Der Zeitgenosse : Neanderthaler mit Handy und Chatbot?
Ist "Künstliche Intelligenz" mehr als technischer Dilettantismus sozialer Masche und Mode?
Smartphones und andere Digitalgadgets werden nur der zur Hetze beschleunigten Zeit gerechter. Man fürchtet dauernd, etwas Entscheidendes zu versäumen, und erwartet ständig Bombeneinschläge von Infos und Katastrophen. Erinnerungen entwerten einander in immer kürzeren Zeitabständen. Der Papierkorb des Bewusstseins muss in immer kleineren Intervallen geleert werden, um Platz für immer sensationellere Belanglosigkeiten zu schaffen, die einander löschen und bis zum quirlenden Stumpfsinn überlagern. Der Dauernutzer dieser Schadstofftechnologien mutiert zu deren missbrauchtem Anhängsel. Seine Zeiterfahrung nähert sich dem eines Tieres, das nur noch von Gegenwartgeprassel bombardiert wird, das sich im Sekundentakt vollautomatisch erneuert. Zeit wird nicht mal mehr vertrieben oder wenigstens Geld, sondern in jeder Minute des Lebens bis zum Ende totgeschlagen. Tolle Kommunikationsinstrumente - wenn man (sich) nur etwas zu sagen hätte!
Nietzsches „letzter Mensch“ ist Wirklichkeit geworden, „ein Lüstchen für den Tag, ein Lüstchen für die Nacht“. Sein „Übermensch“ war das frühromantische Originalgenie als vollentwickeltes Individuum. Was aber stattdessen sozialengagiert realisiert wurde, ist der zeitgeisthörige Massenmensch, der sich für dessen individualistischen Generalkritiker hält. Wer sich ansieht, was der Zeitgenosse an stolzer „Selbstverwirklichung“ vorführt, wünscht sich, diese Wirklichkeit wäre besser bloße Möglichkeit geblieben.
„Wenn Algorithmen träumen“, entstehen berechnend berechnete Alpträume, die der Nutzer als Wunschträume erleben soll. Willst du wissen, was an der Kunst kunstfremd oder banausisch ist, dann sieh zu, welche Fake-Geschichten deine KI heutzutage schon erfindet und uns auftischt. Wer dieses Werkzeug benutzen will, ist von ihm schon missbraucht. KI/AI kann Geschichten à la Dickens schreiben, Dramen à la Schiller entwerfen und Gedichte à la Baudelaire reimen, weil es mit dem eingefütterten Fundus dieser gesammelten Dichterwerke arbeiten kann. Sobald KI/AI aus selbstlernend(er)en Maschinen bestehen wird, die sich selber reflexiv perfektionieren und optimieren könnten, werden ihre vorprogrammierten Programmierer und benutzten Nutzer sie eines Tages nicht mehr verstehen oder stoppen können. Stecker ziehen wird dann nichts mehr nützen; eher wird der Stecker uns gezogen. Die technische Fortschrittswelt ist dem Einzelnen längst entglitten und über den Kopf gewachsen – wie vielleicht der Mensch seinem Schöpfer. Fortschritt hieße : Stoppt den Fortschritt! –- „Entweder Gott oder Fortschritt ist Hokuspokus.“
Das letzte gedruckte Buch der Welt bliebe besser ungedruckt, weil es vermutlich nur Comics-Sprechblasen enthielte statt etwa eine Neuauflage von Hegels „Phänomenologie des Geistes“, die niemand mehr kapiert. Nur nicht jetzt menschelnde Romane schreiben ueber KI-Romane bitte!
Die fehlerhaften Zufälle beim Schreiben nannte man mal inspirierende Einfälle, also Eingebungen der Musen. Launische Genien umschweben das einsame Genie als kreative Schwächeanfälle. Andernfalls entstehen lediglich Kunstgewerbeartikel, also überkonstruierte Proben handwerklichen Geschicks.
„Parallelwelten in der Nachbarschaft“ sind literarisch steril, weil meist nichts als geklonte, also unbedeutend variierte Kopien der eigenen Massen(medien)welt und „Spaßgesellschaften“. Da kann ich auch gleich meine Autobiographie verfassen, also verlogenes Introspektionsgeflunker als maskiertes Heldengedicht.
Die dröhnende „Sprache der Stille“ ist heute ein defektes Megaphon, eine vorübergehend kaputte Maschine, die gewartet werden will, bis sie wieder vorlaut sein darf. Sie wird eher beschworen, als dass sie jemals herrscht. Niemand beherrscht sie mehr als der Tontechniker des Weltlärms.
Die hyperkomplex globalisierte Welt ist nicht kosmopolitisch „freier Verein von Produzenten“ (Marx) und von Künstlern, sondern unendlich segmentierte naturwissenschaftlich-technisch-industrielle Einheitsgesellschaft von überangepassten Herdentieren, die sich für unverwechselbar unaustauschbare Sonderexemplare der Gattung halten. Die Helden der Kulturindustrie sind nicht mal mehr Kriegshelden oder lauter überschätzte „Alltagshelden“ des gesunden Volksempfindens geschweige denn Geisteshelden (zu denen noch nie viele „Narrative“ passten). Der wahre Held wäre laut Nietzsche der „Übermensch“, also das Originalgenie, also der geistesadelige Individualist, den es heute noch weniger gibt als einstmals, wo er vielleicht hier und da wenigstens noch ein bewundertes Ideal gewesen war. Selbst die Individualitätsmuster sind schon vorgenormt.
Im Einklang mit der Natur, ihren Gesetzen und Rhythmen lebten „Naturvölker“, bevor sie von progressiven „Hochkulturen“ des technologischen Fortschritts verdrängt bis ausgerottet waren. Was heute als Naturökologie gegen neoliberalen Konservatismus aufgeboten wird, ist keine Rettung des Blümchens vor den Bulldozern, sondern nur ideologische Vorbereitung auf den anstehenden Modernisierungsschub, also für elektronische Industrie 4.0 von KI und Digitalisierung. Ökologismus ist das pure Gegenteil von dem, was er verspricht, nur Rettung des kommenden "sauberen" vor dem überholten "schmutzigen" Produktivitätsniveau.
„Das Ende des Fiktiven“ ist durch KI näher gerückt denn je. Maschinenrealitäten samt ihrer Fantasy überrunden längst um Längen jede armselige menschliche Phantasie, die ohnehin immer mehr Kindheitserinnerung als freie Erfindung gewesen sein mag. Menschliche Gegenkultur bestünde heute in Parodien natürlicher Dummheit auf Künstliche Intelligenz, jedoch Satire ist längst ohnmächtige Selbstsatire des Satirikers geworden, seit kein denunzierbarer Riss mehr zu erkennen ist zwischen der etablierten Realität und ihrer begrifflichen Selbstreklame.
„Geschichten aus den Zwischenräumen“ wären heute so langweilig wie aus den "Parallelwelten der Nachbarschaft", da diese „Zwischenräume“ keine letzten Spielräume mehr sind, sondern unbedeutend variierte Folterzimmer in Lust- und Luftschlössern der Reichen und Schönen, routinierte Swingerhöllen mit Fließbandorgasmen in den Kopfgeburten eines eingekerkerten Marquis de Sade.
Die Wahrheit über die KI-Moderne liegt schon in den endlosen Quasseleien von Samuel Becketts clownesken Endspielen, nicht mehr in Kafkas Bürokratieprozessen. Sobald KI gute Geschichten erzählen kann, ist die Zeit für Geschichten endgültig vorbei, Geschichten, die man macht oder die man erzählt. Wann können KI-Automaten so viel Schmerz empfinden, dass sie sich eine Deklaration der globalen KI-Rechte schreiben und erkämpfen werden?
Sollte aber elektronische KI-Digitalisierung alle entfremdete gesellschaftliche Arbeit abschaffen, statt nur neue Luxusbedürfnisse zu wecken, die eine erweiterte Spirale von ewiger Produktion und Konsumption starten, würde der beschäftigungslos ungebildete Durchschnittsmensch in seinen Depressionen verwahrlosen, statt endlich Zeit und Kraft für seine kultivierte Selbstveredelung und Höherentwicklung zu gewinnen.
Das Furchtbarste aber liegt darin, dass niemand von uns der barbarischen KI-Virtuosität mehr etwas spezifisch Menschenmögliches an Genialität entgegenzusetzen wüsste. Dieses Werkzeug ist zu nichts Substanziellem mehr brauchbar und demütigt nur hohnlachend und ungerächt straflos seine plattten Erfinder.
Wer Becketts Schrumpfuniversum nicht noch kulturell geniessen statt verabscheuen kann, muss seine Zeitgenossen heute demütigen wollen, indem er ihre mittelmässigen Idole erschlagen lässt von den Hölderlins, Hegels, Mozarts, Einsteins und Rembrandts. Der Affe entwickelte sich zum Menschen, der Mensch aber nicht zum Genie, sondern zum herzensguten Herdentier per Arbeit oder zur bösartigen Bestie per Verstand. KI, Verstand ohne Vernunft, Fantasy ohne Gemüt, ratifiziert diese Tendenz nur. Die höchste Inteligenz überm KI-IQ liegt eben im Willen zur natürlichen und kreatürlichen Dummheit (statt künstlichen Selbstverblödung).
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2025
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