sollte erst später eintreffen. Ohne meine beste Freundin kam mir das Zimmer total leer vor. Im ersten Halbjahr hatte ich viel mit meinen neuen Freundinnen erlebt, diverse Streiche, Hockeyspiele, ein Reitturnier, Partys und einen nächtlichen Fehlalarm.

Im nächsten Augenblick flog die Tür auf. „Oli, da bist ja endlich. Frohes neues Jahr“, rief ich überschwänglich und fiel ihr in die Arme. Im nächsten Moment fiel mir, dass ihre Haare kurz geschnitten waren. „Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“, fragte ich. „Meine Cousine war zu Besuch und hat mich überredet mir die Haare abzuschneiden. Zuerst wollte ich es nicht, aber ich habe es am Ende nicht bereut, sogar im Gegenteil“, erzählte sie. Ich schaute mir ihre Frisur noch genauer an. Sie trug einen Seitenscheitel, ihre hellblonden Haare waren bis zum Kinn abgeschnitten und ein blaues dünnes Haarband hielt ihre Haare zurück. „Das steht dir viel besser“, meinte ich, „Damit siehst du gewitzter und attraktiver aus“ „Danke“, nahm sie mein Kompliment an. „Na Mädels, auch wieder im Lande“, platzte Greta mit May und Rosy in unser Zimmer. „Frohes neues Jahr, anklopfen hast du immer noch nicht gelernt“, neckte Oli. Zu fünft setzten wir uns auf mein Bett und erzählten von unseren Ferien. „Haben dich deine Brüder geärgert, Oli?“, fragte Greta. „Nein, aber dafür haben sie mich genervt ohne Ende. Jetzt ich Urlaub vom Urlaub“, stöhnte Oli. „Glaubst du, dass eine neunmalkluge Schwester besser ist“, meldete sich Rosy zu Wort, „Meine große Schwester wollte mir vorschreiben, was ich zu tun habe“ „Ich kenne diese Probleme nicht, ich bin Einzelkind“, warf ich ein, „Das ist positiv, da mir niemand die Süßigkeiten vor der Nase weg isst. Zu Weihnachten hatte ich tonnenweise Schokolade und Kekse“ „Ich kann keine Schokolade, Spekulatius, Dominosteine und Lebkuchen mehr sehen“, meinte Greta, „Ich habe bestimmt zwei Kilo zugenommen“ „Das gewonnene Gewicht wirst du ganz schnell wieder los, wir sind auf einem Sportcollage, nicht wahr?“, sagte May. „Mir wird von diesem Süßkram auch schon schlecht“, meinte Oli, „Meine beiden Brüder haben massig viel Schokolade und Kekse gekauft“ „Dann habe genau das passende für euch“, grinste Rosy und schaute keck drein, „Meine Mutter hat eine große Kekse für meine Freundinnen eingepackt“

 Sie stellte eine riesige Dose auf mein Bett. Lebkuchen, Sandtaler, Schokowürfel, Dominosteine, Spritzgebäck und andere Leckereien, das konnte man einfach nicht ablehnen. „Mädels, schlagt euch den Bauch nicht so voll“, meinte Rosy, „Bald gibt es Abendbrot“ Greta nahm sich noch einen Lebkuchen und einen Schokowürfel. Die Glocke zum Abendbrot wurde geläutet. „Uf, jetzt habe ich keinen Hunger mehr“, seufzte Greta. Im Gemeinschaftsraum redeten alle unsere Mitschüler durcheinander. Arabella legte ihre Arme um Fintans Schultern, Natascha und Darcy gingen Arm in Arm und Matthew hatte sich ein Wissensmagazin vertieft. „Anscheinend sind Arabella und Fintan jetzt zusammen“, flüsterte Oli und ich nickte nur. „Frohes neues Jahr, Darcy!“, rief ich einer Mitschülerin flüchtig zu und setzte mich an meinen Tisch. Auch unser Klassenlehrer und Mme Noire waren anwesend und wünschten uns ein frohes neues Jahr. Zwischen ihnen stand ein großer kräftiger Kerl. „Das ist Garry McLean, er stammt aus der Klasse über euch und ist eine Klasse heruntergestuft worden. Ich bitte euch ihn freundlich in eure Klassengemeinschaft aufzunehmen und ihm zu helfen, wenn er Hilfe braucht“, stellte ihn Mr. O’Connor vor und setzte Garry zu Fintan und seinen Freunden an den Tisch.

Immer am ersten Tag nach den Ferien gab es ein besonderes Gericht. Heute war es Pasta mit Lachsfilet. Ich sah Greta, wie sie sich eine große Portion auf ihren Teller lud und zu essen anfing. „Ich dachte, es wäre wegen Überfüllung geschlossen“, neckte ich sie. „Egal, ich habe einen guten Stoffwechsel und meine Pfunde werde ich durch das Hockey- und Reittraining wieder los. Pass auf, im Frühjahr werde ich wieder rank und schlank sein“, meinte sie kauend. Das Essen schmeckte mir ausgezeichnet, aber ich hatte nach der Hälfte der Portion keinen Hunger mehr und stellte meinen Teller beiseite. In den nächsten Tagen nahm uns unsere Reittrainerin Miss Hanson richtig ran. Wir trainierten jetzt jeden Tag nach der Schule. In zwei Wochen stand die Junioren-Europameisterschaft im Springreiten an. Dieses Jahr wird sie in Glasgow stattfinden. Unsere Schule stellte einen Mädchen- und eine Jungenstaffel. Da ich ebenfalls zur Schulmannschaft gehörte, musste ich auch das harte Programm absolvieren. Zum Glück durften wir in der Halle reiten, draußen fegte ein eisiger Wind über das Land.

Mischelle ritt den Parcour in Bestzeit zuende, übergab den Stab an Oli. Sie stand Mischelle in nichts nach und bewältigte den Parcour ebenfalls in Windeseile. Danach übergab sie den Stab an mich. „Emily, du musst gar nicht so viel Schenkeldruck, sondern mehr mit Gewichtsverlagerung arbeiten. Du weißt doch, wie empfindlich Hermine ist“, rief Miss Hanson. Nun verlagerte ich mein Gewicht nach innen, Hermine galoppierte und wurde immer schneller. Sie packte die Hürden ohne Schwierigkeiten. Einige meiner Mitstreiter applaudierten. Nun war Lucy Oriell an der Reihe, sie toppte uns immer noch um Weiten. Sie übergab an Rosy, die Letzte in unserer Staffel. „Ihr verbessert euch von Training zu Training, aber wir können es noch optimieren und noch mehr Zeit einsparen“, meinte Miss Hanson, „Dieses Jahr nehmen erfolgreiche Reitinternate aus Belgien, Deutschland, Italien und Dänemark teil. Das bedeutet für uns, dass es kein Spazierritt wird. Deshalb will ich Disziplin und Leistungsbereitschaft sehen“ Nach eineinhalb Stunden Schufterei waren wir entlassen. May und Greta warteten schon vor der Halle, Schlittschuhe hingen über ihren Schultern. „Wo habt ihr die Schlittschuhe her?“, fragte ich. „Die kriegst du beim Sportwart. Kommt mit, ich zeige es euch“, meinte Greta. Wenig später standen wir auf dem zugefrorenen See, in der Nähe unseres Internates. Wir entdeckten alle unsere Klassenkameraden, sogar den ungeschickten Matthew. Er musste alle drei Meter wieder aufstehen, Tiago und Natascha konnten sogar rückwärts fahren. Arabella hielt sich ängstlich an Fintans Arm fest, während sie über den See glitten. „Bitte nicht so schnell, ich kann nicht so gut Schlittschuh laufen. Ich habe es erst einmal gemacht“, japste Arabella.

„Ich bin noch nie Schlittschuh gefahren“, rief May, sie schwankte bedrohlich wie ein Grashalm im Wind und klammerte sich an Rosys Anorak. Rumms, beide lagen unten. Zu fünft nahmen wir uns an den Händen und sausten über das Eis. May nahmen wir in die Mitte. „Sollen wir dich drehen, May?“, fragte Oli spitzbübisch grinsend. Wir fuhren im Kreis, so schnell wir konnten. „Ah, hört auf. Mir dreht sich alles“, bettelte May quietschend. „Nun versuch einige Meter alleine zu laufen“, sagte Oli zu May, „Du musst es schließlich auch noch lernen“ „Mir ist schwindelig“, stöhnte sie und ließ sich auf ihr Hinterteil fallen. Als ihr Schwindelgefühl verflogen war, stand sie wieder auf und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen auf. „Nein, du musst mit einem Fuß gleiten, während du aus der Hüfte heraus mit dem anderen Bein Schwung holst. Danach setzt den anderen Fuß auf und holst mit dem anderen Bein Schwung“, wies Oli auf die richtige Fahrtechnik hin. May gelang beim nächsten Versuch etwas Fahrt aufzunehmen und fiel beinahe auf den Rücken. „May, du musst deinen Oberkörper leicht nach vorne beugen“, gab ich ihr einen Tipp.

 Die Reithalle in Glasgow war bis unter die Decke voll mit tausenden Zuschauer, nervige Musik überbrückte die Pause und überall hingen die Fahnen von den teilnehmenden Nationen. Als erste ritten alle Teilnehmer gemeinsam zur klassischen Musik ein bevor, die Mannschaften vorgestellt wurden. Viele Mannschaften kamen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Italien. Unsere Mannschaft setzte sich auf die Tribüne, am Vormittag war die Reitstaffel der Jungen an der Reihe. Unsere Jungenstaffel erwischte einen Fehlstart, Lars Pferd war unachtsam und riss gleich zwei Hindernisse. „Das kann doch nicht sein!“, wisperte Oli entsetzt, „Seht wie viel Zeit sie verlieren“ Es war schon vorhersehbar, dass sie gleich in der Vorrunde ausschieden. „Wir machen es am Nachmittag besser“, sagte Lucy angrifflustig, „Schließlich sind das nur die Herren der Schöpfung. Nach dem Mittagessen ritten wir uns in einer Nebenhalle warm, bevor unsere Staffel aufgerufen wurde. Rosy wartete auf das Startsignal und ihr Pferd schoss los wie eine Rakete. Sie durchquerte den Parcour ohne eine Stange zu reißen und gab den Stab an Mischelle weiter. Das war doch gleich ein guter Start, der viel verheißen ließ. Mischelle blieb ebenfalls fehlerlos, aber sie verlor Zeit, weil ihr Pferd zuerst nicht richtig angaloppierte. Nun war ich an der Reihe, mein Herz klopfte mir bis zum Hals und meine Hände klammerten sich krampfhaft in die Zügel. Mit dem Stab in der Hand galoppierte ich an. Ich traute mich nicht richtig schnell zu werden, weil ich nicht zu überhastet sein wollte. Ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen und plante jeden Sprung genau voraus. Mit Erfolg, bis jetzt hörte ich keine Stange fallen. Leider riss Hermine beim letzten Hindernis zwei Stangen. Mist! Ich reichte den Stab an Lucy weiter. Einige Augenblicke später sah ich, wie ihr Pferd sich aufbäumte. Oh nein, das hatte uns gerade noch gefehlt! „Tommy, beweg sofort deinen Hintern“, fluchte Lucy. Energisch drückte Lucy ihrem Pferd die Sporen in die Seite, bis es wieder lief. Sie blieb fehlerfrei, aber verlor zu viel Zeit. Nun konnten wir die Hoffnung auf eine Teilnahme beim Stechen beinahe begraben. Jetzt musste nur noch Oli reiten. Lucy übergab ihr den Stab und Oli ritt mit Esparado sehr schnell an. Ich merkte ihre Nervosität in ihrem Gesicht. Nun musste sie die verlorene Zeit wieder aufholen. Sie trieb Esparado bis zur Ermüdung an. „Olivia, nimm sofort etwas Tempo raus“, schrie Miss Hanson. Oli hörte sie nicht und ritt unbeirrt weiter. Esparado krachte im nächsten Moment in ein Hindernis und Oli flog über seine Schulter. Wir konnten ihren spitzen Schmerzenschrei deutlich hören. Unsere Trainerin rannte sofort zu ihr. Die Staffel war nun für uns gelaufen. Lucy und ich gingen ebenfalls zu ihr. Oli lag tränenüberströmt im Sand. „Ich bin mit dem Knöchel aufgekommen, unter dem ganzen Gewicht habe ihn mir verdreht“, schluchzte sie heftig. „Zieh sofort deinen Stiefel aus“, rief Miss Hanson, „Bevor dein Knöchel anschwillt“ Im nächsten Augenblick tauchte ein Sanitäter auf. „Ich will ihren Knöchel lieber auf eine Verletzung untersuchen“, meinte er besorgt. Lucy und ich zogen ihr den Stiefel aus. Miss Hanson, Lucy und ich mussten sie anschließend vom Platz tragen. „Wir fahren lieber mit ihr ins Krankenhaus“, sagte unsere Trainerin, „Sie kann sich das Sprunggelenk gebrochen haben oder ein Band ist gerissen“

Nun kam auch Lars. „Ich werde mitkommen“, verkündete er. Miss Hanson lehnte es zunächst ab, dass ich mitfuhr und stimmte zu, weil es sich schließlich um meine beste Freundin handelte. „Es lag an mir, dass wir gescheitert sind“, sagte Oli mit tränenerstickter Stimme und konnte nicht weiter sprechen. Sie ließ sich weder von mir noch von Lars trösten.

 Im Krankenhaus wurde ihr Fuß gründlich untersucht. Zum Glück war nichts gebrochen oder gerissen. Sie hatte sich den Fuß legendlich verstaucht und einige Bänder waren überdehnt. Der Arzt machte ihr einen Stützverband. Auf Krücken humpelte sie aus dem Behandlungszimmer. Sie war immer noch untröstlich und wischte sich die Tränen weg. Auf dem Rückweg sprach ihr Lars Trost zu, langsam versiegten ihre Tränen. Lars, Oli und ich saßen zu dritt nebeneinander auf der Tribüne und schauten uns die Siegerehrung an. Den ersten Platz belegte ein Reitinternat aus Deutschland, ein italienisches Team machte den zweiten Platz und eine dänische Mannschaft wurde Dritter. Zur Musik drehten sie eine Ehrenrunde mit den anderen Siegern zusammen. Lars küsste Oli auf den Mund, als sie wieder in Tränen ausbrechen wollte. Sie lächelte ihn überrascht an und er nahm sie auf den Schoß. Ich wollte nicht neidisch auf meine Freundin sein, bloß weil sie jetzt einen gut aussehenden Freund hatte. Zugegeben ich war doch ein kleines bisschen neidisch auf sie, aber ließ es mir nicht anmerken.

 

Wirbel um den St. Patricks Day

„Wisst ihr, ich finde es ungerecht, dass Mme Noire einen Tag nach St. Patricks eine schwierige Französischklausur angesetzt hat. So können wir nicht zur Parade in die nächste Stadt gehen, weil wir büffeln müssen“, beklagte sich Greta und ließ eine Erdbeere in ihrem Mund verschwinden. „Ihr seid fürschterlisch, eure Arbeitseinstellung muss sich bessern“, äffte Oli unsere Französischlehrerin treffend nach. Anlässlich meines siebzehnten Geburtstages am 7. März lud ich nach der Schule meine besten Freundinnen in die Eisdiele Venezia ein. Heute Morgen gab Mme Noire bekannt, sie wolle uns eine Klausur einen Tag nach St. Patricks schreiben lassen. Sie ärgerte sich über fehlende Hausaufgaben und mangelnden Arbeitseinsatzes. Darüber hinaus beschwerte sie sich über die schlechte Luft im Klassenzimmer, nicht gegossene Blumen und über die nicht geputzte Tafel. „Es sind meist nur die Jungen, die Hausaufgaben vergessen“, sagte May. „Oh nein, du vergisst manchmal auch“, fiel ich ihr ins Wort, „Aber nichtsdestotrotz kann sie die Klausur wenigstens um ein oder zwei Wochen nach hinten verschieben“ „Haben wir uns nach dem Halloween Streich nicht besser benommen?“, fügte Rosy hinzu und löffelte ihr Eis. „Oho, wir haben uns gesteigert. Beziehungsweise wir Mädchen, die Jungs treiben manchmal immer noch ihren Schabernack“, rief Greta, „Mme Noire verhängt für die ganze Klasse Strafen, wir hatten letzten November vier Wochen Ausgehverbot, obwohl nur wenige Schüler den Streich geplant haben“ „Wie wäre es, wenn wir die Klausur verweigern?“, schlug May vor. „Ein Boykott? Das ist eine schlechte Idee, Mme Noire würde bestimmt zum Stier werden“, kam Olis Einwand, „Eurer Stelle würde ich lieber mit ihr persönlich sprechen“ „Das ist dann eure Aufgabe“, wandte sich Rosy an mich und Oli, „Ihr seid doch im Klassenrat“ „Wir werden mit den Klassensprechern reden“, sagte ich und versuchte schnell von dem Thema abzulenken. Ich wollte mir nicht meine gute Stimmung nicht durch eine Diskussion über unsere launische Französischlehrerin verderben lassen. Lieber feierten wir meinen Geburtstag und packte die Geschenke aus. May reichte mir eine kleine Schachtel. Neugierig machte ich sie auf und hielt eine Spieluhr in der Hand. Ich zog sie auf und die kleine Elfe mit den roten Haaren im grünen Kleid fing an zu tanzen. Ich war selber überrascht, dass ich mich riesig über dieses Geschenk freute. „Diese Elfe hat mich sehr dich erinnert“, sagte May zu mir. Meine übrigen Freundinnen nickten. In den anderen Päckchen verbargen sich ein Paar neuer Socken, Ohrringe, ein Freundschaftsarmband, der neue Harry Potter Band und Bilderrahmen mit dem Photo meines Lieblingspferdes.

 Als wir wieder im Gemeinschaftsraum saßen, bekamen wir mit wie sich zwischen Garry und Fintan im Hobbyraum nebenan ein Konflikt zusammen braute. Durch die offene Tür waren Wortfetzen, die sich die beiden Kampfhähne an den Kopf warfen, deutlich zu hören. „Ich habe dir gesagt, dass du nicht einfach so deine Freunde in unser Haus mitnehmen darfst. Ich darf als Klassensprecher entscheiden, wer ins Haus darf und wer nicht“, wies Fintan seinen Kontrahenten zurecht. „Ich bin der Klassenälteste, also habe ich automatisch auf mitzubestimmen“, konterte Garry lässig. Garry war kein besonders hübscher Junge, er hatte straßenköterblondes Haar, braune Augen und war kräftig gebaut. Man merkte ihm an, dass er in der Schulmannschaft Rugby spielte. Er war sogar noch ein bisschen größer als Tom und niemand hatte so breite Schultern wie er. Schnell bekam ich mit, woran sich der Streit entzündete. Laut Fintan besetzten Garry und seine Kumpels den Billardtisch, obwohl Fintan mit seinen Freunden an der Reihe war. „Du räumst sofort deinen Müll beiseite, sonst muss ich Mr. O’Connor bescheid sagen“, fuhr ihn Fintan an, „Den Kickertisch müsst ihr auch sauber machen, dort habt ihr Cola verschüttet und der ganze Boden klebt, weil ihr nicht vernünftig mit Getränken umgehen könnt“ „Haha, ich bin nicht auf diesem Internat, weil ich einem blöden Klassensprecher Folge leisten muss“, rief Garry erbost, „Du hast dich nicht in die Angelegenheiten meiner Freunde einzumischen“ „Wenn du dich nicht an Absprachen halten kannst, bist du hier nicht richtig“, warf ihm Fintan an den Kopf. Außer sich schubste Garry Fintan nach hinten. Fintan gab ihm eine Ohrfeige, worauf Garry seine körperliche Überlegenheit ausnutzen wollte. Er versuchte Fintan heftig in den Bauch zu boxen, doch dieser drehte sich gerade rechtzeitig weg. Im nächsten Augenblick bewaffneten sich die Jungen mit Billardstöcken. Die Abendbrotglocke läutete. Unverrichteter Dinge legten sie die Billardstöcke weg.

Sie setzten sich schweigend an ihren Tisch. Fintan und Garry sahen sich immer noch funkelnd in die Augen. Vor Unachtsamkeit vergoss Garry die Milch und sie floss bei Tiago und Fintan auf die Hose. „Mein Gott noch mal, kannst du nicht aufpassen!“, schimpfte Fintan. „Halt die Klappe, Klassensprecher“, schrie ihn Garry mit geballter Faust an, „Als Ältester höre ich auf dich, du bist schließlich einen halben Kopf kleiner als ich“ Garry packte ihn an den Schultern, Fintan wehrte sich wütend. Garry nutzte die Gelegenheit und goss ihm heißen Tee über den Schädel. Tom und Patrick sprangen auf und zehrten den schimpfenden Garry aus dem Raum. Lars versuchte währenddessen Fintan zu beruhigen. Weder die Hausmutter noch ein Lehrer waren während der Auseinandersetzung dabei, sonst hätte es garantiert eine Konsequenz gegeben.

 Zwei Tage später platzte erneut die Bombe als wir im Sportunterricht Fußball spielten. Garry hatte Fintan zu seinem Feind erklärt und wollte es dem Klassensprecher, der überall beliebt war, es richtig zeigen. Zufällig spielten beide Jungs gegeneinander, Fintan war viel wendiger und schneller als er. Garry versuchte ihn umzugrätschen, doch sein Kontrahent reagierte schnell und sprang über seine Beine. „Mist!“, fluchte Garry leise und dachte wütend, „Gleich werde ich es ihm richtig zeigen!“ Beim nächsten Zweikampf mit Fintan riss er ihm die Beine weg und drückte ihn zu Boden.

Mr. Adkins unser Sportlehrer pfiff das Spiel sofort ab und verwies Garry des Platzes. Währenddessen rappelte sich Fintan auf und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Bank. „Garry ist so ein widerlicher Grobian“, schimpfte Oli, wobei ich ihr vollkommen Recht geben konnte. „Fintan, bist du verletzt?“, rief Arabella besorgt und rannte zu ihm. Er antwortete nichts. „Wir gehen sofort zur Krankenstation. Man sollte schauen, ob du dir richtig wehgetan hast“, sagte Mr. Adkins. Er und Tom hakten den Verletzten unter und verließen die Sporthalle. „Garry ist so eine ekelhafte Kanalratte“, ärgerte sich Arabella, „Als stellvertretende Klassensprecherin sollte ich ihm es auch mal richtig zeigen, obwohl ich nur ein Mädchen bin“ „Wir werden ihn wie Luft behandeln, wenn er weiterhin so brutal zu Anderen ist“, fügte ich hinzu. „Das ist keine schlechte Idee, aber Garry will sich dauernd Aufmerksamkeit auf unmögliche Weise verschaffen und dann können wir ihn nicht mehr links liegen lassen“, sagte Arabella. „Okay, wir haben neben Mme Noire ein zweites Thema, welches wir auf unser Klassenratssitzung heute Abend besprechen müsste“, warf Lars ein. „Ich finde es gar nicht schlecht, wenn einer Fintan etwas entgegensetzt. Seine Herrschaft geht mir langsam auf den Zeiger“, rief Matthew. Matthew und sein Freund Dave standen als einzige hinter Garry. Ich beschloss mit Garry kein Wort mehr zu wechseln, nach diesen Vorfällen hatte er sein widerlich brutales Gesicht gezeigt. Ganz am Anfang verstanden sich er und Fintan gar nicht schlecht, aber Garry hasste es, wenn ihm Jemand Vorschriften machte. 

Nach dem Abendbrot fanden wir uns zur Klassenratssitzung zusammen. Arabella, Fintan, Lars, Greta und saßen um einen Tisch herum. Wir diskutierten gerade das Thema Mme Noire und ihre Klausur. „Mir aufgefallen, wieso Mme Noire auf uns schlecht zu sprechen ist“, sagte Fintan, „Es liegt im gewissen Sinne auch an uns. Wir haben oft die Hausaufgaben nicht gemacht und beteiligen uns mangelhaft am Unterricht. Unser Klassenzimmer sieht aus wie ein Saustall“ „Und was hilft es bei unserem aktuellen Problem weiter?“, unterbrach ihn Arabella ungeduldig, „Wir haben immer noch keine Lösung wie wir Mme Noire dazu bewegen können, dass sie Klausur verschiebt“ „Ganz einfach, wir vereinbaren mit ihr einen Friedensvertrag“, fuhr er fort. „Was soll ein Friedensvertrag bringen?“, platzte Greta der Geduldsfaden. „Im Friedensvertrag werden Regeln für uns und die Lehrerin aufgestellt. Wir müssen mitarbeiten, die Hausaufgaben erledigen, die Blumen gießen, den Klassenraum lüften und die Tafel sauber machen. Selbstverständlich müssen wir nach der letzten Stünde den Müll wegräumen und die Stühle hochstellen. Dafür muss Mme Noire auf Einwände unsererseits eingehen und uns helfen“, erklärte Fintan und fertigte seinen Friedensvertrag schriftlich an. Nun sahen unsere Gesichter viel überzeugter aus. „Wer ist verantwortlich, dass die Klasse sauber bleibt?“, fragte ich. „Das werden wir einteilen. Im Klassenraum hängt eine Seitentafel, sie wird nie benutzt und dort können wir festhalten, wer was erledigen muss“, beschloss Fintan. 

Am nächsten Morgen waren wir gespannt, wie Mme Noire auf unseren Friedensplan reagieren würde. Bevor Mme ihren Unterricht anfing, standen Fintan und Arabella auf und überreichten ihr den Friedensvertrag. „Oh mon dieu, was ist denn das?“, rief unsere Lehrerin überrascht. „Sie waren in letzter Zeit häufig unzufrieden mit uns, dass wollen wir das ändern. Deshalb haben wir einen Friedensplan erstellt mit Vereinbahrungen für Sie und uns“, begann Fintan. „Wir wollten Sie darum bitten, dass Sie die Klausur nach hinten verschieben“, kam Arabella auf den Punkt, „Sie haben die Klausur einen Tag nach St. Patricks angesetzt, dass würde für uns viel Paukerei an St. Patricks bedeuten“ „Oh mon dieu, ich habe den St. Patricks Day total vergessen“, schämte sich unsere Französischlehrerin, „Ich werde die Klausur eine Woche nach hinten verlegen, damit ihr euren St. Patricks Day feiern könnt. Versteht ihr ich komme aus Frankreich und dort feiern wir diesen Tag nicht. Aber ich muss mich trotzdem schämen, ich bin seit über zwanzig Jahren Lehrerin auf diesem Collage“ Mme Noire zeigte sich plötzlich von ihrer aufgeschlossenen und herzlichen Seite. Sie war von unserem Friedensvertrag beeindruckt und unterschrieb ihn sofort. Nach und nach wanderte der Vertrag durch unsere Reihen, damit wir ebenfalls unterschrieben. Arabella schrieb an die Seitentafel, wer die Blumen gießen, die Tafel wischen, die Klasse lüften und die Stühle hochstellen mussten.

 Eine Woche später war St. Patricks Day. Oli und ich standen früh auf, weil wir mit unseren Klassenkameraden zur St. Patricks Day Parade in den benachbarten Ort gehen wollten. Oli kämmte ihre kurzen Haare und streifte sie mit einem grünen Haarband zurück. Ich flocht mir grüne Bänder in meine Zöpfe und zog mein grünes Kleid an. Greta malte jedem, den sie traf, ein vierblättriges Kleeblatt auf die Backe. Fintan und seiner Freunde hatten sie ihre Haare gestylt und ebenfalls grün gefärbt. Nach dem Frühstück gingen wir zur Bushaltestelle, wir stimmten mehrere irische Volkslieder an und merkten wie unsere Stimmung wieder stieg. Endlich waren wir wieder wie eine Klassengemeinschaft. Sogar Garry und Matthew sangen während der Busfahrt laut mit.

In der Stadt war Teufel los, wir mussten aufpassen, dass wir uns nicht aus den Augen verloren. Plötzlich hob die Musik an und die Parade ging los, wir schunkelten mit und folgten der Musik. Musik- und Tanzgruppen zogen an uns vorbei. Die Menschen waren auf einmal unbeschwert und fröhlich. Oli hakte sich bei mir ein und wir tanzten mit. Wir vergaßen, dass wir Schülerinnen des bekanntesten Collages in Irland waren und genossen den Trubel um uns. Schräg gegenüber unserer Straße wurde der Fluss grün gefärbt. Es lebe St. Patrick!

 

 

Was ist mit Fintan los?

Am Samstagvormittag sollte das Finale der irischen Fußballmeisterschaft der Schulen stattfinden. Unsere Schule wird gegen die Steve-Hendricks-School aus dem Nachbarort antreten. „Hast du Lust Morgen mit mir das Fußballspiel anzuschauen?“, fragte mich Oli beim Abendessen, „Ich muss vor allem Lars anfeuern. Greta und ich haben vor wenigen Tagen aus einem alten Bettlaken einen Banner angefertigt“ „Ich hätte nichts dagegen“, erwiderte ich, „Wie weit ist dieser Ort von uns weg?“ „Lars meinte, dass wäre ungefähr fünfzehn Kilometer von uns weg“, behauptete Oli, „Das schaffen wir in einer Stunde mit Fahrrad“ Jetzt mussten wir nur noch Rosy und May überreden. „Ich weiß nicht, ob ich Lust habe für ein Fußballspiel eine Fahrradtour zu absolvieren“, stöhnte May. Rosy stimmte ihr zu. „Aber das ist immerhin unsere Schule“, rief Oli, „Es gehört zum Teamgeist, dass man sich gegenseitig beisteht“ „Wir überlegen uns es bis morgen“, riefen sie und schlüpften aus dem Raum. Am nächsten Morgen schwangen meine Freundinnen und ich uns auf unsere Fahrräder und machten uns auf den Weg. Es war ein wunderschöner Morgen im April. An den Wegrändern blühten gelbe Schlüsselblumen, ein Bächlein plätscherte und Bäume schlugen aus. Auf den Weiden grasten Schafe mit ihren jungen Lämmern. In der Ferne tauchte ein Kirchturm auf. „In diese Richtung müssen wir fahren“, deutete Oli.

Im Ort mussten wir zwei Passanten fragen, wo die Steve-Hendricks-School lag. Am Spielrand versammelten sich viele Menschen, auch die Presse war anwesend. Die Steve-Hendricks-School hatte offensichtlich ihre eigenen Schlachtenbummler. „Wusstet ihr, dass die Steve-Hendriks-School kein Internat ist“, offenbarte uns Oli, „Das hat mir Lars erzählt und ich war sehr überrascht, sie sollen hier auch eine gute Sportförderung haben. Es ist sehr überraschend, dass ihre Fußballmannschaft ins Finale gekommen ist, sie haben gegen die Brendan-Highschool gewonnen. Das ist aus ihrer Sicht eine Sensation“ Die Spieler beider Mannschaften machten sich warm. Tom saß neben Arabella auf der Tribüne. „Wieso spielst du nicht?“, fragten wir ihn. „Ich habe mir beim letzten Trainingsspiel mir das Knie verdreht“, erzählte er, „Für mich wird heute Patrick in der Innenverteidigung spielen“ Die Spieler gingen zur Begrüßung zum Mittelkreis. Die Kapitäne tauschten ihre Wimpel aus. Die Spieler unserer Mannschaft zogen ihre Trainingsjacken aus und legten sie an den Spielfeldrand. Aus unserer Klasse waren nur Patrick und Fintan in der Startaufstellung. Der Schiedsrichter pfiff das Spiel an.

 Unsere Gegner hatten dutzende Fans, man konnte meinen, die ganze Schule wäre da und würde die Mannschaft nach Vorne peitschen. Meine erste Feststellung war, die Jungs von der Steve-Hendriks-School standen nicht ohne Grund im Finale. Sie hatten schon in der ersten halbe Stunde richtig gute Chancen, nur ihr Mittelstürmer hatte anscheinend das Pech für sich gepachtet. Nach einer Halbzeit war noch nicht viel passiert, nur Fintan kassierte wegen einer Schwalbe die gelbe Karte. Kurz nach dem Beginn der zweiten Halbzeit tauchten unsere Jungs gefährlich vor dem Tor unserer Gegner auf. Fintan tauchte jetzt endlich wieder auf, er lief mit dem Ball bis zur Grundlinie und schloss seinen Lauf mit einer Flanke ab. Sergej verlängerte per Kopf auf den eingewechselten Lars. Er sprang noch vorne und beförderte den Ball in die Maschen. Tor, 1:0 für uns! Oli und ich schwenkten unser Fanbanner während Greta ihre Tröte blies. „Das ist endlich die gerechte Führung für uns!“, rief Arabella und winkte ihrem Freund Fintan zu. Unsere Gegner wehrten sich ab jetzt mit Händen und Füßen gegen den Rückstand. Ein auffälliger Spieler mit der 9 hatte zweimal die Chance zum Ausgleich. „Ihr müsst in der Abwehr besser stehen“, rief ihr Trainer, „Fintan und Lars, ihr müsst die Abwehr unterstützen und die Räume dichtmachen“ Die beiden Spieler gehorchten ihrem Trainer und ließen sich weiter nach hinten fallen. Die Jungs von der Steve-Hendriks-School erhöhten ihr Spieltempo und drängten unsere Mannschaft in ihre eigene Hälfte zurück. Kurz darauf gab es Eckstoß für unsere Gegner, sie führten ihn zügig aus. Ein großer Spieler lauerte vor unserem Tor, Fintan wollte ihn am Kopfball hindern und bugsierte das Spielgerät per Kopf in das eigene Tor. Meine Klassenkameraden und ich jaulten entsetzt auf. Das war der Ausgleich. „Fintan stand ganz gewaltig neben sich“, meinte Tom kopfschüttelnd, „Er ist seit Tagen so unaufmerksam. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist“ Tiago verlor schon wieder nach einem leichtsinnigen Dribbling einen Zweikampf. Sein Gegenspieler spielte den Ball in die Sturmspitze. Der auffällige Stürmer bekam den Ball. Nun hatte er freie Bahn, nur noch zehn Meter trennten ihm vor Tor. Kein Abwehrspieler kümmerte sich um ihn, bis Fintan von hinten angerauscht kam und ihn umgrätschte. Ein schriller Pfiff ertönte. Der Schiedsrichter zeigte ihm die gelbrote Karte und wies auf den Elfmeterpunkt. Resigniert trottete Fintan vom Spielfeld, er zog sein Trikot über den Kopf und kickte frustriert einen Schuh weg.

 Es gab Strafstoß, angespannt hielt ich die Luft an. Der Stürmer mit der 9 nahm Anlauf und drosch ihn abgebrüht in die linke Ecke. 2:1 für unsere Gegner! Bis zum Abpfiff blieb es bei diesem Ergebnis. „Es ist so ärgerlich, dass wir das Spiel aus der Hand gegeben haben“, schimpfte Greta wie ein Rohrspatz. Lars saß mit tränenüberströmtem Gesicht regungslos auf dem Spielfeld, während Oli verzweifelt versuchte seine Tränen zu trocknen. Tiago und Oven vergossen wegen der bitteren Niederlage ebenfalls Tränen. „Das war doch zum größten Teil Fintans Schuld. Er hat ein Eigentor gemacht, ist anschließend vom Platz geflogen und hat einen Elfmeter verschuldet“, rief Arabella frustriert, „Er hat unsere Schule blamiert“ „Immerhin hat sich unsere Schule für ein internationales Jugendturnier im kommenden Herbst in Berlin qualifiziert“, versuchte Tom seine Klassenkameraden aufzumuntern, „Nächste Saison haben wir noch einmal die Chance Meister zu werden. Außerdem kann es nicht nur an Fintan gelegen haben, er ist einer der verheißungsvollsten Talente von uns“

Am Montag bekamen wir die gefürchtete Mathematikklausur zurück. „Ich muss leider sagen, dass die Arbeit diesmal bei vielen von euch in die Hose gefallen ist“, kündigte Mr. Sloane, „Ihr habt auf einmal Flüchtigkeitsfehler gemacht, die ich von euch bisher nicht kannte. Matthew und Olivia haben dieses Mal die einzigen Zweien geschrieben, sonst gab es vier Dreien, sieben Vieren, vier Fünfen und zwei Sechsen. Ich bin mit dem Ausfall absolut nicht zufrieden, beinahe hätte ich diese Arbeit wiederholen müssen“

Er ging durch die Reihen und teilte die Hefte aus. Mit zitternden Finger öffnete ich mein Heft, eine Drei minus prangte auf der letzten Seite. Erleichtert atmete ich aus. „Oh nein, ich habe komplett versagt“, stöhnte Rosy. „Was hast du?“, fragte ich. „Nur eine Drei plus“, sagte sie resigniert, „Mir fehlt ein Punkt zur Zwei“ Oli strahlte neben mir wie ein Stern, sie war nie bekannt für gute Noten in Mathe und dies war ihre erste Zwei. „Nun kommen wir zu dir, Fintan Oliver! Ich bin dieses Mal von deiner Leistung sehr enttäuscht“, sagte Mr. Sloane mit seiner tiefen ernsten Stimme, „Sonst schreibst du immer Einsen oder Zweien, doch dieses Mal musste ich eine Vier plus unter deine Klausur schreiben. Woher kommen plötzlich deine Zahlendreher und Flüchtigkeitsfehler“ Fintan nahm ohne Miene zu verändern sein Heft entgegen. Greta ärgerte im Gegensatz zu ihm mächtig über ihre Vier, sonst schnitt sie auch immer mit guten Noten ab.

In der nächsten Doppelstunde mussten wir in Französisch unsere Referate vorstellen. Ausgerechnet Rosy und ich mussten unseres zuerst präsentieren. Es lief erstaunlich gut, ich konnte ohne Hänger fließend sprechen und fühlte mich vor der Klasse selbstbewusst. „Sehr gut gemacht, Mädchen! Ich will euch am liebsten eine Eins geben, aber wegen ein paar Aussprachefehler gebe ich euch eine Zwei plus“, lobte sie uns und schaute in unsere strahlende Gesichter. Fintan präsentierte als Nächster. Nach dem er selbstsicher und fließend sprechend begann, schlichen sich immer mehr Fehler bei ihm ein. Er stockte zwischendurch und vergaß, was er sagen wollte. „Fintan, es reicht jetzt. Du kannst dich setzen. Deine Sprachkenntnisse sind incroyable und deine Aussprache ist einfach nur fürschterlisch. Da kann ich dir nur eine Fünf geben“, rief sie empört. Fintan schlich wie ein verprügelter Hund zurück und bemühte sich, nichts anmerken zu lassen. 

 „Fintan, ich glaube, es nötig deine Eltern zu informieren“, sagte Mr. O’Connor am Ende der Woche zu ihm, „Meine Kollegen haben sich besorgt über deine momentanen Leistungen geäußert, soweit ich weiß, warst du sonst immer einer der besseren Schüler. Nun mache ich mich auch Sorgen um dich, in der Biologieklausur hast du eine glatte Fünf geschrieben und in Englisch war es leider nicht viel besser“ Fintan schwieg und versuchte seine Gefühle zu verbergen. „Irgendwas stimmt mit ihm nicht“, flüsterte Oli besorgt, „Er ist auf einmal so still und grenzt sich von seinen Freunden ab, sogar Arabella zeigt er die kalte Schulter“ „Vielleicht sind es die katastrophalen Noten und das Fußball am letzten Wochenende“, mutmaßte ich. Auf jeden Fall war sein Selbstbewusstsein wie weggeblasen und das Leuchten aus seinen Augen erlosch. Auch während der Mahlzeiten wunderten wir uns weiterhin über sein Verhalten, meist stocherte er nur appetitlos in seinem Essen herum und bekam kaum etwas herunter. „Ich finde, er sieht aus wie ein trauriger Clown“, interpretierte May seine Lage mit goldrichtigen Worten. „Warum redet er bloß mit niemand über seine Probleme?“, meinte Greta verständnislos, „Wenn es mir dreckig geht, vertraue ich mich meinen Freunden an“ „Glaubst du, dass Jungen sich über ihre wahren Gefühle äußern wollen?“, antwortete ich prompt, „Als Mom gestorben ist, hat er auch nicht vor meinen Augen geweint. Zwei Monate nach ihrem Tod gab er zu, dass er oft heimlich oder während den Telefonaten mit seiner eigenen Mutter geweint hat“ „Jungs sind zu kompliziert“, seufzte Rosy, „Sie machen alles extra kompliziert“ Im nächsten Moment platzte der Schulleiter herein. „Ich muss dringend mit Fintan Oliver Bentley sprechen, es ist sehr notwendig“, sagte er in einem ernsten Tonfall. Fintan schaute zu ihm auf, ließ seinen halbleer gegessenen Teller stehen und folgte ihm wortlos. Wir warteten und warteten, aber er kam nicht wieder. Inzwischen wurde aufgeregt getuschelt, was passiert sein könnte. Obwohl ich Fintan noch nie richtig nahe stand, machte ich mir meine Gedanken.

 „Machst du mit mir einen Ausritt?“, fragte mich Oli, als ich mit meinen Hausaufgaben beschäftigt war. „Das können wir gerne machen, ich brauche unbedingt Abwechselung vom Schulstress“, nickte ich und riss ein Blatt aus meinem Collageblock, „Aber wir müssen spätestens zum Abendbrot zurück sein, Hausmutter hasst Verspätungen“Ich machte zügig meine Englischaufgaben zuende und zog meine Reitkleidung an. Oli bat vor dem Pferdestall Miss Hanson um Erlaubnis. „Ihr könnt meinetwegen eine anderthalb Stunden ausreiten, ich vertraue euch, dass ihr vernünftig seid“, gab sie uns grünes Licht. Wir holten unsere Pferde aus den Boxen und führten sie nach draußen auf den Waschplatz. Bevor wir sie aufsatteln konnten, mussten sie gründlich geputzt werden. Eine Viertelstunde später saßen wir im Sattel und ritten an den Weidezäunen entlang.

 

Ein Sturz und eine Offenbahrung

„Siehst du, dahinten ist Fintan“, sagte Oli und zeigte auf einen Reiter vor uns. Er trug keinen Helm, sondern nur ein T-Shirt und kurze Hose. „Eigentlich muss man mindestens zu zweit sein und Reitkleidung tragen, wenn man ausreitet“, bemerkte ich. „Lasst uns ihm heimlich hinterher reiten“, schlug Oli vor. Zu zweit folgten wir ihm in den Wald und hielten einige Meter Abstand, damit er uns nicht bemerkte. Im nächsten Augenblick sahen wir, wie ein Wildschwein sein Pferd aufscheuchte. Es wieherte panisch, bäumte sich auf und schoss davon. „Oh nein, Fintans Pferd geht durch“, rief Oli entsetzt, „Was machen wir jetzt?“ „Folgen wir ihm!“, beschloss ich kurzerhand und ließ Hermine angaloppieren. Oli folgte mir auf Esparado. „Ich kann ihn nicht mehr sehen“, rief sie hinter mir. „Aber dafür kann ich die Hufabdrücke von seinem Pferd erkennen“, erwiderte ich. In der Nähe einer Lichtung verloren sich die Hufabdrücke. „Ich steige lieber ab, vielleicht ist Fintan vom Pferd gefallen und liegt irgendwo im Unterholz. Kannst du Hermine festhalten?“, rief ich und schwang mich vom Pferderücken. Ich streifte kreuz und quer durch das Unterholz und hatte einige schmerzhafte Berührungen mit Brennnesseln. Ich kam mir hoffnungslos vor und wollte gerade die Suche aufgeben. Ich sah etwas Blaues durch die grünen Blätter schimmern. Trug Fintan nicht ein blaues T-Shirt? Ganz sicher war ich mir nicht, aber ich wollte trotzdem nachschauen. Es bestätigte sich, dass er es war, je näher ich kam. Er lag verletzt zwischen Brombeerranken auf dem Waldboden. „Oli, ich habe Fintan gefunden!“, brüllte ich so laut ich nur konnte. Sie hörte mich anscheinend nicht. „Olivia, ich habe ihn verletzt gefunden“, schrie ich mir die Lunge aus dem Leib. Dann wendete ich mich dem verletzten Jungen zu. „Bist du verletzt, Fintan?“, flüsterte ich besorgt. Er lag immer noch bewegungslos auf dem Boden und Blut sickerte durch sein verschwitztes T-Shirt. Wenigstens atmete er noch regelmäßig. Sanft legte ich meine Hand auf seine Stirn, noch immer zeigte er keine Reaktion. „Oli, komm her! Er ist bewusstlos“, brüllte ich und entfernte einige Brombeerranken von seinem Körper. Sein Körper war sehr warm und nass geschwitzt. Vorsichtshalber drehte ich ihn auf die Seite. Stabile Seitenlage war in solchen Situationen sehr wichtig. „Emily, warum bist du hier?“, hauchte er schwach. Er versuchte sich aufzurichten. „Bleib liegen, bis es dir besser geht“, befahl ich ihm, „Du warst gerade ohnmächtig“ „Ich will endlich aufstehen“, sagte er verwirrt. „Warte ich helfe dir hoch“, erwiderte ich und umschlang mit meinen Armen seinen Oberkörper. Da Fintan größer war als ich, wog er auch mehr als ich. Er sah relativ dünn aus, aber er war trotzdem zu schwer, als dass ich ihn hätte tragen können. Endlich stand Oli neben mir. „Mach dir keine Sorgen um die Pferde, ich habe sie auf der Lichtung an einem Baum festgebunden“, sagte sie. „Du musst mir helfen, ihn auf die Lichtung zu tragen“, keuchte ich. Oli packte am Oberkörper und ich an den Beinen, wir setzten ihm im Gras der Lichtung wieder ab.

 „Sein T-Shirt ist voller Blut. Er hat sich beim Sturz verletzt“, wisperte Oli entsetzt. „Zieh dein T-Shirt aus, das kannst du nicht mehr länger tragen“, befahl sie im nächsten Moment in ihrem bestimmten Tonfall und riss ihm das T-Shirt vom Leib. Nun saß er mit bloßem Oberkörper vor uns. Aus einer Wunde an der Schulter tropfte immer noch Blut. Außerdem hatte er einige blutige Kratzer am Bauch. Oli tupfte mit Taschentüchern das Blut weg und zog ihm ihre Trainingsjacke über. Fintan kam allmählich wieder zu sich zurück und rappelte sich langsam auf. „Wo ist Felicitas?“, fragte er und wurde ganz blass im Gesicht. „Oh nein, sie ist verschwunden“, fügte er hinzu. „Sie kann nicht weit sein“, sagte Oli aufmunternd, „Ich gehe sein Pferd suchen“ „Oli, du gehst sie nicht alleine suchen“, sagte ich bestimmt. „Doch das tue ich. Keine Angst, ich verirre mich nicht. Das ist schließlich nicht mein erster Ausritt“, entgegnete sie mir, „Am besten bringst du jetzt Fintan zurück“ Wenig später waren Oli und Esparado verschwunden. Ich machte Hermine an einem Stamm fest und setzte mich neben Fintan. „Was fällt dir ein alleine ohne Sattel und Reitkleidung auszureiten?“, warf ich ihm vor, „Wir haben dich die ganze Zeit gesucht und bestimmt hast du nicht nach Erlaubnis gefragt, ob du ausreiten darfst“ Fintan schwieg und zeigte keine Reaktion. „Was ist mit dir los?“, fragte ich und schaute ihm direkt in die Augen, „Ich sehe, dass mit dir etwas nicht stimmt“ Wieder bekam er seinen Mund nicht auf. „Antworte gefälligst, wenn man dich fragt“, blaffte ich ihn an. Ich sah zum ersten Mal, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Ich bereute es, ihn in diesem Tonfall angeblafft zu haben. Ich war wirklich zu hart zu ihm. Ich wusste allerdings, wie ich jetzt reagieren sollte.

 „Was ist los mit dir?“, fragte ich einfühlsam, „Du warst während des Mittagessens beim Direktor und bist nicht wieder gekommen. Es muss etwas passiert sein“ „Ich kann es dir nicht sagen“, antwortete Fintan erpresst. Seine Stimme klang tot, halb zittrig und halb weinerlich. Ich fing an wie ein kleines Kind zu betteln, „Bitte erzähle es mir. Ich will wissen was mit dir los ist, damit ich dich verstehe“ Plötzlich überkam mich der Drang ihn den Arm zu nehmen. „Mein Großvater hat am Morgen meine Mutter mit einem Messer angegriffen und sie schwer verletzt“, sagte er schniefend. Mehr verstand ich nicht, weil die Tränen seine Stimme erstickten. Er saß minutenlang schluchzend neben mir und wischte sich über sein feuchtes Gesicht. „Ich wollte nach dem Gespräch beim Schulleiter nur noch fort, deshalb habe ich Felicitas aus dem Stall geholt und bin mit ihr in den Wald ausgeritten. Ich habe wohl meinen Kopf verloren“, fuhr er mit tränenerstickter Stimme fort und fügte hinzu, „Jetzt habe ich Felicitas auch noch verloren, dabei haben meine Eltern sie mir zum Geburtstag geschenkt“ Ich saß sprachlos und geschockt neben ihm. Auch mir drohten die Tränen unter den Augenliedern hervor zu quellen, doch bevor sie mir die Wangen herunter liefen, wischte ich sie aus den Augenwinkeln. „Ich habe es zuvor noch niemanden erzählt, nicht einmal meinen besten Kumpels. Du hast es als Erste erfahren“, seine Stimme war immer noch heiser und bebte. „Lass uns gehen“, sagte ich als er sich beruhigt hatte, „Willst du dich auf Hermine setzen?“ „Nein, ich kann selber laufen.“, winkte er ab, „Ich will nicht noch mal herunterfallen“ Fintan stand auf, allerdings war ein bisschen wackelig auf den Beinen. „Ich setze dich doch lieber aufs Pferd, du kannst doch noch nicht richtig gehen. Ich führe dich und du hältst dich fest“, ordnete ich an und half ihn in den Sattel. Auf diese Weise kamen wir schneller voran.

„Um Himmels Willen, was ist mit dir passiert?“, entfuhr es der Hausmutter als sie mich und Fintan sah. Sie sah, wie aufgelöst er war. Seine dunklen Ringe um die Augen und die Röte in seinem Gesicht waren nicht zu übersehen. Erst jetzt sah ich im fahlen Licht des Flures, dass seine Wangenknochen deutlich sichtbar waren, dadurch wirkte sein Gesicht noch kantiger als sonst. „Er ist vom Pferd gefallen“, antwortete ich für ihn. „Wir müssen dich zur Krankenstation schicken, du hast eine Verletzung an der Schulter. Der Schularzt muss das mal anschauen“, sagte sie und ging mit ihm davon.

 Ich ging in den Gemeinschaftsraum, niemand außer mir war da. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie laut die Wanduhr tickte. Plötzlich öffnete Jemand die Tür und knipste das Licht an. Es war Mr. O’Connor. „Hallo Emily, ich suche Fintan. Weißt du wo er ist? Ich habe ihn seit Mittag nicht mehr gesehen. Sein Vater kommt in einer halben Stunde und will ihn abholen. Es hat bei ihm Zuhause eine Familientragödie gegeben“, sagte er. „Er ist auf der Krankenstation, er ist vorhin vom Pferd gestürzt“, antwortete ich bedrückt. „Wie kam das?“, klang Mr. O’Connors Stimme perplex. „Er ist mit seinem Pferd ausgeritten, um seinen Kopf wieder frei zu kriegen. Dabei ein Wildschwein sein Pferd aufgescheucht und es hat ihn abgeworfen. Beim Sturz hat er sich an der Schulter verletzt“, erzählte ich. „Warst du dabei?“, fragte er mich. Ich nickte, „Ich habe ihn verletzt aufgefunden und ihn wieder hier her gebracht. Er war sogar kurz bewusstlos“ „Eigentlich müsste es eine Strafe geben, dass er unerlaubt das Internatsgelände verlassen hat und ohne Erlaubnis ausgeritten ist. Ich will ihm ausnahmsweise die Strafe ersparen, da er sowieso unter der Situation leidet“, meinte unser Klassenlehrer, „Es hat wohl einen Familienstreit gegeben, sein Großvater hat seine Mutter mit einem Messer angegriffen. Derzeit liegt seine Mutter schwer verletzt im Krankenhaus und musste eine Operation über sich ergehen lassen. Mehr Details darf ich nicht nennen“

Nach einer halben Stunde betrat die Hausmutter mit Fintan den Gemeinschaftsraum. Er war immer noch blass und sagte kein Wort. „Ich weiß, wie schwer die Situation für dich ist. Ich fühle mit dir und deiner Familie“, versuchte Mr. O’Connor den verstörten Fintan zu trösten, „Dein Vater wird gleich kommen. Magst du noch etwas essen oder trinken?“ Fintan schüttelte den Kopf und sank auf seinem Stuhl zusammen. Es klopfte und Mr. Scott trat ein, neben ihn stand ein anderer Mann. Das musste Fintans Vater sein. Auf jeden Fall sah er Fintan sehr ähnlich, er hatte die gleiche Haarfarbe und ähnliche Gesichtszüge. „Guten Abend, Mr. O’Connor“, grüßte der Schulleiter und sagte, „Mr. Bentley, der Vater von Fintan Bentley ist vor wenigen Minuten gekommen, um seinen Sohn abzuholen. Ich habe ihn hier her begleitet“

Fintans Vater grüßte alle Anwesenden seinerseits und gab Jedem die Hand. Man konnte nicht überhören, dass er aus Schottland kam, sein schottischer Akzent war unüberhörbar. Er richtete ein paar aufmunternde Worte an seinen Sohn. „Fintan musste gerade wegen einer Verletzung an der Schulter behandelt, weil er vom Pferd gefallen ist, aber es war nur eine Wunde und nicht mehr“, sagte Mr. O’Connor. „Wie ist das passiert?“, fragte Mr. Bentley. „Bei einem Ausritt“, meinte unser Klassenlehrer, „Er wollte ausreiten, um sich von dem großen Schock zu erholen und dabei hat ein Wildschwein sein Pferd aufgescheucht. Emily Dean, eine Mitschülerin von ihm, hat ihn aufgefunden und ihn wieder hier her gebracht“ Ich spürte wie Mr. Bentley mich dankbar ansah und mir zulächelte, obwohl er ebenfalls unter der Situation zu leiden hatte. Er legte seinem Sohn den Arm um die Schulter. Fintan hatte wieder Tränen in den Augen, aber er wollte partout nicht in Tränen ausbrechen. „Ich glaube es ist besser, wenn Sie mit ihrem Sohn nach Hause fahren, er scheint sehr fertig zu sein. Fintan sollte einige Tage Ruhe haben und sich erholen“, befand Mr. Scott, „Ich wünsche Ihrer Frau gute Besserung und Ihrer Familie viel Kraft“ „Vielen Dank, wir müssen alle den Schock verarbeiten und brauchen Ruhe“, erwiderte sein Vater und wandte sich an mich, „Vielen Dank, dass du Fintan nach seinem Sturz geholfen und wieder zurück gebracht hast“ Danach gingen die Bentleys fort, Mr. Bentley legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter und verabschiedete sich.

 Gerade als sie fortgefahren waren, kam Oli hinein gestürmt und schaute irritiert drein, als sie Mr. Scott und Mr. O’Connor sah. „Hallo Olivia, wo kommst du her?“, begrüßte sie Mr. O’Connor. „Ich habe zusammen mit zwei anderen Reitern Fintans Pferd wieder eingefangen“, sagte sie. Alle Blicke richteten sich auf sie. „Die beiden Reiter warten noch draußen“, fuhr Oli fort und zeigte Richtung Fenster, „Ich habe Fintans Pferd am Weidezaun entdeckt, aber diese beiden Männer haben es wieder einfangen“ „Ich bedanke mich in Fintans Namen, er wurde gerade von seinem Vater abgeholt“, sagte Mr. O’Connor. Der Schulleiter ging vor die Tür und sprach mit den Reitern. Beim Abendbrot drängten sich meine Mitschüler um mich und Oli. „Wie geht es Fintans Mutter? Sie soll von ihrem eigenen Vater erstochen worden sein“, rief Arabella. „Nein, so schlimm nun auch nicht“, versuchte ich den Ball möglichst flach zu halten. „Wie steht es aktuell um sie?“, fragte Stella, Arabellas beste Freundin. „Wir wissen das nicht“, antwortete Oli genervt. „Ich habe Fintan den ganzen Nachmittag nicht gesehen, er war auch nicht beim Fußballtraining“, schaltete sich Lars ein, „Er war auch sonst in letzter Zeit still geworden, war dauernd müde und hatte wenig Appetit“

Mr. O’Connor kam rein und stellte sich vor unsere Klasse. „Ich glaube, es wissen nur die wenigsten, was heute Morgen in Fintans Familie passiert ist. Es kam zu einem Familienstreit, Fintans Großvater hat seine Tochter mit einem Küchenmesser niedergestochen. Sie erlitt schwere Verletzungen am Rücken, an den Armen, am Kopf und im Gesicht. Sie musste operiert werden und ist seitdem außer Lebensgefahr. Der Großvater sitzt in Untersuchungshaft und die Polizei ermittelt noch. Fintan, seine kleine Schwester und sein Vater verbringen die nächsten Tage bei Verwandten in Dublin“, teilte Mr. O’Connor mit. Meine Mitschüler schwiegen, manche hatten sogar Tränen in den Augen oder machten einen bedrückten Gesichtsausdruck. „Ich möchte euch, das was ich gerade gesagt habe, nicht weiter erzählt. Das soll unter uns bleiben, so wollen es die Bentleys. In den nächsten Tagen werdet ihr erstmal nicht direkt mit Fintan reden können, er soll Abstand gewinnen und wird genauso, wie seine Familie psychologisch betreut. Ich werde mit seinem Vater in Kontakt bleiben und ich werde euch informieren, wann er wieder kommt“, fügte Mr. O’Connor hinzu. Im Raum war es wieder so still, dass man die Wanduhr laut ticken hörte. Oli, Greta und ich schauten uns abwechselnd mit betretenden Mienen an und sagten kein Wort. Abends ging ich früh ins Bett, weil ich todmüde war. An Einschlafen war kaum zu denken, weil mich die Gedanken plagten. Wie ging es jetzt seiner Mutter, ihm selber und seiner restlichen Familie? Ich drehte mich von der einen Seite auf die Andere, wackelte mit den Zehen, zog die Beine an meinen Körper und starrte an die Decke. Trotzdem war ich wach und fühlte mich wie eine Sprungfedern. „Oli, Oli… Bist du noch wach?“, flüsterte ich. Meine Freundin antwortete nicht, sie schlief bereits. Ein wenig Licht fiel durch das Fenster, wir hatten vergessen die Vorhänge zu verschließen. Ich schaute mir die Photos an, die an der Wand hingen. Auf einem Bild war meine eigene Mutter zu sehen, die seit anderthalb Jahren sie nicht mehr lebte. Ein dumpfer Schmerz durchfuhr mich. Der Verlust der eigenen Mutter ist ein heftiger Schmerz, der für lange Zeit bleibt, nur nach einiger Zeit lernt man mit diesem Schmerz umzugehen. Ich hoffte, dass Fintan nicht dasselbe Schicksal erleben muss.

 In den kommenden Tagen teilte Mr. O’Connor uns mit, dass es Fintans Mutter besser ging und die Familie sie im Krankenhaus besucht. „Wann kommt Fintan wieder?“, fragte Greta. „Wir wissen es noch nicht genau, es nur noch wenige Tage dauern wird oder einen Monat. Es kommt darauf an, wir er dieses Schicksal verarbeitet. Morgen werde ich zum ersten Mal mit Fintan selber sprechen. Sein Vater behautet, dass es ihm besser gehe als vorgestern“, sagte unser Klassenlehrer zu uns. Es dauerte etwas mehr als eine Woche bis Fintan wieder kam. Er sah wieder gesünder aus, es sah aus, als würde er mehr wiegen als zuvor und hatte eine gesunde Gesichtsfarbe. Dennoch fiel mir auf, dass er stiller war als zuvor. Er begrüßte seine Kumpels nicht mehr mit einem high five, sondern nickten ihnen freundlich zu als er sich zu ihnen an den Tisch setzte. „Ich freue mich sehr über Fintans Rückkehr, aber bitte bombardiert ihn nicht gleich mit so vielen Fragen und lasst ihn Ruhe“, bat Mr. O’Connor. Ich versuchte Fintan so wenig wie möglich während des Abendessens zu beobachten und schaute auf meinen Teller. May und Rosy kicherten los. Ich schaute irritiert zu ihnen hinauf. „Allein wie du auf deinen Teller starrst“, kicherte Rosy. Ich gab nur noch ein, „Hm…“ von mir und ignorierte das Gekicher. Nach dem Abendbrot kam Fintan auf mich zu. „Machen wir zusammen einen Spaziergang“, fragte er mich vor dem Treppenaufgang. Ich nickte, „Gerne warum nicht? Warte, ich hole mir eben eine Jacke aus meinem Zimmer“

Ich flitzte die Treppe rauf und wenig später wieder runter. Er wartete immer noch an der gleichen Stelle auf mich. „Wie geht es deiner Mutter?“, fragte ich vorsichtig als wir draußen waren. Ich hoffte, dass ich nichts Falsches sagte. „Ihr geht es inzwischen wieder besser, sie ist seit gestern wieder zuhause. Mein Vater, meine Schwester und ich haben sie häufig am Krankenbett besucht und gehofft, dass sie schnell gesund wird“, sagte er und klang erleichtert, „Mein Großvater sitzt in Untersuchungshaft, in den nächsten Monaten kommen die Gerichtsverhandlungen“ „Wie ist es überhaupt zu dem Streit gekommen?“, wollte ich wissen. „Mein Großvater kam am Morgen zu Besuch, er verlangte Geld von meinen Eltern, weil er ständig sein eigenes Geld versäuft. Er wollte das Geld um die Miete für seine Wohnung zu zahlen. Meine Mutter wollte ihrem Vater kein Geld mehr geben, dann kam es zum Streit und mein Großvater hat zu gestochen. Man hat herausgefunden, dass während der Tat angetrunken war“, erzählte er. „Das ist fürchterlich“, bemerkte ich mit einem Grausen, „Deine Mum wäre fast ums Leben gekommen, meine Mum lebt seit anderthalb Jahren nicht mehr“ „Was? Oh, das tut mir sehr Leid für dich“, Fintan senkte seinen Blick. „Sie ist bei einem Reitunfall gestorben“, sagte ich knapp und wollte wieder schnell von diesem Thema weg. „Warum haben die Lehrer vor ein paar Wochen dich dauernd kritisiert?“, fragte ich ihn, „Was war los?“ „Ich habe im März mit Arabella Schluss gemacht, weil sie mich am Besuchertag mit ihrem richtigen Freund betrogen hat. Sie wollte eine Scheinbeziehung aufrechterhalten, aber ich habe die Beziehung letztendlich selbst beendet und habe wochenlang an Liebeskummer gelitten. Ich hatte kaum Hunger und musste mich manchmal zum essen überwinden, ich war dauernd müde und konnte mich nicht richtig konzentrieren. Aus dem Grund habe ich schlechte Arbeiten geschrieben und war plötzlich auch in Sport nicht mehr besonders“, sagte er, „Ich habe mit keinem darüber geredet, nicht einmal mit meinen Eltern, weil ich sie nicht enttäuschen wollte“ Er holte einen Schokoladenriegel aus der Tasche und bot mir auch einen an. Eine Weile sahen wir uns an und schauten uns gegenseitig beim Kauen zu.

 

Drei kleine Findelkinder

Rosy, Oli und ich fuhren an einem warmen Maiabend mit unseren Fahrräder ins Dorf. Endlich blieb es solange hell, sodass wir auch nach dem Abendbrot Ausfüge ins Freie unternehmen konnten. Heute Abend wollten wir Eis essen. „Fahrt mir nicht davon, ich kann euch kaum folgen. Wartet!“, keuchte Rosy und schloss zu uns auf. Ich verlangsamte auf Rosys Bitte mein Tempo, während Oli uns davon fuhr. Sie sauste die nächste kurvige Abfahrt hinunter und wartete an einer Bushaltestelle auf uns.

„Stimmt etwas nicht mit dir, Oli?“, fragte ich. Mir war der skeptische Blick meiner Freundin nicht entgangen. Verängstigt zeigte sie auf einen normal aussehenden Karton neben der Sitzbank. „Was soll schon damit sein? Etwa ein kleines Monster?“, fragte ich barsch und fügte hinzu, „Das ist nur ein stinknormaler Karton“ „Hörst du das Geräusch aus seinem Inneren nicht!“, fuhr mich Oli beinahe an. Rosy rüttelte den Karton leicht. Das Quietschen war nicht zu überhören. „Was ist das?“, wisperte ich erschrocken. Rosy öffnete den Karton mit unbekannter Entschlossenheit und stieß einen entzückten Schrei aus. „Sind die süß!“, schwärmte sie. Oli und ich beugten uns ebenfalls über den Karton. „Das sind Meerschweinchen, sie sind sogar noch relativ klein“, bemerkte Oli verwundert. Mit ihren dunklen Knopfaugen beobachteten uns die kleinen Tiere neugierig und ängstlich zugleich. Jetzt konnte ich mir erklären, woher das Fiepen kam. Wieder fing eines der Meerschweinchen an zu fiepen. Bestimmt hatten sie Hunger oder Durst. „Gehören sie niemand?“, fragte Rosy. Wir zuckten die Schultern. Wir beschlossen einen Moment zu warten, vielleicht kam jemand vorbei, dem die Tiere gehörten. Mir schwante etwas Schlimmes. „Ich glaube, die Tiere wurden ausgesetzt“, vermutete ich, „Ich würde sie am liebsten mitnehmen, sonst würden sie elendig verhungern und verdursten“ Rosy pflückte einen großen Büschel Gras und hielt ihn den Meerschweinchen hin. Sofort fingen sie an zu mümmeln und fiepten nicht mehr. „Wir dürfen doch keine Tiere in unseren Zimmern halten“, mischte sich Rosy skeptisch ein. „Ich habe eine Idee, es gibt den kleinen Heuschober direkt neben dem Pferdestall. Wir könnten die Tiere dort wunderbar auf dem Dachboden verstecken“, platzte es begeistert aus Oli heraus. Meine Miene hellte sich auf, „Lasst uns jetzt zurück fahren, Eisessen können wir ein anderes Mal“

 Rosy nahm den Karton auf ihren Fahrradträger und wir fuhren zurück zum Internat. Der alte Heuschober sah schon etwas verfallen und schäbig aus. Sogar die Tür ließ sich kaum bewegen, erst als wir zu dritt unser ganzes Gewicht gegen die Tür stemmten, öffnete sie sich knarrend. Uns kam sofort eine Staubwolke entgegen, wir tappten unsicher durch die Dunkelheit des Inneren und beseitigten viele Spinnenweben. „Hier war bestimmt seit hundert Jahren niemand mehr und hat gelüftet“, hustete Oli und hielt ihr Halstuch vor das Gesicht. Rosy lief prompt gegen einen Balken, kurz stöhnte sie vor Schmerzen auf und tastete sich weiter fort. Ein wenig Licht drang durch kleine Fenster, sodass wir die Umrisse der Gegenstände erkennen konnten. Rosy deutete auf eine Leiter, die auf den Dachboden führte. Ich probierte aus, ob die Leiter stabil war. Sie war stabil und konnte mich tragen. Oli reichte mir den Karton mit den Meerschweinchen, während ich empor kletterte. Ich suchte mir eine ebene Stelle aus und setzte den Karton ab. Oli und Rosy folgten mir, sie nahmen die Tiere raus damit ich Stroh und Heu in den Karton füllen konnten. Ich lief schnell in den Reitstall und besorgte eine handvoll Möhren. Den kleinen Tierchen schmeckte es ausgezeichnet. Das schwarze Meerschweinchen mit dem weißen Hinterbein stieß ein zufriedenes Grunzen aus. Rosy stellte den Tieren einen mit Wasser gefüllten Untersetzter hin. Sorgfältig verschlossen wir den Karton und huschten lautlos aus der Scheune. „Wir erzählen nur Greta und May, dass wir drei kleine Meerschweinchen gefunden haben. Sonst darf es keiner erfahren, weil es sonst die Lehrer und unsere Mitschüler mitbekommen. Dieses Geheimnis müssen wir hüten wie einen Schatz“, flüsterte ich meinen Freundinnen zu.

 „Kommst du heute Nachmittag mit an den See? Ich will mit dem Ruderboot hinaus fahren und angeln“, fragte mich Fintan nach der Schule. „Ich kann nicht, ich muss für Chemie lernen, dort habe ich momentan Aufholbedarf“, schüttelte ich den Kopf. „Du kannst auch nach dem Abendbrot lernen“, versuchte er mich umzustimmen, „Es muss doch zwischendurch Zeit für Schönes bleiben“ „Nein, momentan geht es wirklich nicht. Ich muss für Englisch ein Referat vorbereiten, in Biologie und Geographie schreiben wir in den nächsten Wochen Klausuren. Außerdem habe ich die letzte Klausur in Chemie vermasselt“, beharrte ich auf meiner Entscheidung und ging weiter. In Wirklichkeit wollte ich mich mit May, Greta, Oli und Rosy im Heuschober treffen und die Meerschweinchen versorgen. Meine Freundinnen und ich ließen uns ins Stroh fallen und öffneten den Karton. Unsere vierbeinigen Freunde sahen uns neugierig an und fiepten zur Begrüßung. May versuchte eines auf dem Arm zu nehmen. „Es kitzelt mich“, kicherte sie und ließ das Tier laufen. Greta packte es und setzte es in den Karton zurück. „Ihr könnt sie nicht auf den Arm nehmen, sie sind noch nicht zahm genug“, sagte Oli, „Wir können sie zuerst streicheln, so können sie sich langsam an uns gewöhnen“ Greta und ich streichelten den Tieren sanft über den Rücken. Das schwarze Meerschwein streckte seine Hinterläufe aus und gnurzte. Jeden Tag nach der Schule kümmerten wir uns um unsere vierbeinigen Gesellen. Sie wurden von Tag zu Tag zutraulicher und ließen sich von uns auf den Arm nehmen. Sie wurden Ronny, Micky und Delia getauft. 

Fintan begegnete mir als ich den Heuschober verließ. Er schaute mich durchdringend an. Ich blieb abrupt und sprachlos vor ihm stehen. „Wieso warst du in der alten Scheune? Was gibt es dort, dass man sich dort hinein verirrt?“, fragte er mich. Mir fiel keine spontane Antwort ein. „Ich glaube ich habe Etwas verloren“, murmelte ich verlegen, „Ich wollte schauen, mein Schlüssel eventuell dort drinnen liegt“ Meine Ausrede klang wirklich miserabel. „Komm schon! Erzähl mir die Wahrheit! Ich merke, dass du mir etwas verschweigst“, drängte Fintan und versuchte mich mit seinem Blick zu durchbohren. Ich hielt nicht mehr stand. „Ich habe dich anlogen“, gestand ich, „Vor einer Woche haben wir drei ausgesetzte Meerschweinchen gefunden und seither verstecken wir sie im Heuschober“ „Darf ich sie auch sehen?“, fragte Fintan sofort, anstatt empört zu sein. Wir kletterten in Windeseile auf den Heuboden. Ich nahm Delia aus dem Karton und reichte sie Fintan. Ich nahm stattdessen Ronny und Micky auf meinen Schoß. „Die Tiere brauchen dringend einen richtigen Käfig, der Karton beginnt langsam zu verrotten“, meinte er, „Ein guter Freund von mir hat einen alten Kaninchenstall, ich rufe ihn heute Abend an und bitte ihn, den Käfig morgen vorbei zu bringen. Sein Kaninchen ist vor zwei Jahren gestorben und seitdem braucht er ihn nicht mehr“

Greta und May waren wütend auf mich. „Du hast als Erste gesagt, dass wir das Geheimnis für uns behalten müssen“, griff mich Greta offen nach der Musikstunde an, „Aber du bist allerdings auch die Erste, die das Geheimnis ausplauderte. Nachher wissen alle unsere Mitschüler und Lehrer, dass wir Meerschweinchen verstecken“ „Fintan ist mir gestern auf die Schliche gekommen und hat mich beinahe gezwungen die Wahrheit zu sagen“, verteidigte ich mich, „Außerdem beschafft ein Kumpel von ihm einen Käfig, damit die Tiere nicht mehr in einem halbverrotteten Karton hausen müssen“ „Ich habe es Lars schon letzte Woche erzählt“, gestand Oli, um für mich Partei zu ergreifen. Gretas Zorn legte sich am Ende des Schultages wieder. Nachmittags kam Adrian, Fintans Kumpel mit seinem Auto vorgefahren. Er war bestimmt zwei oder drei Jahre älter als wir und trug eine schwarze Lederjacke. „Hallo, nice to meet you“, grüßte er uns lässig und holte den Käfig aus dem Kofferraum. Oli und ich zeigten Adrian den Eingang zur Scheune. „Sollen wir dir helfen, den Käfig nach oben zu tragen?“, fragte ich Adrian. „Nein, das braucht ihr nicht, Mädels. Fintan und ich machen das schon“, meinte Adrian. Einen Augenblick später saßen unsere kleinen quiekenden Artgenossen in ihrem neuen Zuhause. Zu siebt sahen wir belustigt zu, wie unsere kleinen Freunde ihr neues Heim entdeckten.

 Wenige Tage später kam Mr. O’Connor auf mich zu. Er räusperte sich und senkte seinen Blick. „Gestern haben Fintan und Arabella mit mir gesprochen“, begann er und ich wurde innerlich nervös, „Fintan hat mir erzählt, dass ihr drei kleine Meerschweinchen vor dem sicheren Tod gerettet habt und seitdem euch um sie kümmert. Allerdings brauchen sie nicht länger auf dem Heuboden hausen. Die ganze Klasse und die Hausmutter haben sich ausgesprochen, dass die Tiere in den Gemeinschaftsraum kommen. Sogar unser Direktor hat uns die Erlaubnis erteilt. Ihr werdet euch abwechselnd um die Tiere kümmern und euch mit ihnen beschäftigen“ Ich war baff und konnte vor Überraschung nicht antworten. Der Käfig stand neben dem roten Sofa auf dem Boden. „Ich find die kleinen Tierchen so niedlich“, schwärmte Arabella, die mit ihren Freundinnen Natascha, Stella und Darcy neben dem Käfig kniete. 

Schmetterlinge im Bauch und Frühlingsgefühle

„Bist du wieder in deinen Liebesträumereien versunken?!“, stupste mich Oli an, „Du starrst im Unterricht unterbrochen zu Fintan, solltest du nicht lieber die Tafel anstarren oder einen Blick in deine Bücher werfen“ „Das ist nicht halb so interessant“, murrte ich und drehte mich wieder auf die Seite. „Raus aus den Federn, wir müssen unbedingt Mathe, Englisch und Chemie erledigen“, forderte sie mich auf und zerrte mich vom Bett. „Könnte Mathematik nicht mal so interessant wie Jungs sein, sonst hätte ich bestimmt eine Eins wie Matthew oder Rosy“, stöhnte ich und setzte mich an den Schreibtisch. „Gib zu, dass du in Fintan verliebst bist“, neckte mich Oli. Ich wurde verlegen. „Du hast Recht, er geht mir gar nicht mehr aus dem Kopf“, gab ich zu. „Immerhin bin ich mit Lars seit drei Monaten zusammen“, meinte Oli, „Aber ich finde auch Fintan, Tiago und Patrick sehr sympathisch. Nur Tom erinnert mich zu sehr an einen Trunkenbold und Marc benimmt sich zu oft wie ein Idiot“ „Ich mag alle Jungs, außer Matthew und Garry. Aber bei Fintan ist etwas Besonderes, immer wenn ich ihn sehe, habe ich Schmetterlinge im Bauch. Es ist nicht sein Aussehen, sondern auch seine Ausstrahlung“, sagte ich. „Ich finde er ist viel freundlicher geworden, nachdem er sich von dieser blöden Arabella getrennt hat“, fand Oli, „Er streitet sich kaum noch mit Garry und er macht keine fiesen Bemerkungen mehr über Matthew und Dave“ „Er hat mich schon gefragt, ob ich mit ihm Boot fahren wollte“, erwiderte ich, „Ich habe es leider abgelehnt. Na toll, ich habe eine gute Chance ausgeschlagen ihm näher zu kommen“ „Bestimmt wird er dich noch mal fragen“, prophezeite mir Oli, „Wenn ein Junge in ein Mädchen verliebt ist, versucht er ihr unauffällig näher zu kommen“

 Vor dem Abendessen ging ich alleine durch den Park spazieren und wollte einen Moment Ruhe haben. Ich traf zufällig auf Fintan und seine Freunde. Sie unterhielten sich lebhaft. Ich blieb abrupt stehen und machte einen Bogen um sie. Ich glaube, sie hatten keinerlei Notiz von mir genommen. Ihr Gespräch drehte sich um Mädchen. Ich spitze meine Ohren und duckte mich hinter einen Busch. „Wir wissen ganz genau, dass du auf Emily stehst“, neckte Tiago seinen Kumpel. Als Reaktion darauf bekam er einen festen Rippenstoß von Fintan. „Warum redest du dauernd von ihr und fragst sie nicht nach einem Date?“, fragte Patrick, etwas Vorwurfsvolles schwang in seiner Stimme mit. „Wenn das immer so einfach wäre“, entgegnete ihm Fintan, „Ich will nicht noch einmal auf eine Cheat wie Arabella hereinfallen“ Vor Überraschung blieb mir die Luft weg. „Angsthase, Angsthase Pfeffernase“, neckte Tiago und bekam diesmal einen Kinnhaken. „Unser König hat Torschusspanik“, lachte Lars laut. „Posaune es nicht über das ganze Schulgelände“, zischte Fintan verärgert. Ich stand immer noch hinter der Hecke und sprudelte vor Neugier. „Ich mir sicher, dass ich eine Chance bei Emily haben werde“, meinte Fintan zuversichtlich, „Ich mag ihre fröhliche und lebendige Art, ihre rötlichen Haare, ihre Sommersprossen und ihre langen Wimpern“ „Ran an die Herzdame!“, stupste ihn Lars an. „Das ist mal ein Geständnis“, lobte Tom, „und zwar ein sehr Ehrliches“ „Naja, ich war bloß mit Arabella zusammen wegen dem Status, aber sie hat mich im Nachhinein getäuscht“, sagte Fintan. Ich entfernte mich unauffällig. Ich fühlte mich leicht wie eine Feder und hätte zugleich vor Freude und Spannung platzen können. Bis jetzt hatte mir noch kein Mensch ein Kompliment wegen meinen rötlichen Haaren und den vielen Sommersprossen gemacht. Eher wurde ich früher in der Grundschule deshalb gehänselt. Das musste ich nachher meinen Freundinnen erzählen. 

 Donnerstag lag ein Zettel auf meinem Tisch. Unauffällig unter dem Tisch entfaltete ich ihn und las, „Hey Emily, lass uns morgen Nachmittag zusammen an den See gehen und mit dem Boot hinaus fahren. Wir treffen uns morgen nach dem Mittagessen. Nimm auf jeden Fall Trinken, Essen, Sonnencreme und Badezeug mit. Lg Fintan“ Ich faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn in mein Etui. Ich versuchte krampfhaft meine Vorfreude und Erregtheit zu retouchieren, indem ich meine Nase tiefer in mein Französischbuch steckte. Fest stand, ich werde niemandem von dem kommenden Date erzählen. Meine Freundinnen scharrten sich um mich. „Emmi, du bist total aufgeregt. Woher kommt das? Was ist bei dir in Französisch vorgefallen?“, fragte mich Greta und legte ihren Arm um meine Schulter. „Ich rege mich immer noch ein wenig über meine falsche Antwort von vorhin auf“, log ich. „Das kann doch nicht sein“, entgegnete mir Greta, „Sonst hat es dir nichts ausgemacht, wenn du etwas Falsches gesagt hast“ „Naja, bei ihr kann man es nie wissen. Sie ist in letzter Zeit sehr empfindlich geworden“, wandte Oli ein. „Sag jetzt nichts Falsches“, sagte ich im Geist. Ich ging schnell auf die Toilette, um nicht mehr Rede und Antwort zu stehen.

 Den ganzen Freitagmorgen über verspürte ich große Vorfreude gepaart mit Aufregung. Gestern Abend hatte mich Fintan zwischen Tür und Angel gefragt, ob ich komme. Nach dem Mittagessen zog ich schnell meinen karierten Bikini drunter und packte eine Flasche Wasser, einen Apfel, Sonnenmilch und Brotchips ein. Zum Glück hielt sich Oli mit Greta und Rosy derzeit noch im Gemeinschaftsraum auf. Es klopfte an der Tür. Erschrocken fuhr ich zusammen, hoffentlich war das keiner meiner Freundinnen. Ich schlich zur Tür und öffnete sie langsam. Puh, es war nur Fintan. Er trug eine karierte Shorts, ein Adidas T-Shirt und eine Sonnenbrille. „Kann es losgehen?“, fragte er. „Ich bin so weit“, antwortete ich und nahm meinen Rucksack. „Ich muss dir gestehen, dass ich mein Herz an dich verloren und ich wollte es dir nicht zeigen. Dabei bist du viel schöner als Arabella“, gestand Fintan mir und legte mir seinen Arm um die Schultern. „Ich bin in dich verliebt und habe es dir nicht getraut zu sagen“, gestand ich ihm ebenfalls. Wir wanderten einen bewachsenen Pfad entlang und gelangten zu einem Steg. Fintan ging zum Bootsanleger und band das Tau eines Ruderbootes los. „Emily, hierher!“, winkte er mich zu sich rüber. Ich folgte ihm und warf meinen Rucksack auf das Boot. „Soll ich dir helfen?“, bot er an und hielt mir seine Hand hin. Dankbar ergriff ich seine Hand und kletterte in das Boot. „Setz dich ruhig nach vorne, ich rudere das Boot auf den See hinaus“, sagte er. Ich nahm Platz und streckte meine Arme in das kühle Wasser. In der prallen Sonne wurde mir doch allmählich sehr heiß. Fintan stieß unser Boot vom Steg ab und ruderte uns mit kräftigen Schlägen auf den See hinaus. Vorsichtshalber rieb ich mich mit Sonnencreme ein. Sofort umschwärmten uns viele Mücken. Sie ließen sich auf jeder freien Körperstelle nieder und versuchten uns zu stechen. „Wie mich diese Viecher nerven“, stöhnte Fintan und erschlug eine Stechmücke, die sich auf seiner Wade niederließ. Fintan bot mir sein Mückenspray an. Danach hatte ich endlich meine ersehnte Ruhe und konnte mich munter mit ihm unterhalten.

„Ich habe nächste Woche am 9. Juni Geburtstag und werde achtzehn“, erzählte er. „Wirst du ihn groß feiern?“, fragte ich ihn neugierig. „Klar, werde ich das. Ich lade ein paar meiner Freunde und meine Cousins ein. Lars und ich planten eine Party unter freiem Himmel, auf einer Wiese in der Nähe des Collages. Wir wollen grillen und ein Lagerfeuer machen“, teilte er mir mit.  „Wen lädst du überhaupt ein?“, wollte ich wissen. „Ich werde auf jeden Fall nicht die ganze Klasse einladen, dass würden zu Viele sein“, versicherte er mir, „Nur Lars, Tiago, Tom, Marc, Patrick und dich aus unserer Klasse. Du kannst zudem gerne ein paar deiner Freundinnen mitbringen. Mein Cousin Donal und meine Cousine Ruby werden auch kommen. Adrian und Liam, kommen mit dem Auto und werden uns die ganze Partyausrüstung auf die Wiese fahren. Nächste Woche Freitag treffen wir uns an der Bushaltestelle in der Nähe der Schule, denn kein Lehrer darf das mitkriegen. Adrian und Liam fahren zur Wiese vor und bereiten dort alles vor. Wir werden nachkommen“ „Da hast du eine coole Party geplant“, schmunzelte ich, „Ich werde fragen, ob Oli, Greta, May und Rosy mitkommen“ „Sie können ruhig alle mitkommen“, bestätigte Fintan, „Ich kenne Rosanna und May kaum, aber sie sind in Ordnung“

 Mitten auf dem See machten wir Pause. Fintan zog sein verschwitztes T-Shirt aus, sodass ich einen Blick auf seinen durchtrainierten Oberkörper werfen konnte. Mit einem Kopfsprung verschwand er im Wasser und tauchte kurze Zeit später wieder auf. „Komm doch auch!“, rief er. „Wie sollen wir wieder auf das Boot zurück kommen, wenn wir Beide im Wasser sind?“, fragte ich skeptisch. „Ich kann alleine wieder aufs Boot klettern, das ist kein Problem antwortete er. Zögernd zog ich mein T-Shirt und meine Hose aus. „Spring, Spring, Spring“, feuerte mich an und spritzte Wasser nach mir. Ich musste mich innerlich überwinden bis ich endlich sprang. Eine ungewohnte Kälte nahm meinen Körper in Beschlag, sodass ich kurz aufschrie. „Das Wasser ist gar nicht kalt, du musst dich nur daran gewöhnen“, meinte Fintan und packte mich am Arm. Er zog mich näher an sich dran und ich berührte seinen Oberkörper. Er küsste mich auf die Lippen. Vor Überraschung wehrte ich mich nicht, es war ein positives Gefühl, das aus dem Nichts kam. Wir schwammen um die Wette, damit uns wieder warm wurde. Fintan war im Vorteil, da er sehr gut kraulen konnte. Doch fairerweise ließ er mich auch ab und zu gewinnen. „Ich will wieder aufs Boot, mir ist kalt“, klagte ich fröstelnd und versuchte mich an der Bootskante hochzuziehen. Mein Körper fühlte sich wie Blei an während meine Armmuskulatur Schwerstarbeit verrichtete. „Ich gehe zuerst“, sagte Fintan und hielt sich an der Bootskante fest. So drahtig er war, zog er sich mit Leichtigkeit hoch und gelangte auf das Boot. Ich versuchte es ihm nachzumachen, aber ich kam nicht hoch. Fintan griff meinen Arm und zog mich auf das Boot. Wir wickelten uns in unsere Handtücher ein. „Ich glaube, ich habe Hunger“, sagte er, „Schwimmen im kalten Wasser zieht viel Energie aus dem Körper“ Er holte eine Packung Kekse aus seinem Rucksack und knabberte an einem Keks. „Willst du auch?“, fragte er mit vollem Mund und hielt mir die Tüte hin. „Nein danke, wir haben vor einer Stunde Mittag gegessen“, lehnte ich ab und nahm lieber einen Schluck aus meiner Flasche. Ich rieb mich mit Sonnencreme ein und sonnte mich. Die Wärme der Sonne machte ganz schläfrig, sodass ich kurz einschlief. Fintan rüttelte mich sanft wach. „Wir müssen schleunigst zurück, es zieht ein Gewitter auf“, sagte er mahnend und ruderte uns in Richtung Anleger. Ich beobachtete beunruhigt die große dunkelgraue Säge, die am Himmel hing und hörte ein Grollen. „Hoffentlich sind wir rechtzeitig zurück“, sagte ich ängstlich, „Ich will nicht von einem Unwetter auf dem See überrascht werden“

Im nächsten Moment blitzte es in der Ferne hinter Fintan. „Keine Panik, Emmi“, beruhigte er mich mit seiner männlich warmen Stimme, „Nur noch ca. 150 m bis zum Anleger“ Im nächsten Moment krachte ein deutlich hörbarer Donner los. Mir wurde mulmig und merkte wie mein Magen sich verkrampfte. „Wir sind schon da“, versuchte Fintan mich aufzumuntern. Ich kletterte zuerst aus dem Boot und nahm unsre Rucksäcke mit. Fintan machte das Boot mit einem Tau fest. Gerade als ich mich umdrehen wollte, blitzte es richtig heftig und ein Donner folgte ein paar Sekunden darauf. „Lass uns laufen“, rief Fintan als uns erneut ein Blitz blendete. Wir sprinteten los, so schnell wir konnten. Bei Fintan zeichnete sich sein ewiges Fußball- und Tennistraining aus, er war flink und ausdauernd. Ich konnte kaum mithalten. Er griff nach meiner Hand. Ein heftiger Wolkenbruch ging los, bevor wir das Internatsgebäude erreichten. Wir wurden klatschnass. Unserer Klassenkameraden saßen im Gemeinschaftsraum beim Tee. Sie mussten grinsen, als sie uns wie zwei begossene Pudel sahen. Die Hausmutter gab uns Handtücher zum Abtrocknen. Sie tat uns beiden ein Stück Kuchen auf und schenkte uns Tee ein. Eine kleine Stärkung war willkommen. Wenig später schien wieder die Sonne.

 

 

Mitternachtsparty unter freiem Himmel

„Wann hat Fintan dir erzählt, dass er seinen Geburtstag groß feiert?“, fragte mich meine beste Freundin Oli, während sie neben mir her joggte. „Vor kurzem, als ich ihn alleine auf den Gängen getroffen habe“, antwortete ich knapp und versuchte mich mehr auf das Warmlaufen zu konzentrieren. „Wie viele lädt er überhaupt ein?“, stocherte sie sie weiter. „Er wird seine besten Kumpels und mich einladen“, sagte ich kurz angebunden, „Außerdem darf ich Greta, May, Rosy und dich mitnehmen. Er hat gesagt, dass meine Freundinnen miteingeladen sind“ „Oh, ist das cool“, freute sich Oli diebisch, „Wann feiert er denn überhaupt? Was könnte ich ihm schenken?“ Meine redefreudige Freundin überhäufte mich mit einem Schwall von tausenden Fragen. Ich ärgerte mich gerade, dass ich in diesem Augenblick so viele Details preisgab. „Ich weiß auch nicht alles, frag Fintan selber“, entwich mir es genervt. „Olivia und Emily, beendet euer Kaffeekränzchen jetzt, bevor ihr gleich fünf Strafrunden laufen müsst“, ermahnte uns unser Hockeytrainer Mr. Jenks, „Konzentriert euch lieber auf das Aufwärmen, nächsten Samstag haben wir ein schweres Spiel vor uns und ich will von allen meinen Spielerinnen volles Engagement sehen“ Olis und mein Mund schlossen sich auf der Stelle.

Mr. Jenks blies in seine Trillerpfeife und scheuchte uns mit Hockeyschlägern durch einen Parcour aus Lübecker Hütchen. Nachdem ich zum zweiten Mal durch den Parcour dribbelte, klebte mir mein Trikot bereits am Rücken. Heute war es ziemlich warm und die Sonne brannte auf uns herab. Ich sehnte mich in diesem Moment nur nach einer erfrischenden Dusche und nicht nach einem schweißtreibenden Training oder nach einer ununterbrochen quasselnden Freundin. „Mr. Jenks, können wir das Trainingsspiel heute ausfallen lassen?“, fragte Debbie, „Es ist so unerträglich warm gerade, außerdem haben wir gerade eine Stunde lang Defensivverhalten und Angriff trainiert“ „Das ist okay, ihr habt heute bei dieser Hitze super mitgemacht und ich lasse euch daher eher gehen“, antwortete er.

 „Emmi, ich gehe eben zu Fintan um mich wegen seinem Geburtstag zu erkundigen. Kommst du mit? Schließlich ist er dein Freund“, fragte mich Oli, nachdem wir uns geduscht haben. „Ich komm mit, aber ich muss eben meine Haare trocken föhnen“, rief ich aus dem Badezimmer. „Mach das, ich warte eben auf dich“, antwortete sie mir. Zu zweit gingen wir über den Flur zu Lars und Fintans Zimmer. Oli klopfte zaghaft an ihre Zimmertür. „Du kannst ruhig doller anklopfen, du brauchst keine Angst zu haben, dass gleich ein Drache aus der Tür schießt“, neckte ich meine Freundin, „Schließlich ist Lars dein Freund“ Oli klopfte etwas lauter an. Wir hörten, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte und die Klinke herunter gedrückt wurde. Vor uns stand Lars, er war nackt und hatte sich ein Handtuch um die Hüften gewickelt. Er war etwas verunsichert, als wir seinen schlanken und drahtigen Oberkörper anstarrten. „Äh…. was wollt ihr, Mädels?“, fragte er uns. „Wir wollten nur Fintan etwas fragen, Darling“, zwitscherte Oli, „Wegen seiner Geburtstagsfeier, weil ich auch eingeladen bin“ „Oh, das ist erstaunlich, ich habe nie gedacht, dass Fintan dich so gerne mag“, meinte Lars und ließ uns hinein. Lars verschwand sofort im Badezimmer und verschloss die Tür hinter sich. Fintan lag mit nacktem Oberkörper bauchlängs auf seinem Bett, er trug nur seine Fußballhose. Abwechselnd blätterte er eine Seite seiner Zeitschrift um und griff in die Tüte mit Salzstangen neben sich. „Hallo, Mädels“, begrüßte er uns und richtete sich auf. „Ich habe einige Fragen wegen deinem Geburtstag“, plapperte Oli los, „Ich war sehr überrascht, als Emmi erzählt hat, dass ich auch eingeladen bin. An welchem Tag feierst du überhaupt und was wünscht du dir?“ „Ich feiere am Freitag in einer Woche in meinen Geburtstag hinein, nach der Schule treffen wir uns zuerst am Parkplatz“, erwiderte er und fügte verlegen hinzu, „In Prinzip wünsche ich mir nur, dass an meinem Geburtstag alle meine Freunde anwesend sind. Aber ich weiß aus dem Stehgreif auch nicht, was ich mir sonst wünsche“ „Wir werden schon ein passendes Geschenk für dich finden, Finn“, meldete ich mich zu Wort. „Du hast das Glück vor uns erwachsen zu werden, ich glaube, ich werde neidisch sein“, rief Oli. „Aus unserer Klasse sind schon manche erwachsen“, wand Fintan ein, „Zum Beispiel Tom, Arabella, Gary und noch ein paar Andere“

 Am Wochenende fuhr Fintan zu seinen Eltern, so konnten wir die Chance nutzen, offen über seine kommende Party zu Reden. Wir hatten alle noch kein Geschenk für ihn. Allerdings bekam ich mit, dass Greta und Tiago einen Nachmittag bei Tom verbrachten und sie sich eine besondere Überraschung für Fintan ausgedachten. Am Samstag wollten Lars, Oli und ich in die Stadt gehen und die Geschenke besorgen. Zuvor hatten wir von Fintans weiteren Gästen Geld eingesammelt. „Ich weiß, dass Finn ein großer Fan von St. Patricks Athletics, vom FC Barcelona und der irischen Nationalmannschaft ist“, sagte Lars als wir ein Sportgeschäft betraten. „Willst du ihm ein Trikot schenken?“, fragte Oli. „Das hatte ich vor“, meinte er, „Allerdings hat er schon die aktuellen Trikots von St. Patricks Athletics und vom FC Barcelona“ „Weißt du, ob er das Trikot der Nationalmannschaft hat?“, fragte ich ihn. Lars schüttelte den Kopf, „Ich meine nicht“ „Weißt du welche Größe er hat?“, fragte Oli. „Er hat meine Größe, ich passe problemlos in seine Trikots und er umgekehrt in meine“ „Probier das hier an!“, sagte ich und pflückte ein Trikot vom Kleiderständer, „Das ist das neue Trikot der Nationalmannschaft“ Lars verschwand mit dem Kleidungsstück in der nächsten Umkleidekabine und kam lächelnd heraus. „Hey, das passt perfekt!“, fanden Oli und ich. „Wenn es mir so gut passt, passt es ihm auch“, sagte Lars, „Das nehmen wir mit! Nun haben wir noch 25€ in unserem Budget“ „Lass uns nach Tennisbällen gucken“, schlug ich vor, „Ich weiß, dass Fintan dauernd seine Tennisbälle in die Büsche schießt und sie danach nicht wieder findet“ „Okay, die Tennisbälle gehen noch, aber danach haben wir unser Budget fast ausgeschöpft“, meinte Lars. „Wir können noch ein paar Süßigkeiten beilegen“, sagte ich, „Nervennahrung braucht er ständig“ Zufrieden und glücklich verließen wir das Geschäft mit unseren Geschenken.

Am Freitagvormittag in der Schule bemühten wir uns, unsere Vorfreude nicht anmerken zu lassen. Greta und May konnten es nicht lassen mit Marc und Tiago in der Reihe hinter ihnen zu tuscheln. „Na na na, da ist wohl die nächste Geburtstagsfete im Anmarsch“, meinte Mme Noir tadelnd. Sofort kehrte Ruhe ein. „Darf isch fragen, wer von euch heute Geburtstag hat?“, bohrte unsere Lehrerin. „Niemand“, rief jemand. „Doch Fintan hat morgen Geburtstag“, rief Matthew leise. Wieder verstummte die ganze Klasse. „Lasst uns lieber mit der französischen Vergangenheitsform weitermachen“, sagte Mme Noire und lenkte glücklicherweise vom Thema Geburtstag ab. „Sag deinen Freundinnen weiter, dass sie niemand Falschem von meiner Party erzählen“, sagte Fintan in der Pause zu mir, „Ich möchte nicht, dass sie alle kommen und ich mich ausfragen“ „Aber du hast doch die halbe Klasse eingeladen, inzwischen müssten es fast alle wissen“, erwiderte ich. Arabella zog mit ihren Freundinnen an uns vorbei und warf Fintan einen verächtlichen Blick zu. „Oh je, sie hat es gerade sicher mitbekommen!“, flüsterte ich, „Wir dürfen nicht mehr so geheimnistuerisch sein. Alle gucken uns so merkwürdig an“ „Und wenn sie es wüssten, ist mir es auch egal“, sagte er achselzuckend. 

Ich konnte es kaum erwarten bis es Abend wurde. Ich schaute die ganze Zeit aus dem Fenster und beobachtete die Autos. Da es Wochenende war, fuhren die meisten Lehrer nach Hause zu ihren Familien. Ich sah wie Mr. Sloane und Mr. O’Connor in ihre Autos stiegen und weg fuhren. Um sechs Uhr trafen wir uns auf dem Parkplatz, nach und nach trudelten immer mehr Gäste ein. Neben mir stand ein großer schlaksiger Junge mit straßenköterblonden Haaren, den ich nicht kannte. Vor ihm stand ein fremdes Mädchen mit einem langen aschblonden Pferdeschwanz, welches sehr unscheinbar wirkte. „Das ist meine Cousine Ruby und der lange Kerl neben ihr ist mein Cousin Donal“, wurden sie von Fintan vorgestellt. Donal ging in die Runde und gab uns lässig die Hand, er war einige Jahre älter als wir und ging in die Abschlussklasse. Seine Schwester Ruby war nur eine Klasse über uns. Wir warteten mindestens eine Stunde auf die letzten Gäste. Jetzt fehlten nur noch Liam und Adrian, Fintans Freunde von Außerhalb. „Sie sollten schon seit einer Stunde da sein. Ich habe sie versucht anzurufen, aber es hat sich niemand gemeldet“, schimpfte Fintan und schaute nervös auf seine Uhr. „Wollen wir einfach ohne sie losgehen?“, fragte Tiago. „Das machen wir. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, sagte Fintan, „Ärgerlich ist es trotzdem, sie haben fast die ganze Ausrüstung im Auto. Egal wir haben trotzdem Trinken und Essen dabei“ „Wissen deine Freunde, wo wir sind?“, fragte Pattrick. „Ich habe es ihnen am letzten Wochenende gezeigt“, meinte Fintan.

Wir marschierten los, es ging durch Wiesen und Wälder. „Ich hätte nicht gedacht, dass hinter unserem Internat gleich die Wildnis anfängt“, meinte Greta. „Ich hätte mir andere Schuhe anziehen sollen“, stöhnte May, „Ich bekomme gleich wunde Füße“ „Zieh meine Schuhe an“, sagte Ruby plötzlich, die noch keinen Laut von sich gegeben hat, „Ich kann auch barfuss laufen, ich bin es gewohnt“ „Vielen Dank!“, sagte May und zog sich Rubys Schuhe an. „Mir fällt gerade ein, dass wir heute sechs Mädels sind“, sagte Oli beiläufig. „Ich bin froh, dass ich nicht die einzige Mädchen bin“, meinte Ruby, „Ich habe gedacht, Fintan lädt außer mir nur Kerle ein“

Danach wandte sie sich an mich, „Bist du seine Freundin?“ Ich nickte, „Erst seit kurzem“ „Ich bin sehr überrascht, dass er jetzt eine hat. Er war früher Mädchen gegenüber sehr verächtlich und hat mir als Kind dauernd Streiche gespielt. Ich bin froh, dass er sich verändert hat. Es wäre schade, wenn er keine abbekäme, weil er doch so ein hübscher Junge ist“, sagte sie. Ich redete noch eine Weile mit ihr, es stellte sich zunehmend heraus, dass die graue Maus sehr nett war. Wir machten endlich Halt, jetzt taten auch mir die Füße bisschen weh. „Das ist der Platz, den ich mir ausgesucht habe“, rief Fintan. Wir Mädchen setzten uns auf den Boden und ruhten uns aus, während die Jungen Steine und Äste schleppten. „Es ist verdammt ärgerlich, dass Liam und Adrian nicht kommen. Dabei habe ich diese Honks vorhin angerufen und sie erinnert“, regte sich Fintan auf, während er ein Lagerfeuer auftürmte. Kurze Zeit später brannte ein beachtliches Feuer. „Dürfen wir überhaupt Feuer machen?“, fragte Rosy skeptisch. „Das ist kein Problem, es hat in den letzten Tagen geregnet und da vorne ist ein Bach, falls es doch brennen könnte. Es kann nicht viel passieren“, beruhigte Fintan sie.

 Ich hörte wie ein Auto sich näherte. Hoffentlich war es niemand, der uns entdeckt hat und Ärger macht. Zwei Polizisten sprangen aus dem Auto, einer von ihnen blies in eine Trillerpfeife. Erschrocken zuckten wir zusammen und verstummten. „Guten Abend, meine Damen und Herren. Was wir hier vorfinden ist eine Regelwidrigkeit und verstößt gegen die Grundordnung. Feuer in freier Natur ist verboten, ebenso das Feiern in freier Natur. Wir müssen Sie leider auf unser Revier mitnehmen. Es wird für Sie eine saftige Geldstrafe und Anzeigen geben“, sagte der größere Polizist. Ängstlich griff ich nach Olis Hand und starrten uns ratlos an. Auch Fintan fehlte die Sprache, bis er auf einmal in schallendes Lachen ausbrach. „Was war bloß in ihn gefahren?!“, dachte ich verwirrt. „Manno Mann, ich habe euch zuerst gar nicht erkannt. Puh, habt ihr mir einen Schrecken eingejagt. Ich dachte, ihr kommt nicht“, lachte er. Seine Freunde legten ihre Polizeimützen ab und stellten sich als Liam und Adrian vor. Nun waren wir endlich komplett und uns knurrten die Mägen. Es wurden Würstchen und Brötchen verteilt die wir über dem Feuer rösten konnten. Liam drehte die Musik auf und stellte ein paar Fackeln auf. „Nur noch anderthalb Stunden bis Mitternacht“, stellte Marc fest als er auf die Uhr schaute. „Hehe, ich bin schon gespannt, wie Fintan auf unseren besonders leckeren Kuchen reagieren wird“, flüsterte mir Greta ins Ohr. Die Jungs tranken derweil schon ihr erstes Bier. Gerade Donal, den ich für zurückhaltend gehalten habe, mischte erst recht die Runde auf, indem er seine Kumpels zum Trinken anfeuerte. „Er muss schon mehrere Bier intus haben“, tuschelte Ruby, „Sonst ist er immer sehr still“ „Kaum zu glauben“, erwiderte ich und spießte drei Marchmellows auf. Ich hielt den Stock eine Weile über das Feuer. Rosy stupste mich an, „Da war eine Sternschnuppe!“ „Wo?“, fragte ich. „Zwischen den Bäumen“, erwiderte sie. In dem Augenblick huschte die nächste Sternschnuppe über den Himmel. Ich wünschte mir etwas, was ich für mich behielt. „Ich wünsche mir…“, sagte Tiago laut. „Halt, das darfst du nicht sagen“, unterbrach ihn Patrick, „Sonst geht dein Wunsch nicht in Erfüllung“ Marc schaute weiterhin auf die Uhr. Die Zeit verging wie im Flug. „Finn, du hast genau in einer Minute Geburtstag“, sagte Patrick. „Sollen wir einen Countdown starten?“, fragte ich. „Ja, Moment“, sagte Marc, „Erst wenn ich euch das Zeichen gebe“

„10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, 0! Happy Birthday to you, Happy Birthday to you, Happy Birthday lieber Fintan, Happy Birthday to you“, sangen wir und übergaben Fintan die Geschenke. Greta und Tom überreichten ihm ihren kleinen Kuchen mit der rosa Glasur. „Erst probierst du ein Stückchen von unserem Kuchen“, sagte Greta in einem Tonfall, als würde sie mit einem kleinen Kind sprechen. Sie schnitt ein Stückchen ab und gab es Fintan. Er biss herzhaft hinein und verzog wenig später das Gesicht. Er sprang auf und rannte hinter den nächsten Busch. Ich konnte sehen, wie er den Kuchen ausspuckte. Greta krümmte sich vor Lachen, bevor wir uns ebenfalls vor Lachen bogen. „Was war das?“, prustete ich. „Wir haben einen besonderen Kuchen gebacken“, grinste Greta schadenfroh, „Wir ganz viel Salz, Pfeffer, Chili und Senf hinein getan. Die Glasur schmeckt nach feurigem Tabasco. Lecker nicht wahr!“ „Ihr wolltet mich wohl umbringen“, meinte Fintan lachend und setzte die Colaflasche an den Hals. „Wir haben ja noch einen zweiten Kuchen“, sagte Tom mit einem unschuldigen Grinsen. Tiago stellten den zweiten und wesentlich größeren Kuchen vor Fintan auf den Boden. „Das Geburtstagskind bekommt zuerst sagte er und lud ein Stück auf seinen Teller. „Ne ne, ich glaube, ich trau euch nicht mehr“, winkte Fintan ab und schob den Teller von sich weg. „Sei doch nicht so misstrauisch, Finn!“, sagte Lars und fing an zu essen. Die übrigen bewaffneten sich ebenfalls mit Gabeln und machten sich über den Kuchen her. Fintan fing erst an zu essen, als er sah, dass seine Freunde den Kuchen aßen ohne sich zu ekeln. Danach packte er die Geschenke aus. „Ich bin schon lange Fan der Nationalmannschaft, aber ich bin noch nicht auf die Idee gekommen, mir das Trikot zu kaufen. Vielen Dank dafür!“, sagte er.

 Wir saßen noch bis tief in der Nacht zusammen, bis nur noch Glut vom Lagerfeuer übrig war. Rosy neben mir schien fest zu schlafen, auch ich lehnte mich zurück und gähnte. „Lasst uns um vier Uhr zurück gehen“, murmelte Fintan, während er in der Kohle herumstocherte, „Am Vormittag kommen meine Eltern und holen mich ab. Zuhause wartet die zweite Feier auf mich“ Auf dem Rückweg begegneten wir einer dunklen Kreatur. „Bonjour, mes eleves“, sagte sie. „Mme Noire!“, entfuhr es Fintan, „Was machen Sie um diese Uhrzeit im Wald?“ „Darf ich euch fragen, was ihr hier macht?“, konterte sie. Wir schauten uns sprachlos an, ich befürchtete ein heftiges Donnerwetter und versteckte mich hinter dem großen Tom. „Fintan hat Geburtstag“, sagte Jemand kleinlaut. „Ah… Joyeux anniversaire, mon garcon!“, rief Mme Noire überschwänglich. Plötzlich klang sie gar nicht mehr streng, sondern sehr freundlich. „Ich mache auch nur meinen Morgenspaziergang, deshalb bin ich euch nicht böse, dass ihr auch den Morgen genießt“, sagte sie, „Passt nur auf, dass die Hausmutter euch nicht erwischt. Habt noch einen schönen Tag, ich werde mir den Sonnenaufgang anschauen“ Mme Noire ging weiter in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Auch wir setzten uns wieder in Bewegung. Zwischen den Bäumen verfärbte sich der Himmel langsam dunkelrot und die ersten Vögel fingen an zu zwitschern. Neben mir gähnten Greta und Rosy. „Wir sind da“, flüsterte Jemand hinter mir.

Fintan öffnete in Zeitlupentempo die Tür zu unserem Haus, um ja kein lautes und verdächtiges Geräusch zu machen. „Psst! Seid ganz leise, stolpert nicht über eure eigenen Füße und macht nicht das Licht an“, flüsterte er und legte den Zeigefinger auf den Mund. Auf dem Flur hörten wir ein lautes Schnarchen, das bedeutete, die Hausmutter schlief tief und fest. Wie Indianer schlichen wir auf unsere Zimmer. Ich wusste gar nicht mehr, wie ich in mein Bett gekommen war. Auf jeden Fall bin ich ziemlich schnell eingeschlafen.

 

So schnell vergeht ein Schuljahr

„Uff, ich glaube mein Kopf fängt an zu qualmen“, klagte ich und legte den Füller auf meinen Block, „Wir lernen schon seit Stunden und ich kann mich nicht mehr konzentrieren“ „Wir können gleich eine Pause machen“, meinte Oli und sah mich aufmunternd an. „Lass Finn eben zuende erklären“, wandte Lars ein, „Er ist der einzige von uns der Chemie verstanden hat“ „Da hast du recht“, sagte ich etwas niedergeschlagen, „Ich habe in den letzten Stunden überhaupt nichts mehr kapiert“ „Ist der pH-Wert unter 7 handelt es sich um eine Säure und ist der pH-Wert zwischen 7 und 14, ist die Flüssigkeit basisch. Eine neutrale Lösung hat einen pH-Wert von ungefähr 7“, fuhr Fintan in seiner Erklärung fort. Ich machte mir einige nützliche Notizen. „Wie stellt man eine Reaktionsgleichung auf und was ist eine endotherme oder eine exotherme Reaktion?“, fragte Oli ratlos. Fintan riss einen neuen Zettel aus seinem Block und stellte die Reaktionsgleichung mit Magnesium und Sauerstoff auf. „Ist die Reaktion endotherm oder exotherm?“, fragte Oli. „Alle Reaktionen mit Sauerstoff sind exotherm, da Energie freigesetzt wird“, erklärte Fintan und ließ uns mehrere Reaktionsgleichungen aufstellen. Wenig später klopfte es an der Tür von Fintans und Lars Zimmer. „Kommt ihr? May und ich wollen einen Spaziergang machen, das Wetter ist so schön“, fragte Greta. „Das geht leider nicht Finn gibt uns Nachhilfe in Chemie. Morgen schreiben wir unsere allerletzte Examensarbeit vor den Sommerferien“, sagte Lars kurz angebunden und schloss die Tür wieder. „Ich hätte gerne eine Pause gehabt“, bemerkte ich leicht verärgert. „Ich erkläre euch eben noch den Unterschied zwischen organischen und anorganischen Verbindungen“, beschwichtigte mich mein Freund. Ich versuchte noch mal meine Konzentration hochzufahren. „Emmi, ich würde an deiner Stelle aufpassen“, sagte Lars, „Wir schreiben schon morgen Chemie“ Ihm war es nicht entgangen, dass meine Konzentration immer weiter absackte. 

Nach dem Abendessen machten Fintan und ich einen Spaziergang entlang der Koppeln. Wir unterhielten uns über die letzten Klausuren und die bevorstehenden Sommerferien. „Fährst du mit deinem Vater in den Urlaub?“, fragte er mich. „Oh ja, Dad hat für uns und seine neue Freundin für vier Wochen ein Ferienhaus auf Teneriffa gebucht“, erzählte ich mit leuchtenden Augen, „Dad hat mir gestern am Telefon gesagt, dass man Reittouren entlang der Strände unternehmen kann. Außerdem wollen wir einen Freizeitpark besuchen und mit einem Geländewagen eine Inselrundfahrt machen“ „Das ist ja ganz nett“, meinte Fintan, „Ich werde mit Ruby, Donal und ihren Eltern drei Wochen an der französischen Atlantikküste segeln. Bestimmt werde ich mein Französisch aufbessern. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Arbeit“ „Ich bin auch kein Ass in Französisch. Madame behauptet, meine Aussprache sei einfach fürschterlich“, sagte ich und emittierte ihren Wortlaut. Fintan grinste und griff nach meiner Hand. „Du sagst es“, lachte er, „Gute Noten bekommen höchsten nur Rosy und selbstverständlich unser Streber Matthew“ „Ich bin froh, dass wir fast alle Klausuren hinter uns haben. Morgen muss ich nur noch Chemie lebendig überstehen. Obwohl du mir es gut erklärt hast, habe ich Angst davor“, gab ich zu Bedenken. „Lass nicht zu viele Zweifel aufkommen. Ich glaube fest daran, dass du es schaffst“, munterte Fintan mich auf und gab mir einen Kuss. Wenig später beschlossen wir vor dem Schlafengehen eine Runde im Pool zu schwimmen. Fintans Freunde Lars, Tom und Pattrick empfingen uns, indem sie Wasser nach uns spritzten. „Nun hört schon auf“, rief Fintan lachend und fuhr sich durch seine nassen Haare. „Finn, erklärst du uns was eine Wasserstoffbrückenbindung ist?“, rief Tiago. Aus heiterem Himmel stand er vor uns. Fintan stutzte einen Moment, „Hm… Eigentlich habe ich meine Nachhilfestunden hinter mir, aber komm nachher kurz vor dem Schlafengehen in mein Zimmer“ „Vielen Dank“, rief Tiago laut und sprang vor uns ins Wasser. Wieder bekamen wir einen Schwall Wasser ab. „Na na na“, tadelte Fintan, „Das war nicht gerade höflich“ „Das ist typisch für kleine Jungs“, sagte Arabella schnippisch, „Ihr macht unsere ganzen Unterlagen nass, wenn ihr euch eine Wasserschlacht liefert. Wir wollen in Ruhe lernen und nicht von euren Kindereien abgelenkt werden“ Hinter ihr standen ihre besten Freundinnen Stella, Natascha und Darcy. Sie trugen knappe Bikinis und Sonnenbrillen.  „Aha, ihr wollt euch so auf die Klausur morgen vorbereiten“, spottete ich, „Am Swimmingpool? Wie lachhaft ist das denn? Ich wünsche mir einen heftigen Windstoß, der eure Zettel ins Wasser weht“ „Weißt du, was du heute Abend lernen könntest?“, giftete Stella mich an, „Deine spitze Zunge zu hüten, bevor sie dir Jemand abschneidet“ Oh mein Gott, wie schnell waren diese Modepüppchen beleidigt! Fintan berührte mich am Arm und zog mich ins Wasser. Ich stieß extra einen befreienden Jauchzer aus, den Natascha mit einem genervten Blick erwiderte.

 Am nächsten Morgen bekam ich beim Frühstück kaum etwas runter, auch Arabella und Natascha bemühten sich offensichtlich auch etwas herunter zu bekommen. Fintan legte seine Hand auf meine Schule und redete beruhigend auf mich ein, „Mach dir nicht zu viele Gedanken, es ist nur eine Chemiearbeit. Du wirst es schon packen, ich habe dir es gestern in Ruhe erklärt. Viel Glück!“ Im Klassenraum wurden die Tische auseinander geschoben, so dass Jeder einen Tisch für sich alleine hatte. Als es ganz ruhig wurde, teilte unser Chemielehrer die Aufgabenzettel aus. Insgesamt waren es drei Zettel. „Wie soll ich diese Zettel in vier Stunden lösen“, dachte ich verzweifelt. Es gab sechs Aufgaben, die erste Aufgabe war eine Seite Lückentext. Über Basen und Säuren wusste ich gut bescheid, deshalb löste ich die erste Aufgabe ganz schnell. Mit der nächsten Aufgabe kam ich weniger gut zurecht, ich sollte Energiegleichungen aufstellen. „Hilfe, wie ging das noch mal?“, dachte ich ahnungslos. Am liebsten würde ich aufstehen und bei Fintan oder Rosy abschreiben. Noch besser wäre es den Lehrer zu fragen, aber das war bei einer Klausur unmöglich. Ich hörte auf zu schreiben und schaute mich in der Klasse um. Hilfe, Fintan und Rosy hatten schon mindestens drei Seiten geschrieben. Matthew und Greta fingen auch schon mit der dritten Aufgabe an. Also löste ich auch die dritte Aufgabe, bevor ich mich zu lange aufhielt. Mit Reaktionsgleichungen kam ich inzwischen ganz gut zurecht. Danach wagte ich mich noch mal an die zweite Aufgabe, obwohl ich merkte, dass meine Rechnung nicht richtig sein konnte. Wenigstens versuchte ich es. Die letzten Aufgaben waren komplexer, so dass ich eine Vorschrift auf einem Schmierblatt anfertigte. Es klingelte bereits zu dritten Stunde, als ich die vierte Aufgabe zu Papier brachte. Die letzte Aufgabe war der Hammer, ich kam wieder in Schwierigkeiten und starrte angestrengt zur Tafel. Hilfe, nur noch 30 Minuten! Ich beeilte mich fertig zu werden und schrieb so schnell, dass meine Hand wehtat. Es gongte als ich gerade fertig wurde. Ich schaute mich um, fast keiner war mehr da. Nur May, Rosy, Gary und Dave gingen nach vorne und gaben ihre Klausuren ab. Ich gab meine als Letzte ab. Draußen atmete ich tief durch. „Wie war es bei dir?“, fragte mich May. „Bis auf ein oder zwei Aufgaben kam ich gut zurecht“, sagte ich. „Ich fand die ganze Arbeit kompliziert“, gab May bedrückt zu, „Ich habe nur die Aufgabe Eins bis Drei geschlossen bearbeitet und danach habe ich nur das hingeschrieben, was mir gerade einfiel“ „Ich habe die zweite Aufgabe auch nicht richtig bearbeitet“, sagte Rosy, „Die letzte Aufgabe war richtig kompliziert“ „Mädels, macht euch nicht so viele Gedanken wegen dieser Arbeit. Think positive“, meinte Greta und hakte sich bei mir und Rosy ein.

 Die letzten Tage vergingen schnell, die Lehrer teilten uns nach und nach die Ergebnisse mit. Bei den Mädchen hatten Rosy, Darcy und Natascha die besten Noten. Arabella und May haben glanzlos gerade eben die Versetzung geschafft. Nur Garry und Marc sind sitzen geblieben. Marc kündigte an, dass Schuljahr wiederholen zu wollen. Garry sagte mürrisch, dass er bald eine Ausbildung als Mechatroniker anfangen werde. Ich war mit meinen Noten auch zufrieden, ich hatte viele Zweien und Dreien. Sogar in Chemie habe ich eine Drei geschrieben. Fintan kam auf mich, „Weißt du, ich habe in Chemie und Mathe die einzigen Einsen geschrieben. Ich bin in den Fächern besser als Matthew. Dennoch habe ich nicht so tolle Noten in Französisch und Englisch“ Oli freute sich sehr über ihre Zwei in Chemie und über ihre Eins in Englisch. Nur Greta war ein wenig verstimmt, „Ich habe mich angestrengt und bekomme trotzdem keine guten Ergebnisse. Nur in Mathe und Biologie habe ich Zweien geschrieben. In der Chemieklausur hatte ich eine Vier und in Geschichte sogar eine Fünf. Die Lehrer haben zu mir gesagt, ich solle mehr arbeiten und nicht mehr so viel mit meinen Sitznachbarn flachsen“ „Dann hast du jetzt ein neues Ziel für nächste Schuljahr“, munterte Rosy ihre Freundin auf. „Sieh mich doch einmal an, ich habe die schlechtesten Noten von euch allen“, mischte sich ihre beste Freundin May ein und legte Greta die Hand auf die Schulter. May machte sich keinen großen Kopf darum, dass sie in Chemie fast eine Sechs kassiert hatte. In den anderen Fächern  war um ein oder zwei Noten besser. „Lass uns aufhören über Noten zu diskutieren, lasst uns heute Nachmittag nach Riverview fahren und ein Eis essen. Das haben wir uns nach drei anstrengenden Wochen wirklich verdien“, schlug Oli vor, „Ich denke ein paar der Jungs kommen auch mit“ Oli und ich gingen Arm in Arm zum Speisesaal. Ich fragte Fintan beim Essen, ob er mit uns nachher zur Eisdiele fährt. „Ich muss zuerst in die Stadt und ein Geschenk für meine Eltern zum Hochzeitstag kaufen. Ich kann nachkommen, wenn ihr mir sagt, in welcher Eisdiele ihr seid“, sagte er. „Wir sind immer in unserer Stammeisdiele Venezia“, sagte ich. Fintan nickte, „Alles klar, ich weiß wo ihr seid“ 

Nachmittags schwangen sich meine Freundinnen und ich uns auf die Fahrräder und radelten die Landstraße entlang. Von den Jungs sind Lars, Pattrick, Tiago und Marc mitgekommen. Wir fuhren eine abschüssige und kurvige Abfahrt hinunter, als Rosy und Tiago mit ihren Fahrrädern zusammenstießen. Tiago hatte einen Moment lang nicht aufgepasst und hat mit dem Vorderrad seines Fahrrades das Hinterrad von Rosy berührt. Beide stürzten auf einen Grasstreifen neben der Straße. „Entschuldung, Rosanna. Das wollte ich nicht“, sagte Tiago, er war selbst ein wenig irritiert von dem Sturz. „Tiago und Rosanna, ist alles in Ordnung mit euch?“, rief Tom aufgeregt. Tiago rappelte sich sehr wieder auf und klopfte seine Beine ab. „Bei mir ist alles okay, ich habe mir nicht wehgetan“, sagte er. Rosy lag immer noch im Gras und bewegte sich kaum. Tom beugte sich zu ihr runter, „Rosanna hast du dich verletzt“ „Nein, aber ich habe mich nur richtig erschreckt als ich vom Fahrrad gefallen bin. “, sagte Rosy den Tränen nahe. Tom griff nach ihrer Hand und zog sich hoch. Mühevoll unterdrückte Rosy die Tränen. „Ich kann Arme und Beine bewegen, es ist nichts gebrochen“, sagte sie. Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Wo sind Lars, Oli und Greta?“, fragte May neben mir. Tiago und ich zuckten mit den Schultern. „Sie sind schon weitergefahren“, sagte Marc. „So eine Rücksichtslosigkeit!“, schimpfte May. „Ich gebe dir heute ein Eis aus“, sagte Tom leise zu Rosy. „Ihr könnt weiter fahren, ich komme mit Rosy nach“, rief Tom uns zu. An der Eisdiele hatten Oli, Greta und Lars einen großen Tisch für uns klar gemacht. „Warum habt ihr so lange gebraucht?“, fragte Lars. „Warum habt ihr nicht gewartet?“, warf May ihren Freunden vor. „Was ist passiert?“, fragte Greta. „Tiago und Rosy sind gestürzt, zum Glück haben sie sich nichts getan. Sie sind auf Gras gefallen und haben sich weder etwas gebrochen noch aufgeschürft“, erzählte ich. Oli fiel auf, dass Tom und Rosy fehlten. „Tom und Rosy kommen nach“, sagte May kurz. Oli und Greta fingen an miteinander zu tuscheln. „Mir schwant etwas“, wisperte Greta aufgeregt. „Sei leise, da kommen sie schon“, zischte Oli. Tom und Rosy gingen auf unseren Tisch zu, Tom hatte seinen Arm um Rosys zierliche Schulter gelegt. Lars legte auch seinen Arm um Oli. „Emmi, wir sind fünf Freundinnen und schon gibt es drei Pärchen“, flüsterte Greta mir ins Ohr. Jetzt fehlte nur noch Fintan. Ein junges Mädchen kam zu unserem Tisch und schrieb auf, welche Eisbecher wir nehmen. Sie war nicht älter als wir, hatte auffällig schöne dunkle Augen und einen schwarzen geflochtenen Zopf, der ihr fast bis zur Taille reichte. „Seid ihr vom Saint Malory Internat?“, fragte sie, nachdem sie unsere Bestellungen aufgenommen hatte. Wir nickten. „Ich habe euch schon öfter hier gesehen, in der Eisdiele und in Riverview“, sagte sie, „Ich habe schon oft gehört, dass eure Schule eine der besten in eurem Land ist“ Fast alle haben sich einen Bananensplit bestellt, nur ich habe mich für den Kiwi-Mango Becher entschieden. Rosy und Tom nahmen einen großen Erdbeerbecher. Ich beobachtete Rosy und Tom, aber es war mir trotzdem unangenehm sie die ganze Zeit anzustarren. Tom sah mich fragend an und ich unterhielt dann lieber mit May und Tiago, die neben mir saßen. „Nur weil Tom und Rosy sich nett unterhalten, sind sie noch lange kein Pärchen“, flüsterte May mir ins Ohr. Ich zuckte nur mit den Schultern, mir war es unangenehm so geheimnistuerisch bei meinen Freunden rüber zu kommen.

 Das junge Mädchen mit dem langen Zopf kam zu unserem Tisch stellte die Eisbecher ab. Ein älterer Kellner half ihr dabei. Als wir aßen, kam Fintan auf uns zu. „Nimm dir einen Stuhl und setz dich zu uns an den Tisch“, rief Tiago. Fintan quetschte sich zwischen mich und Tiago. Er bestellte genauso wie die meisten auch einen Bananenflip. Greta erzählte meinem Freund sofort, was zwischen Tom und Rosy gelaufen ist, so dass es das ganze Cafe ist mithören konnte. „Tom und Rosy werden so ein geniales Paar sein. Rosy die kleine grazile Elfe und Tom der warmherzige Riese, das ist ein famoses Paar voller Gegensätze“, schwärmte sie. In dem Augenblick gingen zwei Jungs aus der Klasse über uns und Arabella mit ihren Freundinnen am Eiscafe vorbei. Ich sah, wie Arabella kurz stehen blieb und zu uns rüber blickte. Rosy setzte eine böse Miene auf, doch Greta ging darüber weg. „Jetzt reicht es, Margareta! Ich habe die Nase voll, dass du mich und Tom zu einem Pärchen machst. Wir haben uns nur unterhalten. Dürfen wir das nicht?“, rief Rosy wütend und sprang auf. Greta fehlten vor Schreck die Worte, sie wollte ihre Freundin nicht kränken. „Rosy warte doch!“, rief ich und rannte ihr hinterher. Ich holte sie beim Fahrradständer ein und legte meinen Arm um sie. „Alle machen aus Tom und mir ein Pärchen, das regt mich total auf. Ich fahre zurück zum Internat“, sagte sie aufgebracht. „Das tut uns wirklich leid, wir wollten dich nicht kränken. Ich gebe zu, ich habe auch mitgetuschelt und es tut mir leid. Greta hat sich gerade etwas rücksichtslos verhalten, das muss ich mal so sagen. Wir sehen, dass du dich gut mit Tom verstehst. Es ist total nett von ihm, dass er dir das Eis ausgibt“, beschwichtigte ich sie. Greta kam von hinten und legte kumpelhaft ihre Arme um mich und Rosy. „Rosy, es tut mir echt leid, dass ich so blöd war und meinen Mund so weit aufgerissen habe. Ich hätte einfach meine Klappe halten müssen. Bitte bleibe noch ein bisschen mit uns, May will ein tolles Gedicht über unser Internat vorlesen“, sagte Greta. Wir gingen zurück zu unserem Tisch, May las ihr Gedicht vor und wir klatschten begeistert Beifall. „Morgen ist unser erstes Jahr in Saint Malory vorbei und ich werde euch in den sechs Wochen Ferien sehr vermissen“, meinte Oli. Sie hatte Recht, ich freute mich auf den Urlaub mit Dad, aber ich werde auch meine Freunde vermissen.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /