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Krötenzeit

Der Bahndamm, auf dem unser Wohnhaus stand, war unser Reich. Hier traf sich die halbe Nachbarschaft, alles Kinder ziemlich im gleichen Alter. Unsere Spielwiese, wenn der Hof mal wieder zu langweilig war, erstreckte sich von der Kliabrücke an der Bahnhofstraße bis zur anderen Begrenzung an der Hälterstraße. Wir kannten hier jeden Winkel, jede Biegung, die das kleine Wasserläufchen machte, und jeden kleinen Wasserfall. Wenn im Sommer die Sonne brannte, waren wir im Wasser zu finden, wo wir Stichlinge mit den Händen zu fangen versuchten. Und auch Schmuddelwetter hielt uns nicht davon ab, den Damm unsicher zu machen. In den dichten Büschen erlebten wir jede Menge Abenteuer.

Angst kannten wir keine, zusammen konnte uns niemand etwas. Unsere Clique hielt zusammen, egal was war. Wenn es den Anwohnern zu bunt wurde und sie uns verscheuchen wollten, legten wir einen Spurt ein und versteckten uns unter der Brücke, wo die Betonflächen breit genug waren, uns allen Schutz zu bieten. Die Erwachsenen machten sich nie die Mühe hier herunterzuklettern. Sobald die Luft wieder rein war, suchten wir uns die nächste Ecke zum spielen.

 

Irgendwann Ende der 80er Jahre, wir waren vielleicht 3. oder 4. Klasse, waren wir mal wieder an der Klia zugange. Vom Ufer aus beobachteten wir das Wasser, jederzeit bereit hineinzurutschen, falls es etwas Interessantes zu entdecken gäbe. Um uns herum erfüllten Geräusche verschiedenster Tiere die Luft.

Ein ausdauernder Quaklaut erregte meine Aufmerksamkeit. Ich hatte nie Scheu vor Tieren – Schlangen mussten es nun nicht gerade sein, aber kleinere, ungefährliche Reptilien, Lurche oder Fische machten mir nichts aus. Ich folgte also den Geräuschen und erspähte unter einem Ast im hohen Gras ein braunes unförmiges Etwas. Es schien keine Angst vor mir zu haben und blieb gänzlich unbeeindruckt sitzen. Für einen Frosch war es zu hässlich, also einigte ich mich mit meinen Freunden auf eine Kröte. Ich war fasziniert von dem Tier und wollte es gleich meinen Eltern zeigen.

Vorsichtig versuchte ich es einzufangen und umfasste es langsam und behutsam mit beiden Händen. Seine Haut war glitschig und uneben, aber ich war so erstaunt davon, dass es nicht davonsprang, dass ich mich von meinen Freunden verabschiedete und mit meinem neuen zukünftigen Haustier die Treppen zu unserem Hauseingang hochstieg, immer darauf achtend, die Hände nicht zu fest zuzudrücken.

 

Selbst als ich die Eingangstür öffnete blieb Kröti, wie ich sie genannt hatte, auf meiner Hand sitzen, unbeeindruckt von dem dunklen Treppenhaus, in das ich sie nun entführte. Wir wohnten ganz oben, zu unserer Wohnung führte eine Wendeltreppe hinauf. Wie damals oft üblich, war unser Badezimmer getrennt von den restlichen Wohnräumen. Um zu verhindern, dass Fremde in unsere Räumlichkeiten eindringen konnten, hatte mein Vater auf der halben Treppe eine abschließbare Zwischentür eingebaut.

Kröti kam mir ziemlich schmutzig vor, also beschloss ich sie zu waschen bevor ich sie meinen Eltern präsentieren wollte. Mein erster Gang führte also in unser Bad. Ich setzte das Tier auf den Fußboden und holte die Klopapierrolle. Meine Mutter wäre nicht begeistert gewesen, hätte ich Handtücher dafür genommen. Die ersten Säuberungsversuche missglückten vollständig. Mein neues Haustier wollte einfach nicht so wie ich.

 

Irgendwann reichte es ihr dann wohl und sie fing an, im Bad von einer Stelle zur nächsten zu hüpfen. Am Anfang fand ich das ja noch lustig, aber ich merkte bald, dass ich keine Chance gegen sie hatte. Also wartete ich bis sie sich ein Plätzchen gesucht hatte und startete einen neuen Einfangversuch. Kröti durchschaute mich und machte einen großen Satz in Richtung Badewanne.

Ehe ich mich versah, war sie darunter verschwunden. Ich war entsetzt. Wie sollte ich das Tier da wieder hervor bekommen? Mein Vater hatte die Wanne mit den damaligen Mitteln verkleidet und mit abwaschbarer Tapete beklebt. Es gab also keine Möglichkeit, an den Ausreißer zu kommen, ohne die Verkleidung kaputt zu machen. Meine Eltern würden toben! In meiner Verzweiflung entschied ich – nichts zu machen. Ich würde einfach später nochmal schauen, ob Kröti vielleicht wieder rauskommen würde.

An diesem Tag ging ich noch öfter ins Bad und musste jedes mal enttäuscht feststellen, dass meine Kröte wohl immer noch in ihrem Versteck saß. Abends, als meine Eltern schon schliefen, schlich ich mich hinaus und sah ein letztes mal nach ihr. Nichts. Ich ließ die Tür zum Badezimmer geöffnet und ging wieder ins Bett. Meinen Eltern erzählte ich nichts von dem Tier.

 

Am nächsten Morgen beeilte ich mich als erste im Badezimmer zu sein in der Hoffnung, Kröti zu Gesicht zu bekommen. Leider Fehlanzeige. Mein Vater war es, der am Frühstückstisch plötzlich anfing von ihr zu erzählen. Ich merkte, wie ich immer kleiner wurde. Er war in der Nacht wach geworden, weil er komische Geräusche gehört hatte. Nachdem er in der Wohnung den klopfenden Lauten nachgegangen und nicht fündig geworden war, hatte er ins Treppenhaus geschaut und erstaunt das entkräftete Tier gefunden, das immer wieder gegen unser Zwischentür gesprungen war. Instinktiv musste es wohl gewusst haben, dass es dort in die Freiheit ging. Als mein Vater von der Befreiungsaktion erzählte – er hatte sie dann mitten in der Nacht aus dem Haus getragen – wurde mir ganz mulmig. Ich lachte zwar mit ihnen, weil es doch alle komisch fanden, aber innerlich wusste ich, dass es für das arme Tier nicht schön war und ich es beinahe auf dem Gewissen hatte.

 

Von da an nahm ich nie wieder irgendwelche Tiere heimlich mit nach Hause.

Meinen Eltern erzählte ich erst Jahre später, dass ich die Kröte damals angeschleppt hatte. Sie lachen noch heute über diese Geschichte.

Impressum

Texte: Jasmin Frei
Tag der Veröffentlichung: 06.03.2017

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