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Radtour mit Hindernissen

Die Sommerferien begannen Mitte Juli mit humanen Temperaturen – nicht zu heiß, aber auch nicht zu kühl für die Jahreszeit. Es war alles bereit für unsere alljährliche Radtour, nur Anja und ich, ein paar Tage für uns, raus aus dem Alltagstrott. Das letzte Mal in den Sommerferien, denn nächstes Jahr würde es keine mehr geben für uns. Dann wäre die Schule nur noch Erinnerung und vielleicht würde es uns auch ganz woanders hin verschlagen.

Seit einigen Jahren hatte es sich fest eingepegelt, dass wir im Sommer zusammen mit dem Fahrrad unterwegs waren. Zuerst immer Tagestouren, später weiter entfernte Ziele mit Übernachtungen. Unsere bisherigen Ausflüge hatten uns unter anderem nach Bad Lauchstädt, Freyburg, Seeburg oder – allerdings mit Zuganreise – Thale geführt.

 

Das Ziel in diesem Jahr hieß Naumburg, wir hatten ein Zimmer in einer Jugendherberge gebucht und eigentlich war alles klar. Die Route sollte uns immer entlang an der Saale führen, auf dem neu ausgebauten Saale-Radwanderweg. Er war noch nicht ganz fertig, aber man konnte ihn nutzen. Und wenn etwas schiefgehen würde, hätten wir immer noch unsere Karten dabei.

Die Camping-Rucksäcke waren gepackt, die Satteltaschen bestückt. Genug Getränke und Essen für den Weg hatten wir dabei und notfalls würden sich auch unterwegs Einkehrmöglichkeiten finden.

Gegen 10 Uhr sollte es losgehen. Wir hatten für die knapp 40 km lange Strecke ein paar Stunden eingeplant und wollten nachmittags am Ziel sein. Ein ordentliches Polster also, um sich unterwegs auch mal etwas anzusehen und gemütliche Pausen zu machen.

 

Unser erster Stopp lag in Leuna. Wir waren noch nicht lange unterwegs, aber ein Skulpturenpark, den wir beide bisher nicht kannten, zog unsere Aufmerksamkeit auf sich. Von dort aus sollte der Radweg weiter bis zu einer Fähranlegestelle führen – wir mussten die Saale zwischendurch mehrmals überqueren. Als wir an der Fähre ankamen, wurde unsere bis dahin gute Stimmung jäh gedämpft. Es gab keine Überfahrt an diesem Tag. Der Grund – Wartungsarbeiten. Ausgerechnet heute! Ende der Neunziger war nicht an Internet zu denken, deshalb wussten wir auch nichts von dem Ausfall. Vielleicht wäre ein Blick in unsere Lokalzeitung hilfreich gewesen, aber nun war es nicht zu ändern.

Eigentlich sollte unsere Route weiter über Bad Dürrenberg und schließlich nach Weißenfels gehen. Dort wollten wir zu Mittag essen. Wir fingen also an, unsere Karte zu studieren und kamen zu dem Schluss, dass wir das mit der Saale vergessen und über die Dörfer und Städte fahren sollten. Luftlinie sah es auch gar nicht so schlimm aus, aber wir mussten irgendwie über eine Umgehungsstraße kommen, also zu einer bestimmten Brücke gelangen. Die Idee war sicher nicht schlecht, allerdings hatten wir nicht mit der Hitze und weiteren Schwierigkeiten gerechnet.

 

Auf den Landstraßen brannte die Sonne auf unsere Schultern, da nirgends Bäume Schatten spendeten. Lange würden wir das so nicht durchhalten können. Die Strecke sah auf der Karte nicht so schlimm aus – die Brücke war schnell gefunden und hinter dem nächsten Dorf würden wir endlich wieder eine größere Straße finden, die uns bis zum nächsten Etappenziel bringen sollte.

´Hinter dem nächsten Dorf´ klingt so simpel, aber wenn es nur eine Straße gibt und ausgerechnet diese komplett aufgerissen wird, weil man ja in den Ferien auch nichts Besseres zu tun hat, dann steht man als Radfahrer mit einer gewissen Überbreite schon vor einem mittelschweren Problem. Die Autofahrer hatten natürlich rechtzeitig die weitläufige Umfahrung genutzt, nur wir waren so leichtgläubig und versuchten, mitten durch das Dorf zu kommen – trotz Sperrung unter den argwöhnischen Augen der Anwohner. Wir wollten uns einfach nicht eingestehen, dass es besser gewesen wäre, umzukehren und die Umleitung zu nehmen. Zuviel Zeit hatten wir an diesem Punkt bereits verloren und die Mittagshitze setzte uns ganz schön zu, zumal wir nun nicht nur die Rucksäcke tragen sondern auch die Räder schieben mussten.

 

Als wir endlich das Ortsausgangsschild sahen und wieder fahren konnten, hofften wir nur, so schnell wie möglich Weißenfels zu erreichen und die wohlverdiente Mittagspause genießen zu können. Mittlerweile war es früher Nachmittag und wir waren schon ziemlich aus dem Zeitplan. Trotzdem nutzen wir die Gelegenheit und erkundeten das ausgebaute Saaleufer, das in angenehmem Schatten lag. Auf beiden Seiten von hohen Mauern umgeben, luden Sitzbänke und Spielplätze zum Verweilen ein. Bisher waren wir hier nur mit dem Auto durchgefahren, wenn wir meine Großeltern besuchen wollten. Seit es die Umgehungsstraße gab, nicht einmal mehr das. Eigentlich schade, dass man diese Ecken erst bei solch einer Gelegenheit kennenlernte.

Gern wären wir noch eine Weile geblieben, aber wir hatten noch ein gutes Stück Weg vor uns, auch wenn wir nun wieder auf der ursprünglich geplanten Route fahren konnten. Das Wetter war weiter bombig, aber auf dem Radweg, der immer direkt am Wasser entlang führte, war es wunderbar schattig. Wir kamen gut voran und gönnten uns noch eine weitere Pause, bevor wir ein zweites Mal die Saale mit Hilfe einer Fähre überqueren wollten. Anja sprach das aus, was ich schon lange dachte - „Hoffentlich haben die nicht auch Wartungsarbeiten...“.

 

Noch waren wir guter Dinge. Bis 20 Uhr mussten wir spätestens in unserer Jugendherberge sein, ansonsten hätten wir ein Problem gehabt. Aber momentan sah es nicht danach aus.

Als wir schließlich zur Fähre kamen und die Fahrzeiten studierten, war es allerdings vorbei mit dem Optimismus. Wir waren eine halbe Stunde zu spät, die letzte Fähre schon weg, morgen wäre die nächste Gelegenheit. Die Stimmung war nun endgültig dahin. Bis dahin war das alles ja noch lustig. Jetzt wurde es allerdings anstrengend. Wieder packten wir die Karten aus und überlegten uns eine Alternativroute.

Da wir uns nun auf der „falschen“ Saale-Seite befanden, mussten wir auf Wanderwege ausweichen, die gar nicht für Fahrräder ausgelegt waren. Die Strecke wurde immer beschwerlicher und führte uns nun nicht wie geplant flach am Fluss entlang sondern bergauf und -ab. Auch wenn die Burg, die wir dabei zu sehen bekamen sicherlich interessant war, in dem Moment wollten wir eigenlich nur noch ankommen, an unserem Ziel, in Naumburg, in der Jugendherberge.

 

Irgendwann, es war mittlerweile schon gegen 18 Uhr und unsere Vorräte wie auch die Kräfte gingen zur Neige, sahen wir endlich einen Wegweiser, der zwar nicht gerade aufmunterte, aber immerhin zeigte, dass wir nicht mehr weit entfernt waren – die letzten 5 Kilometer würden wir nun auch schaffen. Als wir den Ortseingang erreichten, stellten wir fest, dass unsere Unterkunft am anderen Ende der Stadt auf einem Berg lag – wir waren drauf und dran zum Bahnhof zu fahren um den nächsten Zug nach Hause zu nehmen.

Nachdem wir ein paar Anwohner getroffen hatten, die uns versicherten, dass wir es rechtzeitig zum Einchecken schaffen würden, entschieden wir uns doch dafür, den Urlaub wie geplant fortzusetzen. Es klappte alles, wir bekamen ein Zimmer und auch noch Reste vom Abendessen, und waren glaube ich noch nie so zeitig im Bett wie nach dieser Anreise.

 

Hätten wir abgebrochen, wäre uns viel entgangen, denn die nächsten Tage gab es viel zu entdecken in und um Naumburg herum. Wir statteten unserem Lateinlehrer einen Besuch ab, radelten nach Schulpforta und besichtigten das Internat dort, das beinahe mal meine Schule geworden wäre, und genossen manchmal einfach nur das tolle Wetter.

 

Diese Radtour wird uns immerin Erinnerung bleiben – als unsere vorerst letzte und vor allem beschwerlichste.

Impressum

Texte: Jasmin Frei
Bildmaterialien: www.wikipedia.de
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Anja

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