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Ein Regentag

Tropf...tropf......tropf...

Leise trommeln kleine Regentropfen auf das Blech vor Sammys Fenster.

 

Der kleine Junge sitzt still in seinem Zimmer und denkt nach. Sammy ist anders. Anders als die Nachbarsjungen in seinem Alter. Er hat nicht viele Freunde und diejenigen, die ab und zu mit ihm spielen, dulden ihn eigentlich nur. Wenn er etwas vorschlägt, haben die anderen meist keine Lust darauf.

 

Sammy stört das nicht – er ist gern für sich allein und wenn das heißt, dass er eine Ein-Mann-Piratencrew bilden muss, dann ist das eben so. Er macht sich nichts daraus. Wenn er allein spielt, kann ihm wenigstens keiner reinreden. Dann ist er der Bestimmer, der entscheidet, wie sein Piratenschiff aussieht, wo die Kanonen sind und wann die Beute nah genug ist zum Entern.

Er braucht keine Freunde, Sammy kommt auch so zurecht.

 

Heute ist kein Draußen-Wetter. Aber das macht nichts. Sammy weiß genau, was er bei diesem Wetter am besten machen kann. Er fängt an zu kramen. Als erstes sind die Schubladen von seinem Schrank dran. Dort sind neben Stoffresten und Bändern auch allerlei Verschlüsse drin. Fehlt noch Werkzeug, denkt sich der Neunjährige. Mama hat in ihrer Bastelecke alles, was er braucht.

 

Leise schleicht sich Sammy ins Wohnzimmer. Ob seine Eltern etwas dagegen haben, dass er schon wieder einen Schlüsselanhänger basteln möchte? Mama sagt immer, er hätte schon genug. Dabei stimmt das nicht. Genug ist eben relativ. Für andere Kinder mag vielleicht einer reichen, oder auch zwei. Aber nicht für Sammy. Er möchte am liebsten für jeden seiner Schlüssel einen passenden Anhänger. Und Sammy hat viele Schlüssel. Er ist ein Sammler.

 

Schon als er im Kindergarten war, fand er die Schlüsselbunde der Erzieherinnen interessant. Wenn er mal ausnahmsweise den Schuppen im Garten aufschließen durfte, war er überglücklich. Nicht alle haben seine Begeisterung verstanden. Sie fingen an zu schimpfen, wenn Sammy mal wieder bettelte, eine Tür öffnen zu dürfen, und sie beschuldigten ihn, wenn mal ein Schlüssel verlegt worden war. Sammy fand das ungerecht. Nie hätte er einfach so einen Schlüssel aus dem Kindergarten weggenommen. Er war doch derjenige, der wusste, zu welchem Schloss ein Schlüssel gehörte.

 

Nur zuhause hat er Papa mal wütend gemacht, als er den Schlüsselbund für Omas Wohnung auseinander genommen hatte. Dabei wollte er nur den Anhänger haben. Der hatte es ihm schon immer angetan und so oft brauchte Papa den Schlüssel auch nicht, weil Oma nun mal ganz weit weg wohnte und sie selten hinfuhren.

 

Oma findet es gut, dass er Schlüssel sammelt. Und weil sie ihm keinen Wunsch abschlagen kann, hat Sammy mittlerweile ein paar ganz seltene Exemplare, auf die er richtig stolz ist – Autoschlüssel mit Fernbedienung zum Beispiel. Und natürlich haben sie alle Anhänger bekommen.

 

Mama ist im Wohnzimmer mit der Wäsche beschäftigt. Immer hat sie was zu tun, aber oft basteln sie auch zusammen. Meistens kann sie ihm auch nichts abschlagen, wenn er wieder mal eine Idee hat. Und Sammy hat viele Ideen. Er kann alles zum Basteln gebrauchen. Also setzt er sein Engelsgesicht auf und fragt vorsichtig nach der Heißklebepistole und den Zangen. Mama fragt, was er damit möchte. Natürlich weiß sie das schon, denn Sammy ist eben Sammy. Fragt man ihn in der Schule, was er malen oder basteln möchte, dann kommt immer die gleiche Antwort. Mama nennt es Fixierung, dabei mag er einfach nur Schlüssel.

 

Die sind ihm wichtiger als alles andere, deshalb denkt er auch in der Schule ständig an sie. Wenn er eigentlich Hausaufgaben machen sollte oder lernen, schweifen die Gedanken immer ab. Auch wenn er sich anziehen soll, überlegt er lieber, was er als nächstes basteln könnte.

 

Die letzten Tests in der Schule waren nicht leicht für Sammy. Es war einfach nicht genügend Zeit, alles ordentlich auf Papier zu bringen. Mama und seine Lehrerin waren ein wenig traurig darüber, weil er eigentlich alles kann. Und seine Ärztin, bei der er immer Tabletten bekommt, weil er eben anders ist, möchte nun, dass er nochmal getestet wird. Mama ist froh darüber und seine Lehrerin auch. Weil es eben besser für ihn ist und für die Schule, in die er später gehen soll. So richtig verstanden hat Sammy das nicht, aber es ist auch nicht so wichtig für ihn. Hauptsache, er kann weiter basteln.

 

Mama sucht ihm die Werkzeuge, die er für sein neues Projekt braucht, heraus und Sammy ist glücklich. Er geht in sein Zimmer und werkelt dort, bis alles so ist wie er es haben möchte. Manchmal gelingt ihm das auch nicht. Dann wird er wütend, denn er möchte es allein hinbekommen. Nur wenn das gar nicht klappt, geht er zu Mama. Die kriegt das meistens wieder hin. Wenn nicht, wird Sammy traurig. Und manchmal fängt er an zu weinen, obwohl er weiß, dass Mama sich alle Mühe gibt und versucht, sein Werk zu retten. Sie tröstet ihn dann und startet mit ihm zusammen einen neuen Versuch, auch wenn ihre Arbeit dabei liegenbleibt. Sammy mag seine Mama. Sie sagt immer, er ist ein richtiges Mama-Kind. Auch wenn er nicht genau weiß, was das bedeutet, findet er das toll und Mama bekommt immer ein dickes Küsschen, wenn Sammy abends ins Bett geht.

 

Sein neuestes Werk präsentiert er Stunden später stolz im Wohnzimmer. Papa grinst und Mama drückt ihn ganz fest. Sie findet es immer erstaunlich, was für Ideen er hat und wie er alles umsetzt. Auch, wenn er nicht wie die anderen Kinder ist. Sammy ist halt etwas Besonderes.

 

Der Regen hat mittlerweile aufgehört und Sammy möchte rausgehen. Mama ist nicht so begeistert, weil alles nass ist, aber willigt doch ein. Frischluft ist gut, weil Sammy viel zu selten draußen etwas unternimmt. Heute ist kein Fahrradwetter, sonst wäre er schon längst mit seinem Drahtesel im Hof. Den liebt er und sobald die Sonne öfter rauskommt, wird er auch wieder seine Runden drehen. Heute noch nicht, heute muss es noch ohne gehen.

 

Für alle Fälle schnappt sich Sammy seinen Regenmantel und den gelben Schirm. Nur, falls es ganz schnell wieder anfangen sollte. Er geht raus, nicht ohne seine Schlüssel mitzunehmen, und läuft über die Blumenwiese in Richtung der anderen Hauseingänge. Vielleicht kann er seinen Freund für die tolle Luft nach dem Regen begeistern. Und wenn nicht, spielt er eben allein. Sammy macht das nichts aus. Er findet immer etwas, das man auch auf einer regennassen Wiese machen kann. Denn Sammy ist eben anders.

Impressum

Texte: Jasmin Frei
Bildmaterialien: Manuela Schauten
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen Lieblingschaoten, den man einfach nur mögen kann - egal wieviel Mist er baut.

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